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Europäische Integrationsrechtsgeschichte
Europäische Integrationsrechtsgeschichte
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eBook702 Seiten7 Stunden

Europäische Integrationsrechtsgeschichte

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Über dieses E-Book

Am Europatag 2021 wurde in Paris die "Zukunftskonferenz" feierlich eröffnet. Damit setzte die EU ein positives Zeichen – nach der Pandemie müsse man mit vereinten Kräften den Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft wie z.B. Klima, Digitalisierung oder Migration entgegentreten.
Zukunft braucht aber auch Erinnerung: Daher beginnt dieses Buch zunächst mit einer Rückblende auf die Ideengeschichte der europäischen Vereinigung. Basierend auf einer Auswahl von Europa-Visionen wird der ab 1945 einsetzende europäische Integrationsprozess dargestellt. Seine Merkmale waren und sind Krisen, Lähmungen und nationalstaatliche Alleingänge der Mitgliedstaaten. Auch wenn die europäische Integration somit kein geradliniger Weg war bzw. ist, kann man sie dennoch als Erfolgsgeschichte bezeichnen. Welchen Anteil Österreich daran hatte und wie es als EU-Mitglied agiert, wird in einem weiteren Kapitel untersucht. Zudem werden das politische System der EU und die EU vorgestellt und im letzten Kapitel ausgewählte Politikbereiche wie beispielsweise die Außen- sowie Sicherheits- und Verteidigungs-, aber auch die Gleichstellungspolitik der EU diskutiert.
Für die vierte Neuauflage wurde der Band umfassend überarbeitet und aktualisiert. Die veränderte Schwerpunktsetzung sowie die vorgenommenen Ergänzungen und Gewichtungen tragen sowohl der Entwicklung der EU in den letzten Jahren als auch der fortschreitenden Forschung in diesem Bereich Rechnung. Zahlreiche Textdokumente und Grafiken vertiefen und komplettieren die Darstellung.
SpracheDeutsch
HerausgeberStudienVerlag
Erscheinungsdatum15. Sept. 2021
ISBN9783706561877
Europäische Integrationsrechtsgeschichte
Autor

Anita Ziegerhofer

Dr. Anita Ziegerhofer ist außerordentliche Professorin für österreichische Rechtsgeschichte am Institut für Rechtswissenschaftliche Grundlagen der Universität Graz.

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    Buchvorschau

    Europäische Integrationsrechtsgeschichte - Anita Ziegerhofer

    I Die Vision von der Vereinigung europäischer Staaten – ein Streifzug durch die historischen Europaideen

    Literatur: Böttcher Winfried [Hrsg.], Europas vergessene Visionäre, Baden-Baden 2019; Böttcher Winfried [Hrsg.], Klassiker des europäischen Denkens. Friedens- und Europavorstellungen aus 700 Jahren europäischer Kulturgeschichte, Baden-Baden 2015; Buschak Willy, Die Vereinigten Staaten von Europa sind unser Ziel. Arbeiterbewegung und Europa im frühen 20. Jahrhundert, Essen 2014; Elvert Jürgen, Mitteleuropa! Deutsche Pläne zur europäischen Neuordnung (1918–1945), Stuttgart 1999; Foerster Rolf Hellmut, Europa. Geschichte einer politischen Idee, München 1967; Gehler Michael, Europa. Ideen, Institutionen, Vereinigung, 3. Auflage, München 2018; Lipgens Walter [Hrsg.], Europa-Föderationspläne der Widerstandsbewegungen 1940–1945 (Schriften des Forschungsinstituts der deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik 26), München 1968; Naumann Friedrich, Mitteleuropa, Berlin 1915; Prettenthaler-Ziegerhofer Anita, „Die Männer des europäischen Widerstandes werden morgen das neue Europa bauen. Leitbilder für ein vereintes Europa, in: Elvert Jürgen/Nielsen-Sikora Jürgen [Hrsg.], Leitbild Europa? Europabilder und ihre Wirkungen in der Neuzeit (Historische Mitteilungen 74), Stuttgart 2009, 126–138; Rougemont Denis de, Europa. Vom Mythos zur Wirklichkeit, München 1961; Schmale Wolfgang, For a Democratic „United States of Europe (1918–1951) Freemasons – Human Rights Leagues – Winston S. Churchill – Individual Citizens, Stuttgart 2019 (= Studien zur Geschichte der europäischen Integration 33, hrsg. Jürgen Elvert); Schmale Wolfgang, Geschichte Europas, Wien 2000; Schmale Wolfgang/Treiblmayr Christopher [Hrsg.], Human Rights Leagues in Europe (1898–2016), Stuttgart 2017 (= Historische Mitteilung der Ranke Gesellschaft – Beihefte 98, hrsg. Jürgen Elvert); Schulze Hagen/Paul Ina Ulrike [Hrsg.], Europäische Geschichte. Quellen und Materialien, München 1994; Ziegerhofer-Prettenthaler Anita, Botschafter Europas. Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi und die Paneuropa-Bewegung in den zwanziger- und dreißiger Jahren, Wien 2004; Ziegerhofer Anita/Pichler Johannes/Likar Reinhard, Die „Vereinigten Staaten von Europa". Dokumente eines Werdens, Wien 1999.

    1. Einleitung

    Am Anfang der Geschichte Europas steht ein Mythos, dessen Kernaussage in den unterschiedlichsten Überlieferungen unverändert blieb: Nach Homer (2. H. 8. Jh. oder 1. H. 7. Jh. v. Chr.) verliebte sich der griechische Gottvater Zeus in Europa, die Tochter des phönikischen Königs Agenor. Zeus verwandelte sich in seiner Liebestollheit in einen Stier und entführte Europa übers Meer nach Kreta. Dort ließ er sie sanft zu Boden, und als Europa zu weinen begann, tröstete er sie mit den Worten: Tröste Dich, Europa! (…) Zeus ist es, der Dich geraubt hat. Unsterblich wird Dein Name werden; denn der fremde Weltteil, der Dich aufgenommen hat, heißt fortan Europa! (Schöndube/Ruppert 1964, 53) Europa empfing Zeus und schenkte ihm drei Söhne: Minos, Rhadamanthys und Sarpedon. Europas Schicksal wird nicht als Raub gedeutet, sondern dient als Metapher für Auserwähltheit, Glück, leibliche Fruchtbarkeit und ausreichend Nahrung. Dergestalt diente die Darstellung des Mythos als Schmuck und Zierde von Tempelanlagen und Bodenmosaiken, von Alltagsgegenständen, als Relief oder sogar als Hochzeitsgeschenk. Etrusker und Ägypter übernahmen den Mythos, der so weite Verbreitung fand. Auch im Mittelalter wird Europa mit den oben genannten Attributen in Verbindung gebracht. Erstmals scheint der Kontinent Europa als Regina Europa auf, in Frauengestalt wie auch die weiteren Kontinente Africa oder Asia. Aus dem 11. Jahrhundert ist eine italienische Darstellung des Weltgerichts überliefert, in der die Erde allegorisch durch Europa auf dem Stier dargestellt wird (Schmale 2000, 33).

