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Handbuch Unternehmensrestrukturierung: Grundlagen – Konzepte – Maßnahmen
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eBook4.104 Seiten44 Stunden

Handbuch Unternehmensrestrukturierung: Grundlagen – Konzepte – Maßnahmen

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Über dieses E-Book

Das umfassende Handbuch behandelt alle Aspekte einer erfolgreichen Unternehmenssanierung von den Grundlagen bis zur strategischen Umsetzung. Herausgeber und Autoren aus renommierten Unternehmen und aus der Wissenschaft zeigen, wie Unternehmenskrisen überwunden werden und neue Wachstumsimpulse geschaffen werden können. Sie betrachten bisher gültige Vorgehensweisen im Krisenmanagement im Lichte neuer Trends, sodass veränderte und innovative Ansätze zur erfolgreichen Sanierung führen können. Damit schafft das Handbuch eine umfassende, solide und aktuelle Informationsgrundlage für alle, die nachhaltig mit der Unternehmenssanierung befasst sind.
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer Gabler
Erscheinungsdatum31. Mai 2018
ISBN9783658041168
Handbuch Unternehmensrestrukturierung: Grundlagen – Konzepte – Maßnahmen

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    Buchvorschau

    Handbuch Unternehmensrestrukturierung - Thomas C. Knecht

    Teil I

    Grundlagen der Unternehmensrestrukturierung

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018

    Thomas C. Knecht, Ulrich Hommel und Holger Wohlenberg (Hrsg.)Handbuch UnternehmensrestrukturierungSpringer Reference Wirtschafthttps://doi.org/10.1007/978-3-658-04116-8_1

    Restrukturierung der betrieblichen Unternehmenskrise

    Thomas C. Knecht¹  , Ulrich Hommel²   und Holger Wohlenberg³  

    (1)

    Dr. Knecht & Cie. GmbH, München, Deutschland

    (2)

    EBS Universität für Wirtschaft und Recht, Wiesbaden, Deutschland

    (3)

    Deutsche Börse AG, Frankfurt am Main, Deutschland

    Thomas C. Knecht (Korrespondenzautor)

    Email: thomas.knecht@drknecht.de

    Ulrich Hommel

    Email: ulrich.hommel@ebs.edu

    Holger Wohlenberg

    Email: holger.wohlenberg@deutsche-boerse.com

    1 Unternehmenskrise als fortlaufende Herausforderung

    2 Charakteristika und Erklärungsansätze der Unternehmenskrise

    3 Krisenmerkmale und Insolvenzverfahrensauslöser

    4 Sanierung oder Liquidation als Konsequenz der Unternehmenskrise

    5 Sanierungsverfahren im Überblick

    6 Ausblick: Größere Komplexität, hoher Zeitdruck und neue Akteure verändern die Sanierungslandschaft

    Literatur

    Zusammenfassung

    Rund 26.000 Unternehmen haben 2013 in Deutschland Insolvenz angemeldet. Jedoch spielen sich die meisten Unternehmenskrisen außerhalb der amtlichen Statistik ab, die lediglich die gerichtlichen Insolvenzverfahren erfasst. Da angesichts der zunehmend volatileren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und des schärferen Wettbewerbs kein Unternehmen gegen eine krisenhafte Entwicklung gefeit ist, sollten sich Manager rechtzeitig, also auch ohne konkreten Anlass, mit den theoretischen Grundlagen und den Instrumenten der Krisenbewältigung befassen.

    Die Sanierung von Unternehmen vollzieht sich nicht nur in der Schnittmenge zwischen den Disziplinen Rechtswissenschaft und Betriebswirtschaft, sondern auch im Spannungsfeld zwischen strategischer Neuausrichtung und gesetzlicher Insolvenz. In dieser Konstellation erfordert die Lösung einer Unternehmenskrise von allen Beteiligten ein umfassendes Verständnis dieser Problemlage. Voraussetzung dafür sind wesentliche Kenntnisse sanierungsrelevanter ökonomischer und juristischer Erfordernisse sowie der Grundlagen, Methoden und Implikationen eines ganzheitlichen Krisenmanagements. Dieses Wissensfundament zu legen und dabei gleichzeitig einen Bogen zu spannen, der die einzelnen Elemente dieser Publikation zusammenhält, ist der Anspruch dieses Beitrags. Zunächst werden Charakteristika und Erklärungsansätze der Unternehmenskrise geschildert. Darauf aufbauend folgt eine detaillierte Darstellung der Insolvenzverfahrensauslöser. Ein Abschnitt beschäftigt sich mit den wichtigsten Aspekten der Sanierungswürdigkeit und Sanierungsfähigkeit sowie des Stakeholder-Managements. Des Weiteren gibt dieser Beitrag einen Überblick über die Verfahren der gerichtlichen und außergerichtlichen Sanierung, wobei auch auf das ESUG als „hybriden" Verfahrensansatz eingegangen wird.

    Schlüsselwörter

    ESUGInsolvenzverfahrenKrisenursachenKrisensymptomeSanierungskonzeptSanierungsfähigkeitSanierungswürdigkeitStakeholder-ManagementÜberschuldungZahlungsunfähigkeitdrohende Zahlungsunfähigkeit

    1 Unternehmenskrise als fortlaufende Herausforderung

    „Only the paranoid survive. Sooner or later, something fundamental in your business world will change." – Andrew S. Grove, einer der Gründer und bis 1997 CEO des US-Unternehmens Intel, plädiert für permanente Wachsamkeit: Unternehmen müssen jederzeit hinterfragen, ob und in welchem Ausmaß Veränderungen im Umfeld ihr Geschäftsmodell gefährden und damit das Fundament ihrer Existenz untergraben (Grove 1996).

    Die Auseinandersetzung mit Veränderungen reduzieren einige Unternehmen auf die Beobachtung ihrer Wettbewerber. Diese Betrachtungsweise greift jedoch zu kurz. Denn der Wandel hat viele herausfordernde Facetten: Verschiebung der Markt- und Wettbewerbsgrenzen, neue Kundenbedürfnisse und kürzere Produktzyklen, Technologiesprünge, die als disruptive Innovationen tradierte Geschäftsmodelle bedrohen, makroökonomische und politische Krisen. Unternehmen agieren heute in einem hochvolatilen Umfeld und sollten deshalb in der Lage sein, Veränderungen frühzeitig zu erkennen sowie schnell und flexibel darauf zu reagieren. Diese Anpassungsfähigkeit hat sich zu einem entscheidenden Faktor für die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen entwickelt. Demnach zählt es zu den Kernaufgaben der Unternehmensführung, die Anpassungskapazität zu sichern und das soziale System Unternehmung generell für Veränderungen und Neuausrichtungen offen zu halten. Erfolgreiche Unternehmen lassen sich daher als wandlungsfähige Gebilde interpretieren.

    Die Bereitschaft und die Fähigkeit zum Wandel stellen oft nur einen Indikator für tiefergreifende Fragen zur generellen Anpassungsfähigkeit dar, die nicht selten über das Fortbestehen einer Organisation entscheidet. In der Vergangenheit waren konsequente Rationalisierungsstrategien mit einhergehendem Personalabbau zur Senkung von Gemeinkosten der Leistungserstellung ein Ansatz zur Ermittlung konkurrenzfähiger Preisgrenzen. Aspekte der Kostenorientierung dominierten über die Ressourcenflexibilität. Es zeigt sich, dass die Neuausrichtung bzw. der Wandel gerade im Mittelstand meist mit einem nachhaltigen Abschmelzen unternehmerischer Reserven einhergeht und so eine grundlegende Problemsituation markiert. Sofern ein Mindestmaß an „organizational slack" unterschritten wird, drückt sich dies als Unternehmenskrise aus. Hinzu kommt: Die Verbesserung von Prozessen und der Kostenstrukturen sind zwar notwendige, aber keine hinreichenden Bedingungen für den unternehmerischen Erfolg. Der hängt maßgeblich von der Strategie und den Geschäftsmodellen einer Organisation ab. Ein weiterer Faktor, der die Krisenanfälligkeit tendenziell erhöht, ist der relativ hohe Fremdkapitalanteil vieler kleiner und mittlerer Unternehmen. Laut der Creditreform-Studie Wirtschaftslage und Finanzierung im Mittelstand (Creditreform Wirtschaftsforschung 2014a) haben drei von vier mittelständischen Unternehmen¹ Eigenkapitalquoten von weniger als 30 Prozent.

    Die Bereitschaft, das Geschäftsmodell und die Strategie zu hinterfragen und gegebenenfalls neu auszurichten, ist ein entscheidender Faktor für die Erfolgsaussichten eines Unternehmens. Aber aus der Wirtschaftsgeschichte sind einige Beispiele renommierter Unternehmen bekannt, die jene von Andrew S. Grove geforderte paranoide Wachsamkeit vernachlässigt und die Auswirkungen von Technologiesprüngen auf ihre Geschäftsmodelle völlig falsch eingeschätzt haben:

    Der Film- und Fotokonzern Eastman Kodak aus dem US-Bundesstaat New York war über Jahrzehnte hinweg unangefochten Weltmarktführer auf dem Markt für Fotokameras und Filme. 1975 entwickelte das Unternehmen die erste Digitalkamera, brachte sie jedoch nicht auf den Markt – Kodak wollte sein auf der analogen Fotografie basierendes Produktportfolio nicht gefährden. Noch 1999 war der US-Konzern überzeugt, dass die digitale Fotografie bis 2009 lediglich einen geringen Marktanteil erobern würde. Mit dieser Einschätzung lag Kodak falsch: Inzwischen war der Marktanteil der analogen Fotografie auf 5 Prozent geschrumpft. 2012 musste Kodak Insolvenz anmelden (Krys 2011; Gassmann et al. 2013).

    Ein anderes Beispiel für einen Weltkonzern, der einen Technologietrend zu lange ignoriert hat, war der Büromaschinen-Hersteller TA Triumpf Adler. Das 1886 gegründete Traditionsunternehmen produzierte unter anderem Schreibmaschinen und belegte 1968 weltweit Platz fünf unter den führenden Büromaschinenherstellern. Das Aufkommen der PCs seit Ende der 1980er-Jahre stürzte die Nachfrage nach elektronischen Schreibmaschinen in den freien Fall. Die Produktionsstätten von TA Triumpf Adler wurden geschlossen. Inzwischen ist das Unternehmen nach einer tiefgreifenden Restrukturierung als 100-prozentige Tochter des japanischen Kyocera-Konzerns auf hocheffiziente Prozesse im Dokumentenmanagement spezialisiert (Krys 2011).

    Ein Beispiel aus jüngster Zeit, wie Veränderungen im Umfeld die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens aushöhlen können, ist der deutsche TV-Hersteller Loewe. Obwohl seine Fernsehgeräte im Hinblick auf Technologie und Design gut im Premium-Segment positioniert waren, geriet das Unternehmen zunehmend in finanzielle Schieflage. Ein wesentlicher Grund dafür waren zu geringe Stückzahlen, um bei der Beschaffung von Komponenten akzeptable Einkaufspreise zu erzielen. Im Geschäftsjahr 2012 beliefen sich die Verluste auf 29 Millionen Euro (Loewe AG 2013); im Februar 2013 musste das Traditionsunternehmen verkünden, dass die Hälfte des Grundkapitals aufgezehrt sei. Im Herbst beantragte Loewe Insolvenz in Eigenverwaltung. Inzwischen hat ein Investor Loewe übernommen (O.V. 2014).

    Im Jahr 2013 haben rund 26.000 Unternehmen in Deutschland Insolvenz angemeldet, etwa acht Prozent weniger als im Vorjahr (siehe Abb. 1). Damit verzeichnet die Insolvenzstatistik den niedrigsten Wert seit 2004. Als Gründe für diese „Entspannung des Insolvenzgeschehens benennt Creditreform „das anhaltend freundliche Konjunkturumfeld mit einem hohen Beschäftigungsniveau sowie die finanziell verbesserte Stabilität der Unternehmen (Creditreform Wirtschaftsforschung 2013a).

