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Hyron, der Rüstungsformer
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eBook354 Seiten4 Stunden

Hyron, der Rüstungsformer

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Über dieses E-Book

Im Osten des Kontinents tobt ein grausamer Krieg zwischen den Gymgomor und den Arnomor, riesigen Insekten, die durch eine kosmische Katastrophe zu monströsen Bestien mutiert sind. Unter großen persönlichen Verlusten kann das Wasservolk die Feinde zurückschlagen. Als die wenigen Überlebenden in die Heimat zurückkehren, erfährt Hyron, dass seine Verlobte Diulo verschollen ist.
Obwohl selbst kein Kämpfer, macht er sich auf die Suche nach ihr. Auf seiner Reise findet er ebenso fähige wie eigenwillige Gefährten, mit denen er zahlreiche Herausforderungen meistern und der ständig aufkeimenden Konflikte in der kleinen Abenteurergruppe Herr werden muss. Letztlich stellt sich heraus, dass seine Geliebte einer Intrige in den eigenen Reihen zum Opfer gefallen ist.
Kann er Diulo vor einem schrecklichen Schicksal bewahren? Wird ihre Liebe die Entbehrungen eines fünfjährigen Krieges und die Demütigungen durch grausame Folter überdauern?
Hyron, der Rüstungsformer, ist ein abgeschlossener Roman aus dem großartigen Fantasyuniversum Gor'dea, der den Leser mit Abenteuer, Liebe und Verrat in seinen Bann schlägt.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum27. Sept. 2018
ISBN9783746980461
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    Buchvorschau

    Hyron, der Rüstungsformer - Carl Habenicht

    „Bei den vier Göttern!, schnaufte Diulo, die soeben einen ihrer Gegner gefällt hatte. „Wo bleiben die verdammten Ydiferor?

    Hastig wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und schaute sich auf dem Kampfplatz um. Zu viele ihrer tapfersten Kämpfer lagen tot auf dem Boden oder drohten ihren Verletzungen zu erliegen. Jene, die noch auf den Beinen standen, bluteten aus unzähligen Wunden. Läge nicht der Vorteil des Geländes auf ihrer Seite, wäre der Rest ihrer Truppe längst niedergemetzelt worden. Die Schlacht fand in einem ausgedehnten Sumpfgebiet statt, dessen Tücken bei den Arnomor viele Opfer gefordert hatten. Dennoch war die Übermacht der monströsen Insekten erdrückend und für jede getötete Bestie rückten sofort zwei neue nach. Vor fünf Jahren hätte Diulo ungläubig den Kopf geschüttelt, wenn ihr von diesen albtraumhaften Kreaturen berichtet worden wäre. Sie erinnerten an riesige Wespen, die aufgerichtet an die zwei Schritt maßen. Die Dreiteilung von Kopf, Brust und Hinterleib war deutlich zu erkennen, wobei das Abdomen verkürzt war, sodass sie sich auf den zwei hinteren Beinpaaren fortbewegen konnten. Der Oberkörper war durch einen harten Chitinpanzer geschützt, von den Waffen der Gymgomor kaum zu durchdringen. Am ehesten waren die Bestien am Kopf und an den Gliedmaßen zu verletzen. Deren vorderstes Paar trug scharfe Klauen, was den Arnomor ihren Namen eingebracht hatte.

    Zu Diulos linker Seite setzte sich Atrif, ihr bester Krieger, gegen zwei der Monster zur Wehr. Mit seinem gewaltigen Dreizack hielt er die Gegner auf Distanz, denn im Nahkampf waren die Kreaturen, deren Hinterleib einen giftigen Stachel trug, absolut tödlich. Die bei den Gymgomor beliebteste Waffe hatte eine Länge von mehr als drei Schritt, mit einer Spitze am Ende, einer zweiten, die eine Fußlänge tiefer saß, und einer dritten in der Mitte der Stange. In größter Bedrängnis packte der Kämpfer den Dreizack mit beiden Händen, um die Schläge seiner Kontrahenten abzuwehren und ihnen im Gegenstoß den dritten Dorn in den Leib zu rammen. Atrif schwang den Gifyl, wie diese eindrucksvolle Waffe beim Wasservolk genannt wurde, mit großer Kraft und ebensolchem Geschick. Um ihn brauchte sich Diulo nicht zu sorgen. Unzählige Narben, die sich über den ganzen Körper zogen, waren Beweis genug für seine immense Kampferfahrung und den unbändigen Willen zu überleben.

