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Vier Gewinnt
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eBook344 Seiten4 Stunden

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Über dieses E-Book

Sandra ist sich unschlüssig darüber, ob in ihrem Leben alles so ist, wie es sein sollte. Nachdem sich ihr unerwartet eine berufliche Veränderung auftut, macht sie auch privat einen folgenschweren Schritt.
Denise ist zufrieden mit dem, was sie hat. Ausser, dass es ihr einfach nicht gelingen will, den Mann fürs Leben zu finden. Eines Tages begegnet ihr die vom Schicksal gekennzeichnete Gabriella und erzählt ihr davon, wie ihr Freund ohne ersichtlichen Grund Selbstmord begangen hat. Als Denise wenig später per Zufall auf einen Hinweis stösst, der eine Erklärung für eben diesen Selbstmord liefern könnte, setzt sie alles daran, um mehr herauszufinden. Nach einem anfänglichen Erfolgserlebnis droht sich die Spur, die zu Sandras Arbeitgeber geführt hat, jedoch bereits wieder im Sand zu verlaufen.
Bis sich irgendwann herausstellt, dass auch Ana, die mit Sandra zusammenarbeitet, gewissermassen einen Bezug zur Tragödie hat. Sie hat eine Freundin verloren, bei der die Todesumstände ebenfalls ungeklärt sind. Darüber hinaus hat Ana neben ihrem Beruf mit familiären Problemen zu kämpfen und muss sich überlegen, wie sie alles unter einen Hut bringen kann.
Wird es den vier Frauen gemeinsam gelingen, Licht ins Dunkel zu bringen, was die zwei mysteriösen Todesfälle angeht?
Nachdem Denise ein paar gescheiterte Versuche in Sachen Liebe hat hinnehmen müssen, ist sie richtig versessen darauf, das Rätsel um den Selbstmord zu lösen. Sandra, vom Eifer ihrer Freundin angesteckt, weiss dafür endlich, was sie privat will. Nur, dass jetzt ihr Glück weiter weg zu sein scheint als jemals zuvor. Während sich Gabriella von einer Auszeit erhofft, dass sich ihr neue Perspektiven eröffnen würden, sieht sich Ana gezwungen, zugunsten ihrer Kinder eine Entscheidung zu treffen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum17. Okt. 2016
ISBN9783734550010
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    Buchvorschau

    Vier Gewinnt - Daniela Herrli

    HERBST

    SANDRA

    Siebzehn Minuten, drei Kilometer, 223 Kalorien. Erschöpft drückte Sandra auf die rettende Stopptaste.

    „Komm schon, noch fünf Minuten!", rief ihr Melanie vom anderen Laufband munter zu.

    „Ich kann nicht mehr! Ich habe das Gefühl, als würden meine Beine jeden Moment unter mir einknicken!"

    „Okay, dann beim nächsten Mal. Ich mache noch ein bisschen, in Ordnung?"

    „Ja, kein Problem. Ich gehe schon mal duschen." Mit zitternden Beinen stieg Sandra vom Gerät ab und lief zur Garderobe.

    Erst als sie unter der kühlen Dusche stand beruhigte sich ihr Atem langsam und sie fühlte, wie wieder Leben in ihren Körper kam.

    Sie zog sich an, legte ein wenig Make-up auf und löste den Knoten, der ihr langes braunes Haar zusammenhielt. Zufrieden mit ihrem Spiegelbild ging sie dann nach draußen, wo es mittlerweile dunkel war. Am Kiosk neben dem Fitnesscenter kaufte sie sich eine Coca-Cola und zündete sich eine Zigarette an. Gedankenverloren schaute sie dem Rauch nach, der sich weißlich in der Dunkelheit abzeichnete. Die erste Hürde hatte sie geschafft.

    Schmunzelnd erinnerte sie sich daran, wie Melanie sie ermahnt hatte, in der Anfangsphase auf keinen Fall aufzugeben. „Zu Beginn ist es schwierig, sich zu motivieren, aber nach einer Weile geht es wie von selbst", hatte sie ihr nachdrücklich versichert, nachdem sie sie dazu überredet hatte, mit ihr zu trainieren.

