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PSYCHE: Buch 3+4
PSYCHE: Buch 3+4
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eBook697 Seiten9 Stunden

PSYCHE: Buch 3+4

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Über dieses E-Book

Die Welt PSYCHE ist ein großes Rätsel.
Warum darf dort niemand hin? Dazu gibt es verschiedene Theorien.
Die MindGamer halten es für eine riesige MindGameWelt. Das höchste Level des besten MindGames aller Zeiten.
il caskars Rebellen Community hält diese Welt für ein großes Gefängnis. Denn die Mitglieder des Hohen Rates der Erde allein bestimmen, wer nach PSYCHE darf. Halten sie dort ihre Gegner gefangen?
Die Bücher 3 und 4 erzählen die Geschichte weiter.
il caskar strebt die unbegrenzte Macht, Omnipotens, auf PSYCHE an.
Um danach den Hohen Rat der Erde zu vernichten.
Während MindGamer Peta Avatar weiter daran arbeitet, der mächtigste Gott des Krieges zu werden. Welche Pläne er dabei verfolgt, bleibt lange unklar.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum22. Nov. 2022
ISBN9783347764057
PSYCHE: Buch 3+4
Autor

Thorsten Klein

Über den Autor Thorsten Klein wurde am 02. Oktober 1964 in Großenhain geboren. Dort lebt er immer noch. Nach einer Ausbildung im Großenhainer „Institut für Lehrerbildung“ begann er sein Berufsleben im Gesundheitswesen. Nach vielen Jahren in der Erziehungshilfe und einem Studium zum Dipl. Sozialpädagogen/Dipl. Sozialarbeiter ist er nun in verschiedenen Feldern der Sozialarbeit tätig. Weitere Informationen zum Autor und seinen Büchern: www.planet-psyche.de

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    Buchvorschau

    PSYCHE - Thorsten Klein

    3. Buch Omnipotens

    Auf der Suche nach einem neuen MindScript

    Richard Kummers MindScript endete mit seiner Ermordung. Und mit der von Alexandra Al Kahira.

    Aber wie ging es weiter? Waren die beiden tatsächlich bei den Angriffen il caskars gestorben? Hatten die Mitglieder des Hohen Rates ihre echten Leichen für eine Beerdigung auf Psyche vorbereitet?

    Das waren berechtigte Fragen. Denn Vater Roberts Tod in dieser Welt war nur vorgetäuscht. Die Ermordung des Mönches in Sankt Petersburg beendete dessen Existenz auf Psyche. Seine „Leiche" wurde von den Einheimischen gefunden, obduziert und beerdigt.

    Trotzdem lebte Robert von Waldenburg immer noch in vielen anderen Welten. Nur nicht auf Psyche.

    Wollten Alexandra und Richard auf ähnliche Weise ihre Existenz auf Psyche beenden? Schließlich hatte Richard Kummer sein wichtigstes Ziel erreicht: Seine Frau Alexandra wurde geheilt.

    Oder war Michaels schlimmste Befürchtung eingetreten? Hatte Alexandra diese Heilung nicht überlebt und Richard Kummer deshalb ihren Tod geteilt?

    Ich suchte nach Antworten.

    Thorsten Klein         Großenhain, 18.08.2014

    Prolog Unerwarteter Besuch

    Ich bin der Geist, der stets verneint!

    Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,

    Ist wert, dass es zu Grunde geht

    Goethe, „Faust - der Tragödie 1. Teil", (Erde, 1808)

    Ort: Großenhain, Wohnung des Chronisten

    Offene Enden mögen ja literarisch sehr interessant sein, befriedigen aber nicht die Neugier meiner Leserinnen und Leser. Und meine Neugier schon gar nicht.

    So oft ich jedoch versuchte, im Internet ein neues MindScript zu finden, es tauchten immer nur die beiden mir bekannten auf. Ich benötigte eine andere Herangehensweise.

    Im Urlaub hat man mehr Zeit für solche Dinge. Also beschloss ich, diesen Sommer nicht in geografische, sondern in mentale Fernen zu verreisen.

    Mit einer Vollbürger-Trance sollte es mir gelingen. Ich besaß zwar weder die anatomischen noch die mentalen Voraussetzungen zum Vollbürger, aber Richard Kummer hatte mir auf meine inständige Bitte gezeigt, wie man das macht. Dieses Wissen setzte ich ein.

    An den ersten beiden Tagen bekam ich keinen Kontakt mit einem meiner Buchhelden. Ganz zu schweigen davon, dass ich irgendwelche Fähigkeiten erlangte, Gedanken zu lesen oder durch die RaumZeit zu reisen.

    Aber am dritten Tag (wieso eigentlich immer am dritten?) gelang mir dann doch der Kontakt.

    Der schwarze Herzog stand grinsend in meinem Wohnzimmer. In Lebensgröße. Richard Kummers holografische Abbilder waren immer viel kleiner.

    Außerdem war ich in der Lage, ihn zu berühren. Er fühlte sich sehr echt und sehr menschlich an. Stellen Sie sich meine Überraschung vor. Und meine Skepsis.

    Ich fragte ihn, ob er der echte schwarze Herzog sei.

    „Einen schönen guten Tag, antwortete er beleidigt. „Eine Höflichkeit ist das in deiner Zeit. Bei euch begrüßt man Gäste nicht, bevor man sie anspricht, sondern man begrabscht sie erstmal?

    Selbstverständlich begrüßt man zuerst seine Gäste. Auch in meiner Zeit. Ich begrüßte ihn und hoffte, dabei nicht rot zu werden.

    „Nimmst du irgendwelche Drogen?", fragte der Herzog nach meinem Gruß.

    „Ist diese Frage vielleicht höflich? Nein, ich nehme keine Drogen. Ich trinke nur ab und zu mal ein Bier."

    „Hast du welches intus?"

    „Um diese Zeit? Natürlich nicht."

    „In der Gegend, in der du wohnst, ist es nicht ungewöhnlich, den Morgen mit ein paar Bierchen zu beginnen."

    „Man muss ja nicht alles nachmachen."

    „Stimmt. Aber es wäre sehr gefährlich für dich, dann weiter in der Trance zu bleiben. Du könntest deine Trance vielleicht nie mehr verlassen und ich könnte dir nicht helfen, wieder in die Realität zurückzufinden."

    „Du könntest mir nicht helfen? Du? Als Vollbürger und als Arzt?", fragte ich erstaunt.

    Er nickte mit jenem typischen Gesichtsausdruck des spöttischen Bedauerns, den ich bei ihm so oft in Richard Kummers MindScriptProjektionen gesehen hatte. „Der echte Herzog könnte dir sicher helfen, aber ich bin nur ein holografisches Abbild eines MindScriptAutors. Da du in Trance bist, komme ich dir real vor. Ich habe gespürt, dass du Richard Kummer suchst. Das hat meine Neugier geweckt."

    „Ist er tot?", polterte ich sofort mit dem heraus, was mich am meisten interessierte.

    „Ja, leider. Richard Kummer ist definitiv gestorben."

    „Ist er nur auf Psyche tot oder so ganz allgemein?"

    „Auf Psyche sowieso, aber auch ganz allgemein."

    Nicht einmal der gewiefteste Quizmaster hätte des Herzogs Lächeln imitieren können, das er bei dieser Antwort zeigte. Es gab keine Hinweise darauf, inwieweit die Antwort wirklich zutraf.

    Mir half es trotzdem. Ich hatte diese Art seines Lächelns bereits kennengelernt. „Aber Richard Rath lebt noch?", fragte ich deshalb.

    Die Miene des Herzogs zeigte mir, dass er Spitzfindigkeiten mochte. „Die vielen Leben und Masken des Herrn Richard Rath sind natürlich ein Thema, das sich nicht in einem Satz erörtern lässt, sondern längere Zeit in Anspruch nimmt. Hast du die Zeit dafür?"

