Simons Wendepunkt
Von Hanni Fux
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Über dieses E-Book
International ist er ganz oben angekommen. Alles läuft rund für den Ausnahmesportler, bis Medaillen ausbleiben, eine Verletzung ihn zu einer Pause zwingt und seine Freundin ihm den Laufpass gibt. Für die Presse ist das ein gefundenes Fressen.
Dann tritt Ben in sein Leben. Lebenserfahren, die Ruhe liebend und jemand, dem feste Grundsätze noch etwas bedeuten. Ein Mann mit einer Vergangenheit, in dessen Leben ein erfolgsverwöhnter Sportler eigentlich nichts zu suchen hat.
Simon steckt in einem Dilemma. Lassen sich Karriere und die Liebe zu einem Mann vereinbaren? Oder bedeutet ein Outing das Ende seiner Karriere?
2., völlig neu überarbeitete Auflage
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Buchvorschau
Simons Wendepunkt - Hanni Fux
Hanni Fux
Simons
Wende
punkt
E-Book, erschienen 2022
ISBN: 978-3-95949-586-8
2. überarbeitete Auflage
Copyright © 2022 MAIN Verlag,
Eutiner Straße 24,
18109 Rostock
www.main-verlag.de
www.facebook.com/MAIN.Verlag
order@main-verlag.de
Text © Hanni Fux
Umschlaggestaltung: © Marta Jakubowska, MAIN Verlag
Umschlagmotiv: © shutterstock 170767502
Kapitelbild: © shutterstock 1165765753
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
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Die Handlung, die handelnden Personen, Orte und Begebenheiten
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nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.
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Das Buch
Simon: Jung, lebenshungrig, mega erfolgreicher Sportler.
International ist er ganz oben angekommen. Alles läuft rund für den Ausnahmesportler, bis Medaillen ausbleiben, eine Verletzung ihn zu einer Pause zwingt und seine Freundin ihm den Laufpass gibt. Für die Presse ist das ein gefundenes Fressen.
Dann tritt Ben in sein Leben. Lebenserfahren, die Ruhe liebend und jemand, dem feste Grundsätze noch etwas bedeuten. Ein Mann mit einer Vergangenheit, in dessen Leben ein erfolgsverwöhnter Sportler eigentlich nichts zu suchen hat.
Simon steckt in einem Dilemma. Lassen sich Karriere und die Liebe zu einem Mann vereinbaren? Oder bedeutet ein Outing das Ende seiner Karriere?
Inhalt
Vorwort
1. Simon
2. Benedikt
3. Simon
4. Benedikt
5. Simon
6. Benedikt
7. Simon
8. Benedikt
9. Simon
10. Benedikt
11. Simon
12. Benedikt
13. Benedikt
14. Simon
15. Simon
16. Benedikt
17. Simon
18. Benedikt
19. Simon
20. Benedikt
21. Simon
22. Benedikt
23. Simon
24. Simon
25. Benedikt
26. Benedikt
27. Simon
28. Simon
29. Benedikt
30. Benedikt
31. Simon
32. Simon
33. Benedikt
34. Simon
35. Benedikt
36. Benedikt
37. Simon
38. Simon
39. Benedikt
40. Simon
41. Benedikt
42. Simon
43. Benedikt
44. Simon
45. Simon
46. Benedikt
47. Simon
48. Simon
49. Simon
50. Benedikt
51. Benedikt
52. Simon
53. Benedikt
Danksagung
Für meine Mäuse
und
Uta … du hättest meine Jungs geliebt, ich weiß es. Verdammt!
Vorwort
Diese Geschichte schrieb ich 2018, nachdem ein Sportreporter berichtete, es habe nie zuvor so viele als homosexuell geoutete Sportler*Innen gegeben, wie bei der britischen Olympiamannschaft von 2016.
Ich war verblüfft. Nicht auf Grund dieser Tatsache, sondern warum er dies erwähnte.
Mein Interesse war geweckt.
Ich recherchierte und fand heraus, dass es in Deutschland ausschließlich Sportlerinnen waren, die sich während ihrer aktiven Laufbahn zu einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft bekannt hatten.
Bei männlichen Sportlern gab es nicht einen einzigen.
Jetzt, vier Jahre später, hat sich an der Situation nichts geändert!
Schwul zu sein, scheint im deutschen Spitzensport noch immer als Tabu zu gelten.
