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Pädophilie, Hebephilie und sexueller Kindesmissbrauch: Die Berliner Dissexualitätstherapie
Pädophilie, Hebephilie und sexueller Kindesmissbrauch: Die Berliner Dissexualitätstherapie
Pädophilie, Hebephilie und sexueller Kindesmissbrauch: Die Berliner Dissexualitätstherapie
eBook771 Seiten6 Stunden

Pädophilie, Hebephilie und sexueller Kindesmissbrauch: Die Berliner Dissexualitätstherapie

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Über dieses E-Book

„Lieben Sie Kinder mehr als Ihnen lieb ist?“ Mit diesem Slogan bietet das Präventionsprojekt Dunkelfeld seit 2005 Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen, diagnostische und therapeutische Unterstützung, um sexuellen Kindesmissbrauch zu verhindern.  

 

Das vorliegende Buch informiert ausführlich über Pädophilie (d.h. die sexuelle Ansprechbarkeit für das kindliche Körperschema), Hebephilie (d.h. die sexuelle Ansprechbarkeit für das frühpubertäre Körperschema) und über die Prävention sexueller Traumatisierungen von Kindern und Jugendlichen.

SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum31. Juli 2018
ISBN9783662565940
Pädophilie, Hebephilie und sexueller Kindesmissbrauch: Die Berliner Dissexualitätstherapie

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    Buchvorschau

    Pädophilie, Hebephilie und sexueller Kindesmissbrauch - Klaus M. Beier

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018

    Klaus M. Beier (Hrsg.)Pädophilie, Hebephilie und sexueller KindesmissbrauchPsychotherapie: Manualehttps://doi.org/10.1007/978-3-662-56594-0_1

    1. Pädophilie und Hebephilie

    Gerold Scherner¹  , Till Amelung²  , Miriam Schuler³  , Dorit Grundmann⁴   und Klaus Michael Beier⁵  

    (1)

    Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin, Centrum für Human- und Gesundheitswissenschaften, Universitätsklinikum Charité Campus Mitte, Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, and Berlin Institute of Health, Luisenstraße 57, 10117 Berlin, Deutschland

    (2)

    Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin, Centrum für Human- und Gesundheitswissenschaften, Universitätsklinikum Charité Campus Mitte, Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, and Berlin Institute of Health, Luisenstraße 57, 10117 Berlin, Deutschland

    (3)

    Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin, Centrum für Human- und Gesundheitswissenschaften, Universitätsklinikum Charité Campus Mitte, Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, and Berlin Institute of Health, Luisenstraße 57, 10117 Berlin, Deutschland

    (4)

    Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin, Centrum für Human- und Gesundheitswissenschaften, Universitätsklinikum Charité Campus Mitte, Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, and Berlin Institute of Health, Luisenstraße 57, 10117 Berlin, Deutschland

    (5)

    Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin, Centrum für Human- und Gesundheitswissenschaften, Universitätsklinikum Charité Campus Mitte , Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, and Berlin Institute of Health, Luisenstraße 57, 10117 Berlin, Deutschland

    Gerold Scherner (Korrespondenzautor)

    Email: gerold.scherner@charite.de

    Till Amelung

    Email: till.amelung@charite.de

    Miriam Schuler

    Email: miriam.schuler@charite.de

    Dorit Grundmann

    Email: dorit.grundmann@charite.de

    Klaus Michael Beier

    Email: klaus.beier@charite.de

    1.1 Definition und Erscheinungsformen

    1.2 Prävalenz

    1.3 Ätiologie und Neurobiologie

    1.3.1 Lerntheoretische Modelle

    1.3.2 Neuroendokrine und genetische Faktoren

    1.3.3 Neurobiologische Korrelate von Pädophilie und sexuellem Kindesmissbrauch

    1.4 Komorbidität

    1.5 Gesellschaftliche Bewertung und kulturelle Unterschiede

    Literatur

    Sexuelle Ansprechbarkeit auf vor- und/oder frühpubertäre Kinder: Pädophilie und Hebephilie

    Die sexuelle Ansprechbarkeit auf Kinder, die sich in der körperlichen Entwicklung vor Einsetzen der Pubertät (Tanner-Stadium I) bzw. in einem frühen Stadium der Pubertät (Tanner-Stadien II und III) befinden, hat in der wissenschaftlichen Forschung der letzten Jahre verstärkt Aufmerksamkeit gefunden. Auch wenn die Ätiologie dieser sexuellen Präferenzbesonderheiten weiterhin nicht ausreichend geklärt ist, konnte deren Existenz dennoch sowohl physiologisch als auch neurobiologisch nachgewiesen werden (Freund et al. 1972; Banse et al. 2010; Ponseti et al. 2012). Metaanalytische Untersuchungen konnten die Bedeutung einer entsprechenden Sexualpräferenz für die Prognose und Behandlung von Sexualstraftätern aufzeigen (Hanson & Morton-Bourgon 2005).