    Ja, ich werde das durchziehen, dachte Sandra entschlossen und schaute an sich hinunter. Ihr Bauch und ihre Oberschenkel würden es ihr danken, wenn sie sie ein wenig in Form brachte.

    „Wie fühlst du dich?" Sie schreckte auf, da sie Melanie gar nicht hatte herankommen sehen.

    „Eigentlich ganz gut, jetzt wo ich frisch geduscht und wieder zu Atem gekommen bin", meinte sie und ließ den Zigarettenstummel in die leere Coca-Cola Dose fallen.

    „Sehr gut, dann können wir ja zum angenehmen Teil des Abends übergehen! Melanie hakte sich bei ihr unter und deutete auf die Kreuzung vor ihnen. „Lass uns laufen, es ist gleich um die Ecke.

    Sie würden sich mit Freunden von Melanie auf ein paar Drinks treffen. Melanie war seit Jahren Flugbegleiterin bei der nationalen Airline und dementsprechend viel unterwegs. Insgeheim bewunderte Sandra ihre Energie, da sie selbst schon einen Kurzstreckenflug anstrengend fand und sich nicht vorstellen konnte, eine Woche lang hin- und herzufliegen und auch noch an ihren freien Tagen ständig etwas zu unternehmen.

    Doch Melanie war schon immer sehr aktiv gewesen. Seit dem Kindergarten waren sie beste Freudinnen. Und obwohl sie ihre Berufswahl irgendwann in verschiedene Richtungen verschlagen hatte, trafen sie sich seit jeher regelmäßig.

    Sandra hatte nach Abschluss ihrer Lehre verschiedene Bürojobs angenommen und arbeitete momentan für ein Pharmaunternehmen im Customer Service Center. Nach fast zwei Jahre fand sie das zwar nicht mehr wahnsinnig abwechslungsreich, aber immerhin war die Bezahlung in Ordnung.

    „Puh, wir sind definitiv nicht die einzigen hier", bemerkte Melanie, als sie an ihrem Ziel angekommen waren. Tatsächlich war die Bar gerappelt voll.

    Während sie sich ihren Weg durch die Menge bahnten, hielt Melanie nach allen Seiten Ausschau. „Dort hinten!", rief sie nach einer Weile und Sandra registrierte, dass ihnen von einem Tisch aus jemand zuwinkte.

    Erleichtert darüber, dass sie offenbar nicht im Gedränge stehen bleiben mussten, folgte sie Melanie in den hinteren Teil des Lokals. Sie begrüßte alle am Tisch und setzte sich auf den Stuhl, den ihr ein hochgewachsener Blonder angeboten hatte. Ihn sah sie heute Abend zum ersten Mal. Soweit sie mitbekommen hatte, war er der neue Freund von Damian, der wiederum ein Freund von Melanie war.

    „Ich habe gehört, ihr kommt gerade vom Fitnesscenter?", fragte der Blonde und beugte sich leicht vor, damit er nicht schreien musste, um sich unter all den Stimmen Gehör zu verschaffen.

    „Ja, genaugenommen war das meine erste Trainingssession", erwiderte Sandra und beugte sich ebenfalls etwas vor. Sie fand ihr Gegenüber sehr attraktiv. War er wirklich schwul oder hatte sie das vorhin falsch verstanden? Nicht, dass es für sie eine Rolle gespielt hätte, sie war bereits seit Jahren mit ihrem Freund zusammen.

    „Aha, und wie ist es gelaufen?", erkundigte sich der Blonde und strahlte sie mit einem ehrlichen Lächeln an.

    „Gar nicht allzu schlecht", antwortete Sandra und noch bevor sie dem etwas anfügen konnte, brachte der Kellner ihre Bestellung.

    Als sich alle zuprosteten, fragte jemand aus der Runde: „Luca, wie war eigentlich Stockholm?"

