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Moonborn - Das Licht der Dunkelheit
Moonborn - Das Licht der Dunkelheit
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eBook687 Seiten10 Stunden

Moonborn - Das Licht der Dunkelheit

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Über dieses E-Book

Luna ist Teil des Ordens des Mondes, ein Orden in den Bergen Nam-Tans. Seine Mitglieder waren vom Mond auserwählt worden, die Magie des Mondes selbst tragen zu dürfen. Luna kam bereits in ihren ersten Tagen als Waise zum Orden und begann die Ausbildung zur Kriegerin. Bei der Zeremonie, in der Luna schließlich zur Kriegerin ernannt werden sollte, geht aber alles schief. Eine düstere Kraft macht sich in ihrem Inneren bemerkbar und lässt sie an sich selbst zweifeln. Der ganze Orden beginnt, sich gegen sie zu wenden. Zu allem Unglück breitet sich zusätzlich eine weitere düstere Macht im Land aus, die droht, Luna und alles Leben zu verschlingen...
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum28. Juni 2021
ISBN9783347299979
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    Buchvorschau

    Moonborn - Das Licht der Dunkelheit - Tom Luca Fromm

    [1]

    ubelrufe, lautes Klatschen und Getöse rollten durch die gigantische Halle. Der Lärm war so laut, dass man denken konnte, die majestätisch verzierten, riesigen Säulen könnten unter dem enormen Druck des Schalls zerbersten und auseinanderbrechen. Laute Paukenschläge füllten die gigantische, in den Fels geschlagenen Halle, als die zukünftigen Kriegerinnen durch die Menge nach vorn zu dem pompösen Altar geführt wurden, eine jede von ihrer Lehrmeisterin begleitet. Die Anwohner der umliegenden Städte und Dörfer jubelten ihnen zu, riefen aufmunternde Zusprüche, bedankten sich für den Schutz und zeigten ihre Unterstützung bei dieser Zeremonie.

    Gemeinsam traten die fünf Schülerinnen an der Seite ihrer jeweiligen Lehrmeisterin durch die turmhohe Eingangspforte. Die Flügeltüren waren sperrangelweit geöffnet worden. Das durchdringende Licht des Vollmondes tauchte den gigantischen Saal, die Menschenmenge und die Schwestern des Mondes in ein helles, weiches Licht. Die gesamte Halle war mit Fackeln und Öllampen bestückt, welche die dunklen Ecken in ein angenehmes Licht hüllten. Vorn am Altar wartete bereits die Älteste, blickte den jungen Damen grinsend entgegen und wartete auf das Ende der Paukenschläge. Ein schallender Gong ertönte und sofort verstummten die Trommelwirbel. Schlagartig kehrte Ruhe ein. Jeder einzelne Anwesende hielt förmlich den Atem an. Alle warteten auf den Beginn der Zeremonie.

    »Luna?«

    Ihre Meisterin sah sie aufmunternd und mit einem Lächeln auf dem Gesicht an. Luna wandte ihr den Kopf zu und blickte ihr tief in die Augen.

    »Du weißt, was wir besprochen haben. Bleib einfach ruhig, es kann nichts schief gehen. Wir laufen gemeinsam nach vorn, stellen uns auf und sobald du an der Reihe bist trittst du zum Altar, um dein Amulett in den Mondstrahl zu legen.«

    Ihre lächelnden Augen drangen tief in Lunas Verstand vor, beruhigten sie von innen heraus und schienen ihr jegliche Nervosität zu nehmen. Stattdessen machte sich eine wohltuende Sicherheit in Lunas Brust breit und verdrängte das beklemmende Gefühl und die Angst. Sie kannte den Ablauf. Sie wusste genau, was passieren würde. Sie würde das hinbekommen, immerhin war sie bestens auf diesen Augenblick vorbereitet worden.

    Vorsichtig legte Luna die rechte Hand über das mondlichtfarbene Amulett an ihrem Hals. Der einst vollständig durchsichtige Kristall hatte sich bis zum Rand mit einer mondlichtfarbenen Flüssigkeit gefüllt. Das Zeichen dafür, dass sie bereit war, die Zeremonie zu durchlaufen. Das Zeichen dafür, dass sie bereit war, eine Kriegerin zu werden. Dass sie soweit war, den Orden des Mondes mitsamt all seinen Schwestern, seiner Meister und seiner Schülerinnen, sowie alle naheliegenden Städte und Dörfer gegen jegliche böse Präsenz zu verteidigen, die dort draußen existierte. Nach dem Ende der Zeremonie würde es ihre Aufgabe sein, zu wachen und zu schützen. Sie konnte es kaum erwarten.

    Die Stille wurde elegant von einem rhythmischen Trommeln hinfort geweht, als die Paukenschläge langsam wieder einsetzten. Gleichmäßig und in langen Abständen schlugen die Trommler auf das Leder der Pauken. Die satten Klänge der Instrumente erfüllten den gigantischen Saal, prallten von den Wänden ab und wurden in der Tiefe der Nacht verschluckt. Ein Chor aus Frauen summte melodisch zu dem Rhythmus der Trommeln. Es klang so atmosphärisch, dass Luna ein Schauer über den Rücken jagte.

    Ein seltsames Gefühl kroch unter ihre Haut und stellte die Härchen auf ihren Armen zu Bergen. Die mystische Stimmung der Zeremonie gab ihr ein eigenartiges Gefühl, das auf eine merkwürdige Art und Weise unglaublich angenehm war. Langsam setzten sich die vier Schülerinnen vor ihr in Bewegung und Schritten die wenigen Stufen zum Altar hinauf. Die Meister blieben vor dem Treppenabsatz stehen. Ihre Schülerinnen wurden jetzt zu Kriegern. Sie brauchten keine leitende Hand mehr, die ihnen zeigte, wohin; die sie lehrte, was sie wissen sollten. Sie waren jetzt bereit. Bereit, Verantwortung zu übernehmen.

    Luna stellte sich als letzte neben den anderen vier baldigen Kriegerinnen auf und wandte ihren Blick den ganzen Leuten zu, die gebannt darauf warteten, dass die Älteste das Wort ergriff. Keiner von ihnen machte auch nur einen Mucks. Keiner von ihnen sagte ein Wort. Allesamt schwiegen sie und starrten angespannt und erwartungsvoll die fünf Mädchen auf der untersten Stufe zum Altar an.

    Lunas Handflächen wurden feucht. Ihre Lehrmeisterin stand mit den anderen ein wenig abseits, doch Luna konnte ihre Präsenz wahrnehmen, spürte ihre Unterstützung. Die zuvor verflogene Nervosität kehrte in kleinen Schüben zurück, auch wenn Luna genau wusste, dass sie keine Angst zu haben brauchte. Sie würde das schon irgendwie hinbekommen. Sie hatten das oft genug durchgespielt. Lunas Herz begann immer stärker zu schlagen und pochte gegen ihre Rippen. Ihr kam es so vor, als plane es, bald durch die Schichten aus dem dünnen, blauen Stoff auf ihrer Brust hinaus in die Freiheit zu springen und davonzurennen. Ihr Mund wurde trocken. Sie war doch nervöser, als sie dachte. Das war das Problem. Sie dachte zu viel.

    Luna warf einen vorsichtigen Blick auf das kleine, runde Fenster über den riesigen Flügeltüren, die gespickt waren mit mondlichtfarbenen Steinen. Das Mondlicht bündelte sich in der Mitte des runden Fensters und fiel genau in das Zentrum des Altars, das eine kleine Mulde bildete. Dort sollte sie ihr Amulett in den dunkelgrauen Stein des Schreins legen. Dort würde sie als letzte der fünf das Schmuckstück hineinlegen und den Wandlungsprozess durchlaufen. Den Prozess, bei dem ihr dieselbe Macht zu Teil wurde, wie sie alle der Kriegerinnen bereits erhalten hatten.

