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Conversio
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eBook355 Seiten4 Stunden

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Über dieses E-Book

Warum zieht es so viele Menschen des 45. Jahrhunderts nach PSYCHE? Schließlich ist die Erde ein Paradies. Und PSYCHE die Hölle?
Auf PSYCHE leben Menschen, die denen auf der Erde ähneln. Sie werden von Kaisern regiert und haben weder das Geheimnis des Atoms entdeckt, noch das Handy erfunden.
Das wird sich ändern. Die göttergleichen Menschen von der Erde wollen das Leben auf PSYCHE verbessern. Wie? Das erzählt der Roman Psyche in sechs Büchern.

Das zweite Buch, "Conversio", setzt diese Geschichte fort:
Der Krieg der Kaiser hat begonnen. Alle Länder PSYCHEs kämpfen gegeneinander.
Die Rebellen integrieren in diesen Krieg ihren eigenen Krieg gegen den Hohen Rat.
Sie wollen die Anführer des Hohen Rates, Alexandra Al Kahira und Richard Kummer, ermorden.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum14. Aug. 2017
ISBN9783743951990
Conversio
Autor

Thorsten Klein

Über den Autor Thorsten Klein wurde am 02. Oktober 1964 in Großenhain geboren. Dort lebt er immer noch. Nach einer Ausbildung im Großenhainer „Institut für Lehrerbildung“ begann er sein Berufsleben im Gesundheitswesen. Nach vielen Jahren in der Erziehungshilfe und einem Studium zum Dipl. Sozialpädagogen/Dipl. Sozialarbeiter ist er nun in verschiedenen Feldern der Sozialarbeit tätig. Weitere Informationen zum Autor und seinen Büchern: www.planet-psyche.de

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    Buchvorschau

    Conversio - Thorsten Klein

    1. Kapitel Welche Lust, Soldat zu sein

    Man dient mit tapfrem Mute dem Fürst, dem Staate allein

    und verlässt mit leichtem Blute die Geliebte,

    eilt zu der Helden Reih´n;

    ach, ach welche Lust, Soldat zu sein

    Soldatenlied, (Erde, 19. Jhd.)

    Ort: Psyche, Schloss Ehrlichthausen

    Auf dem Felsen in den Badlands waren inzwischen weitere Personen aufgetaucht.

    Alle schienen ihrer Kleidung nach aus weit entfernten Epochen der Erdgeschichte zu stammen. Aus sehr kriegerischen Epochen, weshalb alle Waffen zur Ergänzung ihrer Kleidung trugen.

    Aber keiner von ihnen trug ein Schwert.

    Es war unmöglich, ihr Alter zu bestimmen. Schließlich sahen alle Bürger der Terra Nostra aus, als seien sie Anfang Zwanzig. Es sei denn, ihr tatsächliches Alter lag noch darunter.

    Die Übertragung aus dem MindWeb beinhaltete auch das Gespräch, das sie führten. Allerdings war der Ton so leise, dass Peta Avatar sehr konzentriert zuhören musste, um zu verstehen, was die Leute sagten, die er belauschte.

    Darauf war er so fokussiert, dass ihm die plötzliche Anwesenheit des schwarzen Herzogs entging.

    Der war durch die RaumZeit unbemerkt in Petas Arbeitszimmer getreten.

    Nach einer ganzen Weile beendete Peta mit einem Fingerschnippen seine private Filmvorführung und spürte nun auch seinen ungebetenen Gast.

    „Ich kann mich nicht erinnern, dich eingeladen zu haben", sagte Peta. Er war einen halben Kopf größer als der Herzog, der mit seinen zwei Metern auch kein Zwerg war. Trotzdem lag keine Drohung in seiner Stimme. Die Erinnerung an seine letzte Niederlage gegen den Herzog war noch zu frisch, für einen Streit mit ihm schien es noch zu früh zu sein.

    „Deine Frau hat mir gestattet, dich zu besuchen. Ich richte meine Fragen stets an die jeweils höchste Autorität." Die spöttische Beiläufigkeit, mit der der Herzog diese Antwort gab, war genauso beleidigend, wie ihr Inhalt.

