Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Omnipotens
Omnipotens
Omnipotens
eBook385 Seiten4 Stunden

Omnipotens

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

"Omnipotens" ist das dritte Buch des Romans "PSYCHE". Nach dem Krieg der Kaiser sind die Länder PSYCHEs zerrissen von Revolution und Bürgerkrieg.
Es bekämpfen sich linke und rechte Extremisten. Unter den Rebellen von der Erde herrscht Uneinigkeit darüber, welche Ziele sie auf PSYCHE erreichen wollen.
il caskar kennt sein Ziel. Er will die absolute Macht auf PSYCHE. Warum auch nicht? Wo es doch keinen mehr gibt, der sich dem allmächtigen il caskar entgegenstellen kann.
Doch seine Allmacht zieht Wesen nach PSYCHE, die mächtiger sind als er.

Die 6 Taschenbuchausgaben von PSYCHE:

1. Buch: Imperium
2. Buch: Conversio
3. Buch: Omnipotens
4. Buch: Usus Belli
5. Buch: Pugnam Pugnare
6. Buch: Per Aspera Ad Astra
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum7. Juli 2020
ISBN9783347093713
Omnipotens
Autor

Thorsten Klein

Über den Autor Thorsten Klein wurde am 02. Oktober 1964 in Großenhain geboren. Dort lebt er immer noch. Nach einer Ausbildung im Großenhainer „Institut für Lehrerbildung“ begann er sein Berufsleben im Gesundheitswesen. Nach vielen Jahren in der Erziehungshilfe und einem Studium zum Dipl. Sozialpädagogen/Dipl. Sozialarbeiter ist er nun in verschiedenen Feldern der Sozialarbeit tätig. Weitere Informationen zum Autor und seinen Büchern: www.planet-psyche.de

Mehr von Thorsten Klein lesen

Ähnlich wie Omnipotens

Titel in dieser Serie (6)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Omnipotens

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Omnipotens - Thorsten Klein

    Prolog        Unerwarteter Besuch

    Ich bin der Geist, der stets verneint!

    Und das mit Recht; denn alles was entsteht,

    Ist wert, dass es zu Grunde geht

    Goethe, „Faust - der Tragödie 1. Teil", (Erde, 1808)

    Ort: Großenhain, Wohnung des Chronisten

    Offene Enden mögen ja literarisch sehr interessant sein, befriedigen aber nicht die Neugier meiner Leserinnen und Leser. Und meine schon gar nicht.

    So oft ich jedoch versuchte, im Internet ein neues MindScript zu finden, es tauchten immer nur die beiden mir bekannten auf. Ich benötigte eine andere Herangehensweise.

    Im Urlaub hat man mehr Zeit für solche Dinge. Also beschloss ich, diesen Sommer nicht in geografische, sondern in mentale Fernen zu verreisen.

    Mit einer Vollbürger-Trance sollte es mir gelingen. Ich besaß zwar weder die anatomischen, noch die mentalen Voraussetzungen zum Vollbürger, aber Richard Kummer hatte mir auf meine inständige Bitte gezeigt, wie man das macht. Dieses Wissen setzte ich ein.

    An den ersten beiden Tagen bekam ich keinen Kontakt mit einem meiner Buchhelden. Ganz zu schweigen davon, dass ich irgendwelche Fähigkeiten erlangte, Gedanken zu lesen oder durch die RaumZeit zu reisen.

    Aber am dritten Tag (wieso eigentlich immer am dritten?) gelang mir dann doch der Kontakt.

    Der schwarze Herzog stand grinsend in meinem Wohnzimmer. In Lebensgröße. Richard Kummers holografische Abbilder waren immer viel kleiner.

    Außerdem war ich in der Lage, ihn zu berühren. Er fühlte sich sehr echt und sehr menschlich an. Stellen Sie sich meine Überraschung vor. Und meine Skepsis.

    Ich fragte ihn, ob er der echte schwarze Herzog sei.

    „Einen schönen guten Tag, antwortete er beleidigt. „Eine Höflichkeit ist das in deiner Zeit. Bei euch begrüßt man Gäste nicht, bevor man sie anspricht, sondern man begrabscht sie erstmal?

    Selbstverständlich begrüßt man zuerst seine Gäste. Auch in meiner Zeit. Ich begrüßte ihn und hoffte, dabei nicht rot zu werden.