    Im geografischen Sinne lässt sich Europa zunächst leicht definieren, als zweitkleinster Erdteil mit der drittgrößten Bevölkerungszahl, der gemeinsam mit Russland von 45 souveränen Staaten gebildet wird. So leben in der EU 450 Millionen Menschen, in China 1,4 Milliarden und in Indien 1,3 Milliarden Menschen. In den USA leben 330 Millionen, in Russland 146 Millionen und in Japan 125 Millionen Menschen (Stand: 2020). Die Grenzen im Westen, Süden und Norden werden vom Meer bestimmt, die Ostgrenze bleibt offen und dient – wie auch die Südgrenze – sowohl als Abgrenzung wie auch als Ausgrenzung. Hinsichtlich der Ostgrenze wird seit dem 15. Jahrhundert leidenschaftlich darüber diskutiert, ob Russland zu Europa gehört oder nicht, und spätestens seit der Öffnung Russlands unter Zar Peter dem Großen (1672–1725) verschoben sich die Grenzen vom Don bis zur Wolga. Die Ostgrenze ist variabel und keine natürliche, sie hängt von den politischen Gegebenheiten ab: Gegenwärtig bildet der Ural die Ostgrenze, in der Zeit des Kalten Krieges ist es der „Eiserne Vorhang" gewesen. Geomorphologisch betrachtet ist Europa im Gegensatz zu Asien oder Afrika kein eigenständiger Kontinent, ist vielmehr Kap, Halbinsel oder Ausläufer von Asien (Ziegerhofer 2018, 83). Europa könne man laut Geografen nur dann als eigenen Kontinent betrachten, wenn der Mensch und sein Wirken in Siedlung, Wirtschaft, Kultur, Geschichte und Politik in die Betrachtung einbezogen werden kann. (Schulze/Paul 2000, zitiert in Ziegerhofer 2018, 83) Die „Grenzziehung Europas versteht sich in Abhängigkeit zu Asien, und dies bereits seit Herodots (490/480 v. Chr.–um 430/420 v. Chr.) Antithese von Orient und Okzident. Diese Antithese scheint Einfluss auf den Namen Europa selbst gehabt zu haben: Europa ist eine Ableitung des semitischen Wortes „ereb, was „dunkel, im weiteren Sinne „untergehen heißt. Daraus bildet sich das Gegensatzpaar Abendland versus Morgenland.

    Als schwierig erweist sich die Frage nach dem Europäer, nach der Europäerin. Allgemein kann man sie als Menschen bezeichnen, die innerhalb der Grenzen Europas geboren sind und europäisch sprechen. Doch was ist die „europäische" Sprache? In Europa existiert eine Sprachenvielfalt. Die meisten Sprachen leiten sich von der indo-europäischen Sprachenfamilie ab, mit Ausnahme der finnischugrischen und baskischen Sprache. Eine lingua franca gibt es nicht, wenngleich sich Englisch als Weltsprache und Verkehrssprache auch in der EU durchgesetzt hat, neben der französischen und der deutschen Sprache. In der EU gibt es derzeit 24 Amtssprachen.

    Politisch wird der Begriff Europa in erster Linie als Abgrenzung gegen die Anderen verstanden. In der Schlacht von Tours und Poitiers 732, in der Karl Martell (um 686–741) erfolgreich die aus Spanien vordringenden Araber besiegen konnte, bezeichnete man seine Krieger erstmals als europenses. Sein Enkel Karl der Große (768–814), am 25. Dezember 800 zum Kaiser gekrönt, wurde als pater Europae bezeichnet und regierte über das regnum Europae (Schmale 2000, 29). Unter den Nachfolgern von Karl änderte sich die Bezeichnung in Europae regna und geriet ab dem 11. Jahrhundert in Vergessenheit (Schmale 2000, 30). Die Bezeichnung Europa für den Kontinent erfuhr erst wieder im 14. Jahrhundert einen Aufschwung – vielleicht auch im Zusammenhang mit der wohl ersten europäischen Vereinigungsidee.

    Jedenfalls lässt sich Europa durch VIEL – Vielfalt, Vielbedeutung, Vielsagendes … – oder MULTI – multinational, multikulturell, multikonfessionell definieren (Ziegerhofer 2018, 83ff).

    2. Die historischen Europapläne vom Mittelalter bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

    Die Idee von der politischen Vereinigung europäischer Staaten ist keine Erfindung des 20. Jahrhunderts, sondern man kann sie – abgesehen von den griechischen und römischen Europaplänen – bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts zurückverfolgen. Das gemeinsame und vorrangigste Ziel aller Europapläne war die friedliche Vereinigung aller europäischen Staaten und die Erlangung eines dauerhaften Friedens für den Kontinent – unter Aufrechterhaltung der nationalen Souveränität und teilweise unter der Hegemonie eines Staates. Aber nicht nur der Friedensgedanke war den Europavisionen gemeinsam, sondern auch deren Erfolglosigkeit. Diese war der zersplitterten politischen Staatenlandschaft des europäischen Kontinents geschuldet sowie den hegemonialen Ansprüchen der einzelnen Staaten. Dennoch existierten einige integrative Faktoren, die über die Jahrhunderte und über die territorialen Grenzen hinweg wirkten. Diese waren zunächst wirtschaftlicher Natur: die Hanse seit dem 11. bzw. 14. Jahrhundert bis in das 17. Jahrhundert; die internationalen Flusskommissionen seit 1815 oder die internationale Überwachung wichtiger Binnenwasserstraßen. Auf „politischem" Gebiet gilt das Kongress-System als ein Integrationsfaktor, das vor allem seit dem Wiener Kongress (1814– 1815) das politische, wirtschaftliche und rechtliche Bild Europas prägte (Fischer/Köck/Karollus 20024, 22–25).

