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Corona und Klima: Zur Deutung des Wandels
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eBook203 Seiten2 Stunden

Corona und Klima: Zur Deutung des Wandels

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Über dieses E-Book

Wie gehen wir mit Krisen und Katastrophen um? Was hilft uns dabei, sie zu deuten? Unser Glaube? Die Wissenschaft? Die Politik? Die Denkformen, in denen die Deutung des Wandels geschieht, unterliegen selbst einem Wan-del. - Der Philosoph Josef Bordat spürt dem Deutungsmusterwandel der letzten drei Jahrhunderte nach, beschreibt die strukturellen Analogien zwischen der Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts der Übel in der Welt (Theodizee) und der Frage nach der Rechtfertigung wissenschaft-lich-technischer Systeme (Technodizee), um schließlich die Verantwortung des Menschen als zentral für die Bewältigung der aktuellen Corona-Krise, vor allem aber des Klimawandels als der Mega-Krise des 21. Jahrhunderts zu begründen (Anthropodizee).
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum8. Juli 2021
ISBN9783347282087
Corona und Klima: Zur Deutung des Wandels
Autor

Josef Bordat

Dr. phil., Dipl.-Ing., M.A., Jg. 1972, kath., verh. – Studium des Wirtschaftsingenieurwesens, der Soziologie und der Philosophie in Berlin und Arequipa/Perú. Josef Bordat lebt in Berlin und arbeitet als freier Publizist.

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    Buchvorschau

    Corona und Klima - Josef Bordat

    1. Warum, Gott?! - Theodizee

    Das Zeitalter des religiösen Deutungsmusters (bis 1755)

    1.1 Schuld und Strafe

    Lange – sehr lange – beherrschte das religiöse Deutungsmuster die Gesellschaft. Was auch geschah, es wurde mit dem Wirken Gottes (oder eines Gottes, aus einer Vielzahl von Göttern) zu erklären versucht. Das hieß dann für Ereignisse mit negativem Einschlag, für Katastrophen, Kalamitäten, Kriege und anderes Übel, dass die Menschen in irgendeiner Form den Zorn Gottes (oder der Götter) heraufbeschworen und nun unter dessen Folgen zu leiden hatten. Auf Sünde folgt Sühne – so ist das eben.

    Diese Logik des Tun-Ergehen-Zusammenhangs (ein Begriff des Teologen Klaus Koch) galt auch für das Judentum, das damit das Christentum imprägnierte, trotz des Perspektivenwechsels beim Blick auf das Leid, den Jesus vornimmt – durch seinen Umgang mit Leidenden und durch sein eigenes Leid (vgl. Kapitel 4.3). Das religiöse Reaktionsspektrum sah Buße und Umkehr vor, oft in Verbindung mit Opferriten und Fasten. Einiges davon kennen (und schätzen) wir heute noch (zumindest soweit wir an Gott glauben), allerdings unterstellen wir heute – nach Jahrhunderten aufgeklärter Teologie und theologischer Aufklärung – mehrheitlich keinen direkten Wirkungszusammenhang mehr, weder Gottes auf die Welt, noch des Menschen auf Gott.⁷ Doch wir halten im christlichen Glauben daran fest, dass Gott und Welt bzw. Gott und Mensch etwas miteinander zu tun haben, ein Etwas, das von beiden Seiten her gestaltet wird. Dieses Etwas zu bestimmen, ist eine recht komplizierte Angelegenheit.

    Ehedem war das einfacher: Gott stellt Regeln auf, der Mensch verstößt dagegen, Gott straft den Menschen, der Mensch büßt, Gott beendet die Strafe – solange, bis ein erneuter Verstoß vorliegt. In religiös homogenen Gesellschaften richtete sich die Notwendigkeit der Buße auf die eigene Gemeinschaft, gab es religiöse Minderheiten, wurden diese regelmäßig zur Verantwortung gezogen. Man suchte sich einen „Sündenbock", den man beladen und vertreiben oder gar vernichten konnte. Das galt auch hierzulande, vor allem in Zeiten von Pandemie und Klimawandel. Bevor man allerdings dafür die Religion (hierzulande also das Christentum oder auch – des griffigen und angreifbaren Feindbildes willen – die Kirche) in Gänze haftbar macht, muss man genauer hinschauen, um zwischen der Lehre der Kirche und dem Leben des Volkes unterscheiden zu können (wenn man das denn will).

