Evangelien vom Sonntag: Auslegungen für die Woche - Band 2
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Über dieses E-Book
Neben den Auslegungen ist wiederum das betreffende Evangelium des Sonntags aufgeführt.
Die Auslegungen ziehen den Text in die Gegenwart. Sie sprechen keine Helden des Glaubens an, sondern sind für Menschen gedacht, die mit ihren Zweifeln und Nöten ihren Alltag nicht nur im Geist Jesu Christi ertragen, sondern aus seinem Geist heraus, in Freude und Zuversicht, gestalten wollen.
Die Auslegungen eignen sich für eine Abendreflexion, wie für eine meditative Pause, mitten im Alltag.
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Buchvorschau
Evangelien vom Sonntag - Ferdinand Rohrhirsch
Der Advent
Das Evangelium nach Lukas 3,1-6
¹Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius; Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa, Herodes Tetrarch von Galiläa, sein Bruder Philippus Tetrarch von Ituräa und Trachonitis, Lysanias Tetrarch von Abilene; ²Hohepriester waren Hannas und Kajaphas. Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias.
³Und er zog in die Gegend am Jordan und verkündigte dort überall Umkehr und Taufe zur Vergebung der Sünden. ⁴(So erfüllte sich‚) was im Buch der Reden des Propheten Jesaja steht:
Eine Stimme ruft in der Wüste:
Bereitet dem Herrn den Weg!
Ebnet ihm die Straßen!
⁵Jede Schlucht soll aufgefüllt werden,
jeder Berg und Hügel sich senken.
Was krumm ist, soll gerade werden,
was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden.
⁶Und alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt.
O Heiland, reiß die Himmel auf
Liebe Brüder und Schwestern!
Unsere Orgel hilft uns beim Singen, sie verhilft zum Stimmen und Klingen unserer Stimmen. Unsere Stimmen werden durch ihre Hilfe gerundet und vereint. Laut, gar durchdringend, werden unsere Stimmen dadurch nicht.
Wir, als Gemeinde von St. Josef, bleiben eine kleine, im Ablauf der Weltgeschichte unbedeutende Veranstaltung, abseits der Metropolen, in mehrfacher Weise in der Diaspora, gelegen.
Wer etwas zu sagen hat oder meint, etwas sagen zu müssen, der geht nach Berlin oder London, nach New York oder Brüssel oder in eine andere Metropole der Welt.
Dort ist man am Puls der Zeit, am Nabel der Welt, wo Politiker, Ökonomen, Medienleute, Trendforscher und Prominente den Lauf der Zeiten bestimmen und sagen, was man heute anzuziehen und zu denken hat und wie die Welt vorangebracht werden kann.
Esslingen, und damit auch St. Josef, sind da ganz weit weg.
Wir sind auch weit weg von Rom. Dort regiert seit kurzer Zeit Romano Prodi, vor ihm war der Medienzar Berlusconi am Ruder und ein wenig früher Kaiser Tiberius (14-37 n. Chr.)
Kaiser Tiberus hat, wie seine Nachfolger, mit der Expansion des Römischen Reiches zu tun, mit Feldzügen und der Niederschlagung von Aufständen.
Ganz weit weg von Rom, an der östlichsten Ecke dieses römischen Riesenreiches wandert ein scheinbar Verrückter durch die Gegend. Er wandert durch die Wüste und ruft zum gelingenden Leben auf.
Zu einem Leben,
Da ruft einer auf, zum glücklichen, heilbringenden Leben aller Menschen, weil, so verkündet er, „Gott sein Heil uns senden wird in der Gestalt eines Messias".
Und die Wichtigen in Jerusalem, und erst recht die in Rom, kennen diesen Johannes überhaupt nicht. Hätten sie Kunde von ihm, dann würden sie vermutlich laut lachen bzw. den Kopf schütteln über diesen Gutmenschen, diesen Romantiker, diesen Naivling.
Denn im richtigen Leben geht es um Expansion, um die Schaffung von Imperien und Reichen. Und da muss man eben in Kauf nehmen, dass manch Reiche noch reicher und die vielen Armen noch ärmer werden.
Geändert hat sich nichts: Expansion heißt heute Wachstum, bzw. Vergrößerung von Marktanteilen, und reicher werden heißt: Optimierung der Wertschöpfungskette.
Und der Verrückte aus der Wüste Juda sagt zu den Leuten, die fragen, was man denn tun soll, durch und durch Normales, ganz und gar nichts Absonderliches:
Dennoch, so einer stört dann irgendwann doch. Sein Ende kennen wir. Ist es nicht verwunderlich, dass seine abseitige und unzeitgemäße Rede immer noch gehört, gelesen und studiert wird?
