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Königliche Hoheit und Ich: Zwischen allen Fronten
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Königliche Hoheit und Ich: Zwischen allen Fronten
eBook649 Seiten9 Stunden

Königliche Hoheit und Ich: Zwischen allen Fronten

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Über dieses E-Book

Nach dem Tod des alten Markgrafen versucht dessen Regierung das Szepter der Macht in ihren Händen zu behalten. Wilhelmine, Lieblingsschwester Friedrich des Großen, die neue Markgräfin, kämpft gegen die korrupten Strukturen, um den nötigen finanziellen und politischen Gestaltungsspielraum zu bekommen, den sie für ihre Pläne benötigt. Als nacheinander der König in Preußen und der Kaiser sterben, gerät das kleine Fürstentum in den Strudel der ersten beiden Schlesischen Kriege. Man ist um Neutralität bemüht, doch sowohl der Bruder in Berlin als auch Maria-Theresia in Wien fordern die Treue des kleinen Landes ein. Wilhelmine sucht einen eigenen Weg zwischen den Fronten. Das führt zu Konflikten mit dem Gemahl, vor allem aber mit dem Bruder, dem König in Preußen. Immer wieder durchkreuzt die Markgräfin mit Hilfe ihres Hofes die Vorhaben des Berliners, ihre eigenen Ziele verfolgend. Der König weiß sich auf seine Art zu revanchieren. Doch nicht genug der politischen Wirrungen, auch persönlich ereilen die Prinzessin und Markgräfin schwere Schicksalsschläge, die ihren kleinen Hof an den Rand des Erträglichen bringen. Luise, Wilhelmines Erste Hofdame und Vertraute, hat alle Hände voll zu tun, um zwischen König, Kaiser, Erzherzogin und Gemahl in Hinterzimmern oder auf Schlachtfeldern zu vermitteln. Inmitten dieser Umstände lässt die Prinzessin in Bayreuth eine Epoche der Kunst und Kultur erblühen, die auch ihrem Freund Voltaire seine Bewunderung abringt.

Der dritte Band der Romantetralogie über das Leben der Wilhelmine von Bayreuth lässt keine Wünsche an einen hochklassigen historischen Roman offen. Mitreißend geschrieben und historisch detailliert wird der Leser zum Zeitzeugen der Ereignisse und zum Komplizen der Protagonisten.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum18. Juni 2021
ISBN9783347282544
Königliche Hoheit und Ich: Zwischen allen Fronten
Autor

Claus von Kroenitz

Der 1966 geborene Claus von Kroenitz wuchs im Rheinland auf. Nach dem Abschluss seines Studiums in Bayreuth bereiste er beruflich alle Kontinente. Kroenitz war schon früh von der Historie und deren Geschichten fasziniert. C.S. Foresters Klassiker Hornblower prägte sein Verständnis eines historischen Romans grundlegend. Auch andere anspruchsvolle Romane des Genres, die fundiert Geschichte durch Geschichten erzählen, fanden seine Aufmerksamkeit. Doch es blieb nicht bei der Fiktion, regelmäßig erweiterte er sein Wissen über die historischen Hintergründe. In seiner fränkischen Wahlheimat stieß Kroenitz auf die Memoiren der Wilhelmine von Bayreuth, Lieblingsschwester Friedrich des Großen. Elektrisiert von dieser Persönlichkeit erkannte Kroenitz schnell das Potential, welches ihr Leben für einen Roman bot. Durch das Studium ihrer Korrespondenz mit dem Königlichen Bruder sowie anderer zeitgenössischer Berichte näherte sich der Autor seiner Protagonistin und ihrer Zeit behutsam an. Mehrere Jahre setzte sich Kroenitz mit Wilhelmine und ihrem Umfeld auseinander, bevor er das romanreife Leben der Prinzessin und Markgräfin in einen eigenen Plot überführte. Am Ende steht ein historischer Roman, der in der Tradition großer Romane dieses Genres gesehen werden muss und trotzdem unverkennbar einen eigenen, herausragenden Stil entwickelt. Kroenitz spielt mit dem für das 18. Jahrhundert so typischen Esprit als Stilmittel, genauso wie mit der zuweilen deftigen Sprache jener Zeit. Die Widersprüche dieser Epoche, Galanterie und Brutalität, lockere Moral und tiefe Frömmigkeit, Treue und Verrat, sind immer wieder die Grundlage fulminanter Wendungen im Leben seiner Protagonisten. Der Autor erzählt Wilhelmines Leben in einer frischen, modernen Weise, die doch immer Authentizität vermittelt.

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    Buchvorschau

    Königliche Hoheit und Ich - Claus von Kroenitz

    *

    Wir kamen keinen Augenblick zu spät in Friedrichs Gemächer, welche er gerade zu verlassen gedachte. Dessen Gesicht brannte vor nervösen Rötungen, die sich auch durch das Puder, welches hauchdünn auf der Haut auflag, nur schlecht retuschieren ließen. Die Nase war ebenso gerötet wie seine dunkelblauen Augen. Er hatte wohl nicht geruht, wie beabsichtigt, sondern geweint. Nun schickte sich der neue Markgraf an, die alte Regierung zu bestätigen, wie diese es ihm eingeflüstert hatte. Die Kontinuität der Geschäfte musste gewährleistet und die Beisetzung geregelt werden. All dies fiel in den Aufgabenbereich jener unabkömmlichen Herren.

    „Friedrich, warten Sie!"

    Wilhelmines Tonfall war mit viel Wohlwollen, nicht als Befehl zu verstehen. Ihre dickliche Hofmeisterin, Dorothea von Sonsfeld, die mit mir unserer Herrin gefolgt war, wisperte:

    „Langsam, Mädchen, nicht so forsch!"

    Aber außer mir konnte niemand ihre warnenden Worte hören. Schleppend kam der Markgraf zum Stehen und wandte sich mit hängenden Schultern seiner Gemahlin zu.

    „Was haben Sie vor, Friedrich?"

    „Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig, Madame!"

    „Sie wollen den Staatsrat bestätigen, gegen unsere Abmachung! Wir hatten doch vereinbart, Sie sollen damit warten, bis wir uns alle ein wenig beruhigt haben!"

    „Die Bestätigung des Rates kann nicht warten, Madame! Wie eisig dieses „Madame klang. So hatte ich Friedrich der Prinzessin gegenüber noch nie erlebt. „Die Beisetzung muss geregelt, die ausländischen Gesandten über den Tod meines Vaters und über die Kontinuität meiner Politik informiert werden. Wie Sie sehen, kann ich diese Entscheidung nicht aufschieben. Sie haben keine Ahnung von Politik, Madame, Sie sollten sich hierüber besser bedeckt halten! Zudem haben wir nichts miteinander vereinbart. Ich regiere und ich entscheide. Und nun entschuldigen Sie mich, die Regierungsgeschäfte warten!"

    Knallend fiel die Tür ins Schloss und der Markgraf tat das, was er nicht lassen konnte.

    Wilhelmine wandte sich in unsere Richtung. Wer erwartet hatte, sie in Tränen aufgelöst zu finden ob der rauen Behandlung durch ihren Gatten, der sah sich eines Besseren belehrt. Sie blies die Backen auf und zischte:

    „Staatsgeschäfte! So, so. Künftig werden seine Staatsgeschäfte darin bestehen, alles zu unterschreiben, was die Herren ihm unter die Nase halten. Wenn er kritische Fragen stellt, werden sie ihn beleidigt zurechtweisen, er habe kein Recht, ihre Kompetenz anzuzweifeln, und sollte er tatsächlich eine andere Politik fordern, werden sie Druck ausüben, bis er schließlich klein beigibt!"

    „Alle Achtung!, hieb ich in dieselbe Kerbe. „Den hat man aber schon gut abgerichtet, frisst dem Rat bereits aus der Hand! Ich hatte Wilhelmine natürlich über mein Gespräch mit dem Minister Voigt, kurz vor dem Tod des alten Markgrafen, informiert und so wusste sie genau, dass die Ministerriege versuchte, Friedrich von ihr zu entfremden, damit sie auch weiterhin ihre Pfründe sichern konnten und Bayreuth nicht zum Vasallen Berlins würde. „Machen Sie sich keine Sorgen, Königliche Hoheit, der Markgraf wird schnell verstehen, wie falsch er gehandelt hat und künftig Ihren Ratschlägen mehr Aufmerksamkeit schenken!"