    Die sexuelle Ansprechbarkeit durch das vorpubertäre Körperschema wird als Pädophilie und die sexuelle Ansprechbarkeit durch das frühpubertäre Körperschema als Hebephilie bezeichnet. Beide Termini repräsentieren klinische Diagnosen und sind keine kriminologischen oder juristischen Begriffe. Im Allgemeinen muss die Person mindestens 16 Jahre alt und mindestens 5 Jahre älter als das Kind sein, um das Kriterium für Pädophilie oder Hebephilie zu erfüllen. In Fällen, in denen die Diagnose einer Pädophilie oder Hebephilie Jugendliche (Mindestalter 16 Jahre) betrifft, sollten emotionale, kognitive und sexuelle Reife mit in Betracht gezogen werden, bevor die entsprechende Diagnose gestellt wird (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition [DSM-5]; American Psychiatric Association [APA] 2013). Die Diagnosekriterien des DSM-5 fordern für die Vergabe der Diagnose wiederkehrende, intensive sexuell erregende Fantasien, sexuelle Impulse und/oder sexuelle Verhaltensweisen mit präpubertären Kindern über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten und fasst dies als „pädophile sexuelle Orientierung. Als weiteres Kriterium ist gefordert, dass mit diesen Fantasien und/oder Verhaltensweisen Leidensdruck, interpersonelle Schwierigkeiten oder funktionelle Beeinträchtigungen einhergehen – in dem Fall liegt dann eine „Pädophile Störung vor (APA 2013). Bei tatsächlich stattgefundenem Kindesmissbrauch ist die Vergabe der Diagnose „Pädophile Störung auch möglich, wenn kein Leidensdruck besteht, da durch Missbrauchshandlungen eine Fremdgefährdung gegeben ist, Leiden bei anderen hervorgerufen und dadurch per se gegen gesellschaftliche Normen verstoßen wird. Personen, die ihren auf präpubertäre Kinder gerichteten sexuellen Fantasien und Impulsen nachgehen, bei denen also aus Fantasien Taten werden, erfüllen somit die Kriterien der Diagnose „Pädophile Störung, selbst wenn sie kein Problembewusstsein aufweisen. Andererseits haben Personen, die aufgrund ihrer auf präpubertäre Kinder gerichteten Fantasien keinen Leidensdruck haben, funktionell nicht eingeschränkt sind und niemals entsprechend ihrer sexuellen Impulse gehandelt haben, nach DSM-5 eine „pädophile sexuelle Orientierung, aber keine „Pädophile Störung. Bei der Hebephilie steht das frühpubertäre Körperschema eines Kindes im Fokus der sexuellen Fantasien, Impulse oder des Verhaltens. Der Unterschied zwischen einem pädophilen und einem hebephilen Menschen liegt also im psychophysiologisch und klinisch von der Pädophilie abgrenzbaren sexuell präferierten Körperschema (Beier, Amelung, Kuhle et al. 2015; Blanchard et al. 2009). Nach Ansicht der Autoren kann die Hebephilie somit aus klinischer Perspektive als eigenständige sexuelle Präferenzbesonderheit mit möglichem Störungscharakter betrachtet werden (s. dazu ausführlich Beier, Amelung, Kuhle et al. 2015). Es ist dennoch wichtig anzumerken, dass über den Begriff der Hebephilie und dessen Störungswert in Fachkreisen kontrovers diskutiert wird (vgl. Hames & Blanchard 2012), was sich ebenfalls in den diagnostischen Kriterien der beiden relevantesten Klassifikationssysteme DSM-5 (APA 2013) und ICD-10, der International Classification of Diseases (ICD-10; World Health Organization [WHO] 1992) zeigt. Während sich im DSM-5 die Diagnosekriterien für eine Pädophilie explizit auf vorpubertäre Kinder beziehen, benennt das ICD-10 Kinder beiderlei Geschlechts, die sich meist in der Vorpubertät oder in einem frühen Stadium der Pubertät befinden. Im ICD-10 wird somit mit dem Begriff Pädophilie die Ansprechbarkeit auf das vorpubertäre und/oder frühpubertäre Körperschema bezeichnet, während im DSM-5 beim Begriff Pädophilie das vorpubertäre Körperschema im Fokus steht; die Hebephilie bzw. die Ansprechbarkeit auf das frühpubertäre Körperschema wird im DSM-5 nicht als eigene Kategorie aufgeführt, erfüllt aber die Kriterien der Diagnose „Nicht näher bezeichnete paraphile Störung" (APA 2013; Blanchard et al. 2009).

    1.1 Definition und Erscheinungsformen

    Zur zusammenfassenden Betrachtung der definitorischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Klassifikationssystemen DSM-5 und ICD-10 sind diese in Tab. 1.1 gegenübergestellt.

    Tab. 1.1

    Kriterien nach ICD-10 (International Classification of Diseases and Related Health Problems, 10. Aufl.) und DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 5. Aufl.)

    Für die diagnostische Einschätzung ist neben den Hauptkriterien (A, B, C) zu beachten, ob es sich bei der Pädophilie im Sinne einer Störung der Sexualpräferenz und sich daraus ergebendem Therapiebedarf um einen exklusiven/ausschließlichen Typus handelt, dessen sexuelle Ansprechbarkeit sich ausschließlich auf das kindliche Körperschema bezieht (in der Literatur als „exklusive Pädophilie oder auch „Kernpädophilie benannt), oder um einen nichtexklusiven/nichtausschließlichen Typus , die sexuelle Ansprechbarkeit sich also neben dem kindlichen (vorpubertär und/oder frühpubertär) Körperschema auch auf das spätpubertäre/erwachsene Körperschema bezieht. Dies hat für die klinische Einschätzung und das darauf aufbauende therapeutische Vorgehen Folgen, v. a. bei der Einschätzung von Risiken und möglichen positiven Ressourcen. Ebenso ist zu bestimmen, welches Geschlecht als sexuell ansprechend erlebt wird.

    Insbesondere sind die unterschiedlichen Achsen der sexuellen Präferenzstruktur, die verschiedenen Formen des sexuellen Erlebens und Verhaltens sowie die konkreten Formen sexueller Aktivitäten diagnostisch zu erfassen (vgl. Beier et al. 2005; Beier & Loewit 2013).

    Die menschliche Sexualpräferenz lässt sich auf 3 unterschiedlichen Achsen beschreiben:

    die Ansprechbarkeit für das Geschlecht des präferierten Partners (das männliche, das weibliche, beide Geschlechter etc.),

    das relevante Körperschema des präferierten Partners (vorpubertäres [Tanner-Stadium I], frühpubertäres [Tanner-Stadien II und III], spätpubertäres [Tanner-Stadium IV] oder postpubertäres [Tanner-Stadium V] Körperschema) und

    die mit dem präferierten Partner erwünschten Praktiken (sexuell präferierte Interaktionen/Verhaltensweisen).

    Das sexuelle Erleben und Verhalten lässt sich ebenfalls auf 3 Ebenen beschreiben:

    der Ebene des konkreten sexuellen Verhaltens,

    der Ebene der sexuellen Fantasien (insbesondere während der Masturbation und bezüglich der konkreten, Orgasmus auslösenden Fantasien) und

    der Ebene des sexuellen Selbstkonzepts.

    Bezüglich der sexuellen Aktivität lassen sich wiederum 3 Formen unterscheiden:

    Masturbation (Selbststimulation und Selbstbefriedigung),

    extragenitale sexuelle Interaktionen (z. B. Streicheln, Schmusen, Kuscheln) sowie

    genitale Stimulation (manuelle, orale oder andere Stimulation, z. B. Petting, vaginale, anale Penetration).

