Compliance & Arbeitsschutz, eine praktische Anleitung: Methodik und Verantwortung
Von Donato Muro
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Über dieses E-Book
Das vorliegende Buch versucht diese Fragen herunterzubrechen und zu konkretisieren. Sie fokussiert dabei einen ganz speziellen Teil: dem der Health, Safety und Environmental Compliance mit dem Arbeitsschutz als Kernbereich. Dieses Thema wurde gewählt, da sich hier Parallelen finden lassen zwischen den neuen Anforderungen an Compliance und bereits bestehenden Vorschriften des Arbeitsschutzrechts, die zum Teil eine lange Tradition in Deutschland haben.
Compliance ist ein Werkzeug, das praktisch genutzt werden muss. Gleichzeitig basiert dieses Werkzeug auf einer Unmenge von theoretischen wissenschaftlichen Erkenntnissen aus mehreren Disziplinen und rechtlichen Grundlagen. Die praktische Darstellung erfolgt anhand der Durchführung und Darstellung einer Gefährdungsbeurteilung.
In diesem Jahr trifft die Komplexität der Compliance auf die Unberechenbarkeit einer Pandemie - welche Auswirkungen hat diese auf Compliance und den Arbeitsschutz und wie kann das Werkzeug adaptiert werden?
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Buchvorschau
Compliance & Arbeitsschutz, eine praktische Anleitung - Donato Muro
1 Einleitung
Der Begriff „Compliance" rief lange Zeit zunächst emotionale Assoziationen auf: Unternehmensskandale wegen zügelloser Profitorientierung, Ausbeutung von Arbeitnehmern durch prekäre Arbeitsverhältnisse, Wertschöpfung durch Ausnutzung der Globalisierung, Missbrauch und Umgehung geltenden Rechts und nicht zuletzt Korruption. Kurz gesagt: Unternehmen kommen mit allem davon und es muss ihnen Einhalt geboten werden. Nicht abzustreiten ist, dass sich die Ursprünge von Compliance weltweit tatsächlich im Rahmen dieser Vorkommnisse finden und ihre Entwicklung sich durch Wirtschaftsskandale dynamisiert hat. Um die Jahrtausendwende kam es zu einer Häufung von wirtschaftskriminellen Vorfällen, die sich durch Betrug und Fälschungen von Bilanzen auszeichneten, z.B. bei der amerikanischen Firma Enron. Der vormals größte Gashändler der USA musste im Dezember 2001 Insolvenz anmelden und dabei 20.000 Mitarbeiter entlassen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass Enron unrichtige finanzielle Umstände kommuniziert hatte. Es stellte sich heraus, dass diese durch die Angabe falscher Investitionen gefälscht waren.¹ Bezogen auf Deutschland ist hier insbesondere der Siemens-Skandal zu erwähnen, welcher 2006 ein historisch hohes Bußgeld von 201 Millionen Euro und einen immensen Reputationsschaden für den Konzern zur Folge hatte. Im Fokus der Ermittlungen standen vor allem die für Siemens tätigen Manager, bei dem diese mithilfe der Einrichtung schwarzer Kassen zahlreiche Geschäftspartner bestochen hatten.² Die genannten Fälle lösten öffentlichkeitswirksam viele Reaktionen aus. Dass Enron die Streichung von Arbeitsplätzen riskierte und Manager bei Siemens derart ethisch verwerflich handeln konnten, führte zu einer emotional geführten Diskussion, die sowohl gesellschaftlichen als auch juristischen Charakter hatte. Im Raum standen Forderungen nach Regelungen, die ethisches Verhalten auch in der Wirtschaft sicherstellen und für alle Mitarbeiter, unabhängig von der unternehmenseigenen Hierarchie, gelten. Dass es in Deutschland kein eigenes Unternehmensstrafrecht gibt, befeuerte die Diskussion zusätzlich. Es sollte ein Konzept gefunden werden, dass es ermöglicht, Personen aufgrund ihres wirtschaftlichen oder gesellschaftspolitischen Fehlverhaltens zur Rechenschaft zu ziehen. Auf Grundlage des KonTraG vom 1.5.1998 wurde § 91 Abs. 2 AktG eingeführt, welches erstmalig die Einrichtung eines Risikokontrollsystems bei börsennotierten Unternehmen gesetzlich vorsieht. Auch wenn Compliance bereits vorher unter anderen Begriffen im Raum stand, handelt es sich hier um die erste konkrete Erwähnung. Diese war jedoch zunächst ausschließlich auf Konzerne ausgerichtet. Erst die Einführung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) in 2002 sah Empfehlungen für alle Unternehmen vor. Hier manifestierte sich der Gedanke, dass es ein Konzept und unternehmensinterne Instrumente geben sollte, die sowohl Rechtsverstöße im Unternehmen verhindern, als auch einen möglichen Reputationsschaden einschränken, welches für Unternehmen eine besondere Motivation darstellte, Compliancesysteme einzuführen.
