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Die zweite Chance
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eBook324 Seiten4 Stunden

Die zweite Chance

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Über dieses E-Book

Fünf alte Studienfreunde treffen sich nach Jahren wieder. Bei einem gemeinsamen Ausflug in Form eines Geocaches versterben vier der beteiligten Freunde aus zunächst unerklärlichen Gründen. Für die Überlebende Sarah beginnt auf der Suche nach dem Mörder ein Martyrium zwischen Trauer, Wut, Enttäuschung, Verzweiflung und der Erkenntnis, dass sich die Vergangenheit nicht leugnen lässt und am Ende alles zu Tage tritt.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum1. Dez. 2016
ISBN9783734528606
Die zweite Chance

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    Buchvorschau

    Die zweite Chance - Michael von Deband

    Kapitel 1

    Wie jeden Morgen verließ sie kurz vor sieben Uhr ihre Wohnung und machte sich auf den Weg zu Arbeit. Der kleine Einkaufsladen öffnete zwar erst um acht, aber sie kam freiwillig immer etwas früher und half Henrik, ihrem Chef beim Auffüllen der vom Vortag meist leergekauften Regale. Sie verdiente nicht gerade viel und die Arbeitszeiten verlangten hohe Flexibilität von ihr, aber sie war überglücklich, dass sie in diesen nicht gerade einfachen Zeiten überhaupt einen Job hatte. Außerdem war sie der Meinung, dass sie mit Henrik nicht den schlechtesten Chef hatte. Wie gewohnt stieg sie in ihr altes und reparaturbedürftiges Auto und schaltete schon fast automatisch das museumreife Radio ein, um die Nachrichten zu hören. So hatte sie das Gefühl immer auf dem Laufenden zu sein und nichts zu verpassen. Außerdem unterhielt sie sich gerne in ihrer gemeinsamen Mittagspause mit Henrik über die aktuellen Geschehnisse und die neusten Trends. Während sie aus ihrer Ausfahrt auf die Hauptstraße, die direkt zu dem kleinen Laden führte herausfuhr, konzentrierte sie sich zwar noch leicht verschlafen, aber dennoch aufmerksam auf den Verkehr und auf die angenehm klingende Stimme des Nachrichtensprechers:

    ... Gestern Abend gab es einen Großeinsatz der örtlichen Polizei und Feuerwehr. Ersten Angaben zufolge wurde die Polizei in ein nahegelegenes Waldstück gerufen, in dem sie einen schrecklichen Fund machte. Der ermittelnde Kommissar S. Stewes bestätigte zum aktuellen Zeitpunkt lediglich, dass mehrere tote Personen geborgen worden waren. Um wen es sich bei den Toten und ob es sich um einen schrecklichen Unfall oder eine Straftat handelt ist derzeit noch völlig unklar. …

    Plötzlich war sie hellwach. Ungläubig und betroffen schüttelte sie langsam den Kopf. Solche schrecklichen Tragödien lösten in ihr große Emotionen aus und wenn sie noch dazu direkt in ihrem Umfeld passierten umso mehr.

