Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Die Gier des Staates: Eine Abrechnung mit der Finanzverwaltung
Die Gier des Staates: Eine Abrechnung mit der Finanzverwaltung
Die Gier des Staates: Eine Abrechnung mit der Finanzverwaltung
eBook275 Seiten3 Stunden

Die Gier des Staates: Eine Abrechnung mit der Finanzverwaltung

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Peter Uhl, der über 40 Jahre als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer tätig war, geht — unter Einbeziehung eigener Erlebnisse und Fällen aus seiner Berufspraxis - der Frage nach, warum Finanzbeamte vorsätzlich Steuern gegen Steuerpflichtige zu hoch festsetzen, da sie selbst ja davon nichts haben. Er untersucht die Frage, warum sie so handeln, was sie davon haben und wie man sich dagegen wehren kann.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum27. Juli 2020
ISBN9783347061620
Die Gier des Staates: Eine Abrechnung mit der Finanzverwaltung

Ähnlich wie Die Gier des Staates

Ähnliche E-Books

Business für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Die Gier des Staates

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Die Gier des Staates - Peter Uhl

    Vorwort

    Die meisten Menschen schalten sofort ab, wenn sie Codewörter wie Finanzamt, Finanzbeamte oder Steuern hören. Kenntnisse über die bürokratischen Abläufe eines Finanzamts sind kaum vorhanden. Es gibt auch nur wenige Journalisten, die über steuerliche Probleme für jedermann verständlich und ohne Fehler schreiben können, deshalb können Insider je nach politischer Ausrichtung die Öffentlichkeit leicht manipulieren.

    Ein Musterbeispiel für Manipulation ist das Buch des ehemaligen Finanzministers Norbert Walter-Borjans: Steuern – Der große Bluff.¹ Er stellt die Finanzverwaltung als eine Behörde dar, in der nur Menschen arbeiten, die keine Fehler machen, sich stets korrekt verhalten und lobt sie ausnahmslos. Das Buch beschäftigt sich hauptsächlich mit den Steuerskandalen der sogenannten feineren Gesellschaft – wie sie Walter-Borjans bezeichnet – und ihren Beratungskonzernen. Sein Ziel ist es, mit diesem Buch die Deutungshoheit über das Thema Steuern (allerdings aus der Sicht durch eine linke Brille) zurückzugewinnen und nicht den Personen zu überlassen, die vor allem ihre eigenen Privilegien sichern und ausbauen wollen. Wen Walter-Borjans mit diesen Personen meint, lässt er offen, die Reichen und Megareichen vermutlich.

    Das vorliegende Buch hat das Ziel, die Deutungshoheit über das Thema Steuern nicht Vertretern der Finanzverwaltung zu überlassen, die ebenfalls vor allem ihre eigenen Privilegien sichern und ausbauen wollen. Die Öffentlichkeit soll über rechtswidriges Verhalten von Finanzbeamten gegenüber selbstständig Tätigen (Handwerker, Händler, Freiberufler) informiert werden.

    Folgende Ansicht ist in der Bevölkerung weit verbreitet: Ein Finanzbeamter ist an Gesetz und Recht gebunden, deshalb wird er gegenüber einem Steuerpflichtigen nichts Unrechtes tun und auch, weil er persönlich nichts davon hätte. Man ärgert sich zwar darüber, Steuern zahlen zu müssen, überträgt diesen Ärger aber nicht auf Finanzbeamte, sondern allenfalls auf die Politiker, denen wir die Steuergesetze letztlich verdanken. Dafür sorgen Bücher wie das oben zitierte, das alles ausblendet, was einen Schatten auf die Tätigkeit von Finanzbeamten werfen könnte. Gleichwohl ist keine Behörde so unbeliebt wie das Finanzamt.

