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Als Augustinus irrte...: Entstehung der Substitutionstheorie, die Heilsgeschichte Israels und der Antisemitismus
Als Augustinus irrte...: Entstehung der Substitutionstheorie, die Heilsgeschichte Israels und der Antisemitismus
Als Augustinus irrte...: Entstehung der Substitutionstheorie, die Heilsgeschichte Israels und der Antisemitismus
eBook545 Seiten6 Stunden

Als Augustinus irrte...: Entstehung der Substitutionstheorie, die Heilsgeschichte Israels und der Antisemitismus

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Über dieses E-Book

Augustinus schreibt im Jahr 420 n. Chr. die Enterbungslehre (Substitution) als Kirchengesetz in die "Catholica". Wie kam er zu dieser Auffassung, was lehrt uns die Bibel tatsächlich über die Heilsgeschichte Israels und welche Auswirkungen hat die Substitutionstheorie bis heute auf den Antisemitismus?
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum22. Nov. 2016
ISBN9783734575419
Als Augustinus irrte...: Entstehung der Substitutionstheorie, die Heilsgeschichte Israels und der Antisemitismus

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    Buchvorschau

    Als Augustinus irrte... - Rolf Wiesenhütter

    1. Das Heil, die Heilsgeschichte und der göttliche Heilsplan

    1.1 Das Heil

    Wir mussten schon Zeiten erleben, in denen Heil gerufen wurde und Unheil geschah. „Heil unserem Führer schrien nicht nur Politiker und Militärs, sondern auch Christen der unterschiedlichsten Denominationen. Mit diesem Ausdruck wünschte man dem Herrscher Glück und Segen. Andere sprechen davon, dass dann, wenn jemand ein Unheil glücklich überstanden hat, ihm dieses zum Heil dient. Wir sehen, wichtige Inhalte verkommen zu Wortspielen. Heilmachen, Heilbaden, Heilquellen oder Heilfasten sind geläufige Begriffe. Wenn aber die Bibel von „Heil spricht, dann meint sie weder irdisches Glück noch zeitlichen Segen. Diese Dinge sind vergänglich und unvollkommen. Was uns Gottes Wort im Begriff „Heil vermittelt, ist das höchste und ewige Glück, welches uns Menschen zuteilwerden kann. Ist in biblischem Sinne das „Heil eingetreten, dann haben wir Gemeinschaft mit Gott, wir haben Frieden in der Seele und in unserem Herzen das Bewusstsein, ein Kind Gottes zu sein. Als Jesus zu Zachäus sprach:

    „Heute ist deinem Hause Heil widerfahren (…)"(Luk. 19,9)

    so bedeutete dies, dass der Erlöser, der die durch die Sünde zerstörte Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott wieder hergestellt hat, sein Heiland geworden war. Insofern ist die richtige Definition von „Heil" für den Menschen die Tatsache, dass Jesus Christus der Sohn Gottes und selbst Gott, der Herr im Leben eines Menschen geworden ist.

    1.2 Die Heilsgeschichte

    Das erste Fenster der Heilsgeschichte Gottes wird von den Theologen gerne das „Zeitalter der Unschuld" genannt. Es ist die Zeit von der Schöpfung und der Erschaffung des Menschen bis hin zu seinem Sündenfall im Garten Eden. Der Mensch wurde von Gott geschaffen und als perfekte Schöpfung in den paradiesischen Garten Eden gesetzt. Er hatte nie etwas Schlechtes, Bösartiges getan – Sünde war ihm völlig fremd! Und so gab es bis zum Sündenfall weder Schuld noch Schuldbewusstsein.

    „Daher sagt man, dass diese Epoche das „Zeitalter der Unschuld" war. ³ „Durch das Eintreten eines himmlisch-kosmischen Unheilsereignisses des schirmenden, gesalbten Cherubs, in der Engelwelt und eines irdischen Unheilsereignisses Adams, entstand in unserer Welt die Notwendigkeit eines „Heilsweges. Diesen Heilsweg hat Gott, der Vater, vor Grundlegung der Welt in Jesus Christus beschlossen und in der Zeit, in SEINEM Sohn, die Grundlage zur Erlösung des ganzen Alls gelegt, bis hin zur Vollendung.

