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Behandlung von Jugendlichen mit Identitätsstörungen (AIT): Ein integratives Therapiekonzept für Persönlichkeitsstörungen
Behandlung von Jugendlichen mit Identitätsstörungen (AIT): Ein integratives Therapiekonzept für Persönlichkeitsstörungen
Behandlung von Jugendlichen mit Identitätsstörungen (AIT): Ein integratives Therapiekonzept für Persönlichkeitsstörungen
eBook350 Seiten3 Stunden

Behandlung von Jugendlichen mit Identitätsstörungen (AIT): Ein integratives Therapiekonzept für Persönlichkeitsstörungen

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Über dieses E-Book

Während der Großteil der Adoleszenten befriedigende zwischenmenschliche Beziehungen aufbaut, erfolgreich in der Schule und bei der Arbeit ist sowie erste romantische Partnerschaften hat, gibt es eine Minderheit von Adoleszenten, denen dies nicht gelingt. Diese Jugendlichen haben ein hohes Risiko, vermehrt Probleme in der Schule und bei der Arbeit, in der Familie, in intimen und zwischenmenschlichen Beziehungen zu entwickeln. Dabei kommt der Gefahr, eine Identitätsdiffusion mit ihren dazugehörigen Psychopathologien zu entwickeln, eine signifikante Bedeutung zu.

AIT hat zum Ziel, Blockaden zu lösen, die eine normale Identitätsentwicklung behindern, um somit langfristig ein adaptiveres Funktionsniveau zu erreichen; das zeigt sich z. B. in verbesserten zwischenmenschlichen Beziehungen, Vorstellungen von Lebenszielen, in befriedigenden romantischen Partnerschaften, in verbesserter Impulskontrolle, Affektregulation und Frustrationstoleranz.

Um diese Ziele zu erreichen, werdenaus der übertragungsfokussierten Therapie für Erwachsene abgeleitete psychodynamische Therapiemethoden mit systemischen und verhaltenstherapeutischen Behandlungsansätzen in einem gemeinsamen Therapiekonzept verbunden.

Neben einem kompakten Grundlagenteil zu Störungsbeschreibung und Diagnostik bietet das AIT-Manual eine Vielzahl von Arbeitsmaterialien und unterstützenden Hilfen für die Therapiesitzungen durch viele konkrete Beispiele.

SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum12. Nov. 2013
ISBN9783642383946
Behandlung von Jugendlichen mit Identitätsstörungen (AIT): Ein integratives Therapiekonzept für Persönlichkeitsstörungen

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    Buchvorschau

    Behandlung von Jugendlichen mit Identitätsstörungen (AIT) - Pamela A. Foelsch

    Pamela A. Foelsch, Susanne Schlüter-Müller, Anna E. Odom, Helen Arena, Andrés Borzutzky H. und Klaus SchmeckBehandlung von Jugendlichen mit Identitätsstörungen (AIT)2013Ein integratives Therapiekonzept für Persönlichkeitsstörungen10.1007/978-3-642-38394-6_1

    © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

    1. Einleitung

    Pamela A. Foelsch¹  , Susanne Schlüter-Müller², ³  , Anna E. Odom⁴  , Helen Arena⁵  , Andrés Borzutzky H.⁶   und Klaus Schmeck⁷  

    (1)

    550 Mamaroneck Ave, Suite 305, 10528 Harrison, NY, USA

    (2)

    Leipziger Str. 4, 60487 Frankfurt am Main, Deutschland

    (3)

    Institut Spezielle Pädagogik und Psychologie, Fachhochschule Nordwestschweiz, Elisabethenstraße 53, 4002 Basel, Schweiz

    (4)

    21 Bloomingdale Road, 10605 White Plains, NY, USA

    (5)

    550 Mamaroneck Avenue, Suite 305, 10528 Harrison, NY, USA

    (6)

    Instituto Médico Schilkrut, Av. Las Condes 10373, Santiago, Las Condes, Chile

    (7)

    Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik, Universitäre Psychiatrische Kliniken (UPK) Basel, Schaffhauserrheinweg 55, 4058 Basel, Schweiz

    Pamela A. Foelsch

    Email: drfoelsch@profpsych.com

    Susanne Schlüter-Müller (Korrespondenzautor)

    Email: schlueter-mueller@praxis-schlueter-mueller.de

    Anna E. Odom

    Email: ano9021@med.cornell.edu

    Helen Arena

    Email: drarena@profpsych.com

    Andrés Borzutzky H.