Bevern, im Juni 2022
Hanni Fux
1. Simon
August 2017
Ich bin am Arsch!
Das Licht schien durch die offenen Lamellen und ließ den Staub in den Sonnenstrahlen tanzen. Es musste später Nachmittag sein.
Mir war es gleichgültig.
Ich lag in meinem Bett und starrte seit Stunden an die Zimmerdecke. Der säuerliche Geruch, der mir aus dem verschwitzten Kissen entgegenschlug, ließ mich kalt. Über das Ekel-Stadium war ich schon seit Tagen hinaus.
Die Presse hatte ausnahmsweise mal Recht: Der Schwimmstar Simon Kupfer war untergegangen.
Unwiderruflich, so schien es.
Die Schlagzeilen schrien mir entgegen, sobald ich mit dem Team ins Flugzeug gestiegen war. Auf der Ablage im Eingangsbereich hatten die aktuellen deutschen Ausgaben gelegen.
»Team des DSV in Ungarn ohne Medaille!«
»Simon Kupfer geht in Budapest baden!«
In den letzten Jahren hatte es viele Schlagzeilen und Berichte über mich gegeben. Wahre, spekulative, erfundene. Die negativen, reißerischen beschäftigten sich jedoch ausschließlich mit meinem Privatleben. Ich hatte gelernt damit umzugehen, indem ich versuchte sie zu ignorieren – irgendwie. Sie waren bedeutungslos. Bei diesen hingegen gelang es mir nicht, denn sie betrafen meinen Sport, meinen Job, meine Leidenschaft. Und das war ein Problem, das ich nicht kannte.
Ich hatte versagt.
Unsere gesamte Mannschaft war chancenlos gewesen, Kanonenfutter für unsere Gegner, wie befürchtet. Niemand konnte von uns erwarten Höchstleistungen zu vollbringen, wenn wir sie schon vier Wochen zuvor bei den Deutschen Meisterschaften hatten abrufen müssen, um uns für die WM zu qualifizieren.
Unsere Bestform war in Deutschland verblieben.
Befürchtet hatten wir es alle.
Wir Athleten waren zutiefst verunsichert, die Trainer ratlos. Die Verbandsspitze tobte, denn sie war mit ihren Entscheidungen gescheitert, da mittlerweile Welten von uns entfernt. Auf der abschließenden Pressekonferenz waren Konsequenzen angekündigt worden, sowohl von Seiten des Bundestrainers als auch vom DSV. Wie auch immer die aussehen sollten, es war mir im Moment egal. Uns traf keine Schuld.
Und wie stets hatte sich die Presse auf mich eingeschossen. Auf mich, das ehemalige Wunderkind, Deutschlands Medaillengarant in den letzten sieben Jahren.
Ich hasste das.
Doch das war nicht mein einziges Problem.
Am Anfang der beschissensten Woche meines Lebens hatte Svenja über WhatsApp unsere Beziehung für beendet erklärt, da saß ich gerade im Flieger auf dem Weg zur WM. Nach einem Jahr war ich ihr nur noch zwei Mitteilungen wert. In der ersten machte sie Schluss, in der zweiten begründetet sie ihre Entscheidung mit meiner fehlenden Zeit für sie.
Hallo!
Selbstverständlich fehlte mir Zeit. Das konnte für sie keine Überraschung gewesen sein, denn wir hatten uns an der Uni kennengelernt. Und wie extrem die Trainingsintensität vor einer WM noch einmal anstieg, hatte ich ihr von vornherein mitgeteilt. Dazu kamen die Tage im Trainingslager und die medizinischen Tests zusätzlich zu den Stunden in der Uni und den geforderten Hausarbeiten. Wo sollte ich da noch genügend Zeit für sie abzweigen?
Und dann kam die WM.
Niemals zuvor hatte ich mich so schwerfällig im Wasser bewegt wie in den Tagen in Budapest. Wir alle waren an unsere Grenzen gegangen, hatten alles gegeben, aber in keinem Finale erreichten wir eine Medaille.
Ein Desaster!