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    Abb. 1

    Entwicklung der Insolvenzfälle in Deutschland 2004 bis 2013. (Quelle: Creditreform Wirtschaftsforschung 2014b)

    Ein anderes Bild ergibt die Gesamtschau der westeuropäischen Länder: In Westeuropa beantragten 2012 etwa 177.685 Unternehmen Insolvenz, das entspricht einer leichten Steigerung (2,6 Prozent) gegenüber 2011. Dieser Zuwachs ist insbesondere auf die Entwicklungen in Spanien, Portugal und Italien zurückzuführen. In diesen drei Staaten hat die Zahl der Insolvenzen zwischen 2011 und 2012 massiv zugenommen. Im Durchschnitt lag die Insolvenzquote in Westeuropa bei 70, das heißt, von 10.000 Unternehmen meldeten 70 Insolvenz an. In Anbetracht des Ausmaßes der Wirtschaftskrisen in Ländern wie Griechenland und Spanien erscheint dieser Wert auf den ersten Blick relativ niedrig. Um Fehlinterpretationen zu vermeiden, muss man sich vergegenwärtigen, dass die Insolvenzquote auf Basis der registrieren Insolvenzen ermittelt wird. De facto führten jedoch in der Regel Liquidationen zum Marktaustritt von Unternehmen, da in vielen Fällen Insolvenzverfahren gar nicht erst eröffnet wurden. So wurden in Spanien im Zeitraum 2007 bis 2012 über 200.000 Unternehmen geschlossen (Creditreform Wirtschaftsforschung 2013b).

    Der Blick in die deutsche Statistik zeigt, dass vor allem Kleinunternehmen mit maximal fünf Mitarbeitern von Insolvenz betroffen sind. Fast vier Fünftel aller Unternehmen, die 2013 Insolvenz angemeldet haben, gehört zu dieser Kategorie. Größe ist aber kein Schutz vor der Krise: Wer das Insolvenzgeschehen im Zeitraum 2005 bis 2013 betrachtet, stößt auf Großunternehmen verschiedener Branchen: Praktiker AG, Quelle AG, neckermann.de GmbH, Anton Schlecker e. K., manroland Vertrieb und Service GmbH, Verlagsgruppe Weltbild GmbH etc.

    Immer wieder ist darauf hinzuweisen, dass die amtliche Statistik nur einen kleinen Ausschnitt der Unternehmen erfasst, die sich in einer angespannten Lage befinden. Der Großteil der Unternehmenskrisen spielt sich außerhalb eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens ab. Allein in der Umsatzklassifizierung ab 50 Millionen Euro dürften derzeit in Deutschland mehr als 2230 Unternehmen Sanierungsbedarf aufweisen.²

    Der Zusammenbruch ehemals leistungsfähiger, etablierter Unternehmen zieht aufgrund des sog. Kettenzusammenhangs auch direkt und indirekt verbundene Gesellschaften in Mitleidenschaft. Über ausbleibende Lieferungen bzw. unzufriedene Abnehmer werden Unternehmen, die vertragliche Verbindungen zum Krisenfall unterhalten haben, finanziell geschädigt. Eine starke Volumenkonzentration der Lieferanten und Abnehmer löst nicht selten auch bei diesen eine Krise aus. Gesamtwirtschaftlich betrachtet haben die Zusammenbrüche bzw. finanziellen Schäden der Klein- und Mittelbetriebe ein mindestens gleichwertiges Gewicht zu den Krisen der Großunternehmen, auch wenn diese oft nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen.

    Unternehmenskrisen generieren erheblichen finanziellen Schaden für die Stakeholder. Durch Unternehmensinsolvenzen bedingte finanzielle Schäden für Gläubiger (ohne Kreditinstitute) beliefen sich 2013 auf 26,9 Milliarden Euro (vgl. Abb. 2). Davon entfielen 8 Milliarden Euro auf die öffentliche Hand und 18,9 Milliarden Euro auf private Gläubiger. Rein rechnerisch entsprach also jede Unternehmensinsolvenz einem Forderungsverlust in Höhe von circa 700.000 Euro je privatem Gläubiger. Bei Kreditinstituten drücken nicht nur die bereits ausgefallenen Engagements den Ertrag, sondern auch die vorzunehmenden Wertberichtigungen auf potenzielle Forderungsausfälle. So beträgt die Risikovorsorge für Kreditausfälle der zehn größten Bankhäuser in Deutschland im Jahr 2013 rd. 8,8 Milliarden Euro. Allein die Reduktion der Risikovorsorge um 10 Prozent würde c.p. eine Ergebniserhöhung um rd. 13 Prozent ermöglichen. Hinzu kommt, dass Unternehmensinsolvenzen in der Regel mit dem Verlust von Arbeitsplätzen einhergehen: In den Unternehmen, die 2013 Insolvenz angemeldet hatten, sind über 280.000 Stellen gestrichen worden oder stehen zur Disposition.

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    Abb. 2

    Entwicklung der Insolvenzschäden in Deutschland 2000 bis 2013 in Mrd. Euro. (Quelle: Creditreform Wirtschaftsforschung 2014b)

    Nach der reinen marktwirtschaftlichen Lehre ist das Sterben von Unternehmen ein normaler Bestandteil des Marktgeschehens und Ausdruck der Selbstreinigungskräfte des Marktes. Angesichts der betriebs- und volkswirtschaftlichen Schadensbilanz von Unternehmenskrisen kann die Berufung auf dieses Auslese-Prinzip jedoch keine Legitimation sein, angeschlagene Unternehmen tatenlos Richtung Liquidation fallen zu lassen. Im Gegenteil: Die Entschärfung einer Unternehmenskrise verlangt den Beteiligten die Mobilisierung aller verfügbaren Ressourcen ab. Als Ausnahmezustand im Lebenszyklus einer Organisation erfordert die Unternehmenskrise spezielle Kompetenzen und Fachwissen. Management und externe Berater müssen über fundierte Kenntnisse und Methodenkompetenz zur nachhaltigen Bewältigung von Unternehmenskrisen verfügen.

    Die kontrollierte Steuerung der Unternehmenskrise erfordert den Rückgriff auf konzeptionell gesicherte Grundlagen, die in der relativ jungen Forschung zur Krisentheorie noch nicht in allen Teilgebieten vollständig vorhanden sind. Gerade durch die Komplexität der Unternehmenskrise und des damit einhergehenden Zeitdrucks zur Situationsregulierung ist es erfolgskritisch, die erforderlichen Instrumente zu beherrschen, um die „Gesundung der Patienten" gewährleisten zu können. Die Sanierung von Unternehmen findet in einer Schnittmenge der Disziplinen Rechtswissenschaft und Betriebswirtschaft statt. Für die Jurisprudenz sind die Rahmenbedingungen durch die entsprechenden Gesetze definiert oder durch höchstrichterliche Rechtsprechung vorgegeben. Die Betriebswirtschaftslehre sollte beim Thema Unternehmenskrise ohne solche eindeutigen Leitplanken auskommen. Die zentralen Aufgabengebiete umfassen mit der Analyse, Konzeption, Umsetzung und Erfolgskontrolle typische Aktivitätsfelder des Ökonomen (Risse 2001); die spezifischen Vorgehens- und Wirkungsweisen sind bislang wesentlich in der unternehmerischen Praxis gebündelt. Akademisch fundierte, empirische Forschungsarbeiten zum Themenfeld Unternehmenskrise sind bislang stark vernachlässigt worden und markieren ein offenes Forschungsgebiet. Gerade für die Betriebswirtschaftslehre gilt es daher, mit empirisch gesicherten Erkenntnissen das Erfahrungswissen der Unternehmenspraxis zu dokumentieren bzw. zu kommentieren, um gesicherte Grundlagen für das Themenfeld im ökonomischen Systemgebäude zu etablieren und so der zentralen Rolle der Betriebswirtschaftslehre bei der Sanierung gerecht zu werden (Risse 2001).

    Diese Aspekte zeigen bereits, dass die Unternehmenskrise im Spannungsfeld zwischen strategischer Neuausrichtung und gesetzlicher Insolvenz weiter in den Fokus von Wissenschaft und Wirtschaft zu rücken ist. Die spezifischen Handlungsoptionen und -pflichten in der Unternehmenskrise erfordern gleichzeitig ein ganzheitliches Verständnis zur Problemidentifikation sowie detailliertes Wissen zur Problemlösung. Voraussetzung dafür ist, den Beteiligten und Betroffenen eine gemeinsame „Sprachbasis und zusammenhängende Grundkenntnisse von ökonomischen und juristischen Facetten darzulegen, die im folgenden Abschnitt im Mittelpunkt stehen. Darauf aufbauend wird ein Bezugsrahmen konstituiert, der die Grundlagen, Methoden und Implikationen des ganzheitlichen Krisenmanagements darlegt und die Elemente zu einer inhaltlichen „Klammer der vorliegenden Publikation zusammenfügt.

    2 Charakteristika und Erklärungsansätze der Unternehmenskrise

    2.1 Begriffsabgrenzung: Unternehmenskrise, Sanierung und Turnaround

    Erfahren Organisationen Widersprüche zwischen tradierten Wissensbeständen und außergewöhnlichen Ereignissen, so entsteht oft eine problematische Situation, die als Störung des Systems wahrgenommen und als Unternehmenskrise bezeichnet wird (Kuhn 1962). Dabei stellen nicht alle ungeplanten und bewältigungsbedürftigen Probleme bereits eine Unternehmenskrise dar. Um ein gemeinsames Verständnis des Begriffs ‚Krise‘ herzustellen, gilt es, den Inhalt dieses Terminus zu bestimmen.

    Der etymologische Ursprung des Wortes ‚Krise‘ liegt im Altgriechischen, wo ‚krisis‘ als Wendepunkt und Entscheidung verstanden wird. Dabei wird v. a. der Bezug zu einer entscheidenden Phase einer Krankheit in den Vordergrund gestellt, sodass der Begriff in der Medizin verbreitet ist. Dort steht ‚Krise‘ für eine Entscheidungssituation zwischen Genesung und Tod des Patienten und markiert damit den Wende- bzw. Höhepunkt einer gefährlichen Situation. Eine ähnliche Auslegung hat der Terminus in anderen Wissenschaftsdisziplinen, etwa der Politologie, erfahren. Eine themenübergreifende Gemeinsamkeit in der Begriffsabgrenzung besteht in der unerwarteten Störung des Systems, die für dieses eine existenzbedrohende Notsituation darstellt.

    Aus traditionell betriebswirtschaftlicher Perspektive „wird der Krisenbegriff auf eine mikro-ökonomische Einheit, d. h. auf eine selbständig wirtschaftende Unternehmung bezogen. Die Bedrohung bedeutet hier Existenzgefährdung des Gesamtunternehmens. Sie ist gegeben, wenn die Selbständigkeit im Sinne der autonomen Entscheidungseinheit in Frage gestellt ist. Nicht einzelne Teile, Sparten oder Funktionsbereiche sind Gegenstand der Betrachtung, sondern die akut gestellte Existenzfrage für das selbständige Weiterbestehen des Unternehmens als Ganzes" (Witte 1981a). Die Bedrohung der Unternehmensexistenz, also der Lebensfähigkeit eines Schuldners, bedeutet jedoch nicht automatisch den Exitus der Organisation. Charakteristisches Merkmal der betriebswirtschaftlichen Unternehmenskrise ist die Ambiguität ihres Ausgangs. Anders formuliert: Der Krise immanent ist die Chance zu einer positiven Wende (Maus 2003).