    »Meine lieben Kinder«, ergriff die Älteste das Wort und Luna huschte ein weiterer Schauer über den Rücken, als ihre vom Alter geprägte und dennoch kräftige Stimme ertönte. »Heute ist euer Tag! Einige Jahre sind seit dem Beginn eurer Ausbildung vergangen, bei der einen mehr, bei der anderen weniger. Doch ihr alle habt den weiten Weg geschafft. Ihr seid nun bereit. Bereit für euer Schicksal. Bereit für die Macht des Mondes. Bereit, eine Kriegerin des Mondes zu werden!«

    Die Menschenmenge begann augenblicklich zu jubeln und zu grölen. Ihre Schreie und das Geklatsche hallten von den Wänden wider, dröhnten beinahe schon in Lunas Ohren. Dort saßen und standen tausende Menschen und allesamt hatten sie eine große Erwartung an sie: die Zeremonie ordnungsgemäß zu durchschreiten. Ohne Zwischenfall. Ohne Nervosität. Ohne zittrige Hände. Würde sie das schaffen?

    Die Trommeln und der Chor verstummten. Luna blickte von einem Gesicht zum nächsten. Alle waren außer sich vor Freude und Begeisterung. Sie konnten kaum noch den Beginn der Zeremonie erwarten. Je mehr Gesichter Lunas Augen erblickten, desto nervöser wurde sie. Doch schon nach kurzer Zeit stieß die Älteste ihr Zepter dreimal lautstark auf den Boden und drei gigantische Schläge ertönten, welche die Säulen zum Vibrieren und die Menge zum Verstummen brachten.

    »Schüler des Mondes, lasset euch die Macht zuteilwerden, legt die Bürde der zu Lehrenden ab! Nehmt den Status einer Schwester des Mondes an!«, rief die Älteste in die Halle und augenblicklich setzten die Pauken wieder ein. Das rhythmische Trommeln hallte von den glatten Wänden wider und schallte hinaus durch die offenen Tore in die Nacht. Die Menge blieb stumm. Niemand wollte verpassen, was gleich passieren würde. Die Zeremonie war das Spektakulärste, was die meisten jemals gesehen hatten und jemals sehen würden. Ein Schauspiel aus Licht, Magie und Macht.

    Die erste Schülerin setzte sich in Bewegung und ging eleganten Schrittes auf den Altar zu. Luna und die verbleibenden Schülerinnen wandten sich ihr zu und beobachteten sie mit aufmunternder Miene. Sie waren alle füreinander da, auch wenn ihnen während der gesamten Zeremonie nicht gestattet war, zu sprechen. Ihre Lehrerinnen standen unweit von ihnen und beobachteten das Spektakel gleichermaßen. Luna spürte, wie ihr Herz weiter gegen ihre Rippen trommelte. Sie würde als letzte dort nach vorne schreiten. Und sie war die Nervöseste von allen.

    Plötzlich spürte sie eine kleine Berührung an ihrer rechten Hand. Die Schülerin rechts von ihr strich sanft an ihr vorbei, spendete ihr ein wenig Kraft und nahm ihr ein Stück der Nervosität. Ihr Name war Yara. Sie war wohl die Einfühlsamste der fünf. Sie hatte genau gespürt, wie aufgeregt Luna war. Ohne es offensichtlich zu zeigen drückte Yara kurz Lunas Hand, den Blick weiter nach vorn gerichtet. Luna blickte ebenfalls weiterhin die erste Schülerin an, die inzwischen vor dem Altar angekommen war, und erwiderte den sanften Druck. Das Mädchen am Altar griff langsam an ihren Hals und band die Schnur auf, die das Amulett um ihren Hals hielt. Sie legte das runde, vollständig mit mondlichtfarbener Flüssigkeit gefüllte Gefäß in die Mulde im Altar. Das Mondlicht brach sich in dem Kristall des Behälters, die Lichtstrahlen wurden an die Wand und die hohe Decke reflektiert.

    Ein paar Sekunden vergingen, in denen die gesamte Halle den Atem anzuhalten schien. Dann begann die mondlichtfarbene Flüssigkeit langsam aus dem Amulett hinauszufließen. Sie rann die dünnen Rillen in der Oberfläche des großen, dunkelgrauen Altars entlang, bildete schließlich das Symbol des Mondes und kam zum Stillstand. Die Schülerin nahm das Amulett wieder aus der Mulde und legte es an den Rand des Altars. Die mondlichtfarbene Flüssigkeit begann, in der Mulde langsam zu leuchten. Doch plötzlich begann sie schlagartig zu brennen. Ein mondlichtfarbenes Feuer zischte über die Oberfläche und die Rillen entlang, entzündete die Flüssigkeit und ließ den Altar in grellem Mondlicht erstrahlen. Alle blickten erstaunt und gebannt auf die Flammen, ließen den Blick starr auf das Geschehen vor dem Altar gerichtet. Ein weiterer Schauer huschte Lunas Rücken hinunter, als sie die junge Frau vorne beobachtete.

    Bläulicher Rauch stieg von den Flammen auf und schwebte nun über dem Altar. Er begann, eine Wolke zu bilden. Das Mondlicht wurde von der Flüssigkeit auf den Rauch reflektiert und die Wolke schien es vollständig aufzusaugen. Der Qualm begann, immer heller zu leuchten und erreichte eine unsagbare Helligkeit. Als die Flüssigkeit vollständig verbrannt war, passierte kurze Zeit gar nichts. Doch dann schnellte plötzlich eine mondlichtfarbene Leine aus der Wolke hervor und traf die linke Schulter der Schülerin. Sofort flog eine zweite durch die Luft und saugte sich an ihrer rechten Schulter fest. Die Schülerin wurde mit einer Leichtigkeit vom Boden gehoben und schwebte nun vor der Wolke in der Luft.

    Gebannt blickte Luna auf das Ereignis vor ihren Augen. Bereits als Kind war sie fasziniert davon gewesen und nun sollte ihr genau das passieren. Die Schülerin in der Luft schloss die Augen und entspannte ihre Gliedmaßen. Die Leinen aus Rauch hielten sie ohne Probleme in der Luft. Schlagartig schoss eine Schnur aus Rauch auf sie zu, traf sie an der Brust genau über dem Herzen und drang in ihren Brustkorb ein. Die Wolke begann allmählich, sich aus ihrer Form zu lösen und hüllte die Schülerin vollständig ein. Zischende Geräusche ertönten, ein leises Knistern war zu hören. Die Wolke um die Schülerin herum glühte mondlichtfarben auf und zog langsam in ihre Haut ein. Allmählich sank die Schülerin auf den Boden zurück, ihr Körper noch immer schlaff, ihre Augen geschlossen. Ihre Füße setzten sanft mit den Zehenspitzen zuerst auf dem Boden auf und langsam öffnete sie ihre Augen wieder. Sie hatte es geschafft. Sie war nun eine Kriegerin des Mondes. Ihre Augen glühten noch in einem grellen Farbton, als der letzte Fetzen Rauch in ihrer Haut verschwand. Mit eleganten Schritten ging die Schülerin zum Altar, nahm ihr Amulett auf, stellte sich schließlich gegenüber der restlichen vier Schülerinnen auf und blickte ihnen überglücklich entgegen.

    »Willkommen, Kriegerin Nathalia!«, rief die Älteste in den Saal hinein und klopfte mit ihrem Zepter einmal auf den Boden. Hoch oben über ihnen wurde in ein Horn geblasen. Ein lauter, tiefer Ton ertönte und brachte Luft und Boden zum Vibrieren. Das Horn war sicherlich noch meilenweit zu hören. Es sollte den Städten und Dörfern unter dem Schutz der Schwestern signalisieren, dass es eine Kriegerin mehr gab, die über sie wachte.

    Alle Anwesenden wiederholten die Worte der Ältesten lautstark und riefen sie in die Nacht hinaus. Das Licht des Mondes, schien zu pulsieren, als wolle es sie ebenfalls willkommen heißen. Nathalia machte eine elegante Verbeugung, so wie sie es alle gelernt hatten, schwenkte den Arm und schenkte der Menge mit einem strahlenden Lächeln eine glitzernde Wolke aus mondlichtfarbenen Partikeln, die sie aus dem Nichts mit ihrer Hand zu erzeugen schien. Auch das gehörte dazu.

