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Rockmusik: Volume I: Gegenkulturen von Rock & Roll bis Punk-Rock
Rockmusik: Volume I: Gegenkulturen von Rock & Roll bis Punk-Rock
Rockmusik: Volume I: Gegenkulturen von Rock & Roll bis Punk-Rock
eBook532 Seiten6 Stunden

Rockmusik: Volume I: Gegenkulturen von Rock & Roll bis Punk-Rock

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Über dieses E-Book

In diesem zwei Bände umfassenden historischen Überblick beleuchtet der Soziologe Johannes Kohaupt die in der Durchschnittsgesellschaft oft ma-
gisch-mysteriös wirkenden rockmusikbegleiteten Gegenkulturen seit den 1950er Jahren.

Der erste Band beschreibt die Gegenkulturen der Greaser, Teddyboys und Halbstarken, der Mods, Rocker, Hippies und Skinheads sowie nicht zuletzt
die der Punks. Darüber hinaus gibt er einen Einblick in die politisch motivierten schwarzen amerikanischen Gegenbewegungen seit den 1950er Jahren: das Civil Rights Movement und das Black Power Movement.

Der zweite Band wird den Blick auf die Gothic-Kultur, auf Hip-Hop- und Technowelten öffnen, wird europäischen Oi-Punk mit Hardcore-Punk aus
Washington vergleichen, die Straight-Edge-Bewegung beschreiben und schließlich diverse Emocore- und Emo-Kultur-Varianten beleuchten.

Im Spannungsfeld zwischen Authentizität und Massenkultur wirken Gegenkulturen exotisch, spiegeln im Grunde aber lediglich die Widersprüche der eigenen sozialen und kulturellen Umgebung. Dabei dienen Accessoires wie Schmuck, Kleidung oder Frisuren, letztlich: der gesamte Habitus und die Haltung gegenkultureller Bewegungen als Identitäts- und zugleich als Abgrenzungssymbole. Rockmusik avanciert zu ihrem Sprachrohr und entfaltet in der Entwicklung jeweils neuer Stilrichtungen eine mitreißende Dynamik.

In der vorliegenden Untersuchung wird die Normativität des gängigen bürgerlichen Ästhetik- und Kulturbegriffs auf deren Wirkungsradius in
bürgerlichen Milieus zurückverwiesen. Der Untersuchung wird ein empirischer Kulturbegriff zugrundegelegt, der es erlaubt, kulturelle Erschei-
nungen gleichberechtigt neben bürgerliche zu stellen, Rockmusik qualitativ gleichwertig neben bürgerliche Bildungsmusik. Im Vordergrund steht
der Gebrauchswert kultureller Erscheinungen in den klassenspezifisch unterschiedenen Milieus der bürgerlichen Gesellschaften - eine soziologische, medien- und kulturwissenschaftliche Theorie der Rockmusik.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum7. Mai 2015
ISBN9783732323722
Rockmusik: Volume I: Gegenkulturen von Rock & Roll bis Punk-Rock

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    Buchvorschau

    Rockmusik - Johannes Kohaupt

    VORWORT

    Mit der Überlegung, eine Untersuchung zur Rezeption von Rockmusik durchzuführen, stellten sich mir umgehend tausend Fragen. Eine der wichtigsten war die folgende:

    Kann jemand, der mit Rockmusik aufgewachsen ist, für den sie mehr ist als nur Musik, die er mag, die vielmehr unverzichtbar zu seinem Alltag gehört – kann so jemand der Rockmusik überhaupt mit genügend Distanz begegnen, um sie frei und unbeeinflusst betrachten zu können? – Nein; das soll hier auch gar nicht die Absicht sein. Gerade die Nähe zur Rockmusik erlaubt es, ihre Rezipienten als Subjekte zu sehen, sie nicht zu Objekten des Augenscheins zu machen.

    In meiner Jugend war Rockmusik für mich selbstredend nicht von wissenschaftlichem Interesse. THE BEATLES, THE ROLLING STONES, OTIS REDDING, JIMI HENDRIX, JANIS JOPLIN, GENESIS – mit diesen Namen verbanden sich Träume, Wünsche, Hoffnungen, Sehnsüchte. Ihre Musik begleitete mich zur Schule, half bei den Hausaufgaben, tröstete mich, wenn ich traurig war und freute sich mit mir, wenn mir etwas besonders Schönes widerfahren war oder wenn ein Vorhaben ganz besonders gut gelingen wollte. Sie wurde aggressiv, wenn ich wütend war und ruhig, wenn der Schmerz verflog, den man mir zugefügt hatte. Die Namen verkörperten Idole, die sagten und taten, was zu sagen und zu tun mir nicht vergönnt, mitunter sogar verboten war.

    Wissenschaftlich begann ich mich erst für Rockmusik zu interessieren, als mein Blick für komplexere Zusammenhänge sich zu weiten begann. Indes: Wieder erscheint Rockmusik wohl nur als Begleitmoment meiner eigenen Entwicklung und dennoch als Teil meiner persönlichen Identität – als formcodiert-stilisierter Ausdruck meiner persönlichen Auseinandersetzung mit der Welt.

    2012, mit Blick auf das medial groß gefeierte fünfzigjährige Bühnenjubiläum der ROLLING STONES, machte ich mich an die Arbeit. Im gleichen Jahr gab es einige Jubiläen zu feiern. Ebenfalls fünfzig Jahre auf der Bühne: Bob Dylan – einige Monate vor den ROLLING STONES, Eric Clapton einige Monate danach.

    Ohne echten Zeitdruck, dennoch mit großer Erleichterung kam die Untersuchung aus meiner Sicht zu einem erfolgreichen Ende. Denn jede Seite wurde in einem gewissen Sinn mit „Blut, Schweiß und Tränen" zu Papier gebracht bzw. in die Tasten des PCs versenkt. Und was zu sagen war, gestaltete sich umfangreicher als anfänglich geplant. Sozusagen als „Nebenprodukt" zu den erwarteten Erkenntnissen ist eine nahezu lückenlose Geschichte der rockmusikalisch begleiteten Gegenkulturen von den 1950er Jahren bis ins zweite Jahrzehnt des neuen Jahrtausends entstanden. Um die Ergebnisse in einigermaßen handlicher Form zu überreichen, werden sie in zwei Bänden präsentiert.