    Aber Peta hatte keine Gefühle. Manchmal ist das von Vorteil. Besonders, wenn man es mit dem schwarzen Herzog zu tun hat. Also schwieg er.

    „War ein toller MindWebHack, Herr Avatar, fuhr der Herzog deshalb fort. „Ich hätte das interessante Gespräch auch in Waldenburg belauschen können. Aber ich wollte wissen, wie deine Meinung dazu ist. Jetzt kenne ich sie.

    „Ich habe nur alte Feinde beobachtet. Zum Glück sind sie weit weg. Das ist gut so."

    „Bist du immer noch sauer, dass dich Alexandras Community damals nicht aufgenommen hat? Du kannst sehr nachtragend sein. Mann, das ist mehr als fünfhundert Jahre her."

    „Sie hatten bereits zwei Anführer. Ich bin es nicht gewohnt, in der zweiten Reihe zu stehen."

    „Warum hast du dann nicht um die Führerschaft gekämpft? Gut, gegen Alexandra hättest du keine Chance gehabt. Aber il caskar wäre doch ein besiegbarer Gegner gewesen."

    „Nicht unter Alexandras Schutz. Sie hätte einen solchen Kampf außerdem nie zugelassen. Mir haben auch nicht alle ihre Ziele gefallen. Also habe ich mir meine eigene Community geschaffen und das MindGaming wieder populär gemacht. Erfolgreich, wie du weißt, liebster Vater."

    „Erspar mir bitte diesen Titel. Auf den lege ich nur Wert, wenn ich einen alleinigen Anspruch darauf habe. Bei dir ist das nicht der Fall."

    „Vielleicht ist es ganz gut, dass ihr il caskar von Alexandra getrennt habt. Sie hat auf Psyche eine echte Aufgabe gefunden und er ist allein auf der Terra Nostra viel weniger gefährlich, als mit ihr zusammen."

    „Er ist immer gefährlich. Auch, wenn sein lächerliches Äußere einen anderen Eindruck erweckt. Erstaunlich, dass seine Ansichten immer noch Anhänger finden. Vor allem in unserer Zeit. Wir glaubten, seine Ideen seien überholt. Ein Irrtum. Aber der Hohe Rat ist in der Lage, seine Irrtümer zu korrigieren. Bald wird das auch il caskar erkennen."

    „Wollt ihr ihn endlich einmal richtig bestrafen, für den ganzen Scheiß, den er sich bisher geleistet hat? Mit einer Strafe, die er auch als solche annimmt?"

    Der Herzog nickte auf seine nur ihm eigentümliche Weise. Peta hatte gelernt, dieses Nicken zu hassen. Es leitete immer Erkenntnisse ein, die man besser mied.

    „Ihr wollt ihn nach Psyche holen?" Peta wollte sicher sein, richtig geraten zu haben.

    Der Herzog seufzte. „Wann versteht das endlich jemand? Wir holen niemanden nach Psyche. Alle Erdenbürger sind freiwillig hier, um uns bei der schweren Aufgabe zu unterstützen, diese Welt bewohnbar zu machen. Also werden wir ihn überzeugen, ebenfalls freiwillig nach Psyche zu kommen."

    Peta reagierte mit einer Heftigkeit, die seine Gefühllosigkeit Lügen strafte: „Er hat in meiner Welt nichts suchen."

    Der Herzog beobachtete diesen Ausbruch scheinbarer Emotionen mit Aufmerksamkeit. Entwickelte sich da was? Es wurde Zeit, dass auch Peta Gefühle bekam. Schon im Interesse Marias.

    „Deine Welt? Es ist nicht deine Welt. Noch hast du nicht allein die Macht auf Psyche. Der Hohe Rat weiß von deinen Ambitionen. Aber sie entsprechen noch nicht den Tatsachen."

    „Ich arbeite hart daran, das zu ändern. Ein il caskar passt nicht in diese Pläne."

    Der Herzog schlug Peta kameradschaftlich auf die Schulter. „Genau das macht meine Pläne doch aus. Sie passen anderen nicht. Du musst aber zugeben, dass ich fair genug bin, dich rechtzeitig zu warnen."

