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Praxishandbuch Sanierung im Mittelstand
Praxishandbuch Sanierung im Mittelstand
Praxishandbuch Sanierung im Mittelstand
eBook2.501 Seiten17 Stunden

Praxishandbuch Sanierung im Mittelstand

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Über dieses E-Book

Das Praxishandbuch führt systematisch durch Theorie und Praxis der Unternehmenssanierung in Betriebswirtschaft und Recht. Die außergerichtliche Sanierung und das Insolvenzverfahren, sowie sozialwissenschaftliche Aspekte des Changemanagements und der Führung werden berücksichtigt. Ihre umfassende Erfahrung geben die Autoren in Form von zahlreichen Praxisbeispielen, Originalgutachten, Checklisten sowie vielen hilfreichen Adressen für spezialisierte Dienstleister in der Sanierung weiter.

SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer Gabler
Erscheinungsdatum28. Feb. 2019
ISBN9783658231484
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    Buchvorschau

    Praxishandbuch Sanierung im Mittelstand - Stefan Hohberger

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019

    Stefan Hohberger und Hellmut Damlachi (Hrsg.)Praxishandbuch Sanierung im Mittelstandhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-23148-4_1

    1. Unternehmenssanierung: Der Weg von der Krise zum Erfolg

    Stefan Hohberger¹   und Hellmut Damlachi²  

    (1)

    Naila, Deutschland

    (2)

    Frankfurt am Main, Deutschland

    Stefan Hohberger (Korrespondenzautor)

    Email: dr.stefan.hohberger@t-online.de

    Hellmut Damlachi

    Email: damlachi@ra-dh.de

    1.1 Definition Unternehmenssanierung und -Restrukturierung

    1.2 Der schleichende Weg in die Krise

    1.3 Der Weg aus der Krise vom Ist- zum Sollzustand des Krisenunternehmens

    1.4 Die Voraussetzung von Sanierungswürdigkeit und Sanierungskultur als Mindset

    1.5 Change Management und Theorie U als Sanierungsmethodik des Mindset

    1.5.1 Sanierung als komplexes Change Managementprojekt

    1.5.2 Theorie U als Sanierungsmethodik

    1.5.3 Change Management als Sanierungsmethodik

    1.6 Der Ablauf einer Unternehmenssanierung

    1.7 Das komplexe Theoriegebäude der Unternehmenssanierung

    Literatur

    Zusammenfassung

    Unternehmen befinden sich mikroökonomisch im Zeitablauf ebenso wie ganze Volkswirtschaften makroökonomisch in ertragreichen Zeitabschnitten (Hochkonjunktur) sowie wechselweise auch in Niedergangsphasen (Depression und Rezession). Diese nennt man Unternehmenskrise, den aktiven Weg von der Krise in die erneute Profitabilität Sanierung oder Restrukturierung. Unternehmenskrisen lassen sich an bestimmten Symptomen erkennen und haben typische Phasen im Zeitablauf. Die Sanierung von Unternehmen hängt von der Sanierungswürdigkeit sowie der erfolgreichen Etablierung einer Sanierungskultur ab. Als Methoden der Sanierung sind das sog. Change Management sowie die Theorie U als Grundbausteine anzusehen.

    1.1 Definition Unternehmenssanierung und -Restrukturierung

    Stefan Hohberger

    Definition

    Die Sanierung (lateinisch: sanare) ist als Heilung definiert¹, insofern geht dieser sinnbildlich eine „Krankheit voraus. Betriebswirtschaftlich sind demnach unter Sanierung alle Maßnahmen zur dauerhaften Behebung vorübergehender oder permanenter Schwierigkeiten in der Geschäftstätigkeit der Unternehmung mit dem kurzfristigen Ziel der Krisenbewältigung und Existenzerhaltung sowie dem langfristigen Ziel der Wiederherstellung der strategischen Wettbewerbsfähigkeit zu verstehen. Ungenügend sind dabei die ausschließliche Rekursion auf finanzwirtschaftliche Maßnahmen sowie die Definition als „führungsorientierte, organisatorische, finanz-, leistungs- und sozialwirtschaftliche Maßnahmen², da diese nicht die Momente der Krise beinhalten sowie nicht von der normalen Geschäftsführungsfunktion abgrenzbar ist. Träger einer Sanierung sind intern das Top- und Middle-Management, die Kapitalgeber, die Aufsichts- und Kontrollorgane, extern die Banken, Sanierungsmanager und Insolvenzverwalter.

    Eine Restrukturierung ist die Neugliederung innerbetrieblicher Unternehmensstrukturen und -prozesse. Restrukturierung ist demnach inhaltlich teilidentisch mit der Sanierung, wobei jedoch einer Restrukturierung nicht zwingend eine „Krankheit" des Unternehmens vorausgehen muss³. Restrukturierungsbedarf besteht demnach auch in gesunden Unternehmen oder kann sich auch auf latente Risiken beziehen. Im Zeithorizont geht jedoch häufig der Sanierung die Restrukturierung voraus, wenn die Restrukturierungsmaßnahmen nicht zeitnah greifen und so die Sanierung verhindern. Auch kann die Restrukturierung im Nachgang einer Sanierung oder unabhängig von einer Sanierung erfolgen, wenn die Krise behoben ist – z. B. eine Zahlungsunfähigkeit – um eine Konsolidierung des Unternehmens zu erreichen oder eine strategische Restrukturierung unabhängig von einer Krise durchzuführen. So ist eine Rechtsformänderung bzw. Neugründung einer Fortführungsgesellschaft im Falle der übertragenden Sanierung eine Sanierungsmaßnahme wegen Vorliegen einer Existenzbedrohung. Im Falle einer expansiven Restrukturierung zum Zwecke der Eigenkapitalaufnahme für Kapazitätserweiterungen als errichtende Umwandlung bzw. Ausgliederung nach §§ 124, 152 UmwBerG liegt eine Restrukturierungsmaßnahme vor; die AG-Gründung kann jedoch in deren Verlauf zur Sanierungsmaßnahme werden, wenn der Fortbestand des Unternehmens ohne die Kapazitätserweiterung gefährdet wäre.

    Sanierungs- und Restrukturierungsbedarf können häufig nicht unternehmensintern befriedigt werden. Sanierung und Restrukturierung als Funktion sind innerhalb der Struktur- und Leitungsprinzipien der Aufbauorganisation zum einen in der obersten Hierarchieebene (Geschäftsleitung) und zum anderen mit außerordentlichen Weisungsbefugnissen gegenüber der Belegschaft auszustatten. Dies führt dazu, dass Sanierungs- und Restrukturierungsbedarf extern befriedigt werden müssen, da

    nur ungenügende Personalkapazität für die schnelle Durchführung von Sanierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen vorhanden ist und

    Sanierungs- und Restrukturierung als über eine reine Geschäftsführungstätigkeit hinausgehende Funktion mit speziellem Know-how und Objektivität des Vorgehens definiert ist.

    Durch den fortgeschrittenen Ressourcenverzehr (Liquidität, Kapital, Personal, Management etc.) und die Existenzbedrohung ein sehr hoher zu bewältigender Handlungsdruck durch Kreditinstitute, Gesellschafter, Arbeitnehmer, Kunden und Lieferanten entsteht, der aufgrund fehlender Krisenerfahrung durch das bestehende Management nicht erfüllt werden kann⁴.

    Das Antonym für „Krise ist „Erfolg: hat also ein Unternehmen den Zustand der „Krankheit" gemäß Definition verlassen, so ist es auf dem Erfolgsweg. Der Erfolg eines Unternehmens spiegelt sich durch folgende Faktoren wieder:

    positive Ertragslage

    positive Vermögenslage

    positiver Cashflow

    relevante Wettbewerbsposition

    gesunde Unternehmenskultur.

    1.2 Der schleichende Weg in die Krise

    Stefan Hohberger

    Der Weg vom blühenden Unternehmen in die Insolvenz ist oftmals ein schleichender: die Entwicklung einer Krise ist ein Leidensweg (oder gemäß obiger Definition eine „Krankheit"), welcher oftmals längere Zeit andauert, da verschiedene Krisenphasen (Vgl. Abb. 1.1) unbewusst und inaktiv durchlaufen werden:

    die Stakeholderkrise wird nicht als solche wahrgenommen, sondern allenfalls als menschliche Differenzen aufgrund unterschiedlicher Meinungen oder Charaktere handelnder Personen

    eine Strategiekrise zu erkennen, ohne faktisch wiederum keine erkennbare Strategie zu haben – so wie dies in Krisenunternehmen häufig der Fall ist – führt sich selbst ad absurdum

    die Produkt- und Absatzkrise wird oft nicht erkannt, weil zu diesem Zeitpunkt noch Unternehmensgewinne vorhanden sind und/oder der Wettbewerb nicht analysiert wird

    die Ertragskrise führt erst bei längerem Verlauf zu einer gewissen Beunruhigung des Managements und ist dann von der Erkenntnis- und Reaktionsfähigkeit des Managements abhängig

    die Liquiditätskrise bedeutet bereits das letzte Stadium vor einer möglichen Insolvenz und wird oftmals nur durch Symptom- anstatt Ursachenbekämpfung weiterhin verschleppt.

    Erkennt ein Unternehmen bereits die Frühphasen einer Krise und reagiert es frühzeitig, so wird dieser Fall sehr häufig gar nicht als Krisen- oder gar Sanierungsfall betrachtet: das Unternehmen erholt sich, bevor die harten Boten der Krise oder der Sanierung Einzug halten.

    ../images/314003_4_De_1_Chapter/314003_4_De_1_Fig1_HTML.png

    Abb. 1.1

    Krisenarten. (Quelle: Selbst erstellt)

    Erstaunlich ist auch die Tatsache, dass der objektive Eintritt einer Krise oder Sanierung oft entweder negiert wird oder sogar bewusst „verleugnet" wird, obwohl die Anzeichen dafür unübersehbar sind, anstatt mit professionellem Krisenmanagement in die offene Kommunikation mit allen Beteiligten zu gehen, nicht zuletzt um das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines Change Managements zu offenzulegen.

    All dies führt dazu, dass zu spät auf Krisen reagiert wird und daher die Chancen der erfolgreichen Umsetzung einer Sanierung sinken oder durch fortgeschrittenen Ertrags- und Liquiditätsmangel nicht nur aus Zeitgründen unmöglich werden. Der Faktor Zeit ist einer der entscheidenden in der Unternehmenssanierung: der „Endpunkt des Unternehmenslebens – die Insolvenz – ist gesetzlich vorbestimmt und daher bleiben für Krisenanalyse, Problemfindung, Lösungsgenerierung und Lösungsumsetzung nur noch begrenzte Zeit übrig: insofern stellt sich die Frage, ob die Zeit bei einer Rückwärtsterminierung ausreichend ist, um die Unternehmensfortführung zeitgerecht zu schaffen. Hinzu kommt, dass „Sanierungsprofis sehr oft zu spät ins Boot geholt werden, was ebenfalls die knappe Ressource Zeit stark beansprucht.

    Der Verlauf sowie die Handlungsoptionen innerhalb einer Unternehmenskrise (vgl. Abb. 1.2) bilden sich auf der Zeitschiene vom strategischen bis zum operativen Bereich und hinsichtlich der Krisenart von der Stakeholder-, der Strategie-, der Produkt- und Absatz- über die Ergebniskrise bis hin zur Liquiditätskrise ab.

    ../images/314003_4_De_1_Chapter/314003_4_De_1_Fig2_HTML.png

    Abb. 1.2

    Krisen- und Sanierungsverlauf. (Quelle: Franz Steiglechner)

    Der Endpunkt einer Unternehmenskrise ist entweder die erfolgreiche Sanierung durch Herstellung der strategischen Wettbewerbsfähigkeit, also das langfristige Überleben des Unternehmens oder die Insolvenz/Liquidation, also das Sterben des Unternehmens. Die Insolvenz ist ein Unternehmenszustand, der durch eine Unternehmenssanierung vermieden werden sollte, da zum Einen eine sehr hohe Fremdbestimmung durch Insolvenzverwalter und Gläubiger und zum Anderen ein sehr hohes Risiko durch Kundenabwanderung usw. besteht. Diesen Endpunkt erreichen in Westeuropa jährlich ca. 175.000 Unternehmen mit einer Insolvenz (Vgl. Abb. 1.3).

