Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Salsa picante: Roman
Salsa picante: Roman
Salsa picante: Roman
eBook400 Seiten5 Stunden

Salsa picante: Roman

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Musik und Lebensgefühl mit Worten zu beschreiben ist schwer. Vielleicht ist dies der Grund, dass nichts über das Salsatanzen existiert, - abgesehen von Tanzanleitungen.

Letizia Mar nähert sich in ihrem Debütroman dem Salsa als junge Frau, welche diesen Tanz und das damit verbundene Lebensgefühl für sich entdeckt. Sie nimmt die Leserschaft mit auf eine Reise, die zum einen nach Lateinamerika führt. Doch auch in ihrem Inneren öffnet der Salsa Türen.
Passend zur jeweiligen Situation flechtet Mar Musikstücke in die Erzählung ein. Diese helfen beim Eintauchen in die Atmosphäre der Salsawelt und beflügeln die Fantasie.
Auf diese Weise wird der Roman zu einem Genuss nicht nur für Salsaliebende und Urlaubträumende und jene, die es werden wollen. Aber Vorsicht: Wie alles, was süchtig macht, nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen!
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum6. Juli 2021
ISBN9783347327313
Salsa picante: Roman

Ähnlich wie Salsa picante

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Salsa picante

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Salsa picante - Letizia Mar

    Mittendrin

    Sie stand vor dem ›Loch‹. Wer es kennt, wird wissend lächeln. Dieser Ort zog sie an. Seine Magie saugte sie ein. Und so ging es nicht nur ihr. Die Szene war überschaubar, aber nicht eben klein. Und für alle Salsasüchtigen galt: Ein Wochenende ohne das ›Fuego‹, wie es sich offiziell nannte? Nur unter Schmerzen! Wer am Freitag nicht da sein konnte, würde es Samstag sein.

    Manche Gestalten waren Inventar, ihr Fehlen befremdend in der trauten Umgebung. Suchend sahen sie sich um: »Wo waren sie? Gab es eine bessere Party in dieser Nacht?« Denn ja, das ›Loch‹ hatte Konkurrenz bekommen. Und sie wurde besser, rüstete auf, umzingelte es. Doch halsstarrig verwies diese Greisin unter den Lokalitäten die neuen auf ihre Plätze. Noch hatte ihr keine den Rang abgelaufen. Die alte Dame wusste: Sie alle würden rückfällig werden, wieder zu ihr kommen, die eine früher, der andere später. Die Hörigen, die der Wirt ›Gäste‹ nannte, kehrten zurück mit nagendem Schuldgefühl, als ob sie die alte Greisin hintergangen, fremdgegangen, sie betrogen hätten. Sie versuchten, von ihr loszukommen. Doch woanders fanden sie nicht das, was das ›Fuego‹ ihnen gab. Diese Stimmung, diese Atmosphäre, dieses Gefühl: Mit Worten nicht zu fassen. Deshalb krochen sie wieder ins ›Loch‹. Alle! Taten nett mit dem Besitzer, scherzten, klopften ihm auf die Schulter, machten seiner Frau Komplimente, kurz: Wollten ihren Fehltritt vergessen machen. Denn er wusste, wo sie gewesen waren, und sie wusste, dass sie ohne nicht sein konnten und es dennoch woanders versucht und doch nicht gefunden hatten.

    Ganz versteckt lag das ›Fuego‹ unterirdisch in einer Passage in der Innenstadt. Kein Sonnenstrahl verirrte sich jemals hierher, ganz wie der Eingang zu einem Fuchsbau.

    Lea ging durch unheimliche, düstere, miefige Gänge. Pissegeruch hing in der Luft, Neonlicht von der Decke. Doch nie musste sie nach dem Weg fragen. Die Musik leitete sie, zog sie, diktierte schließlich ihren Schritt. Er wurde weicher, schwingender, verfiel dem Salsatakt. Ihre Stöckelschuhe betonten ihren wiegenden Gang. Sexy wogten ihre runden Hüften. Plötzlich zogen sie Blicke auf sich. Waren sie sonst auch so prall und fest? Auf den letzten Metern ließ sie alles hinter sich. Der Alltag, ihr Leben draußen, blieben hinter ihr zurück wie eine ausgediente Schlangenhaut. Genüsslich schlüpfte Lea in ihre Rolle. Immer bewusster schwang sie nun ihren Hintern und genoss das Frausein.

    Die Mitglieder der Salsaszene erkannten sich leicht an den Schuhen, der Haltung und Bewegung. Infizierte wurden sehend. Wortlos reihten sie sich ein. Ihre Kleidung? Dem Sommer geweiht. Im Winter verborgen unter dicken Jacken, die beim Betreten des ›Fuegos‹ grell aufrissen, den Blick freigebend auf das Wenige darunter. Hochhackig musste es sein für die Ladys. Coole Männer trugen Turnschuhe, die prompt Probleme mit den Türstehern provozierten. Die Übrigen bevorzugten glatte Sohlen, denn Drehen gab den Kick.

