empCARE: Arbeitsbuch zur empathiebasierten Entlastung in Pflege- und Gesundheitsberufen
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Über dieses E-Book
Neu ist, dass empCARE die Emotionen und Bedürfnisse der Beschäftigten der Gesundheits- und Sozialberufe selbst in den Blick nimmt. Sie lernen mit den Anforderungen in der Interaktionsarbeit besser zurecht zu kommen und gleichzeitig die eigene Gesundheit und Berufsmotivation zu stärken. Im Unterschied zu anderen Empathietrainingsprogrammen geht es nicht um die simple Verstärkung von Empathie gegenüber einer anderen Person, sondern um einen reflektierten Umgang mit der eigenen Empathie und die Stärkung der Selbstfürsorge. Das Training ist ein Beitrag zur Gesundheitsprävention der teilnehmenden Personen und reduziert Belastungsfaktoren, die aus der Interaktion mit Klientinnen und Klienten resultieren.
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Buchvorschau
empCARE - Ludwig Thiry
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021
L. Thiry et al. (Hrsg.)empCARE https://doi.org/10.1007/978-3-662-59472-8_1
1. Empathie und Belastung – eine psychologische Perspektive auf empCARE
Marcus Roth¹ und Tobias Altmann¹
(1)
Institut für Psychologie, Differentielle Psychologie, Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland
Marcus Roth (Korrespondenzautor)
Email: marcus.roth@uni-due.de
Tobias Altmann
Email: tobias.altmann@uni-due.de
Literatur
Das Konzept der Empathie stellt im vorliegenden Band den Grundpfeiler dar, auf dem unsere Überlegungen zur Förderung von psychischen und physischen Entlastungen in Gesundheits- und Sozialberufen basieren. In diesem Kapitel soll daher skizziert werden, was in der Psychologie unter Empathie verstanden wird, welche Konsequenzen oftmals aus dem Empfinden von Empathie resultieren und inwieweit es sinnvoll ist, Empathie für Maßnahmen der Gesundheitsförderung in sozialen und Pflegeberufen einzubeziehen.
In die wissenschaftliche Psychologie wurde bereits 1897 von Lipps das Phänomen der „Einfühlung" eingeführt. Titchener (1909) verwendete hierfür den Terminus „empathy, der im deutschen Sprachraum später mit „Empathie
übersetzt wurde. Dabei ist der Begriff „Empathie weit mehr als ein psychologischer Fachterminus, da dieser – vergleichbar mit Konzepten wie Selbstwertgefühl oder Extraversion – Einzug in die Alltagssprache gefunden hat. So finden wir in der alltäglichen Kommunikation beispielsweise die Charakterisierung einer Person als „empathisch
(vgl. Roth et al. 2016) oder die Kritik eines Defizits an Empathie in der modernen Gesellschaft (z. B. Honigsbaum 2013). Typischerweise wird dabei der Begriff ohne weitere Explikation dessen, was im Speziellen gemeint wird, verwendet – Empathie versteht sich demnach in der Alltagskommunikation von selbst. Allerdings dürfte dies nur oberflächlich betrachtet der Fall sein. So werden sowohl emotionale Zustände wie auch prosoziale Verhaltensweisen im Alltag als „empathisch gekennzeichnet. In der wissenschaftlichen Psychologie hingegen liegen explizite Definitionen vor, die allerdings ein breites Begriffsverständnis deutlich werden lassen. Hierauf hat bereits im Jahre 1948 Reik verwiesen: „The word empathy sometimes means one thing, sometimes means another, until now it does not mean anything
(S. 357). Ähnlich urteilen Batson et al. (1987) 40 Jahre später: Psychologists are noted for using terms loosely, but in our use of empathy we have outdone ourselves
(S. 19). Diese Diskrepanzen schlagen sich bis heute in theoretischen Konzeptualisierungen und in der empirischen Forschung nieder, da der Begriff, wie Steins (2005) ausführt, „uneinheitlich verwendet wird und durch eine breite Interpretationsvielfalt schwer zu fassen ist" (S. 473).
