Allmende 109 – Zeitschrift für Literatur: Angriff auf Europa
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Über dieses E-Book
Die Beiträger*innen der aktuellen allmende-Ausgabe reflektieren über das brandaktuelle Thema „Angriff auf unsere Lebenswerte“. Welche Rolle spielt Literatur im aktuellen politischen und gesellschaftlichen Diskurs?
Mit Beiträgen von Nora Bossong, Yevgeniy Breyger, Lena Gorelik, Joshua Groß, Volha Hapeyeva, Björn Kern, Sibylle Lewitscharoff, Olga Martynova, Tom Müller, Adolf Muschg, Julya Rabinowich, Sascha Marianna Salzmann, Simon Strauß, Vladimir Vertlib, Jan Wagner, Feridun Zaimoğlu u. a.
Fotografien: Florian Bachmeier
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Buchvorschau
Allmende 109 – Zeitschrift für Literatur - Literarische Gesellschaft Karlsruhe
„Die Tage des Krieges zählen, schreiend, wortlos. Lesend, kopfschüttelnd, weinend. Schreibend, verunsichert, als könnten Worte was." Lena Gorelik
24. Februar 2022. Es ist der Beginn des Vernichtungskrieges gegen die Ukraine, eine „Spezialoperation" des russischen Aggressors, auf Befehl des Diktators Wladimir Putin. Wir leben im Krieg in Europa, im 21. Jahrhundert. Unfassbar. Und wir zählen die Tage nicht mehr, nicht die Monate. Es ist Krieg in Europa und wie soll er, wie kann er enden? Von Zeitenwende wird gesprochen, vom Ende einer Epoche. Nichts ist mehr selbstverständlich, alles fragil, wie die Zeit ohne militärische Auseinandersetzung im Europa außerhalb der Ukraine. Doch ohne Frieden und Selbstbestimmung dort gibt es kein Ende der Krise. Denn der Angriff auf die Ukraine zielt zunächst auf die Auslöschung der ukrainischen Identität, auf Tradition und Sprache, ist aber als Beginn gedacht, die europäische Sicherheitsarchitektur, die demokratischen und humanen Grundlagen unserer Lebensordnung zu eliminieren.
Dem ist zu widerstehen. Die seit der Aufklärung gewachsenen, europäischen Werte und Strukturen haben wir zu verteidigen. Wieder einmal hängt die Zukunft Europas am „seidenen Faden, wie Nora Bossong, Tom Müller und Simon Strauss ausführen. Es kommen harte Zeiten, die das Gewohnte in Frage stellen – den Wohlstand, die soziale Sicherheit, die mobile Freiheit und auch die kulturelle Infrastruktur. Mit Blick auf die Energieversorgung lässt sich erahnen, welche Diskussionen demnächst folgen. Bereits jetzt werden die global spürbaren Folgen der Klimaveränderung nicht mehr als Priorität gesehen, weder politisch noch gesellschaftlich. „Natürlich
, schreibt Björn Kern, „das heutige Leid des Ukrainekrieges und das künftige Leid der Klimakriege lassen sich nicht vergleichen. Heutige Opfer benötigen heutige Hilfe".
Kaum sollte es eine Rechtfertigung für diesen Vernichtungskrieg geben, und doch gibt es solche Versuche – ebenso wie den Rat an die Ukrainer zu kapitulieren, denn zu gewinnen sei der Krieg für das überfallene, widerständige Volk ja nicht. Unsere Intention ist es nicht, mit den Positionen der „offenen Briefe" in Diskussion zu treten, sondern die Literatur selbst sprechen zu lassen – durch neue Texte, die sich unmittelbar auf den Krieg in der Ukraine beziehen. Der Rezensionsteil stellt ukrainische Literatur aus den letzten Jahren und aktuelle Texte vor.
Wir bedanken uns bei allen BeiträgerInnen für die Bereitschaft, Texte zur Verfügung zu stellen. Es sind schmerzhafte Momente, die sich manifestieren und die literarisch spürbar sind. Wir danken Florian Bachmeier für die Unterstützung. Wüsste man es nicht, würde man seine Fotografien nicht als aktuelle Momentaufnahmen und Dokumente eines Krieges in Europa ansehen. Doch sie sind es. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass wir dem Angriff auf die Ukraine und auf unsere Lebensweise in Europa gemeinsam widerstehen.
Hansgeorg Schmidt-Bergmann
Matthias Walz
allmende Nr. 109
August 2022 · 42. Jahr
Redaktion
Hansgeorg Schmidt-Bergmann
Mattthias Walz
Herausgegeben von Hansgeorg Schmidt-Bergmann im Auftrag der Literarischen Gesellschaft, Karlsruhe
Literarische Gesellschaft
PrinzMaxPalais · Karlstr. 10
76133 Karlsruhe
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Preise
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epub 9,49 € / 9,80 € (A) / 13,30 sFr
allmende erscheint 2 × jährlich
Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes bedarf der Zustimmung des Verlages.
Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernehmen wir keine Gewähr.
