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Die Europäische Union: Chance für Wohlstand oder Anfang vom Untergang?
Die Europäische Union: Chance für Wohlstand oder Anfang vom Untergang?
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eBook480 Seiten5 Stunden

Die Europäische Union: Chance für Wohlstand oder Anfang vom Untergang?

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Über dieses E-Book

Die EU steckt in schweren Krisen: Euro, Asylantenströme, Abspaltungstendenzen einiger Staaten etc. Zusätzlich lösen Bestrebungen wie TTIP, GATS, CETA Ängste aus. Terror, Flüchtlingsströme und damit wachsende Fremdenfeindlichkeit stellen die Union zusätzlich vor Probleme. Dabei werden die großen Chancen übersehen, die eine europäische Staatengemeinschaft in der Größenordnung einer EU bringen kann. Das größte Friedensprojekt der Geschichte gerät zusehends in Gefahr zu zerbrechen.

Fast dreißig Jahre Erfahrung als Lehrer für "Politische Bildung" und die allgemeine Diskussion um die EU haben den Autor veranlasst, eine umfangreiche Dokumentation über den derzeitigen Zustand der Union zu verfassen, um mit Sachargumenten Schwierigkeiten und Fehlentwicklungen aufzuzeigen. Doch die großen politischen Herausforderungen können nur international gelöst werden. Somit ist der Fortbestand der EU zur Sicherung von Wohlstand und Frieden unbedingt notwendig.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum25. Nov. 2016
ISBN9783734576621
Die Europäische Union: Chance für Wohlstand oder Anfang vom Untergang?

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    Buchvorschau

    Die Europäische Union - Rainer Maria Pohl

    Abkürzungen:

    1. Einleitung

    Vielleicht, liebe Leserin, lieber Leser, zählen Sie zu den Interessierten, die sich einer blühenden Jugend erfreuen. Vielleicht aber blicken Sie bereits auf wertvolle jahrzehntelange Lebenserfahrung zurück. Ich weiß nicht, wo Sie leben und welche historischen Ereignisse Sie bereits auf Ihren Wegen begleitet haben. Aber wenn Sie, so wie ich, die Geschehnisse gegen Ende der 80er Jahre verfolgen durften, so erinnern Sie sich mit Gewissheit an den Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989. An jenen Tag, der uns WesteuropäerInnen in den Morgenstunden wohl kaum vermuten ließ, dass dieser – es war ein Donnerstag – als bedeutendster der Bundesrepublik in die Geschichte eingehen würde. Schon ein Jahr später sollte er im Einigungsvertrag vom 31.8.1990 im Gedenken an die Ereignisse zum gesetzlichen Feiertag erklärt werden.

    Freilich haben sich auch mir die Bilder jenes Tages eingeprägt – beinahe unwirklich erscheinend – welche damals via Television in die Wohnzimmer der gesamten Welt befördert wurden. Auf Internetplattformen wie YouTube abgespeichert, zeugen sie noch heute davon, wie sich ein Akt des Friedens ereignete. Ein Volk wurde geeinigt, das seit dem 13. August 1961 – dem symbolischen Tag des Mauerbaues – ungewollt in zwei Staaten leben musste.

    Unvergesslich sind die strahlenden Gesichter der Leute in den Trabis, die zu Tausenden durch die von Baufahrzeugen frisch geschlagene Öffnung der verhassten Mauer in den Westen fuhren. Der Jubel und die Freude um die nach Jahrzehnten wiedererlangte Freiheit waren unbeschreiblich; es gab wohl kaum ZeugInnen am Bildschirm, die sich von den Geschehnissen nicht emotional mitreißen ließen.

    Die Entwicklung war nicht zu stoppen – am 3. Oktober 1990 wurde die DDR wieder Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland. Während dieser elf Monate und danach war nicht nur in Deutschland ein historischer Aufarbeitungsprozess zu spüren. Wann immer man einen der beiden großen öffentlich-rechtlichen deutschen Sender gewählt hatte, war die Wiedervereinigung Thema: Familien wurden gezeigt, welche sich nach der Trennung in den Armen lagen, Großeltern, die zum ersten Mal ihre Enkelkinder sahen, aber auch Ehegattinnen, welche erfahren mussten, dass sie von ihren Ehemännern jahrzehntelang für die STASI ausspioniert worden waren.

