Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Am Meer leuchtet die Hoffnung: Die bewegende Geschichte einer Frau, die auf Umwegen zurück ins Leben findet
Am Meer leuchtet die Hoffnung: Die bewegende Geschichte einer Frau, die auf Umwegen zurück ins Leben findet
Am Meer leuchtet die Hoffnung: Die bewegende Geschichte einer Frau, die auf Umwegen zurück ins Leben findet
eBook363 Seiten4 Stunden

Am Meer leuchtet die Hoffnung: Die bewegende Geschichte einer Frau, die auf Umwegen zurück ins Leben findet

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

In Carmens Leben ist nichts mehr wie zuvor. Nach einem folgenschweren Brand im Schweizer Kinderheim, in dem sie gearbeitet hat, kehrt sie nach zwanzig Jahren zu ihrem Vater und ihrer Schwester an die Ostsee zurück. Gezeichnet von einer schweren Brandverletzung muss sie ihre Lebensträume aufgeben. Als sie auf ihren Ex-Verlobten Nils trifft, der der Grund für die Flucht in die Schweiz war, beginnt ihr Leben wieder Fahrt aufzunehmen. Auch der alleinerziehende Georg und seine Tochter Becci bringen neuen Schwung in ihr tristes Dasein. Die heilsame Kraft der Ostsee setzen in ihr neue Energie frei. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse. Eine verhängnisvolle Entscheidung und ein lang gehegtes Geheimnis lassen ihr Leben vollkommen aus der Bahn geraten. Aber das sind nicht die einzigen Katastrophen, mit denen sie kämpfen muss. Wird Carmen aus der Krise herausfinden und erkennen, wem ihr Herz wirklich gehört?

Ein spannender Roman über die Kraft der Vergebung, des Glaubens und den Mut, in Krisenzeiten Neues zu wagen.
Eine Frau findet auf Umwegen zurück ins Leben.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum6. Mai 2021
ISBN9783347274709
Am Meer leuchtet die Hoffnung: Die bewegende Geschichte einer Frau, die auf Umwegen zurück ins Leben findet
Autor

Susann Nitz

Susann Nitz ist seit vielen Jahren als Autorin tätig und hat bisher 15 Bücher veröffentlicht. Schon als Kind hat die Schleswig-Holsteinerin mit dem Schreiben kleiner Geschichten begonnen. Mit ihren Büchern möchte die Autorin nicht nur unterhalten, sondern auch zum Nachdenken anregen und ermutigende Anstöße für das eigene Leben geben. Die Autorin schreibt auch einen Blog unter dem Titel "Alltagsmutmacher". Zudem hat sie ihre Leidenschaft für Poetry Slam und eigens verfasste Gedichte entdeckt, die sie gern bei verschiedenen Veranstaltungen vorträgt. Nebenher engagiert sie sich für eine Fernsehsendung. Die Holsteinerin liebt das Fahrradfahren an Nord- und Ostsee. Ihre Bücher haben meist einen Bezug zu der norddeutschen Heimat.

Ähnlich wie Am Meer leuchtet die Hoffnung

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Am Meer leuchtet die Hoffnung

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Am Meer leuchtet die Hoffnung - Susann Nitz

    1. Kapitel

    „Verbringen Sie Ihren Urlaub in Eckernförde? Oder sind Sie hier zu Hause?"

    Eben noch hatten Carmen und die Frau, die ihr während der Zugfahrt gegenübersaß, belanglos über das Wetter geplaudert. Und nun stellte die nette Dame diese Frage, die Carmens Herz ungewollt aus der Fassung geraten ließ.

    Für einen Moment schaute sie auf ihren unbeweglichen Arm, der schlaff und kraftlos auf ihrem Schoß lag, so als gehörte er nicht zu ihrem Körper. Sie blickte auf und versuchte zu lächeln.

    Verlegen steckte sie eine blonde Haarsträhne hinter das Ohr. Was sollte sie antworten? Natürlich war Eckernförde einmal ihr Zuhause gewesen, aber seit zwanzig Jahren kam sie nur noch in die kleine Ostseestadt, um ihre Familie zu besuchen. Zwei Jahrzehnte lang war Zürich ihre Heimat gewesen. Und ihr neues Zuhause hätte London sein können. Gedankenverloren strich sie sich über den schmerzenden Arm. Ihr Herz war erfüllt von tiefer Bitterkeit, die sich in den letzten Wochen wie ein Tumor immer weiter in ihrem Innern ausgebreitet hatte.

