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Slavkos Reise: Eine Wolfsgeschichte
Slavkos Reise: Eine Wolfsgeschichte
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eBook233 Seiten3 Stunden

Slavkos Reise: Eine Wolfsgeschichte

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Über dieses E-Book

Der junge Wolf Slavko, der behütet in einem Rudel in Slowenien aufwächst, gerät in einem unachtsamen Moment in die Fänge von Menschen. Sie verpassen ihm ein seltsames Halsband, das er nicht mehr abstreifen kann.
Wenig später fühlt sich Slavko magisch angezogen von den hohen Bergen in der Ferne. Er lässt alles, was er kennt, hinter sich und zieht los, um sich in das große Abenteuer eines Wanderwolfes zu stürzen. Auf seiner langen Reise läuft er quer durch die alpine Berglandschaft und begegnet vielen Gefahren.
Besonders machen ihm die Menschen zu schaffen, die sich massenhaft in jedem Winkel ausgebreitet haben und deren Spuren er überall vorfindet. Auch die Einsamkeit, in der sein Heulen ungehört verhallt, wiegt schwer auf seiner Seele.
Wird er je wieder einem anderen Wolf begegnen? Und wird er je das Gefühl haben, am richtigen Ort angekommen zu sein?
Auch diese Geschichte über den Wanderwolf Slavko adaptiert, ähnlich wie Marga Rodmanns erster Wolfsroman, das typische Wolfsverhalten.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum10. Juni 2021
ISBN9783965180574
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    Buchvorschau

    Slavkos Reise - Marga Rodmann

    1. Kapitel: Der Entschluss

    Slavko streift durch den Wald am Rande des Reviers. Dort, wo das Gelände zu einer Anhöhe ansteigt und von wo er in alle Richtungen weit schauen kann. Auf der einen Seite sieht er das Revier seines Rudels. Überwiegend Wald mit kleinen Erhebungen, wie sanfte Wellen, gestoppt von einer grauen Wand, die in weiter Ferne nach dem Himmel greift. Wenn er sich etwas weiterdreht, sieht er, wie sich der Wald bis in die Unendlichkeit ausdehnt. Und wenn er sich noch ein Stückchen weiterdreht, sieht er menschliche Behausungen und dahinter ein riesengroßes Wasser, das nirgendwo zu enden scheint. Menschen und so endloses Wasser machen ihm Angst. Aber der geschwungene ansteigende und absteigende Wald und die großen grauen Berge, die sich dahinter auftürmen, erzeugen eine große Spannung in ihm. Eine angenehme Spannung. Alles, was er da in der Ferne sieht, würde er gerne durchstreifen und kennen lernen.

    Weiter unten im Wald hört Slavko sein Rudel, dem er sich nun zuwendet. Doch auf halber Strecke dreht er ab und läuft auf eine Lichtung, denn er hat ein Kaninchen gewittert. Zu gerne würde er noch eines ergattern, bevor er zu seiner Familie zurückkehrt. Oder wenigstens eine kleine Maus. Er liebt die Vorstellung, selbständig zu sein und für sich alleine sorgen zu können, auch wenn er noch jung ist und bisher noch nicht viel Erfahrung im Jagen sammeln konnte. Immerhin ist er jetzt nicht mehr einer der Kleinen, denn neue Welpen tollen bereits auf dem Rendezvous-Platz, ihrem geschützt liegenden Treffpunkt, herum.

    In dem Moment, in dem Slavko die Lichtung betritt, hört er ein fremdartiges Geräusch, gefolgt von einem heftigen Stich in seiner Flanke. Wie die Kralle eines Bären, die durch sein Fell in sein Fleisch eindringt. Nur, dass weit und breit kein Bär zu sehen oder zu riechen ist.