    Dass der Europagedanke ein Friedensgedanke ist, verwundert nicht – immerhin zeichnet sich der Kontinent durch seine Vielfalt aus, getragen von multikulturellen, multikonfessionellen und multinationalen Elementen. Eine derartige Vielfalt kann befruchtend sein, kann aber auch für eine friedliche Entfaltung des Kontinents hemmend wirken. Es verwundert auch nicht, dass der Europagedanke mit zunehmender Kriegsgefahr und vor allem aufgrund exogener Bedrohung an Popularität zunahm. Die Sehnsucht, Europa zu vereinen, hat vor allem viele Staatsmänner, Politiker, Philosophen und Literaten nicht mehr verlassen! Übrigens, wenngleich Europa weiblich ist, fehlen Vereinigungsideen von Frauen – Madame Germaine de Stäel-Holstein (1766–1817) und Bertha von Suttner (1843–1914) stellen die einzigen Ausnahmen dar! Im Folgenden sollen die bekanntesten Europaideen, die seit dem 14. Jahrhundert vorliegen, kurz dargestellt werden. Es handelt sich dabei in erster Linie um „elitäre Konzepte, welche Rolle hingegen die Bevölkerung europäischer Staaten spielte, fand in diesen Konzepten keinen Niederschlag. Mit den Europaideen „von unten beschäftigt sich Wolfgang Schmale in seinen jüngeren Arbeiten. Er zeigt die Rolle der Human Rights Leagues in Europe (1898–2016) (Schmale 2017) auf oder zieht einen Vergleich zwischen den Freimaurern, Menschenrechtsligen von Winston Churchill bis zu den „Individual Citizens" (Schmale 2019).

    Pierre Dubois (ca. 1255–ca. 1321), Jurist, Philosoph, Berater des französischen Königs Philipp IV., genannt Philipp der Schöne

    Den Ausgangspunkt für die Idee von der Vereinigung europäischer Staaten bildete die Kreuzzugsidee. Der Franzose Pierre Dubois schlägt in seinem Buch „De recuperatione terre sancte" 1306 einen europäischen Staatenbund vor, um das Heilige Land aus den Händen der Ungläubigen zurückzuerobern. Die Uneinigkeit der Kreuzfahrer und die damit verbundene Niederlage bei der Einnahme von Jerusalem sowohl 1187 als auch 1291 dürften Dubois’ Plan von einem dauerhaften Staatenbund beeinflusst haben. Sein Staatenbund sollte ein Organ darstellen, durch das Frieden gestiftet und auch erhalten werden sollte. Ein dauerndes Schiedsgericht, bestehend aus weltlichen und geistlichen Würdenträgern, hätte der Beilegung vorherrschender Konflikte zu dienen. Die oberste Instanz des Schiedsgerichtes käme dem Papst zu. Dem französischen König wird der Vorrang in der zu gründenden Delegiertenversammlung europäischer Monarchen eingeräumt (Lauer in Böttcher 2014, 75–82).

    De recuperatione terre sancte, 1306

    Um den Frieden zu sichern, soll der Papst ein Konzil sämtlicher Könige und Fürsten einberufen, das die Leitung aller Staatsgeschäfte in Händen hat. Der Krieg zwischen christlichen Staaten ist verboten, Friedensbrecher trifft die Strafe der Gütereinziehung, und sie werden überdies ins Heilige Land versetzt, damit sie dort an vorderster Front gegen die Ungläubigen kämpfen. Die konfiszierten Güter bilden den Grundstock der Kriegskasse. Die Ländereien Widerspenstiger werden eingekreist, ausgehungert und besetzt. Wer sich, über ein ihm zugefügtes Unrecht zu beklagen hat, soll ein internationales Schiedsgericht anrufen, statt Krieg zu führen.

    Das Konzil soll Geistliche oder andere Männer als Schiedsrichter wählen, kluge, erfahrene und rechtgläubige Männer, die für jede Partei als Geschworene drei Richter im Rang von Prälaten und drei andere auswählen, und zwar wohlhabende Männer, von denen zu erwarten ist, daß sie nicht durch Liebe oder Haß, durch Angst oder Begehrlichkeiten oder sonst wie bestochen werden können. Diese sollen an einem geeigneten Ort zusammenkommen, nachdem sie aufs strengste vereidigt wurden und nachdem sie vor ihrer Zusammenkunft die kurz und klar abgefaßten Bittgesuche und Verteidigungsschriften der einzelnen Parteien erhalten und das Überflüssige und Unpassende zurückgewiesen haben, und sie sollen dann die Zeugen empfangen und das Beweismaterial entgegennehmen und gewissenhaft prüfen. Jeder einzelne Zeuge möge von mindestens zwei Geschworenen, gläubigen und klugen Menschen, angehört werden. Die Aussagen sollen schriftlich festgehalten und durch die Richter gut verwahrt werden, damit weder Betrug noch Irrtum möglich ist. (…) Zur Urteilsfindung sollen sie möglichst Beisitzer haben, die nach bestem Wissen der Richter rechtgläubig und im göttlichen, im kanonischen und im bürgerlichen Recht erfahren sind. Sollte eine der streitenden Parteien mit dem Urteilsspruch nicht zufrieden sein, dann müssen die Richter die Prozeßakten zusammen mit den Urteilssprüchen an den apostolischen Stuhl schicken, damit das Urteil durch den jeweils regierenden Papst verbessert oder geändert werde, wenn es angebracht sein sollte, oder, wenn dies nicht der Fall sein sollte, damit es bestätigt und zur Ewigen Erinnerung in den Annalen der heiligen römischen Kirche festgehalten wird.

    (Ziegerhofer/Pichler/Likar 1999, 15–16)

    Dante Alighieri (1265–1321), florentinischer „Dichterkönig"

    Dante steht hinsichtlich der Frage, ob dem Kaiser oder dem Papst der Vorrang in Bezug auf die politischen Entscheidungen innerhalb Europas einzuräumen sei, konträr zum Europakonzept seines französischen Zeitgenossen Dubois. Der „Dichterkönig plante eine Gesamteuropa umfassende Monarchie unter der Leitung eines „Weltmonarchen, der auch der oberste Richter sein sollte. Dieser „Weltmonarch hätte der deutsche Kaiser zu sein, der seine Autorität von Gottes Gnaden ableitet. Dante versuchte in seiner Schrift „De monarchia weder den Kaiser noch den Papst zu favorisieren, vielmehr wollte er die Differenzen zwischen beiden ausgleichen (Gehler 2018, 93). Basierend auf der koordinierenden Zwei-Schwerter-Lehre, die besagt, dass Gott ein Schwert dem Papst und ein Schwert dem Kaiser übergeben hat, um so die Gleichrangigkeit zwischen Kirche und Reich auszudrücken (Schima 2020, 561–662), sprach sich Dante gegen den Vorrang der Kirche aus (Gehler 2018, 93). Das Buch „De monarchia" wurde wahrscheinlich anlässlich der bevorstehenden Krönung von Kaiser Heinrich VII. (Jänner 1309) im Jahr 1308 verfasst. Dante gilt als ein Verfechter des Weltkaisertums und der Reichsuniversalität, wohl aufgrund der Fremdherrschaft der Franzosen und Spanier in Süditalien und angesichts der anwachsenden Macht der Reichsfürsten.