Wenngleich sich somit die psychologische Empathieforschung durch eine gewisse Heterogenität im Begriffsverständnis kennzeichnen lässt, so lässt sich dennoch ein Konsens dahingehend konstatieren, dass Empathie in der Regel durch das Zusammenspiel zweier Komponenten, einer affektiven und einer kognitiven Komponente, verstanden wird (vgl. Altmann 2015). Die kognitive Komponente umfasst das intellektuelle Nachvollziehen-Können der Situation einer anderen Person durch die Theory of Mind (vgl. Carruthers und Smith 1996) und eine Perspektivübernahme (vgl. Steins und Wicklund 1993). Dadurch wird es ermöglicht, eine andere Person hinsichtlich ihrer Emotionen und Kognitionen verstehen zu können. Demgegenüber beschreibt die affektive Komponente der Empathie, dass die Emotionen eines Gegenübers geteilt beziehungsweise miterlebt werden können (z. B. Mehrabian und Epstein 1972). Durch dieses Mitfühlen mit der „fremden Person scheint der emotionale Zustand der mitfühlenden Person mehr zur Situation des Gegenübers zu passen als zu seiner eigenen Situation (Hoffman 2000). Hier lässt sich annehmen, dass der Prozess der Gefühlsansteckung („emotional contagion
; Hatfield et al. 1994) aktiviert wird. Emotionen einer Person werden ohne willentliche Steuerung, also mehr oder minder automatisch, auf eine andere Person übertragen. Eine Übernahme der Perspektive der anderen Person oder ein kognitives Verständnis bezüglich der Situation, in der sie sich befindet, ist nicht notwendig (Manera et al. 2013). Dabei passen sich Mimik, Stimmlage, Körperhaltung und Bewegungsgeschwindigkeit an die andere Person an, was als eine Art emotionale Spiegelung betrachtet werden kann. Für diesen Prozess wird häufig das Prinzip der Spiegelneuronen als vermittelnd angesehen (Iacoboni und Mazziotta 2007). Um letztlich nicht von den Emotionen, die zur Situation der eigenen Person eher unangemessen erscheinen, verwirrt zu sein, scheint wiederum eine Selbst-Andere-Differenzierung (Lamm et al. 2007), d. h. die Fähigkeit zwischen eigenen Emotionen und denen eines Gegenübers unterscheiden zu können, notwendig. Diese ermöglicht es, den Ursprung der eignen Emotionen klar vor Augen zu haben und zu wissen, dass dieser in der anderen Person liegt. Bischof-Köhler (2009) sieht in der erlebten Differenzierung zwischen der eigenen und der anderen Person auch die entscheidende und notwenige Voraussetzung, um von Empathie zu sprechen und diese von reiner emotionaler Ansteckung abzugrenzen. Auch neuropsychologische Forschungen stützen dabei die beschriebene Trennung zwischen affektiven und kognitiven Komponenten der Empathie (vgl. Altmann 2015; Jolliffe und Farrington 2004; Spreng et al. 2009).
Empathie wird in der Regel definiert als die Fähigkeit, die emotionale Situation eines anderen Menschen zu erkennen, zu verstehen und mitzufühlen. Dabei muss gleichzeitig ein Bewusstsein dafür bestehen, dass die mitgefühlten Emotionen empathisch übertragen sind, also der Ursprung dieser Emotionen in der anderen Person liegt.