    Unsicher rennt Slavko ein paar Schritte weiter. Er möchte umdrehen, zurück in den Schutz der Bäume. Doch er weiß nicht mehr so genau, wo er hergekommen ist. Als er wieder am Rand der Lichtung ist, knicken seine Vorderläufe ein. Er versucht, sich wiederaufzurichten. Doch er schafft es nicht. Er kippt zur Seite. Bleibt im Gras liegen, das ihm um die Nase streift. Alles in ihm fühlt sich weich an, als wären seine Knochen abhandengekommen. Verschwommen nimmt er wahr, dass sich etwas nähert. Beine und Geräusche dringen wie aus weiter Ferne zu ihm durch. Es verwirrt ihn so sehr, dass er seine Augen schließen muss.

    Ganz vage nimmt er noch wahr, wie ihm seine Zunge aus dem Maul gleitet. Dann umfängt ihn eine wohltuende Dunkelheit. Auch fühlt und riecht er nichts mehr.

    Als er wieder aufwacht, fühlt er sich immer noch benommen, sein Blick ist verschwommen. Er blinzelt ein paarmal und es wird besser. Nicht weit von ihm entdeckt er die Beine wieder, die er auch zuvor schon gesehen hat. Menschenbeine. So schnell es geht, rappelt er sich auf und entfernt sich von der Lichtung. Die Bäume schwanken, hüpfen von ihm weg und wieder auf ihn zu. Er muss noch einmal stehen bleiben und sich konzentrieren. Nach ein paar weiteren wackligen Schritten geht es besser. Der Schatten der Bäume hüllt ihn ein, wodurch er sich sicherer fühlt. Bald schon kann er wieder in seinen gewohnten ausdauernden Trab fallen. Er entfernt sich kurz vom Rendezvous-Platz seiner Familie und kehrt dann, als er sicher ist, dass ihm keiner folgt, in einem großen Bogen dorthin zurück, wo er die anderen am Morgen zurückgelassen hat. Schnell taucht der Rendezvous-Platz seiner Eltern vor ihm auf.

    Zum Glück sind sie immer noch dort. Ebenso seine kleinen Geschwister, die sofort neugierig auf ihn zugestürmt kommen. Zielstrebig läuft er zwischen ihnen hindurch zu seiner Mutter und drängt sich an sie. Es tut gut, ihren vertrauten Geruch einzuatmen. Sie stupst ihn an und beschnuppert seinen Hals. Jetzt erst bemerkt er, dass da etwas ist. Es wirkt ein wenig wie die Haut eines Hirsches, ist aber dicker und härter. Er versucht, die Haut abzustreifen und reibt seinen Hals an einem Baum, danach an einem Stein. Doch er bekommt es nicht ab. Wieder stupst seine Mutter ihn an. Sie findet, dass die Haut nicht gut riecht. Aber was soll er machen? Er versucht, sie mit den Pfoten abzustreifen, was auch nicht funktioniert. Seine Mutter zerrt mit den Zähnen daran. Doch auch ihr gelingt es nicht, die Haut zu entfernen.

    Neugierig kommen nun auch die älteren Geschwister näher heran und schnuppern ebenfalls an seinem Hals. Aus seinem Wurf sind da noch zwei Schwestern und ein Bruder. Von den älteren Geschwistern sind auch noch zwei Mädchen da. Die anderen sind bereits abgewandert.

    Und dann sind da noch die Kleinen. Drei Rüden. Wild und ungestüm, wie er es in dem Alter auch war.

    Das Schnuppern geht in ein wildes Herumtollen über. Die eigenartige Haut am Hals ist schon vergessen. Sie stört ihn mittlerweile kaum noch.