    „Nimmst du irgendwelche Drogen?", fragte der Herzog nach meinem Gruß.

    „Ist diese Frage vielleicht höflich? Nein, ich nehme keine Drogen. Ich trinke nur ab und zu mal ein Bier."

    „Hast du welches intus?"

    „Um diese Zeit? Natürlich nicht."

    „In der Gegend, in der du wohnst, ist es nicht ungewöhnlich, den Morgen mit ein paar Bierchen zu beginnen."

    „Man muss ja nicht alles nachmachen."

    „Stimmt. Aber es wäre sehr gefährlich für dich, dann weiter in der Trance zu bleiben. Du könntest deine Trance vielleicht nie mehr verlassen und ich könnte dir nicht helfen, wieder in die Realität zurückzufinden."

    „Du könntest mir nicht helfen? Du? Als Vollbürger und als Arzt?", fragte ich erstaunt.

    Er nickte mit jenem typischen Gesichtsausdruck des spöttischen Bedauerns, den ich bei ihm so oft in Richard Kummers MindScript-Projektionen gesehen hatte. „Der echte Herzog könnte dir sicher helfen, aber ich bin nur ein holografisches Abbild eines MindScriptAutors. Da du in Trance bist, komme ich dir real vor. Ich habe gespürt, dass du Richard Kummer suchst. Das hat meine Neugier geweckt."

    „Ist er tot?", polterte ich sofort mit dem heraus, was mich am meisten interessierte.

    „Ja, leider. Richard Kummer ist definitiv gestorben."

    „Ist er nur auf Psyche tot oder so ganz allgemein?"

    „Auf Psyche sowieso, aber auch ganz allgemein."

    Nicht einmal der gewiefteste Quizmaster hätte des Herzogs Lächeln imitieren können, das er bei dieser Antwort zeigte. Es gab keine Hinweise darauf, inwieweit die Antwort wirklich zutraf.

    Mir half es trotzdem. Ich hatte diese Art seines Lächelns bereits kennengelernt. „Aber Richard Rath lebt noch?", fragte ich deshalb.

    Die Miene des Herzogs zeigte mir, dass er Spitzfindigkeiten mochte. „Die vielen Leben und Masken des Herrn Richard Rath sind natürlich ein Thema, das sich nicht in einem Satz erörtern lässt, sondern längere Zeit in Anspruch nimmt. Hast du die Zeit dafür?"

    „Ich habe Urlaub." Ich machte es mir bequem und war bereit, eine sehr lange Zeit zuzuhören.

    „Dein Urlaub dauert nicht lange genug, um alles zu erfahren. Die Antworten auf deine Fragen werden einige Wochen in Anspruch nehmen und dich möglicherweise dazu bringen, wieder als Chronist aktiv zu werden."

    „Wenn es Richard Kummer nicht mehr gibt, kann ich auch nicht sein Chronist sein."

    „Du musst ja nicht sein Chronist sein. Es gibt auch noch andere MindScripte, als nur das von Richard Kummer."

    „Deins zum Beispiel?"

    „Meins zum Beispiel. Aber auch die Augusta, Sophia Demeter, selbst mein Bruder, sie alle haben MindScripte veröffentlicht. Selbstverständlich sind die meines Bruders am langweiligsten."

    „Selbstverständlich. Und die des schwarzen Herzogs sind am spannendsten."

    „Richtig. Leider würdigt das keiner. Ich habe einen schlechten Ruf, musst du wissen. Völlig unberechtigt natürlich."

    „Absolut unberechtigt. Du bist einer jener Menschen, die vollkommen verkannt werden, weil sie aus der üblichen Norm schlagen."

    Der Herzog schien mir mit einem heftigen Nicken zustimmen zu wollen, runzelte aber plötzlich die Stirn und sah mich genauer an. „Verarschst du mich vielleicht?, fragte er und fuhr dann erklärend fort: „Ein MindScript ist nicht besonders helle, weißt du. Und es versteht überhaupt keine Ironie.

    Ich benötigte ein Räuspern, bevor ich antworten konnte: „Falls das so rübergekommen sein sollte, entschuldige ich mich. Natürlich will ich wissen, wie es weitergegangen ist. Ist Richard Kummer gestorben, kann ich nicht mehr sein Chronist sein. Für eine gute Story bin ich immer bereit, einen anderen Job anzunehmen."