    „Ich habe Urlaub." Ich machte es mir bequem und war bereit, eine sehr lange Zeit zuzuhören.

    „Dein Urlaub dauert nicht lange genug, um alles zu erfahren. Die Antworten auf deine Fragen werden einige Wochen in Anspruch nehmen und dich möglicherweise dazu bringen, wieder als Chronist aktiv zu werden."

    „Wenn es Richard Kummer nicht mehr gibt, kann ich auch nicht sein Chronist sein."

    „Du musst ja nicht sein Chronist sein. Es gibt auch noch andere MindScripte als nur das von Richard Kummer."

    „Deins zum Beispiel?"

    „Meins zum Beispiel. Aber auch die Augusta, Sophia Demeter, selbst mein Bruder, sie alle haben MindScripte veröffentlicht. Selbstverständlich sind die meines Bruders am langweiligsten."

    „Selbstverständlich. Und die des schwarzen Herzogs sind am spannendsten."

    „Richtig. Leider würdigt das keiner. Ich habe einen schlechten Ruf, musst du wissen. Völlig unberechtigt natürlich."

    „Absolut unberechtigt. Du bist einer jener Menschen, die vollkommen verkannt werden, weil sie aus der üblichen Norm schlagen."

    Der Herzog schien mir mit einem heftigen Nicken zustimmen zu wollen, runzelte aber plötzlich die Stirn und sah mich genauer an. „Verarschst du mich vielleicht?, fragte er und fuhr dann erklärend fort: „Ein MindScript ist nicht besonders helle, weißt du. Und es versteht überhaupt keine Ironie.

    Ich benötigte ein Räuspern, bevor ich antworten konnte: „Falls das so rübergekommen sein sollte, entschuldige ich mich. Natürlich will ich wissen, wie es weitergegangen ist. Ist Richard Kummer gestorben, kann ich nicht mehr sein Chronist sein. Für eine gute Story bin ich immer bereit, einen anderen Job anzunehmen."

    „Dann habe ich einen für dich: Werde mein Chronist."

    „Und was bietest du mir dafür?"

    „Ich erzähle dir, wie es weiterging. Natürlich biete ich dir die spannendste Version von den Vielen, die ich dir aufgezählt habe. Ich hoffe, ich habe mich beeilt. Sophia oder die Augusta sind mir nicht zuvorgekommen?"

    Der Herzog sah sich um, als würde ich irgendwo schöne Frauen versteckt halten, konnte aber keine finden.

    Ich auch nicht. Leider. Aber ich war interessiert. „Die Augusta oder Sophia sind auf dem Weg hierher? Sind sie auch in der Realität so überirdisch schön, wie sie Richards MindScript gezeigt hat?"

    „Warum nicht? In der Zeit, in der wir leben, ist die Optimierung des eigenen Aussehens kein Problem mehr. Vor allem, weil sie ohne die Zuhilfenahme von Schönheitschirurgie funktioniert. Falls Frau darauf Wert legt, kann sie durch überirdische Schönheit glänzen."

    „Legt nur Frau darauf Wert? Männer nicht? Du siehst jedenfalls aus wie ein germanischer Junggott."

    „Bei mir ist das etwas Anderes. Ich sehe seit meiner Geburt so toll aus, denn ich bin ein Gott. Als solcher muss man auch so aussehen. Schließlich ist man das den anderen Göttern und der allgemeinen Erwartung der Menschheit schuldig … Keine weiteren Fragen zu meiner Herkunft, wehrte er ab, noch ehe ich richtig den Mund dazu aufmachen konnte. „Darum geht es hier nicht. Nicht meine Geschichte, sondern die Geschichte Psyches ist von Bedeutung. Meine Bedingung ist: Wenn du einwilligst, mein Chronist zu sein, kommen die anderen nicht zum Zug.

    „Du stichst sie also aus?"

    „Wie immer."

    „Was habe ich davon, dir irgendwelche Exklusivrechte einzuräumen?"

    „Die spannendere Story."

    „Du wiederholst dich. Vielleicht gleicht ja die Gesellschaft schöner Frauen deren mangelnde Fähigkeit zum Spannungsaufbau aus? Ich ziehe die Gesellschaft schöner Frauen immer vor."

    „Was den Vorzug der Gesellschaft schöner Frauen betrifft, bin ich ganz deiner Meinung. Aber glaube mir, man kann mit holografischen Frauen bei Weitem nicht so viel anfangen, wie mit denen aus Fleisch und Blut."

    „Akzeptiert. Dann stelle ich eine andere Bedingung: Habe ich meine Arbeit als Chronist für dich beendet, bringst du mich mit jemandem vom Hohen Rat zusammen, der mir weitere Geschichten erzählen kann."

    „Einverstanden. Wo soll meine Erzählung beginnen?"

    „Dort, wo Richard Kummers MindScript aufhörte. Bei dem Schlamassel, den ihr auf Psyche zurückgelassen habt. Erst war Weltkrieg, dann war Revolution und dann war Bürgerkrieg."

    „Jaja, aber das war nicht unser Schlamassel, sondern der der Psychaner. Unser Einmischen hatte allein mit Alexandras Heilung zu tun. Durch uns war sie krank geworden, wir mussten sie heilen. Das war nur so möglich. Jeder andere Versuch hätte sie umgebracht. Denn nur aus diesem Grund war Robert Severes Geist in ihren Kopf geflohen. Der wollte sie und Richard Kummer töten, um seine Niederlage doch noch in einen Sieg zu verwandeln", verteidigte sich der Herzog.

    „Und das wusste il caskar?"

    „Natürlich."

    „Und ihr habt ihn machen lassen?"

    „Er suchte eine Aufgabe. Wenn die darin bestand, Götter zu töten, warum sollte er es nicht versuchen?"

    „Er benimmt sich ziemlich kindisch. Seine Community auch. Ihr hättet sie davon abhalten sollen."

    „Warum? Die pubertieren nun schon fast sechshundert Jahre lang vor sich hin. Sie sollten endlich erwachsen werden. Das wollten wir erreichen, indem wir ihnen helfen, ihre Suche zu beenden."

    „Ihre Suche?"

    „Das ist dir nicht aufgefallen? il caskar versucht sich von seinen Eltern zu lösen. Obwohl sie die einzigen sind, die ihn unterstützen. Bcoto und Takhtusho sind arme Waisen, die nur sich selbst und ihre Geschwisterliebe haben. Sie wissen nicht einmal, wer ihre Eltern sind. Also suchen sie eine Familie. Die glaubten sie, in dieser Community zu finden. Mal sehen, wie lange sie das noch glauben."

    „Aber Ala Skaunia sucht doch nicht. Sie fühlt sich als First-Lady an der Seite ihres Anführers wohl", warf ich ein.

    „Hat sie ihm geholfen, Richard Kummer zu töten, als der unbedingt sterben wollte? Nein. Da hat sie versagt. Werden die beiden noch ein trautes Paar sein, wenn herauskommt, dass Alexandra noch lebt? Was meinst du?", wollte der Herzog wissen.

    „Also ist sie doch nicht gestorben?", frohlockte ich. Ich hatte es immer gehofft. Schöne Frauen sterben zu lassen, lehne ich als Autor ab. Als Mensch sowieso.

    „Natürlich ist sie nicht gestorben. So viele von uns haben auf sie aufgepasst. il caskar hatte keine Chance, sie wirklich zu töten."

    „Aber er war sich so sicher."

    „Auch das war Teil des großen Planes. Etwas weniger Selbstgefälligkeit seinerseits und er hätte es erkannt. il caskars Charakter sollten uns noch lange beschäftigen."

    „Dann handelt die weitere Geschichte Psyches von il caskar und seiner Community?"