Freilich, zunächst erscheint Empathie „rundum" als ein wichtiges und wünschenswertes Phänomen, das uneingeschränkt als förderungswürdig anzusehen ist. So dürfte in der Alltagskommunikation die Beschreibung von empathischen Personen oder empathischem Verhalten fast ausnahmslos in einem positiv konnotierten Bedeutungszusammenhang stehen. Auch in der psychologischen Forschung findet sich eine Reihe solcher positiven Aspekte von Empathie. An erster Stelle dürfte dabei der klare Zusammenhang vom Empfinden von Empathie und dem Auftreten altruistischer Verhaltensweisen zu nennen sein. Nach der Empathie-Altruismus-Hypothese von Batson (1991, 2011) wird insbesondere die empathische Anteilnahme bestehend aus den Emotionen Mitgefühl, Wärme und Fürsorglichkeit für eine andere Person verantwortlich gemacht für das Entstehen einer altruistischen Motivation. Das Empfinden von Empathie für notleidende Personen begünstigt demnach die Motivation, ihnen zu helfen. Dieser Zusammenhang, wonach Empathie die zentrale Voraussetzung für uneigennütziges Verhalten darstellt, konnte sowohl von Batson und seinen Kollegen (z. B. Batson et al. 1981, 2015) wie auch von anderen Autoren (z. B. Eisenberg und Miller 1987) in einer Reihe experimenteller Studien nachgewiesen werden. Entsprechend wundert es nicht, dass Tomasello (2006) Empathie sogar als zentralen Faktor für den Aufstieg des Homo sapiens zur dominanten Spezies dieses Planeten ansieht. Neben der Förderung helfenden Verhaltens findet sich in der Forschungsliteratur eine Reihe weiterer Korrelate und Auswirkungen von Empathie. So konnten Sened et al. (2017) basierend auf einer Metaanalyse von 21 empirischen Studien einen klaren Zusammenhang zwischen empathischen Fähigkeiten und der Beziehungszufriedenheit in Dyaden feststellen. Ebenfalls anhand einer Metaanalyse konnten Derksen et al. (2013) positive Effekte empathischer Interaktionen im medizinischen Kontext feststellen, die mit einer höheren Zufriedenheit auf Seiten der Patientinnen und Patienten, einer Abnahme von Angst und Stress sowie günstigeren Krankheitsverläufen einhergingen.
Neben diesen durchweg funktionalen Korrelaten und Auswirkungen von Empathie verweisen einige Befunde der psychologischen Forschung jedoch auch auf eine Kehrseite der Empathie. So besteht die Möglichkeit, dass das Empfinden von Empathie auch dysfunktionale Auswirkungen haben kann. O’Connor et al. (2007) sichteten Forschungsbefunde aus 30 Jahren und konnten dabei Zusammenhänge zwischen erhöhter Empathie und depressiven Symptomen aufzeigen. In ähnliche Richtung weisen Befunde, die auf den Zusammenhang zwischen Empathie und Erschöpfungssymptomen aufmerksam machen (z. B. Williams et al. 2017). Engert et al. (2014) konnten überdies auch einen Anstieg des Stresshormons Cortisol bei Menschen feststellen, die sich in empathisch fordernden Situationen befanden.
Das Empfinden von Empathie kann sowohl funktionale wie auch dysfunktionale Auswirkungen haben.
Wie sind diese Forschungsbefunde zu werten, wonach Empathie sowohl als protektiver und entlastender Faktor fungiert, zugleich aber auch eine Quelle von psychischer Belastung, Irritation und Erschöpfungssymptomen sein kann? Es ist wohl nicht davon auszugehen, dass empathische Kognitionen und Emotionen an sich zu verstärktem Erschöpfungs- und Belastungserleben führen, sondern vielmehr der Umgang mit dem eigenen empathischen Erleben (vgl. Altmann 2015; Altmann und Roth 2014). Nach diesen Überlegungen sollte Empathie insbesondere für die Personen als Risikofaktor zu verstehen sein, die zum einen verstärkt mit empathischen Situationen konfrontiert sind und zum anderen dabei über keinen angemessenen Umgang mit ihren empathischen Erfahrungen verfügen. In dieser Hinsicht unterscheiden wir zwischen reflektiertem und unreflektiertem Umgang mit Empathie, wobei letzterer als Ausgang für langfristig psychisch ungünstige Entwicklungen betrachtet wird (vgl. hierzu im Detail Altmann und Roth 2014). In Kap. 3 dieses Bandes wird ausführlich auf beide Umgangsformen sowie auf kurz- und langfristige Folgen eines dysfunktionalen, unreflektierten Umgangs mit dem empathischen Erleben eingegangen.