    So bot das Ende der Schreibarbeiten mehrfache Freude: Ziemlich exakt sechzig Jahre zuvor, genau am 19. Juli 1954, veröffentlichte Elvis Presley seine erste Schallplatte, That’s All Right, Sun Records Nr. 209, geschrieben von Arthur Big Boy Crudup – ein wahrhaft denkwürdiges Ereignis, denn er trat damit eine Lawine los, die bis heute nicht zum Stillstand gekommen ist.

    Dank schulde ich allen Personen, die dieses Projekt mit Interesse und kritischen Anmerkungen begleitet haben.

    Es sind im Wesentlichen nicht inhaltliche Änderungen, die schon kurze Zeit nach der Erstveröffentlichung im November 2014 dazu führten, den ersten Teil zu überarbeiten; sie wurden in eher geringem Maß vorgenommen. Ziel war allein eine leichtere Handhabung: dazu wurden Endnoten in Fußnoten umgewandelt und ihre Zahl erheblich reduziert, ohne die Informationen zu verringern.

    EINLEITUNG

    Rockmusik – Alltägliche Medienpräsenz

    Seit dem Beginn des Rock & Roll gab es viele Jubiläen und unzählige Anlässe, eine Arbeit über eine vermeintlich jugendliche Musik zu schreiben und der Fülle von Betrachtungen über die Rezeption von Rockmusik noch eine weitere hinzuzufügen: Da ist z.B. das Wiedererstarken der Vinylschallplatte kurz nach ihrem sechzigsten Geburtstag. Für den eingefleischten Rockfan der frühen Jahre ergeben sich daraus gleich zwei würdige Anlässe. Scheinbar unzählige Bühnenjubiläen wurden zu Beginn des neuen Jahrtausends gefeiert. Und nicht zuletzt ist da der nunmehr fünfte Jahrestag des Todes von Michael Jackson, der viel zu früh gestorben ist. Er ist dabei nur die Speerspitze einer ganzen Reihe von Todesfällen und den Helden der Rockmusik.

    Aber: man braucht diese Anlässe nicht wirklich. Längst ist Rockmusik in Deutschland und überall auf der Welt nichts Ungewöhnliches mehr. Sie ist Alltagsmusik. Sich ihr entziehen zu wollen, dürfte nicht so leicht, wenn nicht gar unmöglich sein – zumindest in den hochtechnisierten postindustriellen Staaten westlicher und östlicher Prägung.

    Morgens schon reißt uns der Radiowecker mit rockiger Musik abrupt aus sanften Träumen und führt uns die erbarmungslose Wirklichkeit des werdenden Tages vor Augen. Auf dem Weg zur Arbeit lassen wir uns von den Serviceprogrammen der Rundfunkanstalten an eventuellen Staus vorbeileiten und werden zwischen den Warnungen mit Rockmusik unterhalten. Jeder Lehrer kann ein Lied von den Kopfhörern der I-Pods vieler Schüler singen, die ihrer Umgebung mitteilen, dass sich ihre Besitzer ganz in die Welt der Medien und der Musik zurückgezogen haben, dass sie derzeit nicht ansprechbar sind – auch für Lehrer nicht. An der Bushaltestelle werden die noch müden Fahrgäste eventuell vom dumpf dröhnenden Sound einer Auto-Stereoanlage eines vorbeikommenden Fahrzeugs aufgerüttelt oder gar erschreckt, je nachdem, wohin ihre noch nicht ganz wachen Gedanken sie gerade getragen hatten.

    In der Mittagspause schnell zum Bäcker oder ins Fastfood-Restaurant: Dort versucht man, wie in nahezu jedem Kaufhaus, jedem Supermarkt, die Kunden mit meist etwas sanfteren, dennoch rockartigen Klängen in gute Laune zu versetzen, vermutlich damit sie mehr konsumieren. Im Café kommt es bisweilen vor, dass Videoclips vom Fernsehbildschirm flimmern, möglicherweise, damit man sich bei Kaffee und Kuchen nicht mehr so alleine fühlt. Und die Werbung zwischendrin benutzt immer mehr rockige Musik, die beim Rezipienten vermutlich die Assoziation von Jugendlichkeit bezüglich eines Produktes erzeugen soll.

    Am Abend, auf dem Heimweg, werben vielerorts, nicht nur in Großstädten, Plakatsäulen oder Videobande das ganze Jahr über für Rockkonzerte oder im Sommer für ganz- oder mehrtägige Open-Air-Festivals.

    Zu Hause will man die Kinder fragen, wie der Tag in der Schule war und ob sie ihre Hausaufgaben gemacht haben. Nach vergeblichem Klopfen, öffnet man verlegen die Tür zu ihrem Zimmer und, wie nicht anders zu erwarten, sitzt der Sohnemann beim Spiel an seinem PC oder schießt mit Hilfe seiner PS4-Konsole gerade Moorhühner ab, die – begleitet von rockigen New-Wave-Klängen – nach unten aus dem Bildschirm fallen. Das Fräulein Tochter zieht sich gerade aus dem Internet die neuesten Klingeltöne fürs Handy herunter – gegen Geld, versteht sich. Sie könne bei ihren Freundinnen doch nicht mit einem schon zum „Evergreen gewordenen Rock-Hit vergangener Dekaden ankommen, wie ihn ihre „alten Herrschaften hören, verlautbart sie ungefragt; sie brauche eine Melodie der neuesten Pop-Hitparade. Da ist man schon froh, dass sie sich nicht gerade kostenlos illegale Rockmusik im mp3-Format von einer der sogenannten Tauschbörsen aus dem Internet „zieht". Schließlich haben wir doch eine Flatrate bei iTunes – oder war es musicload?

