Spot-Leadership: Nachhaltige Führung in einer agilen Unternehmenswelt
Von Carsten Steinert und Tobias Büser
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Über dieses E-Book
Die Lösung lautet Spot-Leadership. Das bedeutet, sich als Führungskraft von den vielfältigen Situationsvariablen nicht verwirren zu lassen, sondern diese mit Übersicht und System am jeweiligen Punkt (Spot) zu gestalten. Dafür stellen die Autoren einen praktischen Führungs-Kompass vor. Dieser besteht aus sieben Erfolgsfaktoren, die für nachhaltige Führung in agilen Situationen aufeinander abgestimmt werden müssen.
Zu jedem der sieben Erfolgsfaktoren werden die wichtigsten theoretische Ansätze und empirische Studien dargestellt und mit zahlreichen Fallbeispielen und praktischen Tipps verdeutlicht, um daraus für die Führungspraxis brauchbare Instrumente und Handlungsoptionen abzuleiten.
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Buchvorschau
Spot-Leadership - Carsten Steinert
Carsten Steinert und Tobias Büser
Spot-LeadershipNachhaltige Führung in einer agilen Unternehmenswelt
../images/460211_1_De_BookFrontmatter_Figa_HTML.gifCarsten Steinert
Osnabrück, Deutschland
Tobias Büser
Wiesbaden, Deutschland
ISBN 978-3-658-22651-0e-ISBN 978-3-658-22652-7
https://doi.org/10.1007/978-3-658-22652-7
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Für Emilia und für Lilith
Einleitung
Die gesellschaftliche Entwicklung der Gegenwart ist gekennzeichnet durch eine rapide Zunahme an Komplexität. Moderne Informationstechniken und -medien bewirken, dass unzählige Menschen in Echtzeit miteinander kommunizieren und die Arbeit verdichten. Gleichzeitig entwickeln Spezialisten sämtliche Formen von Technik weiter, was bewirkt, dass wir Anwender Mühe haben, im Alltag handlungsfähig zu bleiben. Wir können beispielsweise nach ausgiebigem Studium einer dicken Bedienungsanleitung noch Auto fahren, aber wir verstehen die dahinter stehende Technik nicht mehr und können es nicht mehr reparieren.
Die schnelle Zunahme an Komplexität bewirkt auch, dass Führungskräfte im Detail immer weniger von dem verstehen, was sie verantworten. Sie können individuell nicht so schnell lernen, wie ihr Verantwortungsbereich Komplexität aufbaut. Konnte beispielsweise ein kaufmännischer Abteilungsleiter eines 2000 Mitarbeiter-Unternehmens vor 30 Jahren (vor der digitalen Revolution) in den Ferien viele seiner Mitarbeiter fachlich vertreten, so hat er heute keine Chance mehr. Denn er müsste beispielsweise mehrere SAP-Module bedienen können, dies setzt häufig aufwendige Schulungen voraus. Fazit: Führungskräfte verlieren – relativ zu ihrem Verantwortungsbereich – immer mehr an Fachkompetenz. Dennoch sollen Führungskräfte führen, ja mehr noch, sie sollen agil Unternehmen weiterentwickeln, um den raschen Wandel zu gestalten.
Führung in einer agilen Unternehmenswelt muss neu gedacht werden
Führungskräfte, die in diesem komplexen Umfeld im klassischen Sinne führen und Entscheidungen zentralisieren, haben die Wahl zwischen Pest und Cholera: Entweder sie versuchen die Komplexität zu durchdringen, um kompetent führen und entscheiden zu können; dann werden sie viel zu langsam. Oder sie passen sich dem enormen Tempo an, indem sie auf genaue Analysen verzichten, dann führen sie inkompetent und treffen regelmäßig schlechte Entscheidungen.
