Impressionismus in Der Russischen Malerei
Von Mikhaïl Guerman
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Buchvorschau
Impressionismus in Der Russischen Malerei - Mikhaïl Guerman
Konstantin Alexejewitsch Korowin, Zwei Damen auf einer Terrasse, 1911. Öl auf Leinwand, 58 x 75 cm. Private Sammlung.
Frankreich-Russland Anfänge des Dialogs
»Jetzt ist eine ganz komische Malerei in Mode«, sagte eine Dame. »Schrecklich! Lauter Pinselstriche, man kann nichts verstehen. Ich war neulich in einer Ausstellung in Petersburg. Impressionisten, heißt es. Da ist zum Beispiel ein Heuschober auf dem Bild, und stellen Sie sich vor: er ist blau!... Unmöglich, schrecklich. Ich denke, wir haben überall grünes Heu, oder? Und der hat es blau gemalt! Und immer Pinselstriche, lauter Pinselstriche... Dabei soll das ein berühmter Maler sein, ein französischer Impressionist. Das gibt’s doch nicht!«
(Konstantin Korowin)
»Wir sind dazu verurteilt, über die Dinge nur das zu wissen, was uns unser Eindruck von ihnen verrät«.
(Anatole France)
Es gab wohl in Europa keine Kultur, die dem Impressionismus weniger geneigt war als die russische Kultur. Wohl haben viele russische Künstler die erfrischende Wirkung der impressionistischen Sehweise gespürt. Wohl wurde die Farbpalette vieler Künstler, die gar nicht daran dachten, auf eine ausführliche Sujetauslegung zu verzichten, unter dem Einfluss der Errungenschaften der Impressionisten heller und schöner. Wohl sind manche Gemälde sogar derjenigen, die dem sozialen Realismus für immer treu blieben, durch erstaunliche Kunstfertigkeit, feinsten Sinn für farbliche Valeurs und Geschick für Improvisation gekennzeichnet. Ja, es gab in Russland schließlich auch Maler, die sich vom gewaltigen und lichten Pathos des Impressionismus hinreißen ließen und die dessen System und Poetik benutzten. Doch während die Kunstexperten in den Diskussionen über die russische Kunst ruhig und sicher die Termini »Klassizismus« oder »Romantik« gebrauchen oder später von der Avantgarde, von der gegenstandslosen Kunst sprechen, wird der Begriff »russischer Impressionismus« recht vorsichtig behandelt.
Alle bisherigen Tendenzen veränderten zwar plastische und koloristische Strukturen, die Malmanier, entwickelten sich von Volumen und Linie zu Farbfleck und Kolorit, von Flächigkeit zu Tiefe, von Regelmäßigkeit und Ordnung zu Improvisation, blieben jedoch im Rahmen der sozialen und moralischen Probleme und räumten dem Ideengehalt den Hauptplatz ein.
Mehr noch: Selbst die klassische russische Avantgarde lehnte bei ihrer nachdrücklichen formalen Bestrebung zwar das Sujet ab, behielt aber, wenn nicht die Narrativität, so zumindest einen Inhalt und eine gewisse Programmhaftigkeit bei. Unmittelbarkeit, reiner Ästhetizismus — diese Begriffe haben mit der russischen Kulturtradition sehr wenig zu tun. Der Einfluss der französischen Kultur auf die russische war schon immer stark, doch nie unkompliziert.
Beim Aufmachen eines »Fensters nach Europa«[1] orientierte sich Russland eher auf Deutschland und Holland als auf Frankreich. Es waren meistens Deutsche, die nach Russland eingeladen wurden; Deutsch und nicht Französisch (vom Englischen ganz zu schweigen) war die erste Fremdsprache, die die Adeligen lernten; es war auch die erste Sprache der russischen Wissenschaft.
Der russischen Mentalität, die zu Reflexion neigte und der Pragmatik fremd blieb, war das »finstere germanische Genie« näher und verständlicher als der »scharfe gallische Sinn« (Alexander Blok).
Erst nach 1789, als viele französische Adelige nach Russland auswanderten, änderte sich allmählich die Situation. Allerdings wollte die Klarheit des Kartesianismus in Russland nicht so gut gedeihen wie in Frankreich und stieß überall auf Widerstand. In Nikolai Gogols berühmtem Fragment »Rom« formuliert ein Italiener (der natürlich die Position des Autors vertritt) sowohl die Begeisterung für das französische System von geistigen Werten als auch die Ablehnung der letzteren: »Er sah, wie es gleichsam nur in den erhitzten Köpfen der Franzosen arbeitete... Bei all ihren glänzenden Zügen, bei all den Aufwallungen von Edelmut und Rittertum, stellt die ganze Nation etwas Blasses, Unvollkommenes dar, ein leichtes Singspiel, von ihr selbst komponiert. Sie ist nicht von der majestätisch-achtungsgebietenden Idee durchdrungen (Kursiv von mir. — M.G.). Überall nur Andeutungen von Gedanken, doch keine wahren Gedanken, überall nur halbe Leidenschaften und keine wahren Leidenschaften; alles ist unvollendet, alles nur entworfen, flüchtig skizziert — die ganze Nation ist eine hübsche Vignette und keineswegs das Bild eines großen Meisters«.