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    Abb. 1.3

    Unternehmensinsolvenzen und deren Verteilung in Westeuropa 2011 bis 2015. (Quelle: Creditreform)

    In Deutschland hat sich nach der Finanzkrise aus Ende 2008 im weiteren Verlauf des Jahres 2009 gezeigt dass immer mehr auch große Unternehmen in Schwierigkeiten geraten⁵ und dieses Phänomen nicht nur kleinere und schlecht aufgestellte Unternehmen erfassen kann. „In den ersten drei Monaten 2009 stellten weit mehr Unternehmen mit einem Umsatz größer 100 Mio. € einen Insolvenzantrag als es in der gleichen Periode 2008 waren. Die öffentliche Aufmerksamkeit war außerordentlich groß, weil traditionsreiche Betriebe mit großen Markennamen in existenzielle Nöte gerieten: der Osnabrücker Cabrio-Spezialist Karmann etwa, oder der Porzellanbrenner Rosenthal, der Chiphersteller mit dem Kunstnamen Qimonda, ursprünglich vom Siemens-Konzern abgespalten, genauso wie der Fertighausbauer Kampa, schließlich auch die Einzelhandelskette Hertie wie der Spielwarenhersteller Märklin."⁶ Insofern kann jedes Unternehmen potentiell von einer Krise erfasst werden und bis in eine Insolvenzsituation abgleiten.

    Der globale Insolvenzindex von EulerHermes analysiert die Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen weltweit (vgl. Abb. 1.4).

    ../images/314003_4_De_1_Chapter/314003_4_De_1_Fig4_HTML.png

    Abb. 1.4

    Globaler Insolvenzindex. (Quelle: http://​www.​eulerhermes.​de/​SiteCollectionIm​ages/​euler-hermes-geschaeftsinsolv​enzen-weltweit-prognose-2017-weltkarte.​jpg, zugegriffen am 12.04.2018)

    Krisenunternehmen haben gemäß der Befragung von 125 Insolvenzverwaltern mit etwa 21.000 Unternehmensinsolvenzen laut einer Umfrage der Euler Hermes Kreditversicherungs-AG erhebliche Defizite in vielen Bereichen⁷:

    Unternehmen verpassen oftmals die Chance der Sanierung

    Abwehr und Angst des Managements verhindern rechtzeitiges Handeln

    Unternehmen haben Defizite in der Kenntnis des Insolvenzrechts

    Insolvenzen sind oft die Konsequenz von meist mehreren Managementfehlern

    externe Faktoren begünstigen oft die Insolvenz.

    Doch was sind die konkreten Ursachen, weshalb ein Unternehmen den Endpunkt einer Krise – die Insolvenz – erreicht hat (Vgl. Abb. 1.5) (nach Häufigkeit sortiert)?

    Fehler und Verlustquellen im innerbetrieblichen Bereich 51 %

    externe Auslöser/Verlustquellen 15 %

    Fahrlässigkeit 11 %

    persönliches Verschulden 9 %

    Kapitalmangel 9 %

    sonstige Ursachen 5 %.

    Restrukturierung, Sanierung und Insolvenz stehen dabei in chronologischem Zusammenhang. Meist fehlt für eine frühzeitige Restrukturierung im Unternehmen die Personalkapazität oder es wird die Notwendigkeit der Restrukturierung nicht erkannt oder sogar geleugnet. Befindet sich das Unternehmen bereits in der Krise, so zögern Geschäftsführung und Gesellschafter eine aktive Sanierung in den meisten Fällen zu lange hinaus; zudem fehlt das spezifische Know-how für eine Unternehmenssanierung. Oft wird der Anstoß zur Sanierung durch das Kreditinstitut gegeben, indem die Vorlage eines Sanierungsgutachtens nahe gelegt wird, wobei hier die Kreditinstitute oder auch die Kunden – schon aus Gründen der eigenen Risikominimierung – eine aktivere Rolle der Insolvenzprävention spielen könnten, da der Unternehmer weder über die finanziellen noch personellen Ressourcen verfügt. Die Einsetzung von Sanierungsmanagern durch das Kreditinstitut oder durch den Kunden auf dessen Kosten rechnet sich allein durch die Möglichkeit der Vermeidung der Insolvenz und dem Zugriff auf alle Daten des Krisenunternehmens, auf welche Entscheidungen aufgebaut werden können. So sind Insolvenzen oft die unweigerliche Folge.

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    Abb. 1.5

    Insolvenzursachen 2015. (Quelle: https://​www.​ksv.​at/​insolvenzursache​n-2015)

    1.3 Der Weg aus der Krise vom Ist- zum Sollzustand des Krisenunternehmens

    Stefan Hohberger

    Um einer Insolvenz zu entgehen, muss ein professionell gesteuertes Sanierungsprojekt verschiedene Sanierungsphasen durchlaufen, innerhalb dessen die Milestones einer Sanierung „Eliminierung des operativen Cash-Burn, „Erreichung des Break-Even-Points sowie „Erzielung einer marktüblichen Rendite" angepeilt werden müssen, welches der sog. Phase 1, Phase 2 und Phase 3 der Sanierung (Vgl. Abb. 1.6) entspricht.

    ../images/314003_4_De_1_Chapter/314003_4_De_1_Fig6_HTML.png

    Abb. 1.6

    Sanierungsphasen. (Quelle: Selbst erstellt)

    Der Istzustand eines Krisenunternehmens ist durch die Merkmale Wettbewerbsdruck, Cash Burn, Verlust, negativer Unternehmenswert, Insolvenzbedrohung, negatives Eigenkapitel und Mitarbeiterkündigungen gekennzeichnet, während der Sollzustand nach der Unternehmenssanierung durch die Faktoren positiver MVA (Market Value Added) bzw. EVA (Economic Value Added), positiver Cashflow, hohes Eigenkapital, gute Vermögenslage, Mitarbeiterzufriedenheit und Wettbewerbsfähigkeit charakterisiert wird. Der Sanierungsprozess hat also die Aufgabe das Krisenunternehmen in ein strategisch wettbewerbsfähiges Unternehmen zu überführen (Vgl. Abb. 1.7).

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    Abb. 1.7

    Der Weg vom Ist- zum Sollzustand. (Quelle: Selbst erstellt)

    Einen Weg zurücklegen, bedeutet immer Zeit und Raum zu überwinden. Aber mit welchen Mitteln gelingt dies am erfolgsversprechendsten? Nehme ich ein Schiff um den Mount Everest zu erklimmen? Nein, man benötigt das richtige Werkzeug (Toolset) um zum Erfolg zu gelangen. Aber genügt allein das richtige Werkzeug? Nein, denn ziehen die involvierten Menschen nicht mit, dann reicht die bloße Anwendung betriebswirtschaftlicher Technik nicht, um den Veränderungsprozess zu beschreiten. Man benötigt also auch die richtige Einstellung (Mindset) aller Stakeholder, um ein Unternehmen von einem krisenbehafteten Istzustand in einen wettbewerbsfähigen Sollzustand zu überführen!

    Eine Unternehmenssanierung erfolgt niemals nach „Patentrezept oder durch Abarbeiten eines „Standardsanierungsprogrammes. Vielmehr hat jeder Sanierungsfall eine Vielzahl eigener Prämissen und ist einzigartig. Genau deswegen kommt der Rolle des Sanierungsmanagers/CRO eine Schlüsselfunktion zu: er analysiert das Unternehmen, stellt die Sanierungsstrategie auf und generiert daraus die Sanierungseinzelmaßnahmen. Dabei ist neben Sanierungserfahrung (um die „Baustellen" des Unternehmens zu erkennen) auch die Sanierungstheorie (ohne Kenntnis aller Sanierungsbausteine und -tools können diese auch nicht in Erwägung gezogen werden) sowie Lösungskreativität (für den Aufbau der Gesamtsanierung) notwendig.

    Eine sog. Vollsanierung umfasst demnach sowohl die finanzwirtschaftliche, die betriebswirtschaftliche, die sozialwissenschaftliche als auch die juristische Dimension. Zeitlich sind verschiedene Sanierungsphasen abzugrenzen, was bedeutet, dass eine umfassende Sanierung im operativen Zeithorizont zunächst die Beseitigung des Cash-Burn, dann die Erreichung des Break-Even-Points um danach im strategischen Horizont die Wiederherstellung der uneingeschränkten Wettbewerbsfähigkeit und eines positiven Unternehmenswertes zum Ziel zu haben.

    Um eine Vollsanierung durchzuführen muss zunächst eine detaillierte Krisenanalyse durchgeführt werden, welche aus der Krisenarten-, Krisenstadium- sowie Krisenursachenanalyse besteht. Dieser folgt sodann eine Unternehmensanalyse auf Abteilungsebene. Deren beider Erkenntnisse münden in die Generierung von Sanierungsmaßnahmen, mit dem Ziel, ALLE Probleme des Unternehmens mit Lösungsansätzen zu versehen und in sehr kurzer Zeit im Unternehmen umzusetzen. Dies geschieht nicht nur durch „Beratergutachtenserstellung" sondern vielmehr durch teamorientiertes Coachen und Implementierung stabiler, neuer Unternehmensprozesse, welche letztendlich dazu führen müssen, dass das Unternehmen nach Ausscheiden des Sanierungsmanagers optimal läuft und alle Probleme dauerhaft behoben sind.

    1.4 Die Voraussetzung von Sanierungswürdigkeit und Sanierungskultur als Mindset

    Stefan Hohberger und Hellmut Damlachi

    Der Begriff der Sanierungswürdigkeit stammt aus den Anfängen der „Sanierungstheorie. Die Sanierungswürdigkeit wird gemessen an der Frage, ob die an der Sanierung beteiligten Parteien als Entscheidungsträger und die Kapitalgeber gemäß ihrer subjektiven Einschätzung die Sanierung begleiten wollen …

    Dieser Begriff hat heute keine wesentliche Bedeutung mehr. Er wurde im damaligen Standard des IDW FAR 1/1991 geprägt und ist jedoch kein Inhalt des IDW S6 mehr. An dessen Stelle ist getreten ein Teilbereich des Begriffes der Fortführungsfähigkeit, der ein Kriterium bei der Frage ist, ob eine positive Fortführungsprognose gestellt werden kann. Eine positive Fortführungsfähigkeit, bezogen auf die Unternehmensführung liegt vor, „wenn die Unternehmensleitung über den Willen, die Fähigkeiten und die Möglichkeiten verfügen, das Unternehmen in einem überschaubaren Betrachtungszeitraum so weiterzuentwickeln, dass es zu einer Marktstellung gelangt, die ihm eine nachhaltige und branchenübliche Rendite bei einer angemessenen Eigenkapitalausstattung ermöglicht, und es daher wieder attraktiv für Eigen- und Fremdkapitalgeber macht (Renditefähigkeit)"⁹. Auch in gerichtlichen Insolvenzplänen wird die schriftliche Bestätigung der Unternehmensleitung, das Unternehmen fortzuführen, gefordert, § 230 Abs. 1 InsO.

    Nach unserer Auffassung geht es bei einer Sanierung nicht (nur) um die Einhaltung der formalen Voraussetzung einer schriftlichen Bestätigung, sondern den dahinter stehenden Willen, weshalb wir uns gerne kurz am ursprünglichen Begriff der Würdigkeit der Sanierung aufhalten wollen:

    Der entscheidende Punkt scheint hier der „weiche Faktor (im Gegensatz zu „harten Faktoren wie der Vergleich des Ertragswertes mit dem Liquidationswert) der an der Sanierung beteiligten Individuen und deren Motivationsgrad, eine Sanierung positiv begleiten zu wollen und auch zu können. Im Umkehrschluss heißt das, dass eine Sanierung auch dann scheitern kann, wenn das „Toolset (Entschuldung, Cost Cutting, leistungswirtschaftliche Maßnahmen etc.) erfolgversprechend ist, jedoch die Stakeholder „nicht mitziehen, d. h. nicht das entsprechende „Mindset" an den Tag legen:

    die Bank lehnt eine Sanierungsfinanzierung ab

    die leitenden Mitarbeiter kündigen

    der Gesellschafter will das Unternehmen loswerden

    die Stimmung im Unternehmen ist von einer Aufbruchsstimmung weit entfernt

    der Geschäftsführer ist beratungsresistent

    der Hauptlieferant ist nicht mehr gewillt Ware zu liefern

    die Kreditversicherer streichen die Limits

    die Kunden bestellen die Produkte bei der Konkurrenz.