Seitdem hat sich die Thematik der Compliance stets weiterentwickelt und ist auch heute noch nicht zu Ende gedacht. Neben der Erfüllung von Rechtsvorschriften geht es heute um viel mehr – so ist es eine der Kernaufgaben von Compliance, sich nicht nur an Rechtsvorschriften, sondern auch an gesellschaftlichen Entwicklungen und Lebenswelten zu orientieren, und dabei zeitlos zu sein. Die fortschreitende Industrialisierung und das Zusammenwachsen der Welt durch die Globalisierung hat das Themenfeld zu einer komplexen Aufgabe gemacht, die viele wissenschaftliche Disziplinen herausfordert. So geht es in erster Linie natürlich um Rechtswissenschaft und Betriebswirtschaft. Wesentlich sind aber auch die Sozialwissenschaften, Politikwissenschaften, Psychologie und nicht zuletzt Ethik. Nachdem „das Unternehmen" lange als Kollektiv betrachtet wurde, geht es heute in vielerlei Hinsicht auch um die einzelne Person. So führen Vorschriften zur Gleichbehandlung, Berücksichtigung von Diversität oder der Eindämmung von Mobbing dazu, dass Compliance nicht mehr nur ein Schutzschild hinsichtlich der Außenwirkung darstellt, sondern vielmehr auch nach innen gerichtet seine schützende Wirkung für die Mitarbeiter entfalten kann. Zusammenfassend erfüllt heute Compliance heute drei Ziele: Sicherstellung der Legalität, Abwendung von wirtschaftlichen Risiken und Vermeidung eines Reputationsschadens. Im ersten Teil der Arbeit soll beschrieben werden, wie diese Ziele erreicht werden können.
Die Komplexität von Compliance lässt sich aber auch kleiner denken und angehen. Sie ist nicht immer das beschriebene mehrdimensionale Konstrukt, bestehend aus unendlich vielen Teilbereichen und Disziplinen, sondern häufig auch über abgegrenzte Teilbereiche zu beurteilen. Hierbei handelt es sich um ein wichtiges, oft unberücksichtigt gelassenes, Element des Begriffes Compliance: sie soll nicht nur als theoretische Disziplin existieren, als Checkliste, die ein Unternehmen abarbeiten kann. Ihre Relevanz zeigt sich erst, wenn sie konkret angewendet wird und überprüft wird, inwiefern sie Verbesserungen tatsächlich bewirken kann.
Dieser Aufgabe soll sich die vorliegende Arbeit widmen.
Hierzu wurde ein Kernelement der Compliance gewählt, welches in Deutschland in Teilen bereits seit 1884 gelebt wird: dem des Arbeitnehmerschutzes.
1884 wurde der Grundstein für die gesetzliche Unfallversicherung gelegt, welche auch heute noch ein wesentliches Element zur Unfallprävention und der Wiederherstellung der Gesundheit von Arbeitnehmern bildet. Etwa parallel zur Entwicklung der Compliance-Regelungen wurde am 07.08.1996 das Arbeitsschutzgesetz erlassen, dass dem Arbeitnehmerschutz im deutschen Rechtssystem eine hohe Bedeutung zuspricht und heute in jedem Betrieb auf allen Ebenen Anwendung findet. Es dient der Sicherstellung der Rechtskonformität im Umgang des Unternehmers mit seinen Mitarbeitern und bildet damit den Teilbereich der Sicherstellung der Legalität im Rahmen der Health, Safety und Environmental Compliance ab. Das Arbeitsschutzgesetz bestimmt zudem ein Instrument zur Überprüfung der Erfüllung und Überprüfung der Arbeitsschutzmaßnahmen in Form der Gefährdungsbeurteilung vor.