    Die Finanzverwaltung vermittelt den Eindruck, dass alle Bürger nur im Rahmen der Steuergesetze zur Finanzierung der Staatsaufgaben herangezogen werden und dass derjenige, der sich dem entziehen will, mit Strafe rechnen muss. Das Risiko, erwischt zu werden, ist vor allem für reiche Steuerpflichtige gestiegen, weil die Finanzverwaltung seit einigen Jahren sogenannte Steuer-CDs auf dem illegalen Schwarzmarkt erwirbt, die aus Steueroasen wie Liechtenstein, Schweiz, Luxemburg oder Panama stammen und die Daten von Steuersündern enthalten. Bekannte Namen tauchten in der Presse und in den Nachrichtensendungen im Fernsehen auf: Uli Hoeneß, Klaus Zumwinkel, Alice Schwarzer, Teo Sommer, Familie Engelhorn …

    So gut wie unbekannt ist aber, dass sich nicht nur Steuerpflichtige, sondern auch Finanzbeamte zum Nachteil der Steuerpflichtigen nicht an Gesetz und Recht halten. In den Medien und auch in der wissenschaftlichen Literatur habe ich kaum Hinweise darüber gefunden, dass Finanzbeamte durchaus auch mal mit Vorsatz eine zu hohe Steuer festsetzen. Das mag daran liegen, dass solche Fälle selten bekannt werden; empirische Untersuchungen dazu liegen nicht vor.

    In meinem langen Berufsleben habe ich Einblick in die Arbeitsweise der Finanzverwaltung, insbesondere der Betriebsprüfung erhalten und bin bis heute empört, in welchem Ausmaß Finanzbeamte bereit sind, Steuern bewusst zu hoch festzusetzen. Sie nehmen dabei sogar in Kauf, dass Steuerpflichtige dadurch in die Insolvenz getrieben werden. Jeden, der selbstständig tätig ist, kann das treffen.

    Viele Jahre lang unterrichtete ich angehende Steuerberater und bereitete sie auf die Steuerberaterprüfung vor. Zum Unterricht gehörte auch, über Fehlverhalten von Finanzbeamten zu sprechen und wie man sich dagegen wehrt. Erstaunt war ich, wenn Kursteilnehmer sich dahingehend äußerten, dass sie das nicht glauben würden: »Ein Finanzbeamter tut so etwas nicht, er hat ja nichts davon.« Die meisten hatten allerdings gerade erst ihren Uni-Abschluss gemacht und kaum Berufserfahrung. Andere dagegen mit mehr Praxisbezug – vor allem Steuerfachangestellte – hatten bereits einschlägige Erfahrungen gesammelt und baten mich um Tipps.

    Was passiert einem Finanzbeamten, der sich nicht an das Gesetz hält und gegenüber einem Steuerpflichtigen mit Vorsatz eine zu hohe Einkommensteuer festsetzt? Ein Anliegen dieses Buchs ist es, die Antwort auf diese Frage zu finden, und ein weiteres, wie man sich gegen einen solchen Übergriff wehren kann.

    Meine Beispiele über den geschilderten Verwaltungsmissbrauch kommen in einer nicht spezialisierten Steuerkanzlei in dieser großen Zahl nicht vor. In manchen Steuerkanzleien kommt ein vergleichbarer Fall in einem sehr langen Zeitraum vielleicht sogar nur einmal vor. Daraus ergeben sich Schwierigkeiten mit der Interpretation. Was kann man aus einer einzelnen Fallgeschichte schon lernen? Man kann kaum erkennen, ob man es mit einem einzelnen besonders dummen, verantwortungslosen und/oder bösen Menschen zu tun hat, oder ob solch ein Fall systembedingt immer wieder geschieht. Gesicherte verallgemeinerungsfähige Aussagen lassen sich kaum gewinnen.²

    Weil ich meine Berufstätigkeit aber auf die Übernahme von Mandaten beschränkte, die ein hohes Ausmaß rechtswidrigen Verwaltungshandelns aufwiesen, hatte ich nicht nur mit einem einzigen Fall, sondern mit vielen Fällen zu tun. Von einer fehlenden Verallgemeinerungsfähigkeit meines Materials kann man deshalb kaum sprechen, vielmehr können repräsentative Erkenntnisse über rechtswidriges Verwaltungshandeln gewonnen werden.