    Am nächsten Tag dreht Slavko mit seiner ganzen Familie eine Runde, um zu schauen, was sich jagdbares in der Nähe befindet. Die Hirsche, die sich eine ganze Weile in ihrem Revier aufgehalten haben, sind weitergezogen. Übrig ist nur noch ein halbes Kalb vom Vortag, das sie zwischen den Büschen versteckt haben. Obenauf sitzen ein paar Raben. Sie haben seine Familie während der gesamten Jagd beobachtet. Als die Wölfe erneut auftauchen, hüpfen sie zur Seite. Slavko schnappt nach dem Schwanz eines Raben, der laut schimpfend aufflattert, sich auf einem Ast in der Nähe niederlässt und Slavko von dort mit schräg gelegtem Kopf beäugt.

    Slavko stürzt sich auf den Kadaver, um sich darin zu wälzen und seinen Hals daran zu reiben. Ganz ist die Haut an seinem Hals doch noch nicht vergessen, da immer noch der unangenehme Geruch an ihr haftet. Doch mit dem Hirschduft ist der fremde Geruch gut überdeckt. Nach dem angenehmen kleinen Schmaus lässt sich die Familie in der Nähe nieder und döst vor sich hin, während sich die Raben über die letzten Reste der Beute hermachen. Danach bleiben nur noch die blanken Knochen übrig.

    Einige Tage später beschließen Slavkos ältere Schwestern, aus dem elterlichen Rudel wegzugehen. Während alle in den immer länger werdenden Schatten vor sich hindösen, stehen die beiden ruckartig auf. Sie treten in die Sonne und heulen kurz auf. Slavko und die anderen kommen näher und stimmen mit ein. Die beiden Schwestern geben jedem einen kleinen Nasenstupser zum Abschied, dann verschwinden sie durch das Unterholz. Slavko ist überrumpelt. Damit hat er nicht gerechnet. Klar, es wurde Zeit. Dennoch hat er nicht so plötzlich damit gerechnet. Und schon gar nicht, dass sie beide gleichzeitig davonziehen würden.

    Lange sieht er ihnen nach und fragt sich, wohin sie wohl gehen. Ob sie zusammenbleiben oder bald jede von ihnen ihren eigenen Weg nehmen würde? Eine seltsame Sehnsucht macht sich in ihm breit. Am liebsten wäre er ihnen hinterhergelaufen. Aber das ist nicht möglich. Wenn er gehen sollte, würde er alleine gehen.

    Ein leichter Biss in seinen Hintern reißt ihn aus seinen Gedanken. Sein Vater hat ihn gerufen. Sie wollen zur Jagd aufbrechen. Gemeinsam zu jagen gefällt Slavko. So können sie ganz anders jagen als allein. Dennoch ist es ihm besonders wichtig, regelmäßig alleine Beute zu machen. Auch wenn es dann immer nur Kleingetier zu verschlingen gibt, denn für alles andere fehlt ihm noch die Erfahrung. Und zu mehreren ist es immer einfacher. Slavko betrachtet seine drei gleichaltrigen Geschwister. Sie sind noch genauso unerfahren wie er selber. Und doch haben sie mittlerweile ganz gut begriffen, wie sie bei der Jagd nützlich sein können.

    Die kleine Familie steuert auf die Lichtung zu, die Slavko am Vortag auf so eigenartige Weise zu Fall gebracht hat. Jetzt wälzen sich dort ein paar Wildschweine. Sie haben keine Ferkel, daher sind sie auch nicht angriffslustig. Dennoch darf man sie nicht unterschätzen. Slavko hat bereits gelernt, wie wehrhaft sie sind und wie plötzlich sie zu einem Angriff übergehen können. Als die Wildschweine ein paar Meter weiterziehen, merkt Slavko, warum sein Vater diese Rotte ausgesucht hat. Der alte Eber, der sich den Sauen angeschlossen hat, läuft sehr langsam und zieht sein linkes Hinterbein nach.