    „Rechtzeitig? Wann wird er denn hier sein?"

    Der Herzog zuckte die Schultern. „Irgendwann. Ein paar Fakten musst du schon selber rausfinden. Aber eine andere Tatsache ist viel interessanter. Sie ist auch viel aktueller, als il caskars geplantes Erscheinen auf Psyche."

    Eine andere MindNetProjektion erschien, ohne dass man beim Herzog irgendeine Geste wahrgenommen hätte. Sie zeigte ein komfortables Haus in Psyches Europa an der preußisch russischen Grenze. Offiziere standen davor und erwarteten einen Oberst des deutschen Heeres, der gerade mit einem Päckchen unterm Arm jenes Haus betreten wollte.

    Man sprach miteinander. Jedes Wort war deutlich zu hören.

    „Er soll ein Spion sein?" Peta konnte nicht glauben, was er hörte.

    Der Herzog zeigte die Miene eines Mannes, dem jede menschliche Schlechtigkeit bestens vertraut ist. „So etwas überrascht doch immer wieder. Seine Neigungen haben ihn zum Spion gemacht. In einer Armee gibt es viele starke Männer. Eine ständige Versuchung für den Herrn Oberst, der Männer über alles liebt. Das macht erpressbar. Die Russen haben ihn erpresst. So hat er ihnen gegen gute Bezahlung wichtige militärische Geheimnisse verraten."

    „Das Päckchen?"

    „Nein. Das enthält keine Geheimnisse, da ist nur Bargeld drin. Es kam immer postlagernd. Dadurch ist er auch aufgeflogen."

    „Warum nehmen sie ihn nicht fest, sondern lassen ihn allein nach oben in seine Wohnung? Soll er sich zivile Kleidung anziehen, bevor man ihn abführt?"

    „Ganz im Gegenteil. Die Herren Offiziere geben ihm eine Chance, die Angelegenheit wie ein Ehrenmann zu regeln. Das habe ich doch bei dir auch oft genug getan. Meist ist solch edle Herzensregung aber völlig umsonst."

    Man hörte einen lauten Schuss, der sofort von einem zweiten begleitet wurde.

    Der Herzog zeigte ein befriedigtes Gesicht. „Es war nicht umsonst. Er hat wie ein Mann von Ehre reagiert. Sein Vater wird trotzdem nicht stolz darauf sein."

    Peta war entsetzt. „Er hat sich umgebracht? Aber er ist ein guter Freund von mir und sein Vater ist immerhin der Fürst zu..."

    „...wirst du wohl still sein, unterbrach ihn der Herzog. „Die Angelegenheit ist streng geheim. Im Moment weiß noch nicht mal der General von Dietrichstein davon. Vom Kaiser ganz zu schweigen. Wie oft soll ich dir noch erklären, wie wichtig solches Wissen ist und wie man es zur Umsetzung seiner eigenen Pläne richtig nutzt? Ich denke, du willst die alleinige Macht auf Psyche?

    „Ich soll es nutzen? So, wie du solches Wissen immer nutzt? Menschen manipulieren? Sie Hin- und Herschieben wie Schachfiguren? Ich werde nie so sein wie du."

    Der Herzog war nur ehrliches Bedauern. „Dann wird dir diese Welt nie gehören. Warum verstehst du nicht, dass ich dir nur helfen will? Immerhin hast du nun die Informationen, die du benötigst. Mach was draus."

    Wie es die Art des Herzogs war, verschwand er einfach in der RaumZeit und beendete so das Gespräch, nachdem er alles geklärt hatte, was zu klären war.

    Ort: Psyche, Petersburger Vorort Petruschka

    Es gab viel zu klären. Aber das geheime Gespräch war gut abgesichert.

    Es ging um die Verteilung von Aufgaben bei der kommenden Revolution in Russland. Dieser Kreis war nur auf wenige Personen beschränkt. Natürlich war Pepi Wissarew unter diesen Personen. Ohne ihn ging in der Bolschewiki nichts mehr.

    Sehr zu Pepis Bedauern hatte aber auch Michael nach seinem Eintritt in diese Bewegung sofort erheblichen Einfluss gewonnen.