    „Super!, antwortete der Blonde. Ja richtig, Luca war sein Name. „Eine schöne Stadt, die Leute eher etwas zurückhaltend und das Essen hervorragend, erzählte er mit leuchtenden Augen. „Mein Bruder und ich haben uns die ganze Zeit von den verschiedensten Fischgerichten ernährt." Während er einige Sehenswürdigkeiten aufzählte, die er sich mit seinem Bruder in Stockholm angeschaut hatte, lehnte sich Sandra entspannt zurück und nippte an ihrer Margarita. Ihr gefiel die Begeisterung, die in Lucas Stimme mitschwang, wenn er sprach.

    Als er geendet hatte, erzählte Melanie von Tansania, wo sie ihr letzter Einsatz hingeführt hatte. „Das perfekte Reiseziel für Ferien zu zweit, sagte sie und ließ ihren Blick durch die Runde schweifen. „Die Strände sind wunderschön und nicht so von Touristen überrannt, wie es an anderen Orten teilweise der Fall ist. Ich kann es jederzeit empfehlen.

    Sandra musste unweigerlich schmunzeln. Ihre Freundin war ein ewiger Single und es war amüsant, ihr zuzuhören, wie sie Ferien für Paare anpries.

    „Warst du schon einmal in Afrika?" Luca hatte sich wieder etwas vorgebeugt und blickte sie erwartungsvoll an.

    „Nein, so weit habe ich es noch nie geschafft, und du?" Er nickte, worauf sie sich gespannt aufrichtete, um seiner Schilderung über Südafrika zu lauschen. Seine Worte rissen sie richtiggehend mit und sie hätte ihm stundenlang zuhören können.

    Irgendwann erhob sich jemand vom Tisch und verkündete, dass es für ihn Zeit war zu gehen. Daraufhin beschlossen sie alle, sich auf den Weg zu machen.

    Nachdem sie sich voneinander verabschiedet hatten, lief Sandra gemeinsam mit Melanie zur Tramhaltestelle. „Woher kennst du Luca?", fragte sie ihre Freundin beiläufig.

    „Von Damian, Luca ist sein neuer Freund. Aha, es stimmte also, dass Luca schwul war. „Er ist nett, oder? Und nicht zu vergessen, unglaublich gutaussehend!, kommentierte Melanie.

    „Ja, er ist ziemlich attraktiv. Sandra bemühte sich um einen gleichgültigen Tonfall und betätigte den Türknopf am Tram, das soeben die Haltestelle erreicht hatte. „Wir sehen uns am Wochenende, ja?, vergewisserte sie sich und stellte ihren Fuß aufs Trittbrett.

    „Auf jeden Fall, ich werde bis Sonntag hier sein", bestätigte Melanie, bevor sie sich schnell drei Küsse gaben und Sandra ins Tram hüpfte.

    Als sie wenig später zu Hause ankam, war sie immer noch beschwingt vom unterhaltsamen Abend. „Hallo!", rief sie Simon zu. Ihr Freund saß auf dem Sofa und war in einen Film vertieft.

    „Hallo, wie war es?", begrüßte er sie ein wenig träge.

    „Ziemlich gut fürs erste Mal", meinte Sandra.

    „Super", entgegnete Simon einsilbig und nachdem er keine Anstalten machte, dem etwas hinzuzufügen, ging Sandra ins Bad und schminkte sich ab.

    Sie war nicht wirklich müde, aber sie hatte keine Lust, schweigend neben Simon auf dem Sofa zu sitzen.

    „Ich gehe schlafen, gute Nacht", meinte sie, als sie wieder aus dem Badezimmer herauskam.

    „Gute Nacht", erwiderte Simon, ohne groß vom Fernseher aufzuschauen.

    Sandra ließ sich ins Bett fallen und schloss die Augen. Ihre gute Stimmung war wie weggeblasen. Jetzt wollte sie nur noch schlafen.

    Sie versuchte, an einen Bach zu denken und stellte sich vor, wie sie dem Lauf des Gewässers folgte, bis es in einen Fluss mündete. Da der Gedanke an Wasser einen beruhigenden Einfluss auf einen ausübte, half dies offenbar beim Einschlafen. Das hatte sie vor einiger Zeit in einem Artikel über Schlaflosigkeit gelesen. Weiter hatte es im Artikel geheißen, dass man störende Gedanken in Form von Ästen in den Bach werfen sollte. Sie konzentrierte sich auf die Strömung und sah die Steine auf dem Grund des Gewässers und das Schilf am Rand. Hie und da gab es kleine Brücken, die die zwei Ufer miteinander verbanden.