    „Nicht nur. Alexandra wollte nach ihrer Genesung sofort wieder nach Psyche zurück. Wegen Michael Arx, wegen Richard Kummers Vermächtnis, aber hauptsächlich ihrer Revolution wegen. Sie wollte mir nicht glauben, dass die ins genaue Gegenteil verkehrt war. Den Menschen ging es nicht besser, sondern schlechter."

    „Schlechter? Auch denen in Russland?"

    Der Herzog setzte sich in einen unsichtbaren Sessel und ließ mit einem Fingerschnippen eine MindScriptProjektion erscheinen. „Gerade in Russland. Wann ist es den einfachen Menschen in diesem Land schon mal gut gegangen? Aber auch in Deutschland ging es drunter und drüber."

    Dann sahen wir beide auf die dreidimensionale Darstellung seiner MindScriptProjektion.

    1. Kapitel … und es bleichen wie Steine

    und es bleichen wie Steine die verfluchten Gebeine

    unsrer Feinde nach blutigem Tanz …

    und wenn wieder sie kehren mit Maschinengewehren,

    dann entrollt unsere Fahne sich rot

    „Budjonnylied", (Gebr. Pograß, Alexej Syrkow)

    Ort: Psyche, Berlin Moabit, Amtsgericht

    Die Dämmerung war hilfreich.

    Sie war nicht unbedingt nötig, denn Gerechtigkeit konnte auch im Hellen geschehen. Eigentlich sollte sie das immer. Aber nicht alle waren der Meinung, dass das, was er vorhatte, gerecht sei. Dieser Kowalski zum Beispiel. Er hatte am lautesten dagegen protestiert. Und am heftigsten.

    Sein Entschluss hingegen stand fest. Denn er fühlte sich immer noch als Offizier. Ein preußischer Offizier geht in den Ruhestand, wenn er das richtige Alter erreicht hat. Er fällt auch zuweilen im Krieg. Aber er wird nicht aus dem Dienst verabschiedet. Erstrecht nicht von seinen großfränkischen Erbfeinden. Denn die Sieger des Kaiserkrieges hatten beschlossen, das Deutsche Reichsheer zu verkleinern, damit es für seine Gegner keine Gefahr mehr darstelle. Es benötigte damit auch weniger Offiziere. Ihn benötigte es nicht mehr. Aber es gab auch andere Wege, gegen seine Feinde zu kämpfen.

    Er konzentrierte sich auf den Ausgang des Amtsgerichtes. Der Minister, seine Zielperson, würde dieses bald verlassen, lauteten seine Informationen. Die Zielperson würde bald sterben, lautete sein Vorhaben. Dieser Mensch musste sterben, denn er trug Mitschuld am verlorenen Krieg. Dessen war er sich sicher.

    Seine Ansichten zur gegenwärtigen Politik Deutschlands waren sehr einfach. Mussten sie auch, schließlich war er Offizier, kein Politiker. Diese einfachen Ansichten verleiteten ihn zu einer einfachen Tat.

    Er wollte einen Menschen töten. Mit seiner alten Waffe. Er würde mit dieser vertrauten Waffe seine Pflicht tun.

    Als er die Zielperson sah, hob er seine Pistole, zielte kurz und schoss dann sofort. Ohne die Augen zu schließen oder sich am Qualm und Krach der Waffe zu stören.

    Ort: Psyche, Russland, Krasnodar

    Sie roch den Qualm nicht und er verbarg nur ihren Augen jenes furchtbare Geschehen in der Stadt Krasnodar. Ihre Inneren Sinne spürten alles, was dort geschah.

    Die Reiterarmee des Generals Woronesch hatte die Stadt gestürmt. Das war wichtig, denn die Ewiggestrigen, die noch an die Macht des Zaren glaubten, hielten diese Stadt besetzt und verhinderten so, dass sie am Segen der proletarischen Revolution ihren gerechten Anteil nehmen konnte.

    Diesen Anteil bekam sie nun.

    Deshalb die vielen brennenden Häuser. Deshalb die schreienden und sterbenden Kinder. Deshalb die vergewaltigten Frauen. Soldaten feierten auf diese Art immer die Eroberung einer feindlichen Stadt. Die Roten Garden machten da keine Ausnahme.

    Zumindest hatte es ihr der General Woronesch so erklärt. Der war eigentlich kein General. Auch das hatte er erklärt. Er war ein Kommandant. Denn Generale und andere hohe Offiziere kannten die revolutionären Truppen der Roten Garden nicht mehr.

    Disziplin scheinbar auch nicht, so wie sie alle Gesetze der Menschlichkeit mit Füßen traten. Die Gräuel des Krieges kannten sie und sie lebten sie mit Wonne aus.

    Michael Arx verstand das nicht und er wollte es auch nicht wahrhaben. So stand er, als der eigentliche Befehlshaber der Roten Garden, neben der schönen Frau und beschränkte sich ebenfalls aufs Zusehen. Sie hatte ihn noch nie so zerrissen erlebt.

    Michael glaubte immer noch an das Gute im Menschen. Und an den Fortschritt, den die proletarische Revolution den unterdrückten und geknechteten Massen bringen würde. Er fand nur beides nicht. Jedenfalls nicht im Moment.

    Aber es würde wiederkommen. Hoffte er. Wenn die Weißen, so nannte man die Konterrevolutionäre, erst einmal aus dem Land gejagt wären. Hoffte er.

    Die ließen sich nicht wegjagen, sondern wehrten sich mit Gewalt gegen diese Vertreibung und zwangen die Revolutionäre damit ebenfalls zur Gewalt. Es ging also nur so. Die Guten mussten böse sein, um dem Guten zum Sieg zu verhelfen.

    An diese Ausrede klammerte er sich. Wie der Bergsteiger an den einzigen Felsvorsprung, der an einer glatten und viel zu hohen Wand zu finden war. Unter sich einen gähnenden Abgrund. Über sich, in weiter Ferne, der Gipfel, den es zu erklimmen galt. Wenn er noch die Kraft und den Mut dazu fand. Er hatte beides verloren. Aber er hoffte auf die Frau neben ihm. Sie würde ihm neue Kraft verleihen.

    Alexandra war entsetzt über das Kriegsgeschehen. „Wie lange geht das schon so?"

    „Der Krieg? Schon länger als ein Jahr."

    „In dieser Stadt?"

    „Nein, im ganzen Land. Es ist zerrissen zwischen denen, die noch dem Alten anhängen, und uns Revolutionären. Außerdem drängt es die Völker dieses Riesenreiches dazu, ihre Selbständigkeit zu wollen und sich von Moskau loszusagen."

    „Dann gebt ihnen ihre Selbständigkeit."

    „Du sagst das so einfach. Bolschoi musste im Friedensvertrag mit den Deutschen schon so viel Land hergeben, er will nicht noch mehr verlieren. Wer gibt schon gern ein Imperium auf?"

    „Ein Imperium aufgeben? Wir sind Revolutionäre. Unser Imperium ist die ganze Welt. Ist Bolschoi jetzt ein Zar und toleriert das da?", fragte Alexandra und wies auf die brennende Stadt.

    „Es ist alles viel komplizierter als das da. In dieser Stadt sind die Verhältnisse noch einfach. Dort kämpfen nur Russen gegen Russen. Rote gegen Weiße. Also Gute gegen Bösen und damit gibt es klare Fronten. Im Moment haben wir gewonnen. In dieser Stadt. Aber in diesem Riesenreich kämpft jeder gegen jeden und ein Sieger ist nicht in Sicht."

    „Was sagt der Hohe Rat dazu?"

    „Den Hohen Rat interessiert Psyche inzwischen sehr wenig. Gerrich und Huldrich haben hier das Sagen. Sie warten auf eines jener Ereignisse, so sagten sie mir vor kurzer Zeit, welches manchmal ganz plötzlich die Geschicke der Völker verändert."