    Vor Tscherkassow, dem dritten in der Runde, musste Pepi weniger Angst haben. Der leitete zwar sämtliche Geheimoperationen der Bolschewiki, aber Pepi hatte umfangreiches und sehr belastendes Material über ihn gesammelt. Tscherkassow wusste das. Und so wusste Pepi, Tscherkassow würde gehorchen.

    Bolschoi fehlte. Er war immer noch im Exil in Deutschland und der Krieg ließ seine Einreise nach Russland nicht zu.

    Die drei stritten sich heftig, liefen dabei im Raum umher und brüllten sich gegenseitig an.

    Nur einig wurden sie sich nicht.

    Bis plötzlich eine weitere Person im Raum erschien. Einfach so, ohne durch die Tür gekommen zu sein.

    Als der Herr Rechtsanwalt Sabota ganz plötzlich zwischen ihnen stand, beruhigte das die Gemüter. Sabotas Anwesenheit hatte immer diesen Effekt.

    Michael sah in ihm einen Verbündeten im aktuellen Streit. Mit Vater Robert wollte Michael nichts mehr zu tun haben. Wegen des Blutsonntages. Zu Sabota aber hatte er noch Vertrauen.

    „Du musst uns helfen und unseren Streit schlichten."

    „Ich habe schon gehört, dass es Unstimmigkeiten über die Funktionen bei der kommenden Revolution gibt, meine Herren, wandte sich Richard Sabota aber nicht nur an Michael, sondern auch an Pepi und Tscherkassow. Dabei war er die Sachlichkeit in Person. Eine seiner Stärken. „Wir werden sicher schnell zu einer Einigung kommen. Vielleicht klären wir zuerst, wo jeder der Herren seine eigenen Stärken sieht. Dann werden sich entsprechende Aufgaben für jeden finden lassen.

    Pepi kam mit seiner Antwort natürlich den beiden anderen zuvor. Immer der Erste zu sein, war eine seiner Stärken. „Ich habe immer den besten Überblick übers Große und Ganze und bin in der Lage, daraus schnelle und richtige Entscheidungen zu treffen."

    „Kann er gern tun, knurrte Tscherkassow. „Ich halte mich lieber im Hintergrund.

    Michael knurrte nicht, er schrei: „Ich habe einen viel besseren Überblick übers Große und Ganze, als ihn Pepi je erreichen kann. Wer hatte denn die Idee zum Sternenmarsch? Ich. Wer hat die Leute beim Sternenmarsch angeführt? Ich. Wem ist es gelungen, das Schlimmste zu verhindern, als die Soldaten schossen? Mir."

    „Aber es ist meine Bolschewiki, die den Aufstand durchführen wird. Ich bin ihr Führer und das habe ich mir hart genug erarbeitet", schrie Pepi zurück.

    „Du? Ihr Führer? In deinen Träumen vielleicht. Ich bin der Held des Blutsonntags und das habe ich mir hart genug erarbeitet. Wer hat denn im Kugelhagel ausgehalten? Ich. Wer ist geflohen? Du."

    Richard Sabota fand, es sei ziemlich einfach, im Kugelhagel auszuhalten, wenn man unverwundbar war. Aber als guter Anwalt wusste er auch, wann man ein Argument seines Mandanten gegen ihn einsetzen konnte.

    „Dein ungeheurer Mut vor dem Narwa Tor ist in aller Munde, Michael. Warum nutzt du ihn nicht und führst die revolutionären Soldaten als deren General an? Dir würden sie überall hin folgen."

    „Ich kann vielmehr, als nur Leute in die Schlacht zu führen. Ich..."

    Weiter kam er nicht, denn Richard Sabota machte eine heftige Geste. Nicht nur aus Wut über Michaels Starrsinn, sondern auch, um diesen sinnlosen Streit zu beenden.

    Danach fand die Auseinandersetzung auf einer Ebene statt, von der die beiden anderen ausgeschlossen waren. Denn Tscherkassow und Pepi waren nicht in der Lage, einem mentalen Dialog zu folgen, wie ihn Richard und Michael plötzlich führten.