    Schnell hat sich das Rudel in zwei Gruppen aufgeteilt. Slavko ist mit seinem Bruder bei seinem Vater geblieben. Sie jagen die Rotte über die Lichtung. Wie erwartet fällt der Eber zurück. In dem Moment kommt seine Mutter mit seinen Schwestern von der Seite aus dem Wald gestürmt und sie schneiden den Eber von seiner Gruppe ab. Die anderen aus der Rotte haben offensichtlich gleich begriffen, dass sie ihm nicht helfen können und rennen weiter, ohne sich um den zurückgebliebenen Eber zu kümmern.

    Ganz wehrlos ist der allerdings nicht. Sie müssen sich in Acht nehmen vor seinen Hauern und vor seinem kompakten schweren Körper. Immer wieder springen sie ihn von allen Seiten an, bis er an mehreren Stellen klaffende Wunden hat, aus denen das Blut sickert. Endlich erwischen sie ihn an der Kehle. Der Eber stürzt auf die Seite. Sie haben es geschafft. Ihre Mahlzeit für die nächsten beiden Tage ist gesichert.

    Vollgefressen und müde döst Slavko anschließend vor sich hin. Eine lästige Fliege hindert ihn daran, ungestört zu träumen. Mehrfach schnappt er nach ihr, bis sie endlich das Weite sucht. Über sich hört er die Raben, die sich wie immer an der Mahlzeit beteiligen wollen, sobald er und seine Familie satt sind.

    Er hört das Schlagen von Flügeln. Weit oben im Himmel ertönt der Schrei eines Bussards. Was er von da oben wohl noch alles sehen kann?

    Slavko träumt davon, sich all das anzusehen. All das, was sich jenseits der Grenzen seines Reviers befindet. Durch weite Wälder zu streifen und ganz neue Gegenden kennen zu lernen. Die grauen großen Berge reizen ihn ganz besonders. Ob er es schon wagen sollte? Er ist noch sehr jung. Die neuen Geschwister sind noch klein und können noch nicht richtig jagen. Aber er beherrscht das schon ganz gut. Seine älteren Brüder aus dem Vorjahr sind auch gegangen, als sie so alt waren wie Slavko jetzt. Warum sollte er es ihnen nicht gleichtun? Die kalte Zeit ist im Begriff, heranzuziehen. Mit ihr kommt der Schnee. Der macht nicht nur Spaß, sondern erleichtert auch das Beute machen. Slavko hat den Schnee schon erlebt, als er noch ein schlaksiger Tölpel war. Die Sonne hatte sich verzogen und mit dem düsteren Grau waren Kälte und Schnee in ihr Revier eingedrungen. Nach dem ersten Schrecken hatte er es großartig gefunden und mit seinen Geschwistern den wunderbaren weißen Teppich durchpflügt. An diesen Tagen hatten sich auch seine Eltern benommen, als wären sie selber noch kleine Welpen. Es waren schöne Tage. Gerne dürften sie bald wiederkommen.

    Slavko erwacht in der Dämmerung. Seine Geschwister und seine Eltern dösen nach wie vor. Er selber ist hin und hergerissen, ob er noch so lange warten soll, bis die weiße Phase beendet ist, damit er diese noch einmal gemeinsam mit seiner Familie erleben kann. Und sicher sein kann, dass die kleinen Geschwister auch groß und gute Jäger werden. Doch die Unruhe in ihm ist stark. Sehr stark.

    Er erhebt sich und trabt von der Lichtung. Er möchte das Revier nochmal ablaufen. Den Wald, die Wiesen, die Flüsse, die Höhlen und den großen See. Begrenzt wird das Revier auf allen Seiten von den seltsamen Bauten der Menschen. Auf zwei Seiten führt ein breites graues Band entlang, auf dem sich die Menschen mit ihren Rennhilfen tummeln. Auf den anderen beiden Seiten befinden sich zwei endlos lange braune Stränge, auf denen ab und zu riesige schnaufende Wesen heran gerauscht kommen, die aussehen wie übergroße Schlangen. Schlangen auf einer vorgefertigten Route, die sie niemals verlassen. Sie sehen nicht nach rechts und nicht nach links, sondern stampfen einfach immer weiter. Sie sind schnell und stark. Daher sollte sich ihnen kein Wolf in den Weg stellen. Aber ein paar Meter weiter seitlich ist man bereits in Sicherheit. Dann tun sie einem nichts mehr. Das hat Slavko bereits gelernt. Er hat schon viel gelernt. Daher fühlt er sich gut genug gerüstet, um sein Leben allein zu bewältigen.