    „Das verstehe ich nicht."

    „Ich musste auch erst das MindNet befragen. Es ist ein Alexandre-Dumas-Zitat. Aus den „Drei Musketieren. Richelieu sagte das, als er Milady den Auftrag erteilte, nach England zu reisen, um Lord Buckingham zu ermorden.

    „Gerrich und Huldrich wollen jemanden ermorden?"

    „Das können sie nicht. Dagegen steht das Innere Gesetz. Sie hoffen, einer von uns wird ermordet und den anderen bleibt nichts weiter übrig, als diesen Scheiß hier schnell zu beenden, weil sie all ihre politische Kraft benötigen, um ihre neue Macht zu festigen. Die Frage ist nur, wer wird ermordet und von wem? Potentielle Mordopfer wären: Bolschoi, Wissarew, Woronesch, Woronzow oder dieses Ekel Tscherkassow, mein ganz besonderer Feind. Irgendjemand von denen will auch mich ermorden. Versuche dazu gab es bisher ausreichend. Aber Vollbürger sterben nicht so schnell." Den letzten Satz spuckte er fast aus.

    Alexandra sah ihn an. Er sah ausgemergelt aus, seine Haut war grau. Trotzdem wirkte er immer noch jung. Aber nicht mehr so jungenhaft wie einst. Ein schneller Scan zeigte ihr, das warme, rote Feuer der Revolution war aus seinem Inneren Ich verschwunden. Dort brannte jetzt eine kalte, blaue Flamme, die ihn verzehrte.

    Und die heller leuchtete, als er weitersprach: „Bolschoi wird sicher als erster draufgehen. Er ist der Älteste von uns und hat gerade erst zwei Attentate überlebt. Negative Begleiterscheinungen seines Zarentums. In diesem Land ist der, der ganz oben steht, immer der Zar. Auch wenn er keine Krone trägt und sich anders nennt. Als Zar hat er auch das Privileg, auf der Abschussliste von Extremisten zu stehen."

    „Willst du ganz oben stehen?", fragte Alexandra erstaunt, die in Michaels Innerem Ich solche Wünsche erkennen konnte.

    „Ich? Ganz oben? … Warum eigentlich nicht? … Wenn ich dadurch diese Revolution retten kann. Siehst du eine bessere Alternative?"

    „Jede Alternative ist besser als deine Trennung vom Inneren Gesetz. Wenn du dir in Psyche Wahre Macht erkämpfst, hast du jedes Recht auf dein Vollbürgertum verloren."

    „Aber es ist für eine gute Sache!", warf er ein.

    „Seine eigene Moral über den Haufen zu werfen, nur um der Chimäre Macht hinterher zu rennen, kann niemals eine gute Sache sein. Wo ist der Michael, der auf einer friedlichen Revolution bestanden hat, und die auch gegen den Willen von Bolschoi, Wissarew und Tscherkassow durchsetzen konnte?"

    „Ich glaube, der ist in den Wirren dieses Bürgerkrieges gestorben. Einer allein kann zwar Frieden wollen, aber ihn nicht durchsetzen." Seine Resignation war fast greifbar.

    „Dann versuch es wenigstens. Rede mit denen, die in Russland Macht ausüben. Sprich mit Bolschoi. Auf ihn hören alle."

    Michaels Lachen war noch furchtbarer als sein Äußeres. „Bolschoi? Auf den hört keiner mehr. Er ist verletzt, er ist krank und alle zählen nur noch die Tage, bis zu seinem baldigen Tod. Die anderen hoffen, er möge bald sterben. Du glaubst mir nicht? Besuch ihn doch. Dann wirst du sehen, dass er bald sterben muss."

    Ort: Psyche, Bad Döttelbach, Schwarzwald

    „So schnell stirbt man nicht, Herr Minister. Wir wandern auf diesen Berg. Wir lassen uns von diesem Spaziergang nicht abhalten. Sie müssen keine Angst davor haben, hinauszugehen. Hier im Schwarzwald geschieht Ihnen nichts, hier wird Sie keiner umbringen."

    „Glauben Sie mir, mein lieber Kriminalrat Renatus, die Kugel, die mich töten soll, ist schon gegossen."

    „Das mag sein, Herr Minister, aber in meiner Begleitung genießen Sie Polizeischutz. Auch wenn ich im Moment auch nur ein Urlauber bin. Ein Polizist ist immer im Dienst."

    „Ein Minister auch, Herr Kriminalrat. Trotzdem muss man ein wenig entspannen. Sie haben vollkommen recht, wir werden diese Wanderung auf den Berg machen. Ein wenig frische Luft tut immer gut. Vor allem in dieser Gegend."

    Der Minister stand auf und zog sich seine Jacke an. Mit Mühe, wie der Polizist sehen konnte. „Tut die Schulter immer noch weh?", fragte er deshalb.

    „Er muss ein erbärmlicher Schütze gewesen sein. Obwohl er ein Offizier war. Der erste Schuss ging in die Schulter, mit dem zweiten traf er die Brotbüchse in meiner Aktentasche. Dabei war noch heller Tag, als er vor dem Moabiter Amtsgericht auf mich geschossen hat."

    „Vielleicht hatten Sie einen Schutzengel?" Der Polizist kannte sich damit aus. Er war schon seit Jahrhunderten ein Schutzengel. Nicht nur als Polizist.

    „Ich hatte einfach Glück. Das hat man nicht so oft. Aber der Täter ist im Gefängnis und wird es erst in fünfzehn Jahren verlassen", meinte der Minister.

    „Man sagt, er hätte einer Geheimorganisation angehört. Und die wäre immer noch aktiv. Sie befinden sich also durchaus noch in Gefahr, Herr Minister."

    „Gefahr besteht immer, Herr Kriminalrat. Wir waren beide im Krieg und sind nicht gefallen. Da werden wir doch im Frieden auf uns aufpassen können. Oder?"

    Der Herr Kriminalrat wusste nicht, ob er den Minister erfolgreich schützen könnte. Aber er würde es versuchen. Die Sinne, mit denen er erst seit einiger Zeit etwas anfangen konnte, zeigten ihm, dass die Kugel gegen den Minister nicht nur schon gegossen war, sondern ihr Schütze sie auch verschießen wollte.

    Er hatte alles dafür vorbereitet und das Attentat auf den Minister konnte stattfinden. Heute. Hier im Schwarzwald.

    Ort: Psyche, Moskau, Kreml

    In Moskau bewohnte der Genosse Bolschoi den Kreml. Warum auch nicht? Mit der Ermordung der Zarenfamilie war diese Immobilie frei geworden. Es wäre schade, sie leer stehen zu lassen. Bolschoi schien um Jahre gealtert zu sein. Seine Haut wirkte grau und seine Augen waren umschattet und seine Stimme klang rau.

    Er begrüßte Alexandra mit seltsamen Worten: „Ich fühle mich schon seit Wochen, als sei ich bereits gestorben. Nach dem ich dich gesehen habe, weiß ich, dass es stimmt."

    „Was stimmt? Dass du gestorben bist? Warum?"

    Bolschoi versuchte, seine Stimme ironisch klingen zu lassen. Aber die ließ in ihrer Rauheit so etwas nicht zu. „Weil ich dich sehen und mit dir sprechen kann. Aber du bist tot. Ich habe es gelesen. In deutschen und in russischen Zeitungen. Sogar in der Prawda. Also muss es wahr sein."

    Alexandra überlegte eine Weile, bevor sie antwortete: „Meine Freunde haben beschlossen, meinen Tod vorzutäuschen, um mich zu beschützen. Für die Menschen in Deutschland bin ich gestorben. Es war nicht schwer, eine mir ähnelnde Leiche zu finden, welche die Deutschen beweinen und begraben konnten." Alexandra sah ihn aufmerksam an, um eine Reaktion zu erkennen.