    Diese Berichte haben die Gemüter der Menschen bewegt. Aber nach Monaten der persönlichen Auseinandersetzung mit den Schicksalen der Deutschen war es für viele nur noch schwer erträglich, weiterhin täglich vom Leid der Nachbarn zu erfahren.

    Jahrzehnte vergingen; Europa wuchs zusammen. Zwanzig Jahre später wurden zum Gedenken an die historischen Ereignisse von damals wieder die Bilder vom Fall der Mauer via Äther übertragen. Erinnerungen wurden wach! Die Bilder schienen ebenso unfassbar wie damals! Nicht nur für uns ältere BürgerInnen, sondern vor allem für die jüngeren.

    Der Fall der Berliner Mauer war aber nur Teil der Entwicklung zu einem geeinten Europa. Der Prozess hatte bereits unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen. Der legendäre englische Premierminister Winston Churchill, der während des Zweiten Weltkrieges die Geschicke des Inselstaates geleitet hatte, forderte in seiner berühmt gewordenen visionären Rede vor der akademischen Jugend am 19. September 1946 an der Universität von Zürich:¹ „… Es gibt ein Heilmittel, das [...] innerhalb weniger Jahre ganz Europa [...] frei und glücklich machen könnte.

    Dieses Mittel besteht in der Erneuerung der europäischen Familie, oder doch eines möglichst großen Teils davon. Wir müssen ihr eine Ordnung geben, unter der sie in Frieden, Sicherheit und Freiheit leben kann. Wir müssen eine Art Vereinigter Staaten von Europa errichten. …"²

    Diese Worte sprach der große Staatsmann unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, als Europa in Schutt und Asche lag und die Welt mehr als 50 Millionen Tote und zwanzig Millionen Vermisste zu beklagen hatte. Und er nahm in seiner Ansprache darauf Bezug: „…… Wir alle müssen dem Schrecken der Vergangenheit den Rücken kehren und uns der Zukunft zuwenden. Wir können es uns einfach nicht leisten, durch all die kommenden Jahre den Hass und die Rache mit uns fortzuschleppen, die den Ungerechtigkeiten der Vergangenheit entsprossen sind… ."³

    Was für ein großer Staatsmann! Wie viele Millionen Menschen haben auf europäischem Boden in den letzten zweitausend Jahren ihr Leben in unzähligen Kriegen verloren? In Auseinandersetzungen, die von Kriegsherrn geführt worden waren, denen es ausschließlich um Macht ging.

    Doch die Überwindungen der gewaltigen Gegensätze in Europa benötigten den guten Geist vieler politischer VordenkerInnen.

    Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte Europas war die Verwirklichung der EGKS im Jahre 1952 durch den Vertrag von Paris. Dies geschah auf Initiative des französischen Außenministers Robert Schuhmann (Schuhmann-Plan), nachdem er in Konrad Adenauer einen Verbündeten in dieser Friedensinitiative gefunden hatte. Gründungsländer waren die Benelux-Länder, die Bundesrepublik und Frankreich. Der Plan war deshalb genial, weil er zwei seit Jahrhunderten politisch verfeindete Staaten – Frankreich und Deutschland – zur Zusammenarbeit zwang. Dies führte zu einer gemeinsamen wirtschaftlichen und politischen Stärkung. Der Grundstock für eine deutsch-französische Freundschaft war gelegt, die bis zum heutigen Tag vertieft werden konnte. (Fraglich bleibt, warum dieses visionäre Modell nicht bei anderen Krisenherden auf der Welt Schule gemacht hat – man denke daran, was passieren würde, wenn Israel, die Palästinenser und ihre Nachbarstaaten dazu gebracht würden, einen ähnlich gelagerten Wirtschaftsvertrag abzuschließen?!)

    Die Entwicklung ging weiter – die Ereignisse sind historisch dokumentiert. Exemplarisch sei erwähnt, dass am 25. März 1957 mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Atomgemeinschaft geschaffen wurden. Diese Verbindungen bildeten weitere Meilensteine zur vereinten politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Europa. Beinahe vierzig Jahre später wurden mit dem Vertrag von Maastricht am 7. Februar 1992 endlich die Weichen für die Schaffung der Europäischen Union gestellt. Der Philosoph und Historiker Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi hatte 1924 die Paneuropa-Union als erste europäische Einigungsbewegung gegründet. Jetzt standen die idealistischen Vorstellungen dieses Vordenkers endlich vor ihrer Verwirklichung.