    De monarchia, 1308

    Kapitel V

    (…) Wenn wir endlich ein besonderes Reich betrachten, dessen Zweck derselbe ist, wie der einer Bürgerschaft, nur mit noch größerer Zuversicht auf Ruhe, so muß Einer König sein, der da herrscht und waltet, sonst erlangen die in dem Reiche Lebenden nicht nur nicht den Zweck, sondern das Reich geht zu Grunde, gemäß jener untrüglichen Wahrheit: „Ein jegliches Reich, so es mit ihm selbst uneins wird, das wird wüste". Wenn es sich also in diesen und den einzelnen Dingen, welche immer auf ein Ziel gerichtet sind, so verhält, so ist die obige Annahme richtig.

    Nun steht es fest, daß, wie vorher gezeigt worden ist, das ganze Menschengeschlecht sich nach einem Ziele richtet, also muß Eins das Leitende oder Herrschende sein, und dies ist der Weltmonarch oder Kaiser, wie er genannt werden mag. Und so ist klar, daß zum Heile der Welt die Weltmonarchie oder das Kaisertum notwendig ist.

    (Dante Alighieri 1872, 35–36)

    Georg von Podiebrad (1420–1471), böhmischer König

    Die Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahr 1453 und die damit verbundene Bedrohung des westlichen Teils von Europa vonseiten des Osmanischen Reiches veranlasste viele Staatsmänner und sogar Papst Pius II. (Enea Silvio Piccolomini 1405–1464), die Vereinigung Europas zu fordern, um so gemeinsam gegen die Osmanen zu kämpfen.

    Der Kampf gegen die Türken war auch der Grund, wenngleich nicht das auslösende Moment, für den böhmischen König Georg Podiebrad (1458–1471), ein europäisches Bündnisprojekt zur Verteidigung gegen die Türken verfassen zu lassen. Der angebliche Verfasser des Föderationsprojektes ist ein gewisser Anton Marini aus Grenoble. Er war ein anerkannter Diplomat, der nicht nur sprachenkundig, sondern auch im internationalen Recht bewandert war. So stand er nicht nur im Dienst des Prager Hofes, sondern diente gleichzeitig den Königen von Frankreich, Ungarn und Polen. Marini versuchte zwischen Papst und König zu vermitteln, möglicherweise hat er bei dieser Gelegenheit dem Papst sein „Europaprojekt präsentiert. Als er damit scheiterte, vermittelte Marini wiederholt und präsentierte 1464 den „Bündnis- und Föderationsvertrag zwischen König Ludwig XI., König Georg von Böhmen und dem Hohen Rat von Venedig, um den Türken zu widerstehen. Im selben Jahr hatte Papst Pius II. Georg Podiebrad nach Rom zitiert, damit dieser sich für seinen utraquistischen Glauben rechtfertige. Mit dem „Bündnis- und Föderationsvertrag" hoffte man, den böhmischen König zum Mitbeschützer der Christenheit zu machen und dem möglichen kirchlichen Bann durch den Papst entgehen zu können. Allerdings ging diese Rechnung nicht auf, Podiebrad und seine Familie wurden 1466 von Papst Paulus II. (1417–1471) als Ketzer gebannt.

    In dem erwähnten Verfassungsprojekt waren die Vertragspartner zu gegenseitigem Beistand verpflichtet und durften keine kriegerischen Auseinandersetzungen untereinander führen. Im föderativen Plan waren gewisse „Organe" vorgesehen wie etwa Bundesgericht, Bundesrat oder Bundesversammlung und Bundesbeamte. Der Bundesrat der Staatsoberhäupter sollte unter Vorsitz des französischen Königs agieren! Die Bundesversammlung hatte beispielsweise die Aufgabe, über Krieg und Frieden sowie über die Aufnahme neuer Mitglieder zu entscheiden, konnte Bundessanktionen gegenüber Friedensbrechern erlassen und hatte die Verantwortung für die Bundesfinanzen. Hinsichtlich des Sitzes der Bundesversammlung schlug Podiebrad für die ersten fünf Jahre Basel vor, danach galt das Rotationsprinzip. Diese Bundesversammlung sollte nicht nur über einen eigenen Beamtenstab verfügen, sondern auch ein eigenes Wappen, eine Bibliothek und ein Archiv besitzen. Der böhmische König legte auf die Beibehaltung der jeweiligen nationalen Sitten und Gebräuche Wert, weshalb die wichtigsten Ämter der Bundesversammlung von landeskundigen Männern besetzt werden sollten (Prettenthaler-Ziegerhofer in Böttcher 2014, 89–96).

    Bündnis- und Föderationsvertrag zwischen König Ludwig XI., König Georg von Böhmen, und dem Hohen Rat von Venedig, um den Türken zu widerstehen, 1464

    Art 4 Wenn jemand von denen, die außerhalb dieser Konvention stehen (…), ohne daß er gereizt oder angegriffen wurde, gegen einen der Unseren Krieg führen will oder den Krieg schon begonnen hat, was wohl am wenigsten zu befürchten ist, da unsere Freundschaft und Liebe im Hintergrund steht, dann soll unsere untenerwähnte Bundesversammlung im Namen aller Mitglieder und auf gemeinsame Kosten, auch wenn unser Bundesgenosse nicht um Hilfe nachsuchen sollte, unverzüglich ihre ordentlichen Gesandten an einen beiden Parteien gelegenen Ort entsenden und hier in Gegenwart der Streitenden oder ihrer bevollmächtigten Vertreter mit allem Eifer und gewissenhaft den Frieden und die Eintracht möglichst auf gütlichem Wege wiederherstellen oder die Streitenden zur Wahl eines Schiedsrichters bewegen oder dazu, daß sie vor einem zuständigen Richter oder vor dem unten erwähnten Bundesgericht um ihr Recht streiten. Kommt aber das Gerichtsverfahren und der Friede nicht zustande, weil der Angreifer fernbleibt, dann wollen wir anderen einmütig unserem überfallenen und zur Verteidigung gezwungenen Mitglied zu Hilfe kommen und ihm zu seiner Verteidigung den Zehnten aus unseren Königreichen zur Verfügung stellen, und zwar aus den Erträgnissen unserer Besitztümer und denen unserer Untertanen (…), soweit und solange es von unserer Bundesversammlung oder deren Mehrheit für gut befunden und beschlossen wird, um für den angegriffenen Bundesgenossen den Frieden zu erlangen.