    Bezüglich der sexuellen Ansprechbarkeit auf ein Körperschema ist die Differenzierung zwischen sexuellem Interesse für vorpubertäre Kinder (Pädophilie) und/oder frühpubertäre Kinder (Hebephilie) im Gegensatz zu spätpubertärem bzw. erwachsenem (Teleiophilie) Körperschema von Bedeutung. Hinsichtlich der entwicklungsbiologischen Prozesse in der Pubertät gilt es dabei zu beachten, dass bereits vor 20 Jahren in Deutschland der Beginn der Pubertätsentwicklung (Genitalentwicklung bei Jungen und Brustentwicklung bei Mädchen) bei etwa 11 Jahren lag (Engelhardt et al. 1995; Willers et al. 1996). Neuere Studien geben Hinweise auf einen früheren Beginn der Pubertätsentwicklung sowie auf eine Beschleunigung der körperlichen Reifeentwicklung. Im Alter von 10 Jahren berichten etwa die Hälfte der Mädchen und mehr als ein Drittel der Jungen von einer beginnenden Schambehaarung. Das Durchschnittsalter für das Erreichen einer spätpubertären bzw. erwachsenen Schambehaarung (Tanner-Stadien IV und V) liegt bei Mädchen im Alter von 12,3 bzw. 13,4 Jahren und bei Jungen im Alter von 13,4 bzw. 14,1 Jahren (Kahl et al. 2007). Neben den Unterschieden im präferierten Körperschema können Personen exklusiv (Pädophilie, Hebephilie, Pädo-Hebephilie) oder nicht-exklusiv (Pädo-Teleiophilie, Hebe-Teleiophilie, Pädo-Hebe-Teleiophilie) ansprechbar auf bestimmte Körperschemata sein. Aus der sexuellen Präferenz für vor- und/oder frühpubertäre Kinder können sich ebenfalls Konsequenzen für soziosexuelle Beziehungen mit Erwachsenen ergeben.

    Phänomenologisch lässt sich die Ansprechbarkeit auf ein oder mehrere Körperschemata (körperliche Entwicklungsstadien) wie in Abb. 1.1 dargestellt beschreiben.

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    Abb. 1.1

    Schematische Darstellung der Phänomenologie der sexuellen Ansprechbarkeit bezüglich Körperschemata nach Beier et al. 2013

    1.2 Prävalenz

    Die genaue Prävalenz der Pädophilie in der Allgemeinbevölkerung ist nicht bekannt (Cohen & Galynker 2002; Seto 2008), wird aber – ersten epidemiologischen Daten zufolge – auf bis zu 1% der männlichen Bevölkerung geschätzt (Beier et al. 2005; Dombert et al. 2015). Bezüglich der Prävalenz der Pädophilie bei Frauen gibt es noch weniger belastbare Daten, und die vorhandene Literatur besteht hier vornehmlich in der Beschreibung von Einzelfällen. Der gesamte Bereich der sexuellen Paraphilien scheint nach aktueller Literatur eine primär männliche Domäne zu sein, so auch im Bereich Pädophilie/Hebephilie. Auch bei den wenigen bisher existierenden speziellen ambulanten Anlaufstellen für Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen und therapeutische Unterstützung suchen, melden sich vornehmlich Männer. Studien zur Erhebung der Prävalenz sind generell schwierig durchzuführen, und bei der bisherigen Studienlage ist zu berücksichtigen, dass diese zum Teil an speziellen Stichproben durchgeführt wurden, die Definitionen des Begriffs Pädophilie bzw. die diagnostischen Kriterien nicht einheitlich oder vergleichbar operationalisiert sind und neben anderen methodischen Problemen die Generalisierbarkeit der Studienergebnisse jeweils zu hinterfragen ist. In einer Zwillingsstudie in Finnland mit 1310 Teilnehmern gaben 0,2% der Teilnehmer an, ein sexuelles Interesse an Kindern im Alter von 7 bis 12 Jahren zu haben. Insgesamt gaben 3,3% der Befragten ein sexuelles Interesse an Kindern unter 15 Jahren an. In dieser Studie wurde das sexuelle Interesse über den Zeitraum der letzten 12 Monate befragt, sodass das Zeitkriterium hier inkludiert wurde (Alanko et al. 2013). Von 367 Männern einer repräsentativen Stichprobe aus Berlin gaben 9,5% an, dass vorpubertäre kindliche Körper in ihren Sexualfantasien auftreten würden, 6% berichteten über das Vorkommen von Kindern in ihren Masturbationsfantasien, und 3,8% gaben an, bereits ein Kind sexuell missbraucht zu haben (Ahlers et al. 2011). Bei einer neueren Studie im Rahmen einer Online-Umfrage mit 8718 männlichen Teilnehmern in Deutschland berichteten 4,1% der Teilnehmer sexuelle Fantasien, bei denen vorpubertäre Kinder eine Rolle spielen, 3,2% berichteten sexuelle Übergriffe an vorpubertären Kindern, wobei davon 1,7% ausschließlich Missbrauchsabbildungen nutzten; 0,1% der Teilnehmer berichteten eine sexuelle Präferenz im Sinne einer Pädophilie. Die Autoren interpretieren diesen Wert als konservativen Schätzer für den exklusiven Typus der Pädophilie (Dombert et al. 2015). Für eine weniger konservative Schätzung geben die Autoren eine Prävalenz von 5,4% für die Stichprobe an, was mit anderen Schätzungen für eine mögliche Obergrenze der Prävalenz einhergeht (Seto 2009).

    In einer Untersuchung zu sexuellen Fantasien in einer kanadischen Bevölkerungsstichprobe mit 717 Männern und 799 Frauen wurden auch sexuelle Fantasien, die mit Paraphilien assoziiert sind, erfragt. Hierbei gaben 1,8% der Männer und 0,8% der Frauen an, im Laufe ihres Lebens sexuelle Fantasien bezüglich Kindern unter 12 Jahren gehabt zu haben. Die diagnostischen Kriterien wurden hierbei nicht weiter untersucht (Joyal et al. 2015).