    Irgendwann verschwamm der Fluss zu einem Meer, dessen sanfte Wogen sie in den Schlaf wiegten.

    GABRIELLA

    Es war so dunkel, dass sie fast nichts sehen konnte, doch der Mann bedeutete ihr, weiterzulaufen. Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie umkehren sollte, aber eine unsichtbare Kraft zog sie tiefer in die Finsternis hinein. Sie folgte dem Mann durch den engen Gang, immer darauf bedacht, auf dem unebenen Boden nicht in eine Rille zu treten.

    Plötzlich stoppte der Mann und gab ihr zu verstehen, dass sie sich nach links wenden sollte. Sein Gesicht war von Schatten umgeben und es gelang Gabriella nicht, es zu erkennen. Wo sollte sie hingehen? Da war nichts als Schwärze.

    Nachdem ihr der Mann erneut signalisiert hatte, nach links zu gehen, nahm sie eine Öffnung wahr, die sich im Gestein abzeichnete. Das musste ein Eingang in eine Art Nebenhöhle sein. Stumm zeigte ihr der Mann an, in den Schacht zu gehen.

    Sie zögerte. Die Öffnung schien nicht groß genug zu sein, um hindurchzusteigen. Der Mann bemerkte ihr Zögern und machte eine energische Geste, woraufhin Gabriella zurückschreckte. Jetzt musste sie definitiv umkehren. Sie drehte sich um und stellte mit Entsetzen fest, dass pechschwarze Dunkelheit den Gang vor ihr verschluckt zu haben schien. Panik erfasste sie und ihr Herz begann, schneller zu schlagen.

    Der Mann packte sie am Arm und riss sie herum. Nun konnte sie sein Gesicht sehen. Wie sie vermutet hatte, war es attraktiv, aber zu einem hässlichen Grinsen verzogen, was ihre Angst noch verstärkte. Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, doch seine Hand war wie aus Stahl. Ihr wurde ganz heiß und sie begann, schwer zu atmen.

    Plötzlich mischte sich ein schrilles Piepsen zu den dumpfen Geräuschen der Höhle. Der Mann ging dazu über, sie zu schütteln und das Piepsen wurde immer lauter.

    Als eine vertraute Stimme zu ihr drang, verschwand der Schauplatz in der dunklen Höhle nach und nach vor ihren Augen. „Gabriella, der Wecker!"

    Wo war sie?

    „Gabriella, kannst du den Wecker ausschalten?"

    Sie kam langsam zu sich. Carlo, ihr Freund, lag halb auf ihr und versuchte, das piepsende Gerät zu erreichen. „Sorry, meinte sie benommen und erstickte den lästigen Ton mit einem Klaps auf den Wecker. Sie schwitzte und fühlte sich wie gerädert. „Ich hatte wieder so einen unheimlichen Traum, murmelte sie, immer noch gefangen von der Szene, die sie eben durchlebt hatte.

    „Oh nein, das tut mir leid", erwiderte Carlo und umarmte sie.

    Gabriella schmiegte sich behaglich an seine weiche, kühle Haut. Carlo war groß und muskulös und wie seine Arme sie nun sanft umschlossen, fühlte sie sich sicher und geborgen. Sie verweilte einige Minuten in der Umarmung, bis sie sich zwang, aufzustehen.

    Unter der Dusche wusch sie die letzten Reste des Albtraums weg und nachdem sie ihr Make-up aufgelegt hatte, fühlte sie sich frisch wie immer.

    Eingewickelt in ein Badetuch ging sie in die Küche, um sich einen Kaffee zu machen. Sie setzte sich zu Carlo, der wie jeden Morgen seine vier Scheiben Toast mit Marmelade verspeiste.

    „Musst du heute lange arbeiten?", fragte er.