    Art 5 Damit auch unter den übrigen Christgläubigen, die diesem Bund nicht angehören, der Friede erhalten bleibe, wollen wir und ordnen wir an: Wenn unter den anderen Fürsten und christlichen Staatshäuptern, die unserer brüderlichen Gemeinschaft nicht angehören, Streit oder Krieg ausbricht, dann soll unsere unten erwähnte Bundesversammlung durch die Entsendung von Gesandten auf gemeinsame Kosten, und zwar auf gütliche und legale Weise, wie es geschildert wurde, nach Möglichkeit den Frieden unter den Streitenden wiederherstellen. Wenn beide Parteien oder eine von ihnen den Frieden ablehnt und vom Krieg und Kampf nicht ablassen will, (…) dann soll er oder sie mit den obenerwähnten Maßnahmen dazu gezwungen werden. (…)

    Art 9 Da jedoch der Friede ohne Gerechtigkeit und die Gerechtigkeit ohne den Frieden nicht gewahrt werden kann und da der Friede aus der Gerechtigkeit erwächst und durch sie aufrechterhalten wird, verbinden wir den Frieden mit der Gerechtigkeit. (…) Und damit wir die einzelnen Fälle ordnungsgemäß behandeln, haben wir zunächst ein allgemeines Bundesgericht ins Auge gefaßt, das im Namen von uns allen und unseres ganzen Bundes jeweils an dem Ort, an dem die Bundesversammlung weilt, tagen soll und von dem wie von einer Quelle die Bäche der Gerechtigkeit nach allen Richtungen ausströmen sollen. Die Statuten des Gerichts sollen später von der Bundesversammlung festgelegt werden. Ferner verpflichten sich die Bundesglieder, alle Streitigkeiten vor dem Bundesgericht auszutragen. (…)

    Art 11 Demgemäß müssen alle Zehnten, die im Bundesgebiet an Kirchen und Geistliche bezahlt werden, sowie der Zehnte aus den Einkünften der Fürsten und ihrer Untertanen an die Bundeskasse entrichtet werden, dessen Syndikus verpflichtet ist, gegen Säumige Klage zu erheben.

    Art 12 Da wir mit Eifer und Gewissenhaftigkeit vorsorgen müssen, daß nicht ein widriges Geschick uns unvorbereitet trifft, beschließen wir ferner, daß auf Grund gemeinsamer Entscheidungen unseres ganzen Bundes oder dessen Mehrheit festgelegt wird, zu welchen Zeiten es zweckdienlich ist, den Feind anzugreifen und mit welchen Land- und Seestreitkräften man Krieg führen muß, welche Kriegsmaschinen und Belagerungsgeräte man einsetzen muß und wo unsere Landheere sich versammeln sollen, wenn sie künftig gegen die Türken ziehen. (…)

    Art 15 Damit das oben und nachstehend Erwähnte im allgemeinen und im besonderen ordnungsgemäß durchgeführt werde, versprechen wir, daß jeder von uns seine Vertreter, und zwar ehrenwerte Männer von hohem Ansehen, die mit weitgehender Vollmacht und amtlicher Beglaubigung versehen sind, am nächsten Sonntag Reminiszere des Jahre 1464 in die Stadt Basel in Deutschland schickt, wo sie alle für die Dauer der nächsten fünf Jahre ununterbrochen versammelt bleiben und in unserem und im Namen der anderen Mitglieder oder der noch zu gewinnenden Mitglieder die allgemeine Bundesversammlung bilden und repräsentieren. Nach Ablauf dieser fünf Jahre des Baseler Kongresses soll die Bundesversammlung für die nächsten, unmittelbar folgenden fünf Jahre in einer französischen Stadt N. und für das dritte Jahrfünft in einer italienischen Stadt N. abgehalten und durchgeführt werden, in der gleichen Form und nach den gleichen Bedingungen, wie es oben für Basel vorgesehen und angeordnet worden ist. So soll sie im Wechsel von je fünf zu fünf Jahren so lange fortbestehen, bis die Bundesversammlung oder ihre Mehrheit es für gut befindet, etwas anderes anzuordnen und zu bestimmen. Auch soll die Bundesversammlung einen eigenen und besonderen Rat haben, nämlich einen vorsitzenden Vater und Haupt N. und uns übrige Könige und Fürsten der Christenheit als Glieder. Die Bundesversammlung soll ferner über uns alle und unsere Untertanen und über diejenigen, die noch um Aufnahme gebeten haben, die freiwillige Gerichtsbarkeit ausüben. Schließlich soll die Bundesversammlung ein eigenes Wappen, ein Siegel, eine gemeinsame Bibliothek, ein öffentliches Archiv, einen Kanzler, einen Schatzmeister, Beamte und andere rechtliche Einrichtungen haben, die zu einer erlaubten und gerechten Gemeinschaft irgendwie gehören und zu ihr beitragen. Und damit das Recht einer jeden Provinz ungeschmälert gewahrt bleibt, beschließen wir, daß solche Männer in der Bundesversammlung an die Spitze der wichtigeren Ämter gestellt werden, die aus derjenigen Nation stammen, bei der die Bundesversammlung jeweils tagt, und die ihre Sitten und Gebräuche kennen und verstehen. (…)

    Art 17 Ferner betonen und wollen wir, daß Wir, der König von Frankreich zusammen mit den übrigen Königen und Fürsten Galliens, eine Stimme, Wir aber, die Könige und Fürsten Deutschlands, eine zweite Stimme und Wir, der Doge von Venedig zusammen mit den Oberhäuptern der Städte Italiens, eine dritte Stimme in der Bundesversammlung haben und abgeben. Wenn aber der König Kastiliens oder die anderen Könige und Fürsten der spanischen Nation in diesen unseren Bund der Freundschaft und Brüderlichkeit eintreten sollten, dann werden sie billigerweise eine Stimme im Bund und in der Bundesversammlung haben. Wenn aber unter den Vertretern der Könige und Fürsten ein und derselben Nation entgegengesetzte Stimmen über einen Gegenstand abgegeben und beschlossen werden, dann soll das gelten, was von der Mehrheit bestimmt und beschlossen worden ist, wie wenn die Nation einstimmig geurteilt und beschlossen hätte. Bei Stimmengleichheit aber sollen jene Vertreter den Vorrang haben, die im Vergleich zu den anderen bei der Vertretung ihrer Herren größeres Verdienst und größere Würde besitzen. Und wenn sie an Verdienst und Würde einander ebenbürtig sind, dann liegt die Entscheidung bei den anderen Nationen, die zu diesem Bund gehören.