Erschwerend kommt noch hinzu, dass der rasche Wandel in verschiedenen Teilen des Unternehmens mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und Wucht ankommt. Wurden Unternehmen in der Vergangenheit nach einem einheitlichen Management-Ansatz geführt, so können wir heute beobachten, dass sich innerhalb eines Unternehmens verschiedene Management-Ansätze etablieren. Und das zu Recht! So arbeitet beispielsweise das Web-Marketing nach Methoden des agilen Managements, die Produktion auf Basis von Lean-Produktion und das Rechnungswesen in traditioneller, funktionsorientierter Form.
Die hier umrissene Ausgangslage zeigt, dass Führung neu gedacht werden muss. Führungskräfte werden in Zukunft immer wieder in überkomplexen Situationen agieren müssen und brauchen dafür einen Führungs-Kompass bestehend aus Führungs-Faktoren, die für erfolgreiche Ergebnisse gestaltet werden müssen. Mit dem Führungs-Kompass können Führungskräfte auch in Situationen führen, in denen sie keinen vollständigen Überblick haben. Das verschafft ihnen dann wiederum die Zeit und Luft, um sich in einzelnen, wichtigen Situationen der Komplexität mit dem hierfür notwendigen Zeitaufwand zu stellen.
Das von Tobias Büser entwickelte „ChaKoMo-Modell ist ein solcher Führungs-Kompass. „Cha
steht dabei für Chance, „Ko für Kompetenz und „Mo
für Motivation. Menschen erzielen regelmäßig dann gute Ergebnisse, wenn sie mit ihrer Motivation und Kompetenz aufgrund der vorliegenden fünf Umweltfaktoren (Ziele, Organisation, Ressourcen, Zusammenarbeit und Schlüsselpersonen) eine Chance erhalten. Aufgabe von Führung ist es, die Motivation, Kompetenz und Chance so aufeinander abzustimmen, dass Mitarbeiter gute Arbeitsergebnisse erzielen. Das Modell umfasst somit insgesamt sieben Erfolgsfaktoren. Vier Erfolgsfaktoren (Motivation, Kompetenz, Zusammenarbeit, Schlüsselpersonen) betreffen die Mitarbeiterführung, drei Erfolgsfaktoren (Ziele, Organisation, Ressourcen) das Management „objektiver" Faktoren.
Führungskräfte, die das „ChaKoMo-System" beherrschen, können auch in komplexen Situationen Mitarbeiter, Teams und Unternehmen Schritt für Schritt zum Erfolg führen, ohne die fachlichen Aspekte bis ins Detail verstehen zu müssen – vorausgesetzt, sie haben verinnerlicht, dass sie nur in Kooperation mit ihren Mitarbeitern erfolgreich sein können.
Was bedeutet Spot-Leadership?
Diese Führungskräfte betreiben „Spot-Leadership. „Spot-Leadership
bedeutet zunächst die Einsicht, dass Führung an den jeweiligen Punkten (Spots) situationsgerecht gestaltet werden muss. Ein Spot bezeichnet dabei eine konkrete Führungssituation zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort. Hier gilt es durch die Gestaltung des ChaKoMo-Systems „Führung auf den Punkt (zu bringen)". Spot Leadership bedeutet somit, Führung am jeweiligen Punkt auf den Punkt zu bringen. Diese zukunftsweisende Form der Führung richtet sich sowohl an den jeweiligen Organisationserfordernissen aus, gleichzeitig achtet sie jedoch auch auf die individuelle Zufriedenheit des einzelnen Mitarbeiters.
„Spot-Leadership berücksichtigt damit die beiden Funktionen von Führung: „Management
und „Mitarbeiterführung. Gutes Management ist die Basis für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens. Gute Mitarbeiterführung ist unabdingbar für die individuelle Zufriedenheit und eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Oder auf den Punkt (Spot) gebracht: „Ohne Wirtschaftlichkeit überleben wir nicht, ohne Menschlichkeit ertragen wir es nicht.
(in Anlehnung an Wollert).
Wird auf eine ausreichende Balance zwischen beiden Bereichen geachtet, wird Führung nachhaltig. Doch in vielen Unternehmen ist die Balance zwischen den beiden Führungsfunktionen, zulasten der Mitarbeiterführung, noch nicht ausgewogen. Damit ist Führung nicht nachhaltig. Auch die vorhandene Literatur beschäftigt sich häufig nur mit jeweils einem der beiden Aspekte von Führung; sei es nun das Mitarbeitergespräch oder die Entwicklung von Strategien, Prozessoptimierung, Controlling, et cetera.