    Mit deutlich belastbareren Zahlen untermauert und besser untersucht ist der Anteil der pädophilen Personen an der Gruppe derjenigen, die wegen sexuellen Kindesmissbrauchs verurteilt wurden. Schätzungen zufolge sind etwa 40–50% der Männer, die sexuelle Übergriffe auf Kinder begangen haben, pädophil (Beier et al. 2005; s. für einen Überblick Seto 2008).

    Pädophilie ist daher keineswegs gleichzusetzen mit sexuellem Kindesmissbrauch, obwohl diese Begriffe in der Öffentlichkeit, in Politik und Medien häufig synonym verwendet werden. Folglich existieren pädophile Männer, die noch keinen sexuellen Kindesmissbrauch begangen haben (Beier et al. 2007, 2009; Riegel 2004) sowie umgekehrt viele Täter, die Kinder sexuell missbrauchen, obschon sie nicht pädophil sind (Beier 1998; Beier et al. 2005; Seto 2008).

    Nichtsdestotrotz lässt sich ein klarer Zusammenhang zwischen devianten sexuellen Interessen und sexuellem Kindesmissbrauch feststellen (Hanson & Bussière 1998; Mann et al. 2010). Dies betrifft sowohl sexuelle Übergriffe auf Kinder als auch die Nutzung, Verbreitung oder Herstellung von Missbrauchsabbildungen. Täter, die sexuellen Kindesmissbrauch begehen, unterscheiden sich von anderen Männern (Sexualstraftätern mit erwachsenen Opfern, Tätern nichtsexueller Straftaten, Kontrollstichproben ohne Deliktbelastung) in Bezug auf ihre sexuelle Ansprechbarkeit durch Stimuli in phallometrischen Untersuchungen, bei denen vorpubertäre und/oder frühpubertäre Kinder gezeigt wurden (siehe z. B. Blanchard et al. 2001; Blanchard et al. 2006). Darüber hinaus stellen Indikatoren für ein sexuelles Interesse an Kindern in Stichproben mit identifizierten Sexualstraftätern einen starken Prädiktor für sexuelle Rückfälligkeit dar (Hanson & Morton-Bourgon 2005). So liegt die Rückfallquote bei pädophilen Sexualstraftätern zwischen 50% und 80%, hingegen bei Tätern, die Kinder sexuell missbrauchen, aber keine pädophile Sexualpräferenz aufweisen, zwischen 10 und 25%, also deutlich niedriger (Beier 1998).

    Im Hinblick auf den Konsum von Missbrauchsabbildungen geben die meisten pädophilen Männer an, dass sie entsprechende Materialien sexuell erregend finden und in ihrem Leben auch bereits genutzt haben (Neutze et al. 2011; Quayle & Taylor 2002; Riegel 2004). Wegen der Nutzung von Missbrauchsabbildungen verurteilte Straftäter lassen wiederum häufig eine Ansprechbarkeit für das kindliche Körperschema im Sinne einer Pädophilie/Hebephilie erkennen (Seto et al. 2006). Die Nutzung von Missbrauchsabbildungen kann daher als Indikator für das Vorliegen einer Pädophilie betrachtet werden. Dies scheint auch vor dem Hintergrund der Annahme plausibel, dass Menschen pornografische Materialien verwenden, die den eigenen sexuellen Fantasien entsprechen und als sexuell erregend erlebt werden.

    Da Menschen mit einer pädophilen Sexualpräferenz ein höheres Risiko aufweisen, wiederholt sexuellen Kindesmissbrauch zu begehen oder Missbrauchsabbildungen zu nutzen (Eke et al. 2011), muss davon ausgegangen werden, dass diese Personen auch ein höheres Lebenszeitrisiko für erstmalige Delikte aufweisen. Hierdurch stellen sie eine bedeutsame Zielgruppe für die Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch und dem Nutzen von Missbrauchsabbildungen dar. Bei den Betroffenen kann die stete Konfrontation mit auf Kinder gerichteten sexuellen Fantasien und Impulsen mit eigener Selbstabwertung und fehlender Akzeptanz einhergehen (Schaefer et al. 2010). Des Weiteren müssen sie sich mit möglichen legalen und sozialen Konsequenzen befassen, sollten sie ihre sexuelle Präferenz ausleben (ebd.). Dies kann das häufige Auftreten psychischer Belastungssymptome (z. B. Angst, Depression) in dieser Indikationsgruppe erklären. Entsprechender Leidensdruck wäre präferenzbezogen und ist sowohl im DSM-5 (APA 2013) als auch im ICD-10 (World Health Organization [WHO] 1992) wiederzufinden, wo dieser Leidensdruck explizit als ein diagnostisches Kriterium für Pädophilie aufgeführt wird.

    Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass nichtdelinquente pädophile und hebephile Personen sowie pädophile/hebephile Täter im Dunkelfeld (also Täter, deren Taten entweder unentdeckt bleiben oder nicht bei den Behörden angezeigt wurden) eine bedeutsame Zielgruppe für die Prävention sexuellen Kindesmissbrauchs darstellen, da ihr subjektiv erlebter Leidensdruck sie zu einer Behandlung motiviert und sie für Präventionsansätze empfänglich macht (Beier et al. 2009; Schaefer et al. 2010; s. für vertiefende Ausführungen zum Thema Beier, Amelung, Grundmann et al. 2015; Beier, Scherner et al. 2015; Kuhle, Grundmann & Beier 2015).