    Wie von Fäden gezogen, strömten sie nachts von überall her aus den Gängen. Das ›Fuego‹ hatte ein riesiges Einzugsgebiet. Die Menge staute sich vor dem Eingangs-Öhr. Von außen schoben und drückten sie und wollten hinein. Doch der Türsteher war Gott. Banges Warten vor der nur von außen undurchsichtigen Tür. Da, endlich rollte sie zur Seite.

    Lea zahlte und trat ein. Ihr routinierter Blick schweifte lässig über Köpfe und Körper. Hie und da blieb er hängen, an einem Gesicht, einem Outfit. »Ich bin wieder da. Lea, die Wölfin, ist in ihrem Revier. Hier macht mir keiner etwas vor«, sprachen Haltung und Blick. Relaxt und gebräunt und voll der Hitze Spaniens zeigte sie sich stolz, die Haare erblondet von Sonne und Salzwasser. Sie reckte das Kinn, streckte ihren Oberkörper, Brust raus und Schultern gerade. Blicke prickelten auf ihrer bloßen Haut. Die Atmosphäre pustete in ihre Glut. Lea fühlte Wärme in sich auflodern.

    Dann war sie nur noch Ohr. Ein herrlicher Salsa floss in voller Lautstärke hinein und erfüllte sie vollends, endlich. Es war ihr Lieblingssänger Jerry Rivera mit ›Que hay de malo‹.

    Ein Lächeln umspielte ihre Lippen und sie dachte bei sich: »Das Leben kann so herrlich sein und dafür braucht es gar nicht viel. Carpe noctem, Lady. Genieße die Nacht!«

    Sie holte Atem und tauchte ein. Drinnen war es dämmrig, Rauch hing von der Decke. Ihr weit schwingendes, kurzes Kleid umgaukelte ihren schlanken Körper. Es war blau mit kleinen, weißen Blumen. Heute wäre es ein Ladenhüter, doch damals in den 1990ern galt es als schick bis gewagt. Lea hatte es in Spanien entdeckt und bereits Probe getragen. Dort hatte sie auch die passenden Schuhe gefunden. Sie waren recht hoch und verliehen ihrem Gang etwas Wiegendes.

    Lea hatte beobachtet, dass die Spanierinnen viel ungenierter ihre Auslagen zeigten und sich ein bisschen inspirieren lassen. Stolz hob sie ihren Kopf, straffte die Schultern und zog den Bauch ein. In dieser Nacht hätte sie auch in einem Jutesack eine gute Figur gemacht, denn sie strahlte von innen heraus. So stand sie da als leuchtende Elfe im Blümchenkleid, wollte bewusst etwas verloren wirken allein am Rande der Tanzfläche. Lea schaute auf die im Rhythmus wogende Menge, neugierig, sehnsüchtig. Es war eng, die Masse waberte, Körperteile ragten heraus. Lea sah zwei sich umschlingende Hände, ein rotes Kleid blitzte auf, ein Lachen drehte vorbei.

    »Möchtest du tanzen?« Warme, stolze Latinoaugen suchten ihren Blick und hielten ihn fest. Kurz flackerte die Angst vor ihrem »Nein« darin.

    Lea nickte nervös lächelnd, fasste gleichzeitig nach der dargebotenen Hand und schon wirbelten sie mittendrin. Ihre letzten Gedanken, bevor sie zu schweben begann: »Es ist so leicht. Wie kann es sein, dass ein Leben komplett seine Richtung wechselt in wenigen Tagen? Oder auch nur in einem einzigen, magischen Augenblick?«

    Lea spürte, dass es gut gewesen war, sich Zeit zu lassen. Sie war ruhig, die innere Anspannung gänzlich verschwunden. Sie konnte sich wieder auf andere Menschen einlassen. Kein Aufschrecken und Magenkrampfen mehr bei jedem Mann, der wie ER aussah, oder einem Auto, das SEINS hätte sein können. Und das Tanzen jetzt war das i-Tüpfelchen: Sie ließ los, vergaß alles, solange sie tanzte. Eben noch zu Tode betrübt, zählte jetzt nur der Augenblick. »Das ist Salsa!«, dachte sie glücklich. Sie schwebte und sah sich beim Tanzen zu. Die Musik und das flackernde Licht zeichneten alle Konturen weich. Im Kopf machte es ›Klick‹ und er schaltete ab, endlich.

    Leas Traumtänzer hieß Alejandro. Das erfuhr sie, als sie eine Pause machten und die ersten Worte wechselten. Er hatte schulterlange, schwarze Haare und sie waren ungefähr gleich groß. Sie tanzten noch oft an diesem Abend.