Mithilfe des „ChaKoMo-Modells betont das vorliegende Buch bewusst beide Aspekte von Führung und grenzt sich unter anderem dadurch von anderen Werken ab. Gemäß dem Motto „modern aber nicht modisch
sind wir darauf bedacht, nicht jedem kurzfristigem Führungstrend aufzusitzen. Daher haben wir uns im Rahmen der Darstellung nur auf solche (aktuellen) Aspekte konzentriert, die nach unserer Auffassung nachhaltig praktikabel sind und für das Thema Führung auch längerfristig von Bedeutung sein werden.
Ebenso ist es uns stets ein Anliegen, theoretische Fundierung und praktische Führungsinstrumente gleichermaßen zu fokussieren und miteinander zu verzahnen. Denn wir Autoren sind Wanderer zwischen den Welten von Hochschule und Unternehmenspraxis und haben daher unsere langjährige Beratungserfahrung bewusst einfließen lassen.
Aufbau des Buches
Das Buch ist in insgesamt zwei Teile untergliedert. Im ersten Teil starten wir mit einer kurzen Darstellung unseres Verständnisses von Führung. Danach beschäftigen wir uns mit der Frage, was Unternehmen und Mitarbeiter von Führungskräften erwarten und machen deutlich, warum sich gute Führung in einem Unternehmen lohnt. Anschließend zeigen wir anhand von vier Thesen auf, welchen Trends Führung unserer Ansicht nach zukünftig folgen wird. Zudem stellen wir mit dem „ChaKoMo-Modell" das Führungsinstrument vor, mit dem Spot-Leadership in verschiedenen Situationen und Entwicklungsstufen des Managements wirksam umgesetzt werden kann.
Im zweiten Teil wenden wir uns dann den sieben ChaKoMo-Erfolgsfaktoren im Einzelnen zu. Zur Verwirklichung von Spot-Leadership müssen die Erfolgsfaktoren individuell gestaltet werden. Voraussetzung dafür ist, die Faktoren im Grundsatz verstanden zu haben. Daher stellen wird zunächst jeweils die wichtigsten zugehörigen theoretischen Ansätze und empirische Studien vor, um dann daraus für die Führungspraxis brauchbare Instrumente und Tipps abzuleiten. Die Verwendung zahlreicher Fallbeispiele soll zusätzlich zum besseren Verständnis beitragen. Damit erhalten Sie als Leser nicht nur einen Gesamtüberblick der zentralen Einflussfaktoren von Führung, sondern zudem auch Hintergrundwissen und konkrete Handlungsoptionen zu deren Gestaltung.
Uns war es ein Anliegen, darauf zu achten, dass Sie sich bei der Lektüre unseres Buches von Ihrem persönlichen Interesse treiben lassen können. Die einzelnen Teile und Kapitel sind daher so gestaltet, dass Sie gerne Ihre eigene Lesefolge wählen dürfen. Auch dann, wenn Sie nicht bei Seite eins mit dem Lesen beginnen, werden Sie die einzelnen Inhalte nachvollziehen können. Um Ihnen die Orientierung zu erleichtern, haben wir einzelne Abschnitte mit zusammenfassenden Zwischenüberschriften versehen. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit sprechen wir Sie als Leser direkt an und verwenden durchgehend die männliche Sprachform. Die weibliche ist selbstverständlich ebenso impliziert.
Nun aber wünschen wir Ihnen viel Spaß beim Lesen und neue Erkenntnisse!