    Betriebsprüfer und Veranlagungsbeamte stehen in einem Spannungsverhältnis zwischen Rechtsbindung und Amtsinteresse. Da sie sich für Regelverletzungen zulasten des Bürgers nicht verantworten müssen – Finanzbeamte können sich wegen Rechtsbeugung nicht strafbar machen –, besteht bei ihnen keine Notwendigkeit oder innerliche Bereitschaft, für Rechtsverletzungen geradezustehen.³

    Die Betriebsprüfer führen laufend Betriebsprüfungen durch, das ist ihr Alltagsgeschäft. Sie haben ein Verfahrenswissen, das ein Steuerpflichtiger nicht haben kann, weil er mit Prüfungen relativ selten zu tun hat. Der Steuerzahler kennt deshalb auch die zahlreichen psychologischen Tricks nicht, die Prüfer anwenden, um sich durchzusetzen. Ein Prüfer erkennt schnell, ob sich ein Steuerpflichtiger zu wehren weiß, und wird dann vorsichtig agieren. In den meisten Fällen wird sich der Steuerpflichtige aber alleine nicht zu helfen wissen. Der Prüfer weiß das und kann seine Macht entsprechend missbrauchen. Insbesondere ältere Bürger und Menschen mit wenig Wissen über rechtliche Fragen fühlen sich durch die zunehmende Regelungsflut überfordert. Sie verstehen Verwaltungsabläufe nicht und haben auch keine Kompetenz im schriftlichen Umgang mit Behörden. Das führt zu einer großen sozialen Distanz zwischen Bürger und Verwaltungspersonal. In vielen Fällen stehen Bürger einer mangelnden Dienstleistungsbereitschaft des Verwaltungspersonals hilflos gegenüber.⁴

    Bei allen Fällen, die ich in diesem Buch darstelle, sind die Namen der beteiligten Personen geändert, die betroffenen Finanzämter werden jedoch genannt. Die Lösungshinweise entsprechen der Rechtslage, die in den Jahren galt, als die Finanzämter die Sachverhalte aufgriffen. Inzwischen hat sich bei einigen Sachverhalten die Rechtslage geändert, worauf ich nicht eingehen werde. Es kommt mir bei den Beispielen nur darauf an zu zeigen, dass man Finanzbeamten grundsätzlich nicht trauen darf. Alles muss hinterfragt werden, auch wenn es Zeit kostet.

    Teil I

    Hilf dir selbst, so hilft dir Gott

    1. Die Geschichte mit den Weintanks

    Im Wintersemester 1957/58 immatrikulierte ich mich an der Ludwig-Maximilian-Universität in München und begann mit dem Studium der Betriebswirtschaftslehre. Besonders motiviert war ich nicht, bis ich von meiner Mutter einen verzweifelten Brief bekam: Bei meinen Eltern hatte das Finanzamt eine Betriebsprüfung durchgeführt, die zu sehr hohen Steuernachzahlungen führte. Die Betriebsprüfung bezog sich auf Betriebe meines Großvaters, die meine Mutter 1948 geerbt hatte. Nachdem ihr Steuerberater nicht helfen konnte, sah sie in mir die letzte Chance.

    Zu den Betrieben meines Großvaters gehörten eine Obstkelterei, eine Brennerei und eine Likörfabrik. In seinem Geschäftshaus befanden sich in einem Keller, in dem Weinfässer lagerten, auch vier große gemauerte Tanks, die innen gefliest waren. Mein Großvater hatte für seine Brennerei aus Frankreich Wein importiert, den er in diesen Weintanks lagerte. Jeder Tank hatte ein Fassungsvermögen von 20.000 Litern. Während des Kriegs wurden die Tanks durch von Bomben verursachte Erschütterungen stark beschädigt. Eine Reparatur war zunächst nicht möglich, weil alle Bürger der Stadt evakuiert wurden. Nach Kriegsende besetzte französisches Militär die Stadt und gab sie erst ab 1951 nach und nach wieder frei.