    (Ziegerhofer/Pichler/Likar 1999, 21ff)

    Maximilien de Béthune, Baron de Rosny, Herzog von Sully (1559–1641), französischer Staatsmann, Minister und Berater von König Heinrich IV. von Frankreich

    In vielen Varianten begegnen uns Europapläne – idealistisch bis utopisch verbrämt und mit hegemonialen Zielsetzungen. Dies gilt auch für den „Grand Dessin des Herzogs von Sully. Er trachtete danach, die Hegemonie Frankreichs durch die Schaffung eines europäischen Staatenbundes zu sichern. Der Herzog von Sully griff bereits 1632 die Idee der „balance of power auf, verfolgte aber damit das Ziel, nicht nur Europas Staatenlandschaft institutionell und territorial neu zu organisieren, sondern die habsburgische Vormachtstellung zu beseitigen. Europa, die „christliche Republik, sollte in 15 Herrschaftsgebiete eingeteilt werden, bei Aufrechterhaltung ihrer „Souveränität und Eigenheit. Diesem in drei Herrschaftsformen unterteilten Europa (Königreiche, auf Wahlprinzip basierende Herrschaften wie z. B. das Heilige römische Reich deutscher Nation, sowie auf damals verstandenem republikanischem Prinzip basierende Staaten wie z. B. die italienischen Kleinstaaten) könnten durchaus die „Moskowiter", also Russland, beitreten, so die Idee des Herzogs. Einen Beitritt des Osmanischen Reiches lehnte er allerdings ab (Walter in Böttcher 2014, 132–133). Die Staaten, die den Staatenbund bilden, wären durch insgesamt 66 Bevollmächtigte auf drei Jahre im sogenannten Senat versammelt. Hier wird über bürgerliche, politische und kirchliche Angelegenheiten der Mitgliedstaaten beraten. Sämtliche Entscheidungen des Senats sollten unwiderrufliche und unveränderliche Gesetze darstellen. Sully verfolgte mit seinem „Großen Plan" das Ziel, jede kriegerische Auseinandersetzung in Form von Angriffs- oder Eroberungsfeldzügen oder innerstaatlichen Revolutionen einzudämmen, wofür eine europäische Armee Sorge zu tragen hätte (Walter in Böttcher 2014, 131–135).

    Grand Dessin, 1638 und 1662

    Man wird, hoffe ich, nunmehr deutlich sehen, welches der Zweck dieses neuen Staatensystems war: ganz Europa in gleichem Verhältnis unter eine gewisse Anzahl von Mächten zu teilen, welche einander weder wegen ihrer Ungleichheit beneiden, noch in Absicht auf das zwischen ihnen nötige Gleichgewicht fürchten müßten. Ihre Zahl war auf fünfzehn gesetzt, und sie waren in drei Klassen eingeteilt, nämlich in sechs große monarchische Erbreiche, fünf monarchische Wahlreiche und vier unabhängige Republiken. Die sechs Erbmonarchien waren Frankreich, Spanien, England oder Großbritannien, Dänemark, Schweden und die Lombardei; die fünf Wahlreiche: das Kaisertum, die päpstliche Würde oder das Pontifikat, Polen, Ungarn und Böhmen; und die vier Republiken: die venezianische oder fürstliche, die italienische, welche man auch wegen der damit verbundenen Herzogtümer die herzogliche nennen kann; die schweizerische, helvetische oder verbündete; und die belgische oder Provinzialrepublik.

    Die Gesetze und Statuten, welche die Verbindung aller dieser Glieder festknüpfen und die einmal eingeführte Ordnung unterhalten könnten; die gegenseitigen Eidschwüre und Verpflichtungen, welche sowohl die Religion als den Staat betreffen; die wechselseitigen Versicherungen einer uneingeschränkten Handlungsfreiheit; die Maßregeln, die man nehmen mußte, um alle diese Teilungen mit Billigkeit und zur allgemeinen Zufriedenheit der Parteien zu machen; dies alles sind Sachen, die sich von selbst verstehen (…) Höchstens konnten einige kleine Schwierigkeiten bei der Ausführung der einzelnen Teile vorkommen, welche aber in der allgemeinen Ratsversammlung leicht behoben werden konnten. Diese sollte gleichsam alle europäischen Staaten vorstellen, und die Errichtung derselben war unstreitig der glücklichste Einfall, den man haben konnte, um die Änderung zu verhüten, welche die Zeit oft in den weisesten und nützlichsten Einrichtungen hervorbringt.

    Sie sollte aus einer gewissen Anzahl von Kommissarien, Ministern und Bevollmächtigten aller Staaten der christlichen Republik bestehen, welche in Form eines Senats beständig versammelt wären, um sich über die vollkommenden Geschäfte zu beratschlagen, die streitigen Interessen zu einigen, die Zwistigkeiten beizulegen, alle bürgerlichen, politischen und kirchlichen Angelegenheiten der europäischen Staaten, die sowohl unter ihnen als mit Fremden vorkommen würden, aufzuheitern und in Ordnung zu bringen. Die äußerliche Einrichtung und die Prozeduren dieses Senats wären dann in der Folge durch Mehrheit der Stimmen von ihm selbst näher bestimmt worden. Nach Heinrichs Gedanken sollten z. B. für die folgenden Fürsten: den Kaiser, den Papst, die Könige von Frankreich, Spanien, England, Dänemark, Schweden, Lombardei und Polen und die Republik Venedig, vier Kommissarien und für die übrigen Republiken und kleinern Monarchien zwei diesem Senate beiwohnen. Dies hätte ungefähr eine Zahl von sechsundsechzig Personen ausgemacht, welche jedesmal nach Ablauf von drei Jahren hätten abgeändert werden müssen.

    Meines Erachtens wäre es nicht undienlich gewesen, neben diesem allgemeinen Senat eine gewisse Anzahl von geringern Ratsversammlungen zur Bequemlichkeit einzelner Teile von Europa einzusetzen. (…) Wie aber auch die Zahl und die Form dieser geringern Ratsversammlungen sein möchte, so war doch dies ein unumgänglich notwendiger Punkt, daß von ihren Entscheidungen an den allgemeinen Staatsrat appelliert werden könnte, dessen Aussprüche für unwiderrufliche und unveränderliche Gesetze sollten gehalten werden, weil sie von der vereinigten Obermacht aller Staaten herrührten, deren Befehle ganz zwanglos und unabhängig gewesen wären.