Carsten Steinert und Tobias Büser
Inhaltsverzeichnis
Teil I Grundlagen, aktuelle Trends, „ChaKoMo-Führungsmodell"
1 Was ist Führung? 3
2 Was erwarten Unternehmen von Führungskräften? 9
3 Was erwarten Mitarbeiter von Führungskräften? 19
4 Warum lohnt sich gute Führung? 23
5 Vier Thesen zur aktuellen Entwicklung von Führung 29
6 Gestaltung von Cha(nce) – Ko(mpetenz) – Mo(tivation) als Instrument für Spot-Leadership 35
Teil II Die sieben „ChaKoMo-Erfolgsfaktoren" zur Gestaltung von Spot-Leadership
7 Erfolgsfaktor Schlüsselpersonen – Führungskräfte 59
8 Erfolgsfaktor Ziele, Orientierung 77
9 Erfolgsfaktor Motivation 101
10 Erfolgsfaktor Zusammenarbeit 121
11 Erfolgsfaktor Kompetenz 135
12 Erfolgsfaktor Organisation 149
13 Erfolgsfaktor Ressourcen 185
Anhang 1: Persönliche Stakeholder-Analyse195
Anhang 2: Spinnenchart zur ChaKoMo-Faktorenanalyse197
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1.1 Funktionsbereiche nachhaltiger Führung8
Abb. 3.1 Nachhaltige Führung als Balance zwischen Management und Mitarbeiterführung22
Abb. 6.1 Pit-Stop36
Abb. 6.2 ChaKoMo-Einflussfaktoren39
Abb. 7.1 Sandwich-Position einer Führungskraft63
Abb. 7.2 Wechselwirkung zwischen charismatischen Führern und Geführten74
Abb. 8.1 Zielpyramide der Unternehmenssteuerung84
Abb. 8.2 ChaKoMo-Zielchart zur Unternehmensentwicklung95
Abb. 8.3 Zusammenhang zwischen Veränderungsdruck, Reifegrad und Zielen96
Abb. 9.1 Grundmodell der Motivation104
Abb. 9.2 Der Prozess der inneren Kündigung117
Abb. 11.1 Johari-Fenster139
Abb. 11.2 Der Einfluss von Feedback140
Abb. 11.3 Komfortzonenmodell140
Abb. 11.4 Die Kompetenzentwicklungs-Schleife145
Abb. 12.1 Von der Gesamtaufgabe zur Gesamtorganisation153
Abb. 12.2 Das Team Management Rad von Margerison-McCann in Abhängigkeit der Arbeitspräferenzen163
Abb. 12.3 Klassische und agile Führung im Vergleich168
Abb. 12.4 Der Scrum-Prozess170
Abb. 12.5 Der Design Thinking Prozess171
Abb. 12.6 Varianten zum Abbau von Spannungen173
Abb. 12.7 Zusammenhang zwischen Rollen und Kreise in einer agilen Organisation176
Abb. 12.8 Das duale Betriebssystem181
Abb. 13.1 Einflussfaktoren der Führungskultur191
Tabellenverzeichnis
Tab. 6.1 Einsatz des ChaKoMo-Modells zur Optimierung bereits bestehender Aufgaben54
Tab. 12.1 Acht Arbeitsfunktionen eines vollständigen Prozesses159
Tab. 12.2 Ausprägungen und Kategorien der TMS Arbeitspräferenzen.162
Tab. 12.3 Der Haufe-Quadrant182
Teil IGrundlagen, aktuelle Trends, „ChaKoMo-Führungsmodell"
We are obsessed with leadership. Thousands of studies and books are devoted to it, and we still want more.
(Pfeffer and Sutton 2006)
Inhaltsverzeichnis
1 Was ist Führung?3
2 Was erwarten Unternehmen von Führungskräften?9
3 Was erwarten Mitarbeiter von Führungskräften?19
4 Warum lohnt sich gute Führung?23
5 Vier Thesen zur aktuellen Entwicklung von Führung29
6 Gestaltung von Cha(nce) – Ko(mpetenz) – Mo(tivation) als Instrument für Spot-Leadership35
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018
Carsten Steinert und Tobias BüserSpot-Leadership https://doi.org/10.1007/978-3-658-22652-7_1