    »Warum kann sie nicht meine sein?«, dieser plötzlich aufblitzende Wunsch, als er Lea beim Tanzen in den Armen hielt, hatte ihn selbst überrascht, so erzählte Alejandro es Lea später. Denn normalerweise war sein Motto bei Gelegenheiten wie dieser: »Bett oder nicht Bett? Das ist hier die Frage.« Er spürte Leas lebendigen Körper unter seiner linken Hand, die ihre Taille umfasste. »Nicht zu viel und nicht zu wenig, genau nach meinem Geschmack«, lautete sein erstes Urteil. Und die Art, wie sie tanzte, gefiel ihm auch: »Para ser una alemana lo haces bien.« Also: Nicht schlecht für eine Deutsche. Sie bewegten sich gemeinsam in fließender Harmonie direkt unter der Spiegelglitzerdiscokugel. Keine scharfen Stopps, keine ruckartigen Verrenkungen.

    »Mit ihm habe ich noch nie getanzt, ob er neu ist in der Stadt?«, überlegte Lea derweil. Dass dies nicht der Grund sein musste, versetzte ihrem Ego einen kleinen, schmerzhaften Stich. Viel wahrscheinlicher war, dass er sie zuvor einfach nicht bemerkt hatte. In dieser Nacht umgab sie ein Strahlen, das sie von der Masse abhob. Dazu der frische Urlaubsteint und natürlich ihr Kleid. Es stand zu befürchten, dass man fast bis zum Bauchnabel hochgucken konnte, wenn sie sich drehte. Was sonst konnte der Grund für das süffisante Grinsen des Typen sein, der da wie festgenagelt auf seinem Stuhl saß, sie von schräg unten fixierte und keine Sekunde aus den Augen ließ? »Der hat sogar das Blinzeln eingestellt!«, dachte Lea irgendwann zwischen den Drehungen.

    Alejandro hatte ein schönes Lächeln, eine selbstbewusste, gewinnende Art. Zwischendurch gingen sie vor den Discoeingang Luft schnappen. Drinnen wurde das Sprechen schnell anstrengend. Er erzählte ihr von seinem Land: »Ich komme aus Kolumbien.«

    Lea stellte ihn sich sofort als Banditen mit Augenklappe vor: sexy und verwegen. Das nährte ihr Interesse. Sie mimte aber weiter die coole Lady und ließ sich nichts anmerken.

    »Schwimmen habe ich in der Karibik gelernt und Surfen im Atlantik«, prahlte er und sie ließ ihre Blicke über seine muskulösen Oberarme wandern. Seine Augen blitzten im gebräunten Gesicht und sie hörte die Sehnsucht zwischen seinen Worten. »Ich möchte es dir gern zeigen«, überrumpelte er Lea.

    »Ja, klar, machen wir.« Obwohl sie diese Einladung nicht ernst nahm, hatte die Vorstellung doch etwas Faszinierendes. Sie spürte und genoss die Magie dieser Nacht, in der so vieles möglich schien. Lea betrachtete und beobachtete Alejandro, ihr Blick wanderte von seinem intelligenten und offenen Gesichtsausdruck über seinen Körper. »Eigentlich genau mein Typ«, konstatierte sie insgeheim. Doch sie blieb vorsichtig. Hatte sie doch schon zu viel erlebt, um zu vertrauen.

    Der letzte und vielleicht dunkelste Schatten ihrer Vergangenheit war Juan gewesen. Mit ihm hatte sie aber auch ins Licht gefunden – ins Discoflackerlicht und die Welt des Salsa.

    Juan

    Wie blöd war sie damals gewesen, fast kindlich naiv. Und dabei war Lea schon zwanzig, als sie Juan kennenlernte. Er war der erste Latino, der ihren Weg kreuzte. Sie gab die frischgebackene Studentin voller Tatendrang und Enthusiasmus, er war ihr Mitbewohner in einer bunt zusammengewürfelten Haus-WG. Die Vermieterin hegte die romantische Vorstellung, dass ihr ehemaliges Elternhaus zu einer netten Studentenbude werden könnte, träumte von intellektuellen Diskussionen bei Tee und Räucherstäbchen, sich selbst mittendrin. Sie sah bereits die Zimmer und Tische voller Bücher und Papier, junge Leute mit Brillen und Fahrrädern.

    Doch das Haus lag weit entfernt vom Campus, noch dazu an einer mehrspurigen Straße, die das kleine Nest durchschnitt. In Leas Badezimmer hing ein gerahmtes Schwarzweißfoto. Es war eine alte Aufnahme des herrschaftlichen Hauses. Die Straße war noch nicht asphaltiert und ein einsamer Oldtimer parkte direkt vor dem Eingang. Das Foto verbreitete Idylle pur aus einer längst vergangenen Zeit. Alle Zimmer der geräumigen Villa waren zur Straße hin angelegt. Sicher waren die Kinder einstmals zum Fenster gestürmt, wenn das seltene Rattern eines vorbeifahrenden Gefährts dazu verlockte. Heute hatten selbst die doppelt verglasten Scheiben dem Lärm der abbremsenden und wieder beschleunigenden LKWs außer ihrem kläglichen Klirren wenig entgegenzusetzen.