    Vor der Tagesschau noch schnell mit dem Hund „Gassi" gehen. Aus der Kneipe nebenan tönt Rockmusik, wo in der eigenen Jugend Heino noch den Ton angab.

    Nun steht einem gepflegten Fernsehabend nichts mehr im Wege. Die Erkennungsmelodien der herausgesuchten politischen Diskussion und auch der kulturellen Sendung, die der Partner oder die Partnerin bevorzugt, sind ebenfalls im Rockstil gehalten, genauso wie bei der Krimiserie im Anschluss. Der Spielfilm zeigt das Leben von Jim Morrison. Der technische Aufwand erinnert einen daran, wie einfach meist die Geschichten der „Rockmusikfilme" mit den BEATLES oder mit Elvis Presley waren, die seit den 1950er Jahren zuhauf gedreht wurden.

    Die Kinder ziehen – wie schon erwähnt – ein anderes Programm vor. Aus hunderten von Radio- und TV-Sendern oder aus dem Internet können sie jederzeit ihren persönlichen Geschmack „befriedigen" und dies meist mit Hilfe des eigenen Radios, Handys oder I-Pods, des eigenen Fernsehers oder des eigenen PCs.

    **********

    Schon diese wenigen Eindrücke eines ganz normalen Tages erhellen, wie sehr Medien und mit ihnen die Rockmusik in unser Leben eingedrungen sind, welchen Grad an Normalität beides für uns inzwischen erlangt hat.

    Radio, Fernsehen und Internet bieten spezielle Rockmusik-Spartenkanäle an: MTV, VH1, VIVA, i-Musik sind nur einige Beispiele für private TV-Programme. In diesen Programmen können sich die Rezipienten die Videos mit ihrem Lieblingssound von ihren Lieblingsstars ansehen. Die Kanäle stahlen ihre Programme rund um die Uhr aus, nur unterbrochen von den passenden Werbebotschaften, zugeschnitten auf die Rezipienten. Radio.de bietet dem Nutzer zirka vierzig Radiokanäle, auf denen ausschließlich Rockmusik zu hören ist; surfradio.de listet gar unglaubliche 16.000 Rocksender von Radiostationen aus der ganzen Welt auf, Spartenkanäle, die alle Arten der Rockmusik, alle erdenklichen Stilrichtungen abdecken: Rock & Roll der 1950er Jahre, Hardrock der 1960er, der 1970er oder 1980er Jahre, Classic Rock, Modern Rock, Folkrock, Country-Rock, Punk-Rock, Hip-Hop. Keine Etikettierung der Musikindustrie, die in der Senderliste nicht vertreten wäre. Bei den meisten handelt es sich um deutsche und internationale Radiostationen, andere wiederum kann man ausschließlich über das Internet empfangen.

    Ähnlich wie die privaten Rockmusik-TV-Stationen finanzieren sich die überwiegend privaten Radiostationen über Werbung, so dass die Rezipienten speziell auf sie zugeschnittene Spots gleich mithören. Man fragt sich bisweilen, ob die Anbieter der Musikkanäle nun Werbung bringen, um den Rezipienten deren Lieblingsmusik präsentieren zu können oder ob es sich um professionell aufgemachte Werbesendungen handelt, die zwischendurch die Lieblingsmusik der Rezipienten spielen, um diese am Apparat zu halten bis der eigentliche Inhalt, nämlich Werbung, für den Erhalt der Sendung sorgen soll – Kulturwirtschaft mit tautologischem Selbsterhaltungstrieb. Dabei kommt es einem gar nicht so lang vor, dass Rockmusik es – zumindest in Europa – schwer hatte, überhaupt einen Sendeplatz im Radio oder im Fernsehen zu erhalten.

    Schauen wir zurück: In den 1950er und 1960er Jahren war Rockmusik in den Kulturlandschaften Europas, besonders in den Medien verpönt als „primitives, jugendgefährdendes Getöse", das nur an die niedersten Instinkte im Menschen appelliere. Im deutschen Sprachraum gab es nur wenige Sendungen, die den Bedürfnissen der Jugendlichen nach Rock & Roll oder Mersey-Beat nachkamen. Im Wesentlichen bedienten sich die jungen Leute beim AFN, dem Sender für die amerikanischen Soldaten in Europa. Hier konnten sie, wenn sie wollten, Tag und Nacht die Begleitmusik ihrer Jugendträume verfolgen. Der Hessische Rundfunk strahlte die zweistündige Sendung Teens, Twens, Top Time aus, Pop Shop vom Südwestfunk war drei Stunden lang, der Bayerische Rundfunk bot am Nachmittag für eine Stunde Club 16. Im Fernsehen gab es z.B. Beat-Club von Radio Bremen oder Disco im ZDF. Bis in die erste Hälfte der 1970er Jahre hinein richteten sich die deutschen Kulturprogramme mehr nach dem Geschmack des Durchschnittspublikums. Für die Unterhaltungschefs der Rundfunkanstalten hieß dies, im Wesentlichen deutsche Schlager zu spielen – Heino gab den Ton an, nicht Mick Jagger.

    Gegen Ende der 1970er Jahre verlangten die Rundfunkhörer und Fernsehzuschauer vermehrt einen lockereren Stil bezüglich der Moderation der oft noch immer recht steif ablaufenden Sendungen im Radio und im Fernsehen. Vielleicht war dies eine späte Folge der 68er-Proteste, die neben ihren politischen Forderungen immer auch einen kulturellen Wandel in der Bundesrepublik Deutschland gefordert hatten. In den Sendeanstalten der USA fand man die Vorbilder, wo der AFN ein hörbares Zeichen in Europa bereits gesetzt hatte. Fündig wurde man auch in Großbritannien und bei Radio Luxemburg, wo sozusagen Tag und Nacht Rockmusik über den Äther geschickt wurde, nur unterbrochen von regelmäßigen Werbespots und den Nachrichten zur vollen Stunde.

