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Leopoldine von Habsburg: Kaiserin von Brasilien – Naturforscherin – Ikone der Unabhängigkeit
Leopoldine von Habsburg: Kaiserin von Brasilien – Naturforscherin – Ikone der Unabhängigkeit
Leopoldine von Habsburg: Kaiserin von Brasilien – Naturforscherin – Ikone der Unabhängigkeit
eBook378 Seiten3 Stunden

Leopoldine von Habsburg: Kaiserin von Brasilien – Naturforscherin – Ikone der Unabhängigkeit

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Über dieses E-Book

Tropische Pflanzen und selbst eine Sambaschule sind nach ihr benannt: Leopoldine von Habsburg, Aufklärerin in neoabsolutistischen Zeiten, gilt als eine der bedeutendsten und einflussreichsten Frauen des Landes. Sie war leidenschaftliche Naturforscherin, setzte sich gegen Sklaverei und Armut ein und stellte das Hofzeremoniell ordentlich auf den Kopf. Leopoldine war ihrem Mann Dom Pedro intellektuell weit überlegen – trotzdem ist ihre Biografie auch eine Geschichte der Unterdrückung und Gewalt durch einen machistischen Monarchen, der mit ihren vielfältigen Fähigkeiten nicht zurechtkam. Letztendlich trieb er sie mit nur 29 Jahren in einen frühen Tod.
Für die Feiern »200 Jahre Unabhängigkeit Brasiliens« im Sommer 2022 wird die beliebte Habsburgerin endlich wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, war sie es doch, die das Papier zur Souveränität Brasiliens unterschrieben hat.
SpracheDeutsch
HerausgeberMolden Verlag
Erscheinungsdatum6. Okt. 2022
ISBN9783990406885
Leopoldine von Habsburg: Kaiserin von Brasilien – Naturforscherin – Ikone der Unabhängigkeit
Autor

Ursula Prutsch

Ursula Prutsch (Prof. Dr.) lehrt Geschichte Lateinamerikas und der USA an der Universität München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Brasilien und Argentinien.

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    Buchvorschau

    Leopoldine von Habsburg - Ursula Prutsch

    Eine Kaiserin in der Neuen Welt

    Fremdbestimmt – Emanzipiert – Verdrängt

    In der Nacht vom 2. zum 3. September 2018 zerstörte ein Großbrand das Museu Nacional in Rio de Janeiro. Zwanzig Millionen Objekte, darunter einige Dokumente von Leopoldine von Habsburg, wurden ein Raub der Flammen.

    Am Abend des 2. September 2018 schlugen Flammen aus dem Gebälk des Nationalmuseums in Rio de Janeiro. Der Brand wütete die ganze Nacht und zerstörte eine der weltweit größten naturhistorischen und völkerkundlichen Sammlungen. Viel war nicht zu retten, denn die Hydranten in der Nähe des Gebäudes versagten ihren Dienst – und das in einer Stadt, die an einer 380 km² großen Meeresbucht gelegen ist.

    Als europäische Medien über die Brandkatastrophe berichteten, wussten nur wenige, wie sehr das Museum, ein ehemaliger Palast, mit der österreichischen und europäischen Geschichte verwoben ist. Ihn bewohnte Leopoldine von Habsburg, österreichische Erzherzogin und brasilianische Kaiserin. Und das neun Jahre lang, von 1817 bis 1826. Im Alter von zwanzig Jahren zog sie in den Landsitz ein, dort brachte sie sieben Kinder zur Welt, stellte die Weichen für die Unabhängigkeit Brasiliens und starb schließlich verbittert mit nur 29 Jahren.

    Der Palast – Quinta da Boa Vista genannt – thronte auf einem Hügel. Von dort aus bot er einen unvergleichlichen Blick über die Bucht von Guanabara mit ihren markanten Felsspitzen, auf Rio de Janeiro, den Zuckerhut und den Corcovado. Zwischen Rio und dem „Landsitz zur schönen Aussicht" lagen ausgedehnte Gärten, Wälder, Zuckerrohrfelder und Kaffeeplantagen, die heute längst der rasch wachsenden Metropole gewichen sind.