    Im Umkehrschluss soll die Notsituation eines Unternehmens nicht als Unternehmenskrise bezeichnet werden, wenn ex ante feststeht, dass eine Existenzauflösung der Gesellschaft unabwendbar ist. Das verdeutlicht bspw. Krystek, indem er Unternehmenskrisen als „ungeplante und ungewollte Prozesse von begrenzter Dauer und Beeinflussbarkeit sowie mit ambivalentem Ausgang" definiert (Krystek 1987). Vor diesem Hintergrund ist zu berücksichtigen, dass die Konsequenzen einer Unternehmenskrise bereits Rechtspflichten für die Geschäftsführung auslösen können. So ist bspw. der Geschäftsführer bei Vorliegen einer betriebswirtschaftlichen Krisensituation verpflichtet, eine Schwachstellenanalyse durchzuführen und Sanierungsmaßnahmen einzuleiten. Wird den Gesellschaftern nicht rechtzeitig die Gelegenheit zur Krisenabwendung eingeräumt, da der Geschäftsführer die Krisensituation verkannt hat, so kann er u. a. bei Verschulden nach § 43 GmbHG auf Schadensersatz haften (Uhlenbruck 2003). Somit ist es nicht verwunderlich, dass die Unternehmenskrise als genereller Auslöser einer Sanierungsprüfung angesehen wird. Das IDW führt daher eine mehr operative Begriffsabgrenzung ein, die auch dem vorliegenden Gesamtwerk zugrunde gelegt werden soll³: Die Unternehmenskrise bezeichnet „die Notsituation eines Unternehmens, gleichsam als Ergebnis eines ungewollten Prozesses, in dessen Verlauf die Erfolgspotenziale, das Reinvermögen und/ oder die Liquidität des Unternehmens sich so ungünstig entwickelt haben, dass seine Existenz akut bedroht ist. Entweder wird durch die Sanierung die Notsituation überwunden oder sie endet im Zusammenbruch des Unternehmens" (Pfitzer 2002).

    Manifestiert sich die betriebswirtschaftliche Krise in Gestalt eines konkreten Insolvenzgrundes, befindet sich die Gesellschaft in einer rechtlich relevanten Unternehmenskrise; sie soll als Zeitraum zwischen der identifizierten Insolvenzreife (materielle Insolvenz) und dem eröffneten Verfahren (formelle Insolvenz) verstanden werden (Picot und Aleth 1999). Die Kreditunwürdigkeit einer Gesellschaft, d. h., der Bezug eines Darlehens zu marktüblichen Bedingungen von einem externen Dritten ist aufgrund unzureichender Vermögenslage nicht möglich, kann bereits als rechtlich relevante Krise betrachtet werden. Liegt vor diesem Hintergrund die Zahlungsunfähigkeit und/ oder die Überschuldung der Gesellschaft vor, so hat die Geschäftsführung der Gesellschaft nach § 15a InsO ohne schuldhaftes Zögern, aber spätestens binnen drei Wochen nach Eintritt des Insolvenzgrundes, die Beantragung zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorzunehmen. Bereits im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens kann das Insolvenzgericht Maßnahmen zur vorläufigen Sicherung des Schuldnervermögens anordnen und dessen Leitungsorganen damit faktisch die Verfügungsgewalt über das Unternehmen entziehen. Die Leitungsmacht wird dann, zumindest teilweise, auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter oder Sachwalter übertragen. Spätestens mit dem gerichtlichen Eröffnungsbeschluss verlieren die Schuldner die Verfügungsfreiheit über das Vermögen (§ 80 InsO), wenn nicht, wie etwa im Verfahren der Eigenverwaltung nach den § 270 ff. InsO, durch das Gericht etwas anderes angeordnet wird.

    Wird die Unternehmenskrise bereits frühzeitig identifiziert, kann durch Anpassung der Unternehmensstrategie ein Kurswechsel eingeleitet und die Krisensituation abgewendet werden. Dieser sog. Turnaround beginnt dann, wenn der Erfolg des Unternehmens unter dem minimal akzeptierbaren Niveau liegt. Das akzeptierbare Niveau wird über die Definition der Unternehmensziele bestimmt (Böckenförde 1996). Die Antizipation bzw. frühzeitige Identifikation von Unternehmenskrisen ermöglicht mittel- bis langfristige Maßnahmen, indem bspw. bestehende Unternehmensstrukturen angepasst werden. Diese Anpassungen werden als Restrukturierung des Unternehmens verstanden. Begrifflich umfasst die Restrukturierung alle Formen eines tiefgreifenden Wandels der Gesellschaft. Die Begrifflichkeiten Restrukturierung und Turnaround werden nicht selten synonym eingesetzt.

    Eine späte Identifikation der Unternehmenskrise (sog. „Fünf-vor-zwölf-Erkennung) zeigt sich bspw. durch fortlaufende und nachhaltige Liquiditätsprobleme. Zur Sanierung der betrieblichen Krise ist, auf Basis einer Kurzdiagnose, die Umsetzung umgehend wirkender Sofortmaßnahmen nötig, um die materielle Insolvenz abzuwenden. Dieser Kontext weist auch auf die etymologischen Wurzeln des Begriffs ‚Sanierung‘ hin: Das lateinische Verb ‚sanare‘ bedeutet ‚gesund machen, heilen‘. Eine erste grundlegende begriffliche Abgrenzung der Sanierung hat Gutenberg geprägt: „Die Sanierung umfasst alle Maßnahmen zur Beseitigung von Schäden, die im Gefüge eines Unternehmens entstanden sind und seine Existenzfrage stellen. (Gutenberg 1938). Es steht also bei der Sanierung die Sicherstellung gefährdeter bzw. die Wiederherstellung verlorener Lebensfähigkeit einer Gesellschaft im Vordergrund. Die erforderlichen Maßnahmen haben dabei die vollständige Beseitigung der Gefährdungstatbestände als Ziel. Im Rahmen der Sanierung geht es somit nicht nur um die Eliminierung von kurzfristigen Verlustbringern, sondern um ein umfassendes Paket, das alle relevanten leistungswirtschaftlichen, finanziellen und strukturellen Maßnahmen umfasst.

    2.2 Von der strategischen Krise zur Insolvenz

    In der einschlägigen Literatur wird konstatiert, dass die Unternehmenskrise ein zeitlicher Ablauf von Ereignissen ist, also ein phasenspezifischer Fehlentwicklungsprozess (Krystek 1987). Gerade die Beschreibung der Prozessphasen ist von besonderem Interesse für die Unternehmenspraxis, da so die spezifischen Merkmale der Krisenkandidaten verglichen und maßnahmenspezifisch beurteilt werden können. Forschungsarbeiten, die den Krisenverlauf als strukturierten Prozess auffassen, ermöglichen die Bestimmung phasengerechter Ansatzpunkte zum Krisenmanagement. Die ökonomischen Modelle basieren dabei meist auf den Erkenntnissen der Politologie und stellen den Krisenverlauf mit zwei bis zehn Prozessphasen dar (Albach 1979).

    Der Krisenverlauf wird hier exemplarisch am Vier-Phasen-Modell von Müller gezeigt. Sein Modell stellt die Etappen des Krisenprozesses in Abhängigkeit vom Grad der Existenzbedrohung dar, wobei die Insolvenz explizit berücksichtigt und der Ambivalenz des Krisenergebnisses Rechnung getragen wird (vgl. Abb. 3) (Müller 1982). Originär zielt der Ansatz von Müller auf die Klassifizierung der Krisenarten, indem die Art der gefährdeten Unternehmensziele und die Zeitperiode, die dem Krisenmanagement zur Problembehandlung zur Verfügung steht, thematisiert werden. Ausgangspunkt bildet die strategische Krise, in der die längerfristig wirkenden Erfolgspotenziale einer Unternehmung bedroht sind. Dazu zählt bspw. eine imageträchtige Produkt-/ Firmenmarke. Sofern die geplanten finanziellen Unternehmensziele wie Gewinn oder Umsatz unterschritten werden, erweitert sich die strategische Krise zu einer Erfolgskrise. In dieser Prozessphase wird die Umsetzung wesentlicher Erfolgsziele in Frage gestellt. Das Unternehmen erzielt bereits nachhaltig Verluste, und das Eigenkapital ist soweit aufgebraucht, dass die Gefahr der Überschuldung droht. Unzureichende Effizienz und/ oder Nachfrageverschiebungen im Zielmarkt stellen die Verlusttreiber des leistungswirtschaftlichen Bereichs in den Fokus. Dabei ist zu prüfen, ob das Management die vorhandenen Erfolgspotenziale optimal für die Ertragslage einsetzt.

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    Abb. 3

    Entwicklung der Unternehmenskrise. (Quelle: Müller 1982)

    Werden die Erfolgsziele dauerhaft verfehlt, besteht die akute Gefahr der Zahlungsunfähigkeit. In der dritten Prozessphase, der Liquiditätskrise, rücken die insolvenzrechtlich relevanten Krisentatbestände durch drohende Illiquidität und/ oder Überschuldung in den Vordergrund. Die fälligen Zahlungsverpflichtungen können oft nur mit erheblichen Schwierigkeiten erfüllt werden. Kündigen Kreditgeber ihre Engagements und stellen die Forderungen fällig, erhöht sich die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit sprunghaft. Mit der Erfüllung eines Insolvenztatbestands tritt die Gesellschaft in die vierte Prozessphase ein, in die Insolvenz. Im Rahmen der Insolvenzordnung ist eine gerichtliche Sanierung möglich, oft können die Gläubigeransprüche allerdings nicht hinreichend befriedigt werden, so dass es zur Abwicklung bzw. Liquidation kommen kann. Allerdings ist die Vollbefriedigung der Gläubiger keine Voraussetzung für eine gerichtliche Sanierung. Vielmehr können Gläubiger durch Stundung der Forderung oder durch Umwandlung der Forderung in Anteils- und Mitgliedschaftsrechte (Dept-Equity-Swap) an dem Fortführungswert beteiligt werden.

    Bemerkenswerterweise läuft die Entstehungsfolge einer Unternehmenskrise der Erkennungsfolge entgegen. In der Praxis lässt sich bspw. die Entstehung einer Krise am fehlenden Umsatz bzw. an der Ergebnisverschlechterung ableiten, wodurch die Ertragskrise evident wird. Kommt es zu einer Verlustfinanzierung, führt dies i. d. R. auch zur Liquiditätskrise. Weitere Analysebemühungen zeigen auch die Ursachen der strategischen Krise. Insgesamt wird klar, dass eine frühzeitige Identifikation der Symptome einen besonderen Stellenwert für die Vermeidung und Bewältigung von Unternehmenskrisen besitzt. Da der Handlungsdruck im Zeitablauf steigt und gleichzeitig Unternehmenssubstanz vernichtet wird, bestehen auch für das Krisenmanagement die besten „Rettungsaussichten", wenn Probleme frühzeitig und konsequent offengelegt und adressiert werden.

    2.3 Krisenursachen und Krisensymptome

    Die erfolgreiche Bewältigung von Unternehmenskrisen setzt voraus, relevante Krisenursachen und deren Folgen zu erkennen. Prinzipiell ist das Spektrum möglicher Krisenursachen eines Unternehmens fast genauso groß wie das Spektrum der Betriebswirtschaftslehre, die sich bereits seit den 1930er-Jahren mit der Erforschung von Krisenursachen auseinandersetzt (Fleege-Althoff 1930). Die Krisenursachenforschung wurde weitgehend als Insolvenzursachenforschung verstanden, indem Rückschlüsse aus dem Vergleich von „kranken zu „gesunden Unternehmen gezogen wurden. Dieser Art der Erforschung der Krisenursachen haftet allerding der Nachteil an, dass Gesellschaften, die eine Krisensituation erfolgreich gemeistert haben, bei der Betrachtung außen vor blieben. Die Vielzahl von Forschungsarbeiten, die sich mit dem Vergleich von Krisengruppen befasst und ebenso umfangreiche wie heterogene Studienergebnisse geliefert hat, unterstreicht, dass solche Rückschlüsse kaum haltbar sind (Hauschildt 1988). Dies zeigt, dass bis heute keine einheitliche ökonomische „Theorie der Unternehmenskrise" existiert. Die facettenreichen Erkenntnisse der bisher vorliegenden Untersuchungen verdeutlichen allerdings, dass Managementfehler als die häufigste Krisenursache gelten.