    1.3 Ätiologie und Neurobiologie

    Seit Krafft-Ebing wird die „pedophilia erotica als psychische Erkrankung („psychopathologia sexualis) verstanden. Basierend auf den relativ unspezifischen auto- und alloerotischen Verhaltensweisen von Kindern vermuteten schon frühe Theoretiker menschlichen Sexualverhaltens eine Reifungsentwicklung der Psyche als bedingend für das erwachsene Sexualverhalten des Menschen. Abweichungen von der im Laufe der Jahrzehnte sich wandelnden Norm wurden entsprechend als Störungen in dieser Entwicklung betrachtet. Diese Vorstellung prägt die empirische Forschung zu biologischen oder entwicklungsbedingten Ursachen von Pädophilie und sexuellem Kindesmissbrauch bis heute. Dabei konkurrieren in den letzten Jahren 2 wesentliche Erklärungsmodelle um die Deutungshoheit in der Entwicklung sexueller Präferenzbesonderheiten und sexueller Verhaltensstörungen. Basierend auf den Überlegungen der kognitiven Wende in der Verhaltenstherapie, geht eines der Modelle von pädophiler sexueller Fantasietätigkeit als einem gelernten Verhalten aus. Dieser Schule folgend, sollten die Hauptmerkmale pädophiler Männer in der Fähigkeit zur sexuellen Reaktion auf Kinder liegen. Eine zweite Schule nimmt an, dass die oben genannte gestörte sexuelle Entwicklung auf der Basis fehlgehender biologischer Prozesse stattfindet. Dieser Schule folgend, sollten tiefer gehende biologische Veränderungen im Zusammenhang mit Pädophilie zu finden sein.

    1.3.1 Lerntheoretische Modelle

    Konditionierung

    Auf Grundlage lerntheoretischer Modelle werden sowohl klassische als auch operante Konditionierungsprozesse mit einer pädophilen Sexualpräferenz in Verbindung gebracht. McGuire und Kollegen formulierten eine Theorie zu „sexueller Devianz als konditioniertes Verhalten" (McGuire et al. 1964), nach der die sexuelle Erregung eine unkonditionierte Reaktion darstellt, die gepaart mit einem zunächst nicht erregenden Stimulus zu sexueller Erregung und unter Umständen zu sexuellem Verhalten führen kann (s. auch Laws & Marshall 1990).

    Nach dieser Theorie wird aus sexueller Erfahrung mit gleichaltrigen Kindern ein zuvor neutraler Reiz (kindliches Körperschema) an sexuelle Erregung gekoppelt. Durch das Erleben sexueller Befriedigung (Verstärkerreiz) entsteht so ein überdauerndes sexuelles Interesse am kindlichen Körperschema. Dass die sexuelle Reaktion von Säugetieren und spezifisch des Menschen konditionierbar ist, legen die wenigen existierenden Studien nahe (O’Donohue & Plaud 1994; Pfaus et al. 2001). In die Übersichtsarbeit von O’Donohue und Plaud (1994) sind Experimente eingegangen, in denen ursprünglich neutrale visuelle Stimuli mit sexuell erregenden Stimuli, wie beispielsweise Bilder von nackten Frauen, gepaart wurden, um so mittels neutraler visueller Stimuli sexuelle Erregbarkeit auszulösen. Dabei zeigte sich, dass sich Stimuli besser zur Konditionierung eignen, die prinzipiell sexuell saliente Merkmale aufweisen (z. B. Signalfarben, Oberflächenbeschaffenheit, Geruch), als weniger saliente Stimuli (z. B. geometrische Figuren). Dies wird mit der evolutionsbedingten Bereitschaft für die Konditionierung (Preparedness; Seligman 1970) in Verbindung gebracht, die besagt, dass sich bestimmte Stimuli besser zur Konditionierung eignen als andere.

    Auch das Prinzip der Extinktion sollte sich nach dieser Theorie auf sexuelle Erregung anwenden lassen. Demnach sollte es zu einer Löschung der konditionierten Reaktion kommen, wenn der konditionierte Stimulus wiederholt ohne die unkonditionierte Reaktion dargeboten wird. Die von Marshall (1997, 2008) vorgelegten temporären Veränderungen von Erregungsprofilen durch Dekonditionierung können aufgrund methodischer Schwächen nicht als generalisierbar angesehen werden. Der Nachweis einer dauerhaften Veränderung der sexuellen Präferenz für das Körperschema fehlt damit bis heute. Grundmann und Kollegen (2016) zeigten zudem eine hohe Stabilität der sexuellen Präferenz für pädophile und hebephile sexuelle Interessen nach der Pubertät.

    Ungeklärt bleibt bei der Konditionierungstheorie, weswegen kindliches Sexualverhalten lediglich bei einer Minderheit aller Männer als pädophile Fantasien über die Pubertät erhalten bleibt. Als prädisponierende Faktoren werden sexuelle Missbrauchserfahrungen, mangelnde Erziehung und hohes Aggressionspotenzial diskutiert (Ward et al. 2006; s. auch Abschnitt „Vom Opfer zum Täter").

    Exotisch wird Erotisch

    Auch Bem betont in seiner Theorie „Exotisch wird Erotisch" die Relevanz von Erfahrung für die Entwicklung sexueller Präferenzen (Bem 1996). Nach der „Exotisch wird Erotisch-Theorie wird die erwachsene sexuelle Geschlechtspräferenz durch das vorpubertäre Spielverhalten beeinflusst. In der Vorpubertät lässt sich beobachten, dass Kinder entsprechend ihrer Vorlieben für „geschlechtstypische bzw. „geschlechtsatypische Aktivitäten sich dem eigenen oder dem Gegengeschlecht näher fühlen, das jeweils andere Geschlecht als fremdartig oder „exotisch erleben. Diese Fremdartigkeit in der Vorpubertät erzeugt Gefühle wie Antipathie, Angst oder Abscheu, gepaart mit einer erhöhten physiologischen Erregung. Nach der „Exotisch wird Erotisch-Theorie wird die physiologische und emotionale Erregung, die das „exotische Geschlecht auslöst, durch hormonelle Einflüsse sexualisiert und mündet in einer gegen- oder gleichgeschlechtlichen sexuellen Orientierung. Entsprechend bilden Männer und Frauen mit geschlechtstypischem Spielverhalten in der Kindheit eher eine gegengeschlechtliche Orientierung aus, Erwachsene mit geschlechtsatypischem Spielverhalten in der Kindheit eher eine gleichgeschlechtliche Orientierung. Es gibt ebenfalls Befunde, die die Theorie als Erklärung für pädophile Fantasieinhalte stützen. Mittels qualitativer Interviews ermittelte Bundschuh (2001), dass pädophile Männer ihre Beziehung zu Gleichaltrigen in ihrer Kindheit und Jugend als problematisch beschreiben. Auch Banse (2013) konnte zeigen, dass pädophile Männer mangelnde oder dysfunktionale Peer-Beziehungen in der Kindheit aufweisen. Dieser Zusammenhang blieb auch unter Kontrolle anderer vermuteter Risikofaktoren (wie z. B. eigene Traumatisierungserfahrungen) bestehen. Weitere Merkmale, die mit sexuellen Interessen für Kinder im Sinne einer Pädophilie in Verbindung gebracht werden (verminderter IQ, Missbrauchserfahrungen, Traumatisierung), fügen sich ebenfalls gut in Bems Theorie ein, da diese Faktoren die Beziehung zu Gleichaltrigen erschweren können. Ungeklärt bleibt, weswegen manche Männer ausschließlich durch Kinder und andere durch Kinder und Erwachsene sexuell angezogen werden (Banse 2013). Ebenfalls ungeklärt bleibt die Frage, weswegen hauptsächlich Männer (und nicht Frauen) eine pädophile Sexualpräferenz ausbilden. Diese Fragen bedürfen weiterer Erforschung.