    Mit der Umstellung ihrer dritten Rundfunkprogramme zu sogenannten Autofahrer-Servicewellen richteten der Südwestfunk und der Hessische Rundfunk als erste ihre Antennen in Richtung verjüngte Zuhörerschaft – mit Erfolg. Die überwiegende Mehrheit der bisherigen Zuhörerschaft blieb ihren Sendern dennoch treu – nun als Autofahrer. Gerne nahmen sie den neuen Service der Rundfunkanstalten an. Dieser war wegen des sehr hohen Verkehrsaufkommens in der Bundesrepublik inzwischen auch notwendig geworden. Mag sein, dass mancher Autofahrer die „nervige Musik zu Gunsten der wichtigeren Verkehrsinformationen zunächst nur in Kauf nahm. Allerdings setzte dies über kurz oder lang einen gewissen Gewöhnungsprozess zu mehr Toleranz gegenüber den rockigen Klängen in Gang. Dies war natürlich nicht der einzige Grund für den Erfolg, zumal die „Elvis-Jünger der 1950er Jahre nun selbst Eltern von heranwachsenden Kindern waren und die neuen Programminhalte wie die neue Aufmachung und den neuen, lockereren Moderationsstil als American Way of Life in Deutschland begrüßten.

    Der Erfolg der Radiosender griff auf die Fernsehsender über. Sie richteten erheblich mehr Rockmusikprogramme ein: Ronny’s Popshow, Formel Eins oder Ohne Filter, jeweils 45 Minuten bis eine Stunde lang, seien als Beispiele genannt. Neben diesen wöchentlichen Formaten veranstaltete das Deutsche Fernsehen ab den 1980er Jahren auch stundenlange Mammut-Rockprogramme. Da ist zum einen Rock-Pop in Concert (ZDF), wo Aufzeichnungen von Rockkonzerten international bekannter Bands oder Solisten gezeigt wurden. Zum anderen war da die Sendung Rockpalast, die von der ARD alle zwei bis drei Monate ausgestrahlt wurde, und zwar nicht alleine für das deutschsprachige Publikum:

    Im Rahmen einer Eurovision erlebte die „Jugend Europas" jeweils eine ganze Nacht lang ein wahres Festival der Rockmusik mit internationaler, deutschenglischer Moderation.

    Rockmusik scheint, rein phänomenologisch betrachtet, hier etwas vom völkerverbindenden Geist‘ der Olympischen Spiele zu adaptieren, wenn – wie geschehen – diese Jugend Europas‘ via Satellit gemeinsam mit der amerikanischen Jugend‘ live ein Konzert des Rockstars Prince mit seiner Band REVOLUTION frei Haus ‚miterlebt‘" (Kohaupt 1988, 6) – so meine Eindrücke in den 1980er Jahren. An dieser Einschätzung hat sich bis heute nichts geändert.

    Einen Höhepunkt damaliger medialer Übertragungskunst aber erreichte das Live Aid Concert am 13. Juli 1985. Wegen einer andauernden Dürre war es Mitte der 1980er Jahre zu einer Hungersnot in Afrika gekommen. Die Bilder von abgemagerten Müttern auf dem „schwarzen" Kontinent, deren Kinder vergeblich versuchten, an der ausgetrockneten Brust zu saugen, rührten jeden an. Bob Geldof, Mitglied der englischen Rockband BOOMTOWN RATS, organisierte ein weltweit ausgestrahltes Benefiz-Konzert der Superlative. Aus dem Wembley-Stadion in London und dem John-F.-Kennedy-Stadion in Philadelphia (USA) übertrugen zeitgleich acht Satelliten live „ein 16-stündiges, gigantisches Rock- und Medienspektakel ungewohnten Ausmaßes (Kohaupt 1988, ebda) in mehr als 50 Erdennationen zu zirka 1,5 Milliarden Fernsehzuschauern. Selbst die Bewohner der UdSSR und der Volksrepublik China konnten an dem Spektakel teilhaben. Und: „Nahezu alles, was am großen Rockhimmel Rang und Namen hat oder hatte, aktuell oder einst in den Hitlisten vertreten, stellte sich an diesem Tag in den Dienst der weltweiten Sammelaktion, um Menschen einer ‚ anderen Welt‘ vor dem sicheren Hungertod zu bewahren" (Kohaupt 1988, ebda). 60 Millionen englische Pfund kamen immerhin zusammen.

    „Für Stunden schien die Welt in eine Bühne gewandelt; ein bunter Himmel voller Gitarren und Schlagzeuge. Auf der einen Seite Bilder notleidender Menschen auf dem schwarzen Kontinent, auf der anderen die tanzende und jubelnde Menge der Konzertbesucher: ein Kontrast der Superlative, und dem kritischen Betrachter drängen sich Assoziationen zu Götterbeschwörungen von Medizinmännern auf; Technik im Dienst religiös anmutender Regentänze. Sie waren gekommen, um gegen den Hunger zu spielen (…)" (Kohaupt 1988, ebda); nur einige wenige jedoch sangen davon, dass die reichen Nationen von diesem Hunger profitieren, dass dieser Hunger auch Quelle unseres Wohlstandes ist.

    Live Aid – in den 1980er Jahren sicher noch eine mediale Ausnahmesituation. Aber das Konzert zeigte die Möglichkeiten auf und wies damit in die mediale Zukunft, ohne dass die teilnehmenden Rockstars oder die euphorisierten Zuschauer auch nur hätten erahnen können, dass sie gemeinsam mit einem Viertel der Menschheit Zeugen eines medialen und gesamtkulturellen Paradigmenwechsels waren. Die Globalisierung der Wirtschaft war durch die neuen Übertragungstechniken bereits im Gange. Die Digitalisierung der Kommunikationswege, die in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre begann, sollte eine ökonomische und gesellschaftlich-kulturelle Umwälzung vom Grad der Industriellen Revolution mit sich bringen, deren Ausläufer heute gewaltiger noch als damals zu spüren sind – politisch, sozial und kulturell.