    Die Ansätze der betriebswirtschaftlichen Krisenforschung lassen sich in quantitative und qualitative Ansätze differenzieren. Die quantitativen Ansätze versuchen, im Sinne eines Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs Merkmale zu identifizieren, die den Risikogehalt in Relation zur Unternehmenskrise messen. Quantitative Instrumente spielen gerade im Rahmen der Krisenfrüherkennung eine wesentliche Rolle. Es gibt unterschiedliche Kennzahlensysteme, um die wirtschaftliche Lage von Unternehmen zu analysieren (Wilden 2014). Eine Einschätzung über die Krisenanfälligkeit von Unternehmen lässt sich auch anhand von Ratingnoten treffen. Ein Rating drückt die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit aus. An dieses Instrument zur Bonitätsbeurteilung knüpfen Banken und andere Kapitalgeber die Hoffnung, dass sich die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Kreditengagements prognostizieren lässt. In ein Ranking fließen quantitative und qualitative Komponenten ein. Für die quantitativen Komponenten bilden die meisten Banken aus Bilanz- und GuV-Kennziffern sowie Cashflow-Informationen einen Bilanzbonitätsfaktor. Die qualitativen Komponenten umfassen „soft facts", die sich nicht anhand konkreter Kennzahlen evaluieren lassen. Dazu zählen beispielsweise das Kontoführungsverhalten, Organisation und strategische Ausrichtung des Unternehmens sowie Qualifikation und Verhalten der Geschäftsführung.

    Gerade für externe Gläubiger wie Kreditinstitute sind solche Ansätze relevant, da sie einen Abgleich mit den Risikomerkmalen im Engagement ermöglichen. Eine eindeutige Ursache-Ziel-Relation ist allerdings kaum ermittelbar, wodurch diese Ansätze grundsätzlicher Kritik ausgesetzt sind. Die qualitativen Ansätze analysieren individuelle Krisenverläufe über die Methodenvielfalt der empirischen Forschung. Die Identifikation von Krisenursachen wird so eher möglich, da die Gewichtung einzelner Krisenbereiche wertvolle Hilfestellung zum Aufbau einer Krisenfrüherkennung leistet. Durch die begrenzte Datenverfügbarkeit, die subjektive Fallauswahl und die differenzierten Datenerhebungsmethoden können auch hier Diskussionen ausgelöst werden (Krystek 1987).

    Das Management wird in der Regel nicht ohne Vorwarnung mit einer Unternehmenskrise konfrontiert. Ihre Anzeichen sollten rechtzeitig erfasst und bewertet werden. So zeigen sich die ersten Symptome einer fortschreitenden Krise lt. Hauschildt etwa vier Jahre vor dem Zeitpunkt, zu dem der Misserfolg offensichtlich wird. Ein Indikator ist ein drastisches Abfallen des ordentlichen Betriebserfolgs (Hauschildt 1988). Indizien für Krisen lassen sich bspw. im betrieblichen Bereich am Ausfall von Kunden/ Lieferanten oder an einer sinkenden Kapazitätsauslastung festmachen. Bei der Konzentration auf vorrangig finanzwirtschaftliche Merkmale lassen sich bspw. die negative Entwicklung der Umsätze und/ oder Deckungsbeiträge herausarbeiten. Die Intensität und der Umfang der Krisensymptome, also der Kriterien, die eine Krisensituation signalisieren ohne für deren Entstehung ursächlich zu sein, sind stets fallspezifisch zu betrachten.

    Zur Insolvenzschadensprophylaxe sind bspw. Kreditinstitute nach § 18 KWG verpflichtet, eine fortlaufende Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Kreditnehmer vorzunehmen (wenn das Kreditvolumen 750.000 Euro übersteigt oder 10 Prozent des nach Artikel 4 Absatz 1 Nummer 71 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 anrechenbaren Eigenkapitals des Instituts überschreitet). Diese Überprüfung ist letztlich eine Zusammenstellung von Indizien, die aus der Perspektive der Gläubigerbank auf eine drohende oder akute Insolvenz des Kreditnehmers hindeuten. Als potenzielle Krisensymptome werden exemplarisch (1) die Kontoführung, (2) die Einsichtnahme in die wirtschaftlichen Verhältnisse, (3) die Kundenbesuche und Sicherheitenprüfungen sowie (4) Financial Covenants geprüft (vgl. Abb. 4).

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    Abb. 4

    Potenzielle Krisensymptome aus der Perspektive der Kreditinstitute. (Quelle: in Anlehnung an Wittig 2003)

    Durch die fortlaufende Überprüfung eines Unternehmens im Hinblick auf Krisensymptome soll es gelingen, auch die Krisenursachen frühzeitig aufzudecken und so die Chance zur Unternehmenssanierung bzw. der Risikoreduktion in den Kreditinstituten zu wahren. Die reine Zusammenstellung möglicher Krisenursachen weist dabei einen instruktiven Charakter auf. Durch die detaillierte Analyse wird klar, dass wenig Evidenz über die eigentlichen Ursachen vermittelt werden kann. Krisenursachen sind selten monokausal, vielmehr rühren Krisen aus dem Zusammenspiel verschiedener Ursachen, die durch mannigfaltige Krisensymptome evident werden können.

    2.4 Konzeptionelle Ansätze zur Erläuterung der Unternehmenskrise

    Für ein ganzheitliches Verständnis der Unternehmenskrise ist es erforderlich, über hypothesengestützte Gesetzmäßigkeiten Theorien abzuleiten, die die Zusammenhänge der Unternehmenskrise beschreiben, erklären und vorhersagen können (Witte 1981b). Eine Theorie der Unternehmenskrise existiert zwar bislang nicht, die ökonomische Literatur weist allerdings einige konzeptionelle Ansätze auf, die sich mit der Unternehmenskrise bzw. dem „Überleben von Unternehmen" beschäftigen; diese Ansätze werden im Folgenden in (1) Entwicklungs-, (2) Selektions- und (3) Lernmodelle differenziert.

    Weite Verbreitung in der Managementliteratur haben die Ansätze erfahren, die sich den Entwicklungsmodellen zuordnen lassen. Hierzu zählen die Lebenszyklusansätze, die in Anlehnung an die Biologie eine diskontinuierliche Folge von Entwicklungsschritten des Unternehmens unterstellen. Dabei verläuft die Unternehmensentwicklung im Zeitablauf mit einer gewissen Eigendynamik, und die einzelnen Entwicklungsphasen der Organisation sind abgrenzbar. Der jeweilige Übergang zu einer nächsten Entwicklungsstufe wird durch unternehmensinterne Probleme, sog. Krisen, aufgedeckt. Indem sich das Management diesen Entwicklungsprozess bewusst macht, kann es phasenspezifische Vorbereitungsmaßnahmen zur Krisenbewältigung definieren (Nelson 1995). Vertreter dieses Ansatzes, wie bspw. Greiner oder Tushman et al. betonen dabei, dass die Bewältigung der Krisensituationen i. R. der Unternehmensentwicklung aktiv gemanagt werden sollte (Greiner 1972; Tushman et al. 1986). Bemerkenswerterweise wird der Niedergang bzw. die Abwicklung eines Unternehmens kaum thematisiert. Eine Ausnahme stellt das Modell von Quinn und Cameron dar, die die Restrukturierung als zentrale Phase für den Fortbestand der Organisation einräumen. Damit diese Krisenphase überwunden wird, konstatieren sie, dass die Differenzierung, die Dezentralisierung und die Innovation im Fokus der definierten Maßnahmen zu stehen haben (Quinn und Cameron 1983). In der Gesamtschau verstehen Entwicklungsmodelle Krisensituationen als eigentlich unabwendbare Ereignisse, die im Rahmen der Unternehmensentwicklung auftreten. Für eine anwendungsorientierte Ökonomie ist es allerdings erforderlich, v. a. auch Aussagen zur Verhinderung und Bewältigung von Krisen zu formulieren.

    Im Fokus der Selektionsmodelle stehen v. a. populations-ökologische Modelle, die unterstellen, dass die Unternehmensumwelt bestimmt, welche Unternehmen mit welchen Strategien, Strukturen und Systemen im Markt überleben. Die Kompetenz, der Einsatz und die Ressourcen des Unternehmens spielen dabei eine untergeordnete Rolle. In Anlehnung an die darwinistische Evolutionstheorie werden im Rahmen dieser Modelle die Anforderungen zum Überleben der Organisation durch die Umwelt bestimmt. Dies erfolgt durch die Annahme, dass sich der Wandel in Industrien entsprechend dem Wandel in biologischen Populationen vollzieht. Ein Überleben der Gesellschaft im Wandel erfordert daher die Übereinstimmung, den sog. Fit, der Unternehmens- und Umweltcharakteristika. Diese ermöglichen eine positive Selektion der Unternehmung, womit das Überleben gesichert ist. Bei negativer Selektion geht das Unternehmen unter. Hannan und Freeman begründen dies in ihrem Ansatz damit, dass sich Organisationen nicht rasch genug an die Umwelt anpassen können (Hannan und Freeman 1977; 1984). Ihrer Ansicht entsprechend haben Unternehmen bspw. durch hohe spezifische Investitionen bzw. unzureichende Informationen über Anpassungserfordernisse eine strukturelle Trägheit und Beharrungsvermögen (structural inertia) aufgebaut, die eine aktive Krisensteuerung seitens des Unternehmens vereiteln. Auf diese Weise wird erklärt, warum einzelne Unternehmen absterben und andere Populationen entstehen. Die umfangreichen Forschungsarbeiten zu diesem Ansatz liefern eine Reihe zentraler Gründe der Überlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen, die gleichzeitig von anderen Forschungsarbeiten aus verschiedenen Gründen heftig kritisiert werden (Frese 1991). Die betriebliche Praxis zeigt allerdings, dass Unternehmen durch aktives Krisenmanagement in der Lage sind, den wettbewerbsbedingten Anpassungsprozess zu gestalten. Obgleich das Phänomen des Widerstands von Unternehmen gegen Anpassungen (resistance to change) konzeptionell belegt ist (Cohen et al. 1990), ist doch zu betonen, dass leistungswirtschaftliche, finanzielle und strukturelle Maßnahmen in der Sanierung wesentliche Veränderungen in den Unternehmen erfordern, um entsprechende Unternehmenserfolge zukünftig zu ermöglichen.