    Um den neu einzuführenden Begriff einer Sanierungskultur inhaltlich zu beschreiben, lässt sich der Begriff der Unternehmenskultur analog anwenden:

    Definition

    Corporate Culture; 1. Begriff: Grundgesamtheit gemeinsamer Werte, Normen und Einstellungen, welche die Entscheidungen, die Handlungen und das Verhalten der Organisationsmitglieder prägen. 2. Ziel: Wenn Reputation (Ruf) das Oberziel von Unternehmenskommunikation ist, dann bildet die Unternehmenskultur den handlungsprägenden Rahmen. Die Handlungen einer Organisation bilden zugleich die Beobachtungsfläche für Mitglieder der eigenen Organisation (Führungskräfte und Mitarbeiter) sowie Dritte (Kunden, Banken, Politik) und tragen maßgeblich zur Wahrnehmung, zum Fremdbild (Image) und damit zur Reputation bei. 3. Instrumente: Leitbildprozesse gelten als ein zentrales Instrument des Kulturmanagements. Diese Arbeitsprozesse unterstützen Organisationen, z. T. implizit gelebte Kulturmerkmale der Tiefenstruktur wie Selbstverständnis und Vision zu explizieren. Diese gilt es dann ggf. zu beeinflussen indem sie vertieft oder variiert werden, um die Soll-Wahrnehmung zu prägen. 4. Aspekte: Unterschieden werden zentral zwei Ebenen der Unternehmenskultur: die Tiefenstruktur als handlungsprägende Ebene (Werte, Normen, Einstellungen) sowie die Oberflächenstruktur, die von Dritten beobachtbar ist. Wenn die Tiefenstruktur als handlungsprägender Rahmen der Oberflächenstruktur arbeitet, dann muss Unternehmenskommunikation als Verhaltensmanagement dort ansetzen, um Image und Reputation nachhaltig beeinflussen zu können. Es gilt als umstritten, ob und inwieweit sich die Tiefenstruktur durch Kommunikation, Anreize und/oder Sanktionen nachhaltig verändern lässt."¹⁰

    Die Sanierungskultur ist zu bezeichnen als „innerer Kern" einer Sanierung, ist das Pendant zur Unternehmenskultur im Tagesgeschäft und lässt sich wie folgt in Unternehmensphasen einordnen (vgl. Abb. 1.8):

    Reorganisation als Veränderung unternehmerischer Strukturen (Aufbauorganisation) und Prozesse (Ablauforganisation) zum Zweck einer Performancesteigerung außerhalb einer Unternehmenskrise

    Repositionierung als strategische Komponente zum Zweck einer strategischen Neuausrichtung oder Korrektur außerhalb einer Unternehmenskrise

    Restrukturierung/Sanierung als umfassendes Bündel operativer und strategischer finanz- und leistungswirtschaftlicher Einzelmaßnahmen in Verbindung mit juristischen Veränderungen in einer Krisensituation eines Unternehmens

    Sanierungskultur als sozioethischer Handlungsrahmen aller Stakeholder im gegenseitigen Umgang und der Kommunikation einer Krisensituation eines Unternehmens.

    Für eine Sanierungskultur lässt sich also ableiten:

    Sanierung bedarf ethischer Werte und Einstellungen

    ein handlungsprägender Rahmen für Sanierungsakteure sowie Stakeholder ist nötig

    die Wahrnehmung und die Reputation einer Sanierung hängt maßgeblich davon ab, in welcher Art und Weise Sanierungsakteure und Stakeholder handeln

    eine Sanierungskultur sollte als Leitbild agieren und dem Unternehmensleitbild temporär während der Sanierungsphase voran gehen

    eine Sanierungskultur bedarf einer besonderen Sanierungskommunikation zur Aufrechterhaltung des Sanierungsimages und der Reputation

    eine Sanierungskultur muss durch „aktive sozioethische Arbeit an Stakeholdern" durch den Sanierungsmanager implementiert werden und entsteht weder von alleine noch durch Zufall.

    ../images/314003_4_De_1_Chapter/314003_4_De_1_Fig8_HTML.png

    Abb. 1.8

    Sanierungskultur als Handlungsrahmen der Sanierung. (Quelle: Selbst erstellt)

    Aufgaben einer Sanierungskultur

    die offene Sanierungskommunikation zwischen Stakeholdern zulassen

    die individuellen Fähigkeiten der Beteiligten berücksichtigen und nutzen

    Mitarbeiterführung über Wertschätzung und Motivation statt zusätzlichen Druck hervor bringen

    eine konstruktive Fehlerkultur fordern und fördern

    hin zur Projektarbeit führen mit Bewusstsein für Veränderung (Change Management)

    schnelle und agile Unternehmensentscheidungen auch ohne 100 %-Analyse ermöglichen

    trotz Zeit- und Erfolgsdruck ethische und soziale Werte aller Stakeholder beachten.

    Den Gesamtzusammenhang zwischen Sanierungswürdigkeit und Sanierungskultur als Komponenten des Mindset in Bezug zum Toolset beschreibt die nachfolgende Abb. 1.9.

    ../images/314003_4_De_1_Chapter/314003_4_De_1_Fig9_HTML.png

    Abb. 1.9

    Zusammenhang zwischen Sanierungs-Mindset und -Toolset in der Sanierung. (Quelle: Selbst erstellt)

    „Das Mindset des Unternehmens verstehen wir – in Anlehnung an die Unternehmenskultur – als die Grundgesamtheit der gemeinsamen Werte, Normen und Einstellungen, welche die Entscheidungen, die Handlungen und das Verhalten des Unternehmens prägen und die in der Unternehmenskultur und den Unternehmenszielen zum Ausdruck kommen. Das Mindset des am Unternehmensprozess Beteiligten, des Mitarbeiters, des beteiligten Beraters, des Kunden, des Lieferanten, des Gesellschafters verstehen wir – im Gegensatz zur Definition des Charakters – als die Grundgesamtheit der Werte, Normen und Einstellungen, welche die Entscheidungen, die Handlungen und das Verhalten des Beteiligten prägen."¹¹

    Dass Unternehmen sich einer stärkeren Wandlungsfähigkeit als noch vor 15 Jahren stellen müssen und dass Unternehmen mit hoher Innovation und schneller Veränderungsfähigkeit erfolgreicher am Markt agieren als solche ohne, ist weithin bekannt.

    Das Mindset eines Unternehmens ist interdisziplinär geprägt von verschiedenen Wirkursachen, welche auch in der Sanierung vor dem Hintergrund einer notwendigen massiven Veränderung ablaufen und die Handlungen der an der Sanierung beteiligten Stakeholder entscheidend beeinflussen.

    Kennen Sie das? Jeder im Unternehmen weiß und diskutiert über bestehende operative und strategische Probleme sowie die Hauptursachen der Krise, aber im Unternehmen verändert sich einfach jahrelang nichts. Die beteiligten Person besitzen eine gewisse „Wandlungsresilienz", also eine subjektive Abwehrhaltung gegenüber Veränderungen, welche Sanierungsvorhaben be- oder verhindern können, obwohl die durchzuführenden Sanierungsmaßnahmen objektiv bekannt und klar sind: das Mindset blockiert das Toolset. Warum das so ist, lässt sich konkret mit drei Problempunkten skizzieren:

    fehlendes Bewusstsein der Menschen für die Erfordernis des Wandels

    fehlendes innerbetriebliches Knowhow für die Strukturierung des Zielzustandes

    fehlende Instrumente des Managements für die Steuerung des Prozesses der Veränderung.

    Aber weshalb „funktioniert die Komponente Mensch" nicht? Drei interdisziplinäre Gründe aus Neurobiologie, Ethik und Soziologie in Kürze¹²:

    neurobiologisch spielt das Gehirn dem Menschen einen Streich, wenn er „neue Dinge tun soll, da diese aus der Vergangenheit nicht abgespeichert sind und daher vom Gehirn nicht abrufbar sind, also „wird es nicht getan oder verweigert. Die Gehirnforschung hat herausgefunden, dass ein Erlebnis verankert wird durch synchrone Aktivierung verschiedener Neuronengruppen, was wiederum durch Ausschüttungen von Proteinen an den Zellverbindungen erfolgt. Hierzu produzieren die involvierten Neuronengruppen einen Marker – „synaptic tagging" ¹³ – durch bestimmte Proteine, durch den die „zu der Erinnerung gehörenden Bestandteile bei der Weiterleitung eines Reizes bevorzugt werden. Dieses synchrone „Feuern steigert die Tendenz der beteiligten Nervenzellen, auch künftig gemeinsam zu „feuern". Je häufiger dies geschieht, desto fester und stabiler werden die synaptischen Verbindungen innerhalb dieses Neuronenverbands. Dadurch kommt es zu einer Art Sensibilisierung. Bald reicht bereits das Feuern einzelner Nervenzellen aus, um auch die anderen aus der Gruppe zum Feuern anzuregen – und so das Erlebte erneut abzurufen¹⁴.

    Hierdurch besteht die Möglichkeit, die Erinnerung an vielen verschiedenen Ankern abzurufen. Auf diese Weise werden bereits vorhandene Nervenzellverbindungen gestärkt und neue Synapsen gebildet – was als zentraler Mechanismus der Gedächtnisbildung gilt¹⁵. Auch die Automatisierung von Abläufen, wie z. B. das in der Fahrschule mühsam gelernte „Kuppeln" beim Gangwechsel, das man nach gewisser Zeit nicht mehr bewusst merkt, kann so erklärt werden.

    Neurobiologisch lassen sich für eine Sanierung als Change Managementprojekt folgende Thesen ableiten:

    Nervenzellen verarbeiten Informationen mit verschiedenen Systemen, eine Manipulation kann sowohl elektrisch als auch chemisch erfolgen;

    zur Übertragung eines Reizes ist ein gewisser Schwellenwert erforderlich. Ein beliebtes Instrument dazu ist es, Angelegenheit dringend zu machen;

    der „Steuerung wird im Organismus der größte Energieverbrauch zugebilligt, und hier wiederum wird der größte Teil dazu aufgewendet, die „Informationsversorgung sicherzustellen;

    „Mutter Natur hat für den Aufbau des neuronalen Netzes ein sehr komplexes, filigranes System realisiert, neben dem die bislang vom Menschen geschaffenen Systeme trivial erscheinen; die Verarbeitung von Reizen erfolgt parallel über viele Netzelemente. Dabei ist nicht nur der Aufbau, die „Produktionsfaktoren sind entscheidend, da auch Unterschiede z. B. bei der Gehirnmasse von Mann und Frau zur gleichen Leistungsfähigkeit führen. Vielmehr kommt der „richtigen" Verkabelung der Nervenzellen im Gehirn eine entscheidende Bedeutung für die Leistungsfähigkeit der Informationsverarbeitung zu;

    die Ausprägung der richtige Verkabelung benötigt einen längeren Zeitraum; folglich ist auch für Veränderungen innerhalb eines Sanierungsprozesses entsprechende Zeit einzuplanen;

    durch Wiederholung folgt eine Festigung bis hin zu einem Automatismus.