Mehr als ein Jahrtausend nach Johannes, ist die Welt noch ein wenig unübersichtlicher geworden. Nicht nur die Armen klagen – wie immer – und die Wohlhabenden schauen – wie üblich –, wie sie noch wohlhabender werden, sondern, und das ist nun neu: Die Botschaft vom Reich Gottes wird zum Politikum. Die Botschaft Jesu wird zur Machtsteigerung und zum Machterhalt eingesetzt. Der konfessionelle Glaube wird zum Grund, andere zu verfolgen oder zu töten, weil sie Protestanten oder Katholiken sind.
1621 finanzieren die Niederlande, England und Dänemark protestantische Armeen. Diese sollen gegen die katholischen kaiserlichen Heere zu Felde ziehen.
1622 kommt es zum spanischen Feldzug gegen die Niederlande, der Hexenwahn ist auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung. Wie ein Feuer, das alle Vernunft verbrennt, breitete er sich aus und erfasst alle Schichten der Bevölkerung. Auch theologische Fakultäten und juristische Gremien waren willfährige Helfer.
Einem jungen Geistlichen, der die Prozesse begleitete und die Methoden erlebte, unter denen Menschen alles gestanden, was man ihnen unterstellte, wurde immer schmerzlicher bewusst, dass die Beweisführung dieser Prozesse mehr als zweifelhaft war. Denunziationen sind Tür und Tor geöffnet. Anklagen aus bloßer Vermutung, aus Neid oder Habgier waren an der Tagesordnung. Und wer der Folter widerstand, war dazu nur in der Lage, weil er unter dem Schutz dunkler Mächte stand – und ist somit schuldig. Und wer der Folter nicht widerstand der hatte ja durch sein Geständnis bewiesen, dass er schuldig ist.
Wer einmal in den Fängen der Inquisition war, das erkannte der junge Theologe schmerzlich, der kann ihr überhaupt nicht mehr entkommen.
So wird er wohl wieder einmal in seine Stube geflüchtet sein, die Kämpfe der christlichen Parteien im Auge, die Schreie und das Stöhnen der Gequälten im Ohr, aufgebracht und erregt über das, was er – gerade im Namen des Herrn – an Unheil, an Schmerz, an Leiden und Tod heute und so viele Tage vorher mitbekommen hatte.
Und weil seine Stimme nicht nur leise ist, sondern auch weit weg ist von den Zentren der Macht, reißt er in seiner Hilflosigkeit die Schreibfeder aus dem Tintenfass und ruft mehr zu Gott als dass er schreibt:
„Wo bleibst du Trost der ganzen Welt?
Darauf sie all ihr Hoffnung stellt.
Hier leiden wir die größte Not.
Vor Augen steht der ewge Tod."
Und dann, in zwei Sätzen und einem nicht mehr zu vergessenden Bild, fasst er die Summe seiner Gedanken, seines Flehens, seines Glaubens und Bittens zusammen, und formuliert das, was „Advent" eigentlich und wesentlich bedeutet.
„O Heiland reiß die Himmel auf,
herab herab vom Himmel lauf.
Reiß ab vom Himmel Tor und Tür,
reiß ab wo Schloss und Riegel für."
(Gotteslob, Nr. 231).
Die Adventsansage des Johannes, sein Aufruf zur Umkehr wie auch das Adventsflehen des Friedrich von Spee haben so gar nichts Romantisches an sich.
Sie sind im Grunde ein hoffendes Erwarten. Ein Erwarten, das nicht davon ausgeht, dass die Welt und ihre Gesetze anders werden, sondern dass wir – in aller Not und Angst, in unserem Suchen nach Halt und Orientierung – uns nicht vom Lauten, Schnellen und vermeintlich Erfolgreichen irremachen lassen sollen.
Dass wir auf der Seite der Verrückten bleiben, die im vermeintlich Ohnmächtigen, im Stillen, im Glanz der Sterne sich den Weg weisen lassen, der jenseits des Erfolges oder Misserfolges liegt.
Dass wir uns an die Zusage desjenigen halten, der den Weg, den Gott mit uns vorhat, schon gegangen ist und es sich an ihm gezeigt hat, dass Gott niemanden fallen lässt und verloren gibt, dass er die Seinigen nicht hängen und nicht liegen lässt, an keinem Kreuz und in keinem Grab.