    Auch das Wort „Geschichte wird vielfach in einem doppelten Sinn gebraucht. Man beschreibt damit zum einen das vergangene Geschehen in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, zum anderen aber die Dokumentation der Erforschung und Darstellung beispielsweise in der wissenschaftlichen Forschung. Erwartet werden damit Einsichten in das menschliche Wesen, die unerlässlich sind für das selbstständige Denken und Handeln des Menschen. Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet „Geschichte die Erzählung von Darstellungen von Handlungszusammenhängen. In diesen Definitionen finden wir kein abgeschlossenes Geschichtsbild, sondern Momentaufnahmen und allenfalls vorläufige Wahrheiten. Wer uns Geschichten erzählt, teilt uns entweder das mit, was geschieht, oder das was der Vorstellungswelt des Erzählenden entspringt. Eine offerierte Geschichte muss also nicht zwangsläufig wahr sein. Das unterscheidet die weltlichen Vorstellungen von der biblischen Heilsgeschichte. In ihr finden wir die wahrhaftige Erzählung von Gegebenheiten, die einen Anfang, ihren Fortgang und ihr Ende haben. Wir erfahren also nicht nur die bloßen Vorgänge, sondern auch ihre Ursachen, Wirkungen und Ziele. In der biblischen Geschichte des Heils lernen wir alles kennen, was von Seiten Gottes geschehen ist, wie das Gemeinschaftsverhältnis des Menschen zu Gott ist und was nötig ist, um das von Gott vorgesteckte Ziel zu erreichen. Vertrauen wir auf Gottes Wort, dann erleben wir unsere persönliche Heilsgeschichte, und wir verstehen die komplexen Zusammenhänge, die unser persönliches Heil mit der Geschichte des von Gott vor Grundlegung der Welt erwählten Volkes Israel verbindet. Das Grundlegende dabei ist, dass das heilsgeschichtliche Geschehen nicht planlos verläuft, sondern dass ein Plan dahintersteht, nämlich der Plan Gottes. Und dieser Plan zieht sich zur Verherrlichung Gottes durch die Geschichte hindurch. Wesentlich handelt es sich um einen Geschehenszusammenhang dergestalt, dass Gott durch seine Offenbarung von oben einbricht in die irdisch-sichtbare Realität, dass er Geschichte macht mit dem Menschen, zuerst mit seinem Volk und dann mit seiner Gemeinde. Offenbarungshandeln und Offenbarungsreden Gottes sind hier festzustellen. Es ist wichtig, dass es sich um wirklich geschichtliches Geschehen handelt, keine Übergeschichte, keine abgehobene Sphäre, sondern das Wirken Gottes in der Geschichte. Ferner gibt es das Zusammensein von Kontinuität und Diskontinuität. Es findet sich eine Grundlinie von der Schöpfung bis zur Vollendung des Reiches Gottes. Aber dieser Plan Gottes entfaltet sich nicht etwa in menschlich zu konstruierendem oder vorauszusagendem Ablauf, sondern es gibt Sprünge und Brüche und Überraschungen in dieser Geschichte, weil Gott ein lebendiger und souveräner Herr ist, der nach seinem Plan handelt, nicht nach unseren Vorstellungen. Ein grundlegendes Begriffspaar lautet Verheißung und Erfüllung. Gott verheißt Entwicklungen, die eintreten werden, und diese finden ihre Erfüllung zu ihrer Zeit. Beispielsweise der Schritt vom alten zum neuen Bund ist solch ein wichtiges Weiterschreiten von Verheißung zu Erfüllung; aber auch heute erleben wir Erfüllungen, etwa im Blick auf Israel und die Endzeitereignisse. Zu beachten ist auch das Zusammenwirken von Universalgeschichte und Heilsgeschichte. Universalgeschichte ist die Weltgeschichte, die – auch ohne zunächst auf geistliche Zusammenhänge zu blicken – sich entfaltet. Heilsgeschichte hingegen ist der Aspekt der Geschichte, der sich speziell auf Gottes Wirken mit seinem Volk, seiner Gemeinde und mit einzelnen Menschen bezieht. In Eph. 1,9f. lesen wir:

    Denn Gott hat uns wissen lassen das Geheimnis seines Willens nach seinem Ratschluss (oikonomia), den er zuvor in Christus gefasst hatte, um ihn auszuführen, wenn die Zeit erfüllt wäre, dass alles zusammengefasst würde in Christus, was im Himmel und auf Erden ist.

    Vom Ratschluss, vom Heilsplan Gottes ist die Rede. Gott hat einen Heilsplan, den er ausführen will. Heilsgeschichte hat es also mit einem Heilsplan zu tun. Sie schreitet fort in der Geschichte. Sie hat ein Endziel, verläuft also nicht zyklisch, sondern teleologisch oder finalistisch, auf ein Ende und Ziel hin ausgerichtet. Heilsgeschichte umfasst daher den progressiven (fortschreitenden) offenbarten Plan Gottes zum Heil der Menschheit und die Ausführung dieses Plans in der menschlichen Geschichte mit dem Endziel, Gott zu verherrlichen. Und dieser Heilsplan ist soteriologisch(Lehre vom vollendeten Heil bzw. der Erlösung des Menschen), theozentrisch (Gott im Zentrum habend) und geschichtlich strukturiert: soteriologisch bezüglich des Heils des Menschen und der Menschheit, soweit sie sich retten und rufen lässt; theozentrisch, indem Gott verherrlicht wird als Endziel dieses Heilsplans; und geschichtlich, weil heilsgeschichtliche Ereignisse in der Geschichte geschehen sind. In 1. Mose 12,1-3 finden sich drei andere Aspekte neben soteriologisch, geschichtlich und theozentrisch, nämlich persönlich, national und universal: In Vers 1 geht es um Abram, um den persönlichen Aspekt: Abram soll aus seinem Haus gehen in ein Land, das Gott ihm zeigen will. Der Heilsplan Gottes beginnt mit Abram ganz individuell. Dann heißt es: Ich will dich zum großen Volk machen. Das ist das Volk Israel, das unmittelbar aus den Lenden Abrahams hervorgeht – der nationale Aspekt. Und schließlich wird gesagt: In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden, der universale Aspekt. Wir können sagen, dass es in der Heils- und endgeschichtlichen Entwicklung vier Linien gibt, die parallel auf das Kommen des Herrn zulaufen: die Israellinie, die Gemeindelinie, die Gerichts- oder Verführungslinie und die Missions- oder Evangelisationslinie. Was uns im nachfolgenden interessiert, ist die Israellinie. Sie begann mit der Berufung Abrahams (Gen. 12,1-3). In ihm erwählte sich Gott Israel als Bundesvolk. Im Lauf der Jahrhunderte war jedoch Israel Gott gegenüber immer wieder ungehorsam und hat schließlich Jesus als seinen Messias abgelehnt. Danach wurde ein Teil Israels verstockt, sein Land wurde verwüstet, sein Tempel wurde 70 n. Chr. zerstört und seine Bewohner wurden für fast zwei Jahrtausende in alle Welt zerstreut.

    „Erst im 20. Jahrhundert ist wie durch ein Wunder die lange vorher prophezeite (z.B. in Jes. 11,10ff; 43,5 f.; Hes. 36-39; Sach. 8,7 f.; Dan. 12,7) politische Sammlung Israels erfolgt, wobei seine geistliche Erneuerung größtenteils noch aussteht (Röm. 11,25). In den Endzeit-Ereignissen wird Israel eine bedeutende Rolle spielen (vgl. z.B. Jes. 2,24; Sach. 12 u.14; Dan 9,27; Mi 4,1-8)."