    Emotionen ermöglichen die Speicherung von Erinnerungen und können diese dämpfen oder stärken; die zentrale Bedeutung der Emotionen müsste die entsprechende Berücksichtigung im Unternehmensalltag erfahren – Menschen funktionieren effizienter, wenn sie auch emotional „abgeholt" werden.

    negative Emotionen werden stärker gespeichert, permanent negative Emotionen führen zum Absterben der Nervenzellen. Positive Emotionen führen zu einer nicht so starken Verankerung, aber zu einem langsameren, aber kontinuierlichem Aufbau von Erinnerungen.

    die Arbeit im Gehirn erfolgt im „Teamwork, gleichzeitig durch mehrere „Gedächtnis-Einheiten, gemeinschaftlich, und jeder Teil trägt zum Ergebnis bei.

    weiterhin stehen ethische und moralphilosophische Gründe dagegen: Die Unternehmensziele (Gewinnmaximierung, hohe Arbeitszeiten etc.) stehen Individualzielen (freie Entfaltung, hohe Freizeit, Macht etc.) in vielen Punkten konträr gegenüber und führen zu anderen Verhaltensweisen als gewünscht. Um eigene Interessen durchzusetzen, ist die Ausübung von Macht erforderlich. Gemäß der Machtdefinition von Max Weber bedeutet Macht „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht."¹⁶ Die Ausübung von Macht sollte ihre Grenzen in der Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel erreichen: Es ist nur das geringste Mittel einzusetzen, welches zur Zielerreichung führt. Bei der Machtausübung sollten die persönlichen Grenzen anderer (Grundrechte, Moralverständnis etc.) stets beachtet werden. Personale Macht nur um ihrer selbst willen zu haben und zu demonstrieren ist nicht verantwortbar und damit kaum ethisch nicht zu begründen. Neben der Eigennutzenmaximierung ist dem Menschen auch das Streben nach Macht zu eigen, wie Hobbes in seinem Werk Leviathan ausführt: „So halte ich an erster Stelle ein fortwährendes und rastloses Verlangen nach immer neuer Macht für einen allgemeinen Trieb der gesamten Menschheit, der nur mit dem Tode endet. Und der Grund hierfür liegt nicht immer darin, dass sich ein Mensch einen größeren Genuss erhofft als den bereits erlangten, oder dass er mit einer bescheidenen Macht nicht zufrieden sein kann, sondern darin, dass er die gegenwärtige Macht und die Mittel zu einem angenehmen Leben ohne den Erwerb von zusätzlicher Macht nicht sicherstellen kann."¹⁷

    Nach der Theorie der Grenzmoral besteht eine Divergenz zwischen Eigennutzenmaximierung im Sinne einer Gewinnmaximierung (welche ein grundsätzliches ökonomisches Prinzip ist) und moralischem Handeln, ein schwer zu lösendes Dilemma. „Zwingt der Markt zu Unmoral? … Gewinn zu maximieren und zwar auch mit Hilfe ethisch bedenklicher Mittel. Könne ein Wettbewerber wirtschaftliche Vorteile erlangen durch unmoralisches Handeln, dann seien die anderen gezwungen, diesem schlechten Beispiel zu folgen, um keine wirtschaftlichen Einbußen zu riskieren … Aus diesem Grund wird teilweise eine Individualmoral der Wirtschaftsakteure, insbesondere der Unternehmer oder Manager in ihrer Eigenschaft als Unternehmensführer für unmöglich gehalten."¹⁸

    auch die Soziologie hat Erklärungen: Das Verhalten von Menschen begründet sich auf die Erwartung, was andere Menschen tun. Würde jeder Mensch die „richtige Erwartung haben, so würde es keinerlei Dissens geben, da „jeder alles erahnt. Da dies nicht der Fall ist, verhindern Erwartungen auch Wandel, da dieser so konkret nicht erwartet wird. Es besteht also eine Rückkopplung zwischen den eigenen Erwartungen, und den Erwartungen, die der Handelnde von den anderen erwartet. Wenn diese übereinstimmen, führt dies zu einer positiven Rückkopplung, einer fördernden Bestätigung. Wenn diese nicht übereinstimmen, führt dies zu einem Hemmnis.

    Die Netzwerktheorie liefert hier weitere soziologische Erkenntnisse: Unternehmenssanierungen werden typischerweise in der Organisationsform eines Projektes abgewickelt. Aber welche soziologische Mechanismen stecken hinter dieser Arbeitsform? Die strukturelle Handlungstheorie von Ron Burts geht davon aus, dass sich Interessen aufgrund der entsprechenden Akteursposition in Netzwerken formieren. Entscheidend für wirtschaftliches Handeln ist dabei, ob der Akteur durch seine Netzwerkbeziehungen in der Lage ist, sog. strukturelle Löcher durch Informationsfluss zu überbrücken.¹⁹ Ob dies in einer Sanierung gelingt, wird also maßgeblich davon abhängig sein, ob der Sanierungsmanager oder CRO in der Lage sein wird, gleichgerichtete Interessen aller der Sanierung Beteiligten zu erzeugen und dauerhaft aufrecht zu erhalten.

    Weshalb sind Veränderung und Wandel für denjenigen, der ihn erzeugen und dauerhaft implementieren will zum einen riskant und zum anderen aufwändig? Der bekannte deutsche Soziologie Niklas Luhmann beschreibt in seinem Werk den nun ablaufenden soziologischen Mechanismus, welcher Veränderung und Wandel verhindert, wie folgt: „Jede soziale Interaktion erfordert die Wahl bestimmter Themen für gemeinsame Aufmerksamkeit und Kommunikation … Man muss daher, um sinnvoll handeln zu können, eine akzeptierte Situationsdefinition voraussetzen und den anderen Teilnehmern ihre Rollen darin zuweisen. Jeder hat am Anfang die Freiheit zu protestieren; aber niemand kann, wenn er an der Interaktion teilnehmen will, unaufhörlich gegen alles Implizierte explizit protestieren. Ihm bleibt nur der Gesamtprotest, der Abbruch der Beziehung oder das Sicheinlassen auf die Basis unterstellten Konsenses. Das Fortsetzen der Teilnahme wird dann, ob gewollt oder nicht, zur Darstellung von pauschal erteiltem Konsens, zum Engagement kraft Dabeiseins … Wer sich institutionalisierten Erwartungen (also z. B. alten ablauforganisatorischen Prozessen im Unternehmen; Anm. d. Verf.) entgegenstemmen will (also z. B. im Rahmen einer Performancesteigerung neue ablauforganisatorische Prozesse einführen will; Anm. d. Verf.), hat das Schwergewicht einer vermuteten Selbstverständlichkeit gegen sich. Er muss vorläufig angenommene Erwartungen, auf die andere sich schon eingelassen hatten, durchkreuzen, greift also deren Selbstdarstellungen an. Ihm obliegt die Last der Initiative, die Last der Verbalisierung und der Explikation. Er muss dafür sorgen, dass der unbemerkt eingelebte Konsens durch erteilten Konsens ersetzt wird. Sein Handeln fällt auf und ist fast unvermeidlich mit Führungsansprüchen verbunden. Es wird ihm persönlich zugerechnet und kann ihn ruinieren, wenn es scheitert. Das Risiko ist entsprechend hoch, oft entmutigend hoch. Diese Alternative, im Geborgenen unsichtbar zu bleiben oder riskant hervorzutreten und sich zu exponieren, ist für die Motivlage bei institutionalisierten Verhaltenserwartungen bezeichnend. Sie unterbindet nicht jede Abweichung oder Neuerung, sie kann sogar mit dem Reiz des Gefährlichen und Persönlichen dazu motivieren, aber sie strukturiert die Kommunikationschancen eindeutig im Sinne der Institution und lässt Wandel nur zu, wenn konkret überzeugende Anpassungserfordernisse ihn nahelegen."²⁰.

    1.5 Change Management und Theorie U als Sanierungsmethodik des Mindset

    Stefan Hohberger

    1.5.1 Sanierung als komplexes Change Managementprojekt

    In den voran gegangenen Kapiteln wurde beschrieben, dass

    Unternehmenssanierung vielschichtige inhaltliche Dimensionen umfasst

    der Weg von der Krise zum Erfolg eine komplette Unternehmenstransformation darstellt und bestimmte Phasen durchlaufen muss

    Sanierung ein komplexes Change Managementprojekt bedeutet

    das Gelingen einer Sanierung nicht nur von den betriebswirtschaftlichen Werkzeugen („Toolset"), sondern auch von den Werten und inneren Einstellungen der an der Sanierung beteiligten Sanierungssubjekte (Stakeholder) abhängt.

    In Summe bedeutet dies, dass die Sanierung begleitet werden muss von einem strukturierten Handlungsrahmen, innerhalb dessen die Sanierung nach bestimmten Regeln und Strukturen ablaufen muss, wenn man das gewünschte Sanierungsergebnis – nämlich den Sollzustand des Unternehmens – erreichen will. Diesen Handlungsrahmen können die beiden nachfolgend beschriebenen Methodiken der Theorie U und des Change Managements bieten.

    1.5.2 Theorie U als Sanierungsmethodik

    Wandel bedeutet, einen Weg vom Istzustand zum Sollzustand zu beschreiten. Dabei gilt es, sich anstatt an der Vergangenheit an der im Entstehen befindlichen Zukunft zu orientieren und dabei ein Bewusstsein für die unterschiedlichen Impulse zu entwickeln²¹.

    Otto Scharmer vom Massachusetts Institute of Technology’s Sloan School of Management hat die Theorie U entwickelt, welche davon ausgeht, dass sozialer Wandel mit der Transformation eines jeden selbst beginnt und davon ausgeht, was in der Zukunft das Ziel sein soll („Leading from the emerging future, „Führen von der Zukunft her). Dazu bedient sich die Theorie zweier Modelle, nämlich dem „U mit fünf Faktoren sowie der sieben Managementfunktionen „Seven Theory U Leader Capacities.

    Die Grundidee der Theorie ist, dass die Qualität der Ergebnisse, welche von einem beliebigen System generiert werden, maßgeblich vom Bewusstsein abhängen, aus welchem heraus die involvierten Menschen handeln. Die Theorie U (sog. Presencing, welches sich aus „sensing und „presence zusammen setzt) fußt auf den empirischen Ergebnissen der Interviews von 150 Führungskräften durch die MIT Sloan School of Management, da dort im Vorfeld analysiert wurde, dass Veränderungen stark auf die verhaltensbezogene Dimension zurück zu führen sind. Erfolgreiche Veränderungsprozesse folgen demnach nicht der Formel „Form folgt der Funktion sondern vielmehr „Form folgt dem Bewusstsein.²² Dabei beeinflussen vier Bewusstseinsebenen, wie weit der Ort, von dem die Handlungen ausgehen (Istzustand) von den Grenzen des Systems entfernt ist:

    Herunterladen (Downloading)

    Gewohnheitsmäßige Verhaltens- und Denkweisen reproduzieren Ergebnisse und Verhaltensweisen der Vergangenheit

    Faktisches Zuhören

    Empathisches Zuhören

    Gestaltung (Presencing).

    Das Presencing folgt einigen wichtigen Schlüsselprinzipien²³:

    Energie folgt der Aufmerksamkeit

    Observe (Beobachten), retreat and reflect (Rückzug und Reflexion), act in an instant (unmittelbares Handeln)

    Suchen Sie die Grenzen des Selbst

    Das Nadelöhr passieren (und Altes loslassen)

    Die drei Quellen des Wiederstands verwandeln (a. die Stimme des Zweifelns b. die Stimme des Zynismus c. die Stimme der Angst)

    Man braucht einen geschützten Raum, damit sich die Gesprächsfelder von der Debatte zum Dialog und zur gemeinsamen Kreativität entfalten können

    Stärken Sie die Quellen des Presencing (Gestaltung), um die destruktive Dynamik des Absencing (Zerstörung) zu vermeiden

    Der Weg der Veränderung wird dabei sinngebend entlang des „U" (sog. U-Prozess) von links oben zunächst nach unten (tiefer Punkt der Verwandlung, sog. Nadelöhr) und dann nach rechts oben wie folgt durch die Theorie U (Vgl. Abb. 1.10) beschrieben.

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    Abb. 1.10

    Theorie U: U-Prozess (presencing). (Quelle: in Anlehnung an Scharmer, Otto C./Käufer, Katrin (2014) S. 36)

    Die beiden sozialen Räume des Presencing (Gestaltung; Handeln von den Zukunftsmöglichkeiten aus) und des Absencing (Zerstörung; alte Muster des Herunterladens) bestimmen dabei den Weg der Veränderung und beschreiben gleichzeitig die beiden Spannungsfelder, in welchen man sich permanent bewegt (Vgl. Abb. 1.11).

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    Abb. 1.11

    Theorie U: Soziale Räume der kollektiven Gestaltung und Zerstörung. (Quelle: in Anlehnung an Scharmer, C O und Käufer K (2014) S. 39)

    Die Matrix der Evolution (vgl. Abb. 1.12) beschreibt die verschiedenen Ebenen, durch welche man sich hindurchbewegen sollte, wenn man eine gewollte Veränderung der Realität dadurch beginnt, dass man die eigene Qualität des Bewusstseins verändert, aus dem man handelt. Die Matrix der Evolution zeigt, wie sich diese Veränderung auf der individuellen Ebene (Mikro), der Ebene von Gruppen (Meso), für Institutionen/Organisationen (Makro) oder gar das globale System (Mundo) auswirkt²⁴.