    Aber Bolschoi sah nur genauso aufmerksam zurück. Deshalb fuhr sie fort: „Den Menschen in Russland möchte ich meine Hilfe anbieten. Dir möchte ich meine Hilfe anbieten. Für euch und eure Revolution möchte ich in Psyche weiterleben."

    Nun musste Bolschoi eine Weile überlegen, bevor er antwortete. Alexandra hörte nur Bitterkeit in seiner Antwort. „Du bietest deine Hilfe an? Hast du dieser Welt nicht schon genug geholfen? Deine Revolutionen haben doch stattgefunden. So, wie du sie wolltest."

    „Wie ich sie wollte?"

    „Wie du sie wolltest. Ich bin mir sicher, dein Wille ist geschehen. Ich wollte nie, was nach der Revolution in diesem Land geschehen ist", kam es mühsam von Bolschoi.

    „Du wolltest keine Revolution? Dein ganzes Leben hast du für sie gekämpft", verstand Alexandra nicht.

    „Für diese Art von Revolution habe ich bestimmt nicht gekämpft. Das Land ist zerrissen und fast nur noch halb so groß, wie es unter dem Zaren war. Die Menschen hungern noch mehr als unter dem Zaren. Die Bauern verweigern den Anbau von Nahrung. Die Arbeiter verweigern die Arbeit und die Soldaten wollen Soldatenräte, aber bitte ohne die Bolschewiki. Alle wollten unsere Revolution, aber keiner will uns. Es sollte alles besser werden, aber alles ist schlechter geworden."

    Ein Hustenanfall nach diesen Worten wies deutlich darauf hin, dass es auch um die Gesundheit des Genossen Bolschoi schlecht bestellt war. Er hatte also durchaus Ursache, verbittert zu sein.

    „Darüber beschwerst du dich? Was hast du erwartet? Sofortigen Frieden und Eintracht nach einer Revolution? Denk doch mal an die Großfränkische Revolution. Danach hat es fünfundzwanzig Jahre gedauert, bis die Menschen wieder so zueinander gefunden hatten, dass sie miteinander leben konnten und wollten", antwortete Alexandra.

    „Fünfundzwanzig Jahre? Dann kann ich ja getrost weiter wursteln wie bisher. Fünfundzwanzig Jahre werde ich nicht mehr leben."

    Alexandra scannte Bolschoi, ohne dass sich das Ergebnis dieser Untersuchung in ihrer Mimik widerspiegelte.

    Er würde kein Jahr mehr leben, erkannte sie. Denn er hatte Arterienverkalkung. Überall. Aber zuerst würden die Blutgefäße im Gehirn ihre Durchlassfähigkeit verlieren. Das sah sie ebenfalls.

    Arterienverkalkung, dachte Alexandra. Was für altmodische Krankheiten die Menschen auf Psyche hatten. Warum verhinderten sie diese Krankheiten nicht? Die Prophylaxe dagegen war so einfach. Aber Bolschoi wusste sicherlich nicht einmal, wie es um ihn stand. Geschweige denn, dass er in der Lage gewesen wäre, die ihm drohenden Schlaganfälle zu verhindern.

    Am Leben erhalten konnte sie ihn nicht mehr. Aber etwas Anderes konnte sie für ihn tun. Eine Hilfe, die er verstehen und annehmen würde. „Du hast die Revolverkugel, die dich im letzten Jahr getroffen hat, immer noch in dir. Spürst du keine Schmerzen?"

    „Ob ich Schmerzen spüre?, fragte er mit einem krächzenden Lachen. „Ich spüre nur noch Schmerzen.

    „Lass dir die Revolverkugel entfernen. Sie enthält Blei und das ist giftig. Es frisst dich langsam von Innen auf."

    „Ich habe schon darum gebeten, aber unsere Ärzte weigern sich. Sie sagten, es sei zu gefährlich. Ich weiß, sie haben nur Angst, mein Nachfolger könne sie umbringen, wenn sie versagen. Wenn Wissarew mein Nachfolger wird, haben sie mit ihrer Angst höchstwahrscheinlich recht."

    „Ich kann die Revolverkugel entfernen. Ich bin Ärztin und Wissarew kann mich nicht umbringen."

    „Du bist auch Ärztin?" Bolschoi musterte sie. Nicht ungläubig, auch nicht überrascht. Eher so, als habe er erwartet, sie trage noch mehr Qualitäten in sich als die ihm bekannten.

    Alexandra spürte diese Bewunderung. „Kann ja sein, deine Vorwürfe sind berechtigt und ich bin eine schlechte Revolutionärin. Als Ärztin bin ich besser. Helfen kann und werde ich dir. Von meiner Seite hast du keine Weltverbesserungen mehr zu erwarten. Nur noch die Heilung der Menschen. Hätte ich mich schon eher auf meine heilenden Stärken beschränkt, wäre mein Mann vielleicht nicht gestorben."

    Ort: Psyche, Bad Döttelbach, Schwarzwald

    Der Herr Minister sollte sterben. In dieser Minute noch. Es war beschlossen. Alle Vorbereitungen dafür beendet. Nichts hielt sie mehr auf.

    Sie hatten sich im Wald verteilt. So, wie sie es einst für den Krieg gelernt hatten. Deutsche Sturmtruppen waren bis zum Ende des Krieges in der Lage gewesen, Schrecken unter ihren Feinden zu verbreiten. Nach dem Krieg waren sie immer noch dazu in der Lage. Denn Deutschland hatte immer noch Feinde. Diesmal waren es deutsche Feinde.

    Der sich das gerade einredete, um seine Nervosität zu überspielen, war ein Hauptmann des Deutschen Reichsheeres. Mit diesem Dienstgrad ließ er sich immer anreden. Bei militärischen Titeln wusste man wenigstens, woran man war. In dieser neuen Zeit nach dem Krieg wusste man sonst nie, woran man war.

    Er sah zu seinen Kameraden. Die waren so verteilt, dass man die Zielperson ins Sperrfeuer nehmen konnte. Keine Chance also, zu entwischen. Die Kameraden nickten ihm zu. Nach dieser Zustimmung sah er über sein Visier und wartete. Bis die Zielperson auftauchte. In Begleitung. Wie geplant.

    Pech für die Begleitperson. Auch sie würde sterben.

    Darum hatte ihn sein Freund, Oberst von Krüger, gebeten. Lächelnd, weil alles so gut lief, sah der Hauptmann weiter durch das Dioptervisier.

    Ort: Psyche, Berlin, Büro des Reichskanzlers

    Herr Brandenburger sah immer noch aus dem Fenster. So konnte man einfach besser nachdenken.

    Seinem Gesprächspartner fehlte dazu die Geduld.

    „Sie müssen endlich eine Entscheidung treffen, Herr Reichskanzler, und die werden Sie kaum da draußen finden, sagte Herr von Sälzer. „Die Entscheidung zwischen den Kommunisten und uns kann doch nicht so schwer sein.

    Herr Brandenburger mochte es, als Reichskanzler angesprochen zu werden. Aber er mochte nicht, dass man ihn unter Druck setzte. Erstrecht nicht, wenn dieser Druck durch einen ehemaligen Offizier und Diplomaten ausgeübt wurde.

    „Ich persönlich habe eine sehr feste Meinung zum Kommunismus, Herr von Sälzer, antwortete er deshalb. „Demokratie heißt aber auch, Koalitionen einzugehen. In Sachsen funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den Sozialdemokraten und den Spinnern von der Linken gut. Vielleicht auch, weil sie funktionieren muss. Aber sie funktioniert. Selbst die sonst so stockkonservativen Bayern haben eine Räterepublik nach russischem Vorbild ausgerufen. Regiert von Linken und Sozialdemokraten. Warum sollte eine solche Regierung in Berlin nicht ebenfalls funktionieren?