Risikogruppen hinsichtlich einer potenziellen Häufung empathischer Situationen dürften vor allem die Personenkreise sein, die beruflich mit einer solchen Kumulation konfrontiert sind. Hier sind natürlich an erster Stelle soziale Berufe zu nennen, für die der Umgang mit Menschen in physischen, psychischen oder ökonomischen Notsituationen geradezu definierend ist. Problem- und Notlagen anderer Menschen sind sowohl für Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen wie auch für Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen oder Pflegende das tägliche Geschäft. Dabei wird von ihnen in der Regel erwartet, dass sie sich mit den Problemsituationen genau auseinandersetzen und diese empathisch begleiten. Im Kontext des vorliegenden Bandes sind zwar primär Pflegepersonen im Fokus, die Ausführungen dürften aber in der Regel auch auf andere Berufsgruppen übertragbar sein, die im sozialen Kontext mit notleidenden Menschen arbeiten.
Soziale Berufe sind insbesondere durch die Auswirkungen eines unreflektierten Umgangs mit der eigenen Empathie belastet, da Personen in diesen Berufen mit erhöhten empathischen Anforderungen konfrontiert sind.
Mit Blick auf die vorangegangenen Ausführungen wundert es daher nicht, dass Personen, die in sozialen Berufen arbeiten, sich vergleichsweise stark belastet fühlen, wie nachfolgend im Speziellen für Pflegeberufe skizziert wird. So konnte die umfangreiche Studie NEXT (Nurses’ early exit study; z. B. Hasselhorn et al. 2003, 2005) mit Erhebungswellen zwischen 2002 und 2011 in Deutschland und Europa zeigen, dass der Anteil der deutschen Pflegefachpersonen, die erwägen, den Beruf zu verlassen, deutlich über dem Durchschnitt der Vergleichsländer liegt (Hasselhorn et al. 2003, 2005). In Deutschland gab die Hälfte der Beschäftigten an, mehrmals im Jahr daran zu denken, den Pflegeberuf aufzugeben; über 18 % erwägen dies mehrmals im Monat. Mit einer durchschnittlichen Prävalenz der emotionalen Erschöpfung von 36 % sowie Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates von 40 % (Hasselhorn et al. 2005) dürfte dies nicht überraschen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass sich die Erkrankungsraten auch international auf einem hohen Niveau befinden. Allgemein sind mindestens 25 % der Pflegefachpersonen von Burnout-Symptomen betroffen, wobei Frauen und jüngere Beschäftigte stets höhere Werte aufweisen als Männer und ältere Beschäftigte. Der Umstand, dass durchschnittlich ein Viertel der Beschäftigten in den Pflegeberufen bedenklich hohe Werte der emotionalen Erschöpfung zeigt (Poncet et al. 2007; Potter et al. 2010) beziehungsweise diese Berufsgruppe im Vergleich mit anderen die höchste psychische Belastung aufweist, ist auch außereuropäisch belegt (z. B. in Taiwan; vgl. Chou et al. 2014).
Als Erklärung für die Entstehung von emotionaler Erschöpfung, Burnout und Depressivität werden natürlich verschiedene Faktoren diskutiert. Dazu zählen u. a. Overcommitment (also die Übernahme zu hoher Verpflichtungen) oder die fehlende Akzeptanz der eigenen Emotionen (also das mangelnde Zulassen auch aversiver Emotionen bei sich selbst). Der im vorliegenden Zusammenhang relevante Faktor „Empathie" soll dabei nachfolgend in den Fokus genommen werden, wobei, wie zuvor erwähnt, angenommen wird, dass empathische Emotionen, die unkontrolliert – und unreflektiert – ablaufen, das Belastungsempfinden verstärken (Altmann et al. 2015; Gleichgerrcht und Decety 2013; O’Connor et al. 2002; Thoma et al. 2011; Thomas 2013). Die Tatsache, dass der empathische Umgang mit Patientinnen und Patienten häufig ein Problem für Pflegende darstellt, zeigt sich auch darin, dass sich bereits bei Auszubildenden feststellen lässt, dass sich diese verstärkt auf technische Abläufe im Berufsalltag konzentrieren und dadurch die empathische Kommunikation mit ihren Patientinnen und Patienten vernachlässigen (Neto et al. 2006) respektive diese Interaktionen häufig kritisch sind (Ward et al. 2009). Dabei wird davon ausgegangen, dass diese Reaktionen auch eine Form der Abwehr gegenüber dem Erleben menschlichen Leidens darstellen (Kelly 2007). Diese Abwehr lässt sich vor dem Hintergrund fehlender Kompetenzen im Umgang mit den empathischen Emotionen verstehen, die durch die Wahrnehmung des Leidens verursacht werden. Nach Ergebnissen von Ward et al. (2012) ist bei Auszubildenden beziehungsweise Studierenden der Pflegeberufe davon auszugehen, dass ein problematischer Umgang mit Empathie gegenüber ihren Patientinnen und Patienten im Verlauf des Berufslebens eher zunimmt, wobei Ward et al. (2012) zeigen konnten, dass sich dies tatsächlich primär auf eine Kumulierung von Interaktionen mit leidenden Patientinnen und Patienten zurückführen lässt.