    Als im 14. Jahrhundert die Pest in Mitteleuropa wütete, machte das geplagte Volk die Juden verantwortlich: Sie vergifteten angeblich die Brunnen. Eine Pogromwelle rollte Mitte des 14. Jahrhunderts durch Europa. Diese Pogrome fanden gegen den entschiedenen Widerstand der Kirche statt. Papst Clemens VI. verfasste zwei Bullen gegen die Judenjagd, die jedoch im Volk ohne Wirkung blieben. Mit der Bulle Quamvis perfìdiam (1348) spricht Clemens die Juden vom Vorwurf der Brunnenvergiftung frei. Clemens argumentierte gegen diesen Aberglauben mit Hinweis auf die Tatsache, dass auch die Juden selbst Opfer der Pest seien. Allerdings wurde dagegen argumentiert, Juden seien unterproportional von der Pest betroffen. Das ist wahr, lag aber – wie wir heute wissen – an den besonderen Hygiene- und Speisevorschriften der Juden, die das Infektionsrisiko hemmten. Wer gegen die Weisung der Bulle weiterhin Juden verfolge, so Clemens, werde exkommuniziert. Die Flagellanten, die sich bei den Judenpogromen besonders hervorgetan hatten, erklärte er zu Häretikern. Das Engagement des Papst war jedoch vergeblich. Noch im selben Jahr kam es zu Pogromen gegen Juden in Toulon und in Zürich, 1349 in Freiburg im Breisgau, Speyer, Straßburg und Erfurt. In Erfurt kam es im März 1349 sogar zu einem „prophylaktischen" Pogrom: Obgleich die Pest die Stadt noch gar nicht erreicht hatte, meinte man, vorsorglich die etwa 500 jüdischen Bürger vertreiben zu müssen. Die Pest kam wenig später trotzdem.

    Als im 17. Jahrhundert die „Kleine Eiszeit" zu Missernten führte, machte das geplagte Volk Hexen und Zauberer verantwortlich: Sie schadeten angeblich der Landwirtschaft durch ihre Zauberei. Die Macht für diese negativen Interventionen käme direkt vom Teufel, so der Aberglaube im Volk, das zum Schutz vor diesen schädlichen Umtrieben die Verfolgung von angeblichen Hexen und Zauberern verlangte, wenn sie nicht gleich Selbstjustiz betrieb. Die katholische Teologie hat den Volksglauben an Hexerei als Einbildung charakterisiert. Bereits im 10. Jahrhundert missbilligt der Canon episcopi den Hexenglauben. Der „Hexenhammer" (Malleus Maleficarum, 1487), der oft genannt wird, um die Verantwortung der Katholischen Kirche auf den Punkt zu bringen, war zwar ein in der Praxis beachtetes „Handbuch der Hexenverfolgung, das bis 1520 in einer Gesamtauflage von 10.000 Exemplaren erschien, das Buch ist aber weder von der Kirche in Auftrag gegeben noch nach dessen Veröffentlichung in irgendeiner Weise autorisiert worden. Wolfgang Behringer und Günter Jerouschek kommen zu dem Ergebnis, dass die Schrift zwar „das Empfinden großer Teile der Bevölkerung widerspiegelte, aber in krassem Widerspruch zur theologischen Tradition stand⁸, so dass man sich mit Arnold Angenendt „am Ende fragt, ob es „überhaupt als kirchliches oder gar katholisches Buch zu bezeichnen ist⁹. Die Hexenverfolgung endete im 18. Jahrhundert, dem Zeitalter der Aufklärung. Aber nicht durch die Aufklärungsphilosophie, sondern vor allem durch das Wirken kritischer Teologen beider Konfession im 17. Jahrhundert. Einer von ihnen war der Jesuit Friedrich Spee von Langenfeld. 1631 erscheint sein Hauptwerk, die Cautio criminalis seu de processibus contra Sagas Liber („Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse). In seinem epochalen Werk entlarvt Spee die Hexenprozesse als Farce und die Vollstreckung der Urteile als Mord, während nur einige Jahrzehnte zuvor der religionskritische Jurist und Staatstheoretiker Jean Bodin – nicht zuletzt im Regress auf den „Hexenhammer – die Verfolgung befürwortet hatte.

    Die Beispiele zeigen, dass es nicht die Katholische Kirche als religiöse Institution und Hüterin des Glaubens war, die Pogrome und Verfolgung initiierte, sondern dass diese vom Volk ausgingen und dessen Aberglauben geschuldet waren, gegen den auch die zeitgenössische Teologie argumentierte und beherzte Kirchenmänner einschritten. Doch sie zeigen auch, dass und wie sehr das religiöse Deutungsmuster (im weitesten, den Aberglauben einschließenden, Sinne) die Denkform

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