1. Was ist Führung?
Carsten Steinert¹ und Tobias Büser²
(1)
Osnabrück, Deutschland
(2)
Wiesbaden, Deutschland
Carsten Steinert (Korrespondenzautor)
Email: C.Steinert@hs-osnabrueck.de
Tobias Büser
Email: tobias.bueser@bueser-akademie.de
Zusammenfassung
Führung bedeutet Menschen und Ressourcen aktiv auf ein Ziel hin zu steuern. Wirksame Führungskräfte schaffen dabei die Voraussetzungen, damit Menschen gute Ergebnisse erzielen können. Sie verwirklichen das kundenorientierte Wirtschaftlichkeitsprinzips, indem sie ständig effektivere und effizientere Lösungen suchen und wirken auf einen ethisch und moralisch nachhaltigen Ausgleich zwischen den Ansprüchen der Stakeholder, Natur und Gesellschaft hin. Führung wird in die zwei Funktionsbereiche „Mitarbeiterführung und „Management
unterteilt. Damit Führung nachhaltig ist, müssen beide Aspekte gleichermaßen berücksichtig werden. Dabei betont Management den ökonomischen und Mitarbeiterführung den sozialen Aspekt von Nachhaltigkeit.
Muss die Frage: „Was ist Führung" überhaupt diskutiert werden? Führung ist in unserem Alltag allgegenwärtig. Nahezu jede Form von Arbeit und Beschäftigung wird von einer Führungskraft geleitet und die wenigen, die als Selbstständige keinen unmittelbaren Chef haben, sind ihr eigener Chef. Jeder Supermarkt, und jedes Amt hat einen Chef und in den Medien sind unablässig Statements von Führungskräften zu vernehmen. Und in jedem Freundeskreis kursieren Geschichten über Führungskräfte mit reger Diskussion, warum die Chefs beliebt, erfolgreich, ungerecht, fair, vorbildhaft oder völlig ungeeignet sind. Fazit: Führung ist ein Phänomen, das jeder täglich erlebt und intuitiv zu verstehen glaubt.
Der Versuch jedoch, Führung eindeutig zu definieren, fällt nicht leicht und führt schnell in die Irre. Versuchen Sie es einmal. Wenn Sie damit zufrieden sind, dann schreiben Sie uns bitte Ihre Definition.
Bei Betrachtung der unzähligen Veröffentlichungen zu Führung fällt auf, dass es keine einheitliche Definition des Begriffs „Führung gibt. So findet sich teilweise ein sehr allgemeines Verständnis, beispielsweise bei Rosenstiel, der Führung als „zielbezogene Einflussnahme
definiert (Rosenstil 2014, S. 3). Sehr häufig wird aber auch lediglich ein spezieller Ausschnitt diskutiert und/oder „Führung mit weiteren Begriffen kombiniert, wie Mitarbeiterführung, situative Führung, laterale Führung, strategische Führung, resonante Führung, gesunde Führung, Selbstführung, patriarchalische Führung, partizipative Führung, transaktionale Führung, systemische Führung, autoritäre Führung, transformationale Führung, Führung von Projektteams, Führung im Mittelstand… Die Liste kann nahezu unendlich fortgesetzt werden, man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Der Begriff Führung wird in so vielen unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet, dass eine einheitliche Bedeutung verschwimmt. Und fragt man Führungskräfte, womit sie ihre Zeit verbringen, so erhält man meist die Antwort: „Ich habe keine Zeit zu führen, ich muss an meinen Themen arbeiten!