    Sie hätte jetzt den Klängen des Big Ben lauschen und an der Themse spazieren gehen können. Aber diesen Traum musste sie ein für alle Mal beerdigen! Alle Zukunftspläne und Träume waren dem Feuer zum Opfer gefallen. Körperlich behindert und ohne Zukunftsperspektiven… dies war ihr unausweichliches Schicksal, ob sie wollte oder nicht!

    Carmen seufzte tief und räusperte sich, bevor sie antwortete. „Ich besuche meinen Vater in meinem Elternhaus."

    Die Dame schien begeistert. „Oh, wie schön. Dann sind Sie ja hier zu Hause."

    Carmen wandte ihren Blick aus dem Fenster. Bäume und Häuser rauschten an ihr vorbei, wie in einem Kurzfilm. Die liebliche Landschaft der weiten grünen Felder, die norddeutsche einfache Struktur der teils noch reetgedeckten Häuser konnte man neben den Bahngleisen entdecken. Carmen dachte über den Satz der netten Dame nach, dabei spielte sie verlegen mit einer Haarsträhne und rollte sie immer wieder um ihren Zeigefinger. Eine Locke entstand.

    Zu Hause? Mit ihrer alten Heimatstadt Eckernförde verband sie viele gute Erinnerungen. Gern dachte sie an ihre unbeschwerte und schöne Kindheit zurück. Ihre zwei Jahre jüngere Schwester Sophie und sie verbrachten hier herrliche Strandtage. Mitleidig hatten sie die Urlauber betrachtet, die nur kurzzeitig in den Genuss der Ostsee gekommen waren, während Carmen und ihre Familie das Meer täglich genießen konnten.

    Im Winter war es ruhig in Eckernförde. Der Schnee verzauberte die Strände in gezuckerte Landschaften. Das Meer der Eckernförder Bucht war immer ruhig und nie aufdringlich rau. Wie oft hatten Sophie und Carmen mit ihren Freunden am Strand unbeschwerte Wintertage verbracht, Schneebälle ins Meer geworfen und beobachtet, wie die kleinen Kristalle auseinanderfielen und eins wurden mit dem Wasser. In der Teenagerzeit veranstalteten sie im Sommer die tollsten Strandpartys und feierten bis tief in die Nacht. Dabei beobachteten sie, wie die Sonne hinter dem Horizont verschwand und Carmen und ihre Freunde verwandelten dann mit leuchtenden Fackeln den Strand in ein romantisches Licht.

    Eckernförde war eine schöne Stadt. Der Strand, die beschauliche Innenstadt mit den kleinen Geschäften, der angrenzende Wald… das alles waren Gegebenheiten, die diesen Ort zu etwas Besonderem machten! Carmen liebte ihre Heimatstadt sehr, doch zu Hause fühlte sie sich hier nicht mehr. Überraschend fragte sie sich in diesem Moment, ob sie sich schon jemals an einem Ort zu Hause gefühlt hatte.

    Obwohl Carmen in Zürich immer glücklich gewesen war, trug sie doch in ihrem Herzen eine große unerklärliche Sehnsucht, neue Orte und Länder kennenzulernen.

    Sie wusste, dass sie diese gewisse Rastlosigkeit von ihrer Mutter geerbt hatte. Doch die einzige Reise, die Carmens Mutter je gemacht hatte, war die Silberhochzeitsreise gewesen, die ihr Mann ihr zu diesem Ereignis schenkte. Als ihre Mutter aus Malta zurückgekommen war, schwärmte sie von den langen Stränden, die mit der Eckernförder Bucht niemals mithalten konnte.

    Carmen hatte dieses sehnsuchtsvolle Funkeln in den Augen ihrer Mutter gesehen, dass immer dann wieder aufflackerte, wenn sie im Fernsehen Sendungen über fremde Länder anschaute.

    Ihren Vater hingegen trieb es nicht in die weite Welt hinaus, er liebte sein kleines Häuschen in der Nähe des Hafens. Für ihn gab es keinen schöneren Ort als Eckernförde. Im Sommer wurde die obere Wohnung in Carmens Elternhaus vermietet. Für ihre Familie gab es dann sowieso keine Möglichkeit zu reisen.

    Carmen hatte ihre Mitschüler oft beneidet, die von Urlauben in der Türkei, in Spanien und Frankreich erzählten. Sie selbst kannte damals nur den Eckernförder Strand.