    Das Feuer brachte eine verborgene Mauernische zutage, gerade einmal so groß, um einem Menschen Platz zu bieten. Vielleicht, so imaginierte die Restauratorin, die mich im Februar 2020 durch die verkohlten Mauern führte, war dies ein später Rückzugsraum für Leopoldine. Denn es gilt als sehr wahrscheinlich, dass ihr Ehemann Dom Pedro kurz vor ihrem Tod handgreiflich wurde. Jedenfalls belegt ist jedoch, dass die psychische Gewalt, die er und seine Geliebte Domitila ihr angetan hatten, verantwortlich war für ihren frühen Tod.

    Durch den Brand gingen ihre Aufzeichnungen über Naturbeobachtungen verloren, hingegen blieben Bücher und Bilder, die sie mit getrockneten und aufgeklebten Blumen gestaltet hatte, intakt. Zahlreiche Briefe, die sie an ihren Vater, Kaiser Franz I., an Verwandte und die Schwester Marie Louise sandte, sind im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien archiviert, Korrespondenzen mit ihrem Vater hingegen in Rio und der ehemaligen kaiserlichen Sommerresidenz in Petrópolis. Zudem waren ihre Hochzeit und ihre Reise nach Brasilien der Auftakt für die größte Brasilien-Expedition des 19. Jahrhunderts.

    Imperatriz Leopoldina, die Kaiserin Leopoldine, gehört zum kulturellen Gedächtnis Brasiliens. Dort, in der ehemals größten Kolonie Portugals, wird sie auch Dona Leopoldina oder Maria Leopoldina da Áustria genannt, wenngleich wohl viele nicht wissen, wo dieses Áustria denn liegt. Nach Leopoldine sind Schulen, Spitäler, Gemeinden, Straßenzüge, ein Bahnhof, Restaurants, eine Biersorte, ein Dinosaurierskelett, eine Palmenart und eine bekannte Samba-Schule in Rio benannt, die Escola de Samba Imperatriz Leopoldinense. Das Gelb in der bekannten brasilianischen Flagge mit ihrem blauen Rund und den Sternen in der Mitte ist dem schwarz-gelben Habsburgerwappen entnommen, das Grün dem Wappen des portugiesischen Herrschergeschlechtes der Bragança.

    In den letzten Jahren ist sie dank feministischer Forschung in Brasilien ein Popstar geworden. Kinder- und Jugendbücher, ein Theaterstück, eine Telenovela beschäftigen sich mit ihr und überlagern das konservativ reduktionistische Bild, das in der Zeit der Militärdiktatur (1964–1985) geschaffen wurde. Dem Frauenbild der Diktatoren gemäß wurde Leopoldine, die so entscheidend für die Unabhängigkeit Brasiliens war, in der Erinnerung politisch entmachtet. Ihr Leben wurde auf die Leidensgeschichte einer früh verstorbenen Märtyrerin reduziert, die sich dem Ehemann und damit dem Wohl der Nation unterworfen habe. Dabei traf Leopoldine im August und September 1822 als Regentin wegweisende Entscheidungen, weil ihr Ehemann abwesend war. In jenen Wochen war sie „Amerikas" einzige Regentin.

    Während Leopoldine in Brasilien gerade in die Geschichte zurückgeholt wird, ist sie in ihrem Heimatland Österreich noch weitgehend unbekannt. Carlos Oberackers monumentale Biografie wurde zwar ins Deutsche übersetzt, aber vierzig Jahre nach ihrem Erscheinen nicht mehr aufgelegt. Gloria Kaiser schrieb einen erfolgreichen Roman; in Büchern über die mittlerweile gut erforschte Brasilien-Expedition spielt die Habsburgerin freilich eine Rolle, aber ein Buch, das sie in einen großen, transatlantischen Kontext stellt, das beschreibt, warum Brasilien für den mächtigen Minister und später Staatskanzler des Kaisertums Österreich, für den Fürsten Metternich, so bedeutend war, dass er eine Erzherzogin an das andere Ende der Welt verheiratete, fehlt bislang.

    Dem Haupteingang des Museu Nacional gegenüber steht seit 1997 eine Statue von Leopoldine mit ihrer Erstgeborenen Maria da Glória und dem späteren Thronfolger Pedro. Das Werk wurde vom Bildhauer Edgar Duvivier geschaffen.