Und dann kam noch die Verletzung hinzu, die ich mir am letzten Abend in der Dusche des Hotels zuzog; mein persönliches Highlight. Ich zerrte mir die Muskeln meines rechten Oberarms, weil ich mich krampfhaft an der Kabinenwand festzuhalten versuchte, um nicht auszurutschen. Noch am selben Abend jagten sie mich durchs MRT. Das Ergebnis war niederschmetternd: zwei Wochen Zwangspause. Die Fina-Worldcups Ende August konnte ich vergessen. Ohne Training keine Höchstleistung, ohne Höchstleistung keine Chance auf einen Podestplatz und damit auch keine Prämien.
C’est la vie.
Wann ich wieder ins Wasser durfte, entschieden die Ärzte und mein Physiotherapeut, Felix. Schonung war angesagt. Das kam mir sehr gelegen, denn ich hatte im Moment nichts Besseres zu tun als im Bett zu bleiben und mich von meinen Mitbewohnern bemitleiden zu lassen. Eine ganz neue Erfahrung, die jedoch nicht mehr lange andauern würde, fürchtete ich, denn Tom und Anne hatten angedroht mich spätestens Freitag aus dem Bett zu schmeißen.
Können sie mich nicht einfach in Ruhe lassen?
Ich schwelgte in meiner Verzweiflung. Sie war das Einzige, was mir noch blieb. Ich fühlte mich wie ein ausgewrungenes Wrack – und das mit zweiundzwanzig.
Wollte ich weitermachen? Diese Frage stellte ich mir immer öfter.
Die Wohnungstür klappte. Das musste Anne sein.
Ist es schon so spät?
Heute hatte ich mich um die Wäsche und die Küche kümmern wollen. Versprochen hatte ich es ihnen. Und dann doch wieder vergessen. Seufzend drehte ich mich auf die Seite.
Da flog meine Tür auf.
»So, mein Freund, jetzt reicht’s!« Mit energischen Schritten stürmte Anne durchs Zimmer, zog die Jalousien hoch und riss das Fenster auf.
Schützend legte ich einen Arm über die Augen. »Lass mich in Ruhe!«
»Nix da, du wirst jetzt aufstehen und duschen gehen. Du stinkst!«
Vor meinem inneren Auge sah ich, wie sie, die Hände in die Hüften gestemmt, vor meinem Bett stand und mit einem Fuß wippte. Das tat sie immer, wenn sie wütend war.
»Jetzt pass mal auf! Du trauerst und bist down, okay, das lassen wir alles gelten, aber du suhlst dich geradezu in deinem Selbstmitleid. Ab heute Abend ist damit Schluss! Du gehst jetzt ins Bad und lässt mal wieder Wasser an deinen Körper, dann ziehst du dir etwas anderes als deine speckige Jogginghose an und kommst in die Küche. Tom und Sebastian sollten gleich da sein. Wir werden zusammen kochen und gehen dann, wie verabredet, pünktlich ins Regenbogenhaus, klar?«
Ist das schon heute?
»Ich komme nicht mit.«
»Natürlich kommst du mit!«
Ich nahm den Arm herunter. Mit ihren zusammengekniffenen Lippen sah sie ziemlich sauer aus.
»Simon, egal wie du diese Laune nennst, in der du dich so wunderbar häuslich eingerichtet hast, ab heute hört das auf!«
Ich wollte protestieren, doch sie hob gebieterisch die Hand.
»Ist es die verpatzte WM oder leidest du, weil es mit Svenja aus ist?«
»Äh …«
Sehr eloquent, Simon!
»Du weißt es nicht? Super, dann kann ich ehrlich sein. Ich werde dir auch nur dieses eine Mal sagen, was ich von eurer Verbindung gehalten habe. Nichts!«
Das musste ich erst mal sacken lassen.
Verletzt beobachtete ich, wie sich Anne durch ihr Haar strich. Sie wirkte nervös. Das erleichterte mich, denn wir hatten uns mal geschworen uns nie über unsere jeweiligen Partner auszulassen.
»Weißt du, Simon, ich mochte sie, aber je länger und besser ich sie kannte, desto mehr hatte ich das Gefühl, sie war nur mit dir liiert, weil du der Schwimmstar bist. Immer, wenn ihr gemeinsam unterwegs wart, waren es Events, die von der Presse begleitet wurden. Filmpremieren, Sportbälle und all das. Oder du durftest für sie und ihre ach so wundervollen Freunde den Taxifahrer spielen, weil du halt keinen Alkohol trinkst. Sollte sie hingegen mit uns ausgehen, hatte sie entweder keine Zeit oder war krank.«
»Aber so war es doch gar nicht! Sie war zum Beispiel öfter mit uns im Regenbogenhaus, auch mit zum Essen. Und sie war hier, als Tom seinen Geburtstag feierte.«
»Sie verschwand aber immer viel zu früh, wenn wir alleine blieben. Stimmt’s?«
Ist es so gewesen?