    Lunas Gedanken rasten, während die nächsten beiden Schülerinnen dieselbe Prozedur durchliefen. Würde Yara nicht immer wieder sanft an ihr entlangstreifen, würde sie womöglich noch den Kopf verlieren. Das Blut schoss ihr durch die Adern bei dem Gedanken daran, gleich selbst an der Reihe zu sein. Yara drückte ein letztes Mal ihre Hand, bevor sie mit eleganten, großen Schritten zum Altar ging. Lunas Herz blieb für einen Moment stehen, bis Yara sich von ihr entfernt hatte.

    Yara war ihre beste Freundin unter den Schülerinnen. Sie hatten sich immer blendend verstanden und waren quasi unzertrennbar gewesen, obwohl sie doch so unterschiedlich waren.

    Lunas Gedanken beruhigten sich allmählich, als ihre Freundin nach vorne ging. Sie musste jetzt stark sein. Sie würde das schon hinbekommen. Ihr Puls verlangsamte sich allmählich wieder, ihr Atem wurde flacher und gleichmäßiger. Tief im Inneren spürte sie den Stolz ihrer Lehrerin, die spürte, dass Luna endlich ruhiger wurde. Es war schwer, aber Luna nahm all ihren Mut zusammen.

    Auch Yara legte ihr Amulett in die Mulde im Altar, durchlief die Zeremonie einwandfrei und ohne Probleme. Luna stand die ganze Zeit da, sah ihr zu und war stolz auf sie. Schließlich schickte Yara ihre Glitzerwolke in die Menge, um den Menschen ihren Schutz zu symbolisieren und blickte Luna entgegen. Sie kniff kurz die Augen zusammen, um ihr ihren Beistand zu symbolisieren und ihr Mut zu machen.

    »Willkommen, Kriegerin Yara!«

    Das Horn dröhnte ein weiteres Mal über die Berge und brachte die Luft zum Vibrieren. Die Älteste wandte ihren Blick nun Luna zu und wies sie damit an, sich in Bewegung zu setzen. Lunas Herz pochte mit einer enormen Kraft gegen ihre Rippen, doch sie beherrschte sich, ruhig zu bleiben. Ihr Puls blieb niedrig, ihr Atem regelmäßig. Sie würde das hinbekommen.

    Mit langsamen und eleganten Schritten setzte sie sich in Bewegung. Ihr Kopf war wie leergefegt. Kaum ein irreführender Gedanke machte sich in ihr breit, nichts konnte sie aus der Ruhe bringen. Die Augen der Menge folgten ihr. Sie konnte ihre stechenden Blicke beinahe wie Nadeln auf ihrer Haut spüren. Das tiefblaue, mit silberner Spitze verzierte Kleid wehte um ihren Körper herum, als sie zum Altar schritt. Der hauchdünne und durchsichtige, weiche, mit silberner Spitze verzierte Stoff ihrer Armbekleidung rieb angenehm über ihre Haut. Ein kühler Luftzug spielte um ihre Beine herum und ließ den Rock des Kleides voll und wundervoll wirken.

    Am Altar angekommen hielt Luna kurz inne. Sie atmete einmal tief durch und konnte den stummen Zuspruch ihrer Lehrerin und Yara fühlen. Vorsichtig hob sie nun ihre Arme, bahnte sich einen Weg durch ihre silbernen Haare und öffnete den Knoten, der ihr Amulett vor ihrer Brust hielt. Langsam nahm sie die Schnur und senkte das Schmuckstück herab, zog die Schnur heraus und legte sie auf den Altar. Luna nahm das magische Gefäß vorsichtig mit beiden Händen und betrachtete die mondlichtfarbene Flüssigkeit darin. Diese Flüssigkeit war ihr im Laufe ihrer Ausbildung gegeben worden. Je nachdem wie weit sie war, kam welche dazu oder entfernte sich. Ob sie bereit war, entschied einzig und allein der Mond. Auf magische Art und Weise füllte oder leerte er die Amulette aller Schülerinnen.

    Respektvoll blickte Luna durch das Kristall hindurch und senkte schließlich das Amulett vorsichtig ab, um es in die Mulde zu legen. Als sie ihre Hände zurückzog, begann die Flüssigkeit sofort, durch die Hülle des Gefäßes zu fließen und bahnte sich ihren Weg, um das komplette Symbol des Mondes auszufüllen. Als die vielen Vertiefungen vollständig ausgefüllt waren, nahm Luna das Amulett wieder auf und legte es zu der Schnur beiseite. Das Mondlicht schien sich auf der Oberfläche der Flüssigkeit zu brechen und beleuchtete Lunas Gesicht, Wand und Decke des Saals. Die Blicke der Menge bohrten sich tief in ihren Rücken. Luna konnte ihre Anspannung förmlich spüren.

    Plötzlich begann die Flüssigkeit, sich zu entzünden. Das Feuer raste die Rillen entlang und hüllte alles in seinen Schein. Doch das Feuer leuchtete nicht in der üblichen Farbe des Mondlichts. Es war schwarz wie die Nacht. Es verströmte kein Licht, schien hingegen jegliches davon in sich aufzusaugen. Lunas Herz begann unweigerlich zu rasen. Irgendetwas stimmte nicht. Sie konnte das Entsetzen der Menge spüren. Alle begannen, leise zu tuscheln und zu murmeln. Wie erstarrt blickte Luna auf das Feuer vor ihr, dessen tiefschwarzer Rauch alles Licht in sich hineinfraß. Die brennende Flüssigkeit verdampfte vollständig zu Rauch, noch bevor jemand etwas unternehmen konnte. Der tiefschwarze Qualm bildete eine Wolke, genau wie bei den Schülerinnen vor ihr auch. Doch diese Wolke saugte alles Licht in sich auf und funkte im Inneren gleißend hell. Aus dem Augenwinkel konnte Luna erkennen, wie sich die Älteste in Bewegung setzte. Kurz darauf ertönte ihre kräftige Stimme und hallte durch den Saal, begleitet von einem grollenden Donner aus der Wolke.

    »Beendet die Zeremonie, sofort!«

    Die fünf Lehrmeisterinnen sprangen allesamt die Stufen zum Altar hinauf und eilten rasch auf Luna zu. Diese hingegen konnte sich kein bisschen bewegen. Sie schien wie paralysiert. Ihr Körper gehorchte ihr nicht mehr. Plötzlich schoss eine Leine aus Finsternis aus der Wolke heraus und bohrte sich in ihre Schulter. Luna konnte spüren, wie ihre Lehrerin sie an der Hüfte packte und versuchte, nach hinten zu ziehen. Doch es war zu spät. Die Wolke entsandte einen kräftigen Impuls und sofort wirbelten alle fünf Frauen durch die Luft. Ein zweiter Arm aus Finsternis schoss auf Luna zu und bohrte sich in ihre andere Schulter. Luna konnte das Entsetzen der Menge spüren. Mehr als deutlich. Noch viel schlimmer hingegen war das Gefühl, das Yara ihr vermittelte. Es war pure Angst.

    »Haltet es auf!«, schrie die Älteste durch den Saal und versuchte, das Donnern und Rauschen zu übertönen.

    Ein starker Windstoß fegte durch die Halle, als sich die Wolke in Bewegung setzte und auf Luna zuschoss. Alles war wie von einem Sturm umhüllt. Die Säulen ächzten, als könnten sie dem Druck des Windes kaum standhalten. Die Trommler mussten aufhören, auf die Membranen zu klopfen, da diese vom Wind schon beinahe zerrissen wurden. Das Murmeln der Menge wurde zu einem wilden Gekreische.

    »Tut etwas!«, schrie die Älteste in die Menge.