    „Dann habe ich einen für dich: Werde mein Chronist."

    „Und was bietest du mir dafür?", fragte ich. Und gab mir große Mühe, desinteressiert zu klingen. Denn diesen Job wollte ich unbedingt.

    „Ich erzähle dir, wie es weiterging. Natürlich biete ich dir die spannendste Version von den Vielen, die ich dir aufgezählt habe. Ich hoffe, ich habe mich beeilt. Sophia oder die Augusta sind mir nicht zuvorgekommen?"

    Der Herzog sah sich um, als würde ich irgendwo schöne Frauen versteckt halten, konnte aber keine finden.

    Ich auch nicht. Leider. Aber ich war interessiert. „Die Augusta oder Sophia sind auf dem Weg hierher? Sind sie auch in der Realität so überirdisch schön, wie sie Richards MindScript gezeigt hat?"

    „Warum nicht? In der Zeit, in der wir leben, ist die Optimierung des eigenen Aussehens kein Problem mehr. Vor allem, weil sie ohne die Zuhilfenahme von Schönheitschirurgie funktioniert. Falls Frau darauf Wert legt, kann sie durch überirdische Schönheit glänzen."

    „Legt nur Frau darauf Wert? Männer nicht? Du siehst jedenfalls aus wie ein germanischer Junggott."

    „Bei mir ist das etwas Anderes. Ich sehe seit meiner Geburt so toll aus, denn ich bin ein Gott. Als solcher muss man auch so aussehen. Schließlich ist man das den anderen Göttern und der allgemeinen Erwartung der Menschheit schuldig … Keine weiteren Fragen zu meiner Herkunft, wehrte er ab, noch ehe ich richtig den Mund dazu aufmachen konnte. „Darum geht es hier nicht. Nicht meine Geschichte, sondern die Geschichte Psyches ist von Bedeutung. Meine Bedingung ist: Wenn du einwilligst, mein Chronist zu sein, kommen die anderen nicht zum Zug.

    „Du stichst sie also aus?", fragte ich.

    „Wie immer.", strahlte der Herzog.

    „Was habe ich davon, dir irgendwelche Exklusivrechte einzuräumen?", fragte ich weiter.

    „Die spannendere Story", war er sich sicher.

    „Du wiederholst dich. Vielleicht gleicht ja die Gesellschaft schöner Frauen deren mangelnde Fähigkeit zum Spannungsaufbau aus? Ich ziehe die Gesellschaft schöner Frauen immer vor."

    „Was den Vorzug der Gesellschaft schöner Frauen betrifft, bin ich ganz deiner Meinung. Aber glaube mir, man kann mit holografischen Frauen bei Weitem nicht so viel anfangen, wie mit denen aus Fleisch und Blut", hielt mir der Herzog entgegen.

    „Akzeptiert. Dann stelle ich eine andere Bedingung: Habe ich meine Arbeit als Chronist für dich beendet, bringst du mich mit jemandem vom Hohen Rat zusammen, der mir weitere Geschichten erzählen kann."

    „Einverstanden. Wo soll meine Erzählung beginnen?"

    „Dort, wo Richard Kummers MindScript aufhörte. Bei dem Schlamassel, den ihr auf Psyche zurückgelassen habt. Erst war Weltkrieg, dann war Revolution und dann war Bürgerkrieg."

    „Jaja, aber das war nicht unser Schlamassel, sondern der der Psychaner. Unser Einmischen hatte allein mit Alexandras Heilung zu tun. Durch uns war sie krank geworden, wir mussten sie heilen. Das war nur so möglich. Jeder andere Versuch hätte sie umgebracht. Denn nur aus diesem Grund war Robert Severes Geist in ihren Kopf geflohen. Der wollte sie und Richard Kummer töten, um seine Niederlage doch noch in einen Sieg zu verwandeln."

    „Und das wusste il caskar?"

    „Natürlich."

    „Und ihr habt ihn machen lassen?"

    „Er suchte eine Aufgabe. Wenn die darin bestand, Götter zu töten, warum sollte er es nicht versuchen?"

    „Er benimmt sich ziemlich kindisch. Seine Community auch. Ihr hättet sie davon abhalten sollen."

