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Das ist die ganze Wahrheit: Wie Die Ärzte zur besten Band der Welt wurden
Das ist die ganze Wahrheit: Wie Die Ärzte zur besten Band der Welt wurden
Das ist die ganze Wahrheit: Wie Die Ärzte zur besten Band der Welt wurden
eBook293 Seiten3 Stunden

Das ist die ganze Wahrheit: Wie Die Ärzte zur besten Band der Welt wurden

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Über dieses E-Book

Der eine wollte ursprünglich Archäologie studieren, der andere lernte Dekorateur. Doch als sich Jan Vetter und Dirk Felsenheimer eines Tages im Ballhaus Spandau über den Weg liefen, war es vorbei mit der bürgerlichen Karriere und es begann eine der unglaublichsten Erfolgsstorys der deutschen Musikgeschichte.
Seit mittlerweile über 30 Jahren stehen die Ärzte für Punk, Pop und Spaß. Tatsächlich aber verbirgt sich hinter der schrillen Oberfläche weit mehr als das: Die Ärzte sind das wohl intelligenteste Musikprojekt der deutschen Nachkriegszeit. Niemand sonst schafft es, mit scheinbar harmlosen Versen Rechtsradikale oder Chauvinisten bloßzustellen und gleichzeitig die Charts zu stürmen.
Es gibt über die Ärzte so viel zu erzählen: Jan Vetter alias Farin Urlaub wollte sich wegen seiner Vorliebe für Milch zunächst eigentlich Jan AuLait nennen. Außerdem hatte er kurzzeitig die Idee, Holzfäller in Kanada zu werden. Und was hat es eigentlich mit der Klomusik auf sich, mit der er und Bela B. sich anfangs in ihrer Wohngemeinschaft auf unterhaltsame Weise regelrecht terrorisierten?
Marc Frohner kennt die Geheimnisse der Ärzte und erzählt sie spannend und unterhaltsam in dieser Biografie der besten Band der Welt.
SpracheDeutsch
HerausgeberRiva
Erscheinungsdatum10. Aug. 2015
ISBN9783864138409
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    Buchvorschau

    Das ist die ganze Wahrheit - Marc Frohner

    Inhalt

    Vorwort

    Teil 1: Die Ärzte früher!

    Westberlin

    Ho! Ho! Ho Chi Minh! vs. Geh doch rüber! – Wie alles begann

    Als ich den Punk erfand …

    Trafen sich zwei Punks und pressten Fleisch auf Vinyl

    Anders als beim letzten Mal

    Wie Die Ärzte einen Sänger verloren und die Klomusik erfanden

    Bravopunks

    Mit Jim Rakete zu neuen Höhen

    Ein Lied über Zensur

    Sahnie, Hagen und die Sache mit der Geschwisterliebe

    Zum letzten Mal

    Mit dem Club der Arschlöcher nach Westerland

    Lied vom Scheitern

    Depp King Moskito und der Briefeschreiber

    Teil 2: Die Bestie in Menschengestalt

    Ekelpack

    Schreiende Arschlöcher und ein umgedrehter Spieß

    Herrliche Jahre

    Männer mit Bärten, Männer mit Masken und ein Geili-Geili-Supertyp

    Popstar

    Kein Bravo für Lara Croft am Ballermann

    Sie tun es

    Von Toten Hosen, Spendierhosen und ein wenig Haue

    Teil 3: Ist das alles?

    Außerirdische

    Inglourious Bela: Zurück in die Realschule

    Wunderbare Welt des Farin U.

    Solo im Dutzend und gemeinsam mit Geräusch

    Vorbei ist vorbei

    Abwärts-Bingo und die Rückkehr einer Schallplatten-Legende

    Komm zurück

    Ein Küchenjunge und der immer sterbende Star

    Allein in der Nacht

    Als ein Punkt verschwand, eine Band aber nicht

    Licht am Ende des Sarges

    Oh mein Gott, was macht BelaFarinRod?