    Die Fähigkeit zur Anpassung und die Kompetenz zur Entwicklung stehen im Fokus der Lernmodelle und werden den Unternehmen im Rahmen des Krisenmanagements zur Sicherstellung des Überlebens der Gesellschaft zugesprochen. Hier wird das Lernen zur Krisenüberwindung berücksichtigt, das durch die kritische Auseinandersetzung mit eigenen Aktivitäten eine Anpassung des Verhaltens nach sich zieht. Lernmodelle unterstellen dabei, dass Unternehmen bereits eine Vielzahl von Parametern ihres Geschäftsmodells im Markt definieren, bevor sie in diesen eintreten. Dazu zählen u. a. die Kapazitäts- oder Kompetenzausrüstung. Da unklar ist, ob die definierten Parameter im Markt die gewünschten Unternehmenserfolge nach sich ziehen, unterstellen diese Modelle, dass Unternehmen ihre Markteffizienz nicht kennen. Erst auf der Grundlage der erzielten Ergebnisse des Geschäftsansatzes können Informationen über die Wettbewerbsfähigkeit gewonnen werden. Im Rahmen der einsetzenden Lernprozesse wird ein Abgleich zwischen realisierten und geplanten Ergebnissen gefahren und so versucht, eine Krisensituation abzuwenden bzw. zu bewältigen. Die Fähigkeit von Unternehmen, diesen Anpassungsprozess zu meistern, bildet die Grundlage für die Entscheidung, ob die Unternehmenstätigkeit fortgeführt werden kann bzw. ein Austritt aus dem Markt unumgänglich ist. Vor diesem Hintergrund verdeutlicht Jovanovic in seinem Modell die Auswirkungen unternehmensspezifischer Einflussfaktoren auf das Risiko des Unternehmensuntergangs im Zeitablauf (Jovanovic 1982). Andere Ansätze, wie bspw. Ericson und Pakes, betonen, dass Unternehmen durch aktives Lernen ihre Effizienz im Markt verbessern und so letztlich die Krisensituation verhindern können (Ericson und Pakes 1995). Insgesamt basieren Lernmodelle auf einer Vielzahl von restriktiven Annahmen, wie bspw. der strikten Gewinnmaximierung, die die Praxis nur eingeschränkt reflektieren.

    3 Krisenmerkmale und Insolvenzverfahrensauslöser

    3.1 Prüfungs- und Anzeigepflichten der Unternehmensführung

    Das im Mai 1998 in Kraft getretene „Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich" (KonTraG) hat für die systematische Erfassung der Krisenursachen i. R. d. Risikovorsorge der Unternehmen rechtliche Leitplanken gesetzt und die Anforderungen an Risikofrüherkennungssysteme verschärft. So ist der Vorstand einer AG nach § 91 Abs. 2 AktG verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu definieren und ein Kontrollinstrumentarium einzurichten, um Kriterien und Entwicklungen, die den Fortbestand des Unternehmens beeinträchtigen, frühzeitig erkennen zu können. Oft werden dazu operative Frühwarnsysteme eingesetzt, die u. a. Finanzzahlen des Unternehmens berücksichtigen. Über Kennzahlensysteme bemühen sich diese Expertensysteme um eine frühzeitige Ermittlung von Krisenursachen bzw. -kandidaten. Wesentliche Nachteile, mit dem v. a. unternehmensexterne Gläubiger wie Kreditinstitute konfrontiert werden, ist die Vergangenheitsbezogenheit der verarbeiteten Daten und die mangelhafte Integration betriebsinterner Informationen.

    Nicht zuletzt durch die rechtlichen Rahmenbedingungen werden Geschäftsführer und Vorstände deutscher Personen- und Kapitalgesellschaften veranlasst, eine Unternehmenskrise anzuzeigen. Die Unternehmenslenker unterliegen dabei der grundsätzlichen Verpflichtung zur fortlaufenden Überwachung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft und – gemäß § 264, 264a, 264b, 264c, 264d HGB – der Auflage, diese entsprechend den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen im Jahresabschluss (ggf. im Lagebericht) darzustellen. Treten Symptome einer Sanierungssituation auf, so hat die Geschäftsführung die Aufstellung des Vermögensstatus zu veranlassen und die Gesellschaftervertretung zu informieren. Als wesentliche Indikatoren können bspw. eine nachhaltig negative Ergebnissituation, drastische Liquiditätsschwierigkeiten oder signifikante Forderungsausfälle dienen. Unterlassen die Unternehmensvertreter die Beachtung der Krisensignale und bedingen somit eine verspätete Einleitung erforderlicher Sanierungsmaßnahmen, so verstoßen sie gegen ihre Pflichten aus § 43 GmbHG bzw. § 93 AktG, was Schadensersatzansprüche der Gesellschaft auslösen kann.

    Besteht die Gefahr der Unternehmensüberschuldung, so hat die Unternehmensführung sowohl eine Jahresbilanz als auch eine stichtagsorientierte Überschuldungsbilanz aufzustellen und fortzuschreiben. Dies ist spätestens ab dem Zeitpunkt erforderlich, nachdem ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag nach § 268 Abs. 3 HGB ausgewiesen wird. Dann besteht für den Geschäftsführer der GmbH nach § 30 GmbHG ein Auszahlungsverbot an die Gesellschafter, um das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Gesellschaftsvermögen zu sichern. Dieses Auszahlungsverbot greift bereits dann ein, wenn die Auszahlung nicht mehr durch das freie Gesellschaftsvermögen gedeckt ist, das heißt, sobald nur noch das Stammkapital vorhanden ist. Dieses Auszahlungsverbot umfasst die direkten Mittelabflüsse aus dem Gesellschaftsvermögen und die Kreditvergabe an Geschäftsführer nach § 43a GmbHG. Liegt ferner der Verlust der Hälfte des Stammkapitals der Kapitalgesellschaft vor, so hat die Unternehmensleitung dies über eine Zwischenbilanz zu ermitteln, die auch während des laufenden Jahres erstellt wird. Dadurch wird klar, dass die ökonomischen Risiken aus dem Geschäftsbetrieb signifikant zu hoch sind und eine Überschuldung unmittelbar bevorsteht. Nach § 49 Abs. 3 GmbHG besteht beim Verlust des halben Stammkapitals die unmittelbare Anzeige- und Einberufungspflicht einer Gesellschafterversammlung durch die Geschäftsführung (für AG entsprechend nach § 92 Abs. 1 AktG). Die Unterlassung zieht unmittelbar strafrechtliche Konsequenzen für das Management nach sich (§ 84 GmbHG, § 401 AktG).

    Für die Unternehmensführung existiert keine allgemeine Aufklärungspflicht gegenüber externen Vertragspartnern, wenn eine Krisensituation des Unternehmens besteht (Picot und Aleth 1999). Es kann durchaus der Sachverhalt der Überschuldung vorliegen, obgleich das Unternehmen noch in der Lage ist, die zentralen Verbindlichkeiten zu bedienen. Eine vorvertragliche Aufklärungspflicht der Geschäftsführung besteht im Außenverhältnis nicht. Dennoch darf erwartet werden, dass bei belastbarer Geschäftsbeziehung über die wirtschaftliche Situation informiert wird. Ist bereits vorvertraglich erkennbar, dass die Vertragserfüllung keine formelle Insolvenz auslöst, so besteht nach herrschender Rechtsprechung keine Aufklärungspflicht des Managements im Außenverhältnis.

    3.2 Unterkapitalisierung und Kapitalerhaltung

    Grundsätzlich verfügen die Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft über die Freiheit der Finanzierung des Unternehmens. Art und Umfang der Finanzierung einer Gesellschaft unterliegen keinen rechtlichen Vorschriften – soweit die gesetzlichen Mindestkapitalvorschriften gemäß § 5 Abs. 1 GmbHG bzw. § 7 AktG berücksichtigt werden. Kommt es allerdings zu einer Unterkapitalisierung der Kapitalgesellschaft werden sowohl Haftungsrisiken als auch Handlungspflichten ausgelöst, die die Geschäftsführung bzw. der Vorstand zu berücksichtigen bzw. zu befolgen hat. Grundsätzlich ist zwischen materieller und nomineller Unterkapitalisierung zu unterscheiden.

    Die materielle Unterkapitalisierung zeigt an, dass das Eigenkapital des Unternehmens nicht ausreicht und der mittel- bzw. langfristige Finanzmittelbedarf nicht durch Kredite externer Dritter gedeckt werden kann, um die Art und den Umfang der Geschäftstätigkeit des Unternehmens aufrechtzuerhalten. Beim Vorliegen einer materiellen Unterkapitalisierung trifft die Gesellschafter, von Fällen vorsätzlichen Missbrauchs abgesehen, – selbst im Insolvenzfall – keine Haftung.

    Bei der nominellen Unterkapitalisierung ist der Kapitalbedarf der Gesellschaft zur Aufrechterhaltung der Geschäftstätigkeit ebenfalls nicht durch Eigenkapital gesichert – wohl aber durch Fremdkapital; dabei wird explizit auf die Gewährung von Gesellschafterdarlehen abgestellt. Sie halten den Sanierungskandidaten zahlungsfähig. Jedoch laufen externe Gläubiger Gefahr, dass durch die Verschleppung der Unternehmenskrise das haftende Kapital nach und nach vollständig aufgezehrt wird. Im Insolvenzfall können sich daraus erhebliche Forderungsausfälle für die Gläubiger ergeben.

    Vor diesem Hintergrund erhalten die Gläubiger Schutz über die gesetzlichen Grundlagen und Vorschriften zur Kapitalerhaltung. Bis November 2008 waren hierfür die Eigenkapitalersatzvorschriften im GmbHG maßgeblich. So konnte ein Gesellschafterdarlehen nach § 32a I GmbHG nicht rückgeführt werden, wenn das Darlehen der Gesellschaft erst zu einem Zeitpunkt gewährt wurde, zu dem ordentliche Kaufleute aufgrund von Unterkapitalisierung Eigenkapital zugeführt hätten. Gleiches galt lt. Generalklausel § 32a III GmbHG für Bürgschaften etc. zur Kreditabsicherung. Im Insolvenzfall war dieses sog. eigenkapitalersetzende Darlehen des Gesellschafters mit einem Rangrücktritt am Darlehensanspruch versehen; in der Konsequenz erhielt der Gesellschafter im Verwertungsfall meist keine Quote aus der Insolvenzmasse. Nach § 32a GmbHG wurde ein Gesellschafterdarlehen dann als Eigenkapitalersatz gewertet, wenn das Unternehmen zum Zeitpunkt der verbindlichen Kreditzusage nicht mehr in der Lage gewesen war, ein Darlehen eines externen Dritten zu marktkonformen Bedingungen zu erhalten, also das Kriterium der Kreditunwürdigkeit erfüllt hatte (Vgl. Knecht und Haghani 2014).

    Das Inkrafttreten des „Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbrauch (MoMiG) zum 1. November 2008 hat das wichtige Eigenkapitalersatzrecht aus dem GmbHG entfernt, völlig neu geregelt und in modifizierter Form in das Insolvenzrecht überführt. Die Begrifflichkeit des „Kapital ersetzenden Darlehens ist nicht gängig und die einschlägigen Vorschriften (§ 32a GmbHG, § 172 HGB) sind durch das MoMiG aufgehoben worden. Letztlich wird nun auch in der Krisensituation das Eigenkapital als Eigenkapital behandelt und das Fremdkapital als Fremdkapital. Das bedeutet, Darlehen können auch in der Krise zurückgeführt werden. Allerdings sind die Rückführungen von Darlehen innerhalb des letzten Jahres vor Insolvenzanmeldung anfechtbar gemäß § 135 InsO; bei vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung verlängert sich die Frist auf zehn Jahre gemäß § 133 InsO. Durch einen Gesellschafter gewährte Darlehen werden im Falle einer Insolvenz der Gesellschaft als sog. „nachrangige Forderungen" (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) gewertet; somit erfolgt eine Befriedigung erst, wenn die übrigen Gläubiger bedient wurden und dann noch Masse verfügbar ist. Dieses Vorgehen gilt für alle juristischen Personen analog.

    Eine Unterbilanz liegt vor, wenn das zu Buchwerten bewertete Reinvermögen einer Kapitalgesellschaft das gezeichnete Kapital der Gesellschaft nicht mehr deckt. Eine Unterbilanz ergibt sich, indem das Gesellschaftsvermögen, verringert um die Rückstellungen und Verbindlichkeiten, kleiner ist als das ausgewiesene gezeichnete Kapital. Bilanztechnisch erscheint dann das (negative) Eigenkapital der Kapitalgesellschaft auf der Aktivseite der Bilanz. Sobald die Unterbilanz festgestellt wird, verhängt § 30 Abs. 1 GmbHG eine Auszahlungssperre der Kapitalgesellschaft an die Gesellschafter, um das erforderliche Stammkapital zu erhalten. Sind dennoch Auszahlungen vorgenommen worden, so sind diese nach § 31 Abs. 1 GmbHG an die Gesellschaft zurückzuzahlen. Dabei hat die Gesellschaft nach § 31 Abs. 5 GmbHG einen Rückzahlungsanspruch auf die vergangenen zehn Jahre seit Auszahlungszeitpunkt.