    Zu ihrer Rechten stand der Kampf auf Messers Schneide. Soeben sank eine ihrer Mitstreiterinnen leblos zu Boden und hinterließ eine gefährliche Lücke in der Phalanx. Deshalb packte Diulo ihren Gifyl fester und stürzte sich aufs Neue in die Schlacht. In einer einzigen fließenden Bewegung sprang sie vorwärts, stieß ihren Dreizack gegen den Kopf einer Bestie und vollführte eine Drehung mit vorgestreckter Waffe, um sich weitere Angreifer vom Leib zu halten. Diulos Stärke lag in ihrer Konzentration, in ihrer Hingabe an den Kampf. Während des tödlichen Tanzes, den sie mit ihrem Gifyl vollführte, gab es keinen Platz für andere Gedanken oder Gefühle. Sie befand sich in ihrer eigenen Dimension, wo der Lärm der Schlacht, die Schreie, der Geruch von Sekret, Blut und Schweiß in den Hintergrund traten. Ihre Bewegungen waren von unvergleichlicher Präzision. Jeder Schritt, jeder Stoß, jeder Sprung erfolgte mit schlafwandlerischer Sicherheit, war Teil eines perfekten Ablaufs von Angriff und Verteidigung. Sie führte eine schnelle Attacke gegen zwei Gegner, um einer bedrängten Kriegerin Raum zu verschaffen. Ein gezielter Stich ins Abdomen einer Kreatur, das wie eine reife Frucht zerplatzte. Der grässliche Gestank nach Gedärmen, ein hastiger, ekelerfüllter Atemzug. Zwei kraftvolle Hiebe gegen die Klauen eines weiteren Angreifers, ohrenbetäubendes Geheul. Rückzug, Parade, ein geschickter Gegenangriff.

    Diulo hatte in den letzten Wochen gelernt, wo die Arnomor verwundbar waren und von welchen Bestien die größte Gefahr ausging. Am schlimmsten schätzte sie die Ronome ein, die trotz einer Größe von nahezu zwei Fuß fliegen und ihre Gegner mit einem einzigen Stich lähmen konnten. Zum Glück waren sie unzulänglich gepanzert, sodass sie ein gezielter Speerwurf aus der Luft holte – falls man die Biester kommen sah. Die Ubenome erinnerten an monströse Heuschrecken, die sich mit gewaltigen Sprüngen fortbewegten und die Phalanx der Gymgomor mehr als einmal durcheinandergewirbelt hatten.

    Diulo wusste, dass Erfolg und Niederlage davon abhängig waren, wie genau man seine Feinde einschätzen konnte. Nicht umsonst hatten die obersten Matriarchinnen des Wasservolks sie zur Kommandantin des drittgrößten Heeres der Gymgomor ernannt. Mehr als vier Jahre hatte sie ihre Kämpferinnen und Kämpfer gegen die Arnomor geführt und war mit ihnen durch die Hölle gegangen. Auf ebenso kurze wie heftige Geplänkel hatte sie taktische Rückzüge folgen lassen, um die eigenen Verluste in Grenzen zu halten. Diulo hatte die Schwächen und Stärken der Arnomor erforscht, um jeden nur erdenklichen Vorteil ausspielen zu können. Von Anfang an war ihr Plan gewesen, die Heerscharen des Klauenvolks nach Norden zu führen. Weg von den Siedlungen der Gymgomor und hin zu den Pymket, ihren Verbündeten. Gemeinsam mit Hevrem, dem Sohn des legendären Visuir, war es ihr gelungen, die Hauptstreitmacht der Arnomor vernichtend zu schlagen. Doch nach wie vor zogen neue Scharen monströser Insekten aus dem Osten heran.