Ein anschauliches Bild von Unternehmen heute
Die vielen unterschiedlichen Begriffe, Ausschnitte und Varianten von Führung haben ihre Entsprechung in der Praxis. Die Unternehmen sind regelmäßig so vielfältig und unterschiedlich, wie die Kunden, die Produkte und Dienstleistungen und die Regionen, in denen sie tätig sind – wenn sie in Zeiten des Internets überhaupt noch einer Region zugeordnet werden können. Und noch gravierender: Sogar innerhalb von einzelnen Unternehmen findet häufig die unübersichtliche Vielfältigkeit statt, wie nachfolgendes Beispiel zeigt:
Stellen Sie sich ein Unternehmen vor, das um 1900 herum gegründet wurde und landwirtschaftliche Maschinen und Ausrüstungsgegenstände baut. Angefangen hat dies mit mechanischen Streumaschinen für die Düngung, dann kamen Pflüge und Sähmaschinen hinzu. Das Unternehmen hat in seiner Branche bis zum heutigen Tag die Entwicklung vorangetrieben. Die Dampfmaschine hat die Körperkraft ersetzt und wurde durch Diesel- und Elektromotoren sowie Hydraulik abgelöst. Viele Bereiche der Produktion sind mittlerweile voll automatisiert und es ist absehbar, dass die bereits heute GPS-gesteuerten landwirtschaftlichen Geräte in absehbarer Zeit fahrerlos die Felder bestellen. Das Unternehmen ist vollkommen globalisiert und unterhält Produktionsstandorte, Serviceniederlassungen und Verkaufsbüros auf allen fünf Kontinenten. Das Unternehmen ist gleichzeitig führend im landwirtschaftlichen Umweltschutz, berät die öffentliche Hand und ist im Internet auf allen relevanten Plattformen umweltfreundlicher Landwirtschaft vertreten. Um das Unternehmen herum werden als Kooperationspartner gesteuert eine Vielzahl von Dienstleistungs-und Zuliefer-Unternehmen aus den Bereichen technischer Speziallösungen, Marketing, Steuerberatung, Prozessoptimierung, Personalentwicklung, IT-Lösungen,…
Schaut man also in solch einem Unternehmen hinein, dann fällt auf, dass gleichzeitig sehr unterschiedliche Entwicklungsformen, Kulturen und Arbeitsweisen bestehen, auf die Führung angemessen reagieren muss. Durch die Langlebigkeit der Maschinen werden im Service und Ersatzteilbereich noch regelmäßig handwerklich-orientierte Tätigkeiten durchgeführt. Das gleiche gilt in der Zusammenarbeit mit Kunden aus Ländern, die in ihrer Entwicklung erst dabei sind, zum aktuellen technischen Stand aufzuschließen. Gleichzeitig beschäftigt sich das Unternehmen bereits mit Möglichkeiten, im Sinne von Industrie 4.0 die Produktion mit völlig neuen Arbeits- und Organisationsformen zu verbessern. Das Unternehmen ist virtuell weltweit vernetzt und Teams aus unterschiedlichen Standorten in unterschiedlichen Kulturen arbeiten gemeinsam an Aufgaben und Themen. Es kommt immer häufiger vor, dass Führungskräfte nicht nur ihre lokalen Aufgaben und Mitarbeiter führen müssen, sondern gleichzeitig Themen über mehrere Standorte mit unterschiedlichen Entwicklungsständen und Kulturen begleiten.
Bei der Unterschiedlichkeit ist dennoch notwendig, Führung immer wieder auf ähnliche Prinzipien zurückführen zu können, denn sonst wird gute Führung unter den komplexen Bedingungen unmöglich. Für diesen Zweck wurde das „ChaKoMo"-Führungsmodell entwickelt, dass in Teil II beschrieben wird.
Aber nun erst einmal raus aus dem Wald, durch die unzähligen Bäume, um auf der Lichtung einen Überblick zu bekommen. Um das unübersichtliche Phänomen Führung in der heutigen Wirtschaft verstehen zu können, ist ein kurzer Blick in die Historie hilfreich; zu Zeiten, als die Welt weniger komplex war: Wie ist „Führung" entstanden? Was sind die grundlegenden Merkmale jenseits der unzähligen Perspektiven der Gegenwart? Danach schauen wir uns die aktuellen Trends an und fragen: Wo stehen wir mit dem Thema Führung heute? Aus dieser Betrachtung werden dann die vier zentralen Aufgaben von Führung abgeleitet. Wir nennen sie die vier Wurzeln von Führung.
Die vier Wurzeln von Führung
1.
Wurzel: Menschen und Ressourcen aktiv auf ein Ziel hin zu steuern.