    Vom Opfer zum Täter

    „Vom Opfer zum Täter" ist eine vieldiskutierte Theorie zur Entstehung sexueller Präferenzstörungen. Einige Studien zeigen eine Häufung eigener Missbrauchserfahrungen bei Sexualstraftätern (Jespersen et al. 2009; Seto & Lalumière 2010). Salter et al. (2003) berichten in einer Längsschnittstudie von 224 Männern, die in ihrer Kindheit zu Opfern sexuellen Missbrauchs wurden, dass 12% nach 7 bis 19 Jahren selbst Sexualdelikte – überwiegend an Kindern – begingen. Da Sexualstraftaten keine Rückschlüsse auf Sexualfantasien erlauben, lassen sich anhand dieser Studien keine Schlussfolgerungen in Bezug auf die Ätiologie pädophiler Interessen ziehen.

    1.3.2 Neuroendokrine und genetische Faktoren

    Bis dato gibt es nur wenige Daten, die den Zusammenhang zwischen neuroendokrinen und genetischen Faktoren und Pädophilie beschreiben. Aus Ergebnissen einer finnischen Zwillingsstudie mit über 4000 männlichen Zwillingen und deren Geschwistern folgern die Autoren, dass Pädophilie zu einem bestimmen Prozentsatz vererbbar ist (Alanko et al. 2013). Der Effekt ist zwar gering, legt aber dennoch eine gewisse genetische Komponente nahe. Klinische Ähnlichkeiten der Pädophilie mit Erkrankungen des Zwangsspektrums, Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, Persönlichkeits- und affektiven Störungen sowie Suchterkrankungen mit diesbezüglich entsprechend hohen Komorbiditäten (Grubin 2008) legen Störungen im serotonergen und dopaminergen System und der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren (HPA)-Achse nahe. Gaffney und Berlin (1984) vermuten zudem eine veränderte Aktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden (HPG)-Achse, die über einen Rückkoppelungsmechanismus die Regulation von Sexualhormonen steuert. Die Datenlagen zur Geschlechtshormonhomöostase bei Pädophilie und sexuellem Kindesmissbrauch bleibt jedoch inkonsistent (Grubin 2008).

    1.3.3 Neurobiologische Korrelate von Pädophilie und sexuellem Kindesmissbrauch

    Neurobiologische Forschung zur Pädophilie wurde weitgehend an pädophilen Sexualstraftätern erhoben (Mohnke et al. 2014). Erkenntnisse aus dieser Forschung lassen vorrangig Rückschlüsse auf neurobiologische Besonderheiten über diejenigen Männer mit pädophiler Sexualpräferenz zu, die sexuellen Kindesmissbrauch begangen haben, und in weit geringerem Ausmaß über diejenigen, die Missbrauchsabbildungen nutzen. Neurobiologische Forschungsergebnisse zur Pädophilie lassen sich dabei unterteilen in neuroanatomische und neurofunktionale Untersuchungen.

    Neuroanatomische Forschungsergebnisse zu Pädophilie und sexuellem Kindesmissbrauch

    An der Wurzel aller neurobiologischen Forschung stehen Einzelfallberichte zu Verhaltensauffälligkeiten im Zusammenhang mit hirnstrukturellen Veränderungen (für eine Zusammenfassung s. Mohnke et al. 2014). Veröffentlichte Fallberichte, die auf neuroanatomische Veränderungen im Zusammenhang mit Pädophilie oder sexuellem Kindesmissbrauch hindeuten, beziehen sich durchweg auf neu auftretendes sexuelles Verhalten mit Kindern oder dem geäußerten Wunsch danach. Fallberichte, in denen Patienten nach Hirnläsionen neu auftretende genuine sexuelle Fantasien mit Kindern berichten, sind nicht veröffentlicht. Von den Lokalisationen der Läsionen in den veröffentlichten Fallberichten lässt sich ableiten, dass Pädophilie oder sexuelles Missbrauchsverhalten an frontotemporale, orbitofrontale und frontozentrale Strukturen geknüpft ist. Die hirnstrukturellen Veränderungen gingen dabei nie ausschließlich mit sexuell übergriffigem Verhalten gegenüber Kindern einher. Vielmehr litten die Patienten zusätzlich an Veränderungen der Persönlichkeit, genereller sexueller oder allgemeiner Disinhibition, Veränderungen der Intelligenz oder Demenzen. Diese Konstellation deutet darauf hin, dass die beschriebenen neuroanatomischen Veränderungen v. a. für sexuelles Übergriffsverhalten und nicht so sehr für genuines sexuelles Interesse an Kindern prädisponierten.