    „Das wird er, da sind Wir Uns sicher. Was Uns jedoch wirklich besorgt ist Unsere finanzielle Ausstattung, die sich in den Händen dieser sogenannten Regierung befindet. Sie entscheiden darüber, über wie viel Geld Wir verfügen dürfen und somit über Unseren Bewegungsspielraum. Ist es Ihnen noch nie komisch vorgekommen, da die Mitglieder der Bayreuther Regierung großspuriger leben als die Fürsten dieses Landes? Natürlich war uns das aufgefallen, aber der alte Markgraf wollte dagegen nichts unternehmen, aus Angst, er könne seine Regierung brüskieren. „Wir werden Uns etwas einfallen lassen müssen, um Unseren Gemahl wieder mit Uns zu versöhnen, ihm aufzuzeigen, wie kurzsichtig er gehandelt hat!

    Für eine kurze Zeit versank die Markgräfin in tiefes Nachsinnen. Doch nicht lange und sie hatte einen Plan ersonnen oder besser, sich für eine ihrer Optionen entschieden, denn mit Sicherheit hatte sie diese Situation vorausgesehen und sich sorgfältig darauf vorbereitet. „Luise, schaffen Sie Uns Ellrodt her. Er ist der Einzige, der sich außer der Ministerbande mit der Politik und Verwaltung in diesem Land auskennt. Auf ihn wollen Wir bauen! Gewinnen Sie ihn für Uns und den Markgrafen, es wird sein Schaden nicht sein!"

    „Ich werde herausfinden, wie stark seine Loyalität Euch gegenüber ist, Königliche Hoheit!"

    „Ihr sollt für seine Loyalität sorgen, Luise. Wir kennen ihn kaum, Wir möchten ihn sprechen, wenn er geneigt ist Uns zu helfen!"

    Niemand kannte Philipp Andreas Ellrodt wirklich. Er war die graue Eminenz hinter dem verstorbenen Markgrafen gewesen, als sein Geheimsekretär in alle Geschäfte eingeweiht, als Jurist bewandert in Staatsfragen. Nicht selten hatte er den Markgrafen vor den Machenschaften seiner Regierung gewarnt, einzig, jener wollte keine Konfrontation mit dieser, mochte in Ruhe sein bescheidenes Leben führen.

    „Königliche Hoheit, verzeiht mir meine Frage, aber wie wollen Sie den Markgrafen davon überzeugen, sich dem Geheimsekretär seines Vaters anzuvertrauen? Ich denke, beide stehen auf keinem guten Fuß miteinander!"

    Meine Freundin lächelte mich verschmitzt an:

    „Glauben Sie mir, wenn Wir mit Unserem Gatten fertig sind, wird er nur so nach Ellrodts und Unserer Hilfe lechzen!"

    „Wie wollt Ihr das erreichen, Prinzessin?", mischte sich jetzt die Sonsfeld ein, die der Entwicklung des Gesprächs aufmerksam gelauscht hatte.

    „Nun, Unsere liebe Hofdame Wilhelmine von Marwitz, Ihre Nichte, ist doch gut bekannt mit der Tochter des Ministers Fischer!"

    „Sehr wohl, Königliche Hoheit! Aber was hat das damit zu tun?"

    „Das ist nicht so schwer, ma chère!, wandte sich diese nachsichtig an die ältere Dame, der hier offensichtlich die Fantasie fehlte. „Wir werden dem Herren durch Ihre Nichte einige erfundene Informationen über die Absichten des Markgrafen zukommen lassen, die diesem kleinen ehrgeizigen Emporkömmling solange quälen, bis er den Markgrafen in seine Schranken verweist. Dann ist Unsere Stunde gekommen!

    „Raffiniert!", dachte ich anerkennend und war ehrlich beeindruckt von der Weitsicht Wilhelmines. Sie hatte die Intrige wie ein Schachspiel, Zug um Zug, vorausgedacht und setzte nun ihre Figuren in Bewegung, den König ins Matt zu treiben.

    Doch diese Partie um die Macht eröffnete der Staatsrat nicht minder geschickt und vor allem als Erster. Als ich mich anschickte, mit Ellrodt im Geheimen Fühlung aufzunehmen, musste ich erkennen, dass die Regierung ihren einzigen ernst zu nehmenden Gegenspieler neben der Prinzessin bereits aus Bayreuth fortgeschickt hatte, mit der Auflage, er solle sich hier nie mehr blicken lassen. Es dauerte einige Zeit, bis ich seinen neuen Aufenthaltsort in Erfahrung bringen konnte. Der Mann hatte sich in seinen Heimatort Wunsiedel zurückgezogen. Wieder einmal konnten wir niemandem trauen, außer uns selbst, und so machte ich mich unauffällig auf den Weg in die kleine Stadt im nordöstlichen Teil der Markgrafschaft, die nahe der Grenze zum Königreich Böhmen lag. Wilhelmine ersuchte ihren Bruder um Hilfe, denn sie befürchtete ernstliche Probleme, da sie es nicht geschafft hatte, in Bayreuth Sympathien, geschweige denn eine eigene Hausmacht zu etablieren. So suchte sie Halt in der alten Heimat und bat dort um Unterstützung. Als sie mich fragte, welche Person ich gerne an unserer Seite wüsste, fiel mir nur ein Name ein: Karl von Tann!

    Wenige Tage nach dem Tod des alten Markgrafen zog ich auf einem gutmütigen Gaul gen Goldkronach, wo ich eine billige Kutsche zu finden hoffte, die meinen Corpus den Rest des Weges komfortabel nach Wunsiedel brachte. Die ganzen zweieinhalb Tage Reisedauer traute ich mir auf einem Pferd sitzend nicht zu und eine Abreise aus Bayreuth mit Wagen wäre für misstrauische Beobachter nur auffällig gewesen.

    Von unserem treuen Hans Bock, Wilhelmines Kammerdiener begleitet, merkte ich schon nach zwei Stunden im Sattel schmerzlich, wie sich die Vorahnungen, mein Sitzfleisch betreffend, in die Tat umsetzten. Die gewählte Route via Goldkronach und Bischofsgrün war zwar länger als durch das Tal der Warmen Steinach, jedoch war es nicht notwendig, Bayreuther Territorium zu verlassen, was unter Umständen Formalitäten und somit unvorhersehbare Verzögerungen bedeutet hätte.

    Nach einem halben Tag des Rumgehoppels stieg ich eine Stunde vor Goldkronach von meinem Tragetier, weil mich mein wundes Gesäß schier in den Wahnsinn treiben wollte. Die Nacht verbrachten wir in einem Gasthaus, in dem ich glücklicherweise eine fast ungezieferfreie Matratze vorfand. Während ich mich meinem Allerwertesten widmete, den ich nicht recht betten konnte, suchte Bock nach einer Reisemöglichkeit, die meiner Konstitution besser entsprach. Doch der erhoffte Wagen war in dem Städtchen nicht aufzutreiben. Mir blieb also nichts anderes übrig, als mich am nächsten Morgen erneut auf meine Rosinante zu schwingen und in Richtung des Weißen Mains zu ziehen, dem wir dann flussaufwärts nach Bischofsgrün folgen wollten. Es war dies der meist genutzte Pass über das Fichtelgebirge. Als wir uns dem Austritt des Weißen Maines aus dem Gebirge näherten, durften die Ohren aus der Ferne einen Lärm vernehmen, den ich zunächst nicht zuzuordnen wusste. Es war ein Stampfen und Pochen, welches dumpf widerhallte. Beim Näherkommen erblickte ich am Flusslauf ein sogenanntes Pochwerk, welches mit Wasserkraft betrieben, durch senkrecht auf- und niederarbeitende Hämmer Erz zerkleinerte, das zwei Arbeiter mit ihren Schaufeln unter die wuchtigen Schlägel schütteten. Ich hätte mir am liebsten die Ohren zugehalten, jedoch ich brauchte beide Hände, um meinen scheuenden Gaul im Zaum zu halten. Es war überraschend, noch eines jener technischen Wunderwerke in Betrieb zu sehen, hielt ich doch den Bergbau in dieser Region für zum Erliegen gekommen. Offenbar bemühte sich die vor rund 70 Jahren gegründete Bergbaugesellschaft unverzagt, den umliegenden Gebirgen Schätze abzuringen. Wie mühselig dies sein musste, ersah ich daran, da nur dieses eine Pochwerk in Betrieb war, die Übrigen aber, denen ich unterwegs ansichtig wurde, bereits seit Langem dem Verfall preisgegeben schienen. Wir schwenkten auf die Passstraße ein und von nun an ging es stetig bergauf. Ich grübelte noch eine ganze Weile über den wider Erwarten in Betrieb befindlichen Bergbau und fragte mich, warum es um die Staatsfinanzen so schlecht stehen sollte, wenn hier noch Gold gefunden und verarbeitet wurde. Unwillkürlich kam mir der Staatsrat in den Sinn, der in großem Wohlstand lebte, größer als man dies bei der bescheidenen Herkunft der Regierungsmitglieder erwarten mochte.