    Als sie mit ihrer Arbeit in Zürich begonnen hatte, spürte sie oftmals immer noch die Lust auf aufregende Reiseabenteuer. Viel gereist war sie trotzdem nicht, denn ihren Urlaub verbrachte sie immer in Eckernförde bei ihrer Familie. Durch die Arbeit im Kinderheim war es sowieso nicht möglich, lange Auslandsreisen zu planen. Und es war auch nicht so, dass sie das Reisen dringlich vermisst hatte. Schließlich war Zürich der Ort, an dem sie sich immer sehr wohlgefühlt hatte.

    Mit Melancholie in der Stimme reagierte Carmen auf die Frage der netten Dame. „Ich wohne schon seit zwanzig Jahren nicht mehr in Eckernförde. Leise fügte sie hinzu: „Ich lebe in Zürich. Warum machte sie sich selbst etwas vor? Carmen würde nie mehr nach Zürich zurückkehren.

    Das war nur eine schmerzhafte Tatsache, mit der Carmen leben musste! Auch ihren Traumberuf würde sie nie mehr ausüben können. Denn was konnte man mit einer Köchin anfangen, die nur einen brauchbaren Arm hatte? Nach der schrecklichen Brandnacht war sie von einer Klinik in die nächste geschickt worden, nur um sich immer wieder schmerzhaften Operationen zu unterziehen, die keinerlei Heilung brachten. Der Schmerz war geblieben und der Arm war nur noch ein unbrauchbares Anhängsel, das nicht mehr zu ihrem Körper gehörte. Der Arm besaß keinerlei Kraft, während die Nervenbahnen darin aktiver waren denn je. Der pochende Schmerz war oftmals kaum zu ertragen.

    „Sie leben in Zürich? Oh, wie schön!" Die Dame lächelte.

    „Ja, ich arbeite dort als Köchin in einem Kinderheim. Warum sagte Carmen das jetzt? Seit einem halben Jahr hatte sie keinen Kochtopf mehr in die Hand genommen. Und das Heim „Bergfrieden gab es längst nicht mehr… Sie sprach weiter, als hätte es den schrecklichen Tag im Januar nicht gegeben.

    „Die Arbeit im Kinderheim macht mir unheimlich viel Spaß. Die Kinder sind schon fast ein bisschen zu meinen Kindern geworden. Einige haben zu mir ein besonderes Vertrauensverhältnis, sodass sie mit ihren Problemen oftmals erst einmal zu mir kommen, bevor sie zu den Erziehern gehen. Auch in meiner Freizeit kümmere ich mich um die Kinder. Es macht so viel Freude, Ausflüge zu organisieren und Feste vorzubereiten. Die Arbeit im Kinderheim ist wirklich etwas ganz Besonderes. Es ist für mich viel mehr als nur ein Job!"

    Carmen wischte sich mit der Hand über ihre Augen, damit ihre nette Zufallsbekanntschaft die Tränen nicht sah, mit denen sie kämpfte.

    „Oh, wie interessant! Ich kann mir vorstellen, dass die Arbeit mit den Kindern Ihnen viel Freude macht." Bewundernd nickte die Dame ihr zu.

    Carmen schob mit ihrer rechten Hand eine blonde Strähne hinter ihr Ohr und steckte sie in ihren Zopf. Aus Gewohnheit trug sie diese Frisur immer noch. Diese praktische Zopffrisur hatte sie während der Arbeit in der Küche immer getragen. Es ließ ihr Gesicht noch rundlicher erscheinen. Ihre hohen Wangenknochen wurden durch die strenge Frisur deutlich sichtbar, während ihre hübschen blauen Augen unscheinbarer wirkten.

    „Ja, sehr. Die Kinder sind so dankbar und es macht viel Spaß, sie zu bekochen. Die Dame lächelte immer noch. „Sie scheinen ein besonderer Mensch zu sein!

    Carmen schaute auf ihren unbrauchbaren Arm. Was war schon Besonderes an ihr? Im Moment fühlte sie sich heimatlos, kraftlos und leer. Sie hatte alles verloren, seit jenem schicksalshaften Tag im Januar…

    Carmens Blick fiel auf das glitzernde Meer, dass jetzt hinter dem Bahnfenster sichtbar wurde und über dem sich die Sonne zeigte. Die Sonnenstrahlen ließen tanzende leuchtende Punkte auf dem Meer entstehen. Aber sie nahm dieses wunderschöne Schauspiel nicht wahr.