    „Warum? Die pubertieren nun schon fast sechshundert Jahre lang vor sich hin. Sie sollten endlich erwachsen werden. Das wollten wir erreichen, indem wir ihnen helfen, ihre Suche zu beenden."

    „Ihre Suche? Was suchen Sie denn?"

    „Das ist dir nicht aufgefallen? il caskar versucht sich von seinen Eltern zu lösen. Obwohl sie die einzigen sind, die ihn unterstützen. Bcoto und Takhtusho sind arme Waisen, die nur sich selbst und ihre Geschwisterliebe haben. Sie wissen nicht einmal, wer ihre Eltern sind. Also suchen sie eine Familie. Die glaubten sie, in dieser Community zu finden. Mal sehen, wie lange sie das noch glauben."

    „Aber Ala Skaunia sucht doch nicht. Sie fühlt sich als First-Lady an der Seite ihres Anführers wohl", warf ich ein.

    „Hat sie ihm geholfen, Richard Kummer zu töten, als der unbedingt sterben wollte? Nein. Da hat sie versagt. Werden die beiden noch ein trautes Paar sein, wenn herauskommt, dass Alexandra noch lebt? Was meinst du?"

    „Also ist sie doch nicht gestorben?", frohlockte ich. Ich hatte es immer gehofft. Schöne Frauen sterben zu lassen, lehne ich als Autor ab. Als Mensch sowieso.

    „Natürlich ist sie nicht gestorben. So viele von uns haben auf sie aufgepasst. il caskar hatte keine Chance, sie wirklich zu töten."

    „Aber er war sich so sicher."

    „Auch das war Teil des großen Planes. Etwas weniger Selbstgefälligkeit seinerseits und er hätte es erkannt. il caskars Charakter sollten uns noch lange beschäftigen."

    „Dann handelt die weitere Geschichte Psyches von il caskar und seiner Community?" Ich war ein wenig enttäuscht. Neue Bücher sollten auch neue Helden haben. Und nicht die, die man schon kannte. Ich wollte nicht schon wieder die gleiche Geschichte erzählen müssen.

    „Sie handelt nicht nur von il caskars Community. Alexandra wollte nach ihrer Genesung sofort wieder nach Psyche zurück. Wegen Michael Arx, wegen Richard Kummers Vermächtnis, aber hauptsächlich ihrer Revolution wegen. Sie wollte mir nicht glauben, dass die ins genaue Gegenteil verkehrt war. Den Menschen ging es nicht besser, sondern schlechter."

    „Schlechter? Auch denen in Russland?"

    Der Herzog setzte sich in einen unsichtbaren Sessel und ließ mit einem Fingerschnippen eine MindScriptProjektion erscheinen. „Gerade in Russland. Wann ist es den einfachen Menschen in diesem Land schon mal gut gegangen? Aber auch in Deutschland ging es drunter und drüber."

    Dann sahen wir beide auf die dreidimensionale Darstellung seiner MindScriptProjektion.

    1. Kapitel … und es bleichen wie Steine

    und es bleichen wie Steine die verfluchten Gebeine

    unsrer Feinde nach blutigem Tanz …

    und wenn wieder sie kehren mit Maschinengewehren,

    dann entrollt unsere Fahne sich rot

    „Budjonnylied", (Gebr. Pograß, Alexej Syrkow)

    Ort: Psyche, Berlin Moabit, Amtsgericht

    Die Dämmerung war hilfreich.

    Sie war nicht unbedingt nötig, denn Gerechtigkeit konnte auch im Hellen geschehen. Eigentlich sollte sie das immer. Aber nicht alle waren der Meinung, dass das, was er vorhatte, gerecht sei. Dieser Kowalski zum Beispiel. Er hatte am lautesten dagegen protestiert. Und am heftigsten.

    Sein Entschluss hingegen stand fest. Denn er fühlte sich immer noch als Offizier. Ein preußischer Offizier geht in den Ruhestand, wenn er das richtige Alter erreicht hat. Er fällt auch zuweilen im Krieg. Aber er wird nicht aus dem Dienst verabschiedet. Erstrecht nicht von seinen großfränkischen Erbfeinden. Denn die Sieger des Kaiserkrieges hatten beschlossen, das Deutsche Reichsheer zu verkleinern, damit es für seine Gegner keine Gefahr mehr darstelle. Es benötigte damit auch weniger Offiziere. Ihn benötigte es nicht mehr. Aber es gab auch andere Wege, gegen seine Feinde zu kämpfen.