    Kapitel 2

    Halb verschlafen stand Sarah Larson vor ihrem großen Spiegel im Badezimmer und betrachtete sich sorgfältig. Mit ihren 33 Jahren sah sie noch überdurchschnittlich gut aus und dessen war sie sich sehr wohl bewusst. Schließlich kannte sie genug Frauen gleichen Alters, die mindestens 10 Jahre älter wirkten. Die vielen Stunden im Fitnessstudio und die tägliche Körperpflege zeigten ihre Wirkung. Nicht, dass sie ihr ganzes Leben ihrem Aussehen widmete, aber sie wusste die Vorzüge dessen in der überwiegend von Männern dominierten Welt zu schätzen. Ob als kleines Kind, Schülerin, Studentin oder jetzt im Berufsleben – das Aussehen wurde ihr zumindest nie zu spürbarem Nachteil. Schon früher hatte bereits bei Papa das kleinste Klimpern mit ihren tiefblauen Augen ausgereicht, um das gewünschte Ziel zu erreichen. In wirklich schwierigen Fällen musste sie noch ihre Augenbrauen einsetzen und das Ganze mit einem leisen Schnaufen untermalen. Erstaunlicherweise funktionierte diese Taktik bis heute aber nur bei Papa. Aus unerklärlichen Gründen war Mama immer dagegen immun gewesen. Jetzt, so wiederholt sich die Geschichte, versuchte ihre eigene mittlerweile vier Jahre alte Tochter Jessica auf die Lösung dieses Rätsels zu kommen. Schon während Sarahs gesamter Schulzeit waren ihr, zum Leidwesen ihrer Mitschülerinnen, fast alle Jungs zu Füßen gelegen hatte. Fast täglich hatte sie Liebesbriefe bekommen, doch Sarah hatte sich nie wirklich für einen von ihnen begeistern können. Sie hatte sich auf ihre schulischen Aufgaben konzentriert und trotz der vielen, zum Teil lästigen Verehrer hatte die Schulzeit ihr im Großen und Ganzen immer sehr gut gefallen. Schließlich hatte es doch etwas Schönes an sich gehabt immer im Mittelpunkt zu stehen. In der Studienzeit war dies auf eine subtilere Art und Weise geschehen. Sie hatte es nie nachweisen können und keinen direkten Vergleich, aber ihr Bauchgefühl hatte ihr stets gesagt, dass sie vor allem bei jüngeren Dozenten in mündlichen Prüfungen immer einen kleinen Vorteil gegenüber den Mitkommilitonen, vor allem den männlichen, hatte und das nicht nur ihres Aussehens wegen. Ob die Vermutung zutreffend gewesen war oder nicht hatte für sie persönlich letztendlich keine Rolle gespielt. Was sie aber mit Gewissheit wusste war, dass dies keinerlei Auswirkungen auf ihren Abschluss gehabt hatte. Den hätte sie so oder so als beste ihres Jahrgangs abgeschlossen. Doch jetzt, als Assistenzärztin, konnte sie schon froh sein, wenn ihr jemand im Alltagsstress mal die Tür aufhielt oder ihr ab und zu ein gehetztes Lächeln schenkte. Die ganze Sache hatte jedoch, wie jede Medaille, auch eine Schattenseite. Sie musste im Laufe ihres Lebens feststellen, dass man als Frau mit den Eigenschaften hübsch UND intelligent auf dem Singlemarkt eindeutig das Prädikat eines Ladenhüters bekam. Die Männer hatten einfach panische Angst vor dieser Paarung.

    Das ferne Klingeln des Weckers unterbrach schließlich ihre Gedanken. Gründlich wusch sie sich das Gesicht mit kaltem Wasser, putzte sorgfältig die Zähne und kämmte ihr schulterlanges blondes Haar. Anschließend legte sie dezentes Makeup auf. Ganz ohne fühlte sie sich irgendwie nackt im Gesicht, aber zu viel wirkte in ihrem Beruf unseriös. Sie war fast fertig, als Martin, ihr Ehemann ins Badezimmer kam und sie liebevoll fragte: »Guten Morgen, mein Schatz! Warum hast du mich denn nicht geweckt?«

    Sarah hasste diesen Kosename. „Schatz - so nannten sich aus ihrer Sicht nur frischverliebte Teenager, aber nicht erwachsene und verheiratete Menschen. Außerdem war sie der Meinung, dass der Kosename „Schatz nicht wirklich von viel Einfallsreichtum zeugte. Diese Abneigung hatte sie ihrem Mann jedoch immer geschickt verschwiegen. Schließlich hatte Martin, milde ausgedrückt, einen leichten Hang zu übertriebener Romantik. Es würde ihn mit Sicherheit kränken zu hören, dass der von ihm bestimmt sehr mühevoll ausgewählte Kosename seiner Angebeteten nicht gefiel. Der eigentliche Grund jedoch war, dass sie sich keinen neuen Kosenamen mehr merken wollte.