    „Ich, ich, ich. Wo ist der Michael Arx, den ich kannte? Haben die paar Schüsse der Soldaten deinen Verstand vollkommen vernebelt?", fragte Richard eindringlich.

    „Ein paar Schüsse? Es war ein Schlachten. Aber was kannst du schon wissen. Du warst nicht dabei."

    „Du müsstest inzwischen wissen, dass ich immer dabei bin. Bei allem, was auf Psyche passiert. Denn es geschieht für Alexandra. Ist dir das plötzlich gleichgültig?"

    „Komm mir nicht mit Alexandra. Was hat sie mit der Revolution in Russland zu tun? Sie ist in Deutschland ..."

    „... und muss dort eine Revolution beginnen, um gesund zu werden. Vorher aber kommt Russland. Lass Pepi nur machen. Er wird es sowieso versauen und danach bei Bolschoi um Hilfe betteln müssen. Dann hat der Hohe Rat die Ereignisse, die wir berechnet haben und die Alexandra helfen."

    „Geht es immer nur um die Wünsche des Hohen Rates? Meinst du, den Russen gefällt es, für eure Pläne zu sterben?"

    „Für unsere Pläne? Was wissen sie davon? Nichts. Sie wollen die Revolution. Da hat der Genosse Wissarew vollkommen Recht. Du wirst dabei sein. Dann wirst du auch sehen, dass sie nicht für unsere Pläne, sondern einzig für ihre eigenen Interessen zu sterben bereit sind. Denn das Leben in Russland ist im Moment so, dass es auf diese Art nicht weitergehen kann. Also überwinde dich endlich und stimme Pepis Plänen zu. Wir unterhalten uns später, ohne die beiden so unhöflich bei unserem Dialog außen vor zu lassen."

    Da mentale Kommunikation viel schneller geht, als verbale, hatte dieser Disput nicht einmal den Bruchteil einer Sekunde gedauert. Die beiden anderen bekamen nichts davon mit, wunderten sich aber über Michaels plötzliches Einlenken.

    Natürlich war Pepi darüber erleichtert, ohne ergründen zu wollen, woher dieser plötzliche Gesinnungswandel kam. Die drei besprachen dann nur noch die Details.

    Keinem fiel auf, dass Sabota durch die RaumZeit verschwand. Denn der musste schnellstens zur Flandernfront.

    Ort: Psyche, Eisenbahnfahrt zur Flandernfront

    Der lange Zug befand sich ebenfalls auf dem Weg zur Flandernfront.

    Die Abteile und Gänge waren voller Soldaten. Die meisten trugen die gleiche Uniform, denn sie waren vom gleichen Regiment. Die Verschiedenheit der Menschen konnte das aber nicht verdecken. Es gab gestandene Handwerker, gebeugte Arbeiter und nasehochtragende Gymnasiasten. Alle hatten ein ähnliches Gefühl. Ein Schriftsteller sollte dieses später Morituri*-Stimmung nennen. Sterben würden die meisten von ihnen, auch wenn die wenigsten das im Moment wahrhaben wollten.

    Es war keine bequeme Zugfahrt. Aber in einem Jahr würden sich die Soldaten nach den Umständen dieser Zugfahrt sehnen. Denn der Krieg sollte für sie noch viel ungemütlicher werden, als dieser Transport an die Front.

    Alle wurden durchgerüttelt. Man unterhielt sich trotzdem miteinander. Auch wenn es komisch klang. Als würde jeder der Soldaten stottern.

    „Man merkt gleich, dass man im fränkischen Reich ist." Der Feldwebel versuchte, die Karten aufzunehmen, die der Soldat gegenüber austeilte.

    „Wieso merkt man das? Ist die Luft hier besser?", fragte der Soldat.

    „Nein, die Schienen sind schlechter. Seit wir über der Grenze sind, werden wir durchgerüttelt. So macht der Krieg keinen Spaß."