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    Abb. 1.12

    Theorie U: Matrix der sozialen Evolution. (Quelle: in Anlehnung an Scharmer, Otto C./Käufer, Katrin (2014) S. 178)

    Der Ansatz bietet gleichermaßen Hilfestellung für das Verständnis, wie Wandel und Veränderung im Sinne eines Presencing gelingen kann, aber auch die Gründe, wie und weshalb Wandel und Veränderung im Sinne eines Absencing dazu führen kann, weshalb eine Sanierung trotz aller Mühe nicht zum Erfolg führt.

    1.5.3 Change Management als Sanierungsmethodik

    Aus den vielfältigen Literaturbeiträgen zum Change Management wurde John P. Kotter ausgewählt²⁵. Der Autor des Buches „Leading Change nervt den Leser nicht mit definitorischem Eifer, sondern macht die ganz „alltäglichen Auslöser und Schwierigkeiten beim organisatorischen Wandel zum Thema. Ausgehend von den 8 Gründen für das Scheitern von Change-Prozessen leitet Kotter ganz pragmatisch die 8-Stufen für den erfolgreichen organisatorischen Wandel ab (Vgl. Abb. 1.13).

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    Abb. 1.13

    Die 8 Schritte des Change Managements nach Kotter. (Quelle: Selbst erstellt in Anlehnung an Kotter, John P.)

    Diese 8 Stufen eignen sich gut, um die Rolle des Kommunikationsverhaltens im Rahmen von Change Managementprojekten – also einer Sanierung – detaillierter zu betrachten und den entsprechenden Handlungsbedarf abzuleiten. Ob die Dringlichkeit des Wandels verdeutlicht, eine Führungskoalition gebildet, eine Vision/Strategie entwickelt oder aber der Wandel in der Organisation fest verankert werden muss: in jeder Phase spielt das Kommunikationsverhalten eine entscheidende Rolle.

    Denn: Ein erfolgreiches Veränderungsmanagement darf – neben den notwendigen strukturellen Veränderungen – nicht den Einstellungswandel der Mitarbeiter/-innen auf allen Unternehmensebenen missachten. Die richtige Einstellung ist die Voraussetzung, um die notwendigen Veränderungen im Unternehmen zu initiieren, zu implementieren und zu konsolidieren.

    Change Managementprojekte können auf jeder Stufe des Prozesses scheitern.

    Während die Schritte 1–4 dazu dienen, den Status Quo fundamental in Frage zu stellen, sind die Schritte 5–7 die Implementierungsschritte und Schritt 8 dient der dauerhaften Verankerung des Wandels im Unternehmen.

    Die 8 Schritte nach Kotter sind (Vgl. Abb. 1.13):

    „Ein Gefühl der Dringlichkeit erzeugen

    Marktuntersuchungen, Wettbewerbsrealitäten erkennen

    Identifizieren und Diskutieren der potenziellen Krisen und Möglichkeiten

    Eine Führungskoalition aufbauen

    Koalition muss teamfähig sein

    Koalition muss Machtbefugnisse haben

    Vision und Strategien entwickeln

    Dem Wandel mit einer Vision die richtige Richtung geben

    Strategie entwickeln, um die Vision umzusetzen

    Die Vision des Wandels kommunizieren

    Konstante Kommunikation über verschiedenste Kanäle

    Vorbildfunktion der Führungskoalition sicher stellen

    Empowerment auf breiter Basis

    Systeme und Strukturen beseitigen, die die Vision konterkarieren

    Demonstratives Verstärken unorthodoxer und neuer Ideen

    Kurzfristige Ziele ins Auge fassen/Short Term Wins generieren

    Sichtbare Erfolge planen und herstellen

    Sichtbare Anerkennung und Belohnung der Short Term Wins

    Erfolge konsolidieren und weitere Veränderungen ableiten

    Neueinstellungen, Beförderungen oder Freisetzung von Mitarbeitern im Sinne des Wandels

    Neubeleben des Prozesses durch weitere Projekte und Themen (‚nicht locker lassen‘), gewonnene Glaubwürdigkeit nutzen

    Neue Ansätze in der Kultur verankern

    Artikulieren des Zusammenhangs zwischen unternehmerischem Erfolg und ‚neuen‘ Verhaltensweisen

    Weitere Investitionen in effektiveres Management, verbessertes Führungsverhalten, um das Leistungsniveau hoch zu halten.

    Jede dieser Stufen benötigt kommunikative Aktivitäten und kann in unterschiedlicher Weise durch externe Berater sinnvoll unterstützt werden."²⁶

    1.6 Der Ablauf einer Unternehmenssanierung

    Stefan Hohberger

    Grundsätzlich gilt, dass eine Unternehmenssanierung nie nach einem vorgefertigten Muster abläuft. Vielmehr ist jede Sanierung ein Einzelfall, innerhalb dessen es gilt „Sanierungsbausteine individuell zusammen zu puzzeln". Bestimmte Hauptkomponenten wie z. B. eine Krisenanalyse sollten jedoch immer beinhaltet sein, da deren Grundaussagen den weiteren Verlauf der Sanierung maßgeblich beeinflusst; dazu zählen. Der Ablauf einer Sanierung ist schematisch auf der Zeitschiene vereinfacht wie folgt darstellbar (Vgl. Abb. 1.14), wobei eine Sanierung in der Regel ein bis zwei Jahre dauert:

    Zahlungsunfähigkeitsprüfung

    In einer sehr frühen Phase der Sanierung muss eine sog. Zahlungsunfähigkeitsprüfung vorgenommen werden. Deren Erfordernis ergibt sich aus der Insolvenzantragspflicht des § 17 InsO und sollte den Vorgaben des IDW S11 zur Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen genügen. Diese unterscheiden sich stark von operativen Liquiditätsplänen, welche in Unternehmen gewöhnlich erstellt werden.

    Erstellung einer Betriebsanalyse & Sanierungsgrobkonzept

    Die Erstellung einer Ist-Betriebsanalyse ist ein wichtiger Bestandteil für die Sanierung oder Restrukturierung, um die erforderlichen Betriebsdaten klar strukturiert aufzubereiten und sich als Sanierungsmanager ein genaues Bild über die Situation des Unternehmens zu machen. Das Sanierungsgrobkonzept soll die wesentlichen Ansatzpunkte einer Sanierung aufzeigen, ohne jedoch den Detailplan auszudifferenzieren.

    „Einfangen" der Stakeholder nebst Sanierungskommunikation

    Alle an der Sanierung beteiligten Parteien – die sog. Stakeholder oder auch Sanierungssubjekte – wie Gesellschafter, Finanzierer (Banken, Factoring-Gesellschaften, Warenkreditversicherer, Kreditauskunfteien etc.), Belegschaft mit Betriebsrat, Gewerkschaften, Geschäftsführung, Kunden, Lieferanten, staatliche Behörden (Finanzamt, Zollamt, Arbeitsamt etc.) sowie Pensionssicherungsverein etc. sind in unterschiedlichem Ausmaß von der Sanierung und den Sanierungsmaßnahmen betroffen. Eine Sanierung bedeutet, dass die Stakeholder einen Sanierungsbeitrag leisten müssen. Akzeptanz für einen solchen Sanierungsbeitrag ist regelmäßig nur dann zu erreichen, wenn eine aktive und offene Sanierungskommunikation mit allen Stakeholdern erfolgt.

    Krisenanalyse

    Eine operative sowie strategische Krisenanalyse ist notwendige Voraussetzung für die Erstellung eines Sanierungskonzeptes, denn ohne Kenntnis der Krisenursachen ist auch die Erstellung von Sanierungsmaßnahmen für die Behebung der Krisenprobleme nicht möglich.

    Erstellung und Umsetzung eines Sanierungskonzeptes

    Aufbauend auf der Betriebsanalyse kann nun ein Soll-Betriebskonzept als Sanierungskonzept erstellt werden, um die Beurteilung der Sanierungsfähigkeit des Unternehmens vorzunehmen. Hierzu werden die ermittelten Krisenursachen nach deren Dringlichkeit und Ausmaß strukturiert und die zugehörigen Maßnahmen im Zeithorizont definiert. Das Sanierungskonzept sollte durch einen fachkundigen Dritten als Sanierungsgutachten nach IDW-Standard erstellt werden. Die stringente Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen auf der Zeitschiene ist „ein Muss" einer Sanierung. Ein Sanierungskonzept kann aber muss nicht den Anforderungen an IDW S6 entsprechen.

    Prüfung der Sanierungsfähigkeit

    Die Umsetzung einer Sanierung setzt grundsätzlich die positive Beurteilung mit Zielerreichung des zu erarbeitenden Sanierungskonzeptes voraus; dabei gibt es keine anerkannten Kriterien der Sanierungsfähigkeit²⁷. Hilfsweise wird ein Unternehmen als sanierungsfähig eingestuft, wenn der Fortführungswert über dem Zerschlagungswert liegt. Dabei unterliegt die Ermittlung des Fortführungswertes grundsätzlich der Wertermittlungsproblematik; nach h. M. wird der Ertragswert der maßgebliche Fortführungswert sein. Jedoch hängt die Höhe des Ertragswertes von den prognostizierten und abgezinsten Zukunftserträgen des Unternehmens ab, welche in Krise und Sanierung bzw. Insolvenz schwer bestimmbar sind. So stellt sich die grundsätzliche Frage einer objektiven Berechenbarkeit eines Fortführungswertes und damit auch der Sanierungsfähigkeit.

    Die Sanierungsfähigkeit wird – vor allem aus der Sicht der Kreditgeber – im Allgemeinen an unterschiedliche Faktoren geknüpft²⁸:

    Unternehmerische Fähigkeit und Vertrauenswürdigkeit des Kreditnehmers

    Rechtliche Verhältnisse des Unternehmens (Haftungsbasis, Rechtsform etc.)

    Gesamtwirtschaftliche Faktoren (Branchenentwicklung)

    Ist eine gesamte Branche notleidend, so muss den zugehörigen Unternehmen regelmäßig auch die generelle Sanierungsfähigkeit abgesprochen werden.

    Zukünftige Vermögenslage des sanierungsbedürftigen Unternehmens

    Zukünftige Liquiditäts- und Ertragslage des sanierungsbedürftigen Unternehmens.

    ggf. Erstellung eines Insolvenzplanes

    Scheitert eine außergerichtliche Sanierung und ist das dann gewählte Sanierungsinstrument ein Insolvenzverfahren, so muss ggf. ein Insolvenzplan erstellt und bei Gericht eingereicht werden. Im Falle eines sog. Schutzschirmverfahrens sollte die Bescheinigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 270b Abs. 1 Nr. 3 InsO den Anforderungen des IDW S9 Stand halten.

    Ein professionelles Sanierungsmanagement denkt und arbeitet stets in „Sanierungsoptionen: es werden mehrere Sanierungsalternativen parallel erarbeitet und vorangetrieben, so dass bei Scheitern der Option 1 die Option 2 weiter vorangetrieben werden kann, ohne weitere wertvolle Zeit zu verlieren. So sollte man z. B. neben dem Sanierungsgutachten nach IDW S6 auch den fertigen Insolvenzplan „in der Schublade haben oder neben den traditionellen Bankgesprächen die Neufinanzierung durch Factoring betreiben. Es sollten unterschiedliche stufenartige Sanierungsstrategien erarbeitet werden, da oftmals nicht beeinflussbare Faktoren den Fortgang der geplanten Sanierung be- oder verhindern, was eine sofortige Änderung des Sanierungsfahrplanes bewirken muss. Ziel für ein Sanierungsmanagement muss demnach sein, für unterschiedliche Sanierungswege vorbereitet zu sein.

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    Abb. 1.14

    Ablauf einer Sanierung. (Quelle: Selbst erstellt)

    In der Regel erfordert die Komplexität einer Sanierung die Einbindung von Sanierungsspezialisten wie Sanierungsmanager, CRO oder Insolvenzverwalter. Aus deren Sicht läuft ein professionell betreutes Sanierungsprojekt wie folgt auf dem Zeitstrahl ab (Vgl. Abb. 1.15).