»Und je länger das mit euch andauerte, desto mehr bekam ich das Gefühl, dass immer du es warst, der Rücksicht nahm.«
Regungslos lag ich in den Kissen, hörte meiner Freundin zu und fühlte mich erbärmlich. Trostlosigkeit überkam mich. Wenn ich ehrlich war, musste ich Anne Recht geben, nur hatte ich es im letzten Jahr nicht sehen wollen. Ich dachte an meinen besten Freund Tom. Er strahlte, sobald er seinen Freund Sebastian erblickte, und konnte es kaum erwarten, ihn in seine Arme zu schließen! Solch ein Gefühl hatte ich mit Svenja nie gehabt.
Tom schwebte, ich nicht.
»Oh Anne, was mache ich denn jetzt?« Ich vergrub die Finger in meinen strähnigen Haaren.
»Wir werden heute Abend feiern. Ich habe mir extra neue Schuhe gekauft. Und ab morgen kümmerst du dich wieder um dein Leben. Du bist nicht tot, Simon!« Drohend richtete sie ihren Zeigefinger auf mich. »Außerdem solltest du dich mal wieder um deine Fans kümmern. Auf Facebook und Instagram ist die Hölle los. Sie vermissen dich und fragen sich, was mit dir los ist. Zeig ihnen, dass du dich nicht so leicht unterkriegen lässt. Das hat die Presse in all den Jahren nicht geschafft, oder?«
Das musste ich zugeben. »Was ist mit der Presse?« Besorgt setzte ich mich auf.
Anne hob einen Daumen. »Seit zwei Tagen ist Ruhe. Es gibt Wichtigeres als eine verbockte Schwimm-WM und heute Abend werden eher wenig Pressevertreter da sein, vermute ich. Die formelle Feier mit den Kulturjournalisten ist heute Nachmittag über die Bühne gegangen. Hast du das auch vergessen?«
Ja, hab ich. »Gott sei Dank!«
»Na los, mach dich fertig! Heute Abend werden wir den Leuten einen stolzen Simon Kupfer präsentieren.« Trotzig warf sie ihre hüftlangen Haare zurück.
Seufzend quälte ich mich aus dem Bett.
Kurze Zeit später hörte ich sie mit Geschirr klappern und fragte mich, ob ich all dem gewachsen sein würde. Lust hatte ich keine und wo ich meine Selbstsicherheit hernehmen sollte, war mir ein Rätsel.
2. Benedikt
Als es grün aufleuchtete, drückte ich die Klinke herunter, betrat mein Zimmer und stecke die Schlüsselkarte in ihre Halterung an der Wand, um das Licht zu aktivieren.
Mein Gepäck stellte ich in dem kleinen Flur ab und sah mich betrübt um. Wieder ein Hotelzimmer. In jeder Stadt, die ich in den letzten Wochen besucht hatte, sahen sie gleich aus.
Unpersönlich, ideenlos, austauschbar.
Ich bin es so unendlich leid.
Berlin war meine letzte Station, danach konnte ich nach Hause. Endlich. Es wurde Zeit.
Ich zog die Jacke aus, legte sie auf eine Seite des Doppelbettes, setzte mich auf das Fußende daneben und ließ mich seufzend in die Kissen fallen. Ein klärendes Gespräch mit meinem Verleger stand an, denn zu solch einer Tour war ich nicht mehr bereit. Alle zwei Tage in einer anderen Stadt zu lesen war mörderisch. Ich genoss den Kontakt zu den Lesenden, die meine Bücher liebten. Im englischsprachigen Raum waren es die queeren Hardcore-Thriller, in Deutschland die mit einem ernsteren Hintergrund – immer erotisch, nie explizit. Gern war ich bereit mich weiterhin auf Buchmessen zu zeigen, allerdings nicht mehr auf Lesungen in diesem Ausmaß. Das war zu viel.
Es war purer Stress!