    Im Moment schien alles verloren: ihre Gesundheit, ihr Lebensmut und letztendlich auch ihr Glaube an eine glückliche Zukunft. Wie sagte ihr Vater immer? „Versuche, auf Gott zu vertrauen, er wird dich führen und leiten!" Carmen hatte nie etwas mit dem Glauben ihres Vaters anfangen können. Dass Gott existierte, dessen war sich Carmen sicher. Doch an einen persönlichen Gott, der sich um jeden einzelnen Menschen kümmerte, glaubte sie nicht!

    Doch nach den dramatischen Ereignissen in Zürich hatte Carmen im Krankenhaus tatsächlich ein paar überaus verzweifelte Gebete zum Himmel geschickt. Doch ihre Gebete waren nie weiter als bis zur Krankenzimmerdecke gelangt. Nichts hatte sich verbessert an ihrer ausweglosen Situation, im Gegenteil! Sie war eine gebrochene Frau ohne Zukunftsperspektiven!

    Carmen blinzelte und wischte sich verstohlen über die feuchten Augen. Nicht einmal der Blick auf das ihr so vertraute Meer und die Häuser ihrer Heimatstadt konnten sie aufmuntern. Ihr Leben war aus der Bahn geraten.

    Wann war dies eigentlich geschehen? An dem Unglückstag vor einem halben Jahr, als sich ihr Leben von einer Minute auf die andere dramatisch veränderte?

    Oder war ihr dies unweigerlich schwere Schicksal schon vor zwanzig Jahren auferlegt worden, als sie nach Zürich gehen musste, weil es damals keinen anderen Ausweg für sie gab?

    Dieser Schicksalsschlag vor zwanzig Jahren, als Nils sie verlassen hatte, war kaum weniger schmerzhaft gewesen.

    Nils, der doch schon immer ihr Traummann gewesen war! In der Schule hatte Carmen ihm bewundernd nachgeschaut, wenn er mit mehreren Jungen und Mädchen im Schlepptau über den Schulhof marschierte. Später gehörte sie selbst zu der Clique dazu. War es eigentlich ihre Schwester gewesen, durch die Carmen in Nils´ Freundeskreis aufgenommen wurde?

    Sophie war damals eine der Ersten gewesen, die sich Nils´ Clique angeschlossen hatte. Später dann gehörte auch Carmen zu Nils´ Freundeskreis dazu.

    Nils hatte einen besonderen Charme und war immer ein Mädchenschwarm gewesen. Sein markantes Lächeln, sein unbeschwerter Charakter, die positive Ausstrahlung… alles das waren Merkmale, die in der Schulzeit die Herzen der pubertierenden Mädchen zum vermehrten Schlagen brachten. Auch Carmen erlag Nils´ Charme.

    Als Carmen und ihre Freunde später dann das Abitur in der Tasche hatten, blieb der Kontakt zu Nils immer noch bestehen. Die meisten Freunde waren nach ihrem Schulabschluss weggezogen, um zu studieren. Carmen hingegen absolvierte eine Kochausbildung in einem nahe liegenden Restaurant, während Nils in dem Hotel seiner Eltern eine Ausbildung zum Hotelkaufmann begann.

    Carmens Schwärmerei der Teeniezeit hatte auch im Jugendalter nicht aufgehört. Eigentlich hatten alle jungen Frauen Nils bewundert. Nils, den makellosen Typen, der auch noch diesen unverwechselbar jungenhaften Charme besaß! Carmen konnte es nicht fassen, dass Nils mit der Zeit begann, sich ausgerechnet für sie zu interessieren.

    Sie gehörte nicht zu den Mädchen, die alles daransetzten, ihr Aussehen durch übertriebenes Schminken und auffälliges Kleiden zu optimieren. Carmen musste schon immer mit ihrem Gewicht kämpfen. Sie erfüllte mit ihrer rundlichen Figur zweifellos das Klischee einer Köchin. Ihr rundes Gesicht hatte eine frische rosige Farbe, nicht so zartbraun wie der Teint ihrer Schwester Sophie. Nur den wohlgeformten Mund hatten beide Schwestern von ihrer Mutter geerbt. Sie war auch schon immer eher schüchtern und zurückhaltend gewesen.

    Als Nils sie nach Carmens Ausbildungsabschluss zum Feiern in ein romantisches Strandrestaurant am Timmendorfer Strand eingeladen hatte, konnte Carmen ihr Glück kaum fassen. Es war einer der aufregendsten Tage ihres Lebens und sie erinnerte sich an jedes Detail dieses Abends. Timmendorf gehörte in der Ostseeregion zur nobleren Touristikadresse. Der Strand war traumhaft, der weiße Sand ähnelte dem Strand einer mallorquinischen Bucht.