    Bei ihrem neuen Mitbewohner Juan hörte Lea zum ersten Mal Salsa. Da wusste sie allerdings noch nicht, dass es Salsa war, was da meist von männlichen Sängern in ungewohnt hoher Tonlage tagtäglich viel zu laut aus seinen Boxen sülzte. Es sägte an ihren Nerven und sie klopfte empört an seine Tür. So konnte sie nicht studieren! Sie fühlte sich zwar als Intellektuelle, hielt sich für weltoffen und hatte bestimmt nichts dagegen, wenn sich jemand seine Heimatmelodien anhörte. Einem dieser Folklorelieder zu lauschen, fand sie ja auch ganz nett, aber nach zweien oder spätestens dreien schloss Lea dann doch genervt geräuschvoll ihre Zimmertür oder trommelte gegen seine.

    Der schuldbewusst-verschmitzte Blick, den Juan ihr schenkte, wenn er seine Tür endlich öffnete und sie ihn, plötzlich zaghaft geworden, bat, die Musik leiser zu stellen, war es allemal wert. Sein beschwichtigendes: »Okay, Señorita, alles okay«, verursachte ein warmes Kribbeln in Leas Magengegend. Zu weiterer Konversation reichten seine Deutschkenntnisse leider nicht. Aber wie er sie ansah und dieses ›Señorita‹, hach! In diesen Momenten fühlte sich Lea wie eine feurige Spanierin mit aufbrausendem Temperament, rotem Rock, Rosen auf der Bluse und Kastagnetten an den Händen.

    In jener Zeit der frühen 1990er-Jahre hörte Lea ehrliche Musik, viel New Wave. Von der feurigen Spanierin trennten sie Welten. Seit der Pubertät war sie peinlich darauf bedacht, keine durchscheinende Kleidung zu tragen. Der BH durfte auf keinen Fall zu sehen sein, weder am Armausschnitt noch die Träger. Sie wählte Hosen und Oberteile, die ihre Figur verbargen. Nicht, dass sie dick gewesen wäre. Sie fand es einfach ordinär. Über einen längeren Zeitraum bevorzugte sie dunkle Farben. Sie liebte es nicht, aufzufallen und Blicke auf sich zu ziehen. Deshalb war sie selbst in ihrer New Wave-Hochphase gut ohne das obligatorische, nietenbesetze Fledermausoutfit ausgekommen, noch wäre es ihr nicht im Traum eingefallen, ihr Gesicht mittels Schminke in eine weiße Maske mit schwarzen Triefaugen zu verwandeln. Aus dieser Phase auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden war ihr die Musik geblieben. Sie war vielleicht etwas sehr düster, aber ehrlich und wohl der krasseste Gegensatz zu diesem verlogenen Quatsch von Liebe und Romantik, von denen Juans Lieder allesamt zu handeln schienen. Lea verstand zwar kein Spanisch, aber das häufig darin wiederkehrende Wort ›amor‹, verschiedene Frauennamen und allein schon die Art, wie es klang, ließen wohl nur diesen einen Schluss zu. Musik wie Salsa schien ihr in Richtung Opium fürs Volk zu gehen nach dem Motto: »Träumt von der Liebe, den großen Gefühlen, trinkt etwas und gebt euch ansonsten zufrieden mit dem Wenigen, was ihr habt.«

    Außer Juan und Lea wohnte noch die Schwedin Maria in der Haus-WG. Etwas später kam ein Amerikaner hinzu. Marc war nett, ein bisschen moppelig und bei allem, was er tat, also hauptsächlich: essen, reden, schlafen, nie leise. Er war lustig, immer gut gelaunt und vertrat eine in beide Richtungen recht großzügige Auslegung der Definition von meins und deins. Wenn Marc zu Hause war, was selten vorkam, fand man ihn meist in der Küche. Dort plünderte er den WG-Kühlschrank und kochte undefinierbare Gerichte auf Basis von Erdnussbutter. Einmal hatte Lea versucht, mit ihm über König Baumwolle und George W. Carver, der die Erdnuss in Amerika salonfähig gemacht hatte, ins Gespräch zu kommen.

    »What?«, er hatte seinen Blick gehoben und sie mit vollen Backen fixiert, als zweifele er an ihrem Verstand. Kommentarlos fuhr er dann fort, die Reste aus sämtlichen Töpfen zu mümmeln. Das wiederum war recht praktisch. Seit seinem Einzug verkam in diesem Haushalt nichts mehr.

    Lea bemerkte Juans Blicke, wenn sie sich zufällig in der Küche trafen. Sie wärmten ihren Rücken, während sie im Kühlschrank kramte. Sie brannten auf Beinen und Po, wenn sie vor ihm die Treppe hinaufging. Lea spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss, und war froh, dass er es nicht sehen konnte. Sie ertappte sich dabei, dass sie ihr Aussehen im Spiegel kontrollierte, bevor sie ihr Zimmer verließ, und kam sich vor wie ein Backfisch. War Juan zu Hause, fühlte sie sich mittlerweile so unruhig, dass Lernen unmöglich wurde. Ständig horchte sie auf seine Stimme beim Telefonieren, seine Musik oder seine Schritte. Immer häufiger traf sie ihn ›zufällig‹ in der Küche.