    Ebenso ein Werk, das Leopoldine nicht nur als Spielball dynastischer Interessen sieht, die fast ständig schwanger war, sondern auch als Naturwissenschaftlerin, die regelmäßig ausritt, um Pflanzen zu sammeln, Mineralien zu klassifizieren und seltene Tiere zu erlegen. Als Kind ihrer Zeit war sie eine Anhängerin der Aufklärung. Ihr Denken entsprach dem Wissenschaftsverständnis ihrer Zeit, in der die Welt minutiös zu vermessen war. Sie glaubte an eine „unberührte" Natur, die so üppig war, dass die Besonderheiten, die sie ihr entnahm, die Vielfalt nicht schmälerten.

    Deshalb erzählt diese Biografie Leopoldines Emanzipation und Bedeutung, ihre Spielräume und ihr Image, ihren Forschergeist und ihre brutale Entmachtung, ihre brasilianische und ihre österreichische Identität. Ihr Denken und Handeln kann dabei nur im historischen Kontext verstanden werden. So mag es aus heutiger Sicht verwundern, dass Leopoldine einerseits Forscherin, aber andererseits leidenschaftliche Jägerin war. Dass sie die Sklaverei verabscheute, aber zugleich einen Sklaven nach Wien verschiffte.

    Kaiserin Leopoldine war die einzige habsburgische Regentin in der Neuen Welt und gehört zu den interessantesten, klügsten und ungewöhnlichsten Töchtern des Kaiserhaues. Sie hat Außergewöhnliches erreicht und letztendlich fast alles verloren. Deshalb ist ihre Lebensgeschichte, ihre Begeisterung für die Naturwissenschaften, ihre Bedeutung für die brasilianische Unabhängigkeit und ihr Schicksal, eine von Habsburgs verkauften Töchtern zu sein, so erzählenswert.

    Aufwachsen in Wien

    „Ich bin viel besser mit ihr zufrieden, sie wird solider"

    „Die kaiserliche Familie in Laxenburg". Die Lithografie von Johann Nepomuk Hoechle zeigt Kaiser Franz I. mit seiner zweiten Gemahlin Maria Theresia von NeapelSizilien vor der Franzensburg im Jahr 1807.

    Leopoldine Caroline Josepha kam am 22. Januar 1797, einem Sonntag, in der Wiener Hofburg zur Welt. Sie war das fünfte Kind von Kaiser Franz II. (später dem I.) und seiner zweiten Frau Maria Theresia von Neapel-Sizilien, die noch dazu eine beidseitige Cousine ersten Grades von ihm war. Leopoldines ältere Geschwister waren Maria Ludovica (die spätere Marie Louise), mit der sie zeitlebens den engsten Kontakt haben würde, Ferdinand, der spätere Kaiser Österreichs, und zwei Mädchen, die bald starben. Sie bekam noch sieben jüngere Geschwister, von denen drei ebenfalls nicht lange lebten. Leopoldine wuchs in einer klassisch kinderreichen Familie der Habsburgerdynastie auf. Ihre Eltern waren beide Enkel von Kaiserin Maria Theresia von Österreich gewesen.

    Leopoldines Vater, Franz II. (I.), war bis 1806 der letzte Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, das in den napoleonischen Kriegen zerfallen sollte. Bereits zwei Jahre zuvor erhob er Österreich zu einem unabhängigen Kaisertum und nahm damit den Titel eines Kaisers von Österreich an.

    In Wien, der Reichshauptstadt, hatten sich schon seit dem 17. Jahrhundert einige führende hochadelige Familien um den Hof geschart, die Liechtenstein, Schwarzenberg, Esterházy, Lobkovicz, deren Palais heute noch in Wien, Prag und Budapest die Innenstädte zieren. Sie bildeten eine festgefügte Elite, die „Erste Gesellschaft" des Landes, grenzten sich sozial stark nach unten ab und erhielten die prestigereichsten Hofämter und Posten im Militär verliehen. Welchen Titel die Adeligen jeweils führten, ob sie Fürsten, Grafen, Freiherren (Barone), Ritter oder Edle waren, welche Sprache sie sprachen und welcher Religion sie angehörten, bestimmte ihren Rang und ihre Beziehung zum Hof. Durch eine sorgfältige Auswahl der Heiratspartner und -partnerinnen sollte die Zukunft des Hauses Habsburg gesichert werden. Dass die habsburgische Hocharistokratie mehrfach miteinander verwandt und verschwägert war, bestimmte ihre Dominanz im damaligen Europa.