    Email: aborzutzky@schilkrut.cl

    Klaus Schmeck

    Email: klaus.schmeck@upkbs.ch

    Normale Adoleszenz

    Die Konsolidierung der Identität ist die zentrale Entwicklungsaufgabe der normalen Adoleszenz. Obwohl Jugendliche mit unterschiedlichen Rollen experimentieren, bleibt das Selbst über Situationen und Zeit hinweg konsistent und eine normale, konsolidierte Identität mit einem flexiblen und anpassungsfähigen Funktionsniveau bildet sich heraus. Dieses Funktionsniveau erlaubt dem Adoleszenten oder jungen Erwachsenen befriedigende und wechselseitige Freundschaften zu entwickeln, klare Lebensziele zu formulieren, angemessen mit Eltern und Lehrern zu interagieren, intime Beziehungen zu führen und ein positives Selbstwertgefühl zu entwickeln.

    Zentrale Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz

    Identitätskrise und Identitätsdiffusion

    Normale Anforderungen im Prozess der Identitätsentwicklung können zu einer Identitätskrise führen, die aus der Diskrepanz des sich schnell verändernden körperlichen und psychologischen Erlebens oder der immer größeren Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung resultiert.

    Manche Jugendliche tun sich entsprechend ihrer biologischen Dispositionen und Umwelterfahrungen jedoch schwer mit diesem Prozess. Sie leiden unter einer mangelnden Selbstdefinition, erleben ein schmerzhaftes Gefühl von Inkohärenz und chronischer Leere, weisen widersprüchliches Verhalten auf, haben eine erniedrigte Angsttoleranz und Impulskontrolle; zusätzlich fehlt es ihnen an Engagement, was Werte, Ziele oder Beziehungen angeht.

    Identitätskrise und Identitätsdiffusion

    Das zentrale Merkmal dieser Jugendlichen mit einer Identitätsdiffusion ist der Mangel eines integrierten Konzepts von sich selbst, das sich von anderen unterscheidet. Diese Identitätsstörung wird als Grundlage für sich entwickelnde Persönlichkeitsstörungen gesehen, die zu einem chronischen und weiten Spektrum maladaptiver und dysfunktionaler Verhaltensweisen führen.

    Behandlung schwerwiegender Persönlichkeitsstörungen

    Adolescent Identity Treatment (AIT) wurde von einer kleinen Arbeitsgruppe, die Paulina Kernberg startete, entwickelt (Foelsch et al. 2008, 2010; Schlüter-Müller et al. 2012). Mittels dieser Therapie sollen Therapeuten für Jugendliche, die ein erhöhtes Risiko zur Entwicklung einer schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung aufweisen, effektive Interventionsmöglichkeiten erhalten. Indem Teile von familiensystemischen Theorien, Bindungs- und Objektbeziehungstheorien zusammengefasst und Modelle neurokognitiver Entwicklung hinzugezogen wurden, haben die Autoren AIT zu einem integrierten Behandlungsmodell entwickelt, das darauf fokussiert, die Identitätsintegration zu unterstützen. Die Identitätsintegration führt schließlich zu einem verbesserten Funktionsniveau und Verhalten in den Bereichen der Selbstregulation, in interpersonellen Beziehungen zu Freunden, Eltern und Lehrern sowie zu verbesserten Leistungen beim Erreichen von Lebenszielen (z. B. Schule und Arbeit).

    AIT als Therapiemethode zur Behandlung schwerwiegender PS

    Ablauf von AIT

    AIT beginnt mit einer umfassenden Diagnostikphase, um eine klare Unterscheidung zwischen dem normalen adoleszenten „Chaos" einer Identitätskrise und einer schwerwiegenderen Identitätsstörung machen zu können.

    Daran schließt sich die Erfassung des zugrunde liegenden Problems an, nämlich des Erlebens von sich selbst und anderen sowie von dysfunktionalen Verhaltensweisen, einschließlich der Affektregulation, selbstverletzenden Verhaltens und des zwischenmenschlichen Funktionierens.

    Diese Bereiche werden durch verschiedene Behandlungsbausteine, die die Grundlage für die individuelle Therapie mit dem Jugendlichen bilden, aufgegriffen. Hierzu gehören:

    ein klarer Behandlungsplan,

    Psychoedukation,

    Interventionen im Umfeld,

    veränderte elterliche Verhaltensstrategien.