    Maria bekam das natürlich mit. Sie war die WG-Omi, ging auf die dreißig zu und warnte theatralisch mit erhobenem Zeigefinger: »Der ist nichts für dich, siehst du das nicht? Der will nur spielen, schütze dein Herz!«

    Solange Maria da war, passierte tatsächlich nichts. Es war wie ein stilles Einvernehmen zwischen Juan und Lea. Geredet hatten sie bisher kaum. Wie denn auch? Er sprach ja nur ein paar Brocken Deutsch und Englisch noch weniger. Vor Maria gab Lea weiterhin die vernünftige, kopfgesteuerte Intellektuelle, die ganz sicher nicht dem Charme dieses großen, gut gebauten Latinos erliegen würde. Doch die Luft zwischen Juan und ihr knisterte jeden Tag ein bisschen mehr. Beide warteten, lagen auf der Lauer, kreisten wie Planeten, unfähig, aus dem Magnetfeld des Anderen zu entkommen.

    Marias Praktikum in Deutschland ging bald zu Ende, dann würde sie nach Schweden zurückkehren. Mit ihr verlor Leas Kopf die stärkste Fürsprecherin.

    Lea musste feststellen, dass die Uni kein großes Einzugsgebiet hatte. Die meisten Studierenden wohnten weiterhin zu Hause und verbrachten ihre Freizeit und Wochenenden mit den alten Freunden. In der Uni gab es von Anfang an fast ausschließlich feste Cliquen. Sie fand keinen Anschluss. Auch die Vorlesungen waren eine Enttäuschung. Wie sehr hatte sie sich darauf gefreut, ihre Lieblingsfächer zu vertiefen. Kein Mathe mehr, keine Physik oder Biologie. Stattdessen: Literaturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte! Ihre Euphorie war allerdings schnell verraucht. So frei war ihre Auswahl dann doch nicht und die staubtrockenen Vorlesungen verursachten ihr Hustenreiz. Abwechslung brachten die Referate. Mit schlechtem Gewissen hatte Lea ihre erste Hausarbeit abgegeben. Im Kopf nur Juan und allergisch auf langweilige Themen hatte sie es zu lange vor sich hergeschoben und kurz vor dem Abgabetermin rasch etwas zusammengestoppelt. Umso mehr überraschte Lea das Lob des Dozenten. Was um Himmels Willen gaben denn die anderen ab? In Summe führte dies dazu, dass Lea nicht mehr Zeit als nötig auf dem Campus verbrachte. War ihr Soll erfüllt, hielt sie dort nichts mehr. Und zu Hause wartete: Juan.

    Nachdem Maria abgereist war, stürzten sie sich in eine emotionsgeladene Beziehung. Juan erwies sich als machomäßig eifersüchtig und sehr Besitz ergreifend. Er hatte zusammen mit seinen sieben Geschwistern und einem gewalttätigen Vater nicht viel Liebe abbekommen. Auch seinen Narzissmus erklärte sich Lea damit. Juan liebte nämlich zuerst und vor allem sich selbst. Manchmal blieb er beim Bummeln zurück, um sein Spiegelbild in einer Schaufensterscheibe zu bewundern. Seine Eifersucht hielt Lea für ein Zeichen seiner übergroßen Gefühle zu ihr. Und erzählte nicht jeder Film und bestätigten nicht sämtliche Klischees, dass die Südländer genau so seien: männlich, eitel, eifersüchtig?

    Lea akzeptierte sein Verhalten als kulturelle Eigenart. Ihr letzter Freund hatte ihre Liebe nicht erwidert und sie obendrein wegen einer anderen verlassen. Da tat es gut, mit so viel Nach- und Ausdruck geliebt und begehrt zu werden, jeden Tag und mit wachsender Intensität.

    Mit dem Wörterbuch in ständiger Griffnähe lernte Juan schnell so viel, dass sie sich verständigen konnten. Leas Studium geriet in Mitleidenschaft. Und das nicht nur, weil sie anderes im Kopf hatte. Sie hörte bei Juan tagtäglich falsche Satzstellungen und Wortendungen. So verlor sie recht bald ihre vertraute Sicherheit in Sachen grammatischer Korrektheit.

    Juans Selbstverliebtheit hatte einen ungeahnten Nebeneffekt. Er liebte es zu posieren. Lea aß ihn mit den Augen, aber das reichte ihr bald nicht mehr. Und so entschloss sie sich zu einem drastischen Schritt: Sie verkaufte ihre geliebte Emma, einen zehn Jahre alten, nachtblauen Softchopper mit herrlich rumpelndem Zweitaktmotor. Er hatte zuletzt sowieso nur ungenutzt vor sich hin gerostet. Von dem Geld erstand Lea eine Leica mit verschiedenen Objektiven. Sie hatte von jeher gern fotografiert, nun erhob sie es zum Hobby. Sie experimentierte mit Schwarzweiß-Aufnahmen, Licht und Schatten. Juan mit seinem schwarzen Haar, dem sportlichen Body und fotogenem Schlafzimmerblick wurde ihr nimmermüdes Model. In der sich aufheizenden Atmosphäre entwickelte sich ein interessanter Automatismus: Ihre Fotosessions endeten stets für beide Parteien, Fotografin wie Model, nackt.

