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Das politische System Griechenlands: Strukturen und Probleme
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eBook386 Seiten4 Stunden

Das politische System Griechenlands: Strukturen und Probleme

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Über dieses E-Book

Das Buch behandelt Akteure, Prozesse und Strukturen des politischen Systems Griechenlands. Es vermittelt so Informationen, die für eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem Land unabdingbar sind. Damit ist eine Auseinandersetzung gemeint, die über tagespolitische Ereignisse im Rahmen der Finanzkrise oder kulturell-touristische Aspekte hinausgeht. Auf diese Weise wird dem zentralen politischen Stellenwert Griechenlands, den man in Deutschland oft unterschätzt, Rechnung getragen.
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer VS
Erscheinungsdatum17. Juli 2019
ISBN9783658260750
Das politische System Griechenlands: Strukturen und Probleme

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    Buchvorschau

    Das politische System Griechenlands - Gustav Auernheimer

    Gustav Auernheimer

    Das politische System GriechenlandsStrukturen und Probleme

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    Gustav Auernheimer

    Institut für Politische Wissenschaft, Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Deutschland

    ISBN 978-3-658-26074-3e-ISBN 978-3-658-26075-0

    https://doi.org/10.1007/978-3-658-26075-0

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019

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    Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature

    Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

    Inhaltsverzeichnis

    1 Einleitung 1

    Literatur 10

    2 Überblick zur neueren Geschichte 13

    2.​1 Vom Beginn des Unabhängigkeitsk​riegs 1821 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 13

    2.​2 Nach dem Zweiten Weltkrieg:​ Bürgerkrieg, autoritäre Demokratie, Militärjunta 19

    2.​3 Demokratische Transformation 1974 und anschließende Entwicklung 27

    2.​4 Krise und Umbruch seit 2010 33

    Literatur 42

    3 Die Rolle der politischen Kultur 47

    3.​1 Politische Kultur und politisches System 47

    3.​2 Politisches Interesse und politische Beteiligung 55

    3.​3 Nation und Religion 60

    3.​4 Bildungssystem und Geschichtsbilder​ 67

    3.​5 Alte und neue Medien 73

    Literatur 76

    4 Land, Bevölkerung, Staatsaufbau 81

    Literatur 90

    5 Zentrale Institutionen des politischen Systems 93

    5.​1 Verfassung 93

    5.​1.​1 Geschichte und Prinzipien 93

    5.​1.​2 Verfassungswirkl​ichkeit und Verfassungsänder​ung 98

    5.​2 Staatspräsident 100

    5.​3 Legislative 103

    5.​3.​1 Das Parlament:​ Allgemeine Merkmale 103

    5.​3.​2 Ausschüsse, Fraktionen, Abgeordnete 108

    5.​3.​3 Gesetzgebung 111

    5.​4 Exekutive 114

    5.​4.​1 Regierung 114

    5.​4.​2 Verwaltung 121

    5.​4.​3 Militär 128

    5.​5 Judikative 129

    Literatur 131

    6 Politische Willensbildung und Entscheidung 135

    6.​1 Parteiensystem und Parteien 135

    6.​1.​1 Geschichte und Strukturen des Parteiensystems 135

    6.​1.​2 Einzelne Parteien 141

    6.​1.​3 Perspektiven 161

    6.​2 Wahlen 163

    6.​2.​1 Wahlsystem 163

    6.​2.​2 Wahlergebnisse 165

    Literatur 174

    7 Wirtschaft, Sozialordnung und Interessenvertre​tung 179

    Literatur 187

    8 Zivilgesellschaf​t 189

    Literatur 197

    9 Grundzüge der Außenpolitik 199

    Literatur 207

    10 Schlussbetrachtu​ng 209

    Literatur 214

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019

    Gustav AuernheimerDas politische System Griechenlandshttps://doi.org/10.1007/978-3-658-26075-0_1

    1. Einleitung

    Gustav Auernheimer¹  

    (1)

    Institut für Politische Wissenschaft, Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Deutschland

    Gustav Auernheimer

    Schlüsselwörter

    GriechenlandFinanzkriseDeutsch – Griechisches VerhältnisInternationale Rolle GriechenlandsPolitisches SystemSystemtheorie

    Die Herausgeber eines Sammelbands zu den verschiedenen Aspekten von Krise und notwendiger Reformpolitik in Griechenland stellten fest, dass es das Land zwischen 2010 und 2015 neun Mal zum Titelbild der britischen Wochenzeitung „The Economist" brachte. Dabei handelt es sich um einen kleinen Staat, der nur 0,15 % der Weltbevölkerung und 0,3 % des weltweiten Bruttoinlandsprodukts umfasst. Aber es ist auch der einzige Staat, der fast aus der Euro-Zone ausgeschieden wäre (Meghir et al. 2017, S. III). Allein schon diese Tatsache zeigt, wie die griechische Problematik über die Landesgrenzen hinausreicht und die gesamte Konstruktion der Europäischen Währungsunion zum Wanken brachte. Unter dem Eindruck der Krise verstärkten sich zugleich Stereotypen, die bereits früher vorhanden waren. Sie sind häufig kulturalistisch aufgeladen und suchen die Ursachen für Fehlentwicklungen weniger in Mechanismen des internationalen Finanzkapitalismus und den realen Faktoren des Landes als in der „Mentalität. Griechenland erscheint so als „Orient im Okzident. Wenn seine Bewohner bei der „Wiedergeburt" der Antike versagt haben, können sich die Westeuropäer als legitime Erben fühlen (Zelepos 2018, S. 73–77). Sinnvoller als vermeintlich unüberwindbare Gegensätze zu suchen wäre es, die Geschichte Südosteuropas als Verflechtungs- und Globalgeschichte darzustellen, wie es in einigen neueren Arbeiten auch geschieht (Brunnbauer und Buchenau 2018; Calic 2016).

    Der aus Griechenland stammende, an der Universität Oxford lehrende Politikwissenschaftler Stathis N. Kalyvas untersuchte, worin man den originären Beitrag des Landes zur europäischen Geschichte seit dem frühen 19. Jahrhundert sehen könnte. In Anlehnung an Mark Mazower kam er auf sechs Punkte: 1) Unabhängigkeitskrieg ab 1821, der zu einer neuen Kombination von konstitutioneller Monarchie und ethnischem Nationalismus führte; 2) Bevölkerungsaustausch 1923 mit der Türkei, der als Vorbild für andere Staaten galt; 3) Frühzeitig beginnender, ausgedehnter Widerstand gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg; 4) Bürgerkrieg 1946 bis 1949 als exemplarische Frontlinie des Kalten Krieges; 5) Demokratisierung 