    Er konzentrierte sich auf den Ausgang des Amtsgerichtes. Der Minister, seine Zielperson, würde dieses bald verlassen, lauteten seine Informationen. Die Zielperson würde bald sterben, lautete sein Vorhaben. Dieser Mensch musste sterben, denn er trug Mitschuld am verlorenen Krieg. Dessen war er sich sicher.

    Seine Ansichten zur gegenwärtigen Politik Deutschlands waren sehr einfach. Mussten sie auch, schließlich war er Offizier, kein Politiker. Diese einfachen Ansichten verleiteten ihn zu einer einfachen Tat.

    Er wollte einen Menschen töten. Mit seiner alten Waffe. Er würde mit dieser vertrauten Waffe seine Pflicht tun.

    Als er die Zielperson sah, hob er seine Pistole, zielte kurz und schoss dann sofort. Ohne die Augen zu schließen oder sich am Qualm und Krach der Waffe zu stören.

    Ort: Psyche, Russland, Krasnodar

    Sie roch den Qualm nicht und er verbarg nur ihren Augen jenes furchtbare Geschehen in der Stadt Krasnodar. Ihre Inneren Sinne spürten alles, was dort geschah.

    Die Reiterarmee des Generals Woronesch hatte die Stadt gestürmt. Das war wichtig, denn die Ewiggestrigen, die noch an die Macht des Zaren glaubten, hielten diese Stadt besetzt und verhinderten so, dass sie am Segen der proletarischen Revolution ihren gerechten Anteil nehmen konnte.

    Diesen Anteil bekam sie nun.

    Deshalb die vielen brennenden Häuser. Deshalb die schreienden und sterbenden Kinder. Deshalb die vergewaltigten Frauen. Soldaten feierten auf diese Art immer die Eroberung einer feindlichen Stadt. Die Roten Garden machten da keine Ausnahme.

    Zumindest hatte es ihr der General Woronesch so erklärt. Der war eigentlich kein General. Auch das hatte er erklärt. Er war ein Kommandant. Denn Generale und andere hohe Offiziere kannten die revolutionären Truppen der Roten Garden nicht mehr.

    Disziplin scheinbar auch nicht, so wie sie alle Gesetze der Menschlichkeit mit Füßen traten. Die Gräuel des Krieges kannten sie und sie lebten sie mit Wonne aus.

    Michael Arx verstand das nicht und er wollte es auch nicht wahrhaben. So stand er, als der eigentliche Befehlshaber der Roten Garden, neben der schönen Frau und beschränkte sich ebenfalls aufs Zusehen. Sie hatte ihn noch nie so zerrissen erlebt.

    Michael glaubte immer noch an das Gute im Menschen. Und an den Fortschritt, den die proletarische Revolution den unterdrückten und geknechteten Massen bringen würde. Er fand nur beides nicht. Jedenfalls nicht im Moment.

    Aber es würde wiederkommen. Hoffte er. Wenn die Weißen, so nannte man die Konterrevolutionäre, erst einmal aus dem Land gejagt wären. Hoffte er.

    Die ließen sich nicht wegjagen, sondern wehrten sich mit Gewalt gegen diese Vertreibung und zwangen die Revolutionäre damit ebenfalls zur Gewalt. Es ging also nur so. Die Guten mussten böse sein, um dem Guten zum Sieg zu verhelfen.

    An diese Ausrede klammerte er sich. Wie der Bergsteiger an den einzigen Felsvorsprung, der an einer glatten und viel zu hohen Wand zu finden war. Unter sich einen gähnenden Abgrund. Über sich, in weiter Ferne, der Gipfel, den es zu erklimmen galt. Wenn er noch die Kraft und den Mut dazu fand. Er hatte beides verloren. Aber er hoffte auf die Frau neben ihm. Sie würde ihm neue Kraft verleihen.

    Alexandra war entsetzt über das Kriegsgeschehen. „Wie lange geht das schon so?"

    „Der Krieg? Schon länger als ein Jahr."

    „In dieser Stadt?"