    Das Abendessen mit Nils war wunderschön. Angeregt hatten sie sich über ihre Zukunftspläne unterhalten. Beim anschließenden Strandspaziergang hatte Nils Carmen offenbart, dass er für sie etwas empfand, was über eine Freundschaft hinausging. Carmen hatte ihn damals ungläubig angeschaut. Als ihre Blicke auf das Meer fielen, das unentwegt unzählige Wellen an den Strand spülte und Nils sie umarmte, kam Carmen sich dann vor, als wäre sie die Hauptfigur in einem kitschigen Liebesroman.

    Sie lernten sich besser kennen. Carmen stellte fest, dass Nils eine zauberhafte Leichtigkeit besaß, die ihr guttat. Sie selbst wurde durch sein unbeschwertes Wesen freier. Ihre Schüchternheit und ihre oftmals melancholische Grundeinstellung verloren ihre Macht. Nils´ unkonventionell fröhliche Art tat ihr unglaublich gut. Nur drei Monate nach diesem Abend am Timmendorfer Strand hatte er ihr einen Heiratsantrag gemacht. Carmens Glück schien perfekt.

    Aber diese Zeit des romantischen Glückes währte nur kurz.

    Denn nur ein paar Wochen später kam es zur Trennung. Nils hatte sich in eine andere Frau verliebt. Dies hatte er ihr kurz vor der geplanten Hochzeit an jenem verhängnisvollen Sommerabend, der Carmens Leben vollkommen aus der Bahn geworfen hatte, gestanden. Nach der Trennung war Eckernförde für Carmen nicht mehr das Zuhause gewesen, das es einmal gewesen war. Hier hatte sie mit Nils leben und Kinder großziehen wollen…

    „Und welche Landschaft gefällt Ihnen besser, die Berge oder die Eckernförder Bucht?"

    Carmen zuckte zusammen, als die nette Dame diese Frage äußerte. Immer wenn sie an Nils dachte, tauchte sie in eine andere Welt ein, so als wäre sie für einen Moment aus dem Hier und Jetzt herausgetreten.

    Carmen lächelte und versuchte sich wieder auf die Frage der netten Dame zu konzentrieren. „Ach, wissen Sie, eigentlich ist beides schön, die Berge habe ich lieben gelernt. Aber die Ostsee habe ich auch immer geliebt." Für einen Moment waren die bitteren Gedanken verschwunden. Sie schaute wieder auf das Meer, das hinter den Bäumen auf der rechten Seite wie ein türkiser Farbklecks erneut sichtbar wurde. Es schimmerte leuchtend und freundlich. Carmen hatte das Gefühl, als würde die Eckernförder Bucht sie auf eine besondere Weise begrüßen wollen.

    „Als ich vor zwanzig Jahren in die Schweiz gegangen bin, habe ich das Meer und die Bucht immer im Herzen getragen." Und Nils…

    Sie atmete tief ein, während sie den Blick vom Fenster wandte: „Aber trotzdem habe ich mich in Zürich sofort wohlgefühlt."

    Sie lächelte vor sich hin. Es war schon ein seltsamer Zufall, dass sie ausgerechnet an diesen Abend, als ihr Zukunftsglück mit dem Mann ihres Lebens zerbrach, die Stellenanzeige des Züricher Kinderheimes in einer Zeitschrift gefunden hatte.

    Carmen erinnerte sich immer noch an jedes Detail jenes verhängnisvollen Tages!

    Es war Sommer, eine leicht wohltuende Brise wehte über die Eckernförder Bucht. Das Gelächter der Strandspaziergänger war zu hören. Leichtigkeit und Wärme lagen in der Luft. Aber diese Wärme konnte Carmen damals nicht erreichen. In ihrem Herzen war eine frostige Kälte zu spüren. Sie fühlte tief in ihrem Innern, dass mit Nils etwas nicht stimmte. Er hatte sich seit Tagen nicht mehr bei ihr gemeldet und auf ihre Anrufe nicht mehr reagiert. Carmen ahnte damals längst, dass etwas zwischen ihnen lag.

    Carmen und Nils saßen an diesem Abend auf einer Bank am Eckernförder Strand nahe dem kleinen Waldstück. Es lag eine unüberwindbare durchsichtige Wand zwischen ihnen, die Carmen deutlich spürte. Nils hatte um eine Aussprache gebeten.

    Dann erzählte er ihr von einer Frau, in die er sich verliebt hatte… ungewollt, wie er sagte. Aber es sei einfach so passiert und er wolle nun die Verlobung lösen.