    Auf dem Rückmarsch in die Heimat war Diulo auf ein Heer der Arnomor gestoßen, das ihren verbliebenen Truppen um das Fünffache überlegen war. Zusammen mit Reney, der Anführerin der Ydiferor, hatte sie einen erfolgversprechenden Plan geschmiedet. Diulo würde die Armee der Insekten mit ihren Kämpfern in ein Moorgebiet locken und die Zahl der Angreifer, so weit es ihr möglich war, dezimieren. Reney sollte sich einen Tag lang verbergen und den Arnomor mit ihren Ydiferor in den Rücken fallen.

    In der Zwischenzeit waren drei Tage vergangen, von den amazonenhaften Kämpferinnen keine Spur. Diulo hatte mehr als die Hälfte ihrer Leute verloren und der Rest war zum Teil schwer verwundet oder am Ende seiner Kräfte angelangt. Außerdem hatten sie bald das Ende des Sumpfs erreicht. Dann blieb ihnen nur die Flucht durch den Moo’zelor, einen ausgedehnten See. Die Arnomor hassten das Wasser, doch wenn sie dem Ufer des Moo’zelor folgten, gelangten sie nach wenigen Tagen zu den Ländereien des Wasservolks. Unvorstellbare Gräuel wären die Folge, würden die bestialischen Kreaturen über die wehrlose Bevölkerung der Dörfer herfallen.

    Diulo und ihre verbliebenen Getreuen kämpften wie die Berserker, aber letztendlich blieb ihr keine andere Wahl.

    „Rückzug!, brüllte sie. „Rückzug bis zum See!

    Atrif warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. Er wusste, was diese Flucht bedeutete, und würde sich eher in Stücke hacken lassen, als die Heimat zu gefährden. Auch wenn es Diulo widerstrebte, war es taktisch klüger, sich am gegenüberliegenden Ufer des Moo’zelor neu zu formieren, als hier aufgerieben zu werden. Ihre Kämpfer waren zu erschöpft, um länger standzuhalten. In diesem Augenblick erschollen kreischende Laute aus dem Osten, in die sich kurze Zeit später Kampfeslärm mischte. Das konnten nur Reneys Ydiferor sein! In Diulo erwachte neue Hoffnung und mit ihr kehrten Mut und Kampfkraft zurück.

    „Vorwärts!, schrie sie mit sich überschlagender Stimme. „Haut diese Bestien in Stücke!

    Sie schnellte sich nach vorne und ließ einen wahren Schlaghagel auf die überraschten Kreaturen niedergehen. Atrif folgte ihr auf dem Fuß. Mit gezielten Stößen setzte er jene Gegner außer Gefecht, deren Klauen Diulo zerschmettert hatte. Zum ersten Mal gerieten die Reihen der Arnomor ins Wanken, da die hinten stehenden Insekten mit den Ydiferor beschäftigt waren. Jetzt, wo sie genügend Platz hatte, spielte die Kommandantin der Truppe ihre überragenden Kampffertigkeiten aus. Sie führte einen gewaltigen Hieb gegen den Kopf einer Bestie, die benommen taumelte. Ein gewagter Sprung nach vorne mit kreisendem Gifyl, um Raum zu gewinnen. Präzise Stiche unterhalb des Torsos. Schnelles Ducken, um den Klauen zweier Scheusale zu entgehen. Neuerliches Zustoßen, eine Rolle nach hinten. Diulo versank in ihren todbringenden Bewegungen, die sich mit unvergleichlicher Effizienz aneinanderreihten. Sie nahm nichts mehr wahr außer den Bestien, die sich ihr in den Weg stellten. Schließlich wurde der Gestank nach insektoiden Exkrementen dermaßen grässlich, dass sie zurückwich, um Atem zu holen.