Durch alle Dunkelheit unseres Lebens hindurch, dürfen wir auf dies endgültige Aufreißen des Himmels begründet hoffen, mehr noch, die Ankunft dieses Reiches jetzt schon feiern.
Unsere Messfeier überragt nicht den Lärm der Welt, unsere Eucharistie vollzieht sich nicht mit lautem Getöse.
Wohl aber mit fester Stimme und mit der Unterstützung unserer Orgel, die das Licht der Zuversicht übersetzt, in den Klang und die Gestimmtheit eines glaubenden Erwartens jener endgültigen Ankunft, von der Lukas, Johannes und Jesaja heute im Evangelium sagen:
„Und alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt."
Amen.
Das Evangelium nach Lukas 3,10-18
¹⁰Da fragten ihn [Johannes] die Leute: Was sollen wir also tun?
¹¹Er antwortete ihnen: Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso.
¹²Es kamen auch Zöllner zu ihm, um sich taufen zu lassen, und fragten: Meister, was sollen wir tun?
¹³Er sagte zu ihnen: Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist.
¹⁴Auch Soldaten fragten ihn: Was sollen denn wir tun? Und er sagte zu ihnen: Misshandelt niemand, erpresst niemand, begnügt euch mit eurem Sold!
¹⁵Das Volk war voll Erwartung und alle überlegten im Stillen, ob Johannes nicht vielleicht selbst der Messias sei.
¹⁶Doch Johannes gab ihnen allen zur Antwort: Ich taufe euch nur mit Wasser. Es kommt aber einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen.
¹⁷Schon hält er die Schaufel in der Hand, um die Spreu vom Weizen zu trennen und den Weizen in seine Scheune zu bringen; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen.
¹⁸Mit diesen und vielen anderen Worten ermahnte er das Volk in seiner Predigt.
Advent und Wüste – Zeit und Ort der Besinnung, nicht der Besinnlichkeit
Liebe Brüder und Schwestern!
Wie jedes Jahr zu dieser Zeit sind sonderbare Vorgänge zu beobachten. Sie kommen auch tagsüber, aber vorwiegend in Zeiten der Dämmerung und der Dunkelheit. Selten kommen sie alleine. Zumeist bringen sie Verwandte und Bekannte mit. Aus allen Richtungen nähern sie sich der Stadt. Widerstand ist zwecklos. Die Besinnlichkeitspilger sind wieder unterwegs.
In Bussen und Bahnen wallfahren sie zu den Weihnachtsmärkten im Land, darunter auch nach Esslingen, zum hiesigen Weichnachts- und Mittelaltermarkt.
Und, auch wie jedes Jahr, wird dieser lärmende, schreiende, aufgeregte und aufgesetzte Besinnlichkeitswahn von der Adventsliturgie konsequent ignoriert und außen vor gelassen.
Nichts ist bei uns da, als im Grunde Dunkelheit und Dämmerung, die heute von drei Kerzen durchbrochen werden. Weitausreichendes Dunkel hier, ist gar nicht so weit entfernt von grenzenloser Leere dort, wo Johannes sich aufhält, in den kargen, öden, wüstenähnlichen Gebieten Judäas
Es ist kein Zufall, dass Johannes in der Liturgie des Advents seinen Platz hat. Die Kirche hat früh erkannt: Johannes und Advent gehören zusammen.
Johannes macht in aller Deutlichkeit, ja Schroffheit, etwas klar, was in unseren Zeiten immer mehr verwechselt wird: Besinnlichkeit hat mit Besinnung nichts zu tun.
Johannes ruft auf zur Besinnung, nicht zur Besinnlichkeit. Besinnung, so sagt es der Philosoph Martin Heidegger, ist der Mut, die Wahrheit der eigenen Voraussetzungen und den Raum der eigenen Ziele zum Fragwürdigsten zu machen. (Vgl. Martin Heidegger, Gesamtausgabe Bd. 5, Holzwege, Die Zeit des Weltbildes, S. 75).
Besinnung ist Aufruf zur erneuten Entscheidung.
Und Advent ist die Zeit und Wüste der Ort der Entscheidung. Für Fragen der Art: Wollen wir weiterhin glauben? Was, und vor allem wem sollen und wollen wir glauben?
Zuzugeben ist: Die Attraktivität der Botschaft des Johannes ist nicht sonderlich konkurrenzfähig gegenüber den Angeboten vom Breuninger-Land, vom Wertheim-Village oder von Mode Wagener. Denn diese und die anderen sagen: Kauf dich glücklich. Nur wer mehr