    An der Kulturindustrie ist diese Umwälzung ebenso wenig vorübergegangen wie an allen anderen Bereichen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Sie zeigt sich schon ausreichend erkennbar an der Entwicklung der Verkaufszahlen von LPs, MCs und CDs sowie an denen von Plattenspielern, Kassettenrekordern, CD- und DVD-Abspielgeräten bzw. CD- und DVD-Rekordern. Beginnen wir mit den Verkaufszahlen von Analogtechniken:

    Die Zeitschrift Billboard International Music Industry Directory, Buyer’s Guide (1974, 9) weist aus, dass im Jahre 1973 weltweit annähernd fünf Milliarden Dollar für den Erwerb von Schallplatten und Tonbandkassetten ausgegeben wurden. Das meiste Geld, nämlich zwei Milliarden Dollar, wendeten die US-Bürger auf. Das entspricht einer Pro-Kopf-Ausgabe von 9,70 $. Interessant ist, dass von den 24 aufgeführten Ländern aus allen Erdteilen die Bundesrepublik Deutschland mit einem Aufwand von 7,57 $ pro Kopf (oder 454 Millionen Dollar absolut) an dritter Stelle der jährlichen Pro-Kopf-Ausgaben rangiert. Sie liegt damit noch vor Großbritannien (6,86 $ Pro-Kopf, 384 Millionen insgesamt), das hinter den Niederlanden (6,91 $ Pro-Kopf-Ausgabe bzw. 93,95 Millionen absolut) den fünften Rang einnimmt. Die zweithöchste Pro-Kopf-Ausgabe für Schallplatten und Tonbandkassetten wurde für Schweden ermittelt: 7,64 $, was einem Gesamtaufwand von 62,2 Millionen Dollar entspricht.

    Steve Chapple und Reebee Garofalo (1980, 220) wiesen damals darauf hin, dass mindestens 80 Prozent aller verkauften Schallplatten aus dem Rock- bzw. Soulsektor stammten.

     Was bei Peter Spengler (1985, 17) noch als logische Annahme erschien, dass nämlich die Nachfrage nach Rockmedien seit den 1970er Jahren eher gestiegen als gesunken sein dürfte, lässt sich in den Statistiken der Musikindustrie leicht nachlesen:

    1973 wurden weltweit 617 Millionen LPs abgesetzt, im Jahre 1983 waren es 850 Millionen. Die Steigerung für verkaufte LPs betrug also insgesamt 37,76 Prozent (vgl. Tschmuck 2009, Tabelle 2). Der weltweite Einbruch der Verkaufszahlen für LPs ab 1983 leitete allerdings einen bis vor wenigen Jahren andauernden stetigen Absatzrückgang ein. Dabei geht es um Umsatzeinbrüche von jährlich bis zu 8,5 Prozent in den ersten drei Jahren, zwischen 1983 und 1986, in den darauf folgenden drei Jahren, 1987 bis 1989, gar schon um jährlich bis zu 14,5 Prozent und bis 1995, also in weiteren sechs Jahren, um Umsatzeinbußen von jährlich bis zu 55 Prozent.

    Diesem Phänomen stehen die Verkaufszahlen von Kompaktkassetten zwischen 1983 und 1989 mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 15 Prozent gegenüber. In den Jahren danach erleben auch die Kompaktkassetten einen stetigen Absatzeinbruch, der bis heute andauert. Dabei sanken die Verkaufszahlen in den ersten fünf Jahren, zwischen 1989 und 1994, zunächst moderat um bis zu 6 Prozent jährlich, gingen dann bis 2003 in ein zweistelliges Minus von bis zu 19 Prozent jährlich über und fielen danach ins Bodenlose bei Verlusten von 30 bis 50 Prozent per anno (vgl. Tschmuck 2009, a.a.O., ebda).

    Wer damals Schallplatten oder Tonbandkassetten kaufte, benötigte auch Plattenspieler oder Kassettenrekorder, vielleicht sogar beides. So ist es bei den oben genannten Umsatzzahlen kaum verwunderlich, wenn Wolfgang W. Weiß (1980) für die damalige Zeit feststellte, dass über 90 Prozent der bundesdeutschen Jugendlichen einen Plattenspieler oder einen Kassettenrekorder besaßen. Analoge Schlussfolgerungen kann man wohl für die anderen in der Billboard-Statistik genannten Länder ziehen: In den USA wurden jedenfalls 1972 fast 1,5 Milliarden Dollar für Schallplattenspieler und Tonbandgeräte ausgegeben. Eine Milliarde Dollar für Rundfunkgeräte (Radios, Radiowecker etc.) sind in dieser Zahl nicht einmal enthalten (vgl. Chapple / Garofalo 1980, 202).

    Zu den genannten Medien kamen Jugend- und Musikzeitschriften, die zum Teil immense Auflagen erreichten. Rund ein Drittel (31%) aller bundesdeutschen Jugendlichen zwischen zwölf und einundzwanzig Jahren (vgl. Stefen 1978, 156) lasen allwöchentlich 1,4 Millionen Exemplare der Zeitschrift Bravo (vgl. Knoll 1978, 75). Zwar konnte sich keine andere deutsche Jugend- und Musikzeitschrift mit einer derart großen Leserschaft brüsten, aber auch Musik-Express (3,7%), ein deutsches Gegenstück zum englischen New Music Express, und die Zeitschrift Sounds (später mit Musik-Express fusioniert) (1,9%) konnten einen festen Leserkreis unter Jugendlichen verbuchen, ebenso wie Popfoto (4,5%) und Musik Joker (4,2%) (vgl. Stefen 1978, ebda).