    Schlusswort

    Quellen

    Vorwort

    Gutes wird gerne kopiert, und wer Erfolg hat, findet schnell Nachahmer. Das trifft auf die Musik ebenso zu wie auf zahllose andere Bereiche. Jedem erfolgreichen Interpreten wird nachgeeifert, jede gefeierte Band kopiert. Mit einer Ausnahme: Seit mehr als 30 Jahren feiern die ärzte immer wieder neue Erfolge, besetzen Spitzenplätze der Charts und spielen ausverkaufte Tourneen. Doch in all diesen Jahren und Jahrzehnten gab es kaum einen nennenswerten Versuch, dem Stil dieser Band etwas abzuschauen, ihn gar zu imitieren. Natürlich existieren diverse sogenannte Coverbands, die auf Volksfesten oder Familienfeiern ihre bekannten Hits einfach nachspielen, aber niemand hat sich die ärzte zum Vorbild genommen und ihnen wirklich nachgeeifert. Und wenn es doch jemanden gab, dann ist er kläglich gescheitert. Was natürlich zu der Frage nach dem Warum führt, auf die es wiederum eine klare Antwort gibt: Weil es nicht geht. Nur die ärzte können Musik machen, wie sie die ärzte spielen. Nur die ärzte können Texte schreiben und Reime reimen, wie es die ärzte tun. Denn kaum eine andere Musikgruppe ist so eng mit den Persönlichkeiten der Macher verflochten, wie es bei der Band aus Berlin der Fall ist. Ohne Farin Urlaub, ohne Bela B und auch ohne Rodrigo González wird es nie möglich sein, die ärzte zu kopieren – nur diese drei Köpfe gemeinsam können das machen, was die ärzte tun.

    Weil die ärzte nicht nur eines der erfolgreichsten, sondern gemeinsam auch das wohl ideenreichste und intelligenteste Musikprojekt Deutschlands seit Jahrzehnten darstellen. Diese Aussage mag Außenstehende so überraschen, wie sie Fans eventuell verstört. Gerade intelligente Pop- oder Rockmusik ist schließlich ein Thema, das eher für die Grönemeyers dieser Welt steht. Und damit für eine musikalische Art und Weise, die weder die ärzte noch deren Anhänger mögen. Gerade dieser Band Intelligenz vorzuwerfen, hat aber damit zu tun, dass sie eben nicht das tun, was normalerweise unter solch intelligenter Rockmusik verstanden wird. Sie quälen ihre Zuhörer nicht mit gewollt verkopften Inhalten oder schwermütig grüblerischen Texten. Ihre Schläue verbirgt sich hinter einem »Leck mich«: Sie machen ihr Ding und halten sich nicht an Konventionen. Als Deutschland in den Neunzigerjahren nach der Wiedervereinigung unter Ausländergewalt und einer wachsenden rechten Szene ächzte, mühten sich Musiker im ganzen Land, die passende Antwort auf dieses Problem zu finden. Die meisten scheiterten, weil sie mit bleiernem Ernst an die Sache herangingen. Das war verständlich, aber eben nicht zielführend. Die ärzte machten es anders und zwar wesentlich schlauer. Das Ergebnis kennt auch mehr als 20 Jahre nach Veröffentlichung noch jeder. »Schrei nach Liebe« wurde zu einem kaum alternden Klassiker deutscher Rockmusik – und zu jenem Titel, der den Ausruf »Arschloch!« radiotauglich machte. Es gibt viele ähnliche Beispiele für die nur auf den ersten Blick oberflächliche Umgangsweise mit komplexen Themen, die erst auf den zweiten Blick ihre wahre Tiefe erkennen lässt. »Manchmal haben Frauen …« etwa, das in wenigen Strophen mehr über Emanzipation, Chauvinismus und Gewalt gegen Frauen aussagt, als es manche Bücher tun. Oder das weniger bekannte Stück »Meine Freunde«, das in vollkommener Lockerheit von der Selbstverständlichkeit der Homosexualität erzählt – und daneben auch unbeschwert das Thema Sadomasochismus behandelte, als verklemmte Großstädter nicht ahnten, dass sie einmal in Scharen ein Buch mit dem Titel Shades of Grey kaufen würden.