    Diese Interpretation wird von den Ergebnissen der quantitativen Bildgebungsforschung gestützt. Frühe strukturelle MRT-Studien an pädophilen Männern, die sexuelle Übergriffe auf Kinder begangen hatten, waren aufgrund der kleinen Fallzahlen hinsichtlich der gefundenen Defizite in der grauen Substanz nur bedingt aussagekräftig und replizierbar. Die Veränderungen fanden sich jedoch in allen Studien in orbitofrontalen oder frontotemporalen Hirnarealen (Mohnke et al. 2014). Die erste Studie, die sowohl pädophile Missbrauchstäter als auch pädophile Männer ohne begangene Missbrauchstaten untersuchte, stammte aus dem NeMUP-Konsortium (www.​nemup.​de) und replizierte geringfügige Unterschiede zwischen pädophilen Männern, die Kinder sexuell missbraucht hatten, und nicht übergriffigen Teleiophilen (= sexuelle Ansprechbarkeit auf ein erwachsenes Körperschema). Besonders ausgeprägt zeigten sich Unterschiede in der grauen Substanz zwischen pädophilen Tätern und pädophilen Nicht-Tätern. Hier fand sich ein Mehr an grauer Substanz im Bereich des Temporalpols bei pädophilen Nicht-Tätern im Vergleich zu pädophilen Tätern (Schiffer et al. 2017). Dieser Befund fügt sich in die bestehende Literatur zur Funktion des Temporalpols, dessen experimentelle Entfernung bei Rhesusaffen zum sog. Klüver-Bucy-Syndrom führt – einer Verhaltensstörung, die durch allgemein auffälliges Sozialverhalten und sexuelle Enthemmung geprägt ist (Klüver & Bucy 1939).

    Bezüglich Veränderungen der weißen Substanz sind die Befunde weiterhin divergent. Bis dato sind lediglich 3 Studien zu diesem Thema veröffentlicht. Zwei Studien zeigen dabei Defizite in der Integrität frontookzipitaler und frontothalamischer Faserbündel bei pädophilen Tätern und Nutzern von Missbrauchsabbildungen im Vergleich zu Normalstichproben (Cantor et al. 2008, 2015). Eine Studie aus Deutschland konnte diese Defizite allerdings nicht replizieren (Gerwinn et al. 2015).

    Angesichts der noch immer weitgehenden Inkonsistenz der Befunde, können noch keine klinischen Implikationen aus neuroanatomischen Untersuchungen gezogen werden. Bei neu auftretendem sexuellem Verhalten mit Kindern oder entsprechenden Verhaltensimpulsen im höheren Lebensalter sollte aber der Ausschluss einer hirnorganischen Störung angestrebt werden.

    Neurofunktionelle Korrelate von Pädophilie und sexuellem Kindesmissbrauch

    Neurofunktionelle Daten zu Pädophilie und sexuellem Kindesmissbrauch wurden zunächst im Rahmen klinischer Untersuchungen verurteilter Sexualstraftäter erhoben. Hier fanden sich verschiedene Hinweise auf hirnfunktionelle Besonderheiten, die mit sexuellem Kindesmissbrauch verknüpft sind. So zeigten pädophile Sexualstraftäter niedrigere Intelligenzquotienten als ihre nichtpädophilen Counterparts und als die Normalbevölkerung. Außerdem fand sich eine Häufung von Nicht-Rechtshändigkeit (Linkshändigkeit und Ambidextrie) sowie kleinerer kraniofazialer Missbildungen (Blanchard et al. 2008; Dyshniku et al. 2015), die von den Autoren als Hinweise auf pränatale Entwicklungsstörungen gewertet wurden.

    Die Befundlage aus quantitativen Studien zu neurofunktionellen Korrelaten von Pädophilie und sexuellem Kindesmissbrauch ist komplexer als bezüglich der Neuroanatomie, und eine Differenzierung zwischen der sexuellen Präferenzstörung (Pädophilie) und der Verhaltensstörung (sexuellem Missbrauch) ist nicht immer möglich (Tenbergen et al. 2015). In Verhaltensmaßen der Frontalhirnfunktionen (Exekutivfunktionen) fanden sich bei Sexualstraftätern, die Kinder missbraucht hatten, Einschränkungen der Impulskontrolle, Einschränkungen der verbalen Flüssigkeit, des verbalen Gedächtnisses und der verbalen Verarbeitung und Einschränkungen bei der Aufmerksamkeitserhaltung. Präzisierende Studien, die nach pädophilen und nichtpädophilen Missbrauchstätern unterschieden, fanden Hinweise darauf, dass diese Einschränkungen stärker ausgeprägt bei nichtpädophilen Tätern (die Kinder sexuell missbraucht hatten) auftreten. Diese Daten variieren jedoch stark zwischen Einzelstudien aus verschiedenen forensischen und nichtforensischen Stichproben. Tenbergen et al. (2015) vermuten daher, dass komorbide Störungen wie Depression oder Antisozialität die Störungen der Exekutivfunktion maßgeblich beeinträchtigen. Daten aus dem NeMUP-Konsortium wiederum legen nahe, dass entsprechende Einschränkungen zwar bestehen, diese jedoch v. a. pädophile Täter von pädophilen Nicht-Tätern unterscheiden, der Unterschied zu einer Stichprobe der Normalbevölkerung jedoch nur klein ausfällt und die Variabilität der oben angeführten Ergebnisse somit erneut ein Problem fehlender statistischer Power darstellen könnte.

    Wenig missverständlich sind hingegen Befunde zur Verarbeitung sexueller Stimuli . Hier finden sich über eine Vielzahl von Studien und Methoden hinweg konsistent Unterschiede zwischen pädophilen und nicht-pädophilen Männern, unbeachtet früheren Missbrauchsverhaltens (Mohnke et al. 2014). Pädophile Männer verarbeiten, und das ist wenig überraschend, Stimuli mit Kindern als sexuell. Dieses Phänomen wird in verschiedenen auch diagnostischen Verfahren genutzt, so z. B. in der Phallometrie (der Messung der penilen Reaktion auf sensorische Stimuli) und in indirekten Verfahren wie der Viewing Reaction Time, in impliziten Assoziationstests, Snake-in-the-Grass-Paradigmen oder Attentional-Blink-Verfahren (Schmidt et al. 2015). Die genannten impliziten Verfahren zeigen sich in ihrer Anwendung als Einzelverfahren wiederholt als wenig präzise. Gut validiert hingegen ist der Einsatz eines Verfahrens, das sich diese neurofunktionellen Besonderheiten im Zusammenhang mit Pädophilie diagnostisch zunutze macht durch eine Kombination zweier indirekter Verfahren und eines Fragebogens (Explicit and Implicit Sexual Interest Profile [EISIP]; vgl. Banse et al. 2010). Auch dieses Verfahren, wie die anderen indirekten Verfahren, ist jedoch für willkürliche Manipulationen durch den Getesteten anfällig. Ponseti und Kollegen gelang eine hoch sensitive und spezifische Klassifikation pädophiler und nicht-pädophiler Männer anhand ihrer Hirnaktivität beim Betrachten von kindlichen und erwachsenen sexuellen Stimuli (Ponseti et al. 2012). Die bei pädophilen Männern zur Verarbeitung kindlicher Stimuli rekrutierten Hirnareale scheinen nach einer ersten kleinen Metaanalyse denen zu entsprechen, die bei teleiophilen Männern für die Verarbeitung sexueller Stimuli mit Erwachsenen genutzt werden (Polisois-Keating & Joyal 2013). Erste Daten weisen darauf hin, dass diese Aktivierungen nicht der willkürlichen Kontrolle unterliegen, eine Manipulation des Testergebnisses somit erheblich erschwert wird. Die Replikation der Studie von Ponseti et al. steht nach derzeitigem Stand noch aus.