Meine endlose Reise endete morgen mit einer letzten Lesung in einer kleinen Buchhandlung. Ich sehnte mich nach Ruhe, nach den Laufrunden durch die Felder mit Aica, dem Hund meiner Schwester, aber vor allem auf sprachlose Zeit auf unserem Hof, den wir seit zwei Jahren zusammen bewohnten.
Stille wollte ich, brauchte ich. Unbedingt.
Doch erst wollte ich noch den heutigen Abend genießen.
Vor zehn Jahren hatten mein Freund Bernd und ich hier in Berlin ein Jugendhaus eröffnet. Das Jubiläum würde heute groß gefeiert werden. Obwohl ich mich vor gut sieben Jahren aus der Geschäftsführung zurückgezogen hatte, war ich durch die regelmäßigen Telefonate und Mails mit ihm auf dem Laufenden. Ich freute mich darauf, die Neuerungen zu sehen, und besonders auf meine alten Freunde.
Damals schien es ein aussichtsloser Kampf zu sein, ein Jugendhaus für queere Kids zu gründen. Erst durch die großartige Hilfe des damaligen Bürgermeisters und seines Partners und meine Verbindung zur englischen Community war es uns gelungen, eine Stiftung ins Leben zu rufen, um das Ganze zu finanzieren.
Die Stadt überließ uns schließlich ein ehemals besetztes Mietshaus mit Ladengeschäft. Trotz deutscher Bürokratie und engstirniger Nachbarn konnten wir eröffnen. Prominenz aus Politik, Film und Fernsehen hatte sich mit uns verbündet und bis heute mit großzügigen Spenden unterstützt. Damit hatte damals keiner von uns gerechnet. Das Regenbogenhaus ist noch immer ein wichtiger Anlaufpunkt für queere Jugendliche.
Das Dachgeschoss war in diesem Jahr zu mehreren kleinen Wohnungen ausgebaut worden, das wusste ich von Bernd. Sie waren für Jugendliche vorgesehen, die nach ihrem Outing auf der Straße landeten. In Kooperation mit dem Jugendamt wurden sie dort von Pädagogen betreut.
Und heute gab es nun die Feier.
Den offiziellen Empfang am Nachmittag hatte ich verpasst, was für mich eher von Vorteil war, denn ein Speichellecker war ich nie gewesen. Den Spendern für ihre großzügigen Schecks um den Bart zu streichen, überließ ich liebend gern meinem alten Freund und Mitstreiter. Die Party am Abend versprach andere Gäste. Die Kids würden da sein, ihre Freunde, ein paar Angehörige sicher auch und die, die sich zu den ehemaligen Besuchern zählten. Ein DJ war engagiert worden und ein Caterer für Fingerfood. Für diejenigen der Nachmittagsbesucher, die sich unter die Gäste mischen würden, gab es extra Tische auf der Galerie, etwas, was der Rest von uns nicht brauchte. Ich freute mich schon darauf, mich dort ins Getümmel stürzen zu können.
Mit geschlossenen Augen versuchte ich mich zu entspannen, doch der Verkehrslärm, der durch die verriegelten Fenster drang, hinderte mich daran. Entnervt stand ich auf, kramte in meinem Koffer nach frischen Sachen und verschwand im Bad.
Mein Handy klingelte, als ich geduscht wieder ins Zimmer trat.
Herrgott!
Auch das würde ich zur Seite legen, sobald ich wieder zuhause war. Es störte mich gewaltig, permanent erreichbar sein zu müssen. Wie liebte ich es, Mails zu schreiben!
Ich schaute aufs Display und nahm das Gespräch an.
»Hey! Ein letzter Kontrollanruf, bevor wir uns wiedersehen?« Amüsiert lachte ich auf.
»Hi, Ben. Nein, keine Kontrolle. Ich wollte nur hören, ob du schon angekommen bist und morgen tatsächlich nach Hause kommst. Ehrlich, wir vermissen dich und ganz besonders Aica.«
»Ich weiß, ich vermisse euch auch.«
»Sie liegt jeden Morgen vor deiner Eingangstür auf der Matte und wartet auf dich. Du solltest sehen, wie sie nach ein paar Minuten wieder zu mir zurückgetrottet kommt. Es ist herzzerreißend!«
»Ich kann es mir vorstellen. Und wenn ich dann wieder da bin, wird sie so tun, als würde ich sie misshandeln wollen, wenn ich sie zum Laufen mitnehme.«
»Wie auch immer, ich wollte dir viel Spaß wünschen.«
»Danke, den werde ich haben. Morgen noch eine letzte Lesung und dann erwartet mich Ruhe. Darauf freue ich mich.«
»Äh … du denkst aber an die Küchenbauer, die Montag bei dir sein wollten, ja?«
»Ach, verdammt, die habe ich total vergessen. Mist!«
Aus war es mit der ersehnten Stille.