Igor Grabar, Gruppenporträt mit Kornblumen, 1914. Öl auf Leinwand, 142 x 142 cm. Private Sammlung.
Sergei Arsenjewitsch Winogradow, Blühender Mai, 1915-1918. Öl auf Leinwand, 106 x 88,5 cm. Regionales Kunstmuseum, Nowokusnezk, Russland.
Wassily Polenow, Die Mühle an der Quelle des Flusses Vel’, 1874. Öl auf Leinwand, 24 x 26 cm. Staatliche Gedenkstätte für Geschichte, Kunst und Naturmuseum, Tulskaja Oblast, Russland.
Trotz der evidenten Ungerechtigkeit dieser Meinung ist sie glänzend formuliert und charakterisiert nicht sosehr die italienische als vielmehr die russische Auffasung der französischen Zivilisation.
Dazu nimmt der letzte Satz aus dem Zitat gleichsam die Kritik der konsequent-ideengebundenen Kunst am impressionistischen System vorweg: Die Unvollendetheit, das Fehlen der »majestätisch-achtungsgebietenden Idee« wurde bis Ende des vorigen Jahrhunderts als Todsünde betrachtet.
Die Wurzeln der russisch-französischen Kulturdiskussionen wurzeln aber noch tiefer. Das russische Bewusstseins empfand seine Unfreiheit, seine Neigung zu einer fast krankhaften Reflexion und seine Unentschlossenheit als Werkzeug der Selbstkasteiung, zugleich aber auch als Zeugnis einer stolzen Eigenständigkeit. Die russischen Intellektuellen gaben zu, dass dem russischen Nationalbewusstsein jene Klarheit und Konkretheit des Denkens fehle, auf welche Frankreich zu Recht stolz war. Gewiss, der Unfreiheit der russischen Kultur lag die Idee des Dienstes, einer edlen Engagiertheit, einer moralischen Verantwortung zugrunde — all das, was eine Grundbedingung der russischen Kunst blieb.
Die russische Kultur scheint eine Art Eifersucht auf die Freiheit der französischen Kultur empfunden zu haben. Auf die Freiheit im Experimentieren, auf die Unabhängigkeit nicht nur von den künstlerischen Kanons und von der Zensur, sondern auch vom liberalen Rigorismus, und auf die Freiheit der Selbstäußerung. Und schließlich auf die Freiheit von moralischen und sozialen Verpflichtungen der Gesellschaft gegenüber.
Niemand hat über Russland härter geurteilt als seine eigenen Denker. »Wehe dem Volke, welches vom Sklaventum nicht erniedrigt werden konnte: Es ist zum Sklaventum bestimmt«[2], schrieb Pjotr Tschaadajew. Und weiter: »In Russland trägt alles das Siegel des Sklaventums: Sitten, Bestrebungen, Bildung, ja, selbst die Freiheit,wenn man überhaupt von Freiheit in diesem Land sprechen kann«[3].
Mitleid und Verantwortungsgefühl standen bei den russischen Künstlern schon immer über den rein künstlerischen Aufgaben. Der mächtige Aufschwung in der Kultur vollzog sich vor allem im Bereich des Inhalts, des Ethischen.
In den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts erschienen im Künstlermilieu Russlands wie auch Frankreichs Rebellen. Die Maler, die die Akademie der Künste demonstrativ verließen, wollten eine neue inhaltliche Ausrichtung, verlangten nach der Hinwendung zum wirklichen »Volksleben« und verzichteten um der sozialen Wahrheit willen auf die traditionellen mythologischen Themen. Die Entstehung der »Künstlergenossenschaft« (1863) und später der »Künstlergenossenschaft für Wanderausstellungen» (1870), bekannt unter dem Namen Peredwishniki, bedeutete kein plastisches, sondern ausschließlich inhaltliches Suchen.
»Der Wunsch, die Wahrheit auf jeden Preis zu gewinnen, ist ein Zeugnis des natürlichen Wachstums in der Entwicklung der künstlerischen Kräfte, ein Streben, dieses natürliche Wachstum von jeglichen äußerlichen Auswirkungen [...] zu beschützen, das aufrichtigste und wahrhafteste Bedürfnis nach Freiheit. Diesen wichtigen Schritt auf dem Wege zur inneren Befreiung hat die russische Kunst im letzten Jahrzehnt getan...«[4], schrieb der Archäologe und Kunstkenner, Professor der Petersburger Universität, Adrijan Prachow (1846-1916). So sieht die Wahrheit der Kunst in russischer Interpretation aus.
In Frankreich verfochten die Teilnehmer von Protestausstellungen wie des »Salons des Réfusés« (Salon der Zurückgewiesenen), ebenfalls 1863, ausschließlich eine neue plastische Sprache, eine neue Sehweise, den Verzicht auf jegliche soziale Engagiertheit.