    1.3 Der göttliche Wille und Heilsplan

    Als Gott die Menschen schuf wollte er, dass sie zunächst auf Erden und dann, wenn sie Jesus als ihren Herrn und Heiland angenommen haben, im Himmel mit ihm in Gemeinschaft leben sollten. In 1. Johannes 5,11-12 wird uns das wie folgt berichtet:

    „Und das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn. Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht".

    Die Schrift lehrt auch, dass keine Menge menschlicher Güte, menschlicher Werke, menschlicher Moralität oder religiöser Aktivität die Anerkennung Gottes und den Eintritt in den Himmel erlangen kann. Der moralische Mensch, der religiöse Mensch, ebenso wie der unmoralische und der nicht-religiöse Mensch sitzen alle in demselben Boot. Ihnen fehlt Gottes perfekte Gerechtigkeit. Nachdem der Apostel Paulus den unmoralischen Menschen, den moralischen Menschen und den religiösen Menschen in Römer 1,18-3,8 behandelt, erklärt er, dass sowohl Juden und Griechen der Sünde untertan sind. Paulus schreibt: ,,Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer" (Röm. 3,10). Aber wir dürfen wissen: Gott ist nicht nur perfekte Heiligkeit (eine Heiligkeit, die wir nie durch unsere eigenen gerechten Werke erreichen können), er ist auch perfekte Liebe und voller Güte und Gnade. Aufgrund Seiner Liebe und Seiner Güte hat er uns nicht ohne Hoffnung und ohne eine Antwort gelassen. Das ist die gute Nachricht der Bibel, die Botschaft des Evangeliums. Es ist die Botschaft der Gabe von Gottes einzigem Sohn, der Mensch wurde, ein sündloses Leben führte, für unsere Sünden am Kreuz starb und vom Grab auferstand, um zu zeigen, dass er in Wirklichkeit Gottes Sohn ist, und dass sein Tod als Stellvertreter für uns Gültigkeit erreicht hat. Aufgrund dessen, was Jesus Christus für uns am Kreuz vollbracht hat, sagt die Bibel: ,,Wer den Sohn hat, der hat das Leben"(1. Joh. 5,12). Wir können den Sohn, Jesus Christus, durch einen persönlichen Glauben als unseren Erretter empfangen, indem wir in die Person Christi und in seinen Tod für unsere Sünden Vertrauen haben.

    Gott hat also den Menschen zum Heil geschaffen und bestimmt. Alles „Heil" hat daher den Willen Gottes zum Ausgangspunkt. Wir nennen dies den göttlichen Heilswillen. Und dieser Heilswille enthielt bereits vor Grundlegung der Welt den Plan, dass Gott seinen Sohn geben würde zur Vergebung unserer Schuld. Um diesen Plan durchzuführen wählte Gott die immer fortführende Selbstoffenbarung. Im alten Bund offenbarte er sich Männern wie Noah und Abraham durch persönliche Mitteilung. Dabei ist ganz wichtig, dass Gott sich zuerst dem Volk Israel offenbarte, und zwar durch Mose und Elia. So ist die Heilsgeschichte auch die Geschichte der Offenbarung Gottes an die Menschen. Von Anfang an muss erkannt werden, dass die Geschichte der christlichen Kirche zwar verwandt ist mit der Heilsgeschichte, sie ist aber nicht gleichbedeutend mit ihr. Sie zeigt nur, wie das in der Heilsgeschichte gewordene Heil unter der Einwirkung des Heiligen Geistes von der Kirche verwaltet, ihren Gliedern vermittelt und den Völkern der Erde zugänglich gemacht werden sollte. Obgleich alle Menschen Anteil haben dürfen am Heilsgeschehen Gottes, so gibt es doch einen unübersehbaren Unterschied, den niemand leugnen kann. Jesu Worte in Joh. 4,22 zeigen uns in einem Satz den Unterschied zwischen allen Völkern und Nationen auf der einen Seite und den Juden auf der anderen.

    Ihr wisset nicht, was ihr anbetet. Wir wissen aber, was wir anbeten. DENN DAS HEIL KOMMT VON DEN JUDEN.

    Jesus sagt also gerade heraus: Nur das jüdische Volk kennt Gott und Sein Heil. Andere Völker beten einen ihnen unbekannten Gott an – und sie sind alle Heiden in biblischem Sprachgebrauch, d. h. „Nicht-Juden. Von keinem anderen Volk ist gesagt: Das Heil kommt von ihnen". Dies ist ein Unikat in der Weltgeschichte und muss den Juden eine andere Rolle vor allen anderen Nationen in der Geschichte geben. Die Juden sind anders, weil Gott sie auserwählt hat, sein Demonstrationsvolk und Missionsvolk für die übrigen Völker zu sein. Es ist nämlich auch nicht von irgendeinem anderen Volk gesagt:

    „In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden". (1. Mo. 12,3.)

    Der Apostel Paulus deutet dasselbe an, wenn er sagt:

    Was haben denn die Juden für einen Vorzug? – Sehr viel und auf jegliche Weise. Zum ersten ist ihnen anvertraut, was Gott geredet hat. (Röm. 3,1-3)

    Wir beobachten, dass Jesus und Paulus in diesen Worten von den Juden als Nation sprachen. Nach der scharfen Kritik Jesu an den blinden und korrupten Theologen seiner Zeit hätten wir erwarten können, dass er gesagt hätte: „Das Heil kommt von mir. Oder „von dem echten, geistigen Kern Israels. Es steht aber: „Das Heil kommt von den Juden".⁶ Wie also könnte der lebendige Gott das Volk Israel verwerfen? Eine solche Verwerfung würde zwangsläufig bedeuten, dass auch der Heilsplan Gottes verworfen wäre, weil dieser untrennbar mit dem Volk Israel verbunden ist. Wir wären alle unwiederbringlich verloren, unsere Frömmigkeit wäre nichts nütze.