    „Nein, im ganzen Land. Es ist zerrissen zwischen denen, die noch dem Alten anhängen, und uns Revolutionären. Außerdem drängt es die Völker dieses Riesenreiches dazu, ihre Selbständigkeit zu wollen und sich von Moskau loszusagen."

    „Dann gebt ihnen ihre Selbständigkeit."

    „Du sagst das so einfach. Bolschoi musste im Friedensvertrag mit den Deutschen schon so viel Land hergeben, er will nicht noch mehr verlieren. Wer gibt schon gern ein Imperium auf?"

    „Ein Imperium aufgeben? Wir sind Revolutionäre. Unser Imperium ist die ganze Welt. Ist Bolschoi jetzt ein Zar und toleriert das da?", fragte Alexandra und wies auf die brennende Stadt.

    „Es ist alles viel komplizierter, als das da. In dieser Stadt sind die Verhältnisse noch einfach. Dort kämpfen nur Russen gegen Russen. Rote gegen Weiße. Also Gute gegen Bösen und damit gibt es klare Fronten. Im Moment haben wir gewonnen. In dieser Stadt. Aber in diesem Riesenreich kämpft jeder gegen jeden und ein Sieger ist nicht in Sicht."

    „Was sagt der Hohe Rat dazu?"

    „Den Hohen Rat interessiert Psyche inzwischen sehr wenig. Gerrich und Huldrich haben hier das Sagen. Sie warten auf eines jener Ereignisse, so sagten sie mir vor kurzer Zeit, welches manchmal ganz plötzlich die Geschicke der Völker verändert."

    „Das verstehe ich nicht."

    „Ich musste auch erst das MindNet befragen. Es ist ein Alexandre-Dumas-Zitat. Aus den „Drei Musketieren. Richelieu sagte das, als er Milady den Auftrag erteilte, Lord Buckingham zu ermorden.

    „Gerrich und Huldrich wollen jemanden ermorden?"

    „Das können sie nicht. Dagegen steht das Innere Gesetz. Sie hoffen, einer von uns wird ermordet und den anderen bleibt nichts weiter übrig, als diesen Scheiß hier schnell zu beenden, weil sie all ihre politische Kraft benötigen, um ihre neue Macht zu festigen. Die Frage ist nur, wer wird ermordet und von wem? Potentielle Mordopfer wären: Bolschoi, Wissarew, Woronesch, Woronzow oder dieses Ekel Tscherkassow, mein ganz besonderer Feind. Irgendjemand von denen will auch mich ermorden. Versuche dazu gab es bisher ausreichend. Aber Vollbürger sterben nicht so schnell." Den letzten Satz spuckte er fast aus.

    Alexandra sah ihn an. Er sah ausgemergelt aus, seine Haut war grau. Trotzdem wirkte er immer noch jung. Aber nicht mehr so jungenhaft wie einst. Ein schneller Scan zeigte ihr, das warme, rote Feuer der Revolution war aus seinem Inneren Ich verschwunden. Dort brannte jetzt eine kalte, blaue Flamme, die ihn verzehrte.

    Und die heller leuchtete, als er weitersprach: „Bolschoi wird sicher als erster draufgehen. Er ist der Älteste von uns und hat gerade erst zwei Attentate überlebt. Negative Begleiterscheinungen seines Zarentums. In diesem Land ist der, der ganz oben steht, immer der Zar. Auch wenn er keine Krone trägt und sich anders nennt. Als Zar hat er auch das Privileg, auf der Abschussliste von Extremisten zu stehen."

    „Willst du ganz oben stehen?", fragte Alexandra erstaunt, die in Michaels Innerem Ich solche Wünsche erkennen konnte.

    „Ich? Ganz oben? … Warum eigentlich nicht? … Wenn ich dadurch diese Revolution retten kann. Siehst du eine bessere Alternative?"

    „Jede Alternative ist besser, als deine Trennung vom Inneren Gesetz. Wenn du dir in Psyche Wahre Macht erkämpfst, hast du jedes Recht auf dein Vollbürgertum verloren."

    „Aber es ist für eine gute Sache!", warf er ein.

    „Seine eigene Moral über den Haufen zu werfen, nur um der Chimäre Macht hinterher zu rennen, kann niemals eine gute Sache sein. Wo ist der Michael, der auf einer friedlichen Revolution bestanden hat, und die auch gegen den Willen von Bolschoi, Wissarew und Tscherkassow durchsetzen konnte?"