    Behandlungsbausteine von AIT

    Zu den wichtigsten Interventionen im Umfeld gehört der „Homeplan", der Selbstfürsorge, Verantwortlichkeit und verbesserte Grenzen umfasst und der dabei hilft, die Beziehung zwischen dem Jugendlichen und seiner Familie zu verbessern.

    Dieser Behandlungsrahmen hilft, schwerwiegendes selbstverletzendes Verhalten in relativ kurzer Zeit einzugrenzen, damit die eigentliche Behandlung auf das Selbsterleben und die Verbesserung der affektiven- und Verhaltensregulation fokussieren kann. In den individuellen Therapiesitzungen werden verschiedene Techniken angewendet, um systematisch die verbale und nonverbale Kommunikation des Jugendlichen (z. B. Affekte und Verhalten) bezüglich seines Selbsterlebens im Kontext sowohl der realen Beziehungen in der Welt als auch innerhalb der Interaktion im Hier und Jetzt in der Therapie zu erfassen.

    Die verschiedenen Komponenten der Behandlung dienen dazu, sowohl die Integration als auch die Differenzierung des Selbst (welche für die normale Identitätsentwicklung notwendig sind) zu unterstützen und stellen die Grundlage für ein adaptives Funktionsniveau im weiteren Leben des Adoleszenten dar.

    AIT wird bei Jugendlichen ab dem Alter von ungefähr 13 Jahren eingesetzt und kann auch bei jungen Erwachsenen, die die normalen Aufgaben der Adoleszenz nicht gelöst haben, angewendet werden. Es wird bereits klinisch in den USA, in Deutschland, in der Schweiz und in Chile angewendet und soll nun in einer internationalen multizentrischen randomisierten Studie auf seine Wirksamkeit überprüft werden.

    Literatur

    Foelsch PA, Odom AE, Schmeck K et al (2008) Behandlung von Adoleszenten mit Identitätsdiffusion: Eine Modifikation der übertragungsfokussierten Psychotherapie (TFP). Persönlichkeitsstörungen Theorie und Praxis 3:153–162

    Foelsch PA, Odom AE, Arena H et al (2010) Differenzierung zwischen Identitätskrise und Identitätsdiffusion und ihre Bedeutung für die Behandlung. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 59:418–434PubMed

    Schlüter-Müller S, Schmeck K, Foelsch PA (2012) Behandlung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen in der Adoleszenz. In: Dammann G, Grimmer B, Sammet I (Hrsg) Psychotherapie in der Spätadoleszenz. Fortschritte in der Psychotherapeutischen Psychiatrie. Kohlhammer, Stuttgart

    Teil 1

    Theoretischer Teil

    Pamela A. Foelsch, Susanne Schlüter-Müller, Anna E. Odom, Helen Arena, Andrés Borzutzky H. und Klaus SchmeckBehandlung von Jugendlichen mit Identitätsstörungen (AIT)2013Ein integratives Therapiekonzept für Persönlichkeitsstörungen10.1007/978-3-642-38394-6_2

    © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

    2. Beschreibung des Störungsbildes

    Pamela A. Foelsch¹  , Susanne Schlüter-Müller², ³  , Anna E. Odom⁴  , Helen Arena⁵  , Andrés Borzutzky H.⁶   und Klaus Schmeck⁷  

    (1)

    550 Mamaroneck Ave, Suite 305, 10528 Harrison, NY, USA

    (2)

    Leipziger Str. 4, 60487 Frankfurt am Main, Deutschland

    (3)

    Institut Spezielle Pädagogik und Psychologie, Fachhochschule Nordwestschweiz, Elisabethenstraße 53, 4002 Basel, Schweiz

    (4)

    21 Bloomingdale Road, 10605 White Plains, NY, USA

    (5)

    550 Mamaroneck Avenue, Suite 305, 10528 Harrison, NY, USA

    (6)

    Instituto Médico Schilkrut, Av. Las Condes 10373, Santiago, Las Condes, Chile

    (7)

    Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik, Universitäre Psychiatrische Kliniken (UPK) Basel, Schaffhauserrheinweg 55, 4058 Basel, Schweiz

    Pamela A. Foelsch

    Email: drfoelsch@profpsych.com

    Susanne Schlüter-Müller (Korrespondenzautor)

    Email: schlueter-mueller@praxis-schlueter-mueller.de

    Anna E. Odom

    Email: ano9021@med.cornell.edu

    Helen Arena

    Email: drarena@profpsych.com

    Andrés Borzutzky H.