    Die fünf Frauen rappelten sich wieder auf und versuchten, die Kraft des Mondes zu nutzen, um die Wolke von Luna fernzuhalten. Doch ihre Versuche waren vergebens. Mit einem kräftigen Ruck setzten sich plötzlich die Flügel des riesigen Tores in Bewegung. Schlagartig schlossen sie sich. Ein lauter Knall ertönte und fegte durch den Raum, als sie ins Schloss fielen. Die Menge stand kurz davor, in allgemeine Panik auszubrechen. Alle hatten Angst. Der Wind fegte durch den Saal. Donner grollte. Die Älteste schrie die Wachen um Hilfe an. Eine Pauke rollte von der Empore weit oben hinunter und schlug in die Menge ein. Weitere Schreie ertönten, gefolgt von einem schmatzenden Geräusch, als die schwere Trommel einen Menschen unter sich zerquetschte. Finsternis hüllte Luna vollständig ein. Sie sah nur noch schwarz und ein paar wenige, gleisende Funken. Ihre Gedanken drehten sich wie wild. Sie wusste nicht, was mit ihr geschah. Panik breitete sich in ihrem Körper aus. Der Rauch schirmte sie komplett von der Außenwelt ab. Kein Geräusch drang mehr zu ihr hindurch, sie spürte keinen Blick mehr in ihrem Nacken. Sie war allein. Allein im schwarzen Nebel. Allein im schwarzen Rauch. Und plötzlich vernahm sie ein leises, hauchendes Flüstern in ihrem Ohr. Die Stimme war beruhigend und versetzte ihren Körper in einen Zustand der Entspannung.

    »Ganz ruhig«, flüsterte die weibliche Stimme in ihr Ohr. »Entspann dich, dir wird nichts geschehen, vertrau mir.«

    Sofort wich die Anspannung aus Lunas Körper und ihre Gliedmaßen hingen schlaff herab. Ihr Geist wirkte wie benebelt, ihre Gedanken schienen sich durch Honig zu bewegen. Sie waren zäh und träge. Aber es fühlte sich richtig an. Der Nebel lullte sie ein, beruhigte ihren Körper und kümmerte sich um sie. Er nahm ihr jede Sorge und jeden störenden Gedanken aus dem Kopf. Der Honig schien sie komplett auszufüllen. Sie war die Ruhe selbst. Langsam schloss Luna die Augen. Sie fühlte sich unglaublich müde. Die Wolke wiegte sie hin und her, als wolle sie Luna zum Einschlafen bringen. Sie kümmerte sich um sie wie eine Mutter sich um ihr Neugeborenes. Allmählich verschmolz Luna mit dem Honig.

    Doch auf einmal riss sie ein stechender Schmerz aus ihrer Trance. Der Rauch setzte sich blitzschnell in Bewegung. Er wirbelte um Luna herum. Tausend kleine Nadeln schienen in ihre Haut zu stechen, als der lichtverschluckende Qualm in sie eindrang. Ein weiterer Strahl aus Rauch bahnte sich seinen Weg zu ihrem Kopf. Ohne anzuhalten schoss er direkt durch ihren leicht geöffneten Mund in ihren Körper hinein. Plötzlich war Lunas gesamter Verstand erfüllt von Schmerzen. Sie konnte nichts anderes mehr wahrnehmen. Sie fühlte sich, als packe sie jemand am Hals und würde sie in die Höhe halten. Sie bekam keine Luft mehr. Der Honig war verschwunden. Alles war dem Schmerz und dem Donnern gewichen.

    Unkontrolliert drang der Rauch weiter in sie ein und setzte sich auf ihre Haut. Immer weiter. Schließlich lichtete sich der dichte Nebel um sie herum. Der Qualm war beinahe vollständig in ihr verschwunden. Aus dem Augenwinkel konnte Luna erkennen, dass sie einige Meter über dem Boden schwebte. Doch plötzlich begann sich eine Leere durch ihr Blickfeld zu fressen. Sie bekam noch immer keine Luft. Langsam wurde ihr schwarz vor Augen. Alle Geräusche um sie herum wurden gedämpft. Die Schreie der Menge und der Ältesten wurden zu einem leisen Fiepen hinter einem Vorhang aus Nichts. Das Tosen des Sturms schrumpfte zu einem sanften Rauschen am Meer. Doch schließlich war der Rauch vollständig in sie eingedrungen. Nichts hielt Luna mehr in der Luft. Schlagartig verstummten das Tosen und Donnern, die Luft kam zum Stillstand und die Säulen gaben Ruhe. Luna bekam wieder Luft. Sie atmete tief ein und ihr Sichtfeld klarte auf. Sie spürte, wie sie zu fallen begann. Der Boden kam immer näher. Die Menge hielt entsetzt den Atem an. Luna bereitete sich auf eine schmerzhafte Landung vor und schloss die Augen.

    Schlagartig wurde ihr Fall abgebremst. Luna riss entsetzt die Augen auf und fand sich eine Handbreite über dem Boden schwebend wieder. Sie sah angestrengt zur Seite und erblickte Yara, die angestrengt versuchte, mit Hilfe des Mondes ihren Sturz zu bremsen. Sanft legte sie Luna auf dem Boden ab und rannte auf sie zu. Lunas ganzer Körper schien zu schmerzen. Alles fühlte sich dumpf an, als wären das nicht ihre eigenen Gliedmaßen. Nach und nach klarte ihr Verstand erst wieder auf. Der Schmerz saß tief in ihren Knochen. Ihr fehlte jegliche Energie, um aufzustehen. Yara erreichte sie binnen Sekunden und kniete sich neben ihr auf den Boden. Luna blickte weiter nur geradeaus und wartete, ob etwas geschehen würde, oder ob alles vorbei war.

    »Luna?«

    Yara beugte sich zu ihr hinunter und schnippte mit den Fingern genau vor ihrem Gesicht. Sofort klarte ihr Verstand auf, als der gelbliche Funke zwischen Yaras Fingern sich förmlich auf ihre Netzhaut brannte. Luna schreckte hoch. Ihr gesamter Körper begann, wieder zu schmerzen und sie fiel unkontrolliert zur Seite. Yara fing sie geschickt auf und hielt sie sitzend fest.

    »Warte, ich helfe dir«, flüsterte sie ihr ins Ohr und griff ihr unter die Arme. »Steh auf«, befahl sie ihr und Luna gehorchte strikt. Sie gab ihr bestes, auf ihren eigenen Beinen zu stehen und rappelte sich auf, so gut es ging.

    »Danke«, hauchte sie Yara entgegen und versuchte, sie anzulächeln. Yara lächelte besorgt zurück und half ihr, sich zur Menge zu drehen. Luna konnte erkennen, wie sie von allen entsetzt angestarrt wurde. Die Älteste blickte ihr genau in die Augen und trat vorsichtig einen Schritt zurück.

    »Willkommen, Kriegerin Luna«, hauchte sie beinahe unhörbar in den Saal, und trotzdem schien jeder sie verstanden zu haben. Die Menge wiederholte murmelnd ihre Worte und wich ebenfalls ängstlich zurück. Sofort begann das Licht des Mondes, heftig zu pulsieren. Der Lichtstrahl, der durch das kleine Fenster drang, beugte sich gegen alle Gesetze der Logik und beschrieb eine Kurve. In seinem Zentrum standen nun Luna und Yara, beide genauso perplex und ängstlich wie alle anderen im Saal. Der Strahl wandelte sein Licht zyklisch von purer Dunkelheit zu gleisend hellem Mondlicht und wieder zurück. Luna verbeugte sich kurz und angestrengt, Yara half ihr dabei. Anschließend schickte Luna intuitiv wie die anderen Schülerinnen vor ihr eine glitzernde Staubwolke in die Menge. Doch die Wolke, die aus ihrer Hand hervortrat, war pechschwarz und düster wie die Nacht. Schlagartig wurde es eiskalt in dem riesigen Saal, die Fackeln an den Wänden flackerten.

    Auf einmal wurden die Flügel des gigantischen Tores wieder nach außen aufgezogen. Eine Gestalt stand vor dem Eingang und blickte in den Raum hinein. Sie hatte menschliche Züge und saß auf einem Pferd. Man konnte nur die Umrisse vor dem Mond erkennen. Der Rest war durch das ihnen entgegenscheinende Mondlicht unerkennbar. Aber Luna konnte erkennen, dass die Gestalt auf dem Pferd keinen Kopf hatte. Der Körper hörte über den Schultern einfach auf.