    „Ich glaube, der ist in den Wirren dieses Bürgerkrieges gestorben. Einer allein kann zwar Frieden wollen, aber ihn nicht durchsetzen." Seine Resignation war fast greifbar.

    „Dann versuch es wenigstens. Rede mit denen, die in Russland Macht ausüben. Sprich mit Bolschoi. Auf ihn hören alle."

    Michaels Lachen war noch furchtbarer als sein Äußeres. „Bolschoi? Auf den hört keiner mehr. Er ist verletzt, er ist krank und alle zählen nur noch die Tage, bis zu seinem baldigen Tod. Die anderen hoffen, er möge bald sterben. Du glaubst mir nicht? Besuch ihn doch. Dann wirst du sehen, dass er bald sterben muss."

    Ort: Psyche, Bad Döttelbach, Schwarzwald

    „So schnell stirbt man nicht, Herr Minister. Wir wandern auf diesen Berg. Wir lassen uns von diesem Spaziergang nicht abhalten. Sie müssen keine Angst davor haben, hinauszugehen. Hier im Schwarzwald geschieht Ihnen nichts, hier wird Sie keiner umbringen."

    „Glauben Sie mir, mein lieber Kriminalrat Renatus, die Kugel, die mich töten soll, ist schon gegossen."

    „Das mag sein, Herr Minister, aber in meiner Begleitung genießen Sie Polizeischutz. Auch wenn ich im Moment auch nur ein Urlauber bin. Ein Polizist ist immer im Dienst."

    „Ein Minister auch, Herr Kriminalrat. Trotzdem muss man ein wenig entspannen. Sie haben vollkommen recht, wir werden diese Wanderung auf den Berg machen. Ein wenig frische Luft tut immer gut. Vor allem in dieser Gegend."

    Der Minister stand auf und zog sich seine Jacke an. Mit Mühe, wie der Polizist sehen konnte. „Tut die Schulter immer noch weh?", fragte er deshalb.

    „Er muss ein erbärmlicher Schütze gewesen sein. Obwohl er ein Offizier war. Der erste Schuss ging in die Schulter, mit dem zweiten traf er die Brotbüchse in meiner Aktentasche. Dabei war noch heller Tag, als er vor dem Moabiter Amtsgericht auf mich geschossen hat."

    „Vielleicht hatten Sie einen Schutzengel?" Der Polizist kannte sich damit aus. Er war schon seit Jahrhunderten ein Schutzengel. Nicht nur als Polizist.

    „Ich hatte einfach Glück. Das hat man nicht so oft. Aber der Täter ist im Gefängnis und wird es erst in fünfzehn Jahren verlassen", meinte der Minister.

    „Man sagt, er hätte einer Geheimorganisation angehört. Die wäre noch aktiv. Sie befinden sich also durchaus noch in Gefahr, Herr Minister."

    „Gefahr besteht immer, Herr Kriminalrat. Wir waren beide im Krieg und sind nicht gefallen. Da werden wir doch im Frieden auf uns aufpassen können. Oder?"

    Der Herr Kriminalrat wusste nicht, ob er den Minister erfolgreich schützen könnte. Aber er würde es versuchen. Die Sinne, mit denen er erst seit einiger Zeit etwas anfangen konnte, zeigten ihm, dass die Kugel gegen den Minister nicht nur schon gegossen war, sondern ihr Schütze sie auch verschießen wollte.

    Er hatte alles dafür vorbereitet und das Attentat auf den Minister konnte stattfinden. Heute. Hier im Schwarzwald.

    Ort: Psyche, Moskau, Kreml

    In Moskau bewohnte der Genosse Bolschoi den Kreml. Warum auch nicht? Mit der Ermordung der Zarenfamilie war diese Immobilie frei geworden. Es wäre schade, sie leer stehen zu lassen. Bolschoi schien um Jahre gealtert zu sein. Seine Haut wirkte grau und eingefallen, seine Augen waren umschattet und seine Stimme klang rau.

    Er begrüßte Alexandra mit seltsamen Worten: „Ich fühle mich schon seit Wochen, als sei ich bereits gestorben. Nach dem ich dich gesehen habe, weiß ich, dass es stimmt."

    „Was stimmt? Dass du gestorben bist? Warum?"