In Pflegeberufen ist anzunehmen, dass ein problematischer Umgang mit dem eigenen empathischen Erleben und Verhalten und die damit in Zusammenhang stehenden Belastungen bei gleichzeitig hoher beziehungsweise zunehmender Anzahl an Interaktionen mit leidenden Patientinnen und Patienten im Lauf der Zeit weiter zunimmt.
Natürlich sei an dieser Stelle nicht verschwiegen: Soziale und Gesundheitsberufe wie die Pflege sind durch eine Vielzahl von Belastungsfaktoren gekennzeichnet, wie im Kap. 2 ausführlicher skizziert wird. Hierzu zählen Personalmangel und erhöhte Arbeitsbelastungen, worauf erst kürzlich Jorde (2019) hingewiesen hat. Allerdings würde das Problem der Kumulierung von Interaktionen mit Leidenden auch dann bestehen bleiben, wenn all diese strukturellen Rahmenbedingungen in idealer Weise gelöst würden. Die belastende Konfrontation mit dem Leiden anderer und die daraus resultierenden empathischen Anforderungen sind genuiner Bestandteil sozialer Berufe unabhängig davon, wie die sonstigen Bedingungen aussehen. Dabei ist allerdings anzunehmen, dass die besagte Kumulation der belastenden Interaktionen verstärkt wird, wenn zusätzlich ein hoher Zeitdruck wahrgenommen wird, Kollegen und Kolleginnen nicht unterstützend agieren und Unsicherheiten oder gar Ängste gegenüber Patientinnen und Patienten vorherrschen (Price und Archbold 1997; Reynolds und Scott 2000; Richendoller und Weaver 1994).
Durch die dauerhafte Konfrontation mit Leidenssituationen erweist sich für Personen in sozialen Berufen ein effektiver und funktionaler Umgang mit dem eigenen empathischen Erleben als besonders notwendig. Die bereits mehrfach betonte Annahme, dass die Häufung empathisch fordernder Situationen und damit empathischer Emotionen das Belastungsempfinden verstärkt, wird beispielsweise durch Baumann und Zell (1992) sowie Herschbach (1991) unterstützt, die zeigen, dass das Miterleben von Leiden als ein Hauptbelastungsfaktor von Pflegenden genannt wird. Empathie kann demnach als ein Risikofaktor in der Pflegearbeit wie auch anderen sozialen Berufen betrachtet werden. Problematisch erscheint dies insofern, als dass bestehende Empathietrainings für die Pflegeberufe zumeist eine allgemeine Empathiesteigerung zum Ziel haben (Überblick bei Brunero und Stein-Parbury 2008; Butters 2010), anstatt einen gesunden, funktionalen Umgang mit empathischen Emotionen zu fördern. Eine solche Steigerung empathischen Erlebens geht jedoch an der eigentlichen Problematik vorbei, die eben nicht in einer mangelnden Empathiefähigkeit, sondern in der Belastung durch Empathie (und möglicher dysfunktionaler Auswirkungen) liegt. Im Hinblick auf die beschriebene Problematik, dass eine Häufung empathischer Emotionen im beruflichen Pflegealltag zu Erschöpfungs-, Belastungs- und Burnout-Symptomen führen kann, lässt sich eine solche Zielsetzung durchaus als problematisch beurteilen: Basierend auf den zuvor zitierten Studien muss eine unspezifische Zunahme an Empathie ohne die Reflexion der Belastungsfaktoren durch ebendiese Empathie zwangsläufig zu einem erhöhten Risiko für dysfunktionale Interaktionen und damit langfristig zu Belastung- und Erschöpfungssymptomen führen.