    Wir folgten dem rauschenden Gebirgsbach, der mal auf der einen, mal auf der anderen Seite des Weges toste, offenbar belebt durch die starken Regenfälle der vergangenen Tage, die nun aber einem schönen Frühsommertag wichen. Es waren nur etwas mehr als eineinhalb preußische Meilen bis zu dem kleinen Ort am Scheitelpunkt des Gebirges, in dem wir die Nacht verbringen wollten, aber der steile und zum Teil abenteuerliche Weg machte das Vorwärtskommen mühsam. Nicht zuletzt die Tatsache, dass ich gelegentlich meine eigenen Beine benutzen musste, um mich nicht ganz durchzureiten, senkte unsere Reisegeschwindigkeit erheblich. Immer wieder trafen wir auf Relikte des Bergbaues in Form von verfallenen oder heruntergekommenen Hammerwerken und Schmelzöfen. Die Anwesenheit von Minen und Stollen verrieten uns nur Pfade, die dann und wann von der Straße abzweigten und ins Nirgendwo zu führen schienen. Mir wäre der Sinn dieser getrampelten Wege verborgen geblieben, hätte man nicht zuweilen auffällig kleinwüchsige Männer oder Knaben auf diesen auftauchen sehen, ein Tragtier an der Leine, beladen mit Kiepen voll Gesteinsbrocken. Das waren also die berühmten Zwerge, die jedes Kind aus den Märchen kannte. Sie waren nicht nur klein, auch wiesen ihre Körper zum Teil Anomalien auf, wie sie lediglich durch jahrelange unnatürliche Haltung und schwerste körperliche Arbeit entstehen konnten. Man hörte die Bergleute schon eine ganze Zeit, bevor man sie erblickte. Ein regelmäßiges Husten verriet ihren Weg, den wohl der Steinstaub unter der Erde verursachen mochte, dem sie ständig ausgesetzt waren. Da der Bergbau seit dem letzten großen Krieg, der vor nun fast 90 Jahren endete, in dieser Region deutlich zurückgegangen war, hatte sich der Waldbestand wieder erholt. Trotzdem waren noch ganze Berghänge ohne Gehölz oder nur mit Jungwald bewachsen. Der hohe Bedarf an Brennholz für die Schmelzöfen hatte das Gebirge ursprünglich fast gänzlich entwaldet. Das Land war rau, von unnatürlicher Schönheit. Immer wieder waren auf den Gipfeln oder zwischen den Bäumen graue Felsen oder gar ganze Felsenmeere sichtbar, die, so schien es, von einem verrückten Riesen wirr und sinnlos in der Landschaft verteilt worden waren. Einige Formationen sahen sogar aus wie Säcke, die man aufeinandergestapelt hatte, nur viel gewaltiger. Fast alles war von Moosen und Flechten in den verschiedensten Grüntönen bewachsen und stellte man sich herbstliche Nebel vor, war es kein Wunder, wenn die Menschen sich Geschichten von Elfen und Waldgeistern erzählten. Die Winter hier oben waren lang, die Sommer kurz, die Lebensbedingungen der Menschen entsprechend rau und prägend. Ohne den Bergbau wäre wohl keine Menschenseele jemals auf die Idee gekommen, allhier zu siedeln.

    Am späten Nachmittag erreichten wir erschöpft Bischofsgrün, welches zwischen den beiden wohl höchsten Erhebungen der Gegend eingerahmt lag. Unsere kleine Reisegesellschaft kam in der Ortsmitte in einem kleinen Gasthaus unter, welches sich hygienisch deutlich von dem unterschied, was wir gewohnt waren, doch der Erschöpfungsschlaf ließ mich die blutgierigen Bestien der Matratze schnell vergessen.

    Endlich, am Abend des darauffolgenden Tages, ritten wir in Wunsiedel ein. Ausgelaugt fiel ich auf ein Bett, in dem einen die Flöhe nicht gleich in Scharen anfielen, wenn man sich auf den von ihnen beanspruchten Lebensraum legte.

    Ein dezentes Klopfen weckte mich am Morgen.

    „Hochgeboren?"

    „Was ist, Bock?", fuhr ich aus meinem Schlaf mit krächzender Stimme auf. Ich hatte die Nacht tot verbracht und kam nur mühsam zu mir.

    „Die Uhr hat neun geschlagen! Herr Ellrodt wartet bereits darauf, von Ihnen empfangen zu werden!"

    Der tüchtige Bock hatte Ellrodt schnell ausfindig gemacht und dieser war offenbar ohne große Umstände dem Kammerdiener in meine Unterkunft gefolgt.

    „Schicken Sie mir eine Magd herauf, damit sie mir beim Ankleiden behilflich sein kann und vertrösten Sie Ellrodt noch einen Augenblick. Lassen Sie ihm ein Frühstück bringen oder tanzen Sie ihm etwas vor, nur verschwinden darf er nicht wieder, ich beeile mich!"

    Schnell riss ich die Decke von mir und stellte meine bloßen Füße auf die blank gescheuerten Dielenbretter. Schon klopfte es und das Dienstmädchen erschien mit einer Kanne heißem Wasser, welches sie in die Waschschüssel vor dem Spiegel goss. Ich mühte mich auf, wobei ich tunlichst vermied, meinen Hintern zu sehr zu belasten. Eine Katzenwäsche musste reichen. Mit einer Rosshaarzahnbürste fegte ich eilig über meine Beißwerkzeuge und spülte mit einem Kräutersud nach. Die Magd half mir, die Kleider anzuziehen. Dann noch schnell ein wenig Puder, Schminke und Duftwässerchen. Zum Schluss die Perücke auf das wirre Haar gesetzt und nach nur einer Stunde war ich soweit hergestellt, um das Objekt Wilhelmines Begierde, ihre Geheimwaffe um die Macht im Fürstentum, zu empfangen.

    Es klopfte und auf mein grobes „Herein" hin erschien Ellrodt in der Tür. Es war ihm anzusehen, dass er sich beeilt hatte, Bocks Einladung zu folgen. Das frische, pfiffige, aber blasse Gesicht war weder gepudert noch in sonst einer Weise verschönt und sein kurzes rotes Haar musste an diesem Morgen ohne Haarteil zurechtkommen. Ich winkte den Mann näher und bedeutete ihm dann, sich mir gegenüber zu setzen. Der ehemalige Geheimsekretär mochte damals die Dreißig noch nicht ganz erreicht haben, vielleicht war er zwei oder drei Jahre jünger als ich. Seine Unterlippe gestaltete sich wulstig, die Oberlippe hingegen schmal. Von der Statur her enttäuschte der Mann die Erwartungen an einen Juristen und Studierten keineswegs. Den prüfenden Augen eines Soldatenkönigs wäre der schmächtige Körper sicherlich unangenehm aufgefallen. Ellrodts Blick hingegen zeugte von einem scharfen Verstand hinter der blassen Stirn. Er zeigte keinerlei Anzeichen von Unruhe oder Nervosität, einzig sein frühes und übereiltes Erscheinen, vor allem aber seine unfertige Aufmachung, ließen mich etwas anderes vermuten.

    „Vielen Dank für Ihr schnelles Kommen, wenn es auch dieser Hast nicht bedurft hätte!"

    „Bitte verzeiht, Madame, wenn ich Ihnen nach der anstrengenden Reise Ungelegenheiten bereite. Wenn Sie es wünschen, werde ich Sie gerne zu einem späteren Zeitpunkt aufsuchen!"

    Ellrodts Stimme schnurrte angenehm sanft und leise. Ich wiegelte mit meiner Hand ab.

    „Das ist sehr aufmerksam, aber ich möchte Ihnen nicht die Zeit dadurch stehlen, indem ich Ihnen ein erneutes Kommen zumute!"