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    Abb. 1.15

    Sanierungs-Roadmap. (Quelle: san consult GmbH)

    Eine wesentliche exogene und nicht beeinflussbare Prämisse ist der Faktor Zeit. In der Regel haben Geschäftsführer und Gesellschafter an der bisherigen Geschäftspolitik sehr lange festgehalten und mit „halbherzigen" Maßnahmen einhergehend mit einer Hinauszögerung der Offenlegung der Unternehmenskrise²⁹ oder der Hoffnung auf bessere Zeiten das Fortschreiten der Krise zugelassen. Der Job des Sanierungsmanagers ist daher immer ein Job gegen die Zeit als limitierenden Faktor. Der Zeitfaktor darf jedoch keinesfalls zu Lasten der Professionalität des Sanierungs- oder Restrukturierungskonzeptes gehen.

    1.7 Das komplexe Theoriegebäude der Unternehmenssanierung

    Stefan Hohberger

    Das vorliegende Werk soll nachfolgend alle Handlungsoptionen und alle Werkzeuge vermitteln, um einen derart vollständigen und professionellen Sanierungsprozess eines Unternehmens abwickeln zu können. Das gesamte Theoriegebäude der Sanierung ist aufgrund der Vielzahl der bestimmenden und miteinander verflochtenen Dimensionen, Subjekte und Objekte sowie des Handlungsrahmens äußerst komplex. Sanierungen und Restrukturierungen haben komplexe sozioökonomische und raumzeitliche Beziehungen, welche nur schwer parallel oder matrixorganisiert dargestellt werden können. Nachfolgendes Beziehungsgeflecht soll die Zusammenhänge verdeutlichen und gleichzeitig die mehrdimensionale Struktur des vorliegenden Buches darstellen. Das vorliegende Werk versucht, ALLE Aspekte der Unternehmenssanierung als umfassendes Theoriewerk, aber auch als Praxishandbuch zu beleuchten (Vgl. Abb. 1.16).

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    Abb. 1.16

    Komplexes Theoriegebäude der Sanierung. (Quelle: Selbst erstellt)

    Literatur

    Bonhoeffer T (2013) Zelluläre Grundlagen des Lernens. Max-Planck-Institut für Neurobiologie. Martinsried, http://​www.​neuro.​mpg.​de/​480452

    Brock D/Junge M/Krähnke U (2007) Soziologische Theorien von August Comte bis Talcott Parsons, 2.Aufl, München Wien: R. Oldenbourg

    Buth A und Hermanns M (Hrsg.) (2014) Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 4. Aufl, München: Verlag C.H. Beck

    EulerHermes Kreditversicherungs AG (2009) Wirtschaft konkret Nr. 107/2009, Hamburg

    Fouquet K P (1987) Sanierungswürdigkeitsanalyse – Die Beurteilung der Vorteilhaftigkeit von Unternehmenssanierungen aus der Sicht des Sanierungskreditgebers, Gelsenkirchen

    Gless S E (1996) Unternehmenssanierung Wiesbaden: Dt. Univ. Verlag

    Göbel Elisabeth (2010) Unternehmensethik, 2. Auflage, Stuttgart: UTB

    Hohberger S und Damlachi H (2006) Sanierung im Mittelstand. 1. Aufl, Marburg: Tectum

    Hohberger S Damlachi H (2016) Performancesteigerung im Unternehmen, 1. Aufl. Wiesbaden: Springer Gabler Verlag

    Harz M/Hub H-G/Schlarb E (2006) Sanierungsmanagement, 3. Aufl, Düsseldorf: Verlag Wirtschaft und Finanzen

    Hoffmann E (2011) TU Braunschweig: Wie speichert das Gehirn Erinnerungen? Zwei aktuelle PNAS-Veröffentlichungen zur Forschergruppe von Prof. Dr. Martin Korte, 28.01.2011, Braunschweig

    Kotter J P (1996) Leading Change: Why Transformations Efforts Fail, in: Harvard Business review on Change, S 1–20, Boston

    Münkler H (1993) Thomas Hobbes, Frankfurt New York: Campus-Verlag

    Mützel, S (2008) Netzwerkperspektiven in der Wirtschaftssoziologie, in: Maurer A (Hrsg.) (2008) Handbuch der Wirtschaftssoziologie, S. 185–221. Wiesbaden: SpringerGablerCrossref

    Scharmer C O und Käufer K (2014) Von der Zukunft her führen: Theorie U in der Praxis Heidelberg: Carl-Auer-Verlag

    Vogt M (1999) Sanierungsplanung, Wiesbaden: Springer-GablerCrossref

    Weber M (1972) Wirtschaft und Gesellschaft, 5.Aufl, Tübingen: Mohr

    Fußnoten

    1

    Vgl. Vogt M. (1999), S. 45 und Harz M./Hub H.-G./Schlarb E. (1999), S. 33.

    2

    Gless S.-E. (1996), S. 44.

    3

    Vgl. Vogt M. (1999), S. 49.

    4

    Vgl. Buth/Hermanns (Hrsg.) (1998), S. 101 f.

    5

    Vgl. Euler Hermes Kreditversicherungs AG (2009), S. 9.

    6

    Euler Hermes Kreditversicherungs AG (2009), S. 9.

    7

    Vgl. Euler Hermes Kreditversicherungs AG (2009), S. 12.

    8

    Hohberger, Stefan/Damlachi Hellmut (2006), S. 22.

    9

    IDW ES 6 n. F. vom 07.09.2017, Rd. 16.

    10

    http://​wirtschaftslexik​on.​gabler.​de/​Archiv/​55073/​unternehmenskult​ur-v7.​html, zugegriffen am 19.12.2016.

    11

    Hohberger S und Damlachi H (2016), S. 12.

    12

    Hoffmann E (2011).

    13

    Vgl. dazu die näheren Ausführungen bei Hohberger S und Damlachi H (2016), Kapitel 1.

    14

    Vgl. Bonhoeffer T (2013), https://​www.​dasgehirn.​info/​denken/​gedaechtnis/​wie-erlebnisse-zu-erfahrungen-werden; Neurowissenschaftliche Gesellschaft e. V., Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, 13125 Berlin – Ein Projekt der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, der Neurowissenschaftlichen Gesellschaft e. V. in Zusammenarbeit mit dem ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe.

    15

    Anders formuliert: Je mehr GluR1-Rezeptoren in einer Zellmembran vorhanden sind, desto besser können die Zellen miteinander kommunizieren, das heißt Signale übertragen – und ein bestimmtes Aktivitätsmuster langfristig speichern.

    16

    Weber M (1972), S. 28.

    17

    Münkler H (1993), S. 106.

    18

    Göbel E (2010), S. 96.

    19

    Vgl. Mützel S (2008), S. 188 f.

    20

    Zitiert aus: Brock Det al, (2007), S. 139.

    21

    Vgl. Scharmer C O und Käufer K (2014), S. 9.

    22

    Vgl. Scharmer, C. Otto/Käufer, Katrin (2014), S. 31 f.

    23

    Vgl. Scharmer, C. Otto/Käufer, Katrin (2014), S. 35 f.

    24

    Vgl. Scharmer C O und Käufer K (2014), S. 176 f.

    25

    Kotter J P (1996), S. 1–20.

    26

    http://​www.​perspektive-mittelstand.​de/​Change-Management-Die-8-Stufen-nach-Kotter-Teil-1/​management-wissen/​444.​html, zugegriffen am 05.01.2016.

    27

    Vgl. Gless S-E (1996), S. 51 ff.

    28

    Vgl. die näheren Ausführungen bei Fouquet K P (1987), S. 25 ff.

    29

    Vgl. Buth Hermanns (Hrsg.) (1998), S. 101.

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019

    Stefan Hohberger und Hellmut Damlachi (Hrsg.)Praxishandbuch Sanierung im Mittelstandhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-23148-4_2

    2. Die Unternehmenskrise: Arten, Ursachen, Stadien und Analyse

    Stefan Hohberger¹   und Hellmut Damlachi²  

    (1)

    Naila, Deutschland

    (2)

    Frankfurt am Main, Deutschland

    Stefan Hohberger (Korrespondenzautor)

    Email: dr.stefan.hohberger@t-online.de

    Hellmut Damlachi

    Email: damlachi@ra-dh.de

    2.1 Krisenart, -stadium, -ursache

    2.2 Krisensymptome und Krisenfrüherkennung

    2.3 Krisenstadien und -analyse

    2.4 Der wirtschaftliche Stabilitätstest EcoStaT als Krisenfrüherkennung

    2.5 Krisenfrüherkennung mit DATEV Unternehmensanalyse pro

    2.6 Insolvenz als Endpunkt der Krise

    2.6.1 Das Insolvenzverfahren

    2.6.2 Insolvenzgründe

    2.6.2.1 Insolvenzgrund Zahlungsunfähigkeit

    2.6.2.2 Insolvenzgrund drohende Zahlungsunfähigkeit

    2.6.2.3 Insolvenzgrund Überschuldung

    2.6.3 Feststellung der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung

    2.6.3.1 Feststellung der Zahlungsunfähigkeit

    2.6.3.2 Feststellung der Überschuldung

    2.7 Strategische Krisenanalyse

    Literatur

    Zusammenfassung

    Unternehmenskrisen sind zeitliche Phasen mit geringer oder negativer Ertragskraft. Um den Weg von der Krise in die erneute Profitabilität bewältigen zu können, ist die Krisenanalyse der wichtigste Faktor; diese hat sowohl eine operative als auch eine strategische Komponente. Unternehmenskrisen haben typische Arten, Symptome, Phasen und Ursachen. Mit entsprechenden Instrumenten wie dem EcoStaT oder DATEV Unternehmensanalyse pro lässt sich eine Krisenfrüherkennung vornehmen. Als Wende- oder auch Endpunkt des „Unternehmenslebens" steht oftmals die Insolvenz, welche durch Zahlungsunfähigkeit oder (drohende) Überschuldung ausgelöst wird. Wir zeigen die Insolvenzverfahrensauslöser und wie diese ermittelt werden.

    2.1 Krisenart, -stadium, -ursache

    Stefan Hohberger

    Definition

    Ursache der „Unternehmenskrankheit" ist die Unternehmenskrise oder die Insolvenz. Die Krise¹ ist als Notsituation² oder unternehmensgefährdender Zustand des Gesamtgebildes zu definieren, in welchem wesentliche strategische und operative Ziele des Unternehmens nicht erreicht werden³ sowie fundamentale Interessen Dritter wie z. B. Gläubiger, Arbeitnehmer, Gesellschafter etc. gefährdet sind⁴. Die Legaldefinition einer Krise ist auch durch das KontraG in § 32a GmbHG zu finden: eine Krise liegt vor, wenn die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute dem Unternehmen Eigenkapital zuführen müssen, sei es auch als eigenkapitalersetzendes Darlehen. Dies wird dann der Fall sein, wenn eine Kapitalbeschaffung über Kreditinstitute oder sonstige Kapitalgeber aufgrund des hohen Geschäftsrisikos versagt ist⁵.

    Der Krisenzustand entsteht durch eine kritische Entwicklungsphase mit der Zuspitzung auf den Exodus oder die Insolvenz des Unternehmens. Krisenmerkmale sind⁶:

    Checkliste 2.1 Krisenanalyse (Quelle: Selbst erstellt)

    Krisenart

    Strategie-⁸, Erfolgs- oder Liquiditätskrise (bedrohte Unternehmensziele)

    Gründungs-, Wachstums- oder Alterskrise (Lebenszyklus-Stadium)

    Stagnations-, Schrumpfungs- oder Wachstumskrise (Unternehmensentwicklung)

    Beschaffungs-, Absatz-, Management- oder Organisationskrise

    Krisenstadium (Krisenausmaß und Beeinflussbarkeit)

    potentielle, latente oder beherrschbare Krise

    existenzbedrohende Krise

    existenzvernichtende Krise.