    Die Habsburger sprachen Deutsch, nicht alle waren im deutschsprachigen Raum geboren. Allerdings waren sie meist tiefkatholisch und konservativ und ihre Vorstellungen von der Monarchie lange absolutistisch geprägt. Liberalismus jeglicher Form lehnten sie ab. Als Leopoldine aufwuchs, gab es kein Parlament, wie etwa in der britischen Monarchie, sondern eine vom Kaiser eingesetzte Regierung. Gleichzeitig wäre es falsch, die Habsburgermonarchie als repressives Gefängnis der Völker zu bezeichnen. Sie war vielmehr ein funktionstüchtiges Staatswesen, in dem Aufklärer und Anti-Aufklärer, Intellektuelle in und außerhalb von Institutionen darüber stritten, wie die Vielfalt der zahlreichen Sprachen, Rechtskulturen, Wissenssysteme, Religionen und sozialen Unterschiede in einem Großreich Bestand haben konnte, welche Nationalitäten mehr Gewicht hatten und welche es schwerer hatten, sich durchzusetzen.¹ Diese Vielfältigkeit drückte sich zum einen in kultureller Offenheit und Aufstiegsmöglichkeiten aus, zum anderen aber auch in politischer Repression, die sich manchmal sogar bis zur Todesstrafe auswuchs.

    Wien, Prag und Budapest waren Zentren der Naturwissenschaften, der Malerei und Musik. Schwerer hatten es Theologen, Philosophen, Schriftstellerinnen und Theatermacher. Waren sie zu staatskritisch, wurden die Schriften verboten und die Stücke abgesetzt. Vorzensur gehörte ebenso zum kulturellen Leben im Habsburgerreich wie das heimliche Lesen verbotener Texte in privaten Salons.

    Unterschiedlich waren auch die Mitglieder der Familie Habsburg. Die einen waren belesen und weltoffen, sprachen fließend Französisch und Italienisch, förderten Kunst und Wissenschaft, die anderen waren intellektuell überfordert, weil sie Opfer einer zu intensiven Heiratspolitik zwischen Cousins und Cousinen geworden waren.

    Leopoldines Vater, Kaiser Franz I., stand in der Tradition der bürokratischen Aufklärung, wenn es um die Verwaltung seines Reiches ging. Dessen Böden wurden nun akribisch vermessen und kartiert. Seine Beamten reisten mit Linealen, Senkblei, Lotgabeln und Wasserwaagen bis in die letzten Winkel der Monarchie, vermaßen Grundgrenzen neu, prüften die Böden, schätzten die Erträge, studierten Anbauformen, suchten Bodenschätze für künftige Industrien und trugen alles in einen einheitlichen Kataster ein. Felder wurden einheitlich besteuert, unabhängig davon, ob sie Adeligen oder Bauern gehörten, das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch wurde geschaffen, da der Kaiser an ein universales Recht ebenso glaubte wie an eine angeborene Vernunft, eine allumfassende Natur und eine menschenwürdige Religion.² Schließlich galt es, die Geschichte der Menschheit zu studieren und Vergangenes mit Zukünftigem zu verbinden, mit Maß, Ziel und Ordnung sowie dem Segen der katholischen Kirche.

    Das Reich sollte ein organisches Ganzes bilden, indem jene an Rohstoffen und Bevölkerung reicheren Regionen den ärmeren helfen sollten. Doch dieses Vorhaben war viel mehr Theorie als Praxis. Die sozialen Unterschiede waren groß und sollten es auch bleiben. Von Leopoldines Geburtsjahr 1797 an taumelten Hof und Regierung ständig an der Grenze zum Staatsbankrott und verordneten einen Sparkurs nach dem anderen, von dem die kaiserliche Familie selbst ausgenommen war.

    Vermessen, Archivieren, Sammeln – das alles faszinierte und interessierte den Kaiser. Doch radikale Ideen, die die ständischen, „gottgegebenen Ordnungen umstoßen könnten, lehnte er ab. Seine Polizeihofstelle musste deshalb mögliche Aufrührer, sogenannte „Wühler, sogar unter den Geistlichen aufspüren. Moderne Wissenschaften, Industrien und Gesellschaftsideen mussten im Habsburgerreich allesamt von oben kontrolliert werden. Loyalität zur Dynastie und ihren Wertvorstellungen waren in dieser Logik unabdingbar.