    (Ziegerhofer/Pichler/Likar 1999, 29–31)

    William Penn (1644–1718), Jurist, Politiker, Quäker, Begründer des amerikanischen Bundesstaates Pennsylvania

    Am Ende des 17. Jahrhunderts entwickelte der britische Jurist William Penn einen merkwürdigen Europaplan. Interessant ist, dass sich Penn bereits mit dem wirtschaftlichen Wohlstand Europas auseinandersetzte und daher eine Europäische Union, Liga oder Versammlung vorschlug, die nicht nur der Sicherung des Friedens, sondern auch dem Handel und der Wirtschaft förderlich sein sollte. In dieser Versammlung fänden alle europäischen Staaten, die dem Bund beitreten wollten, Platz. Sie würden über Konflikte entscheiden und bei Nichtbefolgung von Beschlüssen fände als ultima ratio die Waffengewalt Anwendung. William Penn schwebte die Zusammensetzung der Staaten in der Versammlung nicht nach deren Größe, sondern nach deren wirtschaftlicher Potenz vor. Dabei galt der Grundsatz der Stimmenwägung und nicht der Stimmenzählung. Interessant sind die Argumente, die Penn gegen folgende Einwände anführte: Würde „das Soldatenhandwerk" nicht mehr ausgeübt werden, käme es zur Verweichlichung der Gesellschaft. Würde ein Staat einen anderen überfallen, würde es an Soldaten fehlen. Penn entgegnete ersterem Einwand damit, dass im Mittelpunkt einer strengen Erziehung Technik, Naturphilosophie und Arbeitsamkeit sowie Staatsbürgerkunde (Wissen über den Staat, Verfassungen und Politik) stehen sollten, wodurch die Jugend Selbst- und Wertverständnis erhalte. Als Gegenargument zum zweiten Vorwurf führte Penn an, dass der Staatenbund alleinigen Schutz gewähren werde – auch ohne eigene Armee! Penn gestand jedoch den Mitgliedstaaten seines visionären Staatenbundes eine kleine Armee zu. Außerdem vertrat der Quäker die Meinung, dass man den Wohlstand jedes Gliedstaates durch Verkleinerung des „Kriegsbudgets steigern könnte (Böttcher in Böttcher 2014, 171–172). William Penn sprach bereits von einem „Europäischen Pass, einem „Runden Tisch" oder thematisierte die Sprachenfrage (Böttcher in Böttcher 2014, 164–174).

    Ein Essay zum gegenwärtigen und zukünftigen Frieden von Europa durch Schaffung eines europäischen Reichstags, Parlaments oder von Reichsständen, 1693

    Nun sollen die souveränen Fürsten von Europa, die diese Gesellschaft darstellen oder eine dieser Gesellschaft vorausgehende, unabhängige menschliche Gemeinschaft vertreten, aus demselben Grunde, der die Menschen zuerst zu einer menschlichen Gesellschaft zusammenschloß, nämlich aus Liebe zum Frieden und zur Ordnung, übereinkommen, durch ihre Bevollmächtigten in einem gemeinsamen Reichstag oder Parlament oder Staatenhaus sich zu treffen und da Rechtsregeln festzusetzen für die souveränen Fürsten, die sich wechselseitig halten müßten; und so sollten sie sich jährlich treffen oder mindestens alle zwei oder drei Jahre, oder wie es sich durch den Bedarfsfall ergibt. Und heißen sollte dies: souveräner Reichstag, Parlament oder Staatenbund. Vor diese souveräne Versammlung sollten alle Streitfälle zwischen Regierungen gebracht werden, die nicht schon vorher durch private Verhandlungen der Gesandten beigelegt werden können. Und wenn eines der Länder, die zu diesem Staatenbund gehören, sich weigern sollte, seine Ansprüche oder Forderungen ihm zu unterwerfen oder seinen Richterspruch abzuwarten, und statt dessen mit den Waffen Abhilfe zu schaffen oder die Ausführungen über die Zeit, die in den Beschlüssen festgelegt ist, hinauszuschieben gedenkt, so sollen alle anderen Länder, in eine Macht vereinigt, die Unterwerfung unter den Spruch und seine Ausführung erzwingen mit Entschädigungen für die benachteiligte Partei und Kostenzahlung an die Mächte, die die Unterwerfung erzwungen haben. Sicherlich würde auf diese Weise Europa endlich zu dem so ersehnten und für seine gequälten Bewohner so nötigen Frieden gelangen, da kein Staat in Europa so viel Macht hat, daß er geneigt sein dürfte, das Urteil anzufechten; folglich würde der Frieden für Europa gesichert und erhalten werden.

    Die Zusammensetzung und das Verhältnis dieser souveränen Liga oder dieses Staatenbundes scheint auf den ersten Blick keine kleinen Schwierigkeiten mit sich zu bringen, betreffs des Punktes nämlich, wie viele Stimmen in Anbetracht der Ungleichheit der Fürsten und der Staaten zu vergeben sind. Aber bei aller Ehrfurcht vor besserer Einsicht kann ich mir dies doch nicht als unlösbar vorstellen; denn wenn es möglich wäre, eine Schätzung über das jährliche Einkommen der verschiedenen Staaten zu erhalten, die diese hohe Versammlung beschicken sollen, so wäre die Berechnung der Anzahl der Personen oder der Stimmen nicht undurchführbar. Nun ist es eine ganz einleuchtende Tatsache, daß England, Frankreich, Spanien, das Deutsche Reich usw. ziemlich genau geschätzt werden können, wenn man in Betracht zieht die Einkünfte der Länder, Aus- und Einfuhr, die Steuerbücher und -übersichten, die es in allen Staaten gibt, um die Angaben für ihren Unterhalt zu staffeln, so daß die geringste Geneigtheit für den Frieden von Europa nicht vor diesem Einwurf stillzustehen oder haltzumachen braucht. (…) Wohlgemerkt, ich gehe nicht von irgendeiner Berechnung oder einer Schätzung des Einkommens des Fürsten aus, sondern von dem Wert des Landes, wobei das ganze Land genau so in Betracht gezogen wird wie der Fürst. Und dies ist ein gerechter Maßstab, um der Sache beizukommen, da der eine Fürst mehr Einkommen haben kann als der andere, der über ein reicheres Land herrscht. Bei dem Beispiel, das ich jetzt aufführen werde, ist Vorsicht nicht so sehr geboten, da, wie ich schon vorhin sagte, ich gar keinen Anspruch auf Genauigkeit mache, sondern nur nach dem Gefühl schätze, nur um des Exempels willen. Ich nehme also an, daß senden werden: das Deutsche Reich zwölf Vertreter, Frankreich zehn, Spanien zehn, Italien, das Frankreich zunächst steht, acht, England sechs, Portugal drei, Schweden vier, Dänemark drei, Polen vier, Venedig drei, die Generalstaaten vier, die Schweizer Eidgenossenschaft und kleine benachbarte Staaten zwei, Herzogtum Holstein und Kurland einen. Und wenn die Türken und Russen auch aufgenommen werden, was nur billig und gerecht wäre, so sollen sie jeder zehn haben. Alles in allem also neunzig. (…) Aber es ist nicht unbedingt nötig, daß immer so viele Personen anwesend sein sollten, um die größeren Staaten zu vertreten; denn die Stimmen können von einem Vertreter irgendeines Staates abgegeben werden, so gut wie von zehn oder zwölf. (…) Der Platz ihres ersten Zusammentreffens müßte so zentral wie möglich gelegen sein; später kämen sie zusammen, wo sie es vereinbarten. (…) Um Streitigkeiten über den Vortritt zu vermeiden, soll das Sitzungszimmer rund sein und verschiedene Türen haben, damit Ausnahmestellungen vermieden werden. Wenn die ganze Anzahl in Zehner geteilt wird, von denen jeder einen Vorsitzenden wählt, so können diese abwechseln.