    „Das ist sehr gütig von Ihnen, Madame!"

    „Ihre Abreise aus Bayreuth war ein wenig überstürzt, man hat Sie vermisst!"

    „Das ist sehr freundlich, wenn Sie es so sehen, Freifrau von Krönitz. Doch nach dem Tod des Markgrafen hatte ich keine Veranlassung zu bleiben, es gibt niemanden, der mich ernstlich missen würde!"

    „Trotzdem war Ihre Abreise mehr als überstürzt. Der neue Markgraf hat Sie, glaube ich, nicht aus den Diensten entlassen?!"

    „Oh, Madame!, antwortete Ellrodt gespreizt. „Dazu benötigt es nicht die Entlassung durch den Fürsten, der Staatsrat entscheidet über dieses Amt, über alle Ämter!

    „Der Staatsrat entscheidet, wer der Geheimsekretär des Markgrafen ist? Das halte ich für nicht ganz nachvollziehbar!"

    „Nun, in diesem Fall hat er auch nicht die Benennung eines Sekretärs entschieden, sondern dessen Entlassung!"

    „Das kommt auf dasselbe heraus!"

    „Der Bayreuther Staatsrat maßt sich dieses Recht an! Hat mich der alte Markgraf noch selber ausgewählt, wird Friedrich nicht mehr diesen Komfort genießen, die Regierung kann dieses Risiko nicht eingehen! Die Herren werden eine eigene Kreatur einsetzen!"

    „Sie haben keine gute Meinung von diesen Menschen?"

    Der Mann bürgerlicher Herkunft musste lachen, es klang resigniert.

    „Wer möchte schon meine Meinung hören? Aber diese Leute wissen sich gut einzurichten, um ihre Pfründe zu hegen. Da kommt ihnen der neue Markgraf gerade recht. Sie machen eine Marionette aus ihm, die sich mit ein wenig Kleingeld abspeisen lässt!"

    „Das sind gewichtige Anschuldigungen, mein Lieber!"

    „Ich könnte sie stichhaltig belegen!"

    „Und warum sind diese Menschen dann noch in ihren Ämtern?"

    „Markgraf Georg Friedrich war zu bequem, sich selber um die Geschäfte zu bemühen. Er war auf diesem Ohr taub, auch durch seinen Pfaffen, der ihm immer einredete, man solle sich als Fürst mit irdischen Dingen wie Geld nicht die Finger schmutzig machen, er müsse sich vielmehr auf die höheren Werte besinnen! Zudem sind die Herren vom Rat durchaus geschickte Schmeichler und Dampfplauderer, die jeden zu überzeugen wissen, der nicht die Hintergründe genau kennt!"

    „Und Sie kennen diese Hintergründe?"

    Ellrodt nickte knapp, aber entschieden.

    Ich wollte nicht weiter in seine Geheimnisse dringen, jedoch glaubte ich es ihm aufs Wort. Das war es also, was den Mann für die alte und nun auch neue Regierung so unberechenbar machte, seine Ahnung um die korrupten Machenschaften dieser Herren.

    „Was haben Sie nun vor, nachdem Sie offenbar nicht wieder an den Hof zurückkehren können?"

    „Vielen Dank für Ihr Interesse, Hochgeboren, aber meine Kontakte in Richtung anderer Höfe sind vielfältig und ich habe auch bereits von verschiedenen Seiten Interesse an meinen Diensten signalisiert bekommen!"

    Ich schaute ihm tief in die Augen. Nicht lange und Ellrodt senkte seinen Blick, als der ehemalige Sekretär merkte, dass er durchschaut war. Seine Hast mich zu treffen, erzählte eine ganz andere Geschichte über die derzeitigen Verhältnisse des Mannes.

    „Es wird Sie überraschen, aber Ihre Königliche Hoheit und Markgräfin hat mich gesandt, um Ihre Einstellung bezüglich des neuen Fürstenpaares zu prüfen!"

    „Freifrau von Krönitz, es mag anmaßend klingen, jedoch überrascht mich dies keineswegs. Ihre Königliche Hoheit ist eine intelligente und begabte Frau. Sie hat keinen Verbündeten bei Hofe und muss nun einen anderen Weg suchen, um dem Würgegriff der regierenden Hydra zu entkommen. Sie muss handeln, die Macht gewinnen, ihre Rechte vertreten. Und das kann sie nur, indem sie sich an Berlin wendet oder…, der Rotschopf machte hier eine vielsagende Pause, „ … sich mit Personen umgibt, die Ihre Königliche Hoheit in Staatsfragen und Staatsrecht fundiert beraten und ihr so die notwendige Basis für wirksame Gegenmaßnahmen zur Verfügung stellen. Zudem benötigt die Fürstin jemanden, der mit den Gegebenheiten bei Hofe vertraut ist und die Schnittmenge dieser beiden Notwendigkeiten bin nun einmal ich. Sie sehen also, mit ein wenig Vernunft konnte man durchaus die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass die Markgräfin sich an mich wenden würde!

    Trotz seiner angemessenen Bescheidenheit war ich von den Fähigkeiten dieses Mannes ehrlich beeindruckt. Er mochte nicht nur ein guter Jurist sein, er dachte auch politisch. Ellrodt war mit Sicherheit der richtige Mann für uns, wenn…!

    „Ellrodt! Trauen Sie sich zu, als Geheimsekretär des jungen Markgrafen in dessen Dienste zu treten? Scheuen Sie vor einer Konfrontation mit der Regierung zurück?"

    Der Blick seiner blauen Augen war fest und entschlossen, als er mich anblickte:

    „Es wäre mir das größte Vergnügen, dürfte ich Ihrer Königlichen Hoheit damit einen Dienst erweisen!"

    „Und?"

    „Was meinen Sie mit „Und?, Madame?

    „Was sind Ihre Bedingungen?"

    „Ich vertraue hier ganz auf die Prinzessin!"

    „So selbstlos?"

    „Nein, Baronin, nicht selbstlos, selbstbewusst! Ihre Königliche Hoheit wird meine Dienste schätzen, ich bin der Einzige, der der Markgräfin in ihrer Situation helfen kann. Warum also mit Forderungen einen schlechten Start unserer Zusammenarbeit riskieren?! Wiederum beeindruckte mich mein Gegenüber. „Eines ist mir jedoch noch nicht ganz klar geworden, Hochgeboren. Wie will es Ihre Königliche Hoheit anstellen, damit mich der Markgraf in seine Dienste nimmt? Er dürfte mir nicht wohl gesonnen sein, war ich doch als Sekretär seines Vaters genötigt, ihm, sagen wir ruhig, auf die Füße zu treten und seiner Neugierde an den Regierungsgeschäften entgegenzutreten. Der Fürst wollte es so! Aber seien Sie versichert, diese Notwendigkeit entsprach durchaus nicht meiner eigentlichen Überzeugung, zumal es genau die Situation heraufbeschwor, in der sich der junge Fürst nun befindet, seiner eigenen Regierung hilflos ausgeliefert!

    „Das glaube ich Ihnen gerne, Ellrodt. Die Prinzessin beabsichtigt, ihrem Gatten seine Ohnmacht und Abhängigkeit vor Augen zu führen, indem sie Situationen hervorruft, die den Staatsrat auf den Plan rufen müssen. Es sollen vom Markgrafen vorgeblich Entscheidungen über Dinge getroffen werden, die von der Regierung als ihr ureigenstes Interesse und Einflussgebiet gesehen werden, um deren Intervention herauszufordern. Dann wird der Markgraf erkennen, wie sehr er die Marionette seines Rates ist. Friedrich ist ein Tor, aber er wird schnell verstehen, dass er seine Zukunft verspielt, wenn er der Regierung nicht kompetent gegenübertreten kann. Und hierfür benötigt er genau Sie, Ellrodt!"

    „Es sollten Nichtigkeiten sein, die nach Ansicht der Regierung nur durch diese entschieden werden können, eigentlich aber dem Fürsten obliegen, habe ich Sie da richtig verstanden?"

    Ich nickte leicht und beobachtete den Mann mir gegenüber, in dessen Züge sich nun ein verschmitztes Lächeln geschlichen hatte.

    „Ellrodt, ich sehe Ihnen an, Sie haben da einige Ideen!"