    Es war keine Frage, es war eine Provokation. Herr von Sälzer empfand das auch so. Herr Brandenburger konnte es im spiegelnden Fensterglas deutlich erkennen. Auch die Mühe, die von Sälzer hatte, eine ruhige Antwort zu geben. „Wollen Sie dieses Land etwa den Kommunisten überlassen? Sie? Als Sozialdemokrat? Die werden Sie kaum an der Macht lassen. Wir schon."

    Der Reichskanzler drehte sich vom Fenster weg und sagte mit einer Verbindlichkeit, die er nicht fühlte: „Wenn wir in der Regierung zusammengehen, Herr von Sälzer, müssen auch sozialdemokratische Punkte im Regierungsprogramm erkennbar sein. Sehr viele, denn wir bilden die größere Fraktion. Es ist nicht sozial und erst recht nicht demokratisch, fuhr er fort, „auf Kommunisten zu schießen. Nicht, wenn man miteinander in dem einen oder anderen Bundesland regiert. Das werden Sie doch einsehen.

    Herr von Sälzer sah das nicht ein, schwieg aber dazu.

    „Ebenso werden wir nicht umstoßen, was die Herren Stinnes und Legien beschlossen haben, bekräftigte Brandenburger. „Der Achtstundentag ist nicht nur eine Forderung der Kommunisten. Wir werden das erste Land sein, das ihn einführt. Da wir damit in Deutschland die russische Räterepublik verhindern, wünsche ich darüber keine Diskussionen.

    Mit einem Kaiser an der Spitze gäbe es solche Eskapaden nicht, dachte von Sälzer. Noch war Kaiser Wilhelm im Exil, aber er würde bald wiederkommen. Auch durch die Hilfe seiner Politik. Bis dahin war Geduld erforderlich. Und Diplomatie. Von Sälzer war einst Botschafter in Washington, der Hauptstadt Hinterindiens. Brandenburger würde schon merken, was man auf einem solchen Posten alles lernt.

    „Unsere Partei fordert die Auflösung aller Strukturen, die aus den Revolutionstagen übrig sind, stellte er erst einmal seine Forderungen. „Diese Räterepubliken gehören dazu. Also weg mit ihnen. Wir verlangen dabei nicht, auf Deutsche zu schießen. Nur, wenn das unbedingt notwendig ist. In diesem Land muss wieder Ordnung herrschen. Sind wir uns wenigstens darin einig? Wir werden Gesetze erlassen, die diese Leute in die Illegalität treiben.

    Herr von Sälzers Selbstgefälligkeit, mit der er diese Worte sprach, würde auskühlen, wusste der Reichskanzler. Der hatte vielleicht Ideen … Gesetze erlassen? In einer Demokratie? So etwas konnte dauern. So viel hatte Brandenburger bereits gelernt. Auch der Parteivorsitzende der konservativen Zentrumspartei würde das lernen.

    „Wenn Sie einverstanden sind, dass wir bis dahin friedlich regieren, Herr General von Sälzer, bin ich mit einer Koalition ihrer Partei mit der SPD einverstanden."

    Herr Brandenburger reichte seinem Kollegen die Hand. Der nahm sie und schüttelte sie mit einer Kraft und Heftigkeit, die den ehemaligen General verriet. „Einverstanden, Herr Reichskanzler. Erst einmal schießen wir nicht auf die Kommunisten."

    „Wir lassen auf niemanden mehr schießen, Herr General. Der Krieg ist vorbei und diese Gewalt, welche durch die Freischaren ausgeübt wird, muss auf die einzige Macht übergehen, die in Deutschland Gewalt ausüben darf: Die deutsche Regierung. Wir sind die deutsche Regierung, Herr General. Unser einziges Regierungsprogramm sollte sein, dass wieder Friede, Ruhe und Ordnung herrscht."

    Ort: Psyche, Bad Döttelbach, Schwarzwald

    Es war friedlich im Schwarzwald. Ruhig sowieso. Die beiden Herren gingen plaudernd einen Waldweg entlang.

    Der Minister gestand sich ein, die kleine Wanderung war eine wunderbare Idee. Selten hatte er sich so frei und entspannt gefühlt. Bis in dieses Gebirge war der Krieg nicht gekommen. In der Stille und Harmonie dieser Landschaft versuchte der Minister, seinen inneren Frieden wiederzufinden, und den verlorenen Krieg und die damit in Verbindung stehenden politischen Probleme einen Spaziergang lang zu vergessen.

    Er erzählte gerade einen jener Herrenwitze, die er so liebte, wunderte sich aber, dass der Herr Kriminalrat mit so wenig Konzentration zuhörte. Na ja, immerhin war der bei der Sitte. Schon möglich, dass er schmutzigere Witze kannte.

    Er wollte gerade bitten, einen solchen zu erzählen, als ihn der Kriminalrat an der verletzten Schulter fasste und zu Boden riss. Der Aufforderung, in Deckung zu gehen, kam der Minister automatisch nach. An der Front gelerntes vergisst man nie. Auch nicht das Knallen von Schüssen, die nun zu hören waren.

    „Wieder so ein verfluchter Attentäter? Hier, im Schwarzwald?", fragte der Minister fassungslos.

    Der Kriminalrat sah durch das Gebüsch, welches vorerst Deckung bot. „Ich bin mir sicher, es sind mehrere Attentäter. Nach den Geräuschen der Schüsse tippe ich auf drei. Gut verteilt, wenn sie clever genug sind."

    „Drei?, wiederholte der Minister. „Und alle bewaffnet? Dann haben wir keine Chance.

    „Es gibt immer eine Chance. Wir müssen versuchen, auf öffentliches Terrain zu kommen. Ein paar Schritte weiter ist eine Straße. Dort werden sie nicht einfach so rumballern."

    „Als man mich in Moabit anschoss, interessierte es den Schützen auch nicht, mitten in der Großstadt zu sein."

    „Wollen Sie sich lieber im Wald abknallen lassen, Herr Minister? Wir sind doch keine Rehe. Wir sind Soldaten. Bleiben Sie in Deckung, Kopf runter. Da ist die Straße."

    „Da" war mindestens hundert Meter entfernt, wie der Minister mit einem heimlichen Seufzer feststellte. Er hatte keine Lust, zu sterben. Aber auch die Schnauze voll davon, ständig um sein Leben rennen zu müssen. Irgendwann ermüdet man durchs Kämpfen.

    Also stand er auf. Mit erhobenen Händen. Das sollten die Angreifer verstehen. Seine Worte auch: „Ihr verdammten, feigen Schweine. Ihr wollt Deutsche sein? Vielleicht noch deutsche Soldaten? Deutsche Soldaten schießen nicht aus dem Hinterhalt auf ihre Offiziere. Zeigt euch, wenn ihr den Mut dazu habt. Wir sind unbewaffnet."

    „Wir sind nicht unbewaffnet." Mit diesen Worten stand einer der Attentäter auf. Er war nur dreißig Schritt entfernt, aber so gekleidet, dass er gut mit der Umgebung verschmolz.

    Der Minister erkannte ihn trotzdem. „Oberleutnant Baltheisser? Sie sind sich also nicht zu schade, einen ehemaligen Vorgesetzten anzugreifen?"

    „Es heißt inzwischen Hauptmann Baltheisser. Nur, damit der Herr Minister auf dem Laufenden ist. Außerdem waren Sie von dem Moment an nicht mehr mein Vorgesetzter, als Sie den Waffenstillstand mit dem Feind unterschrieben haben. Als erster, wie ich hörte."

    „General von Dietrichstein hatte die Freundlichkeit, mir den Vortritt zu lassen. Schließlich hatte ich die Vereinbarungen zum Waffenstillstand hauptsächlich ausgearbeitet."