    Email: aborzutzky@schilkrut.cl

    Klaus Schmeck

    Email: klaus.schmeck@upkbs.ch

    Zusammenfassung

    Kapitel 2 gibt einen Überblick über die Definition von Persönlichkeitsstörungen in den Klassifikationssystemen DSM-IV-TR und ICD-10 und beschreibt den Übergang zu DSM-5. Persönlichkeitsstörungen werden als Muster maladaptiver Persönlichkeitszüge definiert, die in Kindheit oder Jugend beginnen und die über die Lebensdauer hinweg einen Einfluss auf die betroffene Person haben. Trotz der Entwicklungsaspekte der Störung haben sowohl klinische als auch wissenschaftliche Studien ihren Fokus hauptsächlich auf die Störung im Erwachsenenalter gelegt. Eine zunehmende Zahl von Studien bestätigt jedoch, dass Störungen der Persönlichkeit eine zentrale Rolle bei psychiatrischen Auffälligkeiten von Jugendlichen spielen. Persönlichkeitsstörungen gehören bei Erwachsenen zu den häufigsten Diagnosen und können bereits im Jugendalter reliabel diagnostiziert werden. Die Stabilität der Diagnose unterscheidet sich nicht wesentlich zwischen Adoleszenten und Erwachsenen und ist niedriger als erwartet. Das Kapitel endet mit der Beschreibung von Differenzialdiagnosen und Komorbiditäten.

    Während der Großteil der Adoleszenten befriedigende zwischenmenschliche Beziehungen aufbaut, erfolgreich in der Schule und bei der Arbeit ist, erste romantische Partnerschaften hat und persönliche Ziele erreicht, gibt es eine Minderheit von Adoleszenten, denen dies nicht gelingt (Chabrol u. Leichsenring 2006; Cohen et al. 1993; Fleming u. Offord 1990; Rutter 1986). Diese Adoleszenten haben ein hohes Risiko, vermehrt Probleme in der Schule und bei der Arbeit, in der Familie, in intimen und zwischenmenschlichen Beziehungen zu entwickeln (Besser u. Blatt 2007; Bornstein 1992; Orbach 2007; Kernberg 1994; Lewinsohn et al. 1998). Dabei kommt der Gefahr, eine Identitätsdiffusion mit ihren dazugehörigen Psychopathologien zu entwickeln, eine signifikante Bedeutung zu.

    Paulina Kernberg (Kernberg et al. 2001) entwickelte ein Modell, um diese Identitätspathologie bei Kindern und Jugendlichen besser erfassen zu können. Identitätsdiffusion wird als das zentrale Merkmal einer sich entwickelnden Persönlichkeitspathologie gesehen, die zu einem breiten Spektrum von maladaptiven und dysfunktionalen Verhaltensweisen führt. Aus diesem Modell wurde später ein Therapieverfahren abgeleitet.

    Modell von Paulina Kernberg

    Ziele dieses Therapieverfahrens

    Bei Adoleszenten mit Identitätsdiffusion soll die Identitätsintegration verbessert und ein adaptiveres Funktionsniveau sowie ein besseres Verhalten erreicht werden.

    Die Beziehungen der Adoleszenten zu Freunden, Eltern und Lehrern sollen verbessert werden.

    Die Adoleszenten sollen lernen, klarere Vorstellungen über ihre Lebensziele zu entwickeln und ein besseres Selbstbewusstsein zu erlangen.

    Die Adoleszenten sollen befähigt werden, sich besser auf befriedigende Liebesbeziehungen und ein erfolgreiches und sinnvolles Erwachsensein einlassen zu können.