    Plötzlich begann das Pferd, wild zu wiehern und hob die vorderen Hufe weit in die Luft. Die Gestalt auf seinem Rücken hielt die Zügel mit nur einer Hand fest und bewegte sich elegant mit dem Tier, ohne zu fallen. Als die Hufe des Pferdes wieder auf dem Boden aufschlugen, stieg eine Wolke aus Staub auf und in den Saal hinein. Als sich der Dunst wieder legte, war die Gestalt bereits verschwunden.

    »Geht nach Hause, die Zeremonie ist beendet!«, rief die Älteste harsch in die Menge und machte Bewegungen, als wolle sie die Menschen verscheuchen. »Kümmert Euch um Eure Familie, beschützt sie, bleibt heute Nacht auf jeden Fall im Hause!«

    Panisch begannen die Anwesenden, in Richtung des Tores zu strömen. Lunas Knie begannen zu zittern und ihr wurde schwindelig. Sofort stand ihre Lehrerin bei ihr und half Yara, sie aufrecht zu halten.

    »Keine Angst«, flüsterte Yara ihr zu. »Wir werden das durchstehen.«

    Luna war nicht klar, was sie genau durchstehen sollte. Im Augenblick wollte sie nichts weiter, als etwas zu trinken und sich auszuruhen. Ihre Gedanken kreisten und kippten mit ihrem Gleichgewicht. Sie spürte ihren eigenen Körper kaum noch. Weiter vorn konnte sie erkennen, wie die Älteste einige Kriegerinnen anwies, die Leute ohne Panik nach draußen zu bringen. Schließlich wandte sie sich Luna zu und setzte sich in Bewegung. Ein letztes Mal ertönte das Horn und schallte über die Berge, als die Älteste schließlich vor ihr stehen blieb.

    »Oh je, Mädchen…«, begann sie ruhig zu sprechen. »Ich fürchte, wir haben ein Problem.«

    [2]

    as ist dort mit mir passiert?«, richtete sich Luna mit schwacher Stimme an die Älteste und blickte ihr in die Augen. Die Älteste hielt ihrem Blick stand, sagte aber nichts.

    »Bringt sie sofort in den Krankenflügel!«, befahl diese aber Lunas Lehrerin und Yara, ohne auf Lunas Frage einzugehen. »Das Mädchen muss sich ausruhen.«

    Mit diesen Worten kehrte sie Luna den Rücken zu und ging auf die Menschenmasse zu, um einzelne Verstörte zu beruhigen. Luna blickte ihr benommen hinterher. Wusste die Älteste überhaupt, was geschehen war? Plötzlich spürte Luna eine Hand sanft gegen ihren Rücken drücken.

    »Komm mit, Luna.«

    Yaras Stimme war dicht neben ihrem Ohr, schien dennoch aber aus weiter Entfernung zu kommen. »Wir bringen dich hier weg.«

    Vorsichtig setzte Yara sich in Bewegung und Luna stapfte unsicher und auf die Schulter ihrer Freundin gestützt neben ihr her. Diese dunkle Macht hatte ihr jegliche Kraft geraubt. Sie fühlte sich, als wäre sie nur noch die Hülle für etwas, das sich in ihrem Körper eingenistet hatte. Fühlte es sich so an, die Kontrolle zu verlieren? Ein wenig entfernt standen einige Wachen um die abgestürzte, zerschellte Trommel herum. Luna fühlte sich schuldig. Wegen ihr war die Zeremonie ein Desaster geworden. Wegen ihr waren Menschen verunglückt und gestorben. Hier drin. Und das nur, weil sie eine Kriegerin hatte werden wollen. Einige weitere Wachen hielten am Tor die Menschen auf, die von Splittern der Pauke getroffen worden waren und versorgten sie. Einige, die in der Massenpanik gestürzt waren und sich verletzt hatten, waren auch dabei. Luna warf ihnen bemitleidende Blicke zu, als Yara sie an ihnen vorbeiführte. Die Menschen erwiderten ihren Blick. Doch ihre Augen war voller Kälte und Angst. Luna begann, sich ungewollt zu führen. Ihre Mundwinkel neigten sich nach unten und sie hing noch schlaffer an Yaras Schulter als zuvor.

    »Hey«, wandte Yara sich an sie, »du kannst nichts für all das hier, verstanden? Du hattest keinen Einfluss auf das, was passiert ist.«

    Luna versuchte, sich an ihrer Stimme festzukrallen, um nicht vollends das Bewusstsein zu verlieren. Sie verlor allmählich den Willen, überhaupt noch zu denken und sich aufrecht zu halten. Sie nickte nur vage und stolperte langsam neben Yara her. Ihre Gedanken verloren sich immer tiefer in der Stille der Nacht.

    Im Krankenflügel angekommen wurden sie sofort von zwei Schwestern empfangen, die Luna nahmen und in ein separates Zimmer brachten. Yara lief den ganzen Weg hinter ihnen her und spendete ihr ein wenig Trost. Lunas nun ehemalige Lehrerin musste sich verabschieden und ihren Aufgaben nachgehen. Das Zimmer, in das Luna gebracht wurde, war ziemlich klein, aber dafür unglaublich gemütlich. Die Wände waren mit Bambusrollen verkleidet. Zwischen den Rollen befanden sich lange Streifen aus blassem, grobem Stein. Luna fühlte sich sofort wohl, als sie in den warmen Schein der gelblich leuchtenden Kugeln gebracht wurde.

    Der Stein, aus dem die Kugeln bestanden, war durchwoben mit Mondenergie. Überall im Krankenflügel konnte man diese kugelförmigen, leuchtenden Steine finden. Man nannte sie Lanant. Durch die Energie des Mondes in ihrem Inneren hatten sie wohltuende, heilende Eigenschaften. Sie konnten nicht direkt Wunden und Verletzungen heilen - aber sie halfen den Patienten der Schwestern dabei, ihren Körper und Geist in Ruhe zu versetzen. Es war beinahe, als würden sie jeglichen aufregenden Gedanken aus Lunas Kopf saugen und wegsperren. Augenblicklich beruhigte sich ihr Herzschlag, wurde regelmäßiger, ihr Atem flachte ab. Ein kleines bisschen Kraft kehrte in Lunas Körper zurück und ermöglichte es ihr, Yara ein Lächeln und ein gehauchtes Danke zu schenken. Yara lächelte zurück und drückte ihre Hand.

    Die beiden Schwestern, die Luna in das Zimmer gebracht hatten, woben noch schnell mit der Mondenergie kleine Symbole auf die Bambusrollen und verabschiedeten sich dann von ihnen. Genau in dem Moment, in dem sie das Zimmer verließen, trat eine ältere Frau in das Zimmer und richtete das Wort an Luna.

    »Du bist also die, die anscheinend den Zorn des Mondes zu uns bringen soll. So gruselig siehst du gar nicht aus.«

    Irgendwie musste Luna schmunzeln, obwohl die Situation nicht gerade zum Lachen war. Die Schwester grinste ihr entgegen. Sie war alt und sogar kleiner als Luna selbst. Ihre Haare waren weiß und zu einem Knoten am Hinterkopf zusammengebunden. Die ältere Frau machte jedoch keinen gebrechlichen Eindruck. Ihre Augen leuchteten voller Leben und sie versprühte eine wohltuende Aura. Luna mochte sie sofort. Die Schwester zog sich einen Hocker herbei und setzte sich neben Luna an das Bett.

    »Nennt mich einfach Galdrea«, schien sie Luna ihre Frage von den Lippen abzulesen. Ohne weiter zu zögern nahm sie Lunas Arm und drehte die Innenseite nach oben. Luna und Yara sahen ihr gespannt zu. Luna war noch nie im Krankenflügel behandelt worden. Ihre Verletzungen vom Training waren nie schlimmer als kleine Kratzer und Schnitte gewesen. Außerdem hatte sie sich für die Ausbildung zu einer Kriegerin entschieden, nicht für die einer Heilerin. Daher hatte sie sich selten hier aufgehalten. Dennoch empfand sie ungemeines Interesse dafür, was die Schwestern hier alles für die Kranken und Verletzten tun konnten.