    „Sie haben seit Beginn des Krieges gegen diesen gekämpft. Sie und dieser Professor Rath. Der Professor ist tot, wie Sie vielleicht aus der Zeitung wissen."

    „Haben Sie mir das gleiche Schicksal zugedacht?"

    Der Hauptmann lächelte nur. Dann pfiff er auf den Fingern und der Minister konnte sehen, es waren noch zwei weitere Attentäter da. Genau wie der Kriminalrat vermutet hatte. Alle drei waren bewaffnet. Mit Karabinern, Pistolen und Seitengewehren. Als wären sie an der Front. Vielleicht waren sie ja an der Front, dachte der Minister. Für den Hauptmann Baltheisser schien der Krieg noch nicht zu Ende zu sein.

    „Wir wollen dich nicht so einfach erschießen, Minister. Der Hauptmann beobachtete, wie seine Kameraden näherkamen, statt den anzusehen, mit dem er sprach. „Was nutzt uns schon ein toter Minister. Ihr habt nicht nur einen schändlichen Waffenstillstand unterschrieben, sondern seid nun dabei, einen noch viel schändlicheren Frieden auszuhandeln. Wir wollten dir dazu die Meinung des Volkes mitteilen. Das lehnt jeden Frieden mit seinen Erbfeinden ab. Wir sind vielleicht etwas grob dabei gewesen und haben geschossen. Aber der Minister wird sich unsere Ermahnung deshalb viel besser merken, als wenn wir sie in diplomatische Worte gesteckt hätten.

    Inzwischen standen alle drei Offiziere viel näher beim Minister. Ihre Karabiner waren auf ihn gerichtet und er war nicht der Meinung, die Szenerie hätte an Bedrohlichkeit verloren. Auch wenn die Worte des Hauptmannes einen anderen Eindruck vermittelten.

    „Wenn ihr mich nicht erschießen wollt, wieso habt ihr immer noch eure Waffen auf mich gerichtet?", fragte er.

    Das Lächeln des Hauptmannes war keine Antwort, sondern eher eine weitere Drohung. „Wenn wir dich erschießen, Minister, müssten wir ja den Herrn Kriminalrat mit erschießen, mit dem du gewandert bist. Für einen Polizisten ist er ziemlich feige."

    Der feige Polizist stand bei diesen Worten auf. „Ich bin nicht feige, ich bin vorsichtig. Wenn man unbewaffnet ist, scheint mir das eine gute Polizeitaktik zu sein. Gewehrkugeln sind so schnell, keiner kann ihnen davonlaufen."

    „Doch, ihr könnt davonlaufen. Wir schenken euch euer erbärmliches Leben. Vorerst. Denkt immer an die mächtige Hand der Feme. Sie erreicht euch überall. Feige Politiker, die mit dem Feind paktieren, sterben schnell in der heutigen Zeit. Und jetzt lauft!"

    „Wir dürfen gehen?", fragte der Minister ungläubig.

    „Ich würde mich damit beeilen. Meine Kameraden würden euch lieber tot sehen, aber ich schenke euch das Leben. Also lauft schon. Lauft schnell."

    Der Minister beeilte sich, dieser Aufforderung nachzukommen. Irgendwo dort vorn war die Straße. Wo die Straße war, war Sicherheit. Also lief er.

    Der Kriminalrat lief nicht ganz so schnell. Vielleicht traf ihn deshalb der erste Schuss. Genau in den Kopf. Die anderen Schüsse trafen alle den Minister. Der hatte die Straße fast erreicht, als er getroffen wurde, und fiel nun die Böschung hinab, die ihn von der Straße trennte. Im Sterben sah er, wie sich die drei Männer über ihn beugten, die auf ihn geschossen hatten. „Ist er nun endlich krepiert?", fragte einer von ihnen.

    „Scheint nicht so, erwiderte der Hauptmann. „Der andere ist schon krepiert. An einem direkten Schuss in den Kopf. Oberst von Krüger bat mich darum. Ihr wisst, was geschieht, wenn man ihm nicht gehorcht. Der hier wird auch gleich sterben. Machen wir dem Scheiß ein Ende und verschwinden dann.

    Der Minister sah noch die auf ihn gerichteten Karabiner. Die Schüsse hörte er nicht mehr.

    Ort: Psyche, Moskau, Kreml

    „Ich dachte, ich habe nicht richtig gehört, als mir mein Sekretär deinen Besuch meldete."

    „Überrascht? Ich wollte dir nur zur Genesung gratulieren, Genosse Bolschoi. Was ist daran so ungewöhnlich?"

    „Ich dachte, du seiest ein unverzichtbarer Kommandeur unserer siegreichen Revolutionstruppen in deiner grusinischen Heimat, Genosse Wissarew."

    Der Genosse Wissarew spürte diesen Hieb. Der saß doppelt. Er war kein unverzichtbarer Kommandeur, sondern musste im Laufe des Bürgerkrieges erkennen, dass seine militärischen Fähigkeiten minimal waren. Außerdem hasste er es, von Russen wie Bolschoi darauf hingewiesen zu werden, aus welcher Gegend des Reiches er eigentlich stammte und dass er kein Russe sei. Vater Robert hatte sich alle Mühe gegeben, Pepis Aussprache zu verbessern. Aber besonders dann, wenn Wissarew aufgeregt oder wütend war, hörte man seinen Worten an, dass er kein echter Russe war. Die meisten Russen, mit denen er sprach, quittierten diese Tatsache mit einem Lächeln. Meist mit einem verächtlichen Lächeln.

    „Meine Fähigkeiten als Kommandeur sind nicht länger gefragt, Genosse Bolschoi. Die Georgische Sozialistische Sowjetrepublik ist festes und unverbrüchliches Mitglied unseres großen, revolutionären Reiches. Auch Dank meiner Arbeit", erklärte Wissarew.

    „Hauptsächlich Dank deiner Arbeit, Genosse Wissarew. Sei versichert, wir werden deine Verdienste nicht vergessen. Allerdings vergisst das Zentralkomitee auch nicht den Streit zwischen dir und Michael Arx. Habt ihr diesen Streit inzwischen beendet?"

    „Beendet? Dazu müsste der Genosse Arx einsehen, welche gravierenden politischen Fehler er gemacht hat, und helfen, diese rückgängig zu machen."

    Bolschoi richtete sich in seinem Bett auf. Mühsam, wie Wissarew mit innerer Genugtuung feststellte. „Gravierende politische Fehler? Seine Armeen sind siegreich, seine militärischen Fähigkeiten werden von niemandem angezweifelt. Ich glaube, abgesehen vom General Ehrlichthausen, gibt es keinen General auf Psyche, der Michael Arx das Wasser reichen könnte. Fehler? Oder ist es eher Neid?"

    „Ich, neidisch? Kommunisten sind nicht neidisch, Genosse Bolschoi. Mir gefällt nur nicht, wie der Genosse Arx unsere revolutionären Errungenschaften mit Füßen tritt."

    „Er tritt sie nicht mit Füßen, er verteidigt sie. Erst wollte er nicht, aber ich habe ihn überzeugt."

    „Du hast ihn überzeugt, weiterzukämpfen?"

    „Überrascht? Wusstest du, dass er uns für immer verlassen wollte?", fragte Bolschoi.

    Natürlich wusste Wissarew das. Er hatte gefeiert, als Tscherkassow ihm diese Nachricht brachte. Ohne Michael Arx wäre der Griff nach der Macht viel einfacher gewesen.

    War wieder mal typisch für Bolschoi, ihm diese Feier zu versauen. Der sah aus dem Fenster und bekam nicht mit, welche Gedanken Wissarews Gesicht widerspiegelte.