    Gott sei Dank hatten wir in Wunsiedel ein Gefährt auftreiben können und so gelangte ich ohne weitere Schwierigkeiten zurück in die bescheidene fürstliche Residenz. Als ich unseren Gemächern zustrebte, empfingen mich wenige Schritte vor der Tür zu Wilhelmines erstem Zimmer Geräusche, die mich sofort an jene erinnerten, die ein Hund von sich gab, wenn man ihm auf den Schwanz trat. Der Diener am Zugang öffnete eine Hälfte der zweiteiligen Tür, denn als ein Mitglied von Wilhelmines Hof musste ich nicht erst angekündigt und hereingebeten werden. Als ich das menschenleere Empfangszimmer durchschritten hatte und das daran anschließende Große Zimmer erreichte, blieb ich erstaunt stehen. Es war kein gequälter Hund, der diese jämmerlichen Geräusche verursachte, es war Wilhelmine, die sich neuerdings in den Kopf gesetzt hatte, das Spielen der Violine zu erlernen. Vor ihr stand ein Mann mit einem weiteren Streichgerät, der nun das Kunststück fertig bringen sollte, einer Königlichen Hoheit und Markgräfin das Bedienen des empfindlichen Instruments beizubringen, ohne diese dauernd zu verbessern. Und so hörte ich ihn fast verzweifelt sagen:

    „Wunderbar, Königliche Hoheit! Ihr seid unverkennbar talentiert. Ich werde Ihnen schon bald nichts mehr beibringen können. Darf ich mir trotzdem untertänigst erlauben, Ihrer Königlichen Hoheit empfehlen zu dürfen, die hoheitlichen Finger ein wenig lockerer auf die Saiten zu legen?"

    „Bitte!", antwortete meine Herrin und um ihre Nase zuckte es unverkennbar, für jeden, der sie gut kannte, ein sicheres Zeichen, dass sie ihr Gegenüber aufzog.

    „Bitte was, Königliche Hoheit?", erwiderte der arme Mann.

    „Er wollte Uns bitten, Uns etwas empfehlen zu dürfen! Nun, dann empfehle Er es jetzt, wenn Er es nicht lassen kann!"

    Die Marwitz, die an einem Fenster stand und der Lektion beiwohnte, presste sich die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzulachen.

    „Aber…! Aber ich habe es Ihrer Königlichen Hoheit doch bereits empfohlen, ich meine das mit den Fingern und den Saiten!"

    „Hat Er nicht!, antwortete Wilhelmine gespielt überrascht. Er hat Uns lediglich gefragt, ob Er Uns das mit den Fingern empfehlen darf!

    Dem Mann traten bereits die Schweißperlen auf die Stirn und er klappte ratlos den Mund auf und zu, denn er konnte der Königlichen Hoheit schlecht widersprechen.

    „Jawohl, Königliche Hoheit, natürlich haben Sie recht, Königliche Hoheit…!"

    Nun brach es aus der Markgräfin laut schallend hervor. Der Violinenvirtuose schaute sehr drollig in seinem Bemühen, nur nicht die Etikette zu verletzen. Der Musiker wusste kaum, wie ihm geschah, entschied sich dann aber dafür, gezwungen mitzulachen, was blieb ihm auch anderes übrig. Nachdem sich die Prinzessin die Tränen aus den Augen gewischt hatte, sagte sie an ihren Lehrer gewandt:

    „Guter Mann, wenn Er Uns die Violine beibringen soll, erlauben Wir Ihm, die Wahrheit über Unser Spiel auszusprechen, sonst werden Wir noch in zwei Jahren allen Katzen der Umgebung das Fürchten lehren. Schere Er sich also nicht um die Etikette und sehe Er in Uns eine ganz normale Schülerin, na, sagen Wir besser eine fast ganz normale!"

    Der Mann mit der Stirnglatze war sehr angetan von dieser Ehre und beeilte sich von jetzt an mit höflicheren Worten als bei seinen übrigen Eleven, aber dennoch nachdrücklich, der Markgräfin das Geigen näher zu bringen.

    Nachdem das gräuliche Gekratze endlich für diesen Tag verklungen war, trat Wilhelmine lächelnd an mich heran, wobei ihr Kleid raschelnd von seiner Üppigkeit kündete. Ich knickste tief, ergriff dann die mir dargebotene Hand, diese sanft, kaum merklich für Dritte, mit meinen Lippen berührend. Nachdem ich mich wieder in der Senkrechten befand, blickte ich ihr in die Augen, etwas, was sich niemand anderes gegenüber der Prinzessin an diesem Hof anmaßen durfte. Die Wärme und Güte, die ich darin fand, ließen meinen Bauch vor Freude augenblicklich prickeln, erkannte ich doch die Liebe und Zuneigung, die keines Dichters Worte je hätten beschreiben können.

    „Luise, wie freuen Wir Uns, Sie zu sehen! Wir waren bereits in Sorge! "

    Das Veilchenparfum erreichte meine Nase und ich atmete ihren mir so vertrauten Duft fast gierig ein.

    „Verzeiht, Königliche Hoheit, aber ich konnte für die Hinreise keinen Wagen finden und so musste ich die ganze Strecke auf einem Pferd zurücklegen, eine Fortbewegung, die Fräulein von Wildenfels besser angestanden hätte!"

    „Sie Ärmste! So können Wir darauf verzichten, Ihnen einen Platz auf Unseren Stühlen anzubieten?", erwiderte sie schelmisch lächelnd.

    Zum Dank für ihr Mitgefühl knickste ich erneut.

    „Und, haben Sie Ellrodt getroffen?"

    Trotz aller hochadeligen Haltung und Freude mich wiederzusehen, die Neugierde sprang meiner Freundin fast aus dem Gesicht.

    „Er lässt Ihnen seine untertänigsten Grüße und sein tief empfundenes Beileid ausrichten. Er entbietet Ihnen und dem Markgrafen alle erdenklichen Glückwünsche …!"

    „Luise, bitte verschonen Sie Uns mit derartigen Nichtigkeiten, natürlich grüßt er Uns, was soll er auch sonst tun. Aber wie ist seine Antwort?"

    Ihre Blicke konnten nicht nur Zuneigung ausdrücken, sondern auch Unverständnis. In diesem Falle über meine Bemühungen, den Bericht mit überflüssiger Prosa anzureichern, trotz meines Wissens um ihre Vorliebe für kurze und dennoch prägnante Zusammenfassungen. Aber auch mein Blick war beredt und unsere Vertrautheit machte es möglich, dass wir uns ohne Worte verstanden. Die Markgräfin versuchte gar nicht erst weiter in mich zu dringen, sondern wandte sich augenblicklich mit einem kleinen, aber länger dauernden Auftrag an die Marwitz. Binnen Kurzem waren wir für uns alleine.

    „Nun können wir offen reden, Luise!"

    Ich misstraute der Marwitz nicht grundsätzlich, sie war gegenüber der Königlichen Hoheit ebenso loyal wie wir alle, jedoch hielt ich sie für eine kleine Plaudertasche, der im Eifer eines Gespräches mit Freundinnen durchaus das eine oder andere Interna entweichen mochte. Ich fasste nun die Quintessenz des Austausches, welchen ich mit Ellrodt geführt hatte, für Wilhelmine zusammen und vergaß auch nicht seine Vorschläge, die dem Fürsten seine Ohnmacht vor Augen führen sollten. Es waren keine großen politischen Dinge, nein, es waren absurde Kleinigkeiten, die jeder freie Mensch für sich hätte entscheiden können. Nicht so der Markgraf des Fürstentums Bayreuth, wenn es nach dem Willen seiner Regierung ging. Als ich geendet hatte, sah ich die amüsierte Verwunderung in dem langen blassen Gesicht mit den knallrot geschminkten Lippen, welches sich nur einen Schritt von mir entfernt befand.

    „Ellrodt scheint genial! Er hat tatsächlich vorgeschlagen, dafür zu sorgen, den ehemaligen Hofstaat des Verblichenen mit Geldern abzufinden?"

    „Jawohl, Königliche Hoheit!"

    „Nun, Wir hatten gestern die Gelegenheit, einem Auftritt Fischers beizuwohnen, der Unserem Gemahl sehr deutlich sagte, es falle nicht in den Aufgabenbereich des Bayreuther Markgrafen, sich um die Versorgung des ehemaligen Hofes seines Vaters zu bemühen. Die zugesagten Gelder seien viel zu hoch, zudem hätten die besagten Herren darauf keinen Anspruch. Als sich Friedrich gegen diese Bevormundung wehren wollte, verwies dieser Emporkömmling Fischer darauf, dass die Staatskasse leer sei und wolle der Markgraf seine Zusagen wirklich wahr machen, er es eben aus seiner Privatschatulle zahlen müsse!"