Der etymologische Wortursprung von Führung leitet sich ab vom mittelhochdeutschen „vüerunge und steht für die Lenkvorrichtung am Fuhrwerk. Demnach wurde mit der „vüerunge
aktiv von einem Menschen die Richtung bestimmt, um mit einem Wagen mit Personen und Material ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
2.
Wurzel: Voraussetzungen schaffen, damit Menschen gute Ergebnisse erzielen können.
In Politik und Militär ist Führung schon lange etabliert. Wirtschaftliche Führung hingegen wurde notwendig, als im 18. und 19. Jahrhundert durch die Erfindung der Dampfmaschine Industrieanlagen entstanden, in denen viele Menschen gebündelt an einem Ort gemeinsam Produkte erzeugten. Diese Wirtschaftsform stellte völlig neue Herausforderungen an die Koordination und Kooperation der Menschen. Einige Mitarbeiter wurden aus der direkten Produktion herausgenommen, um die vielen Menschen, die gemeinsam auf engem Raum produzierten, in eine Richtung zu lenken, zu organisieren, Ressourcen bereitzustellen, Entscheidungen zu treffen und die Menschen als Personal zu führen (Steinmann und Schreyögg 1993, S. 8 ff.). Damit war der moderne Manager bzw. die Führungskraft geboren und die wichtige Unterscheidung zwischen „operativer Tätigkeit und „Führungstätigkeit
getroffen: Die operativ tätigen Mitarbeiter erstellen Produkte oder Dienstleistungen, die Führungskräfte hingegen schaffen die Voraussetzungen, damit operativ tätige Mitarbeiter gute Arbeitsergebnisse erzielen können (Büser 2004). So wird aus den vielen Einzelleistungen eine Gesamtleistung.
3.
Wurzel: Verwirklichung des kundenorientierten Wirtschaftlichkeitsprinzips
Die neue industrielle Wirtschaftsform erhielt ihren Sinn und Zweck in der gesteigerten Produktivität gegenüber der bäuerlichen Selbstversorgung. Das war „kundenorientiert, denn es bestand ein starker Bedarf nach mehr Lebensmitteln und der Versorgung mit überlebenswichtigen Sachgütern wie Werkzeugen, Wohnraum, Baumaterialien, etc. Führungskräfte hatten die Aufgabe, bedarfs- und kundenorientiert das Wirtschaftlichkeitsprinzip zu verwirklichen. Das heißt ständig nach Möglichkeiten zu suchen, mit gegebenen Mitteln mehr Ergebnis zu erreichen oder bestimmte Ergebnisse mit weniger Ressourceneinsatz zu erzielen. Nach Drucker ist Innovation eine zentrale Aufgabe von Führungskräften. Sie sind notwendig, um „die Bedürfnisse der Gesellschaft in Möglichkeiten für eine rentable Unternehmenstätigkeit zu verwandeln.
(Drucker 2005, S. 40). Schumpeter nennt das die kreative Zerstörung des Gegebenen, nämlich durch neue Organisationsformen, neue Technik, neue Kunden/Märkte, neue Lieferanten und neue Produkte/Dienstleistungen die Bevölkerung effektiver und effizienter zu versorgen, als bisher. Führung verwirklicht somit den Fortschritt, unterliegt jedoch gleichzeitig einem Modernisierungszwang. Denn wenn in einem marktwirtschaftlichen System zu einem erkannten Kundenbedarf wirtschaftlichere Lösungen möglich werden, dann geraten Unternehmen sofort in Gefahr, vom effektiveren Konkurrenten verdrängt zu werden.
4.