    Sehet zu, dass euch nicht jemand beraube mittelst der Philosophie und leeren Truges nach menschlicher Überlieferung, nach den Elementen der Welt und nicht nach Christus.

    Kolosser 2,8

    2. Die Substitutionstheorie (Enterbungslehre)

    2.1 Aurelius Augustins religionsphilosophischer Hintergrund

    Das Kirchenverständnis von Augustinus entstand nicht aus dem Nichts. Es ist auch nicht einer persönlichen Abneigung gegen Israel geschuldet. Vielmehr kam Augustinus durch die Erziehung und Ausbildung in seiner Jugend zu diesem fatalen Entschluss, dass das auserwählte Volk Israel von Gott ein für alle Mal verworfen sein würde.

    „Bereits als der Jünger Johannes im Jahr 101 n.Chr. starb, gab es in der jungen christlichen Gemeinde erste Abweichungen vom Wort Gottes. Johannes war übrigens der einzige der 12 Apostel, der eines natürlichen Todes starb."

    Die Religionsphilosophen befleißigten sich bereits, ihr menschliches Verstehen und Wissen über das Erleben und Hören dessen, was Jesus und die Apostel verkündigten, über das Reden und Handeln des lebendigen Gottes zu stellen.

    „So sprach man dem Philosophen Augustinus zunächst ein tiefes Verhältnis zur entstandenen christlichen Kirche ab und ordnete seiner Sichtweise den Makel reiner Vergeistigung zu."

    2.2 Die Darstellung von Augustinus „Bekehrung"

    Augustinus hat uns mehrere Darstellungen seines Bekehrungsweges hinterlassen. Zu wichtig war es ihm, der Welt mitzuteilen, was die große beglückende Wendung seines Lebens geworden war. Augustinus sagt in seinen Bekenntnissen:

    „Im Verlauf des herkömmlichen Studiums stieß ich auf ein Buch eines gewissen Cicero, dessen Sprache im Gegensatz zu seinem Charakter nahezu ausnahmslos bewundert wird. Dieses Buch aber - es trägt den Titel Hortensius - enthält eine Aufforderung zur Philosophie. Es war dieses Buch, das meinen Sinn veränderte, gerade dir, Herr, meine Gebete zukehrte und mein Wünschen und Verlangen anders werden ließ. Plötzlich war all meine eitle Erwartung für mich ohne Wert, und mit unglaublicher Inbrunst begehrte ich nach der unsterblichen Weisheit; ich begann mich aufzurichten und zu dir zurückzukehren. Cicero Hortensius bekehrte Augustinus also zunächst einmal zur Philosophie, zur Suche nach der Weisheit. ⁹ Er sagt weiter:

    „So studierte ich damals, in meiner leicht verführbaren Jugend, die Lehrbücher der Beredsamkeit, in der ich glänzen wollte, verlockt von dem tadelnswerten und verwerflichen Ziele, menschlicher Eitelkeit zu frönen. Dieses Buch gab meiner ganzen Sinnesart eine andere Richtung, lenkte meine Gebete hin zu dir, o Herr, und änderte meines Wünschens und Sehnens Inhalt. Plötzlich sanken mir alle eitlen Hoffnungen in nichts zusammen; mit unglaublicher innerer Glut verlangte ich nach unsterblicher Weisheit, und schon begann ich mich zu erheben, um zu dir zurückzukehren. Nicht um auf Kosten meiner Mutter meine Gewandtheit im Stile zu schärfen - ich war neunzehn Jahre alt, der Vater mir vor zwei Jahren gestorben -, also nicht um meine Sprachfertigkeit zu vervollkommnen, las ich immer und immer dieses Buch; nicht seine Form, sondern sein Inhalt fesselte mich derartig".¹⁰

    Aus dem Buch Hortensius entwickelte Augustinus zunächst den manichäischen Rationalismus. In der „Confessiones" findet sich die Erzählung seiner Bekehrung. Hier findet sich das Material, um den inneren Vorgang auf dem Weg Augustins zum Christen tum und zur Kirche sichtbar werden zu lassen. Sein innerer Sinngehalt war die Bekehrung zur konkreten Ecclesia (Gemeinde). Er erklärt: „Ich fing an aufzuwachen und meinte, die Weisheit als Ziel des Lebens zu verstehen". ¹¹ Allerdings führte die weltliche Philosophie zu erheblichen Verständnisschwierigkeiten. So verstand er den Begriff der geistlichen Substanz nicht, ebenso das Problem des Bösen und die Inhalte der alttestamentlichen Schriften in denen er eine seiner gereinigten philosophischen Begriffen zuwiderlaufende „anthropomorphistische" ¹² Gottesauffassung zu finden meinte. Er sah darin eine mit seinem Weisheitsideal nicht verträgliche moralische Haltung. Sein eigentlich umstürzendes „Bekehrungserlebnis" aber war seine Begegnung mit dem Neuplatonismus, von dem er meinte, dies hätte ihm die geistige Substanz vermittelt, die ihm die Schau zum göttlichen Licht selbst, zum Genuss der göttlichen Speise, führen würde. „Das „Deus erat verbum (Übers. Das Wort ward Gott) fand Augustinus nach eigener Aussage in den platonischen Schriften.¹³ So ist das Ziel seiner Bekehrung tatsächlich die vollendete reine Philosophie. Dennoch bleibt Augustinus nicht bei den Platonikern stehen, sondern er greift zur Heiligen Schrift. Als Grund dafür gibt er an, dass seine Mutter, die tief im christlichen Glauben stand, ihn lehrte, dass eine Weisheit ohne Christus keine vollendete Weisheit sein konnte. Allerdings befand sich Augustinus immer wieder in dem „hermeneutischen"¹⁴ Konflikt, dass der höchsten philosophischen Reinheit nun die alleinige religiöse Verehrung zukommen sollte. „Bekehrung" bedeutete letztlich für Augustinus, dass durch Zusammenfallen von Metaphysik und Religion das Antlitz des lebendigen Gottes gezeichnet werden könne.