    Der Soldat hätte mindestens siebenhundert Erwiderungen gegen diese drei Sätze gehabt, aber mit Feldwebeln diskutiert man nicht. Aber im Kartenspiel kann man sie besiegen. Zumindest hatte er kein diesbezügliches Verbot in den zuständigen Dienstvorschriften gefunden. Also spielten sie. Während der Soldat den Feldwebel fleißig um dessen Geld brachte, stellte er sich, den Krieg betreffend, ahnungslos: „Wann macht denn der Krieg Spaß, Herr Feldwebel?"

    „Spaß macht es, wenn wir die Franken vor uns hertreiben. Sie werden keine Chance haben. Weder gegen unsere Waffen, noch gegen die Kraft und den Mut unserer Soldaten. Ich bin damals vor Verdun gewesen, als sich ihr Kaiser feige ergab. Keinen Schuss mussten wir abfeuern und trotzdem ist ihnen der Arsch auf Grundeis gegangen."

    Die Eisenbahnwagen waren berstend voll beladen. Mit vielen Soldaten und mit noch mehr Waffen und Munition. Es gab einfach nicht genügend Züge, um alle Freiwilligen an die Front zu transportieren. Denn es gab viele Freiwillige.

    Noch.

    Keiner der Soldaten hatte allerdings Bedenken, dass die Front so schnell neue Truppen brauchte. Alle waren begierig, endlich in den Kampf zu ziehen.

    Genauso begierig waren sie auf Berichte von früheren, ruhmreichen Kriegen. Sie hatten noch keine persönlichen Erfahrungen, denn nur der Feldwebel hatte bisher einen miterlebt.

    Und der Soldat mit den Spielkarten natürlich. Er hieß Kowalski, hatte aber kein Interesse daran, mit seinen in früheren Kriegen gemachten Erfahrungen zu prahlen.

    Der Feldwebel schon.

    Er war sowieso wieder drauf und dran, das Kartenspiel gegen den Soldaten zu verlieren. Also legte er die Karten beiseite und erzählte stattdessen von gewinnbringenderen Erlebnissen: „Der Krieg damals, gegen den großfränkischen Kaiser, das war eine Sache, sag ich euch ... Wir hatten ihre letzten drei großen Festungen eingeschlossen. Und ihren Kaiser natürlich auch. Unsere gewaltigen Geschütze hatten schwere Breschen in ihre Verteidigungsanlagen geschlagen. Es war nur eine Frage von wenigen Tagen, dass unser Oberbefehlshaber, der Kronprinz Friedrich, den Befehl zum Sturm auf die Festungen geben würde."

    Warum muss so ein Feldwebel in diesem Augenblick etwas trinken? Einer der ganz jungen Soldaten hielt die Spannung nicht aus. Vielleicht hatte er auch im Geschichtsunterricht nicht richtig aufgepasst. „Dann habt ihr die Festungen gestürmt und der großfränkische Kaiser hat sich ergeben?", mutmaßte er.

    Der Feldwebel wischte sich den Mund. „Wir kamen gar nicht dazu, sie zu stürmen. Der Kaiser ist vorher abgehauen. Mitsamt seiner Alten Garde. Es gab noch zwei fränkische Armeen im Süden, die das Gleichgewicht der Kräfte wiederhergestellt hätten. Der Kaiser war abgehauen, um diese Soldaten an die Front zu bringen."

    „So ein welsches Schwein. Statt sich ehrlich zu ergeben und seine Niederlage hinzunehmen, versucht er hinten rum den Krieg doch noch zu gewinnen. So sind die Franken. Alle falsch und hinterhältig."

    Der Feldwebel nickte. „Aber der Oberst von Ehrlichthausen hat davon erfahren und mit seinen Waldenburger Husaren die Alte Garde des fränkischen Kaisers besiegt und den Kaiser selbst gefangen genommen."

    „Lang lebe der General Ehrlichthausen!, rief einer in schwarzer Uniform und fügte hinzu: „Lang leben die Waldenburger Husaren.

    „Wenn die Waldenburger Husaren so großartig sind, warum gibt es sie dann nur noch als Aufklärungskompanie und nicht mehr in Regimentsstärke?", spottete der Feldwebel.

    Der Schwarzgekleidete wurde rot. „Moderne Waffen lassen Kriegern zu Pferde leider keine Chance mehr", murmelte er.