    2.1 Terminologie und Störungsdefinition

    Persönlichkeitsstörungen können als ein Muster von maladaptiven Persönlichkeitszügen gesehen werden, die in der Kindheit oder Jugend beginnen und einen lebenslangen Einfluss auf das Individuum haben. Trotz dieses Entwicklungsaspekts des Störungsbildes fokussieren sowohl klinische als auch wissenschaftliche Studien hauptsächlich auf das Störungsbild im Erwachsenenalter. Allerdings bestätigt eine zunehmende Zahl von Studien, dass die Persönlichkeitspathologie eine herausragende Rolle bei psychischen Störungen in der Adoleszenz spielt (Kernberg et al. 2001; Ludolph et al. 1990; Westen u. Chang 2000; Zanarini et al. 2011). Aus entwicklungspsychopathologischer Perspektive (Cicchetti u. Rogosch 2002) ist es notwendig, die Entwicklung eines Störungsbildes bereits in der Kindheit und Jugend zu beobachten, um dann die Psychopathologien im Erwachsenenalter besser verstehen zu können (Tackett et al. 2009).

    Störungsdefinition

    2.1.1 Definition und Kriterien nach ICD-10-WHO 2013

    Definition nach ICD-10

    Spezifische Persönlichkeitsstörungen F60.-

    „Es handelt sich um schwere Störungen der Persönlichkeit und des Verhaltens der betroffenen Person, die nicht direkt auf eine Hirnschädigung oder -krankheit oder auf eine andere psychiatrische Störung zurückzuführen sind. Sie erfassen verschiedene Persönlichkeitsbereiche und gehen beinahe immer mit persönlichen und sozialen Beeinträchtigungen einher. Persönlichkeitsstörungen treten meist in der Kindheit oder in der Adoleszenz in Erscheinung und bestehen während des Erwachsenenalters weiter" (ICD-10-WHO 2013).

    Allgemeine Kriterien

    (Dilling et al. 2011)

    1.

    Deutliche Unausgeglichenheit in den Einstellungen und im Verhalten in mehreren Funktionsbereichen wie Aktivität, Antrieb, Impulskontrolle, Wahrnehmen und Denken sowie in den Beziehungen zu anderen

    2.

    Das auffällige Verhaltensmuster ist andauernd und gleichförmig und nicht auf Episoden psychischer Krankheiten begrenzt

    3.

    Das auffällige Verhaltensmuster ist tiefgreifend und in vielen persönlichen und sozialen Situationen eindeutig unpassend

    4.

    Die Störungen beginnen immer in der Kindheit oder Jugend und manifestieren sich auf Dauer im Erwachsenenalter

    5.

    Die Störung führt zu deutlichem subjektivem Leiden, manchmal jedoch erst im späteren Verlauf

    6.

    Die Störung ist meistens mit deutlichen Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit verbunden

    ICD-10-Kriterien

    2.1.2 Nach DSM-IV-TR

    Gemäß DSM-IV-TR (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders-Text Revision; APA 2000) kann die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung im Kindes- und Jugendalter dann gestellt werden, wenn die maladaptiven Persönlichkeitsmerkmale überdauernd (Dauer über 1 Jahr), gleichbleibend und nicht auf eine bestimmte Entwicklungsperiode begrenzt oder Episode einer Achse-I-Störung sind.

    Die einzige Ausnahme von dieser Regel ist (wie in der ICD 10) die antisoziale Persönlichkeitsstörung , die nicht vor dem Alter von 18 Jahren vergeben werden darf.

    DSM-IV-Definition

    Definition einer Persönlichkeitsstörung gemäß DSM-IV-TR (APA 2000)

    Persönlichkeitsstörungen

    Persönlichkeitsmerkmale repräsentieren dauerhafte Muster der Wahrnehmung, der Beziehungsgestaltung und der Gedanken über die Umwelt und sich selbst. Sie zeigen sich in einem breiten Spektrum sozialer und persönlicher Situationen und Kontexte. Nur wenn Persönlichkeitsmerkmale unflexibel und unangepasst sind und zu bedeutsamer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit oder zu subjektivem Leiden führen, können sie als Persönlichkeitsstörungen bezeichnet werden.

    Diagnostische Kriterien für Persönlichkeitsstörungen gemäß DSM-IV-TR (APA 2000)

    A. Ein überdauerndes Muster von innerem Erleben und Verhalten, das merklich von den Erwartungen der sozio-kulturellen Umgebung abweicht.

    Dieses Muster manifestiert sich in mindestens 2 der folgenden Bereiche:

    Kognition (also die Art, sich selbst, andere Menschen und Ereignisse wahrzunehmen und zu interpretieren),

    Affektivität (also die Variationsbreite, die Intensität, die Labilität und Angemessenheit emotionaler Reaktionen),

    Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen,

    Impulskontrolle.