ISSN 0720-3098
Einzelbezug: ISBN 978-3-96311-715-2
Abobezug: ISBN 978-3-96311-716-9
epub: ISBN 978-3-96311-717-6
U1 „Bei Debalzewe, 2015, Frontlinie": © Florian Bachmeier
1 Hansgeorg Schmidt-Bergmann: © SWR / Monika Meier
1 Matthias Walz: © H. Felix Gross
5 „Myroniwskyj, 2015": © Florian Bachmeier
8 Lena Gorelik: © Charlotte Troll
10 „Mariupol, 2014": © Florian Bachmeier
11 „Awdijiwka, 2016": © Florian Bachmeier
12 Andrej Kurkow: © Fotowerk Aichner
14 © Florian Bachmeier
15 Olga Martynova: © Daniel Jurjew
17 © Florian Bachmeier
19 Vladimir Vertlib: © Aleksandra Pawloff
21 © Florian Bachmeier
25 „Donezk, 2016": © Florian Bachmeier
29 „Donezk, 2016": © Florian Bachmeier
30 Joshua Groß: © Charlotte Krusche
32 „Bachtschyssaraj, 2014": © Florian Bachmeier
33 „Trjochisbenka, 2019": © Florian Bachmeier
34 Julya Rabinowich: © Michael Mazohl
36 „Mariupol, 2014": © Florian Bachmeier
39 „Prypjat, 2015": © Florian Bachmeier
40 Yevgeniy Breyger: © Ralf Werner
43 „Lwiw, 2013": © Florian Bachmeier
44 Kathrin Röggla: © Jessica Schäfer
45 Martin Walser: © ONUK
47 „Niaśviž, Radzivił / Нясьвіж, Радзівіл
(1876) von Napoleon Orda
50 Volha Hapeyeva: © Nina Tetri
52 © Florian Bachmeier
54 Jan Wagner: © Nadine Kunath
59 „Kertsch, 2015": © Florian Bachmeier
61 Björn Kern: © Suskia
62 © Florian Bachmeier
63 © Florian Bachmeier
64 Sibylle Lewitscharoff: © Jürgen Bauer
67 „Myroniwskyj, 2016": © Florian Bachmeier
68 Nora Bossong: © MLO
68 Tom Müller: © henk
68 Simon Strauß: © Martin Walz
83 „Anhöhe von Sawur-Mohyla, 2016": © Florian Bachmeier
84 Claudia Dathe: © privat
87 © Florian Bachmeier
87 © Florian Bachmeier
88 Teresa Präauer: © Thomas Langdon
88 Dinçer Güçyeter: © Yavuz Arslan
89 Eva Menasse: © MLO
89 Martina Clavadetscher: © Ingo Höhn
89 Jenny Erpenbeck: © Katharina Behling
90 Tina Stroheker: © Horst Alexy
91 Kirsten Boie: © Indra Ohlemutz, RGB
91 Birgit Vanderbeke: © Julian Vanderbeke
91 Monika Rinck: © Gene Glover
92 Ulrike Edschmid: © Lukas Hemleb, SV
Die Fotografien stammen von Florian Bachmeier, die betitelten sind publiziert in: In Limbo, herausgegeben von Thomas Gust, Ana Druga, Berlin: Verlag Buchkunst Berlin 2021.
Dank für die großzügige
Unterstützung durch
Prof. Dr. Matthias Siegmann,
Rechtsanwalt am Bundesgerichtshof
„ANGRIFF AUF EUROPA"
LENA GORELIK
Ausschnitte aus dem Tagebuch zum Krieg gegen die Ukraine – der Beginn
24.02.2022
Durch meine sowjetische Kindheit ziehen sich Bilder von Panzern, die Straßen hinauf rollen, und mein heutiges Ich versucht, den Ursprung dieser Bilder zu ergründen: Ist es der 9. Mai, der „Tag des Sieges, an dem ich an der Hand meines Vaters, in feinste Kleidchen gepresst, mit Flagge in der Hand zur Parade marschierte, um die Panzer rollen und die Soldaten im Gleichschritt marschieren zu sehen; sind es Bilder vom 9. Mai, die ich aus dem Fernsehen kenne? Sind das Bilder aus dem Afghanistan-Krieg, zu denen ich immer sofort diese russischen Worte höre, „наши мальчики
, in meiner Erinnerung sprach man immerzu von „unseren Jungen, die in Afghanistan getötet wurden oder versehrt zurück kamen? Sind das die für den Kalten Krieg bereit gestellten Panzer, die Erinnerung daran, dass niemand die großartige sowjetische Armee besiegen kann? Oder sind es Bilder aus dem „Großen Vaterländischen Krieg
, wie der Zweite Weltkrieg in der Sowjetunion und in Russland genannt wird, dessen Gedenken sich durch die Familien und den Alltag zog: In jedem Haushalt Bilder jener, die im Krieg getötet wurden, die Ehre, die wir als Kinder schon den Veteranen gelehrt wurden zu erweisen, die Lieder, die mir mein Vater zum Einschlafen sang, die von Müttern und Frauen handelten, die um ihre Söhne und Geliebten an der Front bangten? In meiner Erinnerung lag im Schmerz und