Vorliegend sollen demnach die theoretischen Ansätze der Compliance in einen praktischen Handlungsrahmen, nämlich dem der Gefährdungsbeurteilung, übertragen werden.
In Ergänzung sollen diese auf die aktuellen Ereignisse und neuen Vorschriften der seit Beginn des Jahres anhaltenden SARS-CoV-19 (Corona)-Pandemie adaptiert werden. Reagierend auf diese wurden, um die Verbreitung des Virus einzudämmen, eine Vielzahl von neuen Vorschriften zum Arbeitsschutz erlassen. Der zweite Teil stellt demnach eine Gefährdungsbeurteilung unter Berücksichtigung der neuen Vorschriften dar und soll die Möglichkeiten und Grenzen der Adaption kurz aufzeigen.
Die beiden Gefährdungsbeurteilungen wurden im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der Firma Sicherheitsingeniuer. NRW erstellt und finden sich als Anhänge in dieser Arbeit.
¹ vgl. Behringer, Stefan: Compliance-Prüfstein für die Unternehmensführung, in: Behringer, Stefan (Hrsg,), Compliance Kompakt, 4. Aufl., Berlin, 2018, Seite 32.
² vgl. Schlötzer, Christian; Das Erbe der Schwarzen Kassen, in Süddeutsche Zeitung, 2.12.2019, https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/siemens-das-erbe-der-schwarzen-kassen-1.4706275, abgerufen am 27.09.2020.
2 Corporate Security und Compliance
Compliance und Corporate Security sind als neues wissenschaftliches und rechtliches Phänomen in den letzten zwei Jahrzenten immer weiter in den Vordergrund als Voraussetzung für eine zuverlässige und unangreifbare Unternehmensführung gerückt. Dies resultiert nicht nur aus den genannten öffentlichkeitswirksamen Skandalen einiger Konzerne, sondern ist auch dem Umstand geschuldet, dass durch die fortschreitende Globalisierung eine Vielzahl von Risiken für die Industrie einer neuen Dynamik ausgesetzt sind, z.B. durch einen erhöhten Datentransfer oder regional nicht mehr abgrenzbaren Reputationsschäden.³ Auch die Tatsache, dass neben nationalen rechtlichen Vorschriften immer mehr internationale Regelungen treten, können dazu führen, dass Unternehmen sich „verzetteln" und somit auf gute Systeme zur Risikovermeidung zurückgreifen müssen.
Corporate Security bildet den Oberbegriff für ein interdisziplinäres Feld zur Risikominimierung und Wertekonformität innerhalb eines Unternehmens. Das Gabler-Banklexikon bezeichnet es als „Sammelbegriff für alle auf Abwehr innerer und äußerer Gefahren und Risiken für den Fortbestand von Unternehmen und anderen Organisationen zielende Sicherheitsaufgaben."⁴ Es soll das Unternehmen in all seinen Teil-und Tätigkeitsbereichen vor sämtlichen internen und externen Risikien schützen. Zur Verwirklichung dieses weitreichenden Ziels setzt sich die Corparte Security strukturell aus mehreren Teilbereichen zusammen und beinhaltet mehrere Disziplinen:
Abbildung 1: Elemente der Corporate Security
Quelle: eigene Darstellung
Die Abbildung zeigt, dass Corporate Security nicht nur rechtlichen oder betriebswirtschaftlichen Charakter hat. Es wird demnach nicht nur der monetäre Erfolg des Unternehmens berücksichtigt, vielmehr werden auch ethische Grundsätze miteinbezogen – sowohl intern im Umgang miteinander, als auch in der Außenwirkung. Der Umgang mit den Zielen der Corporate Security findet demnach auf zwei Ebenen statt. Zum einen beinhaltet er feste Regelungen, die die Organe, Prozesse und Strukturen innerhalb eines Unternehmens steuern und an der Konformität mit diesen Regelungen messen. Andererseits wirken die Regelungen auch auf die individuelle Haltung und Konformität eines jeden Mitarbeiters.⁵ Die Erreichung des Sicherheitsziels folgt in allen Teilbereichen dem Grundsatz des „Vorbeugen-Aufdecken-Reagieren".⁶ Für eine wissenschaftliche Einschränkung bietet es