    Bisher sind nicht die „Vereinigten Staaten von Europa entstanden, sondern eine weiterentwickelte Form: die „Europäische Union, die mit ihren mittlerweile 28 Mitgliedsländern einen Staatenbund bildet, der in wirtschaftlichen und sozialen Fragen Zusammenarbeit erlaubt und dabei jedem Mitgliedsland größtmögliche Eigenständigkeit garantieren soll. Dies war zumindest das Anliegen der Gründungsväter.

    Freilich lässt sich die idealistisch anmutende, historische Darstellung auch kritisch hinterfragen. Günter Verheugen, EU-Kommissar von 1999 bis 2004 und danach Vizepräsident der Europäischen Kommission bis 2013⁴, hat am 28. November 2013 am Architektentag Nordheim-Westfalen in einer Rede dazu eine bemerkenswerte These vertreten. Er meinte, dass wohl die idealistische Vorstellung bestanden habe, die Völker Europas nach den Verbrechen des Krieges friedlich einigen zu wollen, bestanden habe. Ebenso hätten aber auch handfeste Überlegungen eine Rolle gespielt, dass es mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl gelingen würde, Deutschland unter Kontrolle zu halten⁵.

    Die Europäische Union ist jedenfalls derzeit das größte Friedensprojekt unseres Planeten. Günter Verheugen bezeichnete sie in seiner Rede als unverzichtbar.

    Der Weg von den Nationalstaaten zur heutigen Europäischen Union hört sich wie eine Erfolgsstory an – doch die Ereignisse haben uns längst in aller Härte vor Augen geführt, dass das einstige Projekt der Völkerverbindung vor größten Zerreißproben steht.

    Der größte Schlag für alle EU-Befürworter war das Referendum zum „Brexit" am 23. Juni 2016 mit 51,9 Prozent Befürwortern zum EU-Austritt Großbritanniens⁷. National gesinnte PolitikerInnen, DemagogInnen und AngstschürerInnen haben es geschafft, einen Volksentscheid herbeizuführen, der zur Folge hat, dass eines der größten und wirtschaftsstärksten Länder, welches seit der ersten Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft 1973 das siebente Mitglied war, der Union den Rücken kehren soll.

    Auch wenn noch lange nicht endgültig feststeht, ob das Königreich austritt – der Schock sitzt tief, sogar in England selbst. Und der Schaden für die Europäische Union ist unbeschreiblich.

    Was ist aus der großartigen Idee geworden – aus dem Versprechen von Freiheit, Entfaltungsmöglichkeiten und Wohlstand für alle? Die EU, im Jahre 2012 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, gerät offensichtlich immer mehr in Schwierigkeiten. Und es gibt zahlreiche Gründe dafür:

    •Mittlerweile sind viele EU-Staaten – man denke an Portugal, Spanien, Italien, Griechenland usw. – durch den Euro in ein finanzielles Desaster geraten. Die politischen Maßnahmen, die in den jeweiligen Ländern daraufhin ergriffen worden sind, haben zu Massenarbeitslosigkeit, Kürzungen von Sozial- und Pensionszahlungen und somit zur Verarmung der Bevölkerung geführt.

    •Die Wohlhabenden haben die Krise nützen können. Die restliche Bevölkerung ist finanziell auf der Strecke geblieben, was zur Folge hatte, dass die Reichen reicher und nicht nur die ärmeren Schichten, sondern auch der gesamte Mittelstand in die Armut getrieben wurden. In Griechenland entstand Massenarbeitslosigkeit. Leute, die ihr ganzes Leben lang redlich gearbeitet hatten, verloren ihre Existenzen und wurden obdachlos. Die Mächtigen versuchen, das schwer verschuldete Land zum Ausverkauf des Staatseigentums zu Schleuderpreisen zu zwingen: Eisenbahnen, Häfen, Wasser, Elektrizität usw. Somit können sich ausländische Privatunternehmen bereichern. Ebenso müssen von der Bevölkerung schwerwiegende Einschnitte in der medizinischen Versorgung, Kürzungen von Pensionen und Sozialleistungen hingenommen werden.

    •Währenddessen erfreuen sich Profithaie an ihrem gewinnträchtigen spekulativen Treiben.