    Zufrieden blickte mich Wilhelmine an. Offenbar bedurfte es nicht unbedingt unserer Intrigen um Friedrich seine Entscheidungsgrenzen aufzuzeigen, er war schon von ganz alleine darauf gestoßen. Nun war es an uns, diese Misserfolgserlebnisse noch zu verstärken.

    „Und nun werden Wir in bewährter Manier einige Intrigen ins Rollen bringen, Luise, ganz so, wie es Ellrodt vorgeschlagen hat. Ach ja! Seien Sie so gut und bitten Fräulein von Sonsfeld, sie soll eine angemessene Summe aus Unserer Kasse nach Wunsiedel senden, als Anerkennung für Ellrodt. Er soll dort warten, bis Wir ihn benötigen!"

    „Sehr wohl, Königliche Hoheit!"

    „Luise!"

    „Königliche Hoheit?"

    „Bitte leisten Sie Uns heute Abend Gesellschaft, trotz der Überraschung, die Wir für Euch haben!"

    Ich war erstaunt, denn ich erwartete von Wilhelmine keine Gegenleistungen für meine Dienste. Ich diente aus Treue, Ergebenheit und vor allem aus Liebe, nicht um meines eigenen Vorteils willen. Das einzige Materielle, das ich von ihr empfing, war ein kleines Einkommen, welches der Hofdame einer Prinzessin zustand. Es reichte für meine wenigen Bedürfnisse, meine Garderobe und meinen bescheidenen Schmuck. Kost und Logis waren frei und so schaffte ich es sogar, eine gewisse Summe anzusparen. Schon wollte ich gekränkt erwidern, doch Wilhelmine kam mir zuvor.

    „Versprecht Ihr es?"

    „Ich wüsste nicht, was mich davon abbringen könnte, Ihrem Wunsch mit Freuden zu gehorchen, Königliche Hoheit!"

    Sie beugte sich leicht nach hinten und hielt die Hand vor den Mund, als sie lachte.

    „Luise, es gibt einen Grund, glauben Sie mir, und dieser Grund ist hier in diesem Schloss. Also, schwört Ihr?!"

    Ein Zucken um ihren Mund verriet, wie wenig sie ihre Vorfreude auf die Überraschung bezähmen konnte und so sagte ich ohne Umschweife:

    „Ich schwöre, Königliche Hoheit!"

    „Monsieur, bitte kommen Sie herein!"

    Sie hatte ihren Kopf in Richtung des ersten Nebenkabinetts gedreht, wobei ich ihrem Blick gespannt folgte. Die Tür öffnete sich und herein trat mit einem breiten Lächeln im Gesicht mein Freund Karl von Tann, der in seiner weißen Uniform des Kürassierregiments Gens d'armes Seiner preußischen Majestät einen auffallend adretten Eindruck machte. Diese Erscheinung blendete mich fast, so deplatziert wirkte ein kurbrandenburgischer Offizier an diesem Hof. Tann griff nach seinem schwarzen Dreispitz mit den goldenen Rändern, vollführte damit einige elegante Schnörkel in der Luft und ließ dann einen tiefen Diener folgen.

    „Erheben Sie sich, lieber Rittmeister und leisten Sie uns für den Augenblick Gesellschaft!"

    „Rittmeister, so, so!, begrüßte ich unseren Freund mit einem süffisanten Lächeln. „Wer ist denn alles vom Pferd gefallen, da man ausgerechnet Sie für den Eskadronsführer ausgewählt hat?

    „Charmant wie immer, meine Liebe. Aber es ist alles mit rechten Dingen zugegangen. Ich musste dem Kronprinzen jedoch versprechen, Sie für seine Armee zu gewinnen, da Ihre Spottlust so ätzend ist, dass sie für jeden Gegner unerträglich wäre. Er beabsichtigt Sie, zusammen mit anderen Spottweibern anstelle der Artillerie einzusetzen!"

    Wilhelmine gluckste und so war ich für den Moment abgelenkt. Als ich mich wieder Tann zuwandte, stand dieser direkt vor mir und ehe ich mich versah, hatte er seine Arme um mich gelegt und drückte mich fest an sich.

    „Karl! Ihre Königliche Hoheit, das schickt sich nicht!"

    Wieder musste Wilhelmine lachen, sie hatte sichtlich Spaß an ihrer Überraschung. Ich schob meinen Freund mit aller Kraft von mir. Täuschte ich mich oder zwinkerten Wilhelmine und von Tann amüsiert miteinander?

    „Sie haben die Wette gewonnen, Königliche Hoheit. Luise hat tatsächlich so reagiert, wie Sie es vorhergesagt hatten. Ich gestehe, niemand kennt die Baronin besser als Sie, Prinzessin!"

    Schleunigst versuchte ich das Thema zu wechseln:

    „Wie kommen Sie eigentlich hier her?"

    Meine Stimme war harsch, fühlte ich mich doch durch die Vertrautheit meiner beiden Freunde irgendwie außen vor. Doch anstelle Karls antwortete Wilhelmine.

    „Wir haben Unseren Bruder gebeten, eine zuverlässige Person zu senden, die Uns treu ergeben ist und hier, wie auch immer, von Nutzen sein kann. Wie Sie sich erinnern, hatten Wir Sie vor einiger Zeit nach einem geeigneten Herrn gefragt. Friedrich war so freundlich und entsprach Unserem Wunsch. Er delegiert den Rittmeister für einen Monat!"

    „Offiziell soll ich die Kavallerie der russischen Truppen besuchen, die in Kürze in Vilseck, also gar nicht weit von hier, erwartet wird. Sie wollen das Reich am Rhein gegen die Franzosen unterstützen (im heute sogenannten Polnischen Erbfolgekrieg). Inoffiziell bin ich von allen Pflichten für diesen Monat entbunden und stehe der Königlichen Hoheit zur Verfügung. Sie müssen also meine Anwesenheit so lange ertragen, Luise!"

    Mittlerweile hatte ich mich wieder gefangen und antwortete:

    „Na, da kann man wohl nichts machen, Herr Rittmeister!", und stumpfte ihn mit dem Ellenbogen freundschaftlich in die Seite, wobei mein Grinsen immer breiter wurde.

    Karl und ich erzählten uns viel. In der Berliner Zeit hatten wir gemeinsam mit der Prinzessin so einiges ausgeheckt, um uns unserer Haut zu wehren. Solche Erfahrungen verbanden und somit war der Rittmeister der einzige Mensch, dem ich, neben Wilhelmine, wirklich alles anvertrauen konnte und ihm ging es mit mir ganz ähnlich. Nachdem die ersten flachsigen Wiedersehensnettigkeiten ausgetauscht waren, sprachen wir auch über ernste Themen: Politik, die Königsfamilie und über uns persönlich. So gestanden wir, unser Liebesleben habe in letzter Zeit den Namen kaum noch verdient. Seine Amouren blieben nur flüchtig, wobei er sich nichts sehnlicher als eine dauerhafte Beziehung wünschte, was natürlich trotz aller Toleranz der Gesellschaft nicht möglich war. Auch meiner Liebe war ich in den letzten Monaten weniger nah, als es mir lieb gewesen wäre. Nicht, dass mir der Markgraf häufig in die Quere gekommen war, dazu hatte sich das fürstliche Paar seit dem Tod des alten Markgrafen und schon davor zu sehr auseinandergelebt. Es war Wilhelmine selbst, die weniger das Bedürfnis danach hatte. Sie mochte unsere Intimität, genoss die körperliche Nähe. Einzig es blieb bei Zärtlichkeiten.

    „Luise, Sie waren doch stets immer so erfinderisch, wenn es um Ihre Libido ging. Was ist mit Ihnen los?"

    „Ach Karl, es ist nicht mehr so einfach. Bayreuth ist zu klein, um sich hier Liebschaften dieser Art aufzubauen. Im Gegensatz zu Berlin oder Dresden wäre das mein gesellschaftlicher Tod. Käme davon etwas heraus, ich müsste Wilhelmine verlassen, hätte gar ihren Ruf ruiniert!"