    »Ich bin vor dem Wecker aufgewacht und dachte mir ich lasse dich noch ein bisschen schlafen. Ich brauche doch eh immer ewig im Bad«, antwortete sie freundlich lächelnd und drehte sich zu ihm um. Er nahm sie in den Arm und drückte sie ganz fest an sich. Zärtlich legte Sarah ihren Kopf auf Martins Schulter und schloss für einen kurzen Moment die Augen. In den Armen ihres Ehemannes fühlte sie sich immer wohl und sicher. Er war einen Kopf größer als sie und zum Zeitpunkt ihres Kennenlernens sehr gut gebaut gewesen. Bedingt durch seinen beruflichen Aufstieg und das zunehmende Alter hatte aber auch er in den letzten Jahren ein bisschen an Bauchumfang zugelegt, was Sarah aber nie wirklich gestört hatte. Nach seinem BWL Studium hatte er schon seit Jahren mit sehr großem Engagement in einem regionalen mittelständischen Unternehmen gearbeitet. Vor einem Jahr wurde dieser Ehrgeiz dann schließlich belohnt. Und so war er zum Leiter der Einkaufsabteilung befördert worden, was leider zur Folge hatte, dass sie als Ehepaar nicht mehr so viel Zeit zusammen verbringen konnten, was Sarah aber nicht wirklich als störend empfand. Vor dem Hintergrund, dass sie wusste, egal welchen Wunsch sie auch hätte und wie stressig es für Martin werden würde, er alles versuchen würde diesem nachzukommen, genoss sie ihre neu dazugewonnene Freiheit sehr.

    »Was ist denn los, mein Schatz?«, riss Martin sie aus ihren Gedanken.

    »Ach, nichts!«, antwortete Sarah immer noch leicht verschlafen.

    »Ich bin einfach nur froh, dass ich heute meinen letzten Arbeitstag habe. Dann ist endlich der wohlverdiente Urlaub angesagt. Auch wenn ich die drei Wochen alleine mit Jessica verbringen muss, bin ich echt froh mal wieder so richtig abschalten zu können.«

    »Das kann ich mir wirklich vorstellen. Das hast du dir aber auch wahrlich verdient«, antwortete Martin und fuhr vorsichtig mit seiner Hand durch ihr frisch gekämmtes Haar.

    »Kannst du dir wirklich nicht ein paar Tage frei nehmen? Du bist doch der Chef«, fragte Sarah noch einmal nach.

    »Leider nein! Ich werde aber trotzdem immer versuchen etwas früher nach Hause zu kommen, damit wir ein bisschen mehr Zeit für uns haben. So wie ich dich kenne, wird es dir dennoch nicht langweilig werden. Ich habe mich schon darauf eingestellt, dass ich im Haus bald nichts mehr an seinem alten Platz finden werde und mich neu orientieren muss«, antwortete Martin mit einem breiten Schmunzeln im Gesicht.

    Dies war ihm bestimmt schwer gefallen, denn er hasste jegliche Art von Veränderungen. Er liebte Ordnung und klare Strukturen in seiner gewohnten Umgebung. Vor allem aber liebte er ihre gemeinsamen vier Wände. Sarah hingegen liebte es, dieses, ihr gemeinsames Zuhause immer wieder neu zu gestalten. In dem Zusammenhang hatten sie nur eine Regel: Sein Arbeitszimmer war für sie tabu.

    Sie hatte nicht das Gefühl, dass er etwas vor ihr zu verbergen hatte. Es war einfach sein eigenes Reich und das respektierte und akzeptierte sie auch ausnahmslos.

    »Ich habe eine Überraschung für dich, mein Schatz«, erwiderte er, während sie sich mit einem leichten Druck aus seiner Umarmung löste. Dabei schaute sie ihn verdutzt an.

    »Frag nicht«, sagte Martin und machte eine theatralische Handbewegung, während er weiter sprach.

    »Lass dich einfach überraschen! Ich verrate dir nur so viel: Deine Eltern holen Jessica später aus dem Kindergarten. Sie bleibt bis morgen bei ihnen. Und mein letzter Tipp: dein Lieblingsitaliener«, grinste Martin schelmisch.

    »Ich kenne dieses Grinsen«, antwortete Sarah und versuchte dabei die Erstaunte zu spielen.

    »Und was bedeutet es deiner Meinung nach?«

    »Du willst mich heute Abend flachlegen!«, sprach Sarah provokant, um ihn wie so oft herauszufordern. Ihr romantischer Ehemann nahm sehr zu ihrem Bedauern solche Wörter niemals in den Mund.

    »Vielleicht«, entgegnete er und überhörte ihre Provokation bewusst.

    »Du hättest Detektiv werden sollen«, fügte er noch lächelnd hinzu.

    »Das Bad ist jetzt frei! Ich mache uns Frühstück. Kommst du gleich mit unserer kleinen Prinzessin runter? Ihre Anziehsachen hab ich schon rausgelegt«, murmelte Sarah ihm emotionslos zu und verließ das Badezimmer.

    »Guten Morgen, meine kleine Prinzessin!«, sagte sie, als Martin ein paar Minuten später mit Jessica auf dem Arm in die Küche kam. Wie jeden Morgen sah sie auch heute noch total verschlafen aus, eben ganz die Mama. Frei nach dem Motto: „Was interessiert mich das Wetter vor 11 Uhr?"

    Da galt die Devise. Am besten so wenig wie möglich ansprechen.

    »Frühstück ist fertig.«

    »Schau mal, Jessi, Mami hat für dich einen Kakao und einen leckeren Toast mit Erdbeermarmelade gezaubert. Hm, lecker!«, versuchte Martin Jessica das Frühstück schmackhaft zu machen (wohlwissend, dass er keine Antwort zu erwarten brauchte).

    »Sie ist das Ebenbild meiner Sarah«, dachte er, als er Jessica besonnen betrachtete. Mit ihren blonden Locken und den blauen Augen war sie ebenso hübsch wie ihre Mama, aber auch genauso zickig.

    »Da werden sich noch einige Männer an ihr die Zähne ausbeißen. Aber alles zu seiner Zeit. Bis dahin wird ja hoffentlich noch ein wenig Zeit vergehen«, dachte er bei sich, während er Jessica liebevoll betrachtete.

    »Hmmm, mein Kaffee ist wirklich köstlich. Da bin ich gleich fit für den Tag. Dein Kakao ist bestimmt genauso lecker, oder Jessi?«, richtete Martin erneut das Wort an seine Tochter und streckte sich dabei übertrieben gekünstelt.

    Aber nichts. Keinerlei Reaktion. So startete er wie jeden Morgen einen zweiten Versuch: »Man, ist der Toast lecker. Jessi, wenn du dich nicht beeilst, esse ich deinen Toast gleich mit!«

    Jessi warf ihm einen bösen Blick zu und umschlang mit ihrer rechten Hand beschützend den Teller. Ein Wort kam nicht über ihre Lippen. Manchmal klappte es Jessica mit dieser Taktik fröhlich zu stimmen, aber heute war da eindeutig nichts zu machen. So beendeten sie schließlich das Frühstück, Sarah räumte alles auf und Martin kümmerte sich wie immer um Jessica. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten waren sie als Familie mittlerweile ein sehr gut eingespieltes Team geworden, zumindest was den allmorgendlichen Ablauf anging. So zog Martin Jessica Jacke und Schuhe an und packte ihre Tasche zusammen. Da sie heute bei den Großeltern übernachtete musste alles mit, auch der Teddy. Nachdem er diesen schon einmal mitten in der Nacht quer durch die ganze Stadt zu den Großeltern chauffieren musste, weil Jessi ohne ihren Teddy nicht einschlafen konnte, würde er ihn sicher nie mehr irgendwo vergessen. Nachdem nun endlich alles im Auto verstaut war, verabschiedeten sich beide von Sarah. Martin gab ihr einen Kuss auf die Wange, Sarah hingegen gab lediglich Jessica einen Kuss und drückte sie zum Abschied für einen Moment nochmal ganz fest an sich. Das war ihr tägliches Ritual. An der Wohnungstür angekommen, drehte Martin sich noch einmal um und sagte: »Ich wünsche dir einen ruhigen letzten Arbeitstag, Schatz und vergesse unser Date heute Abend nicht. Den Tisch beim Italiener habe ich für 20 Uhr reserviert. Ich freue mich! Bis später. Ich hab dich lieb.«

    »Ja, ich freue mich auch!«, entgegnete Sarah nüchtern.

    Nachdem Martin mit Jessi ins Freie trat, schaute Sarah ihnen kurz winkend nach und ließ anschließend die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Sie lehnte sich gegen diese und atmete ein paar Mal tief durch. Endlich war sie alleine. Sie brauchte einfach ihre Zeit, bis sie in der Früh in die Gänge kam. Da war ihr so früh am Morgen überdurchschnittlich aktiver Martin nicht unbedingt die beste Gesellschaft für sie. Deshalb ging er mit Jessi immer als erstes aus dem Haus, brachte sie zum Kindergarten und fuhr anschließend direkt weiter in die Arbeit. So freute sich Sarah jeden Tag auf die halbe Stunde, die sie nur für sich hatte. Diese nutzte sie meist um in Ruhe die zweite Tasse Kaffee zu trinken und genüsslich eine Zigarette zu rauchen. Sie rauchte nicht viel und hatte sich zwei klare Regeln zu diesem Thema auferlegt.

    Erstens: Sie rauchte niemals vor Jessica, um ihr kein schlechtes Vorbild zu sein.

    Zweitens: Sie rauchte, soweit es sich vermeiden ließ auch nicht vor Martin.

    Er hatte es zwar mittlerweile akzeptiert, aber eine Zigarette schmeckte einfach nicht in seiner Gegenwart. Er sagte meistens nichts, aber sein kritischer Blick reichte ihr schon aus um auf den Genuss zu verzichten. Doch kaum hatte sie sich heute hingesetzt und genüsslich an ihrer Zigarette gezogen, klingelte schrill und laut ihr Handy.

    »Was hat er denn nun schon wieder vergessen?«, fragte sie sich laut und verdrehte dabei ihre blauen Augen. Sie trank einen großen Schluck Kaffee aus ihrer Tasse, in der Hoffnung, dass das Handy endlich sein lästiges Klingeln aufgab. Doch ihr Wunsch blieb unerfüllt. Deshalb stand Sarah seufzend auf, ging zu ihrer Handtasche und holte das lästige Gerät heraus. Als sie auf das Display blickte, breitete sich jedoch sofort ein Lächeln auf ihren Lippen aus.

    »Du störst, ich bin im Stress!«, sagte Sarah, nachdem sie die grüne Telefonhörertaste auf Ihrem Handy gedrückt hatte. Sie versuchte dabei gestresst zu klingen. Am anderen Ende der Leitung hörte sie das unverkennbare, herzliche und laute Lachen ihrer langjährigen Freundin Alex.

    »Was gibt es da denn bitte zu lachen?«, hakte Sarah immer noch schauspielend nach.

    »Es ist einfach nur schön zu hören, dass sich manche Dinge im Leben nie ändern«, hörte sie immer noch lachend ihre Freundin sagen.

    »Lass mich raten. Du sitzt mit einem Kaffee und einer Zigarette in der Hand am Frühstückstisch und versuchst in die Gänge zu kommen.«

    »Ok, ok, ok. Ich weiß, ich kann dir nichts vormachen. Aber mit dem Frühstücktisch liegst du falsch.«, antwortete Sarah schnaufend und fuhr fort: »Du weißt gar nicht, wie ich mich freue dich zu hören. Es ist schon wieder ewig lange her, seit wir das letzte Mal miteinander telefoniert haben. Und du wirst es nicht glauben, aber ich hab auch gerade an dich denken müssen.«

    Wirklich sehr froh ihre Freundin zu hören, ging Sarah in den Garten hinaus, setzte sich wieder hin und zog kräftig an ihrer Zigarette. Fast 5 Jahre war es mittlerweile her, seit Alex ihr verkündet hatte, dass sie das Gefühl habe etwas in ihrem Leben verändern zu müssen. Sie wollte etwas Neues ausprobieren, ihren Horizont erweitern und sich selbst neu finden. Sarah kannte sie schon damals lange genug, genau genommen seit dem Kindergarten, um zu wissen, dass nichts und niemand Alex von dieser Idee abbringen könnte. Es dauerte keinen Monat und Alex hatte einen neuen Job, eine neue Wohnung und stand mit gepackten Koffern, einem vor Freude strahlendem Gesicht und voller Aufbruchsstimmung vor Sarahs Tür um sich endgültig zu verabschieden. Sarah freute sich damals sehr für ihre beste Freundin und bewunderte ihren Mut. Sie selbst hätte einen solchen Schritt nie gewagt. Sie brauchte Sicherheit und Geborgenheit. In die weite Ferne hatte es sie nie gezogen. Als Alex weg war, fühlte es sich anfangs so an, als hätte Sarah eine Schwester verloren. Sie telefonierten zunächst täglich, aber das war irgendwie nicht dasselbe. Das gemeinsame Shoppen, das Ratschen bei einem Kaffee zwischendurch, all das fehlte. Mit der Zeit wurden die Telefonate schließlich weniger, aber die große Sympathie und mit ihr die langjährige Freundschaft blieben auch weiterhin bestehen. Insgeheim hoffte Sarah noch immer, dass für Alex die alte Heimat in absehbarer Zeit die Ferne sein würde, in die sie sich zurücksehnte. Bis jetzt wartete sie darauf jedoch leider vergebens.

    »Hörst du mir überhaupt zu?«, unterbrach Alex laute Stimme ihre Gedanken.

    »Ja, klar!«, antwortete Sarah wieder in der Realität angekommen.

    »Klingt aber nicht wirklich überzeugend, Süße!«, entgegnete Alex argwöhnisch und fuhr weiter fort: »Und nachdem wir ein bisschen geplaudert hatten, sind wir zu dem Entschluss gekommen, dass wir uns endlich einmal wieder alle treffen müssen. Lange Rede - kurzer Sinn. Er ruft Kevin und Oli an und ich hab gesagt ich kläre es mit dir. Und, was sagst du dazu?«

    »Ich nehme an du sprichst von Tomek?«, stellte Sarah geistesabwesend fest.

    »Von wem den sonst, Süße? Ich finde die Idee super. Ich hab jetzt Urlaub und Tomek zufällig auch. Er meinte die anderen beiden bekommen das mit dem Urlaub bestimmt auch hin. Kevin sowieso. Der ist ja schließlich selbständig und außerdem kennst du ihn ja. Wo Tomek und Oli sind, ist auch er nicht weit. Jetzt müssen wir nur hoffen, dass Oli Zeit hat«. Alex plapperte wie ein Wasserfall. Ihre schier unendliche Begeisterung am anderen Ende der Leitung war nicht zu überhören.

    »Wo hast du Tomek denn eigentlich getroffen?«, fragte Sarah von der Informationsflut merklich überfordert sachlich nach.

    »Sarah, das habe ich dir doch gerade eben schon erzählt. Wie sieht es denn bei dir aus? Hast du Zeit?«

    Sarah holte gerade Luft, um zu antworten, als ihr Alex schon wieder voller Lebhaftigkeit ins Wort fiel.

    »Wir dachten, wir machen wie in alten Zeiten mal wieder richtig einen drauf. Das Wetter soll super werden. Beste Voraussetzungen also für Party, Abenteuer und chillen. Weißt du eigentlich, wie lange das schon her ist?« Alex hielt kurz inne, holte laut hörbar tief Luft und plapperte weiter munter drauf los ohne Sarah die Chance einer Antwort zu geben.

    »Wann haben wir uns das letzte Mal alle gemeinsam gesehen?«.

    Wieder kurze Pause. Sarah hörte Alex erneut tief Luft holen. Sie wollte die Chance nutzen und antworten. Es war aussichtslos. Alex referierte schon wieder weiter.

    »Ich denke die Auszeit hat uns allen gut getan. Mit Tomek konnte ich mich sogar schon wieder richtig gut unterhalten. Wir haben den ganzen Nachmittag miteinander verbracht. Es war echt schön. Fast wie in alten Zeiten.«

    Wieder entstand eine kurze Pause. Nach dem kurzen Moment der Stille fragte Alex: »Bist du noch dran?«

    »Ja, ja, klar! Du lässt mich gar nicht zu Wort kommen«, erwiderte Sarah leicht vorwurfsvoll.

    »Aha! Ok! Ja und was sagst du jetzt dazu? Wann hättest du Zeit?«

    Wieder entstand eine kurze Pause. Diesmal wartete Alex bis Sarah das Wort ergriff.

    »Also ich hab heute meinen letzten Arbeitstag und anschließend drei Wochen Urlaub. Wir hab…«

    Lange hielt Alex Rededisziplin nicht an. Sie fiel Sarah erneut unbedacht ins Wort.

    »Fahrt ihr etwa weg? Oh Mist, sorry! Vor lauter Aufregung hab ich ja nicht mal gefragt, wie es euch geht. Was macht Jessica? Sie ist bestimmt schon wieder gewachsen. Mit Martin läuft es ja eh super. Der ist so ein lieber Kerl. Da hast du echt einen überragenden Fang gemacht mit ihm. Sehr bedauerlich, dass er keinen Bruder hat. Der wä…«

    »Alex!«, schrie Sarah laut in ihr Telefon. Es herrschte plötzlich Totenstille in der Leitung.

    »Ja? Rede ich schon wieder zu viel?«, fragte Alex verdutzt und vorsichtig leise nach.

    »Du? Nein, kaum«, sagte Sarah lächelnd und bekam endlich bisschen Zeit um ihre Gedanken neu zu sortieren.

    »Ich finde die Idee gut«.

    »Wie? Nur gut? Die ist genial! OK, ich weiß was dir durch den Kopf geht, aber das ist so lange her und alles geklärt. Das passiert in den besten Familien. Vergeben und vergessen. Also was ist los?«, sprach Alex wieder wie ein Wasserfall.

    »Wie habt ihr euch das denn eigentlich genau gedacht?«, schaffte Sarah zu fragen.

    »Sollten Kevin und Oli Zeit haben, das werde ich heute noch von Tomek erfahren, würden wir uns schon am Samstagnachmittag bei Tomek treffen.«

    »Also das wäre morgen!«, bemerkte Sarah und merkte sogleich wie sich ihr Puls rasant beschleunigte. Sie griff spontan nach der neben ihr liegenden Zigarettenschachtel, entnahm dieser mit zittrigen Händen eine Zigarette und zündete diese an. Tief inhalierte sie den Rauch, der sie sofort ein bisschen beruhigte.

    »Scharfsinnig, Süße. Wir dachten uns, je weniger Zeit du zum Nachdenken hast, umso besser. Wir kennen dich alle einfach zu gut. Hast du für mich ein Zimmer frei? Oli würde dann bei Tomek schlafen«, plapperte Alex weiter voller Begeisterung.

    »Was wäre denn, wenn ich keinen Urlaub hätte oder wir wegfahren würden?«, fragte Sarah gedankenverloren nach.

    »Hast du aber und wegfahren tut ihr offensichtlich auch nicht! Also? Ich hab das Gefühl du freust dich gar nicht«, meckerte Alex bissig.

    »Doch, doch. Es kommt nur alles sehr spontan und überraschend. Ich freu mich aber riesig. Ganz ehrlich. Sag mir doch einfach im Laufe des Tages nochmal Bescheid, ob es klappt. Klar kannst du bei uns schlafen. Du weißt doch, hier ist immer ein Zimmer für dich frei.«

    Sarah sah auf die Uhr und stellte fest, dass sie schon viel zu spät dran war.

    »Du, Alex. Sorry! Ich muss jetzt leider los. Bin sowieso schon zu spät dran. War schön dich zu hören und ich freu mich schon auf euch. Ich hoffe, dass es bei den anderen auch klappt. Ich muss es dann nur noch irgendwie Martin verkaufen. Er hat zwar eh keinen Urlaub, aber er wollte trotzdem ein bisschen mehr Zeit mit mir und Jessi verbringen.«

    »Ach, so wie ich ihn kenne, wird er nichts dagegen haben. Um ganz sicher zu gehen machst du euch beiden heute einfach einen schönen Abend und kümmerst dich gut um ihn. Du hast es schließlich selbst in der Hand und … «.

    »Alex, stopp! Ich kenne dich lang genug und weiß ganz genau was jetzt kommt und was du meinst. Ich hab es schon verstanden«.

    »Ja, davon bin ich überzeugt, Süße. Ich melde mich dann später nochmal. Ciao!«

    Ehe Sarah antworten konnte, war die Leitung bereits tot. Typisch Alex. Hastig trank Sarah den letzten Schluck ihres inzwischen kalten Kaffees, packte ihre Sachen zusammen und verließ das Haus.

    Auf dem Weg zur Arbeit dachte sie die ganze Zeit über Alex Anruf nach. Auf der einen

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