    Die Umgangssprache am Hof war ein wienerisch gefärbtes Österreichisch, das schon seinerzeit norddeutsche Literaten irritierte, wenn sie in die größte deutschsprachige Stadt Europas reisten.³ Leopoldine sprach von „bloßfüßig, wo Deutsche „barfuß gesagt hätten. Sie war „grantig, wenn ein hartnäckiger Husten nicht vergehen wollte, und konnte sich „narrisch freuen.

    Ihre Mutter, die aus Neapel stammte, war im Deutschen nie recht firm geworden. Den Eltern von Leopoldine wurde Intelligenz, Witz und Ironie ebenso nachgesagt wie eine gewisse Lockerheit im Umgang mit ihren Kindern. Diese bewegten sich in Schlössern und Gärten ungezwungen, durften neben den Erwachsenen spielen und den Kaiser in seinem Arbeitszimmer aufsuchen, wenn sie etwas auf dem Herzen hatten. Sie wurden kulturell gefördert, religiös hingegen streng erzogen.

    Latein, Französisch und Italienisch beherrschte Leopoldine gut. Ihre Orthografie im Deutschen handhabte sie etwas willkürlich, was jedoch der Zeit entsprach. Einen Duden und einheitliche Rechtschreibregeln gab es noch nicht. Auch mit den grammatischen Fällen nahm sie es nicht immer so genau. Musik spielte eine große Rolle am Wiener Hof. Leopoldine spielte dank ihres Lehreres Leopold Kozeluch ausgezeichnet Klavier. Der gefeierte böhmische Pianist war nach dem Tod von Wolfgang Amadeus Mozart zum Kammerkapellmeister und Hofkomponisten ernannt worden und widmete seiner Schülerin drei Klavierkonzerte, deren einzige Noten in Brasilien überlebten.

    Dass sie schon als Kind ausgezeichnet malte und richtige Perspektiven zustande brachte, dass sie Motive und Stimmungen festzuhalten vermochte, beweisen ihre Zeichnungen, die in der Wiener Nationalbibliothek erhalten sind. Besonders mochte sie die Rokoko-Malereien von Johann Wenzel Bergl, den bereits ihre Urgroßmutter Kaiserin Maria Theresia besonders schätzte. Bekanntheit erlangte dieser mit seiner Illusionsmalerei tropischer Pflanzen.

    Leopoldine hatte blonde Locken und einen weißen, sehr sonnenempfindlichen Teint, große, hellblaue Augen und ein wenig von der unvermeidlichen Habsburgerlippe. Sie galt nicht gerade als Schönheit. Einmal schenkte die ältere Schwester Luise ihr einen Vergrößerungsspiegel. „[E]s ist gar kein Wunder, wenn ich hinein sehe, dass meine Lippen besonders groß mir vorkommen, da er xmahl vergrößert", schrieb sie irritiert.⁶ Von manchen Zeitzeugen wurde sie aber als hübsch beschrieben, wobei ihre Intelligenz, ihre Fähigkeit zur Emphatie und ihre natürliche, offene Art ihre Attraktivität ausgemacht haben sollen. Auf teure, aufwendige Kleidung legte sie allerdings wenig Wert. Vielleicht hielt der Kaiser seine Kinder auch ein wenig knapp. In einem Brief bat Leopoldine ihren Vater einmal um mehr Taschengeld, weil das ihre nicht ausreiche, um die Kleider zu bezahlen, die sie hatte anfertigen lassen.⁷