    „Dann verreisen Sie doch einfach einmal inkognito. Die Welt ist voller schöner Wesen!"

    „Aber keines dieser Wesen wartet auf mich, der Lack ist ab!"

    „Oh, meine Liebe, ich finde Euch unerwartet selbstkritisch. Ihr seid keine fette Matrone. Die kleinen Falten stehen Ihnen gut, Ihre Figur ist die einer jungen Frau und Ihr langes, dunkelblondes Haar mit den sanften Wellen der hiesigen Hügellandschaft…!"

    Ich blickte ihn vorwurfsvoll an, schätzte ich doch keine Lobhudeleien, am wenigsten von einem Freund. Er hatte mein natürliches Haar noch gar nicht zu sehen bekommen, seitdem er in Bayreuth weilte. „Sie sind attraktiv, Luise, auch wenn Sie ein wenig voller geworden sind, Ihre Haut nicht mehr ganz so straff. Probieren Sie es aus, Sie werden Ihre Wirkung nicht verfehlen! Dankbar lächelte ich Karl an und nahm seine Hand in die meine. „Und Sie sind nicht so gebunden wie ich!, führte er seine Argumentation fort.

    „Wie meinen Sie das, lieber Freund?"

    „Nun, Sie haben mir dereinst Ihr Vertrauen geschenkt und über Ihre Erfahrungen mit Männern gesprochen. Das wäre doch auch noch eine Möglichkeit, ein kleiner Ausweg."

    Ich lachte ein wenig beschämt.

    „Männer, ja. Bei einem war ich betrunken, bei dem anderen verzweifelt. Ach ja, bei noch einem war es zusammen mit meiner Prinzessin, das war nur etwas Halbes! Meine ekstatische Frankfurter Erfahrung behielt ich für mich. „Aber wenn Sie schon darauf anspielen, Karl, wären Frauen nicht auch der letzte Ausweg für Ihre Probleme?

    „Gott bewahre, nein!"

    „Haben Sie es schon einmal probiert? So schlimm sind wir eigentlich gar nicht!"

    „Ja, einen Verführungsversuch hat es einmal gegeben. Sie nannte das später verzweifelt sein!"

    Er machte dabei ein so unglückliches Gesicht und ich musste unwillkürlich lachen.

    „Verzeihen Sie mir, Karl. So hatte ich das nicht gemeint!"

    Für einen ganz kurzen Augenblick sahen wir die Seele des anderen, hörte die Welt auf, sich um uns zu drehen. Ich erinnerte mich wieder an meine Bemühungen, Karl für mich zu gewinnen, für eine Ehe und die Überraschung, als wir beide erkennen mussten, dass sich unsere Körper trotz der tiefen Sympathie gegenseitig abstießen.

    Ich wusste nicht wie, wir lagen uns plötzlich in den Armen. Ich spürte das ungewohnte Kratzen seiner Bartstoppeln auf meiner Haut.

    „Luise! Luise!, brummte er mir mit fast erstickter Stimme in die Coiffure und wiegte mich dabei wie ein Kind sanft hin und her. „Ich weiß, wir wären füreinander bestimmt gewesen. Wir haben uns beide für ein anderes Leben entschieden, eines, welches unseren Neigungen besser entspricht. Jetzt stehen wir mit leeren Händen da!

    Nun, ich war ein wenig überrascht von dem an ein Vermächtnis erinnerndes Resümee unser beider Leben. Als so düster hatte ich das meine bisher noch gar nicht empfunden. Aber Karl hatte natürlich keinen festen Halt in seinem Dasein, wie ich einen in Wilhelmine fand, eine Tatsache, die seine depressive Phase erklären mochte, nach der es ihm nun augenscheinlich gelüstete. Ich strich dem Freund über das Haar, vielmehr über dessen Restbestände und suchte ihn mit gemurmelten Worten aufzumuntern. Selbstverständlich hatte Karl nicht unrecht, wir wären ein schönes Paar gewesen, mit Sicherheit auch ein glückliches. Es hätte uns an nichts gemangelt, denn über das einzige Thema, bei dem wir anderer Meinung waren, konnten wir offen sprechen. Vielleicht hätten wir das auch mit Kindern hinbekommen. Aber dies war nun Vergangenheit, nicht mehr nachzuholen, zumindest was meine Seite anbetraf. Ich hätte niemals meine Wilhelmine verlassen, was ich gemusst hätte, denn eine Frau folgte stets ihrem Mann. Auf der anderen Seite wäre es für Karl nie infrage gekommen, seine Karriere als Offizier aufzugeben und die war in Bayreuth nicht fortzusetzen. Aber vielleicht konnte ich ihm ein wenig helfen, sagen wir, ein breiteres Spektrum an potenziellen Partnern zu akzeptieren, so wie ich es konnte. Und ehe ich recht wusste, was ich tat, säuselte ich:

    „Möchten Sie es noch einmal mit mir probieren? Wir lassen uns Zeit und vielleicht…?"

    „Ich wusste, Sie würden das sagen, liebe Freundin und dieses Angebot beweist mir Ihre Wertschätzung. Ich befürchte nur, ich könnte Euch durch ein unbotmäßiges Verhalten meines Körpers beleidigen! Würden Sie denn dieses Opfer für mich erbringen wollen?"

    Ich legte ihm meinen Zeigefinger auf den Mund.

    „Opfer…?"

    Wilhelmine hatte mit Hilfe der nichts ahnenden Marwitz den ersten Köder für ihre Intrigen gegen den eigenen Gemahl ausgelegt und Fischer schnappte nach ihm wie der Fisch nach einem Wurm.

    „Die Regierung verbittet sich die Einmischung des Markgrafen bei der Besetzung von Hof- und Regierungsämtern, man wird den Fürsten in Bälde über die Absichten informieren, damit er formell seine Zustimmung geben kann!"

    Friedrich wusste gar nicht, wie ihm geschah, als Fischer ihn diesbezüglich aufsuchte und ihm das vermeintlich geltende Reglement klar vor Augen führte. Der junge Markgraf war so überrascht von der Schärfe dieser Protestnote, er vergaß ganz darauf hinzuweisen, wie wenig ihm dergleichen vorschwebte.

    Den zweiten Happen legte Wilhelmine höchstselbst aus, indem sie bei einem Abendessen die Bemerkung fallen ließ, es gezieme einem Fürsten seine Herrschaft durch eine ordentliche Jagd zu unterstreichen. Je größer die Jagdgesellschaft und die Menge des zur Strecke gebrachten Wildes, desto höher der Ruhm des Herrschers. Dies leuchtete unserem Einfaltspinsel sogleich ein und sein freundliches Gesicht glänzte augenblicklich vor Jagdlust. Als er allerdings mit den Planungen für eine heroische Hatz beginnen ließ, musste er sich von seiner Regierung erklären lassen, der Fürst habe zwar als einziger das Recht auf die Jagd, die Regierung sei aber für die Organisation und Finanzierung zuständig. Und diese Regierung teile ihm mit, für ein solches Pläsier stünden keine Gelder zur Verfügung.

    Zur Vorbereitung des dritten Schlages bemühte ich mich selbst zu Voigt, um ihm den Köder in mundgerechten Happen darzureichen. Voigt, ich muss es gestehen, hatte damals aufgrund seiner Rolle in der korrupten Regierung bei mir sehr an Ansehen verloren. Natürlich hatte ich grundsätzlich dafür Verständnis, wenn man seine eigenen Vorteile zu optimieren suchte. Es ist nichts Außergewöhnliches und ich möchte nicht als ein Moralapostel verstanden werden. Hier aber kamen Voigt und die übrige Regierung den Interessen meiner Herrin ins Gehege und aus diesem Grund legte ich mit Freude Voigt ein Ei in sein Nest, welches dessen kunstvolles Geflecht aus Lügen, Halbwahrheiten, Intrigen und Abhängigkeiten entzweien sollte. So nutzte ich die Möglichkeit bei einem unserer gemeinsamen Spaziergänge, um dem Minister und Oberhofmeister eine einmalige Gelegenheit für persönliche Vorteile zu offerieren.

    „Wie geht es Ihrer Königlichen Hoheit?", begann Voigt nach den üblichen aber, langwierigen Einleitungsfloskeln den Rahmen für das eigentliche Thema unseres Zusammentreffens abzustecken.