    „Richtig. Aber damals durften Husaren noch kämpfen und den fränkischen Kaiser gefangen nehmen. Aber auch ohne die Gefangennahme hätten die Franken keine Chance gegen uns gehabt, weil wir die modernsten Waffen hatten. Diesmal wird es wieder so sein. In unserem Zug fährt nämlich die Dicke Bertha mit, stimmt´s Kowalski."

    „Falls Frauen in diesem Zug sitzen, so kenne ich sie nicht." Der Soldat Kowalski hatte alle Spielkarten wieder an sich genommen und konnte sich nicht verkneifen, seinen seltsamen Humor zu beweisen.

    Der Feldwebel hatte keinen Humor. „Mit Dicke Bertha sind die Kruiperschen Mörser und Geschütze gemeint, die wir transportieren, raunzte er und fuhr fort: „Ich habe selbst in den Kruiperwerken daran gearbeitet und kann es kaum erwarten, sie im Einsatz zu sehen, wenn wir die Lütticher Festungen erobern.

    „Ich denke, wir haben Lüttich eingenommen?" Der Aufklärer von den Waldenburger Husaren war nicht aufgeklärt.

    Der Feldwebel übernahm das: „Die Stadt ist unser, aber rundherum gibt es zwölf mit Stahlbeton gesicherte Forts. Die müssen wir noch knacken. Aber mit der Dicken Bertha wird das gelingen."

    Der Soldat Kowalski hatte dazu gerade eine defätistische Bemerkung auf den Lippen, als der Waldenburger Husar plötzlich aufsprang und ein ohrenbetäubendes Achtung brüllte. Die anderen standen ebenfalls auf und der Feldwebel, als Dienstranghöchster, machte Meldung: „Melde gehorsamst, Herr General, Gemeine und Unteroffiziere vom Transport zweihundertsiebzig beim Kriegsgespräch."

    Der General nickte wohlwollend. „Man kann sich nicht früh genug auf unseren Sieg vorbereiten, Feldwebel. Lassen Sie weitermachen!"

    Dann drehte er sich zu Kowalski um. „Ich habe mit Ihnen zu sprechen, Soldat, folgen Sie mir."

    Ohne die anderen Soldaten noch eines Blickes zu würdigen oder zu kontrollieren, ob seinem Befehl gehorcht wurde, drehte er sich um und ging.

    „Jetzt wird man ihm für seine flapsigen Antworten auf allerhöchster Stelle die Hammelbeine lang ziehen", flüsterte der Feldwebel dem Waldenburger Husaren zu.

    Das Lächeln des Soldaten Kowalski zeigte jedoch, dass er sich vor dieser Begegnung auf allerhöchster Stelle mit einem leibhaftigen General überhaupt nicht fürchtete.

    Er schien General von Ehrlichthausen zu kennen.

    Ort: Psyche, Petersburger Vorort Petruschka

    „Ich erkenne dich nicht wieder, Michael."

    Richard Sabota stand in Petruschka am Ufer eines der vielen Arme des Flusses Newa.

    Ganz allein mit Michael Arx.

    „Ist das ein Wunder?, erwiderte der. „Ich erkenne mich ja selbst nicht wieder. Psyche verändert jeden. Es war ein Fehler, hierher zu kommen.

    „Diese Welt wird auch Alexandra verändern. Ist es ein Fehler, ihr zu helfen?"

    „Nein, natürlich nicht. Alexandra hat jede Hilfe verdient."

    „Und die Menschen hier? Haben die keine Hilfe verdient?"

    „Ihr helft ihnen schon so lange. Und? Hat sich etwas gebessert? Nein. Welchen Wert hat ein Kaiser, der auf sein Volk schießen lässt, weil es ihn darauf hinweisen will, dass es hungert? Jeder Herrscher, der zu solchen Taten fähig ist, verdient strengste Strafen. Aber keine Hilfe. Zar Alexander wird seine Strafe bekommen. Du wirst mich nicht davon abhalten."

    „Ich werde deine Revolution schon deshalb nicht aufhalten, weil es nicht deine Revolution ist, sondern die des russischen Volkes. Ob du sie anführst oder Pepi oder irgendein anderer, sie wird stattfinden."