    Die Schlacht war entschieden. In geordneten Reihen rückten die Ydiferor vor und metzelten die letzten Arnomor nieder. Reneys Kompanie hatte so gut wie keine Verluste erlitten, während Diulos Truppen nahezu aufgerieben worden waren. Ihr Herz wurde von Trauer und Bitterkeit erfüllt, und je mehr ihrer Gefolgsleute sie tot und verstümmelt am Boden liegen sah, desto größer wurde ihr Zorn. Sie drängte sich durch die Formation der Ydiferor, bis sie deren Anführerin erspähte. Offenbar hatte es Reney nicht der Mühe wert gefunden, selbst am Kampf teilzunehmen. Sie lehnte am knorrigen Stamm einer Wibuid, eines im Sumpf häufig anzutreffenden Baumes, dessen üppig belaubte Zweige ihr vor Merros sengender Glut Schutz boten. Erst jetzt, wo der Kampf vorüber war, spürte Diulo die Hitze, für die der Sonnengott verantwortlich war. Der Schweiß rann ihr in Strömen über den Körper, und das giftig grüne Blut der getöteten Feinde brannte auf ihrer Haut. Wütend steuerte sie auf Reney zu, die sie mit einem herablassenden Blick musterte. Die Kommandantin musste sich mit aller Gewalt zügeln, um ihr nicht die Faust ins Gesicht zu rammen.

    „Wo habt ihr so lange gesteckt?, fauchte sie die Ydiferor an. „Ihr solltet den Arnomor nach einem Tag in den Rücken fallen!

    „Das wäre zu gefährlich gewesen, entgegnete Reney mit kalter Stimme. „Wir mussten erst sicherstellen, dass keine weiteren Feinde im Anzug waren, die uns eingekesselt hätten.

    „Es gab einen eindeutigen Befehl!, donnerte Diulo, die kaum mehr an sich halten konnte. „Wegen deines Ungehorsams sind viele meiner Kämpfer abgeschlachtet worden oder schwer verwundet.

    „Männer … erbärmliche Geschöpfe, konterte die Ydiferor, während sich ihre Lippen verächtlich krümmten. „Ein Dutzend von ihnen wiegt keine einzige meiner Frauen auf!

    Obwohl die Kommandantin Reneys Einstellung zum männlichen Geschlecht kannte, trieben ihr diese Worte das Blut in den Kopf. An ihrer Schläfe schwoll eine Ader, in der ihr Herzschlag dröhnte. Mit letzter Willenskraft unterdrückte sie den überwältigenden Zorn, der ihr den Atem zu rauben drohte.

    „Die Matriarchinnen werden davon erfahren, stieß sie keuchend hervor. „Und ich schwöre bei Dea: Du wirst eine gebührende Strafe erhalten!

    „Wie immer an der Arbeit, Hyron? Magst du uns nicht lieber auf den Markt begleiten?"

    Der so Angesprochene hob den Kopf, um herauszufinden, wer ihn dieses Mal zum Müßiggang verleiten wollte. Wie er vermutet hatte, waren es zwei der jungen, ledigen Frauen des Dorfes, die in den vergangenen Jahren ständig um ihn herumscharwenzelten. Zweifellos gefällige Dinger, doch er hatte weder Bedarf an nichtssagendem Geschwätz noch an einer Liebelei, auf die es die beiden Mädchen vermutlich abgesehen hatten.

    „Ich habe noch viel zu tun, erwiderte er deshalb ablehnend. „In Kriegszeiten hat ein Rüstungsformer mehr Aufträge, als ihm lieb ist.

    „Das wissen wir, beeilte sich die Kleinere der beiden zu sagen. Die Mondgöttin Dea hatte sie mit einem ebenmäßigen Gesicht gesegnet, das von schulterlangen, türkisfarbenen Haaren umrahmt wurde. „In deinem Handwerk gehörst du zu den Allerbesten, das hat meine Mutter erst vor ein paar Tagen gesagt.

    „Ja, das stimmt!, fiel die Zweite ein, die ihre Freundin um einen halben Kopf überragte. „Dein Ruhm reicht weit über die Hauptstadt Ryn’mor hinaus. Kein Wunder, dass du in Arbeit erstickst.

    Sie schenkte Hyron ein mitfühlendes Lächeln, hinter dem sich eine kaum verhüllte Sinnlichkeit verbarg. Ihr Körper war von einer aufreizenden Üppigkeit, mit der sie den meisten Männern den Kopf verdreht hätte. Doch das Ziel ihrer Begierde verspürte keinerlei Verlangen nach den weiblichen Rundungen, die sie mit Stolz zur Schau stellte. Wie beim Wasservolk üblich, trugen die beiden Frauen nichts außer unzähligen Ketten aus Muscheln und glatt polierten Steinen, die sie um Hals, Arme und Taille geschlungen hatten. Umhänge oder gar Roben wurden nur bei besonderen Anlässen getragen. Die Gymgomor hielten sich am liebsten im Wasser auf, wo sich Bekleidung jeglicher Art als unpraktisch erwies. Ihre Geschlechtsorgane waren unter einem dichten Schuppenkranz verborgen, weshalb Nacktheit nicht als unschicklich galt.