    Galdrea beobachtete ausgiebig die blasse Haut ihres Arms und schien nach irgendetwas zu suchen. Plötzlich hob sie eine Hand flach über Lunas Unterarm, machte eine kleine Bewegung und wie aus dem Nichts leuchteten die Adern in Lunas Arm mondlichtfarben auf. Doch die Farbe schien zu pulsieren. Sie wurde immer und immer dunkler, bis sie einem endgültigen Schwarz glich. Sie schien nun jegliches Licht im Zimmer aufsaugen zu wollen. Sogar die Lananten konnten die Kälte nicht länger vertreiben, die von der Schwärze auszugehen schien. Sofort nahm Galdrea ihre Hand von Lunas Arm und setzte sich aufrecht hin. Die Adern verschwanden wieder unter ihrer blassen Haut. Besorgt blickte sie Luna an. Luna hatte ein wenig Angst vor dem, was sie sagen würde. Aber trotzdem wollte sie wissen, was mit ihr los war.

    »Also, Mädchen«, begann die alte Frau zu sprechen und spielte nervös an einem Zipfel ihres Oberteils herum, »Die Energie des Mondes ist auch in dir, du brauchst dir darum also keine Sorgen zu machen.«

    Luna atmete kurz auf. Doch sie hatte Angst vor dem großen Aber, das noch unausgesprochen im Raum schwebte. Die Wärme der Lananten kehrte langsam wieder in den Raum zurück und nahm Luna etwas von ihrer Nervosität.

    »Allerdings ist auch eine düstere Energie in dir. Etwas Dunkles und Bedrohliches hat sich in die Energie des Mondes gemischt.«

    Luna starrte sie stumm und planlos an. Eine düstere Energie? Yara ergriff das Wort, noch bevor Luna zu Ende gedacht hatte.

    »Welche düstere Energie ist es denn? Wisst Ihr das?«

    Eindringlich blickte sie die Schwester an. Luna hoffte auf eine nicht allzu verstörende Antwort. Die glitzernden Symbole an den Bambusrollen flackerten.

    »Es ist pure Finsternis«, antwortete Galdrea und sofort lief Luna ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Yara blickte sie bloß verständnislos an.

    »Heutzutage sind es nur noch Legenden. Es wird gesagt, es gab einst ziemlich düstere Tage. Das waren Zeiten, als unser Orden tagtäglich Bedrohungen von den Städten und Dörfern abwenden musste. Zeiten der Dunkelheit. Als zeitweise die Sonne tagelang verborgen blieb. Als viele düstere Gestalten diese Welt durchstreift hatten.«

    Luna begann zu frösteln. Sie hatte nicht viel über die uralten Geschichten und Mythen des Ordens gelernt. Kaum jemand kannte diese und noch weniger Menschen erzählten diese auch weiter. Aber dennoch waren es nur Legenden, oder nicht?

    »Und das in ihr ist also Teil einer dieser Legenden?«, fragte Yara sichtlich verunsichert und blickte Luna in die Augen. In ihrem Blick konnte Luna Angst und Furcht erkennen. Vorsichtig nahm sie Yaras Hand und hielt sie fest, um ihr einen Teil der Anspannung zu nehmen.

    »Das weiß ich nicht. Diese Geschichten sind mehrere hundert Jahre alt, und ganz so alt bin ich dann doch noch nicht.«

    Sie zwinkerte den beiden Mädchen verstohlen zu und Luna huschte wieder ein schwaches Lächeln übers Gesicht. Sie mochte Galdrea.

    »Seid nicht zu sehr besorgt, Mädchen. Wir wissen noch nicht, was genau geschehen ist. Und solange wir nicht wissen, was genau es ist, ist es mit Vorsicht zu behandeln, aber noch nicht zu fürchten.«

    Luna nickte erneut und blickte Yara an. Die Angst in ihren wundervollen, haselnussbraunen Augen war einer schlichteren Besorgnis gewichen. Yara hing wirklich sehr an ihr. Aber mindestens genauso sehr hing Luna an Yara.

    »Ihr könnt froh sein, euch zwei zu haben«, lächelte Galdrea die beiden an und erhob sich von dem Hocker. »Ich schlage vor, dass du noch keinen Dienst zugewiesen bekommst, Luna. Vorerst. Du wirst die Nacht über hierbleiben, falls etwas geschieht. Du wirst dich nicht den Städten und Dörfern nähern. Die Bewohner haben alle schon riesige Angst vor dir. Morgen früh darfst du den Krankenflügel verlassen, du bleibst aber stets auf dem Gelände des Ordens. Du solltest nicht zu weit entfernt sein, damit wir dich schnell finden, sollten wir etwas herausfinden oder sollte etwas passieren. Verstanden?«

    Die alte Frau runzelte die Stirn und blickte Luna gespielt streng an.

    »Ja, Galdrea«, erwiderte Luna und nickte zustimmend. Sie sichtlich nicht begeistert. Sie hatte sich so sehr darauf gefreut, sich den anderen Kriegerinnen endlich anschließen zu können.

    »Morgen früh schauen wir, wie es dir geht. Im Anschluss werden wir weitersehen, was du auf dem Gelände unternehmen kannst.«

    Erneut nickte Luna der Schwester entgegen. Galdrea wandte sich nun an Yara.

    »Du wirst wohl am besten bei ihr bleiben. Für den Moment sollte immer jemand bei ihr sein, bis wir wissen, was hier vor sich geht. Sie darf unter gar keinen Umständen unbegleitet sein. Wir müssen davon ausgehen, dass diese düstere Energie sich an ihr vergreift, solange wir nicht wissen, mit was wir es zu tun haben.«

    Yara nickte ihr ebenfalls zu.

    »Ja, Galdrea«, wiederholte sie Lunas Worte und stellte sich dabei aufrecht hin, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.

    »Sehr gut.«

    Galdrea drehte sich um und machte ein paar Schritte in Richtung Ausgang. Sie griff nach der hölzernen Schiebetür und drehte sich noch einmal um.

    »Ach ja und Mädchen?«

    Luna blickte sie mit gerunzelter Stirn an und wartete darauf, dass sie fortfuhr.

    »Zieht euch etwas anderes an. Eure Kleider sind zwar wundervoll und entzückend, aber keinesfalls zweckmäßig für die Nacht im Bett.«

    Sie grinste die beiden an und schloss die Tür hinter sich. Luna und Yara mussten ebenfalls schmunzeln. Yara drückte noch einmal kurz Lunas Hand und bewegte sich dann auf die Symbole zu, die von den Schwestern an die Wand gewebt worden waren.

    »Was glaubst du bedeuten die hier?«, fragte sie Luna und fasste sich überlegend mit einer Hand ans Kinn. Luna zuckte nur mit den Schultern.

    »Ehrlich gesagt habe ich überhaupt keine Ahnung«, erwiderte sie und blickte ebenfalls auf die Symbole. Sie leuchteten in einem glitzernden, sanften Goldton und schienen vor den Bambusrollen zu schweben.

    »Denkst du, die sind zur Überwachung da?«, witzelte Yara und kitzelte somit ein leichtes Kichern aus Luna heraus.

    »Klar doch«, antwortete diese. »Damit sie uns ganz genau beobachten können, wenn wir uns umziehen.«

    Yara lachte kurz auf und wandte sich ihr grinsend zu.

    »Das ist meine Luna.«

    Luna warf ihr einen lächelnden Blick zu. Yara schaffte es immer wieder, sie abzulenken und ihr ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Dennoch nagte das Geschehene weiter an ihr.

    Die beiden verbrachten viel Zeit damit, zu überlegen, wofür genau die Symbole waren. Es brachte sie auf andere Gedanken und lenkte vor allem Luna von ihren Gedanken ab. Sie rätselten immer noch, als die Tür auf ging und zwei junge Heilerinnen den Raum betraten.

    »Hier ist etwas für die Nacht zum Anziehen für euch«, erklärte eine der beiden, warum sie hier waren. Sie legten jeweils einen Stapel Kleidung auf die Betten. Beide waren im Alter von etwa 15 Jahren, schätzte Luna. Schüchtern standen sie da und schienen gehen zu wollen, aber irgendetwas hielt sie noch auf.