Wurzel: Ethisch und moralisch nachhaltigen Ausgleich schaffen
Führung steht somit für Fortschritt. Der Fortschritt muss jedoch auch vor den einzelnen Menschen, der Gesellschaft und der Natur verantwortet werden und hier liegt ein fundamentales Spannungsfeld. Viele Stakeholder wie Kunden, Eigentümer, Mitarbeiter, etc., sie alle haben Interessen gegenüber Unternehmen. Und nicht selten sind diese unterschiedlich. Führungskräfte dürfen dabei niemals Einzelinteressen folgen, sondern müssen das Gesamtwohl des Unternehmens vertreten. Die Folge daraus ist, dass sie teilweise unvereinbare Interessen unter einen Hut bringen müssen. Ein Beispiel: Die Eigentümer von Unternehmen erwarten üblicherweise eine maximale Rendite ihres eingesetzten Kapitals. Sie setzen Führungskräfte für die Umsetzung dieser Aufgabe ein und statten sie mit der entsprechenden Weisungsbefugnis aus. Die höchste Rendite wird erreicht, wenn Mitarbeiter maximale Leistung bei minimalem Lohn erbringen und ständige Neuerungen umsetzen, ungeachtet ihrer persönlichen Interessen und Wünsche. Die ungleiche Verteilung von Macht, Chancen und Einkommen hat seit der Entwicklung der industriellen Wirtschaft immer wieder zu gesellschaftlichen Spannungen geführt. Ausgedrückt hat sich dies in Arbeiteraufständen, der Gründung von Gewerkschaften und der Entwicklung des Sozialstaats mit arbeitsrechtlichem Schutz. Auch hinsichtlich der Natur besteht das Spannungsfeld zu wirtschaftlichem Nutzen und Gewinnmaximierung. Umweltschutz kostet Geld und Aufmerksamkeit ebenso wie sozialverträgliche Unternehmensentwicklung und gesunde Arbeitsbedingungen.
Vor dem Hintergrund der Übernutzung natürlicher Ressourcen, des Klimawandels, steigender Abfallmengen, der demografischen Entwicklung und des Wertewandels haben die skizzierten Spannungsfelder gesellschaftspolitisch zu einer Nachhaltigkeitsdebatte geführt. Der Begriff „Nachhaltigkeit" wird in gängigen Darstellungen dabei häufig als Dreiklang von Ökologie, Ökonomie und Sozialem bezeichnet.
Unternehmen sind gefordert, ihre Wirtschaftsweise an den Erfordernissen einer nachhaltigen Entwicklung auszurichten. Unserer Ansicht nach spielt Führung dabei eine zentrale Rolle. Denn im Zentrum dieser Spannungsfelder stehen die Führungskräfte, die im Alltag zwischen den widerstrebenden Ansprüchen von Kapital- und Mitarbeiterinteressen vermitteln müssen. Das ist moralisch und ethisch vertretbar nur zu leisten mit einer inneren Wertehaltung der Führungskräfte, die in eine verantwortungsvolle Unternehmenskultur eingebettet ist.
„Wir haben Arbeitskräfte gerufen und es sind Menschen gekommen" (Max Frisch)
Doch was bedeutet Nachhaltigkeit in Bezug auf Führung? Unserer Überzeugung nach ist Führung dann nachhaltig, wenn sie die vier skizzierten Wurzeln von Führung vereint:
1.
Menschen und Ressourcen aktiv auf ein Ziel hin zu steuern.
2.
Voraussetzungen zu schaffen, damit Menschen gute operative Ergebnisse erzielen können.
3.
Das kundenorientierte Wirtschaftlichkeitsprinzip zu verwirklichen und ständig effektivere und effizientere Lösungen zu suchen.
4.
Den ethisch und moralisch nachhaltigen Ausgleich zu schaffen zwischen den Ansprüchen der Stakeholder, der Natur und der Gesellschaft.
Weitere Klarheit entsteht, wenn Führung, wie in Abb. 1.1 dargestellt, in die beiden Funktionsbereiche „Mitarbeiterführung und „Management
unterteilt wird. Mitarbeiterführung betont den „sozialen Aspekt" von Nachhaltigkeit. Es geht um die Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen, die Steuerung und die Zusammenarbeit mit Mitarbeitern. Ziel ist der zufriedene, leistungsbereite und leistungsstarke Mitarbeiter. In Bezug auf die vier Wurzeln von Führung beinhaltet Mitarbeiterführung damit den ersten und vierten Aspekt. Dabei betrifft der erste