    „Trotzdem solltest du nicht die ganze Zeit arbeiten, beharrte die Erste, die nicht geneigt war, sich so schnell geschlagen zu geben. „Ein bisschen Abwechslung hat noch keinem geschadet!

    „Zony hat recht!, stimmte die Zweite zu, während sie eifrig mit dem Kopf nickte. „Der Markt in Dyjet ist ein besonderes Ereignis, und ich wundere mich ohnehin, dass du als Rüstungsformer dort keinen Stand hast.

    „Meine Aufträge kommen direkt vom Rat der Matriarchinnen, erwiderte Hyron. „Ich habe es nicht nötig, meine Ware am Markt feilzubieten. Außerdem muss ich noch heute einen Brustschutz und zwei Armschienen fertigstellen, weshalb mir die Zeit zum Plaudern fehlt.

    Bei diesen Worten deutete er auf die Materialien, die vor ihm auf einem massiven Arbeitstisch ausgebreitet waren: Muscheln, Korallen und Seesterne in unterschiedlichsten Farben und Größen, dazu Versteinerungen, diverse Panzer und Schalen sowie Halbedelsteine, die dem fertigen Rüstungsteil seine persönliche Note gaben. Als Werkzeuge standen ihm einfache Hämmer, Meißel und Schleifsteine zur Verfügung, mit denen er das Grundmaterial in eine passende Form brachte. In diesem Stadium der Arbeit benötigte er das Geschick seiner Hände, doch wesentlich wichtiger war die Magie, mit der er die Einzelteile zu einem perfekten Ganzen zusammenfügte. Allein durch die Kraft seines Geistes verwoben sich Muscheln und Korallen zu einer exquisiten Brustplatte. Hart wie Stein und gleichzeitig so geschmeidig, dass ihre Trägerin in keiner Weise behindert war. Hochwertige Rüstungen, wie Hyron sie herstellte, waren bei den Gymgomor den allerbesten weiblichen Kämpferinnen vorbehalten. Nur einer Handvoll von Männern, die sich im Krieg durch ihre Tapferkeit ausgezeichnet hatten, wurde dieselbe Ehre zuteil.

    „Du bist ein rechter Griesgram und unhöflich dazu, schmollte Zony und zog eine beleidigte Schnute. „Findest du unsere Gesellschaft dermaßen schlimm?

    „Ach nein!, erwiderte Hyron mit einem tiefen Seufzer. „Mir steht die Arbeit einfach bis zum Hals. Und meine Gedanken sind weit im Osten, wo unser Heer um sein Überleben kämpft. Ich fürchte, ich wäre euch kein angenehmer Begleiter.

    „Du sorgst dich um deine Verlobte, nicht wahr?, erkundigte sich die Größere der beiden Grazien, wobei sie eine mitleidige Miene aufsetzte. „Wenn man den Gerüchten Glauben schenken kann, wird unser Heer in allernächster Zeit in die Heimat zurückkehren.

    „Meine Mutter hat von einer Nachbarin gehört, dass heute ein altgedienter Kämpfer am Marktplatz vom Krieg berichten wird, fügte ihre Freundin hinzu. „Vielleicht erfährst du dort etwas von deiner … Tobaro.