    •Der Rechtsradikalismus hat in vielen Staaten Europas ein beängstigendes Ausmaß erreicht. Gemäßigte Kräfte stehen dem Phänomen scheinbar ohnmächtig gegenüber. Beinahe nichts wird von der offiziellen Politik dagegen unternommen!

    •Während 2014 in China die Wirtschaft zweistellig wuchs und sich die Türkei über das zweitgrößte Wirtschaftswachstum der Welt erfreute, stagniert das europäische nahezu.

    •In vielen Staaten im Süden Europas gibt es Armut. Sogar in Deutschland lebten 2013 laut Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ganze 15 Prozent der Bevölkerung in Armut oder an der Armutsgrenze. ⁸ Harz IV gilt als Armutsfalle. (Vor allem aus dem Gebiet der ehemaligen DDR suchten viele deutsche Bürger deshalb Arbeit im benachbarten Ausland. In Tirol gibt es jetzt beispielsweise mehr Arbeitskräfte aus der Bundesrepublik als aus der Türkei.)

    •Neue Grenzwälle sind auf dem europäischen Kontinent entstanden: Statt in Einklang mit den europäischen Staaten nach Lösungen zu suchen, ließ Viktor Orban meterhohe Zäune als Barrieren für Flüchtlinge aus Syrien errichten. 2016 folgte auf Betreiben von Österreich die Grenzschließung des griechisch-mazedonischen Grenzübergangs, ohne konstruktive Begleitmaßnahmen zur internationalen Lösung des Problems. Wie lange existieren sie noch in unseren Köpfen, Mauern und andere Hemmnisse als Bollwerke in einem freien Kontinent?

    •Billigprodukte aus fernen Ländern machen Produktionsstätten in Europa unrentabel – ein Problem der Globalisierung. Im Fernen Osten werden Arbeitskräfte, darunter abertausende Kinder, in denkbar unwürdigen Verhältnissen beschäftigt. Nicht selten kann man von Versklavung sprechen. Anstatt politische Maßnahmen zu ergreifen, wird das europäische Lohnniveau allmählich an das östliche angepasst: Preise steigen über Jahre mehr als Löhne.

    •Es gibt keine strukturierten Maßnahmen, um die Haushaltsbudgets der EU-Staaten sozial ausgewogen in den Griff zu bekommen. Reiche werden kaum besteuert, Arme von den Staatsregierungen allerorts abgezockt.

    •In der gesamten EU ist es nicht gelungen, Flüchtlingswellen aus den Krisengebieten in den Griff zu bekommen, so dass mit Hilfe einer vernünftigen Integrationspolitik eine durchdachte europäische Asylpolitik im Sinne der Genfer Konvention betrieben werden kann. Stattdessen übertreffen sich in vielen Staaten der Union machtlüsterne Staatschefs darin, asylfeindliche, menschenverachtende Gesetze zu verlautbaren. Damit verbreiten sie Ängste in der Bevölkerung, um Wahlstimmen zu erheischen.

    •Dem nicht genug! Neue Ängste werden in der Europäischen Bevölkerung geschürt: NAFTA, GATS, TTIP und TISA erregen die Gemüter! Verhandlungen werden im Geheimen geführt! Dem Europäischen Parlament werden die fertig verhandelten Ergebnisse präsentiert. Es existieren Befürchtungen, dass damit der hohe Standard bei Lebensmitteln nicht mehr haltbar sein wird und genmanipulierte Waren wie Chlorhühner und ähnliche Produkte verkauft werden dürfen. Darüber hinaus werden Deregulierungen von Dienstleistungen der öffentlichen Hand zur Gesundheits-, Wasser- und Energieversorgung erwartet, sowie Streichung von Arbeits- und Sozialgesetzen, Umwelt- und Verbraucherschutzbestimmungen ⁹. Bis 2016 betrafen die Besorgnisse auch das mit Kanada in Verhandlung stehende Abkommen CETA, über welches – wie über die Medien kolportiert wurde - Konzernen über Umwege die Türe für solche Produkte geöffnet werden könnte. Schiedsgerichte sollten dann diese verwerflichen wirtschaftlichen Ziele ermöglichen können.