    Erst Monate später erfuhr Carmen, dass es sich bei der Unbekannten um einen zufälligen Hotelgast, eine Frau namens Marina, handelte weswegen Nils die Verlobung hatte platzen lassen.

    Vieles war für Carmen an diesem Abend zerbrochen, alle Zukunftspläne, die Liebe ihres Lebens, ihre Heimat, alles…! Der Hochzeitstermin stand schon lange fest. Aber an diesem Tag wurde Carmens Zukunft als Ehefrau an Nils Seite zerstört. Wäre Marina nie aufgetaucht, hätte Carmens Zukunft anders ausgesehen! Warum war diese Frau auch ausgerechnet in dem Hotel, in dem Nils arbeitete, abgestiegen? Nils hatte sich unerwartet verliebt, genau das hatte er Carmen damals am Strand erzählt. Nicht ein einziges Mal in diesem Moment, als er ihr die heimliche Liebe gestanden hatte, wirkte er betroffen. Selbstbewusst wie immer, ohne ein erkennbares Zeichen des Bedauerns offenbarte er ihr an jenem Abend dieses unglaubliche Geschehen, so als wäre das Ganze eher eine unabdingbare Tatsache, an der er keinen Anteil hatte.

    Damals hätte Carmen niemals geglaubt, dass sie diesen unglaublichen Schmerz jemals überwinden würde.

    Nach Nils´ Geständnis war Carmen fortgelaufen, nach Hause geeilt… atemlos, verzweifelt… so als wolle sie vor dieser verhängnisvollen Nachricht flüchten. Zu Hause hatte sie sich auf ihr Bett geworfen und bitterlich geweint und Stoßgebete zum Himmel geschickt, ohne etwas zu erwarten. Sie wusste damals selbst nicht, wie sie die nächsten Tage, Monate, Jahre ohne Nils überleben würde…

    Aufgrund einer unerklärlichen Eingebung nahm sie dann eine Frauenzeitschrift in die Hand, die auf ihrem Nachttisch lag. In diesem Moment war sie sich aus einem rätselhaften Impuls heraus sicher, dass sie hierin etwas finden würde, dass ihr weiteres Leben bestimmen würde. Die Frauenzeitschrift enthielt Stellenanzeigen und ihr Blick fiel sofort auf die Anzeige des Heimes Bergfrieden. Und genauso wie in ihr diese tiefe schmerzliche Gewissheit verankert gewesen war, dass Nils und sie nie wieder vereint sein würden, fühlte sie auch, dass das Haus Bergfrieden der Mittelpunkt ihrer Zukunft werden würde. Noch am selben Abend hatte sie sich dann um die Stelle als Köchin in Zürich beworben.

    Neben dem Entschluss wegzuziehen, fasste sie damals einen zweiten Vorsatz: Sie würde sich niemals wieder auf einen Mann einlassen. Ihre Verzweiflung war so groß, dass sie aus dieser tiefen Verletzung heraus, diesen Pakt mit sich selbst schloss: Kein Mann sollte jemals wieder ihr Herz erobern. Carmen wollte allein durch das Leben gehen, egal welcher Traummann ihr jemals noch begegnen würde. Nils war der Mann ihres Lebens! Ein anderer würde keinen Platz in ihrem Leben finden!

    Damals, als Nils sie verlassen hatte, war der Trennungsschmerz kaum zu ertragen gewesen. Trotzdem hatte sie irgendwann wieder darauf vertraut, dass ihr Leben sich wieder zu etwas Besserem entwickeln würde.

    Carmen fühlte sich sofort wohl in der Schweiz. Das Kinderheim, die Kinder, die Arbeit, die wunderschönen Berge machten es ihr leicht, ihre Heimat hinter sich zu lassen.

    Zwanzig Jahre nun hatte Carmen dort in dem schönen Haus am Zürichsee verbracht und es waren glückliche Jahre gewesen, obwohl sie der Schmerz der Verlassenheit zeitweise immer noch quälte. Verschüttet wie in einem eingestürzten Bergwerk, hatte sie unter Trümmern den Wunsch nach einer glücklichen Partnerschaft begraben.

    Im Kinderheim Bergfrieden war sie glücklich gewesen, auch wenn sie trotz ihres Paktes die Sehnsucht nach einer Partnerschaft und einer eigenen Familie niemals losgelassen hatte. Die Arbeit im Kinderheim hatte Heilung für ihr verletztes Herz gebracht. Aber ein Splitter war geblieben. Ein Splitter, der sich in ihr Herz gebohrt hatte und so verwachsen war, dass er sich niemals lösen würde!