    Trotz alledem werden die inzwischen zu Mittfünfzigern gereiften Gründer der Gruppe bis heute vielfach nicht als erwachsen wahrgenommen. Was auch damit zusammenhängt, dass sie sich niemals Mühe gaben, das zu sein, was der Durchschnittsmensch als erwachsen und reif akzeptiert. In Interviews alberten und albern sie gern herum. Was anderen Musikern als fast schon anarchisches Statement abgenommen würde, wird bei diesem Trio traditionell als pubertäres Gehabe gewertet. So war es noch in den Neunzigerjahren einfach unvorstellbar, dass im Fernsehen oder dem Radio das Wort »ficken« zu hören sein würde. Auch die ärzte kannten natürlich diese Regel – und nutzten eine Live-Übertragung eines ihrer Konzerte zu einem Protest dagegen. Einem Protest, der ohne Protestieren auskam: In fast jeder Pause zwischen den einzelnen Titeln sagten sie genau dieses Wort und begingen damit einen Tabubruch, den Tausende Zuhörer live verfolgen konnten. Als wäre das nicht genug, überzeugten sie auch noch die Zuhörer, die ebenfalls vielstimmig den Menschen an den Radios und natürlich den Verantwortlichen des Senders eben jenes Wort zuriefen. Kritiker mögen nun sagen, dass sich dahinter keine intellektuelle Großtat verbirgt. Was sicher richtig ist. Trotzdem steht auch dieser Fall dafür, dass die ärzte eben eine Band sind, die eine eigene Meinung hat und sich nicht scheut, genau diese zu äußern.

    Was am Ende auch zu einem weiteren Thema führt, das Anhängern ebenso wie Gegnern ein ablehnendes Schaudern vermitteln dürfte: Kunst. Natürlich ist Musik an sich immer auch eine Kunstform. Nur hat der Begriff Kunst im Allgemeinen oftmals einen eher zähen und tranigen Beigeschmack, der sich nur schwer mit einer Band wie die ärzte in Einklang bringen lässt. Tatsächlich aber haben gerade die ärzte von ihrer Gründung an mit dem Begriff Kunst gespielt, indem sie ihn auf ihre eigene Art und Weise überhöht und damit ins Absurde umgekehrt haben. Immer wieder wurde gesagt und geschrieben, dass sich die ärzte anfangs als Parodie auf zeitgenössische Popgruppen der Achtzigerjahre sahen – und genau so verhielten sie sich auch. In frühen Interviews sagten sie aber ebenfalls, dass sie wohl als Dadaisten durchgehen könnten, wenn sie nicht so erfolgreich wären. Und kaum ein Begriff trifft besser auf die ärzte zu als der des Dadaisten. Waren es doch gerade die Dadaisten, die bürgerliche Klischees und herkömmliche Kunstformen ablehnten und die das taten, indem sie diese parodierten.

    Niemand muss jedoch fürchten, dass sich dieses Buch in Ergüssen über intelligente Rockmusik oder eine längst vergessene Kunstform ergeht. Denn im Endeffekt sind die ärzte vor allem auch eine Band mit einer äußerst spannenden und kurzweiligen Geschichte. Sie galten als meistindizierte Musikgruppe der westlichen Welt, sie wurden von manchen schon totgesagt, als sie ein Gründungsmitglied schlicht und einfach rauswarfen. Die ärzte lösten sich sogar auf, als sie glaubten, dass sie alles erreicht hatten – nur um sich wenige Jahre danach wiederzuvereinigen und Erfolge zu feiern, die alles Bisherige in den Schatten stellten. Und das alles nur, weil sich zwei Teenager zufällig über den Weg liefen und weil der eine einen Gitarristen suchte, während der andere immerhin eine Gitarre besaß.