    »Vielen Dank«, wandte sich Luna an die beiden und lächelte ihnen entgegen. Sie erwiderten das Lächeln und schließlich nahm eine von ihnen ihren Mut zusammen und sprach sie an.

    »Dürfen wir… dürfen wir Euch etwas fragen?«

    Luna lächelte sie weiter an. Sie wusste, wie sie sich fühlen mussten. Sie war selbst früher genauso schüchtern gegenüber den Älteren gewesen und hatte sich immer gefürchtet, sie anzusprechen.

    »Klar, nur zu«, antwortete sie und setzte sich unter Anstrengung im Bett auf.

    »Wie hat sich das angefühlt? Also… das, was mit Euch passiert ist.«

    Luna blickte die beiden kurze Zeit stumm an und überlegte, was sie am besten antworten sollte. Sie hatte mit einer solchen Frage gerechnet. Dennoch fühlte sie sich alles andere als wohl dabei, sie zu beantworten. Sie würde am liebsten einfach all das vergessen.

    »Ich denke, zunächst war es ein sehr gutes Gefühl. Ich dachte nicht, dass etwas schief gehen würde«, begann sie zu erzählen. Sogar Yara hing nun interessiert an ihren Lippen. »Aber als ich merkte, es stimmt etwas nicht, war da einfach nur noch Angst. Vermischt mit Panik. Und als diese Finsternis mich eingehüllt hatte, war zunächst alles wundervoll. Alles war ruhig. So friedlich. Kein einziges Geräusch war zu hören. Alles war sanft und weich. Doch plötzlich zog die gesamte Finsternis in meine Haut ein. Es war, als würden tausend heiße Nadeln tief in meinen Körper hineinstechen. Ich habe keine Luft mehr bekommen und die Finsternis raubte mir jegliche Kraft. Und danach war alles vorbei. Mein Körper fühlt sich noch immer anders an als zuvor, aber daran muss ich mich wohl gewöhnen. Vielleicht lässt dieses Gefühl ja auch bald nach. Ich kann es nur hoffen.«

    Die beiden Mädchen starrten Luna völlig entsetzt an.

    »Keine Sorge, mir geht es wieder gut, denke ich.«

    Yara wandte sich ebenfalls an die beiden.

    »Euch wird so etwas mit Sicherheit nicht passieren, in Ordnung? Wir versuchen noch herauszufinden, was das genau war. Aber wir wissen mit Sicherheit, dass es nichts dergleichen bisher gegeben hat. Demnach seid ihr davor sicher.«

    Sie lächelte die beiden an und ging auf sie zu. »Ach so, jetzt, wo ihr schon da seid…«

    Die beiden Mädchen starrten sie verunsichert an und versuchten, sich ganz klein zu machen. Yara drehte sich auf dem Absatz um und zeigte auf die Symbole an den Bambusrollen.

    »Was bedeuten diese Symbole?«

    Sichtlich erleichtert atmeten beide synchron auf und eine der beiden begann zu erklären.

    »Das sind Symbole zu eurem Schutz. In den alten Aufzeichnungen steht geschrieben, dass sie einst dazu genutzt wurden, böse Geister fern zu halten. Ob sie wirklich helfen weiß man nicht, wir dachten aber, schaden kann es sicher nicht.«

    Luna und Yara nickten interessiert.

    »Die hier drüben dagegen sind Symbole für Kraft«, fuhr das zweite Mädchen fort. »Sie kosten ein wenig Energie, um sie anzuwenden. Aber diese Kraft und Energie wird an denjenigen weitergegeben, der sie gerade braucht. Man nutzt sie, um schwachen Patienten ermöglichen zu können, länger durchzuhalten. Du warst kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren, also habe ich dir somit Teile meiner Kraft überlassen, um dich wach zu halten.«

    Das Mädchen trat vor und wischte die eben beschriebenen Symbole wieder von dem Bambus. Die gegen böse Geister ließ sie jedoch an Ort und Stelle.

    »Das klingt alles so interessant.«

    Yara war sichtlich begeistert. Die Ausbildung zur Heilerin wäre für sie sicher auch richtig gewesen.

    »Ich würde gerne auch ein paar Grundlagen kennen.«

    Luna nickte zustimmend.

    »Das ist wahr, man weiß nie, wann man etwas dergleichen mal brauchen könnte.«

    Die beiden Mädchen lächelten sie an.

    »Wir haben gehört, ihr dürft das Gelände nicht verlassen. Ihr könnt gerne ein wenig mit uns lernen, wenn ihr wollt. Dann habt ihr eine Aufgabe und Gesellschaft.«

    Luna lächelte den beiden entgegen und blickte anschließend Yara an. Diese zuckte schwach mit den Schultern.

    »Warum nicht, das klingt sehr interessant. Vielen Dank«, wandte Luna sich wieder an die Mädchen und nahm das Angebot an. Die beiden lächelten schüchtern, aber voller Freude und verabschiedeten sich wieder.

    »Symbole, die böse Geister vom Eindringen abhalten also…«, murmelte Yara vor sich hin und trat wieder näher an die schwebenden, glitzernden Lichter.

    »Die beiden sind unglaublich nett, finde ich«, unterbrach Luna ihre Gedanken. Yara nickte zustimmend.

    »Das ist wahr. Aber auch sehr zurückhaltend.«

    Luna robbte langsam aus dem Bett und setzte sich auf die Kante. Ihr Körper fühlte sich noch immer seltsam an. Ihre Haut kribbelte unangenehm. Der Schmerz von vorhin saß noch in ihren Knochen.

    »Geht es dir gut?«

    Yara setzte sich neben sie und legte eine Hand auf ihren Schenkel. Luna zuckte kurz zurück. Die Berührung verursachte ein leichtes Stechen, obwohl sie eigentlich sehr guttat.

    »Ja, soweit schon. Ich fühle mich um einiges besser.«

    Sie schenkte Yara ein schwaches Lächeln, stand auf und nahm den Kleidungsstapel auf ihrem Bett auf. Sie fühlte sich noch schwach und taumelte ein kleines Bisschen.

    »Soll ich dir helfen?«, bot Yara an und warf ihr einen besorgten Blick zu. Plötzlich schien sich alles um Luna herum zu drehen. Sie machte einen Schritt zur Seite, stützte sich am Bett ab und setzte sich wieder neben Yara.

    »Ich glaube schon, danke«, antwortete Luna und versuchte, einen Würgereiz zu unterdrücken. Die Welt um sie herum kam wieder zum Stillstand. Alles wurde wieder normal. Sie hoffte, dass all das am Morgen vorbei sein würde. Sie hoffte so sehr, dass alles nur ein böser Traum war und sie jeden Moment daraus erwachen würde. Doch das schien nicht der Fall zu sein. Sie würde nicht aufwachen. Das konnte sie spüren. Das hier war real. Das alles war wirklich passiert.

    Yara half ihr schließlich dabei, die frische Kleidung anzuziehen. Das Kleid hing sie an einen Haken an der Wand. Vorsichtig krabbelte Luna unter die Bettdecke und kuschelte sich in die Federn. Vielleicht war am Morgen ja wirklich alles etwas besser. Ihre Gedanken kreisten um die Vorstellung herum, was in ihr sein könnte, wenn es nicht nur die Macht des Mondes war. Sie traute sich gar nicht auszumalen, was für dunkle und düstere Dinge es nur geben könnte, die nun in ihr stecken konnten. Doch vielleicht war es auch kein Ding, sondern eine Macht, eine Energie wie die des Mondes.

    Yara zog sich ebenfalls um, während Luna stumpf an die Decke starrte und tiefer in Gedanken versank. Schließlich bemerkte Luna, wie Yara zu ihr ans Bett trat und sich zu ihr beugte. Ihr Blick klarte auf und ihre Augen fokussierten Yaras hübsches Gesicht.

    »Schlaf gut, Luna.«

    Yara beugte sich über sie und küsste ihre Stirn. Ein Zeichen, dass sie auf sie aufpassen würde.