    Der Neuplatonismus wurde als Beleg gewertet, dass man zur Schau der wahren Wirklichkeit nur gelangen könne, indem man zuvor einen Reinigungsprozess durchlaufe, der die Schlacken der Sinnenwelt abstreift und stufenweise höher führt, in die wahre Wirklichkeit hinein. Und dieses Privileg gehöre den Philosophen."

    2.3 „Der Manichäismus"

    ¹⁵

    „Der Manichäismus, eine vom Perser Mani (gest. 276 n. Chr.) gegründete synkretistische Religion, in der Elemente des Buddhismus, des Zoroastrismus und des Christentums zusammengefasst sind, war eines der einflussreichsten Systeme gnostischer Prägung. Noch bis zum 5. Jahrhundert auf dem Gebiet des ehemaligen Römischen Reiches als eine der stärksten Konkurrenten des Christentums existent, war auch der Kirchenvater Augustinus (354-430) selbst in jungen Jahren Anhänger dieser Religion gewesen."¹⁶

    Die manichäische Mythologie geht davon aus, dass die ewig getrennt nebeneinander existierenden Prinzipien Gut (Licht) und Böse (Finsternis oder Hyle (griechisch: Materie)), ausgelöst durch den Neid der Finsternis, in einen Kampf miteinander treten. Dabei wird durch ihren Konflikt ein mehrstufiger, komplexer und mit großer Symbolik beschriebener Prozess der Weltentstehung ausgelöst, in dem beide Prinzipien vermischt vorkommen. Die Welt ist ein Gebilde aus dämonischen Bestandteilen und den „Lichtfunken, deren Wiederaufstieg zur himmlischen Heimat das Böse verhindern will. „Der Gläubige muss durch Erkenntnis des Urgrundes seiner Seele, ihrer Herkunft vom Lichtgott her, die ihm durch einen Erlösergeist (den „Glanz-Jesus) vermittelt wird, aus der materiellen Welt befreit werden, damit beide Prinzipien wieder auf ewig voneinander geschieden wären."¹⁷

    Wichtigster Aspekt der Lehre ist die dualistische Teilung des Universums in die Reiche des Guten und des Bösen. Der Weg zur Erlösung führt über die Erkenntnis des Lichtreiches, die Propheten wie Buddha, Jesus und - in letzter Instanz - Mani vermitteln. Mit diesem Wissen vermag die menschliche Seele die Begierden zu überwinden und ins Reich Gottes emporzusteigen. Die Manichäer teilten sich selbst in zwei Klassen, die dem Grad ihrer spirituellen Entwicklung entsprachen. Die Auserwählten lebten streng zölibatär und vegetarisch, sie tranken keinen Alkohol, arbeiteten nicht und widmeten sich ausschließlich dem Gebet; Laien erreichten diese Stufe der Vollkommenheit nicht. „In den Jahrhunderten nach Manis Tod verbreitete sich seine Lehre auch im Römischen Reich, vor allem in Nordafrika. Augustinus hing dem Manichäismus neun Jahre lang an, bevor er sich dem Christentum zuwandte."¹⁸

    2.4 Von der Zwei–Welten Lehre zum Neuplatonismus

    Nach dem Zusammenbruch der manichäischen Überzeugung von Augustinus bekam er grundsätzliche akademische Zweifel. Das tiefe Wissen um seine eigenen Irrgänge und dem Bewusstsein, auch nach dem großen Erleuchtungserlebnis keineswegs im Besitz der Wahrheit zu sein, vollzog sich in ihm eine entscheidende Wendung, dem grundsätzlichen Zweifel an die Akademiker. Denn diese vertraten die Meinung, dass es sowohl Weise gäbe, zugleich aber behaupteten sie: Niemanden gibt es, der etwas weiß. Die Auffassung von Augustinus dagegen war: „Wenn es Weise gibt, dann wissen sie auch etwas, nämlich die Weisheit, deren Besitz sie ja gerade weise macht. Das Problem dabei war nur die quälende Frage: Gibt es nun wirklich Menschen, die weise sind?"¹⁹ Von nun an war das Denken Augustins zweigeteilt. Einerseits betrachtete er nun zunächst das abstrakte Problem, um erst anschließend die Tatsachenfrage zu stellen. Und er kam zu dem Ergebnis: Die abstrakte Forderung und die konkrete Wirklichkeit sind im Widerspruch zueinander! Folglich ordnete er den abstrakten Denkvorgang des Menschen als unanfechtbar ein, und der Fehler liegt im konkreten Menschen. An diesem Punkt müsse die Philosophie scheitern, die Hilfe müsse woanders herkommen, die er nun in der Religion sah. „Um zur Weisheit, zu echtem Wissen, um in die Wahrheit zu kommen, müsse sich der Mensch also von Gott auf den Weg des heilenden Glaubens führen lassen. Darin sah er den Widerspruch gerechtfertigt und zugleich gelöst: Es gibt Weisheit, die echte Einsicht vermittelt, und zugleich gibt es diese Einsicht nur über die Demut des Glaubens. Damit war aber die Auseinandersetzung mit den Akademikern nicht beendet. Er gibt diesen in einem tieferen Sinn sogar Recht. Erklärbar ist dies nur durch die Formulierung von Augustins Lehre von den zwei Welten.²⁰ Im Manichäismus sah Augustinus nur die eine Welt konkreter Greifbarkeit, nun aber durchquert sein Denken der Unterschied von Gut und Böse, Licht und Finsternis, Gott und Teufel etc. Er beschäftigte sich mit der Lektüre der Neuplatoniker, und so öffnete sich für ihn ein ganz neues Bild. Die ganze Welt stellte plötzlich nur die eine Hälfte der Wahrheit dar, sie war letztlich nicht mehr als der schwache Abglanz einer anderen Welt der wahren Wirklichkeit, die ungreifbar für unsere Sinne, aber lebendige Gegenwart in unserem Geist sei. Ein wahrer Enthusiasmus entstand, als Augustin den „neuplatonistischen Dualismus²¹ als „Wahrheit entdeckte, den er nun mehr und mehr in den biblischen Dualismus umformte. Im Denken von Augustinus vollzog sich ein religiöser Anstrich, der letztlich wieder nur auf das menschliche Denken zurückzuführen war, während Geistliches geistlich verstanden werden muss. So ist auch religiöse Philosophie (Übers. Liebe zur Weisheit) nicht mehr als das, was das menschliche Denken erfassen kann. Die Folge des von Augustinus festgestellten Dualismus war nun, dass sich das Gewicht des Bösen einseitig auf die Seite des Leiblichen verlagerte, während das Gute im Geistlichen angesiedelt wurde. „In diesem Wandel zeigt sich der Weg Augustins, der nun zu einem immer mehr historischen Verständnis des Christentums führte. Die konkret historische Gestalt des Christlichen ist aber nichts anderes als – die Kirche.²² Augustinus begann nun sein Denken dahingehend auszuweiten, dass er den Gegensatz des Metaphysischen (Übernatürlichen) ins das Historische (vergangenes Geschehen) zu übertragen versuchte. Er schreibt nun sein Hauptwerk, das zweiundzwanzig Bände umfasst und den Titel „Civitas dei (lat. Der Gottesstaat) trägt. „In diesem wahrlich monströsen Werk versucht Augustinus zu begründen, wie die in der Gnade Gottes stehende Gemeinschaft (Kirche), die in der Liebe zu Gott begründet und zum Heil prädestiniert ist, dem „Civitas terrena (dem Erdenstaat), also der Gemeinschaft derjenigen gegenüberzustellen ist, die in Selbstliebe befangen, von Gott abgewandt leben. ²³ In genau dieser Auseinandersetzung kommt er schließlich zu dem Urteil, dass er das „Regnum Christi" (das Reich Gottes) in der Kirche erblickt.