    Teil 1: Die Ärzte früher!

    Westberlin

    Ho! Ho! Ho Chi Minh! vs. Geh doch rüber! – Wie alles begann

    Die Geschichte der Band, die sich anfangs Die Ärzte und später die ärzte schreiben sollte, begann an einem Freitag – dem 14. Dezember 1962. In jenem Jahr erlebte Deutschland einen der strengsten Winter des 20. Jahrhunderts, seit dem November herrschte Dauerfrost und daran sollte sich bis zum kommenden März auch nichts ändern. Für die Familie Felsenheimer in Berlin dürfte das allerdings zweitrangig gewesen sein. Denn hier erwartete man Nachwuchs. Nicht nur ein Kind sollte an jenem Tag auf die Welt kommen, sondern ein Zwillingspaar, Mädchen und Junge. Letzterer erhielt die Vornamen Dirk Albert, und niemand hätte wohl im Traum daran gedacht, dass er sich einmal das Pseudonym Bela B. zulegen und zu einem der bekanntesten Rockstars des Landes werden sollte.

    Denn die Felsenheimers waren keine Menschen, die nach Höherem strebten, sie waren bodenständige Leute, die hart arbeiteten, um über die Runden zu kommen. Man lebte nicht in bitterer Armut, war jedoch Lichtjahre von etwas entfernt, das man als wirklichen Wohlstand bezeichnen könnte. Erschwert wurde die Situation noch dadurch, dass die Ehe der Eltern nicht eben glücklich war und man sich trennte, als die Kinder gerade fünf Jahre alt waren. Von nun an lebte der junge Dirk mit der alleinerziehenden Mutter und seiner Schwester in Berlin-Spandau. Dirk Felsenheimer alias Bela B. beschrieb die Umstände später einmal so, dass die finanziellen Umstände es nicht zuließen, dass an jedem Tag der Woche Fleisch auf den Tisch kam – was ihm aber vergleichsweise wenig ausgemacht habe, da er als Kind eine Vorliebe für Milchreis entwickelt habe, erzählte er dem Obdachenlosenmagazin Hinz&Kunzt.

    Doch so bürgerlich das Leben der Familie auch war, fand es doch gleichzeitig in einem ausgesprochen aufgewühlten Umfeld statt. Gerade das zu jener Zeit noch von einer Mauer umschlossene Westberlin stand zwischen 1966 und 1969 im Mittelpunkt der Proteste der deutschen Studentenbewegung. Immer wieder kam es zu Demonstrationen und zu Zusammenstößen der Demonstranten mit der Polizei. Im Juni 1967 erschoss ein Polizist den Studenten Benno Ohnesorg, kaum ein Jahr später wurde der Studentenführer Rudi Dutschke auf dem Kurfürstendamm bei einem Attentat von drei Schüssen lebensgefährlich verletzt. Es war eine Zeit voller Extreme, zu denen jeder seine Meinung hatte und zu denen die Meinungen der Menschen extrem auseinanderklafften. Die einen hetzten gegen die Staatsmacht, die anderen schüttelten den Kopf über langhaarige Studenten. Im Haus Felsenheimer stand die Meinung ebenfalls fest. Wie wohl fast jeder Berliner erlebte auch der junge Bela B die eine oder andere Demonstration mit eigenen Augen, und er konnte klar hören, was seine Mutter von der Sache hielt. Nämlich äußerst wenig. Sie habe sich vielmehr empört über die Demonstranten und auch jene Worte gesagt, die der bürgerliche Teil der deutschen Gesellschaft zu jener Zeit gerne sagte, um mutmaßliche Aufwiegler abzukanzeln: Die Leute sollten doch »rübergehen«, wenn es ihnen hier im Land nicht passe. Gemeint war damit natürlich, dass sie nicht im Westen demonstrieren, sondern am besten gleich in den sozialistischen Osten und damit in die damalige Deutsche Demokratische Republik auf der anderen Seite der Berliner Mauer wechseln sollten.