    B. Das überdauernde Muster ist unflexibel und tiefgreifend in einem weiten Bereich persönlicher und sozialer Situationen.

    C. Das überdauernde Muster führt in klinisch bedeutsamer Weise zu Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.

    D. Das Muster ist stabil und langdauernd, und sein Beginn ist zumindest bis in die Adoleszenz oder ins frühe Erwachsenenalter zurückzuverfolgen.

    E. Das überdauernde Muster lässt sich nicht besser als Manifestation oder Folge einer anderen psychischen Störung erklären.

    F. Das überdauernde Muster geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz (z. B. Droge, Medikament) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors (z. B. Hirnverletzung) zurück.

    DSM-IV-TR-Definition

    2.1.3 Nach DSM-5

    Die Überarbeitung des Klassifikationssystems DSM-IV zum neuen System DSM-5 basiert auf einem mehr als ein Jahrzehnt dauernden Diskussionsprozess mit dem Ziel, die Reliabilität und Validität der Klassifikation auf der Basis aktueller Forschungsergebnisse zu verbessern. Besonders die Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen ist seit langem sehr umstritten, was vielfältige Gründe hat:

    gehäuftes gemeinsames Auftreten verschiedener Persönlichkeitsstörungen,

    extreme Heterogenität von Patienten mit der Diagnose der gleichen Persönlichkeitsstörung,

    zeitliche Instabilität,

    schlechte konvergente Validität.

    Im Zentrum der Diskussion stand die Frage, ob die Operationalisierung von Persönlichkeitsstörungen besser (wie bisher) kategorial (d. h. als voneinander getrennte Einheiten) oder (neu) dimensional erfolgen soll (d. h. als Profil der Persönlichkeitspathologie) . Letztendlich entschied man sich für den Vorschlag, dimensionale und kategoriale Ansätze miteinander zu kombinieren. Diesem Vorschlag entsprechend beinhaltet die Erfassung der Persönlichkeitspathologie sowohl kategoriale Bereiche und Facetten (mit einem dimensionalen Rating des Schweregrads der Störung) als auch eine dimensionale Skala des Funktionsniveaus der Persönlichkeit (▶ Übersicht Funktionsniveau der Persönlichkeit) zur Globaleinschätzung des Schweregrads der Persönlichkeitsstörung (DSM-5 2012). Pathologische Persönlichkeitsmerkmale werden in 5 sehr breit definierte Bereiche unterteilt, die wiederum in 25 Merkmalsfacetten untergliedert sind:

    negative Affektivität,

    Bindungslosigkeit („detachment"),

    Gegensätzlichkeit („antagonism"),

    Enthemmtheit („disinhibition") und

    Psychotizismus.

    Schwerwiegende Beeinträchtigungen der selbstbezogenen und interpersonellen Funktionsfähigkeit sind im neuen Klassifikationssystem die zentralen Kriterien einer Persönlichkeitsstörung. Ein ausführliches Review der Literatur und weitergehende Analysen hatten ergeben, dass Persönlichkeitsstörungen im Allgemeinen mit einer verzerrten und maladaptiven Sicht von sich selbst und anderen verbunden sind und dass die Konstrukte „Identität , „Selbstlenkungsfähigkeit , „Empathie und „Intimität die zentralen Komponenten einer ungestörten Persönlichkeit bilden (Bender et al. 2011; Morey et al. 2011). In der Konzeptualisierung des DSM-5 wird daher die selbstbezogene Funktionsfähigkeit durch die beiden Konstrukte „Identität und „Selbstlenkungsfähigkeit definiert, die interpersonelle Funktionsfähigkeit durch die Konstrukte „Empathie und „Intimität. Die neue „Skala des Funktionsniveaus der Persönlichkeit" greift diese 4 Bereiche auf, um 5 Ebenen der Beeinträchtigung zu definieren, die auf einem Kontinuum von gesundem Funktionieren (Stufe 0) bis hin zu extremer Beeinträchtigung (Stufe 4) liegen.