    „Nein, voraussichtlich nicht, es steht nichts Besonderes an", antwortete Gabriella und ging in Gedanken den vor ihr liegenden Tag durch. Sie arbeitete für eine Großbank in der strategischen Personalplanung und hatte eben zwei Projekte abgeschlossen. Was momentan noch auf ihrem Tisch lag, drängte nicht und die meisten neuen Projekte würden erst im nächsten Jahr starten, wenn die Zielsetzungen für das Management und die einzelnen Abteilungen vereinbart wären.

    „Sehr gut! In diesem Fall können wir heute Abend ins Kino gehen?" Carlo schaute sie erwartungsvoll an.

    „Ja klar, super Idee!, erwiderte Gabriella. Sie beide liebten Kino und je kühler es draußen wurde, desto öfter gingen sie ihrer Leidenschaft nach. „Ich bin für einen Thriller, beeilte sie sich hinzuzufügen.

    „Deine Wahl", entgegnete Carlo.

    „Ich werde einmal schauen, was läuft, und dann für die Sechs-Uhr-Vorstellung reservieren."

    „Und ich suche uns ein nettes Restaurant aus, wo wir anschließend Essen gehen können", ergänzte Carlo, während er seinen Teller in den Geschirrspüler stellte. Er küsste sie auf die Stirn und strich ihr durch das gewellte Haar, bevor er im Badezimmer verschwand.

    Gabriella ging ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen. Sie achtete stets darauf, gut gekleidet aus dem Haus zu gehen und mochte das allmorgendliche Ritual des Zusammenstellens ihrer Garderobe. Heute entschied sie sich für eine weiße Bluse, einen dunkelblauen Rock mit dazugehörendem Blazer und schwarz gemusterte Strümpfe. Das Outfit verlieh ihrer zierlichen Figur Eleganz, ohne aber langweilig oder konservativ zu wirken.

    Nach einem Blick auf die Uhr lief sie rasch ins Badezimmer, um sich von Carlo zu verabschieden. Er stand gerade unter der Dusche und so warf sie ihm einen Kuss zu und wünschte ihm einen guten Tag.

    Auf dem Weg zur Arbeit nahm sie sich eine der Gratiszeitungen, die jeden Tag an allen größeren Haltestellen auflagen. Das Blatt enthielt die wichtigsten Infos, wobei sich über die Qualität streiten ließ. Im regionalen Teil fand sie einen Artikel über ein neues skandinavisches Restaurant, das sich offenbar bereits großer Beliebtheit erfreute.

    Vielleicht sollten wir das heute Abend ausprobieren, dachte sie, überzeugt von der guten Bewertung, die das Restaurant in allen Sparten erhalten hatte.

    Sie schrieb Carlo eine SMS und stieg dann an der Haltestelle ihres Arbeitsortes aus.

    DENISE

    Das durfte nicht wahr sein! Seit nunmehr fünf Minuten versuchte Denise, ihr Auto anzulassen. Sie fluchte und suchte im Handschuhfach nach der Nummer des Händlers, der ihr den Wagen verkauft hatte. Als er nach dem zweiten Klingeln abnahm, teilte sie ihm genervt mit, dass das Auto schon wieder nicht ansprang. Tatsächlich war es bereits das dritte Mal innerhalb weniger Wochen. Der Verkäufer auf der anderen Seite der Leitung meinte beschwichtigend, er würde umgehend jemanden vom Pannendienst vorbeischicken.

    Denise ließ sich in den Sitz zurückfallen und trommelte mit den Fingern aufs Steuerrad. Sie hätte doch den Zug nehmen sollen, nun würde sie zu spät zur Arbeit kommen. Ungeduldig erwartete sie die Ankunft des Mechanikers.

    Als dieser nach einer Weile eintraf, wandte er ein paar routinierte Handgriffe an, worauf der Wagen nur wenig später wieder funktionstüchtig war. Sie habe wohl beim Fahren die Handbremse nicht vollständig gelöst, was ein erneutes Anlassen des Autos verhindert hätte, erklärte er Denise fachmännisch.

    Erleichtert über die schnelle Behebung des Schadens unterschrieb sie den Reparaturschein und machte sich auf den Weg. Auf der Autobahn rief sie im Restaurant an, um mitzuteilen, dass sie sich ein wenig verspäten würde.