    Mit dem Beginn der Siebzigerjahre beruhigte sich die Situation auf den Straßen in Maßen wieder, und für den jungen Dirk standen ohnehin andere Dinge im Mittelpunkt. Längst hatte er sein Interesse für Comics entdeckt, von denen es in den frühen Siebzigerjahren einige an den Kiosken gab. Neben Micky Maus oder Fix & Foxi fanden sich da die Lucky-Luke-Hefte, Tim und Struppi und nicht zuletzt natürlich die Asterix-Hefte, deren deutsche Übersetzungen vor allem in den Siebzigern auf den Markt kamen. 1972 erschien dann als Highlight für die Jungs noch das Comic-Magazin Zack, das in Form gezeichneter Fortsetzungsgeschichten die Erlebnisse fiktiver Figuren wie des Wild-West-Helden Leutnant Blueberry oder des Rennfahrers Michel Vaillant erzählte, die zu einem Stück Jugendkultur jener Ära wurden.

    Auch sein Faible für Horror und Horrorgeschichten entdeckte Bela B. schon in jungen Jahren. Allerdings über einen Umweg, der aus heutiger Sicht nicht wirklich als eine Art Einstiegsdroge angesehen werden dürfte. Es handelte sich dabei nämlich um einen Film, der schon zu Beginn der Siebzigerjahre eigentlich alt und überholt war: Sindbads siebente Reise, ein Abenteuerfilm aus dem Jahre 1958. Die Handlung ist dem Genre entsprechend recht simpel oder gar absurd. Seefahrer Sindbad ist gemeinsam mit seiner geliebten Prinzessin per Schiff auf der Reise nach Bagdad, wo er eben diese Prinzessin heiraten will. Bei einem Zwischenstopp auf einer griechischen Insel wird ein Magier von Zyklopen angegriffen, dann geht auch noch eine Wunderlampe verloren und zu allem Überfluss wird die Prinzessin in einen Zwerg verwandelt – aber am Ende geht dann natürlich doch alles gut aus. Die Handlung also war es wohl kaum, die in Bela B. eine lebenslange Leidenschaft für das Horrorgenre entfachte. Tatsächlich ist der Film nicht in erster Linie wegen seines Plots bekannt geworden, sondern wegen der Arbeit eines gewissen Ray Harryhausen. Der 1920 geborene Amerikaner war nicht nur für das Drehbuch mitverantwortlich, vor allem erweckte er mit einer Stop-Motion genannten Technik die Monster zu filmischem Leben, und zwar in einer für die damalige Zeit erstaunlichen Qualität. Mit seiner Hilfe und seinem Können warfen Zyklopen Helden in Gitterkäfige oder hoben Sindbad mit den klobigen Fingern in die Luft. Was auf dem Umweg über das noch kindliche Gemüt nun die bereits zweite lebenslange Leidenschaft des Bela B. schon früh weckte. Die dritte Leidenschaft dagegen ließ sich etwas Zeit und nahm dabei auch den einen oder anderen Umweg. Wenn Bela B. heute von seinen frühen Kontakten zur Musik berichtet, dann erzählt er, so in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt, von einem Gemeinschaftsplattenspieler, den er und seine Schwester nutzten und für den die Geschwister immerhin jeweils eine eigene Schallplatte erhielten. Was sich grundsätzlich nach einer guten Idee anhört, wären die Platten nicht vom gleichen Interpreten gewesen. Denn als ersten Tonträger gab es für beide etwas, das so manchem den Musikgenuss dauerhaft verderben dürfte: eine Single von Tony Marshall. Mancher Spätgeborene wird von diesem Namen noch nie etwas gehört haben, was auch keinerlei Verlust bedeutet. Trotzdem kann ein wenig Wissen über den Schlagersänger nicht schaden: Tony Marshall ist heute noch aktiv und gilt in Deutschland als eine Art Star. Doch sein Starruhm beruht im Grunde auf einem einzigen Titel, der im Jahr 1971 erschien und sich in den Charts rund ein Jahr lang festbiss: »Schöne Maid«, ein Stimmungslied, das sich weltweit drei Millionen Mal verkaufte – das aber schon zu seiner Zeit gerade von Jugendlichen inbrünstig verachtet wurde.