    Der Grund für die erwähnten massiven Verkaufseinbrüche von Vinylschallplatten und Kompaktkassetten liegt in der 1983 auf den Markt gekommenen Audio-CD, die Philips und Sony in einem Joint-Venture-Unternehmen seit 1979 entwickelt hatten. Die Idee war, durch berührungsfreies Lesen der Daten, eine verschleißfreie Qualität der Aufnahmen zu erreichen, ohne „lästige" Nebengeräusche, wie wir sie bei der Vinyl-LP zwangsläufig durch das Abtasten der Rillen vorfinden. Dennoch setzte sich die CD nur relativ langsam, doch aber stetig auf dem Markt durch. Die zögerliche Akzeptanz durch die Verbraucher ist nicht verwunderlich. Denn das Umsatteln auf Digitaltechnik war für die Anwender mit erheblichen Kosten verbunden. Schließlich brauchte man zum Abspielen der CD einen Player, oft auch einen neuen Verstärker, wenn man die neue Qualität in vollem Umfang genießen wollte

    Die Zuwachsraten beim CD-Verkauf waren in den ersten Jahren nach dem Durchbruch mit teilweise mehr als 200 Prozent astronomisch. Auch in den darauf folgenden Jahren, bis Mitte der 1990er Jahre, konnte die Absatzrate jedes Jahr noch verdoppelt werden.

    Gestartet war die CD 1983 mit sechs Millionen verkauften Exemplaren. Dies steigerte sich mit den genannten Wachstumsraten bis 1989 auf 600 Millionen verkaufte CDs. Dies markierte zugleich das Jahr, in dem ihre Verkaufsrate zum ersten Mal die der Vinylschallplatte überholte: 450 Millionen Stück wurden im Jahr 1989 abgesetzt. Nach wenigen Jahren der Stagnation, erfuhr der Absatzmarkt der CD einen erneuten Schub: von 1997 bis ins Jahr 2000 wurden jährlich mehr als zwei Milliarden CDs verkauft (vgl. Tschmuck 2009, Tabelle 2).

    Im 21. Jahrhundert zeigt die CD jedoch, dass sie nicht die dauerhafte Zukunftstechnologie darstellt, für die man sie in der Kulturindustrie lange gehalten hatte. Seit der Jahrtausendwende erfährt sie jährlich Wachstumseinbrüche. Von 2,45 Milliarden verkauften CDs im Jahre 2000 ging der Absatz stetig zurück bis auf 1,33 Milliarden im Jahr 2008 (vgl. Tschmuck 2009, ebda). Tut man sich im Internet um, so erfährt man von weiteren Rückgängen in den vergangenen Jahren.

    Diese rückläufigen Zahlen können nicht verwundern. Denn CDs, physische Träger musikalischer Produkte allgemein, bekamen durch den PC und das Internet, insbesondere die mp3-Technik und die Tauschbörsen, wie nicht zuletzt auch durch Konzerte und Live-Festivals, die seit einigen Jahren wieder im Aufblühen sind, starke Konkurrenz. Auf die skizzierten Zusammenhänge werde ich im Verlauf der Untersuchung noch genauer eingehen.

    Zur gesellschaftlichen Dimension von Rockmusik – Vorüberlegungen zur geplanten Untersuchung

    Zahlen drücken Quantitäten aus. So auch die hier von der Industrie selbst erstellten historischen Verkaufsbilanzen technischer Medienangebote oder die damalige Erfassung der Leserschichten von Jugend- bzw. Musikzeitschriften. Ausreichend deutlich lässt sich die Entwicklung von analogen zu digitalen Medien ablesen. Bei Verwendung weiteren Zahlenmaterials wäre es zudem sicherlich auch nicht schwer darzulegen, ob Rockmedien im Wesentlichen von Jugendlichen gekauft werden und welche Rockvarianten sie favorisieren.

    Auch wenn die zitierten Statistiken zu Verkaufszahlen von Medienprodukten nicht in Form von Matrizen wiedergegeben sind, muten sie doch ein wenig an wie Planquadrate zur Erschließung von Marktlandschaften, ähneln sie einem Strategiespiel mit Zahlen zur Sondierung von Absatzmärkten. Gerade wegen ihrer begrenzten, rein quantitativen Aussagekraft können sie nicht letzte sozialwissenschaftliche – und was viel entscheidender ist – nicht letzte soziale Wahrheit sein. Was die Zahlen widerspiegeln, ist die Tatsache, dass es eine enge Verbindung zwischen Rockmusik, Massenmedien und offenbar jugendlichen Rezipienten gibt. Den qualitativen Gehalt dieses Zusammenhangs können sie freilich nicht erhellen und bleiben einer tieferen Analyse deshalb äußerlich.

    Diese Untersuchung hat sich zur Aufgabe gestellt, entlang der Geschichte von Gegenkulturen Rockmusik auf ihre sozialen Dimensionen hin zu durchleuchten. Herausgearbeitet werden soll z.B., warum gerade Rockmusik eine solch große Breitenwirkung hat und weshalb sie gerade auf Jugendliche eine so große Anziehungskraft auszuüben scheint.

    Allerdings kann dies nur eine erste Fragestellung sein. Wichtiger als das Warum des „Massenkonsums" Rock ist das Wie der Rezeption. Mit Wie? sollen nicht nur die verschiedenen Übermittlungsformen von Rockmusik, die auditiven und visuellen Massenmedien oder Konzerte usw. angedeutet werden, die den Rezipienten eine ganze Palette unterschiedlicher Zugangs- und Aufnahmemöglichkeiten bieten. Im Vordergrund der Betrachtung sollen in erster Linie die Bedeutung der Musik für die Rezipienten und ihr Gebrauchswert stehen. Denn: Bedeutend ist das kulturelle Phänomen Rock zuallererst durch und für die Rezipienten (vgl. implizit Silbermann 1957, 192). Ohne sie hätte diese Musik keine Öffentlichkeit, könnte sie Inhalte nicht über die Privatsphäre der Musiker hinaus transportieren, wäre sie sozusagen nichts weiter als eine andere Art von „Kammermusik" der Macher.

    Aber: „Musik ist mehr als nur Musik." (Weiß 1982). Rock ist gerade wegen seiner vermittelten Verbreitung über Massenmedien vor allem Musik für andere (Christgau 1979) ein zum Kauf feilgebotenes, massenhaft reproduziertes Konsumgut, das sich – von der Herstellerseite aus gesehen – in nichts von anderen industriell gefertigten Waren unterscheidet.