»Sag mal, lachst du?«, rief ich entrüstet ins Telefon. »Wie kann man nur so gehässig sein?«
»Bin ich nicht! Ich habe nur schon geahnt, du würdest sie nicht mehr auf dem Schirm haben.«
»Wie auch, bei meinen vielen Terminen?«
»Na, egal. Morgen hast du es geschafft. Tschüss, Ben.«
Bevor sie auflegte, hörte ich noch ihre nächste Lachsalve.
Belustigt zog ich mich weiter an. Ich lag gut in der Zeit.
In zehn Minuten würde ich mich mit meiner Freundin Monika treffen. Wenn ich in Berlin war, ging es nicht ohne sie. Ich schlüpfte in meinen Anzug und beschloss die Krawatte wegzulassen. Zu förmlich. Den Aufzug komplettierte ich mit meinen cognacfarbenen Lieblingsschuhen und einem passenden Gürtel. Zufrieden betrachtete ich mich im Spiegel. Eitel war ich nicht, aber auf ein Mindestmaß an Style wollte ich heute Abend nicht verzichten. Ich liebte Anzüge und Hemden. Gab es eine Möglichkeit, sie zu tragen, konnte ich nicht widerstehen.
Mit Geld, Zigaretten und Schlüsselkarte machte ich mich auf den Weg zu den Fahrstühlen.
Im Erdgeschoss kam Monika strahlend auf mich zu.
»Du siehst bezaubernd aus!« Ich schloss sie in meine Arme. Das flatterige Sommerkleid und der neue Kurzhaarschnitt standen ihr ausgezeichnet.
»Danke. Gott, ist das schön, dich wiederzusehen!« Sie lächelte mich an, als wir uns aus der Umarmung lösten.
»Wer passt auf deine Zwerge auf?«
»Meine Mutter. Sie werden zu lange fernsehen, Süßigkeiten in sich hineinstopfen und morgen ganz sicher quengelig sein, aber das ist es mir wert. Ich freue mich unbändig wieder mit dir unterwegs zu sein.«
Ich warf einen kritischen Blick auf ihre Schuhe. »Sag mal, brauchst du ein Taxi oder schaffst du es zu Fuß?«
»Lass uns zu Fuß gehen, bitte. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal ohne Kinder und ohne Zeitdruck unterwegs gewesen bin.«
3. Simon
Zusammen saßen wir noch eine Weile bei Pasta in unsere Küche. Tom erzählte von seinem Tag im Architekturbüro, wo er ein Praktikum machte, Anne aus ihrer überfüllten Arztpraxis und Sebastian, Toms Freund, aus dem Kindergarten. Wie immer lockerte er mit seiner positiven Art und allerlei lustigen Erlebnissen unsere bedrückte Stimmung auf. Niemand erwähnte meine derzeitige Situation, dafür war ich ihnen unendlich dankbar. Diese drei waren meine einzigen richtigen Freunde, doch der Alltag, aus dem sie berichteten, war mir fremd. Ich lebte mit meinem Sport und einem durchgetakteten Leben in einer völlig anderen Welt. Schön stellte ich mir es vor, nicht konstant unter Beobachtung zu sein, nicht ständig Diät zu halten und nicht permanent unterwegs zu sein und Höchstleistungen vollbringen zu müssen. Und doch wollte ich es nicht anders haben. Ich liebte meinen Sport. Die Herausforderung, mich an der Weltspitze zu halten, den Kampf mit meinen Gegnern, die Qualen des Trainings, die endlosen Bahnen, die ich täglich ziehen musste und das Wasser.
Ich liebte das Wasser.
Tauchte ich ab, fühlte ich mich frei.
Die wenigen Straßen zum Jugendhaus gingen wir zu Fuß.
Tom und Sebastian liefen mit verschränkten Händen vor und wieder fiel mir auf, wie gut sie zusammenpassten. Sie waren ein schönes Paar, das erkannte ich neidlos an. Beide waren gleich groß und