    Tony Marshall war daher sicher auch nicht derjenige, der Bela B. den Rockmusiker in sich spüren ließ.

    Doch deutschsprachige Stimmungslieder standen in den beginnenden Siebzigern längst nicht mehr allein an den Spitzen der Charts. Vielmehr hatte sich gerade in dieser Zeit in der weltweiten Musikszene einiges getan, vor allem etwas, das Bela B. wirklich zeitlebens ähnlich wie der spätere Punk prägen sollte. Denn bevor dieser Punk die Jugend und ihre Musik revolutionierte, gab es noch ein weiteres Phänomen, das später unter dem Begriff Glam Rock, oder im Deutschen Glitterrock, zusammengefasst wurde.

    Dahinter verbarg sich einerseits ein Auftreten der Musiker und Bands in auffälliger Kleidung, gleichzeitig ging es auch um das Spiel mit den Geschlechtern und darum, sich eben mit Glitter und Make-up vom Prototypen des Macho-Rockers oder intellektuell abgehobenen Bands wie Pink Floyd und Co. abzugrenzen. Hinzu kam eine Musik, die auf meist eingängige Melodien in Kombination mit sehr rhythmischem Rock setzte. Der Glam Rock brachte gleich eine ganze Reihe an Stars hervor: Teenie-Idole wie The Sweet und Slade oder T. Rex mit dem Frontmann Marc Bolan und natürlich David Bowie. Glam Rock war in erster Linie eine britische Erfindung, hatte aber weltweit Einfluss auf Musiker, die wenig später von sich reden machen sollten. Wie etwa die amerikanische Gruppe Kiss. Gerade Kiss sollte für Bela B. zur Initialzündung werden und er verehrt sie bis heute.

    Kiss veröffentlichten ihr erstes Album im Jahr 1974, doch erst mit ihrer vierten Langspielplatte Destroyer schafften sie es auch in Deutschland in die Charts. Trotzdem blieben sie vielen Menschen nicht wegen ihres Hardrock, sondern wegen ihrer Optik im Gedächtnis. Bis 1983 zeigten sich Kiss in der Öffentlichkeit ausnahmslos mit den typischen aufgeschminkten Masken, die individuell auf jedes einzelne Gruppenmitglied zugeschnitten waren. Für den jungen Dirk Felsenheimer wiederum war eben diese Verkleidung zweitrangig. Für ihn war es tatsächlich die Musik, die ihn faszinierte und die ihn erste Schritte auf seinem späteren Weg zum Schlagzeuger machen ließ. Später erzählte er, dass er zu Hause »mit irgendwelchen Klöppeln« auf Kissen eindrosch und damit das Spiel des damaligen Kiss-Schlagzeugers Peter Criss nachahmte. Trotzdem war das Schlagzeug zu diesem frühen Zeitpunkt nicht das einzige Instrument, das ihn begeisterte. Mangels echter Instrumente griff er auch mal zum Tennis- oder Federballschläger, um vor dem Spiegel stehend den Gitarristen zu geben. Das führte schließlich auch zu einem ersten Auftritt als Musiker – oder besser als jemand, der so tut, als wäre er ein Musiker. In der sechsten Klasse, so Bela B., stellte er mit Freunden im Fasching die Band von Suzi Quatro nach. Was im Endeffekt nichts anderes hieß, als dass man im Hintergrund eine Musikkassette mit einem Titel der Gruppe laufen ließ und selber das tat, von dem man annahm, dass es ein Musiker machen würde. Bela B. selbst schlüpfte dabei übrigens in die Rolle der Bandleaderin, die mit Titeln wie »Can the

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