    Krisenursache

    endogene Krise

    zwischenbetriebliche Krise von außen mit Mitwirkung des Unternehmens

    exogene Krise oder

    strategische Probleme (Markt- und ressourcengerechte Strategiemuster, fehlende Unternehmensvisionen und -leitbilder, unausgewogenes Unternehmensportfolio, keine strategischen Alternativen zu Hauptumsatzträgern, Veränderung der Wettbewerbskräfte, Technologieumbrüche)

    operative Probleme (mangelnde Produktivität, Kapitalschwäche, schlechtes Cash-Management, hohe Kapitalbindungszeiten/-volumina, zu hohes Umlaufvermögen, fehlende Information über Werteerzeuger/Wertevernichter, fehlendes Controlling, falsches Marketing)

    kulturelle Probleme (Verharren in alten Erfolgsmustern, fehlende „Mindset" für Veränderung, kulturelle Innovationsblockaden, ineffektive interne und externe Kommunikation als Top-down/Bottom-up/Lateral)

    strukturelle Probleme (Prozessineffizienz, suboptimale Aufbauorganisation, Intransparenz/bedarfsungerechte Managementinformationssysteme, ineffektive Motivationsinstrumente/Anreizsysteme/Führungssysteme)

    2.2 Krisensymptome und Krisenfrüherkennung

    Stefan Hohberger

    Folgende Krisensymptome¹⁰ können bei verschiedenen Zielgruppen beobachtet werden:

    Checkliste 2.2 Krisenfrüherkennung (Quelle: Selbst erstellt)

    Kunden (frühzeitiger Skontoabzug, vermehrte Sonderangebote, leichte Preisverhandlungen, starke quantitative Sortimentsveränderungen, häufig wechselnde firmeninterne Ansprechpartner, unregelmäßige Prozessbearbeitungen)

    Lieferanten (Verzicht auf Skontoausnutzung, erhebliche und häufige Zahlungszielüberschreitung, Nichtbeachtung von Mahnungen, erhöhte Reklamationen, Auftragsstornierungen, Ratenzahlungsvereinbarungen, Nichteinhaltung von Abrufverpflichtungen, häufiger Lieferantenwechsel, sinkende Bestellmengen)

    Kreditinstitute¹¹ (verzögerte Einreichung von Geschäftsunterlagen wie Liquiditätspläne/Bilanzen etc., häufigere und andauernde Kreditlimitüberschreitungen, neue Bankverbindungen, verspätete Zins- und Tilgungsleistung oft zu Lasten von Kreditlinien, Verlangen nach Gesellschafter- und/oder Geschäftsführer-Sicherheitenfreigabe, überraschender Kreditbedarf, Nichtrückführung von Krediten, Rückgang des Kontoumsatzes, Abweichungen vorgelegter Zahlungsein- und -ausgänge, hohes Scheck- und Wechselobligo, Umstellung von Überweisung auf Scheck- und Wechselzahlung, Ausstellung vordatierter Schecks, verschlechterte Wechselqualität und Ausnutzung der Respekttage, Einreichung und Rückgabe eigener Schecks, Rückgabe von Lastschriften, Zahlungen an Rechtsanwälte und Gerichtsvollzieher, Kontopfändungen, Häufung von Auskunftsfragen und Verschlechterung der Auskünfte, Herausgabe von Geschäftsberichten/Jahresabschlüssen etc. in Kurzfassung)

    Wirtschaftsprüfer¹² (zu hohe Lagerbewertung, Lagermengenerhöhung ohne Erhöhung der Verbindlichkeiten, sinkende Lagerumschlagshäufigkeit, keine Ausnutzung von Abschreibungsmöglichkeiten und Rückstellungsbildungen, vermehrte Zuschreibungen, Auflösung stiller Reserven/Wertberichtigungen/Rückstellungen/Rücklagen, Anwendung von Sale-and-Lease-Back, Factoring, Unklarheiten in der Buchhaltung, Nutzung von abweichenden Wirtschaftsjahren insbesondere bei Konzernstrukturen, hohe Forderungen gegen verbundene Unternehmen, fehlendes oder eingeschränktes Testat, negative Abweichung von vorläufigen und endgültigen Zahlen, Veränderung der Abschreibungsmethode, Verringerung der Investitionstätigkeit, Abzug von Gesellschafterdarlehen und hohe Privatentnahmen, falsche Finanzierungsart, Umbuchungen vom Umlaufvermögen in das Anlagevermögen oder Aktivierung von Aufwendungen wie z. B. Ingangsetzungsaufwendungen)

    Belegschaft (Abwanderung qualifizierten Personals, Überlastung der Führungskräfte, wechselnde Sortiments- und Absatzpolitik, wachsender Informationsmangel, ungenügende Koordination von Betriebsbereichen, ungleichmäßige Kapazitätsauslastung, schlechteres Lohn-Leistung-Verhältnis, Reduktion der Deckungsbeiträge, Vernachlässigung des Rechnungswesens)

    unzureichendes oder fehlendes Controlling: jegliche Managemententscheidungen bedürfen einer möglichst objektiven Entscheidungsgrundlage. Diese muss häufig auf einer Zahlenbasis innerhalb des Controllings erfolgen. Ist ein Unternehmen für folgende existentiell wichtigen Unternehmenszahlen nicht aussagefähig, dann ist dies ein sicheres Indiz für eine „Denn Sie wissen nicht was sie tun"-Mentalität:

    welche Produkte oder Dienstleistungen und/oder Kunden sind Werteerzeuger und welche Wertevernichter (Profitabilität auf Kostenträgerbasis unter Vollkosten als Grundlage der Erkennung des Unternehmensverlustes)?

    wie ist die Liquiditätslage des Unternehmens in den nächsten 52 Wochen auf Wochenbasis?

    liegt eine integrierte Unternehmensplanung mit G&V, Bilanz und Kapitalflussrechnung in den Dimensionen Ist, Plan und Forecast für die nächsten drei Jahre vor (und somit die Vermögens- und Ertragslage)?

    wurden die Absatzmärkte vollständig und umfassend mit allen dafür geeigneten Vertriebskanälen bearbeitet (liegen „weiße Flecken" auf der Weltlandkarte sowie nur regionale Absatzschwerpunkte vor)?

    liegen wesentliche Unternehmenskennzahlen (sog. KPI’s: Key Performance Indicators) wie Materialaufwandsquote, DIO, DSO, DPO, Lagerbestand usw. monatlich im Ist und Plan vor?

    sind alle diese Unternehmenszahlen für alle Rechtsträger (z. B. bei Konzernstrukturen für alle GmbHs) sowie für alle Profit-Center (z. B. bei Filialisten für jede einzelne Filiale) und auch konsolidiert vorhanden und werden sog. Intercompany-Beziehungen (innerbetriebliche Lieferungen und Leistungen) ausgewiesen nebst Ergebniseffekte (Thema Verrechnungspreise)?

    Krisensituationen sind mit folgenden Begleiterscheinungen behaftet¹³: Existenzbedrohung, Zeitdruck, Intransparenz, Vertrauensschwund, Verunsicherung, Widerstand in der Arbeitnehmerschaft, Neuartigkeit der Problemstellung sowie Ungewissheit der weiteren Entwicklung.

    Unternehmensintern sind die Symptome Ergebniseinbruch (negative Umsatzrendite, hohe außerordentliche Erlöse in der G+V, Auflösung stiller Reserven, ungünstige Kostenstruktur etc.), Liquiditätsverlust (negativer Cash-Flow, angespannte Kontoführung etc.) sowie daraus unmittelbar folgend Eigenkapitalverzehr (Verlustvortrag, Auflösung von Rücklagen etc.) zu beobachten.

    Nach wie vor sind Controlling-Berichte, Kennzahlen, Branchenvergleiche und die Beobachtung der funktionalen Bereiche des Unternehmens unerlässliche Management-Aufgabe für die Aufdeckung von Krisen. Auch das Studium empirischer Ursachenkataloge gibt Aufschluss über das Entstehen von Unternehmenskrisen¹⁴. Ebenso sind Schwachstellenanalysen geeignet, Unternehmenskrisen im Vorfeld zu erkennen.

    2.3 Krisenstadien und -analyse

    Stefan Hellmut Hohberger

    Folgende Krisenstadien sind im Zeitablauf zu unterscheiden¹⁵:

    Stakeholderkrise

    Die Stakeholderkrise hat ihren Ursprung in unterschiedlichsten Problematiken der Stakeholderschaft. Stakeholder sind u. a. Gesellschafter, Banken, Belegschaft, Lieferanten und Geschäftsführer. Kommt es zu länger anhaltenden Problemen, Spannungen und Zieldivergenzen zwischen einer oder mehrerer dieser Gruppen, so spricht man von einer Stakeholderkrise. Gefährlich an einer Stakeholderkrise ist, dass sie schleichend ist und die Auswirkungen nicht unmittelbar erkennbar sind.

    Strategiekrise

    Ist die Unternehmenspositionierung im Markt (z. B. nationaler Markt) und die Rolle des Unternehmens gegenüber den Wettbewerbern (z. B. Kostenführerschaft) zum Einen nicht klar definiert und durch Steuerungsinstrumente permanent verfolgt und zum Anderen nicht kommuniziert (gegenüber Belegschaft u. a. Stakeholdern), so ergeben sich im Zeitverlauf Wettbewerbsnachteile.

    Produkt- und Absatzkrise

    Die Auswirkungen der Wettbewerbsnachteile aus der Strategiekrise sind in der Produkt- und Absatzkrise vor allem durch einen Absatzrückgang verbunden mit einem Lageraufbau und nicht-wettbewerbsfähige, schwach innovative Produkte und Dienstleistungen gekennzeichnet. Die Ursachen hierfür sind mannigfaltig: angefangen von technischen und konstruktiven Problematiken bis hin zur Produktprogrammtiefe und -breite über Vertriebsschwächen sind hier hundertfache Ursachen möglich.

    Ertragskrise

    In Folge der Produkt- und Absatzkrise schwächt sich die Ertragslage des Unternehmens aus unterschiedlichen Ursachen: keine Fixkostendegressionseffekte mehr, keine Economies of Scale mehr, Unterauslastung in der Produktion, verfahrenstechnische Probleme bei Unterauslastung sind nur einige wenige Punkte.

    Liquiditätskrise

    Ist die Verlustlage so hoch, dass ein sog. operativer Cash-Burn entsteht oder die Effekte aus dem Working-Capital-Cashflow (Debitoren, Kreditoren, Lagerbestände), dem Investitions-Cashflow sowie dem Finanzierungs-Cashflow (z. B. durch Tilgungsforderungen der Banken) zu Cash-Verlusten führen, so befindet sich das Unternehmen in einer Liquiditätskrise. Diese ist ein ernst zu nehmendes Zeichen für eine Entwicklung in Richtung einer Insolvenz.

    Insolvenzreife

    Insolvenzreife liegt vor, wenn die Voraussetzungen der § 18–20 InsO gegeben sind.

    Den zeitlichen Zusammenhang der Krisenstadien sowie der -symptome zeigt Abb. 2.1.

    ../images/314003_4_De_2_Chapter/314003_4_De_2_Fig1_HTML.png

    Abb. 2.1

    Krisenstadien. (Quelle: Selbst erstellt)

    Zu allen Krisenstadien muss im Rahmen einer Krisenanalyse als historische Aufarbeitung der existenzgefährdenden Unternehmensprobleme eine detaillierte Aufnahme aller mit den einzelnen Krisenstadien verbundenen Problematiken gemacht werden. Ohne diese wird es nicht möglich sein, zum Einen Gegenmaßnahmen für die Beendigung einer Krise zu suchen ohne die Ursache zu kennen und zum Anderen eine Vermeidungsstrategie für das erneute Auftreten einer Krise oder den Eintritt in die nächste Krisenphase zu generieren.

    Das Institut der Wirtschaftsprüfer hat in seinem Standard IDW S6 wie folgt ausgeführt:¹⁶

    „Unternehmen in der Krise durchlaufen regelmäßig verschiedene Stadien, wobei sich in der Entwicklung bis hin zur Insolvenz die Stadien der Stakeholder-, Strategie-, Produkt- und Absatzkrise sowie der Erfolgs- und Liquiditätskrise unterscheiden lassen. Diese Krisenstadien müssen sich nicht zwingend in dieser Verlaufsfolge entwickeln; sie können auch parallel, singulär oder überlappend auftreten. Krisen spitzen sich im Zeitablauf i. d. R. zu. Allein auf die Behebung der Liquiditäts- oder Überschuldungskrise ausgerichtete Maßnahmen reichen für eine Sanierung nicht aus, solange nicht auch die Ursachen der vorgelagerten und parallelen Krisenstadien (z. B. die Stakeholder- und Strategiekrise mit Schwächen im Personalmanagement) identifiziert und behoben sind. Nicht identifizierte und behobene Krisenursachen wirken weiter und führen dazu, dass z. B. die Erfolgs- und Liquiditätskrise nur vorübergehend überwunden wird, ohne dass eine nachhaltige Sanierung erreicht ist.