    3.3 Verfahrenseröffnung aufgrund Überschuldung

    Der § 19 InsO normiert den Tatbestand der Überschuldung als Eröffnungsgrund eines Insolvenzverfahrens. Nach § 19 InsO ist die Überschuldung bei Aktiengesellschaften, KG auf Aktien, GmbHs sowie bei Personengesellschaften, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist (bspw. GmbH & Co. KG), sowie bei Vereinen ein Insolvenzgrund. Neben dem Krisenunternehmen selbst steht auch den Gläubigern das Recht zu, einen Insolvenzantrag aufgrund von Überschuldung zu stellen.

    Die insolvenzrechtliche Überschuldung ist von der handelsrechtlichen Unterbilanz sowie vom Begriff der Unterkapitalisierung strikt abzugrenzen, da unterschiedliche Bewertungsmethoden zugrunde liegen. Die Unterbilanz entsteht, wenn das nach handelsrechtlichen Bilanzierungsvorschriften ermittelte Reinvermögen das gezeichnete Kapital nicht mehr deckt. Die Unterkapitalisierung entsteht, wenn das Unternehmen nicht hinreichend Eigenkapital aufweist, um die ausgeübte Geschäftstätigkeit zu finanzieren.

    Grundsätzlich steht die Geschäftsleitung in der Pflicht zur „ständigen Eigenprüfung, ob ein Insolvenzgrund vorliegt. Die Überwachung der Liquiditäts- und Finanzsituation eines Unternehmens zählt zu den „zehn Geboten an den Geschäftsführer (Uhlenbruck und Gundlach 2010). Neben dieser Verpflichtung zur dauerhaften Wachsamkeit gibt es bestimmte Krisenindikatoren, die eine Prüfung des Überschuldungsstatus erfordern. Dazu gehören der Ausweis eines nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags in der Bilanz (§ 268 Abs. 3 HGB), außerordentliche Verluste, Kündigung von Kreditlinien, drohende Zahlungsunfähigkeit oder Aufzehrung des Eigenkapitals. So ist die Geschäftsleitung eines Unternehmens zur Einleitung einer Überschuldungsprüfung verpflichtet, wenn die Hälfte des Stammkapitals verloren ist (§ 49 Abs. 3 GmbHG). Das Stammkapital einer GmbH ist das Einlage- oder Nominalkapital, das aus der Summe der Nennbeträge sämtlicher Gesellschaftsanteile besteht.

    Der Tatbestand der Überschuldung hat große Relevanz in zivilrechtlichen Schadenersatzprozessen gegen Geschäftsführer, Banken oder Berater des Schuldners. Die Überschuldung gilt hier als Haftungstatbestandsmerkmal verschiedener zivilrechtlicher Anspruchsgrundlagen (§ 64 S. 1 GmbHG, § 130a Abs. 2 HGB und §§ 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 15a Abs. 1 InsO). Auch im Strafrecht spielt die Überschuldung eine wesentliche Rolle als Tatbestandsmerkmal der Insolvenzstraftaten Bankrott (§ 283 StGB) und besonders schwerer Fall des Bankrotts (§ 283a) sowie Insolvenzverschleppung nach § 15a InsO.

    Nach § 19 Abs. 2 InsO liegt Überschuldung vor, „wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Diese Legaldefinition enthält einen veränderten Überschuldungsbegriff. Diese Änderung erfolgte 2008 durch Artikel 5 des FMStG. Vor dem Hintergrund der sich seinerzeit bereits abzeichnenden globalen Finanz- und Wirtschaftskrise wollte der Gesetzgeber durch diese Änderung vermeiden, dass krisenbedingt hohe Wertverluste – etwa bei Aktien oder Immobilien – Unternehmen wegen Überschuldung zu einem Insolvenzantrag zwingen, obwohl das Kerngeschäft „gesund ist. Die Grundidee des Artikel 5 des FMStG bestand darin zu verhindern, dass ein Unternehmen trotz grundsätzlich guter Aussichten auf eine wirtschaftliche Erholung („positive Fortbestehensprognose"⁴) aufgrund des Tatbestands der bilanziellen Überschuldung zur Anmeldung des Insolvenzverfahrens gezwungen wird. Deshalb wurde der § 19 Abs. 2 um den Passus „es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich" ergänzt. So erhielt die positive Fortführungsprognose einen eigenständigen Stellenwert in der Legaldefinition der Überschuldung (Uhlenbruck und Gundlach 2010). Dieser „gemilderte Überschuldungsbegriff" sollte zunächst bis 31. Dezember 2010 gelten; er wurde jedoch mit der Einführung des ESUG bis zum 31. Dezember 2013 verlängert. Diese Befristung wurde inzwischen mit Beschluss des Deutschen Bundestages vom 8. November 2012 aufgehoben (BT-Drs. 17/11385).

    Die Feststellung eines möglichen Überschuldungstatbestands folgt einem zweistufigen Verfahren, das ein exekutorisches Element (rechnerische Überschuldung) und prognostisches Element (Lebensfähigkeit) enthält und gleichberechtigt nebeneinander stellt (Uhlenbruck und Gundlach 2010). Um zu überprüfen, ob eine Überschuldung vorliegt, muss eine Überschuldungsbilanz aufgestellt werden. Es geht um einen Vergleich des Vermögens, das im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als Insolvenzmasse zur Verfügung stünde, mit den Verbindlichkeiten, die im Fall der Verfahrenseröffnung gegenüber den Insolvenzgläubigern bestehen würden (Uhlenbruck und Gundlach 2010). Die in diesen Überschuldungsstatus aufzunehmenden Posten des Aktivvermögens sind mit ihren Liquidationswerten anzusetzen. Das bedeutet, maßgeblich sind die Werte, die sich bei einer Einzelveräußerung bei einer Liquidation des Unternehmens erzielen ließen. Ergibt sich aus dieser Gegenüberstellung von Aktiva und Passiva in der Überschuldungsbilanz rechnerisch eine Überschuldung, ist eine Fortführungsprognose nach objektiven Maßstäben zu erstellen. Geprüft werden die Sanierungswürdigkeit und die Sanierungsfähigkeit. Bei der Sanierungswürdigkeit steht im Fokus, wie es um die Fortführungsabsicht der Unternehmenseigentümer bzw. im Fall einer übertragenden Sanierung eines Dritten bestellt ist. Bei der Sanierungsfähigkeit ist zu prüfen, ob und inwiefern das Unternehmen in der Lage ist, die Überschuldungssituation zu überwinden und eine Finanzkraft zurückzuerlangen, die eine Fortführung des Geschäftsbetriebs zulässt. Diese Überprüfung erfolgt auf Basis einer detaillierten Liquiditäts- und Ertragsplanung; der Prognosezeitraum erstreckt sich i. d. R. auf das laufende und das darauf folgende Geschäftsjahr.

    Ist die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Fortführung größer als 50 Prozent („positive Fortbestehensprognose"), besteht für rechnerisch überschuldete Unternehmen keine Insolvenzantragspflicht. Ist dagegen der Fortbestand des Unternehmens nicht wahrscheinlich, besteht im Falle eines negativen Reinvermögens Insolvenzantragspflicht.

    3.4 Verfahrenseröffnung aufgrund Zahlungsunfähigkeit

    Häufigster Eröffnungsgrund des Insolvenzverfahrens ist die Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 1 InsO. § 17 Abs. 2 InsO formuliert eine Legaldefinition der Zahlungsunfähigkeit: „Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat." Das bedeutet, der Schuldner ist objektiv aufgrund mangelnder Zahlungsmittel zahlungsunfähig; eine subjektive Verweigerung, den Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, ist nicht ausreichend. Indizien für Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners finden sich in der unterlassenen Erfüllung fälliger Geldschulden oder in der Zunahme von Wechsel- und Scheckprotesten.

    Bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit kommt es entscheidend auf die Fälligkeit an. Gestundete Forderungen fließen nicht in die Berechnung der Zahlungsunfähigkeit mit ein. Bei der Berechnung werden den fälligen Zahlungsverpflichtungen die liquiden Mittel des Schuldners gegenübergestellt.

    Von Zahlungsunfähigkeit ist auszugehen, wenn beim Schuldner ein dauerhaftes Unvermögen vorliegt, die fälligen Geldschulden zumindest im Wesentlichen zu begleichen. Eine vorübergehende Zahlungsstockung löst somit keine Zahlungsunfähigkeit aus. Bei der Abgrenzung dieser beiden Begriffe kommt es wesentlich auf das Merkmal der Dauer bzw. auf die Interpretation des dauerhaften Unvermögens an. In einer Grundsatzentscheidung vom 24. Mai 2005 hat der BGH das Merkmal der Dauer konkretisiert (IX ZR 123/04): In dem Urteil stellt der BGH auf einen Zeitraum von zwei bis höchstens drei Wochen ab. Diese Frist sei für eine kreditwürdige Person ausreichend, sich die nötigen Geldmittel zu beschaffen (Uhlenbruck und Gundlach 2010). Beim Merkmal der Wesentlichkeit stellt der BGH darauf ab, ob die Liquiditätslücke weniger als zehn Prozent der Gesamtverbindlichkeiten eines Schuldners ausmacht (Uhlenbruck und Gundlach 2010). Liegt die Liquiditätslücke über der Zehn-Prozent-Marke, ist von Zahlungsunfähigkeit auszugehen. Der Umkehrschluss ist jedoch nicht immer zulässig: Auch eine Liquiditätslücke von weniger als einem Zehntel der Gesamtverbindlichkeiten kann Zahlungsunfähigkeit begründen, wenn die Unterdeckung „demnächst" diese Grenzlinie überschreiten wird. Die Rechtsprechung des BGH lässt Spielräume, um den spezifischen Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen.

    Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit wird durch die betrachteten Vermögens- und Schuldposten sowie durch die Liquiditätsart⁵ determiniert. Als liquiditätserhöhende Vermögensgegenstände im Sinne der Insolvenzordnung sind die Posten zu berücksichtigen, die kurzfristig einen Mittelzufluss erwarten lassen. Dies könnten bspw. ausstehende Einlagen auf das gezeichnete Kapital, Mittelzuflüsse aus Kapitalerhöhungen oder Gesellschafterdarlehen sein. Ausstehende Einlagen eines stillen Gesellschafters können nach § 236 (2) HGB nur in dem Umfang berücksichtigt werden, wie sie auch den Anteil des stillen Gesellschafters am Verlust umfassen. Relevanz hat hier auch der Verkauf nicht betriebsnotwendigen Vermögens, sofern dies kurzfristig zu Veräußerungserlösen führt. Darüber hinaus kann hier auch die Ausschöpfung einer bestehenden Kreditlinie bzw. die Gewährung von „frischem Kapital" durch die Kapitalgeber zu Abwendung der Zahlungsunfähigkeit beitragen. Als liquiditätssenkender Schuldposten ist nach § 236 (1) HGB die Einlage des typisch stillen Gesellschafters zu berücksichtigen, die, sofern sie noch nicht durch operative Verluste aufgebraucht ist, eine Verbindlichkeit des Schuldners darstellt. Ebenso sind Gesellschafterforderungen Verbindlichkeiten, die zunächst Zahlungsunfähigkeit auslösen können. Im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung durch Zahlungsunfähigkeit steht die Eigenschaft des Kapitalersatzes nach § 30 GmbHG i. d. R. noch nicht fest. Rückstellungen belasten die Liquiditätssituation nur, falls es sich um sog. Verpflichtungsrückstellungen für Geldschulden handelt; Aufwandsrückstellungen dienen der periodengerechten Erfolgsabgrenzung und senken die Liquidität mangels Drittverpflichtung nicht zwingend. Ferner markieren Kreditüberziehungen bei Bankhäusern genauso einzubeziehende Schuldposten wie erhaltene Anzahlungen auf zu erbringende Werk- und Dienstleistungen und Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, sofern keine Stundung vereinbart ist.