    Nachdem sie die Strecke im Eiltempo zurückgelegt hatte, sprang sie aus dem Wagen und zog sich im Laufen ihre Schürze über. Durch den Hintereingang betrat sie das Restaurant und sah von der Küche aus, dass rund die Hälfte der Tische bereits besetzt waren. Im Verlauf des Abends würde sich das Lokal wie immer bis auf den letzten Platz füllen. Seit es vor zwei Monaten geöffnet hatte, war es jeden Tag ausgebucht, da sich das Konzept der modernen skandinavischen Küche als voller Erfolg erwiesen hatte.

    Denise mochte die angenehme Atmosphäre, die im Restaurant vorherrschte. Die Gäste waren in der Regel bei ihrer Ankunft neugierig auf das, was sie erwartete, und bei ihrem Weggang begeistert von dem, was ihnen geboten worden war. Ein ziemlicher Unterschied zu ihrem vorherigen Job in der Bar, wo Streitereien unter Betrunkenen oder anzügliche Bemerkungen von ihnen keine Seltenheit gewesen waren.

    Auch die Arbeitszeiten waren im Restaurant bedeutend besser, Denises Schicht war jeweils allerspätestens um Mitternacht um. So standen ihr anschließend was das Ausgehen betraf noch alle Möglichkeiten offen. In der Bar hatte sie jeweils erst in den frühen Morgenstunden Feierabend machen können, wenn nur noch Clubs mit nicht mehr richtig ansprechbaren Feiernden offen gewesen waren.

    „Hattest du Stau?", fragte Ramona, eine ihrer Arbeitskolleginnen, als sie beide am Tresen standen, um eine Bestellung abzuholen.

    Denise erzählte ihr vom Zwischenfall mit ihrem Wagen, woraufhin Ramona mit großen Augen verkündete: „Siehst du, deshalb habe ich erst gar kein Auto. Viel zu teuer, und wirklich verlassen kann man sich darauf auch nicht."

    Denise musste über diese banale Aussage schmunzeln, obwohl sie dem ersten Teil restlos zustimmte. Das Auto und sein Unterhalt waren in erster Linie teuer. Aber es war ihr zu wichtig, jederzeit mobil zu sein, als dass sie auf diesen Luxus verzichtet hätte.

    „Kommst du gleich auch noch ein Haus weiter?", erkundigte sich Ramona später hoffnungsvoll, als der große Ansturm vorüber war und sich das Restaurant wieder leerte.

    „Ja, wieso nicht?", entgegnete Denise. Sie mochte ihre Arbeitskollegen und bisher waren die Abende, an denen sie nach der Arbeit noch gemeinsam irgendwo hingegangen waren, immer lustig gewesen. Eilig kassierte sie fertig ein und erstellte ihre Abrechnung, um mit den anderen zusammen in die Bar um die Ecke zu laufen.

    Dort wurden sie von dröhnender Musik empfangen.

    „Was wollt ihr trinken?", fragte jemand in die Runde.

    Denise entschied sich für ein Glas Weißwein. Als sie sich zuprosteten, gesellte sich eine weitere Gruppe zu ihnen.

    „Hallo, ich bin Christoph, zum Wohl!", stellte sich einer der Männer ihr vor.

    „Prost, ich bin Denise!", erwiderte sie.

    „Bist du öfters hier?"

    „Ab und zu, ja. Ich arbeite in der Nähe."

    „Wo denn?"

    „Im Scandinavia – ein paar Türen weiter die Straße hinunter."

    „Ah, das neue skandinavische Restaurant? Ich habe davon gehört, muss super sein. Aber offenbar relativ schwierig, einen Tisch zu kriegen."

    „Na, jetzt kennst du ja mich, dann sollte das kein Problem mehr sein", meinte Denise lächelnd. Christoph war ihr sympathisch. Er war etwa in ihrem Alter, vielleicht auch etwas jünger.

    „Stimmt, das ändert natürlich alles! Ich komme gerne auf das Angebot zurück. Und was machst du, wenn du nicht arbeitest? Außer in lauten Bars rumhängen natürlich?"