    Eines Tages meldete sich ein Geschäftsfreund meines Großvaters bei meinen Eltern, der aufgrund seiner früheren geschäftlichen Kontakte Kenntnis von den Weintanks hatte. Für die Einfuhr von Wein aus Frankreich war eine Einfuhrgenehmigung erforderlich, die deutschen Staatsbürgern während der Besatzungszeit nicht mehr erteilt wurde. Andere Unternehmer bekamen zwar eine Einfuhrgenehmigung, hatten aber keine Lagerkapazität. Durch den Besuch des Kaufmanns eröffnete sich für meine Eltern die Chance, endlich wieder ein Einkommen zu erzielen. Sie nahmen einen Kredit auf, ließen die Weintanks reparieren und vermieteten sie anschließend zu günstigen Konditionen an besagten Geschäftsmann.

    Dazu muss man wissen, dass nach Abzug des französischen Militärs auch die Behörden wieder aktiv wurden. Im Dritten Reich waren Beamte, insbesondere leitende Beamte, meistens Parteigenossen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Das galt auch für die Finanzverwaltung.⁵ Nach der Freigabe der Stadt 1951/52 übernahmen dieselben Finanzbeamten, die 1945 ihre Arbeit verloren hatten, ihre früheren Arbeitsplätze wieder und sorgten bis zu ihrer Pensionierung zwangsläufig für eine Kontinuität des vom Dritten Reich geprägten Verwaltungshandelns in der Bundesrepublik Deutschland.⁶

    Nach dem Ende des Dritten Reichs war der Staat pleite. Eine hohe Inflationsrate entwertete die Reichsmark so, dass man dafür nichts mehr kaufen konnte. Zum Essen bekam man nur noch etwas gegen Lebensmittelmarken, die staatliche Stellen jedem Bürger zuteilten. Wer mehr haben wollte, musste irgendwelche Tauschobjekte auf dem Schwarzmarkt anbieten. Da auch die Mittel zur Finanzierung des bürokratischen Apparats fehlten, war der Druck der Finanzbeamten auf die Bevölkerung enorm hoch. Insbesondere für die Umsiedlung der Ostflüchtlinge in den Westen wurden immense Mittel benötigt.

    Der Staatsentschuldung diente einmal die Währungsreform vom 20. Juni 1948, durch die die Reichsmark im Verhältnis 10: 1 in die Deutsche Mark (DM) umgetauscht wurde. Ein weiteres Mittel war das sogenannte Lastenausgleichsgesetz. Es bestand aus den Teilen Hypothekengewinnabgabe, Kreditgewinnabgabe und Vermögensabgabe. Alle Hypothekenforderungen und Kreditforderungen wurden im Verhältnis 10: 1 abgewertet. Der Schuldner musste zwar seine Hypotheken- oder Kreditschuld in voller Höhe zurückbezahlen, der Gläubiger bekam davon aber nur 10 Prozent – 90 Prozent kassierte der Staat. Die Vermögensabgabe diente hauptsächlich der Finanzierung der Umsiedlung der Ostflüchtlinge.