Während eine unspezifische Erhöhung der Empathie somit wenig sinnvoll erscheint, sollten vielmehr einzelne Komponenten der Empathie sowie die Reflexion von Empathie betrachtet werden. Eine häufig vernachlässigte Komponente der Empathie, die sich senkend auf das Belastungserleben auswirkt, ist die Selbst-Andere-Differenzierung (Atkins 2014; Decety und Hodges 2006). Hierunter wird die Fähigkeit verstanden, die eigene emotionale Situation von der emotionalen Situation des Gegenübers zu trennen, anstatt sich von den (aversiven) Emotionen des Gegenübers „überfluten" zu lassen. Vielmehr soll eine Balance zwischen der Empathie für das Gegenüber und der Berücksichtigung des eigenen Gefühlszustandes und der eigenen Bedürfnissituation hergestellt werden. Dass die erlebte Diskrepanz und scheinbare Unvereinbarkeit zwischen der eigenen emotionalen Situation und der des Gegenübers häufig zu emotionalen Erschöpfungssymptomen führen, konnte bereits in verschiedenen Studien gezeigt werden (z. B. Glaser et al. 2009; Grandey 2003; Martínez-Iñigo et al. 2007). Badura (1990) beschreibt diesen Widerspruch als Interaktionsstress: In personenbezogenen (interaktiven) Dienstleistungsberufen ist es häufig erforderlich, auf die Emotionen des Gegenübers einzugehen, ohne die eigenen Emotionen zu beachten. Hier kann es zu einem Gefühl der Unauthentizität kommen, worauf in Kap. 3 ausführlicher eingegangen wird, und damit zu einer emotionalen Überforderung bis hin zum Burnout-Syndrom. Deshalb erachtet Wahl (2012) es für notwendig im Pflegeberuf, diese beiden Seiten voneinander zu trennen. Daraus lässt sich ableiten, dass die Auseinandersetzung mit dem eigenen empathischen Handeln sowie der Aufbau von Kompetenzen im Umgang mit empathischen Emotionen zentrale Voraussetzungen effektiver Care-Arbeit im sozialen Berufsfeld darstellen. Altmann et al. (2015) konnten bereits zeigen, dass die Selbst-Andere-Differenzierung gestärkt werden kann und sich auf die Belastungsindikatoren senkend auswirkt.
Maßnahmen zur Empathieförderung in sozialen Berufen sollten nicht auf eine unspezifische Steigerung empathischen Erlebens abzielen, sondern den gesunden Umgang mit eigenen empathischen Emotionen fokussieren.
Der Frage nach einem aus Sicht der Pflegenden funktionalen Umgang mit eigenen empathischen Emotionen, der langfristig die eigene psychische Gesundheit erhält, wurde bislang kaum nachgegangen. Wie oben beschrieben herrscht hingegen eine Fokussierung auf eine unspezifische Erhöhung empathischen Verhaltens vor, ohne dass der Risikocharakter der Empathie beachtet wird. Eine Ausnahme bilden Interventionsstudien, in denen die Gewaltfreie Kommunikation (GfK) nach Rosenberg eingesetzt wurde. Die Grundpositionen dieses Konzeptes sind ausführlich beschrieben bei Rosenberg (Rosenberg 1999, 2008, 2012) und werden in Kap. 3 zusammenfassend skizziert, da sie auch ein wesentliches Element unseres empCARE-Trainings darstellen.