    Auch wenn manche geäußerten Besorgnisse unbegründet sein mögen – was im Jahre 2016, im Erscheinungsjahr dieses Buches, noch nicht eindeutig klar ist – und Handelsabkommen grundsätzlich zu begrüßen wären, die Führung der Europäischen Union ist mit ihrer Geheimhaltungspolitik selbst schuld, dass es sie gibt. Wie sollen die BürgerInnen zu dieser Union Vertrauen finden, wenn die politische Führung selbst kein Vertrauen hat und schwerwiegende Entscheidungen diktatorisch verhängen will?

    Vieles könnte man zu der Liste der Probleme und Nöte der Europäer hinzufügen! Ist das jenes Europa, das uns versprochen wurde? Welche Umstände sind dafür verantwortlich, dass die Visionen der Gründungsväter mehr und mehr im Chaos enden? Was ist aus den Versprechungen der Politiker geworden?

    In diesem Zusammenhang muss unbedingt auf zwei Fakten hingewiesen werden:

    Wenn man zum Ersten die vorhin angeführte Liste kritisch hinterfragt, so fällt sofort auf, dass die meisten Probleme, welche Europa zu schaffen machen, ihren Ursprung in der weltweiten Entwicklung haben. Daher kann die Europäische Union selbst keinesfalls alleine für die Schwierigkeiten verantwortlich gemacht werden. Aber was wir dringend benötigen, sind Lösungen für die Probleme, die unsere soziale Sicherheit extrem gefährden! Dies kann lediglich eine starke, entschlossene Union möglich machen, die von Persönlichkeiten geführt wird, welche das politische Handwerk verstehen und weitsichtig agieren.

    Zum Zweiten wird die Europäische Union sehr oft für Sachverhalte verantwortlich gemacht, deren Ursachen sie nicht herbeigeführt hat. Längst ist bekannt, dass die EU in zahlreichen Wahlreden in den Mitgliedsländern zum Prügelknaben gemacht wird – ein einfacher Weg für PolitikerInnen, sich der Verantwortung zu entziehen. In diesem Buch soll der Versuch unternommen werden, einige politische Entscheidungen in den Mitgliedsstaaten genauer zu untersuchen, um zu beweisen, dass davon zahlreiche nicht mit den europäischen Grundgedanken vereinbar sind.

    Die Realität spiegelt oft Vielfältiges wider. Im Europäischen Parlament sitzen Abgeordnete, von denen ein Großteil gewillt ist, ihren Einsatz voller Enthusiasmus in den Dienst der Menschen in Europa zu stellen. Es gibt kaum eine Problematik – egal ob auf dem Gebiet der Forschung, der Sozial- und Umweltpolitik, der Ernährung, der Bildung, der Gesundheit usw. – für die sich Abgeordnete im EU-Parlament nicht einsetzen. Aber die meisten Leistungen werden außerhalb von Brüssel kaum registriert.

    Auch hören und lesen wir von zahlreichen Projekten, die gefördert werden und die Investitionen in Milliardenhöhe verursachen. Damit werden abertausende Arbeitsplätze erhalten und zusätzliche geschaffen.

    Noch eine Feststellung zur Arbeit im Europäischen Parlament: Neben den Bemühungen der Europäischen Kommission können wir nur mit dem Einsatz von Abgeordneten stark werden, welche sich den europäischen Idealen verpflichtet fühlen. Sie geben uns Hoffnung und sie sichern unsere Zukunft. Doch leider lassen die großen Veränderungen lange auf sich warten. Nicht immer ist das Parlament diejenige Institution, die Veränderungen bewirken kann, sondern oft sind es die Regierungschefs, die als Mitglieder im Europäischen Rat ihre Macht spielen lassen. Die Mühlräder des Parlamentes, des Rats, der Kommission und der Bürokratie scheinen für die großen Revolutionen zu langsam zu laufen.

    Das Stichwort heißt „Globalisierung". Diese würde ungemein viele positive Möglichkeiten für die gesamte Menschheit bieten – auf dem Gebiet der Bekämpfung des Hungers, der Gesundheit, der Technologie und vieles mehr. Trotzdem scheint sie zum Vorteil des Großkapitals zu agieren: Arbeitsplätze werden in Billiglohnländer und in solche von geringen Umweltschutzauflagen verlegt, um die Gewinne der Konzerne zu maximieren. Konzerne erscheinen mächtiger als Staaten oder Staatenbündnisse – der Eindruck wird erweckt, dass sie die Regierungen diktieren.