    Für alle Bürger, die im Westen lebten und ihre Heimat nicht verloren hatten, wurde eine Abgabe in Höhe von 50 Prozent ihres Vermögens eingeführt. Das Vermögen wurde nach dem Stand am Tag der Währungsreform in DM berechnet. Das Gesetz, das am 01.09.1952 in Kraft trat, konnte deshalb sehr schnell verabschiedet werden, weil es dazu bereits eine Vorlage gab, die noch aus dem Dritten Reich stammte, denn im Reichsfinanzministerium wurde bereits ab 1936 an einer antisemitischen Sonderabgabe gearbeitet, die kurz nach den Novemberpogromen im Jahr 1938 als Judenvermögensabgabe in Kraft trat. Maßgeblich beteiligt war an den Planungen Walter Kühne, der bis 1938 im Reichsfinanzministerium Referent für Steuern und Vermögen war und von 1949 bis 1952 im Bundesfinanzministerium, Sondergruppe Lastenausgleich, arbeitete. Auf diese Weise konnte das bereits vorhandene Wissen kurzfristig in das Lastenausgleichsgesetz eingebracht werden.⁷

    Auch die Vermögensabgabebescheide konnten bald erlassen werden. Bei den Plünderungen während der Besatzungszeit hatte sich niemand für die Steuerakten interessiert, sie waren alle noch vorhanden. Die Vermögensabgabe musste 30 Jahre lang in vierteljährlichen Raten an das zuständige Finanzamt abgeführt werden. Um die vierteljährlichen Raten finanzieren zu können, mussten viele Bürger immer wieder Vermögensteile verkaufen, vor allem Grundstücke.

    Wegen der Vermietung der Weintanks mussten meine Eltern eine Einkommensteuererklärung abgeben. Dadurch bekam das Finanzamt Kenntnis von der günstigen Vermietung, witterte unvermutete bisher nicht bekannte Steuerquellen und ordnete eine Betriebsprüfung an. Der Betriebsprüfer war der Auffassung, die Weintanks seien bei der Festsetzung der Vermögensabgabe übersehen worden und erhöhte die vierteljährlichen Raten so, dass die gesamten Mieteinnahmen an das Finanzamt abzuführen waren. Daneben hatte er noch elf weitere Beanstandungen. Die Prüfung hatte zu so hohen Steuernachzahlungen geführt, dass meine Eltern insolvent geworden wären, wenn sie sie akzeptiert hätten. Der zugezogene Steuerberater meinte dazu nur, da könne man nichts machen, die Gesetze seien nun mal so.

    Meine Mutter übersandte mir also den Bericht des Betriebsprüfers und erwartete von mir, dass ich ihr helfen würde. Ich hatte aber von Steuern keine Ahnung und verstand zunächst gar nichts; bisher hatte ich mich mit ganz anderen Dingen beschäftigt, mein eigentliches Berufsziel war nämlich die Schauspielerei. Ich hatte bereits während der Schulzeit Schauspielunterricht genommen und bewarb mich nach dem Abitur an der Schauspielschule Stuttgart, die mich aber ablehnte. Ich zog mich daher zunächst in die Staatsbibliothek zurück und studierte Kommentare zu den verschiedenen angesprochenen Steuerarten, entdeckte zahlreiche Widersprüche und erhob gegen alle zwölf Punkte des Betriebsprüfungsberichts Einwendungen.

    Das Finanzamt schrieb zurück, dass es schwierig sei, einem Laien die Richtigkeit der Feststellungen des Prüfers in einem Brief zu erläutern, und bat mich zu einem persönlichen Gespräch. Als armer Student blieb mir nichts anderes übrig, als von München zum Finanzamt in Kehl zu trampen. Dort warteten in dem angegebenen Zimmer bereits der Betriebsprüfer und sein Vorgesetzter. Die Unterhaltung verlief ausgesprochen einseitig. Die beiden redeten auf mich ein, ohne auch nur auf einen der von mir beanstandeten Punkte einzugehen. Ich forderte sie auf, zu erklären, warum sie meine Beanstandungen ablehnten.

    Da sie dazu nicht bereit waren, verließ ich den Raum und suchte das Zimmer des Vorstehers. Ich klopfte an die Tür, trat ein und stand der Sekretärin gegenüber. Dieser erklärte ich, dass ich den Vorsteher sprechen müsse. Sie sagte, so gehe das nicht, ich müsse erst einen Termin vereinbaren. In diesem Moment hatte ich Angst, die lange Reise könnte umsonst gewesen sein, fasste meinen ganzen Mut zusammen, drängte sie zur Seite, öffnete die Tür und trat ein.