    Bolschoi versuchte, seine Stimme ironisch klingen zu lassen. Aber die ließ in ihrer Rauheit so etwas nicht zu. „Weil ich dich sehen und mit dir sprechen kann. Aber du bist tot. Ich habe es gelesen. In deutschen und in russischen Zeitungen. Sogar in der Prawda. Also muss es wahr sein."

    Alexandra überlegte eine Weile, bevor sie antwortete: „Meine Freunde haben beschlossen, meinen Tod vorzutäuschen, um mich zu beschützen. Für die Menschen in Deutschland bin ich gestorben. Es war nicht schwer, eine mir ähnelnde Leiche zu finden, welche die Deutschen beweinen und begraben konnten." Alexandra sah ihn aufmerksam an, um eine Reaktion zu erkennen.

    Aber Bolschoi sah nur genauso aufmerksam zurück. Deshalb fuhr sie fort: „Den Menschen in Russland möchte ich meine Hilfe anbieten. Dir möchte ich meine Hilfe anbieten. Für euch und eure Revolution möchte ich in Psyche weiterleben."

    Nun musste Bolschoi eine Weile überlegen, bevor er antwortete. Alexandra hörte nur Bitterkeit in seiner Antwort. „Du bietest deine Hilfe an? Hast du dieser Welt nicht schon genug geholfen? Deine Revolutionen haben doch stattgefunden. Genauso, wie du sie wolltest."

    „Wie ich sie wollte?"

    „Wie du sie wolltest. Ich bin mir sicher, dein Wille ist geschehen. Ich wollte nie, was nach der Revolution in diesem Land geschehen ist."

    „Du wolltest keine Revolution? Dein ganzes Leben hast du für sie gekämpft."

    „Für diese Art von Revolution habe ich bestimmt nicht gekämpft. Das Land ist zerrissen und fast nur noch halb so groß, wie es unter dem Zaren war. Die Menschen hungern noch mehr, als unter dem Zaren. Die Bauern verweigern den Anbau von Nahrung. Die Arbeiter verweigern die Arbeit und die Soldaten wollen Soldatenräte, aber bitte ohne die Bolschewiki. Alle wollten unsere Revolution, aber keiner will uns. Es sollte alles besser werden, aber alles ist schlechter geworden."

    Ein Hustenanfall nach diesen Worten wies deutlich darauf hin, dass es auch um die Gesundheit des Genossen Bolschoi schlecht bestellt war. Er hatte also durchaus Ursache, verbittert zu sein.

    „Darüber beschwerst du dich? Was hast du erwartet? Sofortigen Frieden und Eintracht nach einer Revolution? Denk doch mal an die Großfränkische Revolution. Danach hat es fünfundzwanzig Jahre gedauert, bis die Menschen wieder so zueinander gefunden hatten, dass sie miteinander leben konnten und wollten", antwortete Alexandra.

    „Fünfundzwanzig Jahre? Dann kann ich ja getrost weiter wursteln wie bisher. Fünfundzwanzig Jahre werde ich nicht mehr leben."

    Alexandra scannte Bolschoi, ohne dass sich das Ergebnis dieser Untersuchung in ihrer Mimik widerspiegelte.

    Er würde kein Jahr mehr leben, erkannte sie. Denn er hatte Arterienverkalkung. Überall. Aber zuerst würden die Blutgefäße im Gehirn ihre Durchlassfähigkeit verlieren. Das sah sie ebenfalls.

    Arterienverkalkung, dachte Alexandra. Was für altmodische Krankheiten die Menschen auf Psyche hatten. Warum verhinderten sie diese Krankheiten nicht? Die Prophylaxe dagegen war so einfach. Aber Bolschoi wusste sicherlich nicht einmal, wie es um ihn stand. Geschweige denn, dass er in der Lage gewesen wäre, die ihm drohenden Schlaganfälle zu verhindern.

    Am Leben erhalten konnte sie ihn nicht mehr. Aber etwas Anderes konnte sie für ihn tun. Eine Hilfe, die er verstehen und annehmen würde. „Du hast die Revolverkugel, die dich im letzten Jahr getroffen hat, immer noch in dir. Spürst du keine Schmerzen?"

    „Ob ich Schmerzen spüre?", fragte er mit einem krächzenden Lachen. „Ich weiß nicht, wo ich in meinem Körper keine

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1