    „Nun, das wissen Sie doch am allerbesten, Voigt. Ist es nicht Ihre Regierung, die einen Keil zwischen die Prinzessin und den Markgrafen treibt? Sie leidet sehr darunter!"

    „Liebe Baronin, ist es nicht auch die Markgräfin selbst, die entzweit? Sie verhält sich Friedrich gegenüber derart arrogant, es ist ihm eine wahre Freude, mit der Hilfe seiner Berater endlich zeigen zu können, wer wirklich der Herr ist und dass er sich durch niemanden beeinflussen lässt, am wenigsten durch Brandenburg-Preußen!"

    Ich war doch ein wenig überrascht von der Verdrehung der Tatsachen, aber natürlich gestaltet sich jeder seine eigene Realität und die des Herrn Voigt konnte nur so aussehen, ansonsten hätte er die eigene Politik nicht rechtfertigen können.

    „Meine Herrin vertritt nur ihre eigenen Interessen, Herr Minister! Der König spielt hierbei keine Rolle, dies kann ich Ihnen versichern!"

    „Der König nicht, das glaube ich Ihnen gerne. Aber künftig wird es der Kronprinz sein, der die Geschicke Brandenburgs und Preußens leiten wird und ich muss Ihnen nicht erklären, wie die königlichen Geschwister zueinanderstehen. Ihre Königliche Hoheit wird alles für ihren Bruder tun. Hierin liegt die Gefahr für unser kleines Land! Das Gebaren des Kronprinzen bei seinem letzten Besuch hat mich mehr als nachdenklich gestimmt! Er wird eine Bedrohung für den Frieden im Reich sein und versuchen, Bayreuth in die künftigen Konflikte mit hineinzuziehen. Es gilt zu verhindern, dass die Markgräfin durch ihre Ergebenheit dem Bruder gegenüber den Markgrafen in die preußischen Arme und Bayreuth in den Untergang treibt!"

    Ich muss zugeben, ich war von diesem Argument wirklich beeindruckt, hatte ich Voigt doch einen solchen Weitblick nicht zugetraut. Aber mir lag das Glück meiner Wilhelmine näher als das des kleinen Fürstentums und so sah ich gar nicht ein, mich von Voigts Weisheiten überzeugen zu lassen.

    „Glauben Sie bitte nicht, Voigt, Ihre Königliche Hoheit sei eine solche Närrin und erkenne nicht, welch ein Rüpel ihr Bruder ist. Ich kann Ihnen im Vertrauen sagen, die Prinzessin steht in letzter Zeit seinem Verhalten durchaus deutlich kritischer gegenüber. Sie haben eben seinen vergangenen Besuch erwähnt. Am härtesten traf sein anmaßendes Gebaren meine Herrin, für sie brach eine Welt zusammen. Nein, ich teile nicht Ihre Meinung, sie wird sich ihm nicht bedingungslos unterwerfen. Wilhelmine liegt ihr Fürstentum ebenso am Herzen wie dem Markgrafen oder der Regierung!"

    „Ich bin froh, dies zu hören, Freifrau von Krönitz, zumal ich Ihren Einschätzungen voll vertraue!"

    „Trotzdem befindet sich …, fuhr ich ungerührt fort, „… Ihre Königliche Hoheit mental auf einem Tiefpunkt. Sie fühlt sich von aller Welt verlassen. Sie wäre um jedes Zeichen einer treuen Hand dankbar, würde es sicherlich reich durch ihre Gunst belohnen!

    „Spielen Sie auf mein Verhältnis zur Markgräfin an, Freifrau von Krönitz?"

    „Möglich. Ich weiß, sie fühlt sich besonders von Ihnen verlassen!, versuchte ich es nun auf die gefühlsbetonte Art. „Hat sie nicht alles getan, um Sie zu begünstigen? Sie waren ihr stets ein guter Freund. Nun hat sie den Eindruck, Sie hätten sich von ihr abgewendet!

    „Ich diene dem Land und meinem Fürsten, Hochgeboren. Aus den eben genannten Gründen sah ich mich veranlasst, Königliche Hoheit ein wenig zu vernachlässigen, ich fürchtete durch sie den Berliner Einfluss!"

    Welch eine Pathetik, welch eine Heuchelei! Mein langer Blick ließ den Mann unsicher werden. Diente er nicht in erster Linie sich selber, indem er ein gnadenloser Opportunist war? Bis vor Kurzem stand er dem Berliner Hof noch sehr nahe, als Informant und Bayreuther Günstling des Königs. Hatte dieser damals nicht aus jenen Gründen Voigts Ernennung zum Oberhofmeister betrieben? Beim Kronprinzen war es um sein Ansehen nicht so gut bestellt und so vertrat der Bayreuther Ministeriale angesichts eines wahrscheinlich baldigen Dahinscheidens des Soldatenkönigs nun eine andere Linie. Es schadete also nicht, mit dem Kronprinzen zu drohen, den er offensichtlich fürchtete.

    „Haben Sie einmal darüber nachgedacht, dass, wenn Sie wieder bei Ihrer Königlichen Hoheit in Gnaden wären, Sie es auch mit ihrem Bruder, dem Kronprinzen, einfacher hätten? Es wäre Ihrem Einfluss in Berlin durchaus förderlich! "

    „Sie widersprechen sich, Baronin! Haben Sie eben nicht noch behauptet, die Markgräfin stehe ihrem Bruder kritisch gegenüber?"

    „Natürlich! Aber deswegen wenden sich die Königskinder nicht gänzlich voneinander ab. Sie sind immerhin Geschwister, die durch ein gemeinsames Schicksal verbunden sind! Trotzdem bleibt unsere Fürstin ein unabhängiges Wesen, die nicht nach der Pfeife ihres Bruders tanzt. Nun war es an Voigt, eine nachdenkliche Pause einzulegen. Auf diese Weise hatte ich Zeit, meine nächste Salve genau zu platzieren. „Nach wie vor schätzt der Kronprinz jeden, der seiner Schwester wohl gesonnen ist und schenkt ihm seine eigene Gunst. Ich weiß, die Fürstin berichtet in ihren Briefen an Friedrich sehr ausführlich über die Menschen, die ihr einen Gefallen erwiesen haben! Und über die, die ihr nicht wohlwollen!, spitzte ich meinen Dolch noch ein wenig an.

    „Was ist denn derzeit die größte Sorge der Prinzessin, abgesehen von ihren Zwistigkeiten mit dem Markgrafen?", wollte Voigt, nun plötzlich ganz der Fürsorgliche, wissen.

    „Die Kunst und Kultur an diesem Hofe. Deren Förderung ist ihr ein großes Anliegen, jedoch es fehlt ihr an den notwendigen Mitteln. Sie wagt es nicht, von ihrem Gemahl mehr Geld zu fordern, weiß sie doch um die klamme Situation der Staatskasse. Sie fügt sich der Staatsräson und der Sparsamkeit, sie ist es von Berlin nicht anders gewohnt! Einzig, es wäre ihr größtes Glück, ein Ensemble und Orchester für den Glanz dieses Hofes beschäftigen zu können. Wie auch immer, es wird ein unerfüllbarer Traum bleiben!", drückte ich weiter auf die Tränendrüse.

    Dann wechselte ich das Thema, damit die Theatralik nicht überhandnahm. Der gemeinsame Spaziergang endete mit einem überaus nachdenklichen Voigt.

    Es dauerte nicht lange und ich konnte die direkten Auswirkungen meines Gesprächs mit dem Oberhofmeister in einem Drama beobachten, das auf den Schauspielbühnen dieser Welt seinesgleichen gesucht hätte. Inmitten einer Vorlesestunde ließ sich Voigt bei Wilhelmine melden.

    „Wie ungewöhnlich!, sagte meine Freundin und lächelte mir triumphierend zu. „Sollte sich der liebe Minister plötzlich wieder Unser erinnern? Nun, Wir lassen bitten!

    Wie der frische Frühlingswind rauschte der kleine drahtige Mann in das Zimmer mit einem Gesichtsausdruck, der vor Geberlaune nur so sprühte. Er vollführte die angebrachten Leibesübungen ein wenig tiefer als üblich. Diesen Tiefgang erfuhren Ehrbezeugungen dann, wenn jemand ein schlechtes Gewissen hatte oder aber sich einschmeicheln wollte.

    „Herr Oberhofmeister, Wir dachten bereits, Sie hätten Uns aus Ihren Pflichten gestrichen? Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass es Ihre vornehmste Aufgabe

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