    Ich blickte auf den Vorsteher. Er saß hinter einem Schreibtisch, der sich auf der der Tür gegenüberliegenden Seite des Raumes befand. Es war ein typischer massiver Schreibtisch, wie er in den Fünfzigerjahren in Amtsstuben üblich war. Das Vorzimmer mit der Sekretärin, der Schreibtisch, der Ort seiner Aufstellung im Raum und die Amtsbezeichnung des Vorstehers waren seine Insignien der Macht. Sie dienten allein dazu, einen Besucher einzuschüchtern. Mir war das damals allerdings nicht bewusst und reagierte nicht so, wie man es erwartete. Mich machte die ganze Situation eher aggressiv. Ich war der Meinung, ein berechtigtes Anliegen zu haben, und gewann den Eindruck, nicht ernst genommen zu werden. Der Vorsteher hatte Angst. Es war nicht alltäglich, dass ein Jugendlicher, der in diesem Augenblick noch nicht einmal volljährig war, beim Vorsteher eines Finanzamts ohne Anmeldung vorsprach.

    Ich trug mein Anliegen vor, er griff zum Telefon und sagte: »Hier ist Herr Uhl und behauptet, Sie beide wären unfähig, konkrete Fragen zu beantworten, kommen Sie bitte zu mir.« Auf mich wirkte dieses Telefonat wie ein weiterer Einschüchterungsversuch und steigerte meine Aggressivität noch.

    Der Betriebsprüfer und sein Vorgesetzter traten ein und das Spiel ging weiter wie zuvor, nur dass nun drei Beamte auf mich einredeten und keiner willens war, mir zuzuhören. Keiner äußerte sich konkret zu den Beanstandungen. Hätte der Prüfer recht gehabt, wäre es leicht gewesen, meine Einwendungen zu widerlegen. Da sie dies aber nicht einmal versuchten, stieg in mir der Verdacht hoch, dass meine Hinweise nicht so abwegig waren, wie sie vorgaben. Da sie bereits im Dritten Reich in Amt und Würden waren, hatten sie sich daran gewöhnt, den Bürger als bloßen Befehlsempfänger zu behandeln, und mussten das Zuhören, Nachdenken und Abwägen erst noch lernen⁸.

    Der Vorsteher machte kurzen Prozess und wies mich mangels Eignung zum mündlichen Vortrag zurück. Auf gut Deutsch: Er warf mich hinaus. In diesem Augenblick war ich sprachlos. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich konnte nicht verstehen, dass ein älterer Beamter mit langer Berufserfahrung sich einer sachlichen Auseinandersetzung durch Hinauswurf entzog. Ich fühlte mich so, wie ich es viele Jahre später bei Stefan Zweig las: Jugendliche hatten nichts zu sagen, die Meinung des Lehrers galt als unfehlbar, die Einrichtungen des Staates waren absolut und in alle Ewigkeit gültig. Bevor jungen Leuten irgendwelche Rechte zugebilligt wurden, sollten sie erst einmal Pflichten erfüllen und sich vor allem vollkommen fügsam unterwerfen. Sie hatten kein Recht etwas zu fragen oder zu fordern.⁹

    Während meiner Schulzeit von 1944 bis 1957, 40 Jahre nach Stefan Zweigs Erlebnissen, hatte sich rein gar nichts geändert. Zur Durchsetzung dieses Erziehungsgrundsatzes war bis 1951 die Prügelstrafe noch eine gängige Erziehungsmethode und wurde erst 1973 per Gesetz verboten.

    Das Verhalten des Vorstehers war rechtswidrig, das Grundgesetz war immerhin schon seit acht Jahren in Kraft. Er konnte sich aber auf die Reichsabgabenordnung berufen, die noch bis 1976 galt. Sehr spät nach dem

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1