    Andererseits war und ist Rockmusik seit den 1950er Jahren „Begleitmusik" vieler, meist jugendlicher Gegenkulturen, war und ist „(…) diese Musik immer wieder in den verschiedensten sozialen Konflikten und Emanzipationsbestrebungen ein Medium der Artikulation von individuellen und Gruppeninteressen". (Zimmer 1981, 7)

    Die unterschiedlichen Interessenlagen, die Musiker, Rezipienten und Vertreter verschiedener Sparten der Kulturindustrie bezüglich der Rockmusik haben, liegen darin begründet, dass Musik für die Interessenten zwangsläufig unterschiedliche Funktionen zu erfüllen hat.

    Für die Kulturindustrie leiten sich die Funktionen von Rockmusik aus der industriellen Produktionsweise ab. Sie organisiert die Vermarktung von Rock nach streng kapitalistischen Gesichtspunkten und hat ein weitverzweigtes, engmaschiges Netz von Produktion und Distribution dieser Musik geschaffen, ein Netz mit einem hohen Niveau an Arbeitsteilung. Als Vermittlungsglied zwischen Künstlern und Rezipienten ist die Kulturindustrie von großer Bedeutung für die Breitenwirkung des Rock.

    Rockmusik, deren Ursprünge sowohl in der schwarzen Volksmusik der USA, im Blues, in Spirituals und Worksongs, als auch in der Volksmusik der weißen Bevölkerung der USA, u.a. der Countrymusik und deren Vorläufer liegen, steht aber oft genug im Widerspruch zur Produktionsweise der Kulturindustrie. Dann nämlich, wenn Rock als künstlerischer und kultureller Selbstausdruck der Musiker oder gar einer ganzen gegenkulturellen Bewegung dient und durch massenhafte Verbreitung in Gefahr gerät, als Artikulationsmedium dieser Bewegung verloren zu gehen, sozusagen in der Breite zu verschwimmen und in der Masse an symbolischer Bedeutung zu verlieren.

    Es wäre in diesem Zusammenhang gerade deswegen verkehrt anzunehmen, das Produktions- und Distributionssystem der Kulturindustrie sei allein verantwortlich für die Verbreitung von Rockmusik und ihre nunmehr 60-jährige, scheinbar ungebrochene Attraktion für die Rezipienten. Denn längst bevor Rockmusik – amerikanischem Beispiel folgend – auch in Europa zum offiziellen Medienspektakel avancierte, zu einer Zeit, als sie von den öffentlichen Kulturträgern und selbst von der Lobby der Kulturindustrie als ästhetisch anstößig und minderwertig abgelehnt wurde (vgl. u.a. Chapple / Garofalo 1980, a.a.O., S. 57 ff), spielte sie für ihre Rezipienten bereits eine wichtige Rolle: zumeist im Milieu von oft jugendlichen Gegenkulturen. Steve Chapple und Reebee Garofalo (1980) zeigen – indirekt – für den Rock & Roll der 1950er Jahre in den USA, Jochen Zimmer (1981) und Simon Frith (1981) auch für spätere, europäische Varianten der 1960er und angehenden 1970er Jahre, dass diese sich hauptsächlich sogar in gegenkultureller Umgebung entwickelten. Für diese These spricht auch das Do-It-Yourself-Verhalten vieler Hardcore-Punk- und Metalcore-Bands der 1980er und 1990er Jahre. Die Kulturindustrie hat dann jeweils versucht, die regional neu entstandenen Stile marktgerecht für ein breiteres Publikum zu verwerten (vgl. Chapple / Garofalo 1980; vgl. Zimmer 1981, 115 ff; vgl. Frith 1981, 67).²

    Das dialektische Verhältnis zwischen Musikern, Kulturindustrie und Rezipienten bezüglich Rockmusik bzw. die Beziehungen der einzelnen Teile zueinander, sind es, die die gesellschaftlichen Funktionen dieser Musik im Wesentlichen bestimmen, ihre sozialen Dimensionen abstecken und zu einem guten Teil determinieren.

    Bei den Untersuchungen zum Thema Jugendliche und ihre Musik", die seit dem Ende der 1960er und in der ersten Hälfte der 1970er Jahre zuhauf von Soziologen, Psychologen und Pädagogen durchgeführt wurden, handelt es sich um eine Mischung zwischen positivistischen und kulturkritischen Ansätzen. Man erfährt viel Verständnis für „die Jugend, die als Einheit nie existierte. Die Minderwertigkeit der Rockmusik und der Hedonismus der Probanden indes stehen, zumindest latent, von vornherein fest. Beides, sowohl das „Verständnis für „die Jugend", als auch das präjudizierte Werturteil über Rockmusik, hatten ihren rationalen Hintergrund. Für die Forscher war nämlich weder Musik, zumal die Unterhaltungsmusik, noch Jugend von generellem erkenntnistheoretischem Interesse.

    Vornehmliche Aufgabe von Sozialwissenschaftlern in den ausgehenden 1960er Jahren war die Reintegration besorgniserregend vieler jugendlicher „Aussteiger" in das bürgerlich-kulturelle Milieu. Denn aus den Reihen bürgerlicher Milieus selbst kamen in dieser Zeit kulturelle Gegenentwürfe zu den kapitalistischen Gesellschaftsordnungen westlich-industrieller Prägung. Man wollte die Jugendlichen aber nicht verstoßen, sondern ihre Anliegen verstehen, sie mit Empathie zurückleiten in die Mitte der Gesellschaft.

    Als eines dieser Anliegen hatte sich eben Rockmusik ergeben. Das Schicksal der jungen Menschen, das stand bereits im Ansatz fest, war es, den Werbetrommeln der Kulturindustrie bedenkenlos in den Eskapismus zu folgen (vgl. z.B. Winfried Pape 1973; Wiechell 1973, 1975, Jost 1976).

    Es gehört wohl in diese Reihe von Kurzschlüssen, dass sich über die Jahrzehnte hinweg die Ansicht festigte, Rockmusik sei „Jugendmusik". Sie selbst, „(…), die ‚Jugendmusik‘, gibt es in Wirklichkeit nicht", merkt Tibor Kneif (1982, 207) lakonisch an. Und so erweist sich „Jugendmusik" als vereinfachende Fiktion, die zudem noch ideologischen Charakter hat. Dies schien Wissenschaftler der Nach-68er-Generation aber nicht anzufechten, im Gegenteil.