    Zusätzlich hat die weltweite Bankenkrise nach der Insolvenz des Bankhauses Lehman Brothers im September 2008 die staatlichen Budgets vieler Länder in arge Bedrängnis gebracht, besonders ärmere Staaten, auch im Süden Europas. Selbst wenn man auf unserem Kontinent nach guten Lösungen gesucht und mit dem Bankenrettungsfond umzusetzen versucht hat, bleiben Schwierigkeiten bestehen: Ängste vor neuen Bankenkrisen, zumal die gesetzlichen Spielregeln zur Vermeidung von Crash-Szenarien durch Abzockerei nicht verändert wurden, weder in Europa noch sonst irgendwo in der Welt. Wirtschaftliche Schwierigkeiten – auch wenn ihre Ursachen global gesucht werden müssen, tragen nicht zum Wohlbehagen und zur Sicherheit von Völkern bei. Vertrauen geht verloren – in die Finanzwelt, in die Wirtschaft und in die Politik.

    Die Flüchtlingskrise verbreitet zusätzlich Ängste vor Job- und Wohnungsverlust – Populisten in den rechten Parteien verstehen ihr Geschäft im Schüren dieser Ängste. Viele wünschen sich einen Weg zurück zu geschlossenen Grenzen. Armut und soziale Ausgrenzung sind in Europa gravierend. Auf der Web-Seite der Europäischen Kommission ist dazu zu lesen: „24 Prozent der EU-Bevölkerung (über 120 Millionen Menschen) sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, darunter 27 Prozent Kinder, 20,5 Prozent der über 65-Jährigen und 9 Prozent der Erwerbstätigen."¹⁰

    Existenzsorgen nehmen zu. Ebenso die Furcht um das Weiterbestehen des Euro.

    Doch damit stellt sich die Frage: Was passiert, wenn die EU scheitert? Wie viele Menschen werden dann im gesamten Kontinent zusätzlich in die Armut getrieben, verlieren ihre Arbeitsplätze, ihre soziale Sicherheit, ihr Zuhause und müssen auf Parkbänken und unter Brücken übernachten? Die Fernsehbilder über die Katastrophe in Griechenland wurden uns hautnah in die Wohnzimmer geliefert.

    Wie sehen die Alternativen aus – oder was versprechen uns diejenigen, vor allem Rechtspopulisten, die einen Austritt aus der EU fordern? Wie sind die spärlichen Versuche zu tiefgreifenden Lösungen zu werten, die von PolitikerInnen zur Rettung unseres Kontinents unternommen wurden? Und welche Inhalte hatten deren unzählige Wortmeldungen?

    Und damit die wichtigste Frage: Wie soll die Zukunft der europäischen Bevölkerung aussehen?

    Die unabsehbaren Folgen lassen klar nur eine Forderung zu: Es darf nicht zum Bruch der einst so gefeierten Friedensunion kommen! Und es gibt große Chancen, Europa wieder zu dem zu machen, was es einmal war: Ein aufstrebender Erdteil mit hoher Bildung, Kultur, Tradition, stabilen Staatswirtschaften und sozialer Sicherheit für alle sozialen Schichten.

    Im Folgenden wird versucht, große Stärken der EU und mögliche Fehlentwicklungen aufzuzeigen. Es soll aber nicht verurteilt, sondern zum Nachdenken angeregt werden. Da dieses Buch in deutscher Sprache geschrieben ist, sind viele Hintergründe wohl international, aber schwerpunktmäßig aus deutscher und vor allem österreichischer Sicht beschrieben. Dies stellt jedoch keine einseitige Betrachtungsweise dar, da Probleme wie Wirtschaftskrise, Bankenkrise, Abwanderung usw. ganz Europa betreffen und deshalb vom Grunde her in der gesamten Union ähnlich gelagert sind.