    »Leg die Hand weiter nach links!«

    »¿Asì?«

    »Ja, und jetzt den Kopf etwas mehr nach rechts neigen.«

    »So, mi amor?«

    »Sí, perfecto.«

    »Okay, mi amor.«

    »Aber was machst du denn?«

    »Gefällt dir nicht?«

    »Oh, hmm, doch.«

    »Und wenn ich so mache …?«

    »Ah, si.«

    »Soll ich weiter?«

    »¡Si, si, si!«

    Langsam gewöhnte Lea sich an Juans Musik. Sie entdeckten, dass nahe der Uni einmal im Monat ein Salsa-Abend in einem Freizeitzentrum veranstaltet wurde, und gingen regelmäßig gemeinsam hin. Dort konnte Lea zum ersten Mal beobachten, wie Salsa getanzt wird. Bisher war sie über die Grundschritte, die Juan ihr in seinem Zimmer beigebracht hatte, nicht hinausgekommen. Beim Tanzen vor anderen, was für sie an sich schon Stress bedeutete, wurde ihr zum ersten Mal bewusst, wie viel länger Salsalieder im Vergleich zu Popmusik sind. »Das ist ja richtig anstrengend!«, kommentierte sie atemlos.

    »Du machen das gut, mi amor.« Er lächelte sie tapfer an, unmittelbar, bevor Lea abermals in die falsche Richtung drehte. Juan war sehr geduldig und fing sie wieder ein. Oft hielt er ihre Hand etwas fester, um sie daran zu erinnern, wer führte.

    Lea aber wollte diese Anfangsphase so schnell wie möglich hinter sich bringen. Sie beschloss pragmatisch, einen Salsa-Kurs zu belegen. Prompt fand sie ein kostenloses Angebot im Sportprogramm der Universität. »Guck mal, das würde ich gern machen«, sie hielt Juan die Broschüre unter die Nase, als er zur Tür hereinkam.

    »Ein Kurs für Salsa«, er sah Lea nachdenklich an. »Okay, ich kommen auch.«

    »Aber nein, das geht nicht, das ist nur für Studierende und du arbeitest doch um diese Zeit.«

    »Du wollen allein mit andere Männer …?«

    »Aber das ist doch wie Sport, kein Problem.«

    »Nein, du nicht gehen!« So ging es eine Weile hin und her.

    Sie bekam einen roten Kopf. Juan verschränkte die Arme vor der Brust und starrte wütend vor sich hin. Lea betrachtete ihn, ebenfalls kochend. Sie würde sich von ihm nichts verbieten lassen! Das war doch wohl lächerlich. Aber Lea wäre nicht Lea gewesen, wenn ihr Kopf im Backoffice nicht bereits pragmatische Lösungsvarianten erarbeitet hätte. Lea warf noch einen prüfenden Blick auf ihren schmollenden Freund und kalkulierte eiskalt. »Okay, Junge, dich krieg ich rum.« Sie musste sich kurz sammeln, rückte dann näher und schmiegte sich vorsichtig an ihn. Als er sich nicht steif machte und sie gewähren ließ, begann ihre Hand zu wandern. Juans Blick wurde weniger starr. Lea strich über seine Oberschenkel und näherte sich seinem Gesicht. Er erwiderte ihren Kuss und griff ihr unter den Pulli. Die WG-Couch quietschte so laut wie die bremsenden LKWs draußen.

    »Wie gut, dass weiter niemand da ist«, dachte Lea, während sie zum ersten Mal kam.

    Sie wirkte klein und schüchtern, wie sie sich durch die schwere Tür der Turnhalle quetschte.

    Der Kursleiter hatte die Neue sofort erspäht, kam mit einem lächelnden »Hola, freut mich, dass du hier bist. Ich bin Pablo«, auf Lea zu und schüttelte ihr die Hand. Die anderen blickten nicht neugierig herüber.

    Im nächsten Moment klatschte Pablo in die Hände. »Hola, Leute, es geht los. Verteilt euch bitte vor die Wand!«

    Sie stellten sich vor der langen, verspiegelten Hallenwand auf.