    Slavko trabt weiter, die Nase dicht am Boden, um all die bekannten Gerüche in sich aufzunehmen, die ihm unterwegs begegnen. Um die wenigen Ansammlungen an Behausungen der Menschen macht Slavko lieber einen Bogen. Alles was mit den Menschen zu tun hat, ist ihm nicht geheuer.

    Als er an einen Bach kommt und sich vorbeugt, um daraus zu trinken, blickt ihm ein Wolf mit einem braunen Band am Hals entgegen und er erinnert sich wieder an das seltsame Teil, das sich nach wie vor um seinen Hals krallt. Slavko springt ins Wasser, taucht seinen Hals unter und versucht nochmal, das Ding mit seinen Pfoten abzustreifen. Wieder gelingt es ihm nicht. Daher beschließt er, es endgültig zu ignorieren. Es tut nicht weh und der unangenehme fremde Geruch ist längst verschwunden.

    Lange streift er weiter durch das Revier, bis er sich dazu entschließt, zu seiner Familie zurückzukehren. Heute nochmal. Morgen vielleicht schon nicht mehr. Aber er will nicht gehen, ohne sich von den anderen zu verabschieden.

    Zurück bei seinen Eltern wird er so stürmisch begrüßt, dass er unter den anderen Wölfen begraben wird. Besonders seine Mutter schnuppert lange und ausgiebig an ihm. Dann beißt sie ihn ins Ohr. Sie weiß, dass er gehen will. Dass es ihn hinaus zieht in die Welt. Sie hätte gerne, dass er noch ein wenig bleibt. Slavko macht sich klein und leckt an ihren Lefzen.

    Er respektiert ihren Wunsch, aber er kann nicht länger warten. Unruhig schnappt er immer wieder nach allem, was in seine Nähe kommt. Und wenn es nur sein eigener Schwanz ist. Als seine Mutter ihn ein paar Tage später endlich zustimmend in den Hals knufft, geht er zu seinen Geschwistern, die aus dem gleichen Wurf wie er stammen. Obwohl seine beiden Schwestern und sein Bruder genauso alt sind, wie er selber, verspüren sie noch nicht den Drang, wegzugehen. Somit können sie auf die Kleinen aufpassen, die bereits unruhig um ihre älteren Geschwister herumspringen. Sie spüren die Aufregung und wissen, dass etwas Besonderes im Gange ist. Auch wenn sie nicht wissen, was es ist.

    Es ist gut so und soll wohl auch so sein, dass nicht alle früh gehen. Dass sie unterschiedliche Wünsche haben. So ist es für alle leichter und besser.

    Nach seinen Geschwistern geht Slavko zu seinen Eltern, die nun dicht beieinanderstehen. Stark und aufrecht. Eine gut aufeinander abgestimmte Einheit. So will er auch eines Tages sein und auch irgendwann eine passende starke Gefährtin an seiner Seite haben. Doch das hat noch Zeit. Jetzt will er erst mal weg. Will andere Gegenden sehen und neue Landschaften kennen lernen. Er will laufen. Weit laufen, neue Gerüche einatmen und neue Töne hören.