    „Natürlich wird sie das und dann wird sich hier einiges ändern. Alle werden ausreichend zu essen haben und jeder wird eine Arbeit und eine Wohnung bekommen. Ausbeutung wird man nicht mehr kennen."

    Was für ein Träumer, dachte Richard Sabota. Er wünschte sich ein wenig, Michaels revolutionären Träume könnten wahr werden. Aber wenn man so viele Revolutionen mitgemacht hatte, wie er, hielten sich solche Träume in Grenzen. Zynische Bemerkungen dazu ersparte er sich aber. Das war Sache des schwarzen Herzogs.

    Stattdessen gab er einen Rat. Das war die Sache von Richard Sabota: „Pass auf dich auf, damit du auch erreichst, was du planst. Kann ich dem Hohen Rat mitteilen, das wir wieder am gleichen Strang und auch in die gleiche Richtung ziehen?"

    Michael musste sich Mühe geben, einen Gleichmut zu heucheln, den er nicht empfand. „Wenn meine Zusammenarbeit mit dem Hohen Rat mich von Vater Robert fernhält und vor allem von euren ewigen Sitzungen und Beratungen, gern."

    „Keine Angst, mein Junge, der kommt dir so schnell nicht zu nahe. Er hat immer noch ein schlechtes Gewissen wegen der Dinge, die er dir antun musste. Aber er hat´s bald geschafft. Dem britannischen Geheimdienst missfällt der Pazifismus von Vater Robert und sie suchen einen blutigen Ausweg."

    „Sie wollen Vater Robert ermorden?"

    Richard Sabota lächelte, denn Michael wollte nun doch Details hören, um bei der Arbeit des Hohen Rates wieder richtig mitmachen zu können. Genau darauf hatte Richard Sabota gebaut.

    Ort: Psyche, Lüttich, Fort Loncin

    „Sie bauen, Herr General", sagte der Oberst ohne sein Fernglas abzunehmen.

    „Das sehe ich auch, Oberst. Aber was bauen sie?"

    „Irgendetwas aus Stahl. Wenn sie so etwas wie einen Lauf daran montieren, dann wissen wir, dass es eine Kanone ist, die sie dort zusammenschrauben."

    „Vor Kanonen habe ich keine Angst, Oberst. Ich vertraue Ihren Stahlbetonkonstruktionen. Die haben bei den Probeschüssen allen Belastungen standgehalten. Diesmal werden sie unseren nördlichen Festungsgürtel nicht so leicht durchbrechen, wie im letzten Krieg."

    „Ich glaube, wir haben ein Problem, Herr General", flüsterte der Oberst.

    „Was für ein Problem?"

    „Das ist die Kurze Marinekanone Kaliber 42 der Firma Kruiper, Herr General."

    „Ja, Sie haben den Waffentyp richtig erkannt. Ich habe die Unterlagen unseres Geheimdienstes über diese Waffe auch gesehen. Die Russen haben sie uns zugespielt. Irgendein hoher deutscher Oberst war russischer Spion. Dieses Ding sieht genauso aus, wie auf den Bildern, die er davon besorgt hat."

    „Wir haben unsere Befestigungen nie auf die Standhaftigkeit gegen Schiffsgeschütze getestet, Herr General."

    „Bleiben Sie ruhig, Oberst. Ihr Stahlbeton wird schon halten."

    Ort: Psyche, Lüttich, Stellung „Dicke Bertha"

    Der Stahlbeton hielt. Die Artilleristen hatten schon zehn Schuss abgefeuert. Alle wohl gezielt, glaubten sie. Allerdings, ohne irgendwelche ernsthaften Schäden an der Festung anzurichten.

    Kein Wunder, dass dann irgendwann ein General kommt, um sich zu erkundigen, was hier los ist. Der Kommandant der Kanone machte Meldung. Der General schien sich so nah am Feind sehr sicher zu fühlen. Er hatte keine Eskorte und keinen Stab bei sich, nur einen Soldaten namens Kowalski.

    Aber alle wussten, General von Ehrlichthausen war ungeheurer tapfer und verstand verdammt

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