    Carmen hatte in sehnsuchtsvollen Momenten immer wieder an Nils und ihre zerbrochene Liebe denken müssen. Auch wenn diese Augenblicke der Trauer mit der Zeit weniger wurden, verschwanden sie niemals. In Carmen lebte die leise Ahnung, dass sie Nils immer noch liebte, obwohl sie ihn seit dem Tag ihrer Trennung nicht mehr gesehen hatte. Von ihrer Schwester Sophie hatte sie gehört, dass Nils Marina geheiratet hatte und mit ihr in Hamburg lebte. Das Hotel seiner Eltern wurde ein paar Jahre nach seinem Weggang verkauft, weil auch der Traum seiner Eltern mit Nils´ Umzug nach Hamburg geplatzt war. Ihr Sohn würde das Hotel nicht mehr weiterführen.

    „Und nun kehren Sie in Ihre Heimat zurück. Wie schön!" Die nette Dame klatschte in die Hände.

    Carmen versuchte zu lächeln. Seit Nils sie verlassen hatte, war Eckernförde nicht mehr der Ort, an den sie gehörte.

    Wenig hatte sie über Nils´ weiteren Lebensweg erfahren. Über Facebook konnte Nils Carmens Schwester ausfindig machen und er hatte Sophie ein paarmal geschrieben. Sophie erzählte Carmen davon, dass Nils eine Tochter hatte und jetzt in einem großen Hotel in Hamburg als stellvertretender Hotelleiter arbeitete.

    Das war alles, was Carmen von ihrem Ex-Verlobten wusste. Trotzdem waren es für Carmen genug Informationen, um sich Fragen zu stellen, die sie sich nie fragen sollte. Wie sähe ihr Leben heute aus, wenn es nicht zu der Trennung gekommen wäre? Selbst nach zwanzig Jahren hatte sie nicht aufgehört, sich diese Frage zu stellen.

    Carmen reagierte nicht auf die Bemerkung ihrer Mitreisenden, sondern neigte ihren Kopf zur Seite. Das Meer zeigte sich in vielen schillernden Farben: türkis, grün, leuchtend blau. Die Eckernförder Bucht entwickelte bei Sonnenschein diese unfassbar schönen Farbenspiele, die Carmen so sehr liebte.

    Das Meer hatte nichts an Schönheit verloren. Carmen staunte über dieses faszinierende Schauspiel der Farbreflexe. In diesem Moment wurde ihr plötzlich bewusst, wie sehr sie das Meer vermisst hatte! Carmen räusperte sich, um nicht wehmütig zu werden. Sie versuchte sich zu fangen und stellte ihrer netten Begleitung eine Frage: „Und was machen Sie in Eckernförde? Verleben Sie Ihren Urlaub hier?"

    „So ist es. Aber Eckernförde ist auch ein Stück Heimat. Ich habe meine Kindheit hier verbracht, bevor ich mit meinen Eltern nach Hannover gezogen bin. Vor vielen Jahren dann, damals noch mit meinem Mann und meinem Sohn, verbrachte ich ab und zu den Urlaub hier. Aber mein Mann lebt nicht mehr und mein Sohn hat längst seine eigene Familie und lebt in Berlin. Und nun möchte ich meinen Urlaub an diesem wunderschönen Ort verbringen. Ich bin so glücklich, wieder hier zu sein. Schließlich war Eckernförde einmal meine Heimat. Auch wenn ich damals noch ein Kind war, sind die Erinnerungen an diese Zeit immer noch da. Die nette Dame hielt Carmen ihre Hand entgegen. „Mein Name ist Louise Schneider.

    Carmen lächelte zurück. Frau Schneider hatte eine sympathische Ausstrahlung. Ihr warmer Blick und die weichen Gesichtszüge wirkten sanft und freundlich. Sie trug ein farbenfrohes Outfit, eine lilafarbene Jacke und eine weiße Hose, die ihrer fülligen Figur schmeichelte. Sie wirkte jugendlich, obwohl sie bestimmt schon das siebzigste Lebensjahr überschritten hatte.

    „Mein Name ist Carmen Bergmann." Sie gab Frau Schneider die Hand. Der Zug fuhr gerade in den Eckernförder Bahnhof ein.

    Frau Schneider lächelte immer noch, während sie aufstand und versuchte, ihren Koffer aus der Gepäckablage zu befreien. „Vielleicht sehen wir uns ja mal in Eckernförde."