    Jetzt, wo der Moment des Abschieds gekommen ist, zögert er. Am Rand der Lichtung dreht er sich um und blickt auf die kleine Gruppe zurück. Die Mitglieder seiner Familie, die nun allesamt dicht beieinanderstehen und ihm nachsehen. Er liebt sie alle und fragt sich, warum er sie unbedingt verlassen will. Doch sein Entschluss steht fest. Er schüttelt sich, dreht sich um und trabt schnell davon. Er will zügig aus dem Blick seiner Familie verschwinden, um seiner Sehnsucht nach der Ferne zu folgen. Heute ist der Tag, an dem er seine Familie verlässt. Schnell und eindeutig. Ohne Wankelmut zu zeigen. Auch wenn dieser plötzlich aufgetaucht ist und sich in ihm breitmachen will.

    Am Rand des Abhangs, der den Zugang zu einer großen Höhle bildet, macht er Halt. Er kauert an der Kante, zwischen Büschen und Felsen, und blickt in den Abgrund. Am unteren Ende der senkrechten Felswand sieht er das große klaffende Loch. Der Zugang zur Höhle. Über der Felswand auf der anderen Seite befindet sich eine grasbewachsene Ebene, auf der ein paar Behausungen der Menschen stehen. Gerne hätte er die Höhle einmal erforscht. Aber leider sind die Menschen auch da unten. Daher ist sie für ihn unerreichbar. Auch jetzt dringen Geräusche zu ihm herauf, die von den Menschen kommen. Sie sind immer sehr laut. Selbst wenn sie nur gehen, sind sie so laut, dass man sie schon von weitem hören kann.

    Slavko erhebt sich und umrundet das große Loch im Schutz der Bäume und Büsche. Dahinter gelangt er an ein breites graues Band. Wieder bleibt er stehen und duckt sich in den Schatten eines Busches. Einige Rennhilfen der Menschen kommen in sein Blickfeld und verschwinden wieder daraus.

    Hier endet das Revier seines Rudels. Auf der anderen Seite beginnt etwas Neues. Erneut zögert er. Da drüben ist er noch nie gewesen. Nach einer Weile gibt er sich einen Ruck und rennt über das graue Band und lässt das, was er kennt, hinter sich.

    2. Kapitel: Erste Erfahrungen in der Fremde

    Slavko hat das elterliche Revier, durch das er bisher gestreift ist, verlassen. Jetzt ist er tatsächlich gegangen.

    Er freut sich darüber – und doch zögert er. Er versteht sich selber nicht. Die ganze Zeit hat er von diesem Moment geträumt. Hat sich nichts sehnlicher gewünscht, als endlich ins Ungewisse aufzubrechen. Abzuwandern und sich auf die große Reise zu machen. Und jetzt? Jetzt zögert er immer wieder und lässt Erinnerungen auftauchen, die ihn bremsen.

    Er vermisst seine Mutter, die im Geiste neben ihm auftaucht. Er blickt sich um und versucht, bekannte markante Punkte zu erkennen. Da vorne ist die Ebene mit den menschlichen Behausungen, hinter der sich das Loch mit der großen Höhle befindet, die die Menschen besetzt halten. Weit dahinter kann er die Anhöhe erahnen, auf der er sich so oft aufgehalten hat, um in die Ferne sehen zu können. Dazwischen ist das Kernrevier, in dem sich seine Familie meistens aufhält. Bestimmt sind sie auch jetzt dort. Ob sie gerade an ihn denken? So wie er an sie denkt?

    Allmählich verschwindet die Sonne hinter dem Horizont. Es ist eine gute Zeit zum Laufen, wenn die Schatten länger werden und eine huschende Gestalt gut verschlucken können. Etwas abseits von dem grauen Band, verborgen unter Bäumen, legt Slavko den Kopf in den Nacken und stimmt ein einsames Geheul an. Er lauscht. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. Es kommt genau von dort, wo er es vermutet hat. Seine Familie antwortet ihm. Aber nicht nur sie. Aus der entgegen gesetzten Richtung hört er auch eine Antwort. Dort muss ein anderes Rudel sein. Davor sollte er auf der Hut sein. Vorsichtshalber wendet er sich in die

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