    DSM-5-Definition

    Funktionsniveau der Persönlichkeit ( APA 2013; Übersetzung durch die Autoren)

    Dimensionale Definition der selbstbezogenen und interpersonellen Funktionsfähigkeit

    Die folgenden Komponenten sind zentral für das Kontinuum der Funktionsfähigkeit einer Persönlichkeit:

    Selbst

    Identität: Erleben von sich selbst als einzigartig, mit klaren Grenzen zwischen selbst und anderen; Stabilität des Selbstwertgefühls und Genauigkeit der Selbstbewertung; Fähigkeit zur Regulierung eines breiten Spektrums emotionaler Erfahrungen

    Selbstlenkungsfähigkeit: Verfolgen von kohärenten und bedeutsamen Lebenszielen (kurz- und langfristig); Verwendung konstruktiver und prosozialer innerer Verhaltensstandards; Fähigkeit zu produktiver Selbstreflektion

    Interpersonell

    Empathie: Verstehen und Wertschätzen des Erlebens und der Motivationen anderer Menschen; Toleranz für unterschiedliche Perspektiven; Verständnis für die Auswirkungen des eigenen Verhaltens auf andere Menschen

    Intimität: Tiefe und Dauer positiver Beziehungen zu anderen Menschen; Wunsch nach und Fähigkeit zu Nähe; im interpersonellen Verhalten beobachtbare wechselseitige Rücksichtnahme

    Selbstbezogene und interpersonelle Funktionsfähigkeit

    Obwohl das Ausmaß der Störungen in selbstbezogenen und interpersonellen Bereichen kontinuierlich verteilt ist, ergibt es dennoch einen Sinn, sowohl für die klinische Beschreibung als auch für die Behandlungsplanung und Prognose, Ebenen der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit zu berücksichtigen. Das Verständnis der Patienten für sich selbst und andere beeinflusst die Art ihrer Interaktion mit therapeutischen Mitarbeitern und kann einen bedeutsamen Einfluss auf die Effektivität der Behandlung und ihr Ergebnis haben

    Aufgrund politischer Kontroversen (Hintergrund dazu s. Journal of Personality Disorders, Ausgabe Dezember 2012) entschied das Kuratorium der American Psychiatric Association (APA) in seiner letzten Sitzung zur Verabschiedung des neuen Klassifikationssystems im Dezember 2012, dass im DSM-5 das bisherige kategoriale System und die im DSM-IV beschriebenen 10 Typen von Persönlichkeitsstörungen vorerst beibehalten werden. Alle vorgeschlagenen Veränderungen (einschließlich des dimensionalen Ansatzes) werden unter dem Titel „Alternatives DSM-5-Modell für Persönlichkeitsstörungen" in die Sektion 3 des Manuals verschoben, in der solche Klassifikationsvorschläge platziert werden, für die noch weiterer Forschungsbedarf besteht (APA 2013).

    2.2 Epidemiologie

    Persönlichkeitsstörungen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen im Erwachsenenalter. In epidemiologischen und klinischen Studien liegen die Prävalenzraten bei ca. 10 % in den Bevölkerungsstichproben (Torgersen et al. 2001; Coid et al. 2006) und bis zu 50 % in klinischen Populationen (Tress et al. 2002). Die Raten hängen vom diagnostischen Vorgehen und dem Klassifikationssystem ab.

    In der ICD 10 werden Persönlichkeitsstörungen zusammen mit anderen psychiatrischen Erkrankungen auf der gleichen Achse klassifiziert, sodass Persönlichkeitsstörungen oft nicht diagnostiziert werden. Im DSM-IV werden Persönlichkeitsstörungen als Achse-II-Störungen diagnostiziert, unabhängig von anderen psychiatrischen Erkrankungen, sodass die Kliniker gezwungen sind, über die Existenz von Persönlichkeitsstörungen nachzudenken. In der Routinediagnostik einer klinischen Population wird keine Prävalenzrate von 50 % Persönlichkeitsstörungen gefunden werden, wenn nicht ein systematisches Screening mit einem semistrukturierten klinischen Interview durchgeführt wird. In der Mehrheit der epidemiologischen Studien über psychiatrische Störungsbilder in Kindheit und Jugend werden keine Persönlichkeitsstörungen erfasst, deshalb ist die Prävalenzrate von Persönlichkeitsstörungen in Kindheit und Jugend nach wie vor in der Diskussion und wird zunehmend mehr erforscht.