    Er hing seinen eigenen nach. „Ohne Michael Arx hätten wir den Krieg gegen die Weißen verloren. Trotz Mobilisierung der Massen. Er hat aus den Roten Garden eine Rote Armee, eine Truppe echter Revolutionäre gemacht. Keine Plünderungen mehr, keine vergewaltigten Frauen. So sollte Krieg sein."

    Keine Vergewaltigungen? Keine Plünderungen? Wissarew konnte sich einen Krieg ohne solche Zutaten nicht vorstellen. In Georgien hatten sie geplündert und Frauen vergewaltigt. Warum auch nicht? Es stand siegreichen Soldaten einfach zu.

    Das Land nannte sich nun trotzdem Sozialistische Georgische Sowjetrepublik. Alle, die dagegen waren, hatte er aussortieren lassen und in sibirische Gulags gesperrt. Das brachte wahre Ordnung. Nicht Michaels Neuerungen.

    „Er hat aus den Roten Garden wieder eine echte revolutionäre Truppe gemacht?, stänkerte Wissarew deshalb. „Wahrscheinlich, weil er wieder den Generalsrang eingeführt hat und Leute erschießen lässt, die gegen die Disziplin verstoßen.

    „Richtig so, stimmte Bolschoi zu. „Kann man denn anders ein Volk befreien? Indem man es ausplündert, vergewaltigt und einsperrt bestimmt nicht.

    „Man befreit es auch nicht, indem man zaristische Offiziere zu Befehlshabern einer sozialistischen Armee ernennt."

    „Wenn sie fähig sind und uns treu dienen. Warum nicht? Außerdem wurde mir zugetragen, wir hätten deren Familien in Sippenhaft genommen, damit diese Offiziere nicht vergessen, welchem Herrn sie dienen."

    „Das mit der Sippenhaft war meine Idee. Sonst hätte ich nie zugestimmt, diesen Offizieren in unserer Armee eine Befehlsgewalt zu übertragen. Michael hätte nur dem Wort dieser Herren vertraut."

    „Der alte russische Adel ist stolz auf seinen Ehrbegriff."

    „Dass du als Adliger deine Adelskollegen in Schutz nimmst, war so was von klar."

    „Unterbrich mich nicht! Besonders nicht mit solchen Vorwürfen! Noch führe ich unsere Partei. Noch stehen dort draußen mir sehr ergebene Genossen, die dich sofort festnehmen und ins Gefängnis stecken, wenn ich es ihnen befehle. Hast du das verstanden, Genosse Wissarew?"

    „Klar und deutlich, Wladimir Iljitsch. Was aber, wenn dich deine Krankheiten zwingen, abzudanken? Oder wenn du stirbst? Es muss klare Nachfolgeregelungen geben. Sonst zerbricht die Partei nach deinem Tod und mit ihr die Revolution."

    Bolschoi musterte seinen alten Freund eine ganze Weile. Er schwieg dabei. Da auch seine Miene nichts ausdrückte, wurde es Wissarew langsam unbehaglich. Die Drohung mit den Wachen und dem Festnehmen hatte er nicht vergessen.

    Er hatte einen Verdacht. Einen, den er aussprechen konnte, ohne seine Sicherheit zu gefährden: „Du hast dich mit ihm versöhnt, nicht wahr? Er hat dich auf seine Seite gezogen. Ich habe nicht geglaubt, dass er dir die Ermordung der Zarenfamilie so schnell verzeiht."

    „Er hat eingesehen, dass dies notwendig war." Bolschoi sprach so leise, dass Wissarew aufmerksam zuhören musste. Genau das schien der alte Revolutionär damit zu beabsichtigen.

    Also lauschte Wissarew sehr aufmerksam.

    „Michael hatte Angst, die Revolution würde im Chaos und der Unfähigkeit seiner Führer versinken. Eine berechtigte Angst, will mir scheinen. Wir waren dafür, den Zaren zu stürzen. Aber über das Danach hatten wir nur sehr unkonkrete und voneinander abweichende Vorstellungen. Seine sind konkret, durchdacht und nachvollziehbar. Ich habe über sein umfangreiches politisches und ökonomisches Wissen gestaunt. Er scheint alles gelesen zu haben, was je irgendwann und irgendwo über Revolutionen, Politik und Ökonomie geschrieben wurde. Nicht nur gelesen, er hat es auch verstanden. In den meisten Punkten besser als ich."

    „Du meinst, er wäre der beste Nachfolger für dich, den du finden kannst? Besser als ich? Du irrst. Ihm fehlt das Entscheidende."

    „Das Entscheidende? Was soll das sein?"

    „Macht muss man unbedingt wollen. Und man muss bereit sein, alles dafür zu tun, sie sich zu erhalten. Das kannst du nicht und er erstrecht nicht."

    „Aber du? Du glaubst, du kannst das?"

    Ort: Psyche, Bad Döttelbach, Schwarzwald

    „Ich kann das nicht glauben. Er hat hier gelegen. Vor zwei Minuten noch. Ich habe ihn gespürt, bevor ich die RaumZeit verließ. Nun ist er weg", tobte il caskar.

    „Er war doch tot, rätselte auch Takhtusho. „Tote hauen nicht ab. Warum haben sie ihn erschossen?

    „Weil er für sie genauso gefährlich war, wie für uns", platzte il caskar in seiner Wut heraus, was er wohl besser verschwiegen hätte.

    Denn Takhtusho erschrak. „Sie sollten ihn töten?, fragte er seinen Boss. „Du hast das von ihnen verlangt?

    „Unsinn, log il caskar. „Er war zur falschen Zeit am falschen Ort. An solchen Fehlern stirbt man manchmal. Es ist wie ein Zweikampf.

    „Mord ist kein Zweikampf, widersprach Takhtusho. „Mord ist verboten. Mord ist was für Feiglinge. Ich bin kein Feigling.

    „Willst du etwa behaupten, ich sei ein Feigling?, schrie il caskar wütend. „Es war eine Auseinandersetzung zwischen Psychanern. Wenn der Kriminalrat Renatus dabei stirbt, kann man uns keine Schuld geben.

    „Aber hier liegt nur die Leiche des Ministers. Wir müssen uns beeilen. Die Mordkommission wird bald da sein, ermahnte Bcoto. „Sakania wird unsere Spuren erkennen und uns verfolgen lassen, wenn wir nicht vorsichtig sind.

    „Keine Angst, ich werde unsere Spuren persönlich beseitigen, antwortete il caskar hochmütig. „Vor Peta Avatars kleiner Tochter habe ich keine Angst. Mich kotzt nur an, dass mein Plan schiefgegangen ist.

    Bcoto hatte ihren Boss lange nicht mehr so wütend gesehen. Nach seinem großen Sieg, der Ermordung von Alexandra Al Kahira und Richard Kummer, war er regelrecht aufgeblüht. Die politische Situation auf Psyche spielte ihm in die Hand. Hier konnte er endlich das verwirklichen, was ihm auf Terra Nostra nie gelungen war.

    Also zerfetzte er Imperien und schuf neue. Er verfeindete bisher befreundete Völker, um andererseits Gegner, die seit Jahrhunderten Feinde waren, mit Freundschaft zu beglücken. Und keiner trat ihm in den Weg. Kein Psychaner, keiner der Götter von der Terra Nostra. Nicht einmal eine Einmischung des Hohen Rates in die Taten il caskars war zu spüren.

    Dafür spürte Bcoto eine Spur von Catarina Velare. Eine Spur, die il caskar niemals wahrnehmen würde. Den Duft eines Parfüms. Damit erklärte sich für Bcoto das Verschwinden des Kriminalrates.

    Für il caskar war das immer noch ein Rätsel.

    „Warum ist er dir so wichtig?", versuchte Bcoto mit einer Frage zu klären, was ihr ein Rätsel war.

    „Ich habe berechnet, dass er irgendwann einmal

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