    In einer überlieferten Schrift Augustins, die einen Dialog zwischen ihm und seinem Sohn Adeodatus enthält und den Titel „De Magistro (lat. Der Meister) hat, erklärt er nun, dass die philosophischen Begriffe „sensibile (sinnvoll) und „integillibile(verständlich) den Formulierungen aus der Heiligen Schrift „carnale (fleischlich) und „spirituale (geistlich) gleichzusetzen seien. „Fleischlich zu sein bedeutet in diesem Zusammenhang, sich selbst zu leben, während der geistliche Mensch sich auf Gottes Wort hin ausrichtet. Aus dieser Einsicht stellt er nun geschichtliche Heilszustände gegeneinander. Damit ist der Manichäismus pass`e und Augustinus hat sich zum Neuplatoniker entwickelt. Je mehr ihm nun die Übertragung von Gegensätzen gelingt, umso mehr gelingt für ihn die Annäherung an das Weltverständnis der Bibel.²⁴

    Für Augustinus entstehen nun in seiner Zwei – Reiche – Lehre neue Bedenken, die geprägt sind vom Skeptizismus (Zweifel). Denn der Zweifel ist unter den Platonikern zuhause. Die menschlich – philosophische Denkweise ließ plötzlich nicht mehr zu, dass es erträglich sein solle, dass die Erde unter den Sünden gebeugt und die Menschen fleischlich gesinnt waren. Dadurch entstand die These von der Schatten- und Bildwelt unseres täglichen Daseins, die keine Wahrheit, sondern nur Wahrscheinlichkeit und kein Wissen, sondern nur Meinungen zulässt. Insofern bestanden nun wieder die Argumente der Akademiker zu Recht, welche die Funktion innehatten, eine allzu tiefe Sicherheit in der diesseitigen Welt anzufechten und zugleich ihr „heilig gehütetes Wissen um die jenseitige Wirklichkeit zu erhalten. Die Wahrheit wurde gekennzeichnet als „Mysterium, sie blieb also verhüllt und damit unzugänglich für die Vielzahl der Menschen. Das war die derzeit große Aufgabe, die von den Philosophen zu erfüllen war. Nur, das nützte niemandem. Augustinus wird sich später korrigieren, denn mit der Tatsache des Skeptizismus wurde eine Unheilssituation umrissen, die aus sich heraus das christliche Glaubensheil fordert. Indem Augustinus das Problem der Akademiker begreift, das darin besteht, dass er die tiefe Hilflosigkeit des suchenden Menschen sieht, erkennt er, dass allein die Unterwerfung unter die führende Hand Gottes den Menschen vorwärts bringen kann. Damit wird für ihn die ganze Niedrigkeit des Glaubens sichtbar. Aber wozu dies alles? Augustinus erkennt: Es gibt für Gott keinen anderen Weg zur Errettung des Menschen. Denn der Mensch ist nirgendwo anders anzutreffen als in der völligen Verlorenheit. Gott kann ihn nur finden, indem er ihm bis in die Tiefen seiner Schwachheit nachgeht. Der Weckruf zu den Menschen lautete nun folgerichtig: Der rechte Weg kann nur so gefunden werden, dass man sich der Autorität Gottes anvertrauen muss, weil auf die eigene Vernunft kein Verlass ist.