    Es war anfangs eine heile Welt

    Freilich waren Leopoldine und ihre Geschwister abgeschirmt von der restlichen Welt. Sie verbrachte ihre Kindheitstage in der Hofburg in der heutigen Wiener Innenstadt, in Schönbrunn und in Laxenburg, südlich von Wien, wo ihre Mutter Maria Theresia von Neapel-Sizilien trotz der finanziell stets angespannten Lage glanzvolle Feste und Maskenbälle gab, Theaterstücke inszenierte und Gesellschaftsspiele erfand. Im Park des Schlosses ließen der Kaiser und die Kaiserin – nach der zeitgenössischen romantischen Mode – die neugotische Franzensburg errichten und eine Grotte in den Felsen hauen, die ideale Kulissen bildeten.⁸ Mitunter wurden auch Familienmitglieder in die Darbietungen eingebunden. Sie traten dabei als Musikanten und Schauspielerinnen in den Stücken auf, die ihre Mutter sich ausdachte. Der Komponist Joseph Haydn ließ die Kaiserin gelegentlich als Sopranistin auftreten und widmete ihr die sogenannte Theresienmesse. Gelegentlich wurden Ausflüge in Kurorte wie Baden südlich von Wien und Karlsbad im heutigen Tschechien unternommen, wo die habsburgischen Kinder von Kammerzofen und Kindermädchen betreut und unterhalten wurden, Pflanzen und Steine sammelten und ihren daheimgebliebenen Geschwistern kleine Briefe mit krakeliger Handschrift sandten.

    Erzherzogin Leopoldine war eine talentierte Zeichnerin. Diese „Felslandschaft mit Wanderer und Ruine" entstand um 1808.

    Es war die heile Welt von Schönbrunn und die Naturvielfalt von Laxenburg, in die Leopoldine einzutauchen pflegte. Als gegen Ende des 18. Jahrhunderts sogenannte „englische Gärten mit ihrer vermeintlichen Natürlichkeit gegenüber den barocken „französischen Gärten und ihren geometrischen Formen in Deutschland in Mode kamen, beschloss das Habsburgerhaus, auch den Laxenburger Schlosspark umzugestalten. Sie holten den Deutschen Peter Joseph Lenné, einen späteren einflussreichen Gartentheoretiker, ins Land. Er formte den Park von Laxenburg zu einem englischen Garten mit weichen geschwungenen Formen, mit Teichen, Inseln und Auen um, der Leopoldine faszinierte.

    Hier besaß Leopoldine ihren eigenen Garten, in dem zahlreiche Obstbäume wuchsen, und Beete, die sie umgraben und bepflanzen durfte. Sie erlebte das romantische Ideal, nach dem der Mensch die Natur nicht zerlege, sondern selbst eine Einheit mit ihr bilde. Ihr gehörten Hunde, weiße Füchse, ein paar Hasen und ein Papagei. Auch Zwerghühner aus Angola wurden dort gehalten. Leopoldine trocknete und presste Blumen, wenn sie nicht gerade von der Obersthofmeisterin Gräfin Marie Udalrike von Lazansky in Fragen der Etikette und Bildung instruiert wurde. Für Kleidung, Frisur, Medizin und Toilette sorgte Franziska Annony, ihre Kinderfrau. Die stärkste Bezugsperson war allerdings die fünf Jahre ältere und attraktive Schwester Maria Ludovica, in der Familie Luise oder Marie Luise genannt. Leopoldine bewunderte sie und vertraute ihr all das an, was sie bewegte. Dafür folgte ihr wiederum die kleine Schwester Maria Clementine wie ein Schatten.

    Die kolorierte Zeichnung „Fischerdörfl im Schloßpark Laxenburg" schuf Leopoldine etwa 1808.

    240 Briefe sind von Leopoldine an Luise im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien erhalten, von ihren Kindertagen an bis zu ihrem Tod. Die Korrespondenzen geben tiefe Einblicke in die Persönlichkeit der Erzherzogin. Sie war lebhaft und widerständig, humorvoll, manchmal aber auch zurückhaltend, nervös und empfindsam. Mit „Liebste Luise setzen die Briefe an die Schwester ein und enden für gewöhnlich mit „1.000 Umarmungen. Vor Leopoldines Abreise aus Europa wurden sogar „10.000" daraus. Schrieb Luise nicht sofort zurück, war Leopoldine tief gekränkt, verzieh aber der Schwester rasch, wenn die ersehnte Antwort kam. In der Familienkorrespondenz fallen Achtsamkeit, Zärtlichkeit und die Offenheit, mit der über Krankheiten, Schwangerschaften, Ängste, Glück, Leiden und Geburten geschrieben wurde, auf – und das nicht nur zwischen den beiden Schwestern, sondern auch zwischen dem Vater und seinen Töchtern.