    Sie dehnte das letzte Wort, das bei den Gymgomor für ‚Verlobte‘ stand, auf so spöttische Art und Weise, dass Hyron eine heftige Antwort auf den Lippen lag. Im letzten Moment schluckte er seinen Ärger hinunter, weil er mit den zwei jungen Frauen keinen Streit suchte. Außerdem hatten sie nicht unrecht: Er sehnte sich nach seiner geliebten Diulo, die vor knapp fünf Jahren in den Krieg gegen die Arnomor gezogen war. Als eine der tapfersten Kriegerinnen der Gymgomor hatte sie den Befehl über eines der Heere erhalten, das vorrangig aus männlichen Kämpfern bestand. Er hatte sie nicht begleiten dürfen, weil seine herausragenden Fähigkeiten als Rüstungsformer unverzichtbar waren. Was er seither an Nachrichten erhalten hatte, war ebenso vage wie erschreckend gewesen: monströse Gegner, unmöglich zu besiegen. Tausende Tote. Unzählige Verletzte. Er wusste nicht, ob seine Verlobte noch lebte und ob sie zu ihm zurückkehren würde. In den vergangenen Mondzyklen hatte er viele einsame Nächte verbracht, in der ihm Dea den erquickenden Schlaf verwehrte. Kein einziges Mal hatte er Trost in den Armen einer anderen Frau gesucht. Obwohl sie einander nur versprochen waren und die Matriarchinnen ihren Bund nicht gesegnet hatten, fühlte er sich Diulo auf ewig verbunden.

    „Du solltest dich uns wirklich anschließen!, riss ihn das zweite Mädchen, an deren Namen er sich beim besten Willen nicht erinnern konnte, aus seinen Gedanken. „Du musst ja nicht lange bleiben. Aber möglicherweise hat dieser Veteran Neuigkeiten von deiner Verlobten.

    Hyron wusste, warum die beiden jungen Frauen derart hartnäckig waren. Im Umkreis von Dyjet galt er als einer der begehrtesten Junggesellen, was zum einen an den ihm eigenen handwerklichen Fähigkeiten lag, zum anderen an seinem blendenden Aussehen. Er war athletisch gebaut, mit einer breiten Brust und stämmigen Beinen. Wie alle Männer der Gymgomor war er vollkommen unbehaart, sodass sich die silbernen Schuppen an Kopf, Hals, Schultern, Hüften und Füßen von seiner türkisfarbenen Haut auf ansprechende Weise abhoben. Im ovalen, markanten Gesicht stachen vor allem die sinnlichen Lippen und die Augen hervor, in denen die Pupillen in der Farbe des tiefsten Ozeans schimmerten.

    Die aufdringliche Art der zwei Mädchen war ihm ebenso zuwider wie der zu erwartende Klatsch, wenn er sich mit ihnen am Marktplatz sehen ließ. Doch die Möglichkeit, dass der von den beiden erwähnte Kämpfer über Diulos Schicksal Bescheid wissen könnte, gab letztendlich den Ausschlag. Er schob seine Sachen zusammen und breitete eine Decke aus Schilfrohr darüber aus.

    „Nun gut, murmelte er. „Ich werde mir diesen Krieger ansehen. Vermutlich kennt auch er nichts als Gerüchte … wie alle anderen vor ihm. Aber falls er tatsächlich von den Kämpfen mit den Arnomor berichten kann, würde ich es mir nie verzeihen, ihn nicht gehört zu haben.

    Jetzt, wo sie ihr Ziel erreicht hatten, setzten seine Verehrerinnen eine zufriedene Miene auf und schwirrten um ihn herum wie zwei gackernde Hennen. Eine versuchte die andere mit belanglosem Geschwätz zu übertreffen und die eigenen Vorzüge ins rechte Licht zu rücken. Hyron hörte ihnen kaum zu, beobachtete stattdessen das emsige Treiben am Ufer des breiten Kanals, der die ‚Große Lacke‘ im Norden, in der Sprache des Wasservolks ‚Tenem Bylo‘, mit dem Moo’gao im Süden, dem ausgedehnten ‚See der Winde‘, verband. Die Gymgomor bauten ihre Behausungen so nahe wie möglich am oder auf dem Wasser. Als Material verwendeten sie vorrangig die Zweige und Äste von Wibuid, Gilo und Obeo, allesamt Bäume, die Feuchtigkeit liebten und resistent gegen Fäulnis waren. Oftmals wurden ihre Stämme, deren Wurzeln weit unter die Wasseroberfläche reichten, als Stütze verwendet, um die ein kreisrundes Gebäude hochgezogen und mit Schilf oder Stroh gedeckt wurde. Zwischen den Häusern waren floßartige Plattformen verankert, auf denen die Bewohner ihre täglichen Arbeiten verrichteten. Flüsse, Seen und Sümpfe spendeten ihnen nahezu alles, was sie zum Leben brauchten: Nahrung, Materialien für jegliches Handwerk und nicht zuletzt Wasser. Die Gymgomor waren mit ihrem Element so verbunden, dass sie stundenlang schwimmen und weit hinabtauchen konnten, ohne zu ermüden. Viele von ihnen trugen kleine Schwimmhäute zwischen den Fingern und Zehen, was die Fortbewegung unter Wasser deutlich erleichterte.