    „Wir sehen also, der menschliche Verstand, der durch die Philosophie versucht zu erklären, was den Menschen in Herkunft und Zukunft ausmacht, ist immerhin imstande, Teilwahrheiten aufzuspüren. Damals wie heute liegt allerdings das Problem in der Umsetzung. Dieselbe menschliche Denkfähigkeit, die uns eben noch den Blick für die Wahrheit ermöglichte, erweist sich bereits einen Augenblick später als Hindernis zum Heil, das aus den Juden kommt und das in Jesus Christus ewige Gültigkeit hat. Denn anstatt sich in Demut vor dem lebendigen Gott zu beugen und das Erlösungswerk von Golgatha, gewirkt durch Jesus Christus, dankbar anzunehmen, verleitet die philosophische Bildung Augustinus in einen fatalen Irrtum, der ihn dahin bringt, das Bild „einer mütterlichen Kirche zu entwickeln, in der allein die Autorität Christi lebendige Gegenwart bleibt.²⁵ Seine nun aufkeimende Liebe zur „Mutter Kirche" ist auf sein Verständnis seines ausschließlichen Autoritätsgedankens zurückzuführen, nachdem er die Erlösungsfähigkeit als Alleinstellungsmerkmal der Kirche zuschreibt, die aus seiner Sicht katholisch ist. Diese grandios falsche Erkenntnis, die mit der Erlösungsordnung im Wort Gottes nichts gemein hat, wendet den Blick weg vom Lamm, das die Sünden der Welt getragen hat, hin zu einer menschlich erdachten Kirche, ohne die das Heil nicht zu erlangen ist. Damit ist der Eckpfeiler gesetzt, der schließlich im Jahr 420n.Chr. zur Dogmatisierung der Substitution führt, die das Heil von den Juden hin zur katholischen Kirche manifestiert.

    2.5 Augustins Verständnis vom „Haus Gottes"

    Schon in den Frühschriften verwendet Augustinus den Begriff „Haus Gottes für das konkrete Gebäude der Kirche. Bedeutend ist, dass er in diesem Zusammenhang zugleich die Frage nach einem „Gebetswort stellt und damit die Frage nach dem kultischen Tun im Gottesdienst. Das Gespräch mit Gott bedingt in seiner Vorstellung engste Verbindung mit dem sichtbaren Kirchenraum als Vollzugsstätte. In der Kirche oder wie man es damals nannte im Tempel, wurde das Opfer der Gerechtigkeit dargebracht, dort sollte das Gebet geschehen. Der Sinn des Kirchenkultes lag also darin, die Menschen zur inneren Gottesverehrung hinzuführen. Aber der Kult war nur der eine Gehalt des Tempelgedankens. Damit verbunden war zugleich der Gedanke der Einwohnung Gottes. Wo der Tempel ist, da ist die Gegenwart Gottes. Augustinus verstand dies allerdings lediglich als geistige Innewohnung im Menschen. Das war für ihn der Gedanke, dass Gott als Raumgegenwart zu erfassen wäre. Immerhin hatte er aber begriffen: Gott wohnt durch den Glauben in uns, der sichtbaren Gemeinde. Nun tun sich aber zwei weitere Fragen auf: Wie verhält es sich mit den Bedeutungen von „Dilectio (Liebe) und „Unitas (Einheit)? Augustinus nimmt eine Parallelisierung des Liebesgebotes vor, indem er festlegt, dass allein die Liebe zu Gott gefordert wird, die für ihn das höchste Gut war. „Das Wort von Jesus, das die Gottes- und Nächstenliebe miteinander verbindet, wird nicht zu Ende gedacht. Die Liebe hat im Vollendungsbereich der menschlichen Gemeinschaft ihre Geltung verloren, denn Augustinus sieht ausschließlich die rein ideale Beziehung von Gott und Seele. Von einer Gemeinschaft der Heiligen ist noch keine Rede."²⁶ Daraus ergibt sich aber nun die Frage nach der Einheit der Christen. Hier kommt ihm wieder Platons Philosophie zu Hilfe, auf deren Grundlage Augustinus das Problem aufgreift. Es musste ein Überstieg von der Gedankenwelt in den Raum der Realität stattfinden. Er ordnet also die Einheit allein dem Sein der menschlichen Seele zu. Als Mitte der Seele sieht er die „Ratio, der er sowohl das Verknüpfen wie das Unterscheiden zuordnet. Aufgrund der Verderbtheit des Menschen erkennt er nun: Die Seele braucht Reinigung. Diese Reinigung sieht er allerdings als „Prozess der Logik des inneren Menschen, der begreift, dass etwas von außen an ihm haftet und doch nicht ursprünglich zu ihm gehört. Hier muss nun ein Widerspruch aufgelöst werden. Wie kann der Mensch einerseits „ratio sein, als immer unvergänglich, und andererseits der Vergänglichkeit, also dem Tod unterworfen? Die Antwort sieht er darin, dass er die Sterblichkeit als Uneigentlich versteht und der Reinigungsprozess die Aufgabe hat, den Menschen vom Sterblichen zu lösen und zum Unsterblichen zu führen. Die philosophische Auffassung Augustins bestand nun darin, dass alle Dinge einer Form von Einheit bedürfen. „Damit ein Stein Stein ist, sind alle seine Teile ebenso wie seine ganze Natur in eins gefügt. Was geschieht mit einem Baum, wenn er aufhört, eins zu sein? Wie ist es mit den Gliedern, Eingeweiden und sonstigen Bestandteilen eines Tieres? „Es bestand kein Zweifel: Wenn die Einheit zerrissen wird, dann ist es mit dem Tier zu Ende. Das Prinzip der Einheit durchzieht also alle Stufen der Ratio als eine geheime Kraft, die alles trägt. Endlich greift sie dann in den Raum der menschlichen Gemeinschaft und der menschlichen Liebe, deren inneren Sinn er als letztes Ziel versteht. Sie wird zum tragenden Grund allen menschlichen Zusammenseins von Menschen überhaupt.²⁷

    Damit ist der zweite Baustein gelegt, der klarstellt, dass durch Ungehorsam und Gottesmord die Einheit gebrochen und damit gestorben ist. Aus diesen Gedankengebäuden wird Augustinus schließlich die endgültige Verwerfung Israels (Substitution) schließen, denn zerstörte Einheit bringt den ewigen Tod.