    Diskussionsfreiheit und Regeln können sicherlich nicht schlecht ausfallen in einer Versammlung, die sich aus den Weisesten und Besten aller Staaten zusammensetzt, schon in ihrem eigenen Interesse und zu ihrer eigenen Ehre. Sollte eine Unstimmigkeit entstehen zwischen Gesandten ein und desselben Staates, dann soll ein Vertreter der Mehrheit die Stimmen für den Staat abgeben. Ich würde es auch für sehr nötig halten, daß jeder Staat bei Androhung großer Strafen anwesend sein sollte und daß niemand die Sitzung ohne Urlaub verläßt, ehe alles erledigt ist und daß Neutralität keineswegs in irgendeiner Debatte geduldet werden dürfte. Denn jede solche Vergünstigung wird schnell die Bahn öffnen für unlautere Machenschaften und würde einen Schwanz offener und geheimer Ungehörigkeit im Gefolge haben. Wenig nur will ich über die Sprache sagen, in der der Staatenbund verhandeln soll, aber sicherlich muß es Latein oder Französisch sein; ersteres wäre gut für Juristen, letzteres aber leichter für Männer von Stand.

    Aber wir können uns leicht die Bequemlichkeit und Annehmlichkeit vorstellen, mit der man durch die Staaten Europas reist mit dem Paß eines beliebigen Landes, der durch den Staatenbund Rechtskraft erhält. Wer durch Deutschland gereist ist, wo es eine so große Anzahl von Staaten gibt, schätzt den Vorteil und Wert einer solchen Freiheit in Erinnerung an die vielen Aufenthalte und Untersuchungen, die er dort durchgemacht hat. Ebenso geht es allen, die die große Tour durch Europa gemacht haben.

    (Rothbarth 1920, 14–15, 17–20, 25–27)

    Charles-Irénée Castel Abbé de Saint-Pierre (1658–1743), französischer Schriftsteller und Berater am Kongress von Utrecht

    Im Jahr des Friedens von Utrecht 1713 und der Aufnahme der Friedensverhandlungen von Rastatt, die schließlich zum Ende des Spanischen Erbfolgekrieges (1701–1714) führten, entwarf der französische Schriftsteller Abbé de Saint-Pierre seinen „Traktat vom Ewigen Frieden". Die darin enthaltenen Bestimmungen (z. B. die Verbindlichkeit der Entscheidungen des internationalen Gerichtshofes, Ächtung militärischer Alleingänge einzelner Mitglieder) dienten teilweise als Grundlage für die Ausformulierung der Satzung des Völkerbundes im Jahr 1919. Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) setzte dem Europaplaner Saint-Pierre ein Denkmal, indem er den Plan posthum veröffentlichte und diesen kommentierte (Auszug aus dem Plane zu einem ewigen Frieden des Herrn Abbé de Saint-Pierre). Saint-Pierre forderte zur Schaffung des dauerhaften Friedens eine zwischenstaatliche Organisation, da er die Meinung vertrat, dass bloße Vertragswerke unzureichend seien. Sein Staatenbund würde ebenfalls aus einem Sekretariat und aus einem Senat bestehen, dessen Vorsitz allwöchentlich wechseln sollte. Neben der Streitbeilegung (Bundesexekution) wurden Bestimmungen über die Nachfolgeregelung, die Beschlussfassung, den Sitz (Utrecht) und das Truppenkontingent getroffen. Neben politischen und militärischen Funktionen sollte der Bund auch wirtschaftliche Aufgaben erfüllen (Lauer in Böttcher 2014, 179–187).

    Der Traktat vom Ewigen Frieden, 1712/1713

    Viertes Hauptstück

    Der vorgeschlagene Völkerbund gibt allen christlichen Herrschern hinreichende Sicherheit für einen dauernden inneren und äußeren Frieden (…)

    I. Grundartikel.

    Artikel 1

    Die durch ihre anwesenden unterzeichneten Bevollmächtigten vertretenen Herrscher sind über folgendes übereingekommen: Es besteht von diesem Tage an zwischen den unterzeichneten Herrschern und, wenn möglich, zwischen allen christlichen Herrschern ein dauerndes, ewiges Bündnis zum Zweck der Erhaltung eines ununterbrochenen Friedens in Europa. Zu diesem Zweck wird der Bund bestrebt sein, mit den benachbarten mohammedanischen Herrschern Schutz- und Trutzbündnisse abzuschließen, damit jeder innerhalb seiner Grenzen den Frieden wahrt, auch alle hierzu nötigen Sicherheiten von ihnen fordern und sie seinerseits geben.

    Die in dem Bunde vereinigten Herrscher werden dauernd durch Bevollmächtigte in einem ständigen Bundesrat vertreten, der seinen Sitz in einer freien Stadt hat.

    Artikel 2

    Der europäische Bund mischt sich nicht in die Regierung der einzelnen Staaten. Er sorgt nur für die Erhaltung ihrer Verfassung im Ganzen und leistet den Herrschern und den Behörden der Freistaaten Beistand gegen Aufruhr und Umwälzungen.

    Artikel 3

    Der Völkerbund sorgt mit allem Nachdruck dafür, daß die Herrscher selbst oder ihre Rechte bei Minderjährigkeitsregierungen und in anderen Zeiten der Schwäche weder

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