    Hyron galt unter den Bewohnern von Dyjet als Außenseiter, weil er sich am liebsten seiner Arbeit widmete und die feierlichen Zusammenkünfte zu Ehren Deas mied. Für das Wasservolk hatte die Mondgöttin eine zentrale Bedeutung, denn sie verkörperte in erster Linie die Liebe und das Leben. Mütter genossen ein hohes Ansehen in der Gesellschaft und die Weisesten unter ihnen lenkten im Rat der Matriarchinnen die Geschicke des Volkes. Der Oberste Rat hatte seinen Sitz in der Hauptstadt Ryn’mor, wobei dieser nur selten einberufen wurde. Für gewöhnlich trafen die größeren Siedlungen ihre eigenen Entscheidungen.

    „Hyron?, erscholl eine verärgerte Stimme. „Hyron! Hörst du mir überhaupt zu?

    Zony zerrte am Arm ihres Begleiters, der so in seinen Betrachtungen vertieft gewesen war, dass er sie nicht beachtet hatte.

    „Ähm … ja?", antwortete er dementsprechend schuldbewusst.

    Die junge Frau, die es offensichtlich nicht gewohnt war, dass Männer sie ignorierten, biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. Nach einer Weile kam sie zum Entschluss, Hyron seine Gedankenlosigkeit ein letztes Mal zu verzeihen, denn sie verzog den Mund zu einem nachsichtigen Lächeln.

    „Ich hab‘ dich nach dem Namen deiner Tobaro gefragt, sagte sie mit einer Großspurigkeit, die nicht zu ihrem Alter passte. „Meine Mutter hat viele Freundinnen, gut möglich, dass eine von ihnen etwas erfahren hat.

    „Das würde ich ebenfalls machen, schloss sich die Zweite an, bemüht, ihrer Freundin nicht nachzustehen. „Für den Fall, dass du heute nichts Brauchbares erfährst.

    „Meine Verlobte heißt Diulo, gab Hyron zur Antwort. „Sie ist vor Jahren als Kommandantin ihrer Truppen gen Osten gezogen. Seither habe ich nichts mehr von ihr gehört.

    „Das tut mir aufrichtig leid, erwiderte die Größere der beiden Mädchen, die mitfühlender als ihre Freundin war. „Meine Mutter hat mir erzählt, dass der Krieg gegen diese monströsen Insekten das Schrecklichste ist, was unserem Volk je widerfahren ist.

    Die Bedrohung durch die Arnomor stellte zweifellos eine beispiellose Katastrophe dar. Jahrhundertelang hatten die Gymgomor in Frieden gelebt und waren ihren Nachbarn, egal ob humanoid oder animalisch, mit Achtung begegnet. Mit Diplomatie und Verhandlungsgeschick war es den Matriarchinnen gelungen, sogar mit eigenwilligen Kreaturen wie Sumpfkobolden oder Trollen Frieden zu schließen. Nur wenn die Abkommen gebrochen wurden und es Übergriffe auf die eigenen Siedlungen gab, zeigten die Kämpferinnen und Kämpfer des Wasservolks, dass sie mit Speer oder Dreizack umzugehen wussten. Aus diesem Grund gab es lediglich ein kleines stehendes Heer, das im Notfall zur Stelle war. Hätten die Gymgomor nicht von den Pymket, ihren entfernten Verwandten im Norden, eine Warnung erhalten, hätten sie den Truppen der Arnomor, der riesigen Anzahl an gigantischen Insekten, nichts entgegensetzen können. Sogar mit Unterstützung durch das Luftvolk war es schwer genug gewesen, in wenigen Sonnenzyklen ein schlagkräftiges Heer zu formieren. Niemand im Sumpfland wusste genauer zu sagen, wie sich die Gymgomor in diesem furchtbaren Krieg geschlagen hatten, welche Verluste es in den eigenen Reihen gab, und ob es überhaupt gelungen war, den entsetzlichen Feind zurückzudrängen.