    Jedes Stadium des Krisenverlaufs, insb. die Stadien der Stakeholder-, Strategie- sowie Produkt- und Absatzkrisen, kann Folge einer falschen Personalmanagementstrategie sein. Häufig lösen Schwächen in den Bereichen Personalentwicklung und Personalführung eine Krise aus. Probleme zeigen sich in diesen Fällen u. a. an einem fehlenden oder unzureichend kommunizierten Leitbild, einem nicht mehr markt- und zeitgemäßen Wissensstand der Belegschaft, einer fehlenden Strategie seitens der Verantwortlichen zur (Weiter-)Entwicklung des Personals, einem ungünstigen Arbeitsumfeld für die Belegschaft, einer niedrigen Motivation der Belegschaft, einer geringen Identifikation der Belegschaft mit ihrer Aufgabe und den Produkten oder Dienstleistungen des Unternehmens, einer schwachen Bindung der Belegschaft an das Unternehmen.

    Die mit Führungsdefiziten verbundenen Krisen führen häufig zur Deformation der Unternehmenskultur und ziehen Schwächen des Mitarbeiterpotenzials nach sich. Mit fortschreitender Krise verengen sich auch dadurch die Spielräume für eine erfolgreiche Sanierung. Solche Entwicklungen, insb. ein Auseinanderklaffen der vom Management verlautbarten und von ihm gelebten Werte, müssen erkannt und durch geeignete Maßnahmen beseitigt werden.

    Feststellungen zur Stakeholderkrise: Krisen auf Ebene der Stakeholder (dies sind insbesondere Mitglieder der Unternehmensleitung und der Überwachungsorgane, Gesellschafter, Arbeitnehmer und ihre Vertretungen, Banken und andere Gläubiger) entstehen oft durch Konflikte zwischen diesen Gruppen und ihren Mitgliedern. Vor allem Konflikte der corporate governance IDW ES 6 n. F. strahlen auf das Unternehmen, insb. auf das Führungsverhalten, aus, führen zu erheblichen Reibungsverlusten oder Blockaden und verhindern notwendige Entscheidungen. Die Konsequenzen treten schleichend ein. Das bisherige Leitbild ist wegen veränderter Rahmenbedingungen überholt oder wird in dem Unternehmen nicht mehr gelebt. Innerhalb der Leitungs- und Überwachungsebene bis in die Belegschaft hinein treten Blockaden und Polarisierungen auf. Häufig wird die Unternehmenskultur mitsamt der Leistungsbereitschaft der Belegschaft deformiert und Nachlässigkeit breitet sich aus. Dadurch wird das Aufkommen eines Umfelds begünstigt, das Täuschungen und Vermögensschädigungen ermöglicht, z. B. weil Aktivitäten des Controllings und der internen Revision bewusst behindert werden, falsche Bereichsergebnisse billigend in Kauf genommen werden, Unstimmigkeiten in den Potenzialen u. a. dadurch eintreten, dass Schwächen in der Produktqualität durch erhöhte Marketingaktivitäten kompensiert werden sollen.

    Feststellungen zur Strategiekrise: Strategiekrisen ergeben sich häufig als Folge einer Stakeholderkrise. Meist infolge unzureichender Kundenorientierung und unsystematischer Beobachtung der Wettbewerbsentwicklungen erfolgen unangemessene oder ineffektive Innovationen und Investitionen, die zu strategischen Lücken (z. B. unzureichendes Produktprogramm) und strukturellen Defiziten (z. B. unangemessene Fertigungstiefe) führen. Schwächen im Personalmanagement können gleichermaßen Ursache wie auch Folge einer Strategiekrise sein. Zu erkennen ist die Strategiekrise vor allem am Verlust von Marktanteilen, der wiederum einen Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit indiziert und damit grundlegende strategische Sanierungsmaßnahmen erforderlich macht. Mögliche Ursachen der Strategiekrise sind: Unklare oder fehlende strategische Ausrichtung im Hinblick auf die angestrebten Wettbewerbspositionen oder Wettbewerbsvorteile, nachhaltige Fehleinschätzungen der Wettbewerbssituation oder der Marktentwicklung. Diese Entwicklungen können zu falscher Innovationspolitik hinsichtlich Produktportfolio und Verfahrenstechnik, Fehlinvestitionen, falsch angelegten Diversifikationen und Kooperationen sowie Fehlern in der Standortwahl führen. Nicht zuletzt ist die Wettbewerbsfähigkeit von der jeweiligen Wettbewerbssituation des Unternehmens in seiner Branche abhängig. Diese lässt sich im Wesentlichen durch drei Haupteinflussgrößen beschreiben. Zunächst geht es um die Branchenstruktur, geprägt durch die Akteure, ihre Stärke, ihre Geschäftspraktiken und ihr Verhalten: vorhandene und potenzielle Wettbewerber, Anbieter von Ersatzprodukten, aktuelle und potenzielle Lieferanten, aktuelle und potenzielle Kunden. Das Wettbewerbsgeschehen wird auch durch die horizontale und vertikale Kooperation und Interaktion zwischen den Akteuren geprägt. Schließlich beeinflussen die Marktphasen die Wettbewerbssituation. So macht es einen erheblichen Unterschied, ob sich ein Markt in der Expansions- oder Stagnationsphase befindet.

    Feststellungen zur Produkt- und Absatzkrise: In der Folge einer Strategiekrise kann sich eine Produkt- und Absatzkrise entwickeln. Sie liegt vor, wenn die Nachfrage nach den Hauptumsatz- und -erfolgsträgern nicht nur vorübergehend stark zurückgeht. Aus dieser Entwicklung resultieren steigende Vorratsbestände und dadurch eine Zunahme der Kapitalbindung. Auch führen Unterauslastungen der Produktionskapazitäten zu Ergebnisrückgängen. Eine solche Situation kann durch Umstände auf der Nachfrageseite oder auf der Unternehmensseite verursacht sein, wie z. B.: Qualitativ nicht ausreichendes Marketing- und Vertriebskonzept, Sortimentsschwächen, Qualitätsprobleme bei Produkten, Dienstleistungen, Service, falsch eingeschätzte Preisentwicklung und Fehler in der Preispolitik, Schwächen in der Liefertreue, Fehler in der Vertriebssteuerung/falsche Anreizsysteme im Vertrieb.

    Feststellungen zur Erfolgskrise: Ohne wirksames Gegensteuern in der Stakeholder- und Strategiekrise bzw. der Produkt- und Absatzkrise folgt zwangsläufig die Erfolgskrise. Ein Renditeverfall drückt sich darin aus, dass zunächst die Eigenkapitalkosten nicht mehr verdient werden. Sodann entstehen starke Gewinnrückgänge und schließlich Verluste bis hin zum vollständigen Verzehr von Eigenkapital. Diese Entwicklung wird geprägt durch Nachfragerückgänge, Preisverfall und Kostensteigerungen je verkaufter Einheit. Mit sinkender Eigenkapitalquote wird das Unternehmen zunehmend kreditunwürdig.

    Zugleich durchläuft das Unternehmen einen kritischen Punkt in der Krisenentwicklung:

    Die Zahlungsfähigkeit lässt sich durch geschickte Liquiditätspolitik zunächst zwar weiterhin aufrechterhalten; die zur nachhaltigen Sanierung erforderlichen Mittel (z. B. für Investitionen oder Sozialpläne) lassen sich jedoch unter den gegebenen Umständen nicht mehr beschaffen. Eine Sanierung lässt sich dann ohne Kapitalzuführung – ggf. auch unter Änderung der bisherigen Gesellschafterstruktur – nicht mehr erreichen. Auch wenn eine Erfolgskrise kurzfristig durch ein singuläres Ereignis ausgelöst wird, kann dem eine tiefer liegende Krise (Stakeholder-, Strategie- oder Produkt- und Absatzkrise) zugrunde liegen.

    Feststellungen zur Liquiditätskrise: Mit Eintritt der Liquiditätskrise ist das Unternehmen in seiner Existenz erhöht gefährdet. Eingetretene Liquiditätsschwierigkeiten indizieren ein Insolvenzrisiko, falls keine oder unzureichende Maßnahmen ergriffen werden. Häufig wird spätestens mit einer Liquiditätskrise auch eine krisenverschärfende Finanzierungsstruktur offensichtlich. Gründe hierfür können sein: Fehlende Übereinstimmung zwischen Geschäftsmodell und Eigenkapitalsituation, komplexe Finanzierungsstruktur aufgrund einer Vielzahl bilateraler Beziehungen zu Finanzgebern mit heterogener Interessenlage, unausgewogene Zusammensetzung der Finanzierung mit Eigenkapital, Fremdkapital und hybriden Finanzierungsformen, mangelnde Fristenkongruenz zwischen Kapitalbindung und Kapitalbereitstellung, Klumpenrisiken in der Fälligkeitsstruktur von Finanzierungen, unzureichendes Working-Capital-Management.

    Feststellungen zur Insolvenzreife: Eine sich zuspitzende Liquiditätskrise kann zu dem Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit führen."

    Im Entwurf IDW ES 6 von September 2017 wird in Rd. 52 f. im Hinblick auf die aktualisierte Rechtsprechung¹⁷ ergänzt:

    „Die Erstellung eines Sanierungskonzepts muss die Identifizierung der Krisenursachen und Krisenstadien umfassen. Insbesondere ist die Ursache einer drohenden Insolvenz darzulegen, auch ob diese lediglich aus Problemen auf der Finanzierungsseite resultiert, oder ob der Betrieb unwirtschaftlich, insb. nicht kostendeckend oder sonst mit Verlusten arbeitet. Als charakteristische Arten einer Krise lassen sich die Stakeholder-, Strategie-, Produkt- und Absatzkrise sowie die Erfolgs- und die Liquiditätskrise bis hin zu einer Insolvenzlage unterscheiden. Nur ein Sanierungskonzept, in dem die Probleme aller bereits durchlaufenen Krisenstadien aufgearbeitet werden, kann eine sachgerechte Aussage über die Sanierungsfähigkeit eines Unternehmens treffen. Nicht identifizierte und behobene Krisenursachen wirken weiter und führen dazu, dass z. B. die Erfolgs- und Liquiditätskrise nur vorübergehend überwunden werden, ohne dass eine nachhaltige Sanierung erreicht ist."

    Im Krisenverlauf sinken regelmäßig die verfügbaren Handlungsoptionen, das Risikopotential steigt erheblich und das Erfolgspotential wird vermindert (vgl. Abb. 2.2).

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    Abb. 2.2

    Krisenstadien und -symptome (in Anlehnung an Groß, Paul (2011), S. 11). (Quelle: Selbst erstellt)

    Signifikant für Krisen ist weiterhin, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Fortschreiten der Krise sowie der damit verbundenen Komplexität und Arbeitsbelastung besteht (vgl. Abb. 2.3). Dadurch steigt bei Krisensituationen sowohl die Anforderung an den Sanierungsmanager als auch alle in einer Sanierung involvierten Personen erheblich.

    ../images/314003_4_De_2_Chapter/314003_4_De_2_Fig3_HTML.png

    Abb. 2.3

    Anstieg von Komplexität und Arbeitsbelastung in Abhängigkeit der Krisensituation. (Quelle: san consult GmbH)

    2.4 Der wirtschaftliche Stabilitätstest EcoStaT als Krisenfrüherkennung

    Stefan Hohberger

    D er wirtschaftliche Stabilitätstest (EcoStaT) wurde von der Sanierungsberatung san consult GmbH (www.​san-consult.​de) um Dr. Dr. Stefan Hohberger erfunden und baut auf die Kombination verschiedener Analysemethoden auf, um die wirtschaftliche Stabilität eines (Krisen-)Unternehmens im Zeitablauf darzustellen. Die verschiedenen Komponenten des EcoStaT sind:

    Wesentlichkeitsgrenze (Vgl. Abb. 2.4)

    ../images/314003_4_De_2_Chapter/314003_4_De_2_Fig4_HTML.png

    Abb. 2.4

    Wesentlichkeitsgrenze im Rahmen des EcoStaT. (Quelle: Selbst erstellt)

    Die sog. Wesentlichkeitsgrenze ist ein Begriff aus der Wirtschaftsprüfung und stellt im Rahmen der Abschlussprüfung nach IDW PS 250 auf den Grundsatz der Wesentlichkeit ab, nach welchem die Jahresabschlussprüfung so zu gestalten ist, dass falsche Informationen aufgedeckt werden, welche durch Unrichtigkeiten

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