    Anzumerken ist, dass der Gesetzgeber die Feststellung der insolvenzrechtlichen Illiquidität nicht explizit geregelt hat. Die Prüfung, ob ein Schuldner in der Lage oder unfähig ist, seine fälligen Verpflichtungen binnen zwei bis drei Wochen zu begleichen, obliegt dem Gericht bzw. einem Gutachter. Dabei spielt, wie bereits erwähnt, die Abgrenzung zwischen Zahlungsstockung und Zahlungsunfähigkeit eine maßgebliche Rolle. Die Feststellung des Liquiditätsstatus durch gutachterliche oder gerichtliche Prüfung erübrigt sich, wenn der Schuldner die Zahlungsunfähigkeit einräumt oder eine Zahlungseinstellung vorliegt. Von einer Zahlungseinstellung ist auszugehen, wenn starke Indizien vorliegen. Dazu zählen die Erklärung, nicht mehr zahlen zu können, die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, Unterlassung von strafbedrohten Zahlungen (Sozialversicherung) etc. (Uhlenbruck und Gundlach 2010).

    3.5 Verfahrenseröffnung aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit

    Mit dem Inkrafttreten der neuen Insolvenzordnung zum 1. Januar 1999 wurde als Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfahren die drohende Zahlungsunfähigkeit eingeführt. Daran knüpfte der Gesetzgeber die Hoffnung auf eine möglichst frühzeitige Auslösung des Insolvenzverfahrens (Gottwald 2010). Hintergrund dafür war die Erfahrung vor der Insolvenzrechtsreform: Der Großteil der Konkursverfahren war so spät ausgelöst worden, dass sehr viele mangels Masse abgelehnt werden mussten. Nach § 18 Abs. 1 InsO hat der Schuldner bzw. das Schuldnerunternehmen das Recht, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei drohender Zahlungsfähigkeit zu beantragen. Die organschaftlichen Vertreter sind also berechtigt, aber nicht verpflichtet, den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen; es sind also keine strafrechtlichen Konsequenzen an die Missachtung der Verfahrenseröffnung geknüpft. Um mögliche Sanierungsaktivitäten nicht zu beeinträchtigen, wurde die Eröffnung nach § 18 InsO auf den Schuldnerantrag eingegrenzt und die Option zur Eigenverwaltung nach § 270 bis § 285 InsO explizit bewahrt. Bei einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 17 InsO oder § 19 InsO sind dagegen sowohl Schuldner als auch Gläubiger zur Antragstellung berechtigt.

    Nach § 18 Abs. 2 InsO droht der Schuldner zahlungsunfähig zu werden, „wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Anders als beim Tatbestand der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit werden bei der Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit auch diejenigen Zahlungspflichten des Schuldners berücksichtigt, die bestehen bzw. vorhersehbar sind (etwa Miet- oder Lohnzahlungen), aber noch nicht fällig sind. Der BGH hat sich mit den Anforderungen an den Nachweis der drohenden Zahlungsunfähigkeit befasst: Für die Zulässigkeit eines Eröffnungsantrags des Schuldners sei es erforderlich, aber auch genügend, dass er Tatsachen mitteilt, welche die wesentlichen Merkmale eines Eröffnungsgrundes erkennen lassen. Das heißt, der Schuldner habe den Eröffnungsgrund in „hinreichend substantiierter Form vorzulegen (Uhlenbruck und Gundlach 2010).

    Die drohende Zahlungsunfähigkeit wird festgestellt, indem der Schuldner eine Prognoserechnung mit den entsprechenden Ein- und Auszahlungen modelliert. In der Regel wird hier auch eine Planungsrechnung entsprechend § 20 InsO vom Gericht gefordert. Die drohende Illiquidität wird auf Basis eines Finanzplans ermittelt, der die bestehenden und später im Planungszeitraum eintretenden Zahlungspflichten berücksichtigt (Drukarczyk und Schüler 1997). Der Planungshorizont sollte für die kurzfristige Planung sechs bis 24 Monate umfassen und dabei Cash-Flow-Planung, Gewinn- und Verlustplanung sowie Planbilanz enthalten. Bei der Prüfung der drohenden Zahlungsunfähigkeit wird also ein längerer Zeitraum berücksichtigt als bei der Feststellung der aktuellen Zahlungsunfähigkeit (Uhlenbruck und Gundlach 2010). Damit der Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit erfüllt ist, muss der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlicher sein als deren Vermeidung.

    Gemäß § 18 Abs. 3 InsO ist eine Einschränkung des Antragsrechts vorgesehen: „Wird bei einer juristischen Person oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit der Antrag nicht von allen Mitgliedern des Vertretungsorgans, allen persönlich haftenden Gesellschaftern oder allen Abwicklern gestellt", so ist der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur zulässig, wenn der oder die Antragsteller zur Vertretung der juristischen Person oder Gesellschaft berechtigt sind. Diese Klausel soll den missbräuchlichen Umgang mit dem Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit vermeiden.

    Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO ermöglicht dem Schuldner, sich in einer Krisensituation frühzeitig unter den Schutz eines gerichtlichen Verfahrens zu begeben ohne Gefahr zu laufen, die Antragspflicht gemäß § 15a InsO zu verletzen. Eine wichtige Rolle spielt das Vorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit für die Beurteilung, ob seitens des Schuldners ein Benachteiligungsvorsatz gegeben ist. Nach einer Entscheidung des BGH (IX ZR 13/12) ist eine dem Schuldner bekannte drohende Zahlungsunfähigkeit ein starkes Indiz für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners.

    Der Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit spielt bei Eigenanträgen im Rahmen des ESUG (Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen) eine maßgebliche Rolle, das zum 1. März 2012 in Kraft getreten ist.⁶ Durch die darin geschaffenen Möglichkeiten des Schuldners, den Ablauf des gerichtlichen Verfahrens maßgeblich mit zu beeinflussen – namentlich die Stärkung der (vorläufigen) Eigenverwaltung und das Schutzschirmverfahren – soll der Anreiz zur frühzeitigen Antragsstellung zusätzlich verstärkt werden.

    4 Sanierung oder Liquidation als Konsequenz der Unternehmenskrise

    4.1 Gegenstand der ökonomischen Sanierungsprüfung

    Ist über die Krisenindikatoren deutlich geworden, dass eine Unternehmenskrise vorliegt, so rückt die Entscheidung „Sanierung oder Liquidation" in den Fokus. Die Geschäftsführung und die Gesellschafter des Unternehmens werden unverzüglich aufgefordert zu ermitteln, ob die Unternehmenskrise zu beheben oder eine Liquidation einzuleiten ist. Die Sanierungsprüfung soll eine fundierte Entscheidung ermöglichen, ob das Unternehmen sanierungsfähig ist.

    Ansatzpunkt der Sanierungsprüfung ist der Abgleich zwischen dem gewünschten Zielzustand des gesunden Unternehmens (Soll-Zustand) und dem aktuellen Zustand des Unternehmens in der Krise (Ist-Zustand). Entsprechend setzt die Sanierungsprüfung zunächst bei der Ermittlung und Beschreibung des Ist-Zustandes der Gesellschaft an. Diese Bestandsaufnahme und Datenerhebung ist objektiv zu ermitteln und vorzunehmen. Die Formulierung des Soll-Zustands ist hingegen vom Kenntnisstand und der Interessenlage des Entscheidungsträgers abhängig. Die Bestimmung des tragfähigen Soll-Zustands der Gesellschaft ist daher genauso Gegenstand der Sanierungsprüfung wie die davon abhängigen Sanierungsmaßnahmen (Groß 1997). Ob das Unternehmen sanierungsfähig ist, hängt somit sachlogisch vom Sanierungskonzept ab, das neben der Beschreibung des Ist-Zustands auch das Leitbild des genesenen Unternehmens mit den entsprechenden Sanierungsmaßnahmen enthält.

    Im Rahmen der Sanierungsprüfung soll eine möglichst genaue Prognose zur Überlebensfähigkeit der Gesellschaft im zugrunde gelegten Prognosezeitraum formuliert werden. Das wertende Gesamturteil, die sog. Fortbestehensprognose, setzt auf der integrierten Finanz- und Unternehmensplanung aus dem Sanierungskonzept auf und enthält sowohl eine Vorhersage zur Zahlungsfähigkeit als auch eine Vorhersage zum Reinvermögen der Gesellschaft. Die zukünftige Zahlungsfähigkeit berücksichtigt dazu geplante Ereignisse der Unternehmensentwicklung sowie die definierten Restrukturierungsmaßnahmen bzw. deren finanzielle Konsequenzen. Über die Fortbestehensprognose begründet die Sanierungsprüfung die Aussage über eine nachhaltige Fortführung der geschäftlichen Aktivitäten unter Ausräumung der Insolvenzgründe (Groß und Amen 2003). Diese fällt positiv aus, wenn die Zahlungsfähigkeitsprognose und die Reinvermögensvorausschau positiv beurteilt werden.

    Die Sanierungsprüfung stellt für Kapitalgeber eine zentrale Entscheidungsgrundlage dar. Um zu ermitteln, ob die Überlebensfähigkeit der Gesellschaft auch ohne weitere Eigenkapitalzufuhr darstellbar ist, veranlassen Gesellschafter nicht selten eine Sanierungsprüfung. Für die Fremdkapitalgeber ist die Sanierungsprüfung zentral für die Vergabe von Sanierungskrediten. Durch die rechtlichen Rahmenbedingungen wie die MaRisk (Mindestanforderungen an das Kreditmanagement) werden Kreditinstitute veranlasst, intensive Prüfungen zur nachhaltigen Überlebensfähigkeit der angeschlagenen Kreditnehmer vorzunehmen. So schreiben die MaRisk vor, dass sich ein Kreditinstitut, sofern es die Begleitung einer Sanierung in Betracht zieht, ein Sanierungskonzept zur Beurteilung der Sanierungsfähigkeit vorlegen bzw. sich die Sanierungsfähigkeit durch einen unabhängigen Sanierungsspezialisten bestätigen lässt.

    4.2 Sanierungswürdigkeit und Sanierungsfähigkeit

    Als zentrale Einflussparameter auf die grundsätzliche Entscheidung „Sanierung oder Liquidation" wird die detaillierte Identifikation der Ursachen der Unternehmenskrise mit der möglichst rechtzeitigen Krisenbeseitigung vor Eintritt der Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO, § 130a a. F. HGB angesehen (Uhlenbruck 2003). Mit der Sanierungsbedürftigkeitsprüfung wird sichergestellt, dass die Ermittlung der Krisenursachen eingeleitet wird und die Optionen der Krisenbewältigung dargelegt werden. Möglich wird dies über eine annähernd vollständige Erfassung des Ist-Zustandes des Sanierungskandidaten. Zur Identifikation der Krisenursachen wird bspw. die Schwachstellenanalyse eingesetzt, die auf empirischen Untersuchungen zum Unternehmensmisserfolg beruht. Aus den diversen Erhebungen sind Checklisten hervorgegangen, die Aufschluss über zentrale Krisenursachen geben sollen. Ist der Fortbestand der Firma ohne die Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen gefährdet, so liegt Sanierungsbedürftigkeit vor.