    Umso gespannter erwartete man jegliche Kunde, die aus dem Osten in die Heimat gelangte. Demzufolge war es nicht weiter verwunderlich, dass sich am Marktplatz unzählige Gymgomor versammelt hatten, die auf den Auftritt des Kriegsveteranen warteten. Das schön gelegene Areal auf einer weit in den Fluss hinausragenden Halbinsel stellte gleichzeitig das Zentrum von Dyjet dar. Für seinen eigentlichen Zweck, nämlich untereinander Tauschhandel zu treiben, waren Lage und Größe ideal. Doch an diesem Tag war der Andrang so groß, dass man die Markttische hatte entfernen müssen, um stattdessen in der Mitte des Ufers ein Podium zu errichten. Am Austausch von Waren bestand ohnehin kein Interesse, und die wenigen Händler hatten ihre Güter fortgeräumt.

    Hyron und seine beiden Begleiterinnen kämpften sich durch die Menge, bis sie eine strategisch günstige Stelle erreicht hatten. Dies gelang ihnen nur, weil der Rüstungsformer für einen Mann großes Ansehen besaß und die Großmutter von Zony den Matriarchinnen angehörte. Einige der umherstehenden Frauen verbeugten sich vor dem Mädchen und warfen ihr gleichzeitig neugierige wie neidvolle Blicke zu, als sie den begehrten Junggesellen an ihrer Seite erkannten. Hyron vernahm leises Getuschel und begann schon zu bereuen, dass er sich zu dem Marktgang hatte überreden lassen.

    In diesem Augenblick verstummten alle Gespräche, weil der ungeduldig erwartete Krieger das Podest bestieg. Zum Entsetzen der Anwesenden fehlte ihm der linke Arm und er hinkte dermaßen, dass er sich am Gerüst emporziehen musste, um die Stufen zur Plattform zu erklimmen. Als er sich dem Publikum zuwandte, ging ein Raunen durch die Menge, da auch sein Gesicht durch eine breite Narbe entstellt war. Er räusperte sich mehrmals, bevor er mit heiserer Stimme zu sprechen begann.

    „Frauen und Männer von Dyjet! Ihr fragt euch, was mich so zugerichtet hat?"

    Er sah herausfordernd in die Runde, wobei seine ruhelos flackernden Augen voller Hass brannten, sodass die ihm am nächsten Stehenden entsetzt zurückwichen. Da und dort erscholl ein kaum hörbares ‚Arnomor‘, als hätten die Rufer Angst, dass ihre schlimmsten Albträume real werden könnten.

    „Ja, es waren die Arnomor!, kreischte der Veteran. „Doch habt ihr die geringste Vorstellung, mit welchen Bestien wir es zu tun haben?

    Die anwesenden Gymgomor schüttelten stumm die Köpfe, ängstlich und schuldbewusst zugleich.

    „Nein, ihr habt keine Ahnung!, fuhr der Redner fort. „Ihr wähnt euch hier in Sicherheit, während jenseits des Moo’zelor eure Schwestern und Brüder von diesen monströsen Scheusalen in Stücke gerissen werden. Sie sehen aus wie Goubo, wie gewöhnliche Insekten – nur sind sie vier mal vier mal vier mal so groß!

    Bei jeder Vier – der heiligen Caem in Gor’dea, die als Grundlage für alle Maße verwendet wurde – spreizte er vier Finger der rechten Hand und bewegte den Arm, als würde er seinen Zuhörern die Zahlen entgegenschleudern.

    „Ihr Panzer ist härter als jede Muschel, ihre Klauen zerfleischen einen erwachsenen Mann in wenigen Augenblicken und ihr Stachel enthält tödliches Gift. Wehe dem Kämpfer, der näher

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