Von einer ersten Anwendung der GfK auf den Bereich der Pflege berichten im Jahr 1998 Rosenberg und Molho. Ihren rein deskriptiven Berichten anhand verschiedener Falldarstellungen zufolge erwies sich das Training als wirksam hinsichtlich der Gestaltung positiver Interaktionen zwischen Patientinnen und Patienten und Pflegenden. Zudem ließen sich auch positive Auswirkungen auf das Arbeitsteam feststellen. Auch Chung und Kim (2011) wendeten GfK-basierte Trainingsprogramme im Pflegebereich an, allerdings nicht auf der Ebene von Pflegenden, die direkt im Kontakt mit Patientinnen und Patienten stehen, sondern bei Leiterinnen und Leitern des Pflegedienstes in Krankenhäusern. Dabei konnten sie eine Zunahme funktionaler Kommunikationsmuster bei den am Programm teilnehmenden Leiterinnen und Leitern nachweisen.
In einer eigenen Studie, welche den Ausgangspunkt des empCARE-Konzeptes bildet, konnten wir ebenfalls positive Effekte erzielen. Basierend auf qualitativen Interviews mit Beschäftigten im Bereich der Pflege wurde von Altmann (2015) ein Empathietrainingsprogramm speziell für soziale Berufe entwickelt (Altmann und Roth 2014). Dieses Training schließt als Hauptbestandteile die Reflexion des eigenen empathischen Handelns, die Verbesserung der Fähigkeit, zwischen eigenen und fremden Emotionen (Selbst-Andere-Differenzierung) und Bedürfnissen zu unterscheiden ein. Die Zielsetzung besteht darin, langfristig durch den Erwerb der erweiterten Handlungsmöglichkeiten eine Verringerung der beruflichen Belastung zu erreichen und damit präventiv psychosozialen Belastungssymptomen (z. B. Depressivität, Ängstlichkeit) sowie Burnout-Symptomen vorzubeugen. Das Trainingsprogramm für Ausbildungscurricula erstreckte sich über vier Tage und bestand aus 35 Einheiten, die aus Gruppen- und Partnerübungen, moderierten Diskussionen, individueller Arbeit, Kurzvorträgen und Fallarbeit bestanden. Eine erste Evaluation des Empathietrainings hinsichtlich seiner Akzeptanz und kurzfristigen Wirksamkeit erfolgte an Schülerinnen und Schülern der Pflegeberufe, bei denen das Trainingsprogramm in den regulären Unterricht integriert wurde. Zusammenfassend zeigten nach Altmann et al. (2015) die Ergebnisse, dass das Training sehr gut angenommen wurde und die Ausbildung inhaltlich deutlich bereichert hat. Es ergaben sich deutliche Hinweise, dass das Training insgesamt als wirksam betrachtet werden darf. Die deutlichsten Effekte konnten dabei in den folgenden Dimensionen erreicht werden (vgl. hierzu ausführlich Altmann et al. 2015): Fähigkeit, zwischen eigenen und fremden Emotionen zu differenzieren, Aushalten belastender Emotionen, Handlungsfähigkeit trotz belastender Emotionen, Annahme der eigenen Emotionen, Akzeptieren der Sichtweisen anderer und Empathie für andere.
Allerdings zeigten sich auch Hinweise auf eine problematische Übertragbarkeit in den Berufsalltag – beispielsweise durch mangelnde Übung und Auffrischung oder konkrete Hindernisse bei der Umsetzung. Diesem Problem wurde im empCARE-Projekt aktiv durch den Einsatz der Coachingmaßnahmen und längerfristigen Erhebungen (siehe hierzu Kap. 9 in diesem Band) sowie durch die Erprobung eines Multiplikatorenkonzeptes (siehe hierzu Kap. 6 in diesem Band) begegnet.
Zusammenfassend zeigt der bisherige Forschungsstand, dass die Kumulierung empathische fordernder Situationen und damit belastender Emotionen für die Personen, die in sozialen Berufen tätig sind, einen Risikofaktor für das psychische Wohlbefinden wie Erschöpfungserkrankungen und die Entwicklung von Burnout-Symptomen darstellen. Entsprechend sollte nicht die Steigerung, sondern der funktionale Umgang mit Empathie im Vordergrund präventiver Maßnahmen im Pflegebereich stehen, wobei die Selbst-Andere-Differenzierung, die Unterscheidungsfähigkeit zwischen eigenen und fremden Emotionen, einen wesentlichen Baustein darstellt. Diesen Erkenntnissen entsprechend wurde das Entlastungskonzept empCARE entwickelt.
Literatur
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