    Die Erfolgsaussichten von Sanierungsmaßnahmen werden wesentlich von zwei Faktoren determiniert, der Sanierungswürdigkeit und der Sanierungsfähigkeit. Obwohl zur Beurteilung der Sanierungsfähigkeit eines Unternehmens nur objektive bzw. objektivierbare Kriterien herangezogen werden sollten, werden im Kontext der Sanierungswürdigkeit subjektive Interessen und Bedürfnisse der am Sanierungsprozess Beteiligten betrachtet. Legitimiert ist diese Berücksichtigung des subjektiven Faktors durch die Tatsache, dass für eine erfolgreiche Sanierung in der Regel Beiträge Dritter erforderlich sind. Insofern ist es notwendig, im Rahmen der Feststellung der Sanierungswürdigkeit zu eruieren, wie es um die Bereitschaft der Stakeholder bestellt ist, die von ihnen erwarteten Sanierungsbeiträge zu leisten. IDW S6 definiert Sanierungswürdigkeit wie folgt: „Der Begriff der Sanierungswürdigkeit schließt subjektive Wertungselemente aus der Sicht der einzelnen Stakeholder ein, ob sie aus ihrer individuellen Interessenlage bereit sind, sich an einer Sanierung zu beteiligen." Die Ansichten über die Sanierungswürdigkeit des Unternehmens fallen aufgrund des umfangreichen Stakeholder-Kreises meistens höchst heterogen aus. Zur Bestimmung der Sanierungswürdigkeit empfiehlt es sich daher, sich auf die wesentlichen Interessensgruppen – meist stark durch die Kreditinstitute und Kreditversicherungen geprägt – zu konzentrieren und eine einheitliche Haltung dieser Prozessbeteiligten zur Sanierung des Unternehmens herbeizuführen.

    Ob die Sanierungsmaßnahmen die Lebensfähigkeit des Unternehmens wiederherstellen können, indem die Krisenursachen ausgeräumt werden und eine strategische Neuausrichtung erfolgt, ist über die Bestimmung der Sanierungsfähigkeit zu ermitteln. Die Sanierungsfähigkeit wird auch als zentrales Kriterium der Sanierungsprüfung definiert (Pfitzer 2002). In dem „IDW Standard Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten wird der Begriff der Sanierungsfähigkeit konkreter gefasst, wobei das IDW in Artikel 10 ein zweistufiges Konzept zugrunde legt: „Sanierungsfähig ist ein erwerbswirtschaftliches Unternehmen nur dann, wenn zunächst die Annahme der Unternehmensfortführung i. S. d. § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB bejaht werden kann und somit keine rechtlichen oder tatsächlichen Gegebenheiten der Fortführung des Unternehmens entgegenstehen. Darüber hinaus sind durch geeignete Maßnahmen – in einem ggf. entsprechend verlängerten Prognosezeitraum – auch nachhaltig sowohl die Wettbewerbsfähigkeit als auch die Renditefähigkeit wieder zu erlangen (nachhaltige Fortführungsfähigkeit). (IDW 2009)

    Bei dieser Konkretisierung des IDW spielen einige Schlüsselbegriffe im Rahmen der Diagnostik der Sanierungsfähigkeit eine maßgebliche Rolle. Diese sollen hier kurz erläutert werden.

    Gemäß IDW S6 muss die Unternehmensleitung nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB beurteilen, ob der Fortführung der Unternehmenstätigkeit rechtliche oder tatsächliche Gegebenheiten entgegenstehen. Fortführung der Unternehmenstätigkeit bedeutet, dass ein Unternehmen bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung seine Tätigkeit auf absehbare Zeit fortsetzen kann. Grundsätzlich ist von einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen, wenn in der Vergangenheit nachhaltige Gewinne erzielt wurden und aktuell keine Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung bestehen. Maßgeblich für die Beurteilung der Fortführung der Unternehmenstätigkeit sind die Verhältnisse am Abschlussstichtag. Der Prognosezeitraum hat sich mindestens auf zwölf Monate, beginnend mit dem Abschlussstichtag, zu erstrecken.

    Die handelsrechtliche Fortführungsprognose nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB unterscheidet sich von der insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose im Rahmen der Überschuldungsfeststellung nach § 19 InsO. Letztere fokussiert die Liquiditätsentwicklung im Prognosezeitraum; darüber hinaus sind bei der handelsrechtlichen Fortführungsprognose die tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten zu untersuchen, die das Weiterbestehen des Unternehmens bedrohen könnten (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB „Bei der Bewertung ist von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen.").

    Als tatsächliche Gegebenheiten, die zum Durchbrechen der Fortführungsprämisse gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 2 führen, gelten vor allem wirtschaftliche Umstände und Schwierigkeiten, die so gravierend sind, dass sie dem Fortbestehen des Unternehmens entgegenstehen. Diese Umstände können entweder bereits eingetreten sein oder mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten. Beispiele für tatsächliche Gegebenheiten sind schwerwiegende Veränderungen auf den Beschaffungs- und Absatzmärkten eines Unternehmens, etwa der Verlust eines Hauptabsatzmarktes durch die Verhängung politischer Sanktionen, Wegfall von Lieferanten oder der Verlust von Großabnehmern. Des Weiteren können Schadensersatzverpflichtungen oder erhebliche Wertminderungen bei betriebsnotwendigem Vermögen die Fortführung eines Unternehmens gefährden, ebenso die Nicht-Verlängerung bzw. die Kündigung bestehender Kreditlinien durch die Banken (Bertram et al. 2013).

    Die tatsächlichen Gegebenheiten können als Vorstufe der rechtlichen Gegebenheiten betrachtet werden (Bertram et al. 2013): Werden tatsächliche Gegebenheiten ignoriert oder zeigen gegensteuernde Maßnahmen keine Wirkung, gefährden rechtliche Gegebenheiten die Fortführung der Unternehmenstätigkeit. Der Begriff ‚rechtliche Gegebenheiten‘ umfasst rechtliche Vorschriften, vertragliche Vereinbarungen oder behördliche Auflagen, die zu einer Einstellung des Geschäftsbetriebs führen können. Zu den rechtlichen Gegebenheiten gehören die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder das Vorliegen eines Auflösungsbeschlusses für eine Gesellschaft (Liquidation oder Umwandlung). In beiden Fällen ist zusätzlich die tatsächliche Absicht der Beendigung der Geschäftstätigkeit erforderlich. Soll das Unternehmen, etwa im Rahmen eines Insolvenzplans, fortgeführt werden, steht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Bewertung zu Fortführungswerten nicht entgegen (Winkeljohann und Büssow 2014). Auch der Entzug einer Konzession, etwa für den Betrieb einer genehmigungspflichtigen Einrichtung, oder ein behördlich verfügter Produktionsstopp wegen Verletzung von Umweltschutzauflagen oder das Auslaufen eines Pachtvertrags für das Firmengelände zählen zu den rechtlichen Gegebenheiten (Bertram et al. 2013).

    In einer zweiten Stufe ist bei der Feststellung der Sanierungsfähigkeit die nachhaltige Wettbewerbs- und Renditefähigkeit zu überprüfen. Diese Begriffe werden in Artikel 13 des IDW S6 konkretisiert: „Die Wettbewerbsfähigkeit gründet sich vor allem auf das Mitarbeiterpotenzial, also das Wissen, die Fähigkeiten, die Loyalität und die Motivation des Managements und der Belegschaft, die es ermöglichen, für die Kunden Werte durch marktfähige Produkte und Leistungen zu schaffen. Dazu muss die Unternehmensleitung über den Willen, die Fähigkeiten und die Möglichkeiten verfügen, das Unternehmen in einem überschaubaren Betrachtungszeitraum so weiterzuentwickeln, dass es zu einer Marktstellung gelangt, die ihm zum einen nachhaltig eine branchenübliche Rendite ermöglicht und es auch wieder attraktiv für Eigenkapitalgeber macht (Renditefähigkeit)." (IDW 2009)

    Bei der Beurteilung der Fortführung der Unternehmenstätigkeit muss die Wettbewerbs- und Renditefähigkeit im Prognosezeitraum – in der Regel das laufende und das folgende Geschäftsjahr – mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erreicht werden. Der Begriff ‚überwiegend wahrscheinlich‘ findet sich auch in § 19 Abs. 2 InsO bei der Beurteilung der insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose. Überwiegende Wahrscheinlichkeit heißt, das Unternehmen beabsichtigt die Fortführung und kann die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Prognosezeitraum anhand eines Finanzplans nachweisen (Uhlenbruck und Gundlach 2010).

    Die quantitativen Komponenten der Sanierungsfähigkeit werden im Wesentlichen anhand der verschiedenen Methoden der Unternehmensbewertung ermittelt (Braun und Uhlenbruck 1997). Dass die Ermittlung eines „richtigen" Wertansatzes nicht möglich ist und die einzelnen Bewertungsansätze methodische Kritik erfahren haben, soll hier nicht thematisiert werden. In Deutschland erfolgt die Feststellung der Sanierungsfähigkeit meist über den Vergleich des Fortführungswerts mit dem Liquidations- bzw. Zerschlagungswerts der Gesellschaft.

    Im Fortführungswert ist die Summe der abgezinsten zukünftigen Unternehmenserfolge abgebildet, wohingegen im Liquidations- bzw. Zerschlagungswert die Vermögenspositionen mit den Liquidationskosten saldiert sind. Dem Szenario der Unternehmensfortführung liegt eine Unternehmensplanung zugrunde, die alle definierten und abgestimmten finanziellen, strukturellen und v. a. leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen umfasst. Die korrespondierenden zahlungs- und ertragswirksamen Konsequenzen sind ebenfalls in Planbilanz, -erfolgsrechnung und -liquidität berücksichtigt. Daher erfolgt die Ermittlung des Fortführungswertes, indem die der Gesellschaft zufließenden Finanzströme mit einem risikoadjustierten, sanierungsadäquaten Kapitalisierungszinsfuß diskontiert werden. Daher gilt es hier besonders darauf zu achten, dass die Planung im integrierten Rechenwerk methodisch schlüssig und inhaltlich glaubwürdig nachzuvollziehen ist. Dem Szenario der Unternehmensliquidation liegen die geplante Liquidationsdauer sowie die erforderlichen Zerschlagungsbemühungen zugrunde. Eine Wertabschätzung ist hier ex ante mit besonderen Problemen behaftet, da die Höhe der Liquidationskosten bspw. durch Kosten der Altlastenbeseitigung oder die tatsächlichen Sozialplankosten schwer bestimmbar ist.

    Aus ökonomischer Perspektive ist die Sanierungsfähigkeit gegeben, wenn der Fortführungswert den Liquidationswert übersteigt. Lassen sich nach wirksamer Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen nachhaltig positive Cash-Flows erwirtschaften, die auch die Sanierungskosten decken, so wird deutlich, dass der Barwert der zukünftig erzielbaren und ausschüttungsfähigen Jahresergebnisse den Liquidationswert übersteigt. Die Gesellschaft ist dann als sanierungsfähig zu bezeichnen. Im umgekehrten Fall ist die Gesellschaft als nicht sanierungsfähig zu bezeichnen. Eine Investition in ein sanierungsbedürftiges Unternehmen, das auch nach Umsetzung der definierten Sanierungsmaßnahmen einen geringeren Fortführungswert ausweist als den Wert, den ein Investor bei Liquidation der Gesellschaft erzielen könnte, ist nicht rentabel und würde nicht durchgeführt.

    4.3 Sanierungskonzept als Entscheidungsgrundlage

    Die kurzfristige Sicherung des Unternehmensbestandes im Sinne einer positiven Fortführungsprognose ist die Voraussetzung für eine Unternehmenssanierung. Die finale Entscheidung über deren Durchführung erfolgt auf der Basis des Sanierungskonzeptes.

    Das Sanierungskonzept spielt eine Schlüsselrolle bei der Entscheidung zwischen den Optionen Restrukturierung(sversuch) oder Liquidation eines Unternehmens. Das Sanierungskonzept soll Klarheit schaffen, ob und

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