    Die Texte beschränken sich nicht nur auf Probleme, welche die EU unmittelbar betreffen. Vielmehr wird mit diesem Werk der Versuch unternommen aufzuzeigen, was innerhalb der EU möglich ist. Wenn auch lokale Problematiken beleuchtet werden, so soll dies immer mit dem Hintergrund verstanden werden, dass die europäischen Wertvorstellungen der Gründungsväter zum Ziel hatten, sich in innenpolitische Themen der Mitgliedsstaaten nicht einzumischen, obwohl dies manchmal dringend notwendig wäre! Die EU erlässt in edler Absicht Richtlinien, die sich nur mit Ausnahmeregelungen korrigieren lassen, um Mitgliedsstaaten nicht vor fast unlösbare Probleme zu stellen. Man denke beispielsweise an die deutsche Bestimmung des Numerus Clausus, welche nicht nur die österreichischen Hochschulen vor Herausforderung stellt. Tausende deutsche MaturantInnen strömen in die benachbarten deutschsprachigen Staaten, wenn sie die geforderten Notendurchschnitte nicht erreicht haben. (Die EU hat in diesem Fall benachteiligten Ländern Sonderregelungen angeboten, welche im Weiteren betrachtet werden.)

    Ausdrücklich sei betont, dass mit dieser Dokumentation keineswegs Politik für oder gegen bestimmte Parteien gemacht werden soll, auch wenn der derzeitige Wirtschaftskurs der Europäischen Union speziell von konservativen Parteien geprägt ist und viele Bestrebungen in dieser Publikation auf scharfe Kritik stoßen. Der Autor ist bei keiner politischen Gruppierung Mitglied und hat auch niemals vor, jemals einer beizutreten. Es kann auch keine Lösung sein, durch einseitige parteipolitische Manipulation Vorteile für eine Gesinnung erwirken zu wollen! Die EU ist dazu viel zu wertvoll, denn ihre Aufgabe ist es, Existenz, Wohlstand und Frieden für eine halbe Milliarde Menschen zu sichern. Im Übrigen wird der Kurs einer Partei sehr oft von wenigen Persönlichkeiten geprägt. In jeder politischen Gruppierung, sofern es sich nicht um extreme handelt, findet man wertvolle Menschen, die aus innerster Überzeugung zum Wohle ihrer Wähler das harte Geschäft der Politik betreiben wollen. Egal in welcher politischen Kraft sie sitzen, sie sind ein Gewinn für uns alle.

    Eines der wichtigsten Ziele dieses Buches ist es, seine Leser für die wunderbare Idee einer Europäischen Union zu gewinnen. Der Wertegemeinschaft wurde nicht umsonst im Jahre 2012 der Friedensnobelpreis zuerkannt. Wir sollten die Augen offen halten und, wenn nötig, unsere PolitikerInnen mit konstruktiver Kritik konfrontieren. Aber wir dürfen niemals vergessen, wie viel Blutvergießen, Not und Elend es über die Jahrhunderte hindurch vor der Verwirklichung der Union gegeben hat. Es verging kaum ein Jahrzehnt, in dem kein verheerender Krieg irgendwo auf europäischem Boden gewütet hat. Wir sollten dankbar sein! Das sind wir den vielen Opfern der damaligen Zeit schuldig!

    Doch bevor die detaillierte Behandlung beginnen soll, sei eines festgehalten: Dies ist mit Gewissheit kein Buch, das Verschwörungstheorien nährt. Darüber gibt es zum Ersten genügend andere Literatur, und zum Zweiten hält der Verfasser mit Bestimmtheit nichts von beinahe mystisch klingenden Thesen über die Weltherrschaft von Freimaurern, Großkapitalisten oder – auf Grund der fürchterlichen Verbrechen im Dritten Reich besonders ekelig – dem Judentum. Auch wenn sich die „Verschwörer" in ihren Publikationen bemühen, eine gewisse Logik aufrechtzuerhalten, es handelt sich um Vermutungen, Spekulationen und unbewiesene Thesen, die bei seriöser wissenschaftlicher Abhandlung niemals nachweisbar und deshalb unhaltbar sind. Aus diesem Grund distanziert sich der Autor von derartigem auf das Schärfste.

    Zudem können pessimistische Theorien niemals zu einem positiven Erfolg beitragen. Für Spekulationen und waghalsige Thesen ist die Europäische Union zu kostbar!