    „Hm, das ist schwierig, lass mich überlegen, ob da noch etwas anderes ist … Denise versuchte, ein nachdenkliches Gesicht aufzusetzen, was ihr nicht recht gelingen wollte, da ihr Gegenüber bis über beide Ohren grinste. „Also ich male gerne, entgegnete sie dann. „Nichts Verrücktes, mehr so Landschaften oder Gegenstände, die mir ästhetisch erscheinen. Ein- bis zweimal die Woche gehe ich schwimmen, und eben habe ich einen Spanischkurs angefangen. Und du?"

    „Ich bin der klassische ’Trainiere-Dreimal-Die-Woche-Typ‘. Ansonsten mag ich es, Freunde zu treffen, oder aber auch mal ein Buch zu lesen. Momentan habe ich leider nicht so viel Zeit, da ich an einer internen Weiterbildung dran bin, das ist ziemlich anspruchsvoll." Um seine Worte zu unterstreichen, setzte Christoph eine angestrengte Miene auf.

    „Wo arbeitest du?"

    „Versicherung, aber lass uns nicht über Arbeit reden. Kann ich dir noch einen Drink bringen?"

    Denise nickte und kurze Zeit später drückte ihr Christoph einen Gin Tonic in die Hand. Sie unterhielten sich weiter über dies und das, wobei er immer wieder dazu ansetzte, ihr etwas über das Versicherungswesen zu erzählen. Nicht über die Arbeit reden war eigentlich etwas anderes, aber sie schaute großzügig über dieses Detail hinweg.

    Als die Nacht fortgeschritten war, schlug Ramona vor, in einen Club zu gehen. Da Denise noch nicht müde war, schloss sie sich der Truppe an und auch Christoph folgte ihrem Beispiel.

    Am neuen Ort war die Musik noch lauter, was ein Gespräch gänzlich verunmöglichte. Also tanzten sie zu den elektronischen Tönen und während Denise Christoph betrachtete, überlegte sie, was dagegensprechen würde, mit ihm nach Hause zu gehen. Eigentlich nichts, sie konnten sich bei der Arbeit nicht über den Weg laufen, außer er würde ins Restaurant essen kommen natürlich, und er schien nicht von der Sorte zu sein, die nach einer Nacht unsterblich verliebt war.

    Für Denise war es noch nie ein Problem gewesen, die Aufmerksamkeit von Männern zu gewinnen. Sie war groß und schlank und hatte blondes Haar, was gepaart mit ihrem unkonventionellen Kleidungsstil selten unbemerkt blieb. Die Schwierigkeit bestand eher darin, dieser Art von Bekanntschaften klarzumachen, dass sie an mehr als Spaß nicht interessiert war.

    Als Christoph sie irgendwann zu sich zog, um sie zu küssen, wehrte sie ihn nicht ab. Und seine anschließende Frage, ob sie gehen sollten, bejahte sie, ohne zu zögern. Die Nacht mit ihm würde nicht das ultimative Erlebnis werden, dessen war sie sich nach dem Kuss sicher. Aber schließlich konnte sie nicht die ganze Zeit nur herumsitzen und warten, bis eines Tages endlich Mister Richtig auftauchte.

    Am nächsten Morgen stellte sich sogleich das vertraute Gefühl ein, dass sie in das fremde Bett, in dem sie aufgewacht war, gar nicht hingehörte. Leise sammelte sie ihre Kleider zusammen und zog sich an.

    „Soll ich Kaffee machen?"

    Sie erschrak, da sie gar nicht bemerkt hatte, dass auch Christoph aufgewacht war. „Nein, ist gut, ich bin spät dran, meine Mutter macht heute Brunch", log sie.

    Christoph stand auf, um sie zu umarmen und sie versuchte, sich nicht zu versteifen. Sie wollte jetzt nach Hause. „Gibst du mir deine Nummer?"

    „Klar, hast du dein Mobile?" Sie diktierte ihm ihre Telefonnummer, die er gewissenhaft wiederholte, nachdem er den Kontakt erstellt hatte. Noch ein erzwungener Abschiedskuss, dann war sie draußen.