    Während also neuroanatomische Veränderungen im Zusammenhang mit Pädophilie und sexuellem Kindesmissbrauch noch keinerlei klinische Bedeutung haben, lassen sich aus neurofunktionalen Veränderungen wichtige klinische Rückschlüsse ziehen. So stellen die Phallometrie, die impliziten Verfahren und in Zukunft möglicherweise die MRT wichtige Möglichkeiten zur Objektivierung der Diagnose der Pädophilie dar. Die Bedeutung eingeschränkter Exekutivfunktionen und ggf. Komorbiditäten aus dem affektiven Formenkreis oder dem Bereich der Persönlichkeitsstörungen sollte in der Therapieplanung Berücksichtigung finden.

    Biopsychosozialer Ansatz

    Keiner der oben beschriebenen Erklärungsansätze konnte bis jetzt empirisch ausreichend belegt werden, um ein evidenzbasiertes Ätiologiemodell aufzustellen. Die Entstehung pädophiler Fantasietätigkeit lässt sich demnach nicht monokausal erklären. Nur ein multidimensionaler Ansatz, der biologische, soziale und psychologische Faktoren integriert, kann dabei helfen, mögliche Faktoren für die Entstehung einer bestimmten Sexualpräferenz zu verstehen (Abschn.​ 2.​4)

    1.4 Komorbidität

    Verschiedene Untersuchungen weisen darauf hin, dass Komorbiditäten bei pädophilen Männern und Männern, die für sexuellen Kindesmissbrauch verurteilt wurden, eher die Regel als die Ausnahme darstellen (Dunsieth et al. 2004; Kafka & Hennen 2002; Raymond et al. 1999). In einer Untersuchung von Raymond und Kollegen (1999) wies die Mehrheit der untersuchten klinischen Stichprobe ambulanter pädophiler Sexualstraftäter komorbide psychiatrische Störungen der Achsen I und II des DSM-IV auf. Dabei stellten aktuelle affektive Störungen (31,1%) und Angststörungen (5,3%) die häufigsten Zusatzdiagnosen auf Achse I dar. Darüber hinaus erfüllten 60% die Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung auf Achse II. Diese und andere Ergebnisse in Bezug auf Komorbiditäten sind im Einklang mit den Erfahrungen der klinischen Arbeit im Rahmen des PPD. Zusätzlich scheinen die subklinischen Dysfunktionen oder Auffälligkeiten, die nicht die Kriterien einer psychiatrischen Störung erfüllen, noch häufiger vorzukommen. In einer Untersuchung von Konrad, Haag und Kollegen (2017) wurde die allgemeine psychische Belastung von 455 Teilnehmern des PPD mithilfe des Brief Symptom Inventory (BSI; Franke 2000) erfasst. Die Ergebnisse zeigten, dass 59% der Stichprobe eine klinisch relevante psychische Belastung aufwiesen, die mit der Belastung stationär behandelter Psychiatriepatienten vergleichbar war. Die hohen komorbiden Beeinträchtigungen bei pädophilen und hebephilen Menschen haben Einfluss auf die Behandlungsplanung und Durchführung der Therapie mit dieser spezifischen Zielgruppe (für eine dezidiertere Beschreibung s. Abschn.​ 3.​6).

    1.5 Gesellschaftliche Bewertung und kulturelle Unterschiede

    Die Gesellschaft reagiert auf pädophile Menschen mit starken negativen Emotionen, sozialer Ausgrenzung und Stigmatisierung (Jahnke, Imhoff & Hoyer 2015). Über 95% der ambulant arbeitenden Psychotherapeuten in Deutschland sind nicht bereit, mit pädophilen Patienten zu arbeiten (Stiels-Glenn 2010). Von den Psychotherapeuten in Ausbildung können sich über 60% nicht vorstellen, mit einem bereits übergriffig gewesenen pädophilen Menschen zu arbeiten (Jahnke, Philipp & Hoyer 2015). Dementsprechend äußert ein Großteil pädophiler Menschen, dass die Angst vor Stigmatisierung durch Therapeuten der Hauptgrund sei, keine therapeutische Hilfe zu suchen (Kramer 2011).

    Auch außerhalb Deutschlands gibt es keine Gesellschaft oder Kultur, die sexuellen Missbrauch von Kindern nicht sanktionieren würde. Dies dürfte auch aus historischer Perspektive so sein. Entgegen der häufig geäußerten Annahme, dass im antiken Griechenland sexuelle Handlungen an Kindern eine allgemein verbreitete und damit übliche Praxis dargestellt hätten, finden sich hierfür keine plausiblen Belege. Beschrieben sind vielmehr exklusive Verhältnisse zwischen Jünglingen und Männern, die der Oberschicht angehörten und dem Zweck dienten, im Sinne eines Initiationsgeschehens die Jüngeren für ihre späteren Aufgaben als (militärische) Leitfiguren der Gesellschaft vorzubereiten.

    Ähnliche Initiationsriten sind auch heute noch in verschiedenen Ethnien bekannt, z. B. bei den Sambia auf Papua-Neuguinea: Hier ist für die pubertierenden Jünglinge als zukünftige Krieger vorgesehen, dass sie bei den Älteren den Oralverkehr bis zu deren Erregungshöhepunkt durchführen, um

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