    Erkältungen, Bronchitis, rheumatische Anfälle, kalte und heiße Fieber wurden mit größter Aufmerksamkeit beobachtet und kommentiert, was angesichts der hohen Kindersterblichkeit verständlich war. Die erhalten gebliebenen Rezepturen aus der kaiserlichen Hofapotheke lassen darauf schließen, dass Leopoldine selten krank war. Meist wurden Tees, Wickel und komplizierte pflanzliche Tinkturen zubereitet. „Gelsenwasser" wurde im Sommer, wenn die Familie in Laxenburg war, häufig gemixt. Es enthielt geringe Mengen Bleiessig und Kampfergeist. Auch Zahnpflegemittel wie Zahnpulver und Mundwässer aus Melisse und ein wenig Spiritus standen am Hof hoch im Kurs. Mandelöl und Bergamottenöl waren als Düfte bei Leopoldine und ihren Geschwistern beliebt.¹⁰

    Das Jahr 1805 bereitete den unbeschwerten Kindheitsjahren ein jähes Ende. Die französischen Heere des gefürchteten Feldherrn Napoléon Bonaparte drangen überraschend schnell nach Wien vor und zwangen die kaiserliche Familie zur Flucht. Einige Mitglieder bezogen in der Burg von Ofen (Buda, später ein Teil von Budapest) Quartier, Leopoldine floh mit ihrer Mutter nach Brünn (Brno, im heutigen Tschechien), während der selbstgekrönte Kaiser der Franzosen das Schloss Schönbrunn für zwei Monate in Beschlag nahm und im Dezember 1805 mit Unterstützung des Kurfürstentums Bayern einen entscheidenden Sieg über die österreichischrussischen Truppen in Austerlitz bei Brünn feierte.

    Leopoldine zog von Brünn mit ihrer mittlerweile kranken Mutter weiter nach Olmütz (Olomouc) und Friedek (Frýdek) in Österreichisch-Schlesien, während sich die Verliererstaaten mit Napoléon einigten und das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation besiegelten. Leopoldine und ihre Geschwister hassten den französischen Aggressor zutiefst und besaßen sogar eine Napoléon-Puppe, die sie malträtierten.¹¹ Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass Luise eines Tages denjenigen heiraten würde, den die beiden Schwestern so sehr verachteten.

    Zuvor aber, Leopoldine war gerade einmal zehn Jahre alt, verstarb ihre Mutter am 13. April 1807 im Alter von 34 Jahren an einer Rippenfellentzündung. Franz I. heiratete ein Jahr darauf Maria Ludovica von Österreich-Este, die ebenfalls eine seiner Cousinen war. In Briefen an seine Kinder nannte er sie „meine Frau, während Leopoldine und ihre Geschwister sie pflichtbewusst als „die liebe Mama ansprachen.

    Die junge Stiefmutter blieb kinderlos und begeisterte sich für deutsche Literatur, allen voran für Johann Wolfgang von Goethe. Sie traf ihn persönlich in Karlsbad, als sie mit Leopoldine dort im Juni 1810 zur Kur weilte.¹² Ihre Stiefkinder unterwarf Maria Ludovica einem genauen Lehr- und Erziehungsplan, der Sprachen, Geschichte und Literatur, Botanik, Mineralogie, Astronomie und Physik umfasste. Da Leopoldine bereits zu diesem frühen Zeitpunkt von der Mineralogie fasziniert war, bekam sie von ihrem Vater eine Mineraliensammlung mit seltenen Gesteinen geschenkt.¹³

    1809 zogen die österreichischen Truppen in den nächsten napoleonischen Krieg und auch dieser endete mit einer Niederlage des Kaisertums Österreich. Wieder hieß es, die Koffer zu packen, Kutschen zu beladen und nach Ofen zu fliehen. War Wien ein paar Jahre lang glimpflich davongekommen, so rechneten der Kaiserhof und die Bevölkerung diesmal mit plündernden Soldaten. Deshalb wurden die kostbarsten Objekte der Museen und Bibliotheken, der Schatzkammer und anderer kaiserlicher Sammlungen vor den anrückenden Franzosen nach Temesvár (im heutigen Rumänien) in Sicherheit gebracht.¹⁴

    Die zwölfjährige Leopoldine war mittlerweile alt genug, um den Verlauf des Krieges zu verstehen. Ihrem Vater gratulierte sie zur gewonnenen Schlacht bei Aspern.¹⁵ Doch der Sieg der österreichischen Truppen half wenig. Der Kaiser der Franzosen ließ Wien mit modernen

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