    2. Zukunftsängste

    Dass Völker- und Wirtschaftsgemeinschaften in unserer globalisierten Welt unabdingbar sind, haben die Ereignisse am 29. Mai 2014 gezeigt: In Moskau fand die Unterzeichnung der Gründung der Eurasischen Union zwischen Russland, Weißrussland und Kasachstan statt, nachdem bereits am 1. Januar 2010 eine Zollunion in Kraft getreten war.¹¹ Das politische Konzept wurde vom russischen Staatschef Wladimir Putin in Zusammenarbeit mit Kasachstans Staatschef Nursultan Nasarbajew nach dem Vorbild der EU entwickelt.¹² (Letztere hatte dies bereits 1994, also zwanzig Jahre zuvor, angeregt.)¹³ In Zukunft ist wie in Europa ebenso die Schaffung einer gemeinsamen Währung geplant.¹⁴ Die Entwicklung und Umsetzung des ehrgeizigen Plans wird trotz Euround Wirtschaftskrise fortgesetzt. Andere Nationen haben die Wichtigkeit internationaler Zusammenarbeit erkannt, während bei der EU-Wahl im Mai 2014 die Wählerbeteiligung bei lediglich 43.09 Prozent betrug.¹⁵

    Sollte ein derart geringes Interesse der karge Lohn für die jahrzehntelangen Bemühungen im Einigungsprozess sein? Zeugt eine derart geringe Beteiligung davon, dass ein Großteil der WählerInnen die EU bereits als gescheitert ansieht?

    Ängste sind in Europa spürbar: Flüchtlingsproblematik, Bedrohung des Lebensstandards durch zunehmende Armut, Arbeitslosigkeit ….

    Dazu die Auswirkungen der Euro- und Bankenkrise, ihre Folgen für die Staatsbudgets und die nicht mit Gewissheit ausschließbare Gefahr, dass sich alles wiederholen könnte.

    Mehr und mehr scheinen die Probleme die Gesellschaft zu entzweien. Finden PolitikerInnen dazu die richtigen Lösungen?

    Haben wir den Europäischen Gedanken nicht verstanden? Glauben wir tatsächlich, dass die großen Schwierigkeiten unserer Zeit in Alleingängen gelöst werden können?

    Wir müssen uns im Klaren sein, dass Größe Stärke sein kann! Je mächtiger die EU ist, desto eher kann sie weltpolitisch agieren.

    Wie will beispielsweise ein einzelner Kleinstaat international gegen Lohndumping eintreten oder Tierschutz- und Umweltbestimmungen erlassen? Diesbezügliche Bestimmungen könnten von jedem anderen Staat unterlaufen werden! Gut gemeinte Gesetze würden so nur dazu führen, dass die initiierenden Staaten wirtschaftlich an den Rand gedrängt werden. Oder was sollen Verordnungen zur Regelung von Bankenmiseren und Wirtschaftskorruption bringen, wenn sie nicht international abgestimmt sind?

    Zusammenhalt in Europa zur Förderung von Umwelt- und Tierschutz, Wissenschaft, Kunst, Bildung und Kultur – dies müssen die Schlagwörter für ein wirtschaftlich starkes Europa sein. Ebenso die gemeinsame Sicherung von Frieden und sozialem Wohlstand, sowie die Schaffung guter Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft.

    Trotzdem wird die ständig zunehmende Kritik an der EU unüberhörbar. Mit den Sorgen der Menschen steigt auch in vielen Staaten die Zahl der Befürworter für EU-Austritte. Die Motive und Ängste dieser Leute sind erklärbar, die Probleme lassen sich nicht leugnen. Doch eines muss unbestritten sein: Es muss nach langfristigen, zielführenden Lösungen gesucht werden. Schwerwiegende Fehler können das große Friedensprojekt in Gefahr bringen. Lassen Sie sich, liebe Leserin, lieber Leser die Problematik anhand eines einfachen, aber durchwegs zutreffenden Beispiels erläutern:

    Nehmen wir an, wir hätten einen wunderschönen, alten Palast geerbt. Mit dem Prunkbau haben wir zahlreiche Angestellte übernommen. Alles scheint gut zu funktionieren. Doch schon im ersten frostigen Winter müssen wir feststellen, dass die Heizung zu hohe Energiekosten verursacht.

    Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten: Wir könnten die Heizung durch eine bessere ersetzen und eventuell die Wände fachgerecht isolieren lassen, sodass wir mit dem Denkmalschutz keine Probleme bekommen. Es gäbe aber eine noch viel radikalere Methode: Wir lassen das Gebäude einfach niederreißen und hätten uns somit die Probleme aus der Welt geschafft. Mit letzterer Problemlösung wäre eines gewiss: Wir hätten all unsere Schwierigkeiten am schnellsten beseitigt und

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