    »Schlaf du auch gut«, erwiderte Luna und ihr Herz erfüllte sich mit einer wohltuenden Wärme. Von der Stelle, an der Yaras Lippen ihre Stirn berührt hatten, breitete sich ein angenehmes Gefühl in ihrem gesamten Körper aus und hüllte sie vollständig ein. Schlagartig wurde sie immer müder. Yara strich ihr mit einer Hand noch kurz durch das silbergraue, lange Haar. Luna lächelte ihr verträumt entgegen, während sie schon langsam ins Reich der Träume glitt.

    [3]

    orsichtig schlich er auf den Rand des Felsplateaus zu und beugte sich noch vorsichtiger nach vorn. Der Abgrund schien gigantisch. Würde er stürzen, würde der Fall sicher einige Sekunden dauern, bevor er auf den spitzen Felsen zerschellen würde. Ängstlich tapste er wieder einige Schritte zurück. Der Wind spielte mit seinem weißen Fell und den blauen Musterungen darin. Um sie vor der Eiseskälte und dem Schnee in der Luft zu schützen kniff er seine eisblauen Augen zusammen. Die Ohren legte er flach an den Kopf an, um sie ebenfalls vor dem Wind zu schützen. Wie war er nur hierhergekommen? Er hatte sich gnadenlos verlaufen. Die hohen Felsen rund um ihn herum schienen sich bedrohlich über ihn zu beugen. Überall sah er nur das Weiß des beißenden Schnees und das Grau der mächtigen Felsen.

    Langsam drehte er sich um und versuchte, den Weg wiederzufinden, auf dem er gekommen war. Der tosende Lärm des Sturms dröhnte in seinen angelegten Ohren. Er fragte sich, warum er überhaupt aufgebrochen war. Warum er überhaupt entschieden hatte, in den Bergen zu suchen. Warum war er nicht einfach direkt ins Tal gegangen? Er wusste nicht einmal genau, was er denn suchte. Es war mehr ein Instinkt als ein klarer Gedanke. Er wusste, er musste etwas finden. Er wusste nur nicht, was es war und was danach geschah.

    Manche Ochinyias hatten eine Aufgabe im Leben, die es zu erfüllen galt. Und er war einer dieser wenigen Auserwählten. Und er konnte spüren, dass seine Zeit gekommen war. Sein Rudel wusste schon seit seiner Geburt, dass er einer der Suchenden war und hatte ihn bestens unterstützt. Sie hatten ihm alles beigebracht, was er auf seiner Reise wissen und können musste. Und nun war es für ihn an der Zeit, zu suchen. Zu suchen und zu finden.

    Die Ochinyias waren ganz besondere, aus der Magie entstandene Wesen. Unter ihnen gab es verschiedenste Arten und Rudel, hoch in den Bergen, tief in den Stollen; mitten im Eis und mitten im Feuer. Niemand wusste genau, woher sie kamen und wo es sie gab. Und doch waren diese fuchsähnlichen Geschöpfe mit der abgerundeten Schnauze, mit den langen, schmalen und spitzen Ohren und den drei Schwänzen überall. Die meisten blieben nur auf ewig unentdeckt. Doch wann immer ein Suchender seiner von höheren Mächten verliehenen Aufgabe nachging fand man sie. Und man ließ sie passieren, um nicht einen übermenschlichen Zorn auf sich zu laden.

    Glacio stapfte gegen den Wind in eine Richtung, aus der er glaubte, gekommen zu sein. Die Klippe ließ er hinter sich und sofort wurde er wieder von den hohen grauen Felsen verschlungen, die ihn überall umgaben. Wo er auch hinblickte, alles sah gleich aus. Sein Gefühl sagte ihm aber, dass er in den Bergen bleiben musste. Seine Aufgabe war weit oben versteckt. Doch im Augenblick war es der Schneesturm, der alles vor ihm verbarg.

    Plötzlich hörte er in der Ferne einen leisen, spitzen Schrei. Es klang, als käme er von einem Vogel. Angespannt lauschte er in den Wind hinein, ob er noch etwas anderes hören konnte. Doch es schien fast so, als würde der Sturm alles verschlucken. Kein Vogel könnte bei diesen Bedingungen umherfliegen. Mit dem ständigen Gefühl der Gefahr im Nacken schlich er langsam weiter voran. Er glaubte, aus dieser Richtung gekommen zu sein. Mit Sicherheit sagen konnte er es allerdings nicht.

    Einige Zeit stapfte er stetig weiter voran und kämpfte gegen den Sturm an. Der steinige Weg war voller Geröll, das unter seinen Pfoten hinfort getragen wurde. Alles schien ihm endlos lang zu sein. Er war bereits seit Ewigkeiten unterwegs. Vor einigen wenigen Wochen war er aufgebrochen und war seither durch das gesamte Gebirge gewandert. Sein Rudel lebte nicht hier in der Umgebung. Ein anderer Teil des Gebirges war ihr Revier, viel weiter im Norden. Doch dieser Teil hier war gemeingefährlicher, heimtückischer, unübersichtlicher. Er musste stets aufpassen, dass er nicht nach zwei weiteren Schritten über eine Klippe lief und von den spitzen, hungrigen Felsen darunter aufgespießt wurde. Alles hier schien ihn tot sehen zu wollen. Hatte jeder Ochinyia eine solche schwere Suche?

    Auf einmal ertönte erneut das Kreischen, diesmal deutlich und ganz in der Nähe. Das Blut gefror in Glacios Venen. Er erstarrte sofort wie zu Eis und drehte die Ohren in jede Richtung. Er hörte nichts mehr außer dem Sturm. Sein kleines Herz klopfte wie wild. Es konnte ein normaler Habicht oder Falke sein, es konnte aber auch ein wesentlich größeres Wesen sein. Aber Fakt war: er hatte sich den Schrei zuvor nicht eingebildet. Durch den Sturm aus Schnee, Eis und Geröll konnte Glacio jedoch kaum noch etwas anderes hören.

    Sofort schritt er eilig wieder los. Irgendwo musste er einen Unterschlupf finden. Eine Höhle oder dergleichen. Es war hier draußen alles andere als sicher. Er musste schnell verschwinden. Ängstlich folgte er dem Weg. Er betete, dass er bald einen Schutz vor dem Sturm und dem Ursprung der Schreie finden würde. Doch plötzlich baute sich vor ihm eine riesige Felswand auf. Der Weg ging hier nicht weiter. Er war in eine Sackgasse gelaufen. Schon wieder. Links von ihm Fels, rechts von ihm der Abgrund. Panisch suchte er die Felswand ab, ob es nicht eine kleine Öffnung gab. Irgendetwas, das ihn schützen konnte.

    Nichts. Er musste umkehren.

    Sein Fell schien ihn nicht mehr lange vor der Eiseskälte und dem Sturm schützen zu können. Auch wenn er solche Bedingungen gewohnt war, das war auf eine seltsame Art und Weise noch heftiger als dort, wo er aufgewachsen war. Es war erbarmungslos. Als würde der Sturm ihn fressen wollen. Als würde er ihn mit Absicht aufhalten. Damit man ihn holen konnte.

    Panisch eilte Glacio den Weg wieder zurück und hielt sich dicht an der Felswand auf. Hauptsache möglichst weit weg vom Abgrund auf der anderen Seite des Weges. Erneut ertönte ein Kreischen. Der Schrei war viel zu nah. Sein kleines Herz pochte noch heftiger. Es schien beinahe aus seinem Brustkorb zu springen. Pure Angst machte sich in ihm breit. Und plötzlich tauchte vor ihm im Sturm aus Schnee und Eis eine Silhouette auf.

    Das Wesen schien etwas größer zu sein als er. Doch es war wesentlich breiter und kräftiger. Ängstlich drückte er sich gegen die eiskalte Felswand. Sein Atem stockte. Angespannt versuchte er, keinen Mucks von sich zu geben. Die Silhouette hob ihren kleinen Kopf und kreischte erneut in den Himmel hinein. Was war dieses Ding?

    Plötzlich vernahm Glacio klackernde Geräusche. Ein Knurren ertönte, als die

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