    Der Himmel war grau und es regnete, typisches Novemberwetter. Sie schaute sich auf der leeren Straße um. Wie würde sie nach Hause kommen? Da war keine Bushaltestelle in Sicht, geschweige denn ein Bahnhof. Sie öffnete die Karten-App auf ihrem Mobile, die ihr ihren Standort verriet, und bestellte sich ein Taxi.

    Zwanzig Minuten später war sie zu Hause. Sie machte sich Spiegeleier und einen frisch gepressten Orangensaft und beschloss, ein wenig zu malen. Sie mochte Regen zwar grundsätzlich nicht, aber wenn es draußen grau und trüb war, versetzte sie das in einen melancholischen Zustand, was sich fördernd auf ihre Inspiration auswirkte.

    Nachdem sie Pinsel und Farben hervorgeholt hatte, befestigte sie ein frisches Blatt an der Staffelei und begann ihr Werk.

    ANA

    Am Hauptbahnhof herrschte geschäftiges Treiben. Ana bahnte sich ihren Weg durch die Menge und versuchte, ihre Freundin beim Treffpunkt zu erspähen. Cintia hatte den ersten Flug von Lissabon genommen, um den Geschäftstermin in Zürich im Verlauf des Vormittags wahrnehmen zu können. Da, die im beigen Rock und dem dazu passenden Blazer, das musste sie sein.

    Im nächsten Augenblick schaute die Frau in Anas Richtung und winkte.

    „Hallo!", begrüßten sie sich und gaben sich nach Schweizer Art drei Küsse auf die Wangen.

    „Es ist schön, wieder in Zürich zu sein! Abgesehen vom Wetter gefällt es mir hier wirklich sehr gut. Es ist alles so ordentlich, die Leute sind höflich und die Züge außerordentlich pünktlich. Sogar am Gepäckband musste ich keine Sekunde auf meinen Koffer warten."

    Während sie die paar Meter zu ihrem Zielort zu Fuß zurücklegten, lobte Cintia die sauberen Straßen und den makellosen Zustand der Bauwerke, an denen sie vorbeigingen.

    Als sie vor dem schweren Holztor eines restaurierten Gebäudes ankamen, zögerte Ana. „Willst du schon hineingehen? Wir sind ein bisschen zu früh dran."

    Cintia zuckte mit den Schultern. „Das macht nichts, so kann ich im Warteraum die Unterlagen noch einmal durchgehen."

    Sie traten ein und Ana staunte über das moderne Innere auf der anderen Seite der Tür. Am Empfang erhielten sie je einen Anhänger, der sie als Besucher identifizierte. Sie hängten sich die Schilder um und gingen ins Wartezimmer, wo sie sich in die großen, bequemen Sessel setzten.

    Cintia entnahm ihrem Aktenkoffer eine Mappe mit Dokumenten, in denen sie konzentriert zu blättern begann. Eigentlich konnte nichts mehr schiefgehen, es war praktisch alles schon beschlossen, nur der Vertrag fehlte noch.

    Ein paar Minuten später wurden sie von einer Sekretärin abgeholt und zu einem der Sitzungszimmer geleitet.

    „Möchten Sie einen Kaffee?" Die Sekretärin musste ursprünglich aus Berlin kommen.

    Ana meinte, den Akzent zu erkennen, den sie selbst sich vor Jahren angeeignet hatte, als sie an die Berliner Universität gegangen war. Dort hatte sie auch Cintia kennengelernt. Obwohl sie nicht im selben Semester gewesen waren, waren sie im Zuge eines Kurses, den sie beide fakultativ besucht hatten, schnell miteinander ins Gespräch gekommen.

    Nach Abschluss ihres Betriebsökonomiestudiums hatte Ana noch einige Jahre in Berlin gelebt und war für eine große Beratungsfirma tätig gewesen, während Cintia gleich nach dem Erwerb ihres Diploms nach Portugal zurückgekehrt war, um im Betrieb ihres Vaters zu arbeiten. Vor etwas mehr als acht Jahren war Ana dann ihres heutigen Ehemannes wegen in die Schweiz gekommen.

    Der Kontakt mit Cintia war seit der Beendigung ihres Studiums

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