    Pablo zählte: »Un, dos, tres y un, dos, tres« und zeigte den Salsa-Grundschritt. Nach einiger Zeit nickte er zufrieden, eilte zum CD-Player und sie übten das Ganze mit Musik. Er stand mit dem Rücken zu ihnen und sein Spiegelbild beobachtete jeden einzelnen. Er runzelte ein wenig die Stirn, flitzte wieder zum Rekorder und stoppte die Musik. »Leute, ich habe es doch erklärt: Die Frauen mussen mit der rechte Fuß nach vorn starten und die Männer mit der linke Fuß nach hinten! Das ist doch einfach logisch. Sonst könnt ihr nicht zusammen tanzen. Also nochmal!« Und damit war er bereits wieder auf dem Weg zur Anlage und die Musik erklang erneut. Diesmal klappte es besser und Pablo nickte zufrieden im Salsatakt. Als sie das Ganze dann paarweise ausprobierten, kam es trotzdem zu einigen schmerzhaften Fußbegegnungen. Pablo sortierte seine Schüler nach Geschlecht und bestimmte so die ersten Paare. Nach drei Liedern wechselten die Männer auf sein Geheiß eine bestimmte Anzahl an Damen weiter. Ging die Teilnehmerzahl einmal nicht auf, tanzte Pablo mit. Passte es von der Geschlechterverteilung her nicht, mussten gleichgeschlechtliche Partner zusammentanzen, was sich als zusätzliche Herausforderung erwies. Keiner der Studierenden war problemlos in der Lage, auf den anderen Part umzuschalten und spiegelverkehrt zu tanzen.

    Außerdem musste sich nun ein zu führen gewohnter Mann plötzlich leiten lassen. Es kam zu lustigen Szenen, wenn keiner die Führung abgeben wollte. Die Drehung endete abrupt, die beiden starrten sich an und aus dem Tanz wurde ein Kräftemessen, was wirklich albern aussah. Die Frauen hingegen erkannten, wie schwierig es war, aus einer Drehung unfallfrei wieder herauszufinden. Oft standen sie wie Statuen bewegungslos mit verrenkten Armen da und wussten nicht weiter. Es wurde viel gelacht, denn dank Pablo herrschte ein viel beschworener Konsens, dass man zum Spaß dabei sei und nicht, um Medaillen zu gewinnen. Als auch Lea zum ersten Mal mit einer Frau tanzte und führen sollte, merkte sie schnell, dass ihr dieser Part überhaupt nicht gefiel. Beim Tanzen denken zu müssen war nicht ihr Ding.

    »Ach nee, das ist nichts für mich. Ich möchte doch abschalten. Der männliche Part ist mir viel zu stressig«, meinte sie, als die Gruppe in einer Pause draußen zusammenstand und rauchte.

    »Geht mir genauso«, pflichtete ihr Marion bei. Mit ihr hatte Lea gerade getanzt. Lea war sie schon vorher aufgefallen, weil sie sich sehr schön rund bewegte und die Musik sichtlich genoss.

    Die Atmosphäre im Kurs war angenehm entspannt. Gemeinsam lernten sie die ersten Schritte und Drehungen. Und nachdem Lea diese verinnerlicht hatte, war der Rest nur noch Übung.

    Mit Juan nutzte sie nun jede sich bietende Gelegenheit zum Salsatanzen. Dabei fiel ihr ein Paradoxon auf, für das sie keine plausible Erklärung fand: Latinos hatten den Ruf, größtenteils emotional, untreu und eifersüchtig zu sein. Wie passte das zum Salsa? Salsa war doch ein sehr körperbetonter Paartanz. Zudem war es üblich, mit wechselnden Partnern zu tanzen. Wie hatte sich diese explosive Mischung entwickeln können? »Warum tun sie sich das an? Wahrscheinlich kommt es in den Salsa-Discos häufig zu Schlägereien«, mutmaßte Lea schon damals.

    Nach einiger Zeit hatten sich Leas Sinne an die Musik gewöhnt und konnten auch die zwei verschiedenen Rhythmen Salsa und Merengue unterscheiden.

    »Das ist mehr wichtig für die Machos - also die Männer, denn der Mann führt und gibt den Takt an. Aber wenn die Frau auch weiß, welcher Rhythmo es ist, können beide besser zusammen lostanzen«, erklärte Pablo in seinem charmanten Hispano-Deutsch.

    Lea hatte schon immer gern getanzt und spielte selbst Saxophon. Sie hatte Blut geleckt und hörte die Musik nun freiwillig, auch und vor allem, um gelernte Schrittfolgen und Drehungen ohne Publikum erproben zu können. Oft übte sie allein vor dem Spiegel oder mit geschlossenen Augen. Letzteres half ihr, den Rhythmus auch bei Drehungen zu halten. Der Spiegel zeigte ihr die Wirkung ihrer Körperhaltung.

    Hätte ihr damals jemand gesagt, Salsa würde ihr Leben verändern, sie hätte ihm ins Gesicht gelacht.

    Die Beziehung mit Juan gestaltete sich zunehmend nervenaufreibender. Er wollte nicht, dass sie sich verabredete. Sogar die seltenen Besuche ihrer Familie waren ihm lästig und er verzog sich wortkarg in sein Zimmer. Sie stritten häufig. Seine Eifersucht auf alles und jeden war für Lea ein einziger nerviger Machtkampf. Sie fühlte sich wie gefangen. Als ihr Hund Rudi, der bei ihrer Mutter lebte, ein paar Tage bei ihr verbrachte, war Juan durchgehend schlecht gelaunt.