    2.6. Der Einfluss der afrikanischen Kirche

    „Im Jahr 391 n.Chr. entstand für Augustinus eine völlig neue Lage. Inzwischen war er zum katholischen Priester geweiht und er kam in den Konflikt, dass er bemerkte, noch nie in dieser Kirchlichkeit gestanden zu haben. Bisher hatte ihn nach der gegenständlichen Seite hin nur die allgemeingültige, geschichtslose Wahrheit der Philosophie beschäftigt. Das Wort der Offenbarung verstand er als rein formale Bedeutung der Heilungsmacht für den sündigen Menschen."²⁸ Nun aber plötzlich sah er sich mit den Inhalten der Offenbarung in ihrer Eigenbedeutung konfrontiert. Dadurch bekam er zunächst ein völlig neues Verständnis von der Heiligen Schrift. Gleichzeitig sah er sich in eine be reits festgefügte kirchliche Tradition eingebunden, die dem Verständnis der Schrift bereits eine feste Richtung vorschrieb. Er sah sich zur Auseinandersetzung mit der Tradition gezwungen. Daher wies er auf die „donatistische²⁹ Gefahr der afrikanischen Kirche hin. „Optatus von Mileve³⁰, „Cyprian³¹ und „Tertullian³² waren seine Lehrer im Theologiestudium, durch die er entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung seines Kirchenbildes gewann. Ich gehe daher im Folgenden auf die Grundaussagen dieser Lehrer ein.

    2.6.1 Der Kirchenbegriff Tertullians

    Tertullian war der erste große bekannte Apologet. Er wurde um 160n.Chr. in Karthago, dem heutigen Vorort von Tunis in Tunesien geboren und starb 220n.Chr. auch dort. Er verfasste zahlreiche Schriften zur Verbreitung und Verteidigung des Christentums, dabei bekämpfte er das Heidentum ebenso wie die Gnosis. Zudem vertrat er einen rigorosen ethischen Standpunkt und setzte sich für strenge Kirchendisziplin ein. Tertullian übte nachhaltigen Einfluss auf die späteren Kirchenlenker aus, insbesondere auf Cyprianus. Viele seiner Werke wurden in die Sammlung der Schriften der Kirchenväter aufgenommen. Mehr als 30 seiner Werke sind erhalten geblieben. Das bedeutendste, „Apologeticus, schrieb er um 197 n. Chr. Tertullian war der erste Lehrer der Kirche, der auf Lateinisch schrieb. Seine Begriffe prägten die Kirchensprache, so das von ihm eingeführte Wort „trinitas für die Dreieinigkeit Gottes. Als erster formulierte er eine Theologie, die prägend für die Auffassungen der Frühkirche wurde. Er äußerte sich zu den Sakramenten und zum Wesen der Trinität. Da ihm keine Vorbilder zur Verfügung standen, entwickelte er eine Terminologie, die er aus vielen Quellen ableitete, insbesondere aus dem Griechischen und der römischen Rechtssprache. „Oft zitiert ist die berühmte Formel „credo, quia absurdum (est) („Ich glaube, weil es absurd ist). Tatsächlich formulierte Tertullian im „Liber de carne Christi(„Buch über die Fleischwerdung Christi) noch schärfer: „crucifixus est dei filius … et mortuus est dei filius; prorsus credibile est, quia ineptum est et sepultus resurrexit; vertum est, guia impossibile est. („Gottes Sohn ist gekreuzigt … Und sterblich ist Gottes Sohn; völlig glaubhaft ist das, weil es unpassend (abgeschmackt, töricht) ist. Und der Leichnam ist auferstanden; das ist wahr, weil es unmöglich ist.)³³

    Mit gewaltigem Pathos schreibt Tertullian in seinem „montanistischen"³⁴ Werk über die Schamhaftigkeit wider die Sünde der Unzucht. Diese Sünde verstand er dahingehend, dass sie mitten in das eigene Selbst hinein traf, und er formulierte, sie sei ein Angriff auf ein Vorbehaltsgut Gottes, denn Gott gehört der Leib. „Der Leib des Menschen trägt das Bild Gottes, er ist die Gottesebenbildlichkeit, von der die ersten Blätter der Schrift reden. Mit dieser Erkenntnis weist Tertullian als afrikanischer Denker der frühen Kirche auf den hin, der Gott ist und zugleich Mensch wurde. Was in der Schöpfung im Lehmgebilde Ausdruck fand, war der Gedanke an den Christus, der da Mensch werden sollte: Lehm und Fleisch, Wort Gottes – einstmals Erdenstaub."³⁵ So stand Jesus, der Christus bei Tertullian im Blickfeld der Schöpfungsordnung, die er mit der Erlösungs- und Heilsordnung verknüpfte. Für ihn war klar: Wenn der Menschenleib mit Christi Leib in gleicher Gestalt ist, dann kann der Gott, der im Bild Christi sein eigenes Abbild erkennt und anerkennt, nicht ein Feind Christi, sondern nur der Gott Jesu Christi selber sein. Und nun richtet er die Frage an die Gnostiker: Wenn das Böse nicht real – seiend ist, was ist es dann? Sofort gibt er die Antwort: Es gibt nicht ein Fleisch der Sünde, sondern die Sünde des Fleisches. Nicht die Materie ist Sünde, sondern die Natur. In dieser Aussage birgt sich die ganze Theologie der Heilsgeschichte, die sich später als Theologie der Kirche erweist. Weil aber, wie unsere vorhergehenden Philosophen, auch Tertullian Theologisches und Philosophisches miteinander vermischt, kommt er nun zu Schlussfolgerungen, die noch heute Praxis der katholischen Kirche sind, z.B. die Heilsnotwenigkeit der Taufe (Taufwiedergeburtslehre), der Eucharistie

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