    Carmen nickte, während sie ihr beim Herausziehen des Gepäckstückes half. „Ja, vielleicht. Ich wünsche Ihnen einen schönen Urlaub. Frau Schneider wurde ernst. „Und Ihnen wünsche ich alles erdenklich Gute. Sie blickte kurz auf Carmens linken Arm, der bewegungslos an der jungen Frau herunterhing. Frau Schneider schien bemerkt zu haben, dass mit dem Arm etwas nicht stimmte. Carmen bedankte sich verlegen und wich ihrem Blick aus. Und als die beiden den Zug verließen, fragte Frau Schneider: „Sie werden sicherlich von Ihrem Vater abgeholt, nicht wahr? Carmen schüttelte den Kopf. „Nein, ich nehme mir ein Taxi.

    Frau Schneider zwinkerte ihr zu. „Dann grüßen Sie Ihren Vater bitte von mir. Wir sind früher einmal zusammen zur Schule gegangen. Sie sind doch die Tochter von Theo Bergmann?"

    Carmen blickte Frau Schneider erstaunt an. Interessiert fragte sie: „Ja, das bin ich. Woher wissen Sie das?"

    „Sie heißen Bergmann und Sie haben dieses markante Lächeln, das mir schon im Schulalter bei ihrem Vater aufgefallen ist. Ihr Vater und ich haben zusammen die Grundschuljahre miteinander verbracht."

    Carmen lachte kurz auf. Erstaunlich, dass Frau Schneider sie anhand ihres Lächeln erkannt hatte. Ihr Vater und sie sahen sich ähnlich. Sie hatten beide ein rundes Gesicht und besaßen dieselben hohen Wangenknochen. Wenn Carmen oder ihr Vater lächelten, bildeten sich um ihren Mund viele kleine Fältchen und auch um ihre Augen waren dann unzählig viele kleine Lachfältchen zu erkennen. Wie sagte Sophie immer? „Wenn ihr beide lächelt, dann lacht jeder Winkel eures Gesichtes!"

    Dieses besondere Lächeln war auch etwas, dass Nils an Carmen geliebt hatte. Aber noch ehe ihre Gedanken wieder zu Nils abweichen würden, reagierte Carmen schnell und erwiderte: „Das ist ja unglaublich. Melden Sie sich doch gern einmal bei meinem Vater. Er würde sich bestimmt freuen, eine alte Schulfreundin wieder zu treffen." Sie zog einen Stift aus der Tasche und schrieb die Telefonnummer ihres Vaters auf einen Zettel.

    Frau Schneider bedankte sich. „Danke, ich melde mich bestimmt bei ihm. Wollen wir uns ein gemeinsames Taxi nehmen?"

    Carmen erwiderte, während sie umständlich versuchte, mit der rechten Hand ihre Tasche und den kleinen Koffer zu greifen: „Danke, aber ich will im Bahnhofscafé noch einen Kaffee trinken, bevor ich nach Hause fahre. Mein Vater ist ja nicht auf mich vorbereitet. Er erwartet mich erst am Nachmittag. Ich will ihm noch ein bisschen Zeit geben, sich auf meinen Besuch einzustellen." Eigentlich war das nicht der eigentliche Grund, warum sie sich diese Pause gönnen wollte. Sie musste sich dringend ausruhen. Der Flug von Zürich nach Hamburg, dann die Bahnfahrt nach Eckernförde, das alles hatte sie unendlich viel Kraft gekostet und ihr Arm schmerzte entsetzlich. Carmen brauchte dringend eine Schmerztablette, bevor sie sich den sorgenvollen Blicken ihres Vaters und ihrer Schwester aussetzen musste.

    Frau Schneider nickte. „Gut, ich verstehe. Bestimmt sehen wir uns bald. Ich melde mich bei Ihrem Vater. Also, nochmals alles Gute für Sie!"

    Carmen bedankte sich und schaute Frau Schneider nach, während diese in Richtung Ausgang verschwand.

    Sie versuchte, ihre Tasche mit der rechten Hand über ihre Schulter zu legen und den Koffer zu packen.

    Einen Moment lang blieb sie stehen und schaute sich um. Der kleine Bahnhof bot keine neue Sensation. Das alte Bahnhofsgebäude wirkte wie immer trist.

    Ein paar Menschen befanden sich an den Gleisen, die geduldig auf die Einfahrt ihres Zuges warteten. Eckernförde war kein Ort, an dem man in Hektik verfiel.

    Vielleicht würde Carmen hier die Ruhe finden, die sie brauchte. Aber war es wirklich die Stille, die sie suchte? Sie wusste es selbst

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1