    Schließlich kam sie dahinter: »Du bist eifersüchtig auf den Hund!« Wortlos sah er Lea mit diesem tief verletzen Blick an.

    »Dein Ernst? Das ist es? Nein, so kann es nicht weitergehen, ich halte das nicht mehr aus!«, schrie sie, sodass beide, Hund und Mann, zusammenzuckten und sich klein machten. Dies war einer von Leas Aha-Momenten. Nun wusste sie, dass sich etwas ändern musste. So herrlich es mit Juan auch war, ihre Probleme lösten sich dadurch nicht.

    Glückliche Momente wurden rar. Mit Juan füllte sich der Begriff ›Versöhnungssex‹ randvoll mit Leben. Nur, wenn sie allein miteinander waren und Lea ihm seinen Willen ließ, war es erträglich. Doch sie wehrte sich dagegen. »Wir leben doch nicht auf einer einsamen Insel!« Lea wollte tanzen, auf Partys gehen, studieren, die wenigen Bekanntschaften, die sich inzwischen zart entwickelten, pflegen. Doch selbst die Verabredung zum Kaffeetrinken mit einer Kommilitonin musste sie sich hart erstreiten. Da war kein Weg. Juan wollte sie für sich allein, verbot ihr schließlich jegliche Treffen.

    Mit Juan war Lea an die Fleischwerdung des Klischees vom Latin Lover geraten. Manchmal fragte Lea sich, ob sie nicht Liebe mit Sex verwechselte. Männer waren da ja gemeinhin weit weniger spitzfindig. Ihre Beziehung war sehr körperlich und so ganz anders, als sie es bisher gekannt hatte. Juan war fantastisch im Bett – sofern sie überhaupt dort landeten. Beim Liebesspiel war er aufmerksam, zärtlich, kraftvoll und unermüdlich.

    »Ich nehme Drogen«, scherzte er einmal.

    Lea vermutete aber einen Kern Wahrheit, denn Juan schlief selten mehr als vier Stunden, hatte einen körperlich anstrengenden Job und wollte dennoch täglich Sex. Und die Art, wie er mit ihr schlief, war alles andere als Kraft sparend. Er trug Lea hierhin und dorthin, stemmte sie gegen den Türrahmen oder hob sie auf die Waschmaschine. Ängstlich durchsuchte sie nun seine Taschen und folgte ihm bis ins Bad. Nahm er tatsächlich Drogen, irgendein Aufputschmittel? Sie fand nichts.

    Doch er lachte nur mit seinem unergründlichen Blick. »Mentira, mi amor, ich Lüge sagen, ich so von Natur.«

    Einige Zeit lag sein Ehrgeiz darin, jedes Zimmer der Villa sexuell in Besitz zu nehmen. So wie ein Hund sein Revier markiert, wollte er jeden Raum mit ihrer Aura aus Sex und Geilheit erfüllen. Und das Haus hatte viele Zimmer. Sie trieben es vom Keller bis zum Dachboden. Lea scheuerte sich am Teppich das Knie auf, weil der Raum ansonsten leer war. Ein Tisch ging zu Bruch. In einer vollgestellten Rumpelkammer waren einige Zeit die Abdrücke von Leas Brüsten an der verstaubten Fensterscheibe zu sehen, bis er sie schließlich fortwischte. Im Keller stolperten sie über alte Reagenzgläser. Der verstorbene Vorbesitzer war Arzt und überall stießen sie auf Reliquien.

    So männlich sich Juan im Bett gab, so weich und kindlich romantisch waren seine Liebesbeweise. Er überreichte Lea kitschige Liebesbriefe, bemalt mit Herzen und beklebt mit glitzernden Liebesmarken. Er übersetzte ihr auch seinen Lieblingssalsa ›Pequeñas cosas‹ von Willie Gonzalez und schenkte ihr einen rosa Stoffhasen, den sie ungläubig von allen Seiten beäugte. Juan war schwer beleidigt und nannte Lea einmal mehr eine ›kalte Deutsche‹, weil sie derlei nicht in quietschende Verzückung versetzte. Sie rang sich ein Lächeln ab. Trotzdem saß sie ratlos da mit diesem Hasen und dem herzchenverzierten Liedtext in roter Sonntagsschrift. Es war ihr zu teeniemäßig, sie fühlte sich dafür viel zu alt und erwachsen, war doch schon über zwanzig und Juan sogar noch älter. Seine Eifersuchts- und sonstigen ›Du liebst mich nicht so sehr wie ich dich, sonst würdest du nicht so reagieren‹-Szenen nagten immer heftiger an Leas Nerven.

    Darüber wurde es Sommer. Sie hörten von einer Salsa-Party an einem See. Lea hatte inzwischen an Sicherheit gewonnen und freute sich auf romantischen Paartanz unter freiem Sternenhimmel. Die Wettergöttin meinte es gut und es wurde tatsächlich ein lauer Sommerabend. So saßen sie denn gegen Mitternacht auf der Terrasse des Cafés und blickten über einen kleinen See, in dem sich fast kitschig Mond

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1