    In zwei frühen Studien, in denen Persönlichkeitsstörungen in der Adoleszenz untersucht wurden (Bernstein et al. 1993; Chabrol et al. 2001), lagen die Prävalenzraten zwischen 11,5 % und 18 % bei weiblichen Adoleszenten und bei 10 % bei männlichen Adoleszenten. Coid et al. (2006) beschrieben eine Prävalenzrate von 11 % Persönlichkeitsstörungen für ältere Adoleszente und junge Erwachsene im Alter von 16–34 Jahren. Wurden strukturierte Interviews benutzt, war die Prävalenzrate von Persönlichkeitsstörungen in der Altersgruppe von 12–17 Jahren sehr ähnlich der im Erwachsenenalter (18–37 Jahre) (Grilo et al. 1998; Johnson et al. 1999).

    Ältere Studien

    In einer aktuellen englischen Geburtskohorte wurden 6330 11-jährige Kinder bezüglich einer Borderline-Psychopathologie interviewt (Zanarini et al. 2011). Die Ergebnisse dieser Untersuchung führen zu einer realistischeren Schätzung der Prävalenzrate. Diese Daten wurden mit 34.653 Erwachsenen einer amerikanischen allgemeinen Stichprobe verglichen: 3,2 % der Kinder (3,6 % Mädchen, 2,8 % Jungen) erfüllten die DSM-IV-Kriterien für eine Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) im Vergleich zu 5,9 % der Erwachsenenpopulation (6,2 % Frauen, 5,6 % Männer). Ein detaillierterer Blick auf die BPS-Symptome zeigt sehr ähnliche Raten von chronischer Leere, körperlichen selbstschädigenden Handlungen und stürmischen Beziehungen. Kinder berichteten häufiger als Erwachsene, ärgerlich und launisch zu sein. Die anderen BPS-Symptome (paranoid/dissoziiert, schwerwiegende Identitätsstörung, Impulsivität, enorme Anstrengungen unternehmen, um Alleinsein zu verhindern) waren bei Erwachsenen üblicher. Im Vergleich zu Jungen zeigten die Mädchen mehr Stimmungsschwankungen und Symptome interpersoneller Dysfunktionalität (instabile Beziehungen, Angst vor dem Verlassenwerden); wohingegen Jungs eher körperliche selbstschädigende Handlungen oder mindestens 2 andere Formen der Impulsivität beschrieben. Insgesamt stellten die Autoren fest, dass Geschlechtsunterschiede klinisch nicht relevant waren und keine Erklärung für die Symptome der Borderline-Persönlichkeitsstörung lieferten.

    Aktuelle Untersuchungsergebnisse

    In einer 20-jährigen Längsschnittstudie fanden Crawford et al. (2008), dass Patienten mit komorbiden Achse-I- und Achse-II-Diagnosen einen signifikant schlechteren Outcome hatten als diejenigen Patienten, die in der Adoleszenz nur Achse-I-Störungen aufwiesen. Die Autoren der Studie postulieren, dass die bestehende Persönlichkeitspathologie mit normalen Reifungs- und Sozialisationsprozessen in der Adoleszenz interferiert. Außerdem ist das Erkennen von Borderline-Persönlichkeitsmerkmalen für die Behandlung schwerwiegender Symptome wie z. B. Gewalt und Suizidalität bei Adoleszenten von großer Bedeutung (Westen 2006).

    2.3 Verlauf und Prognose

    Die Stabilität der Diagnose einer Persönlichkeitsstörung (PS) ist deutlich niedriger als erwartet. Dies gilt mehr für die kategoriale und weniger für die dimensionale Stabilität, die in Studien sowohl für den natürlichen Verlauf wie auch unter Behandlung bestätigt wurde. Die Ergebnisse der Collaborative Longitudinal Personality Study (CLPS; Skodol et al. 2005) zeigten, dass unter Berücksichtigung des natürlichen Verlaufes von Persönlichkeitsstörungen 50 % der Störungen im ersten Jahr remittieren, 62 % nach 4 Jahren. Wichtig ist zu erwähnen, dass es deutliche Unterschiede je nach Diagnose gibt. Von allen Individuen mit einer remittierten Borderline-Persönlichkeitsstörung hatten 62 % zusätzlich die Diagnose einer schizoiden PS, 52 % einer ängstlich-vermeidenden PS und 50 % einer zwanghaften PS. Symptome wie „selbstverletzendes Verhalten oder „Vermeiden von Alleinsein zeigten eine größere Veränderung als Persönlichkeitsmerkmale wie „affektive Instabilität, „Impulsivität oder „intensiver Ärger". Einschränkungen auf der Global Assessment of Functioning Scale (GAF) waren stabiler als die diagnostischen Kriterien. Eine

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