    Jedenfalls lässt sich die Beziehung zwischen künstlerischer Produktion, Distribution und Rezeption – gerade wegen der Verwicklung der Rockmusik in gegenkulturellen Milieus und der oft zeitlich verzögerten Vermarktung und massenhaften Verbreitung – nicht zwangsläufig als geschlossener Kreislauf basierend auf Angebot und Nachfrage zeichnen, wie das etwa Alphons Silbermann (1957) beschreibt. Dies wird schon an den immensen Schwierigkeiten deutlich, die die Kulturindustrie in den USA in den 1950er Jahren hatte, den Rock & Roll unter ihre Kontrolle zu bringen (Chapple / Garofalo 1980, Kapitel: Der Rock bleibt uns erhalten, 35-75). Ähnliches zeigt sich erneut in den heftigen Besitzstandskämpfen eben dieser Kulturindustrie seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert, weil viele Rockmusik-Nutzer von der physischen zu einer eher softwaretechnischen Nutzung dieser Musik umgestiegen sind.

    Rock transportiert nämlich schon in ihrer immanent-rhythmischen Struktur kulturellen und gesellschaftlichen Konfliktstoff, denn es handelt sich zwar um eine ursprünglich amerikanische, nicht aber um eine bürgerliche Musik. Wenigstens sind die im Blues, im Rhythm & Blues und dem Rock & Roll verwendeten Töne und Klänge nicht entlang der europäischen diatonischen Tonleiter zu erklären. Für europäisch geschulte Ohren transportiert Rockmusik kulturelle Fremdheit, bezogen auf das tonale System der klassisch-europäischen Kunstmusik.

    In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob Musik sozialen Gehalt transportiert (vgl. Adorno 1975). Allgemeiner bestimmte Emotionen können durch Musik erzeugt und befördert werden: Fremdheit, Vertrautheit, im Konzert vielleicht: Gemeinsamkeit. Auch Gefühle wie Hoffnung oder Sehnsucht. Die Frage ist letztlich, ob komplexe soziale und kulturelle Verhältnisse in tonale Welten nicht allgemein erkennbar übersetzt werden können (vgl. Kneif 1971, 70).

    Die Ware „Rockmusik – und nur als solche wird sie über die Massenmedien verbreitet – transportiert emotionale und in gewisser Weise auch, fast sprachlich-semantisch zu nennende, ideologische Inhalte, die gerade wegen ihrer unkonkreten Form nicht vollständig von der Industrie kontrolliert werden können, womit Rockmusik für sie immer ein zweischneidiges Schwert bleiben muss. Denn ihr Gebrauchswert lässt sich zur „Waffe gegen die Kulturindustrie selbst formen, wie dies z.B. ansatzweise in den Gegenkulturen der ausgehenden 1960er Jahre der Fall war und wie wir es z.B. auch an den Tauschbörsen im Internet beobachten können. Beides, der kulturelle Konfliktstoff Rock und die Ware Musik ergeben im sozialen Feld einer widersprüchlichen Kulturlandschaft sehr oft ihren Gebrauchswert für Gegenkulturen. Dabei sind dies nicht immer nur jugendliche Gegenkulturen, wie die Geschichte der Rockmusik uns lehrt. Rock zeigt sich somit in seinen Möglichkeiten, Medium des Selbstausdrucks und zugleich marktfähiges Produkt zu sein, selbst als kulturell mehrdeutiges und widersprüchliches Phänomen.

    Nähert man sich Aussagen zur gesellschaftlichen Funktion von Rockmusik über den Weg der Rezeption, dann stellen sich viele Fragen, allein schon im Hinblick darauf, wie man die weltweite Rezeption einer Musik auf ihre Hintergründe untersucht, deren Ursprung und musikalische Basis dem amerikanischen Kulturkreis entstammen. Wie ist ein Kulturtransfer solchen Ausmaßes überhaupt möglich?

    Der „harte Kern" der Rezipienten von Rockmusik wird heute nicht mehr nur von Menschen jugendlichen Alters gebildet. Tibor Kneif (1982, 207 f) wies schon zu Beginn der 1980er Jahre auf eine sich immer weiter nach oben verschiebende Altersskala der Rockmusik-Rezipienten hin. Zudem handelt es sich bei den Rezipienten um Menschen, deren soziale und kulturelle Umgebungen nur sehr schwer vergleichbar, ja zum Teil kaum miteinander vereinbar sind, wie Rezipienten in den USA, in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion oder etwa in Südostasien.

    Wie kommt es, dass Menschen solch unterschiedlicher Herkunft scheinbar einmütig von „einer Musikform, dem Rock, so sehr angetan sind? Die von den Massenmedien viel beschworene „Einigkeit der Jugend in aller Welt oder die Mär von der „Welt als globalisiertem Dorf" scheinen hier wenig plausibel angesichts der Tatsache, dass in Bereichen, die über die Rezeption von Rockmusik hinausgehen, z.B. in Habitus, Mentalität, Denk- und Lebensweise, dieselben Menschen sehr unterschiedlich, ja nur schwer miteinander vergleichbar sind. Gewisse jugendspezifische Gemeinsamkeiten, etwa ein phänomenologisch zu beobachtendes Generationsbewusstsein, sollen hier nicht völlig verworfen werden. Da Jugend in erster Linie aber eine gesellschaftliche Statuszuweisung ist, sind solche Beobachtungen viel zu allgemein, um kategorial wirklich griffig zu sein. An anderer Stelle, im Abschnitt über Subkultur versus Gegenkultur, werde ich darauf zurückkommen. Es bliebe ohnehin zu fragen, was die nichtjugendlichen Rockrezipienten über Allgemeinplätze hinaus miteinander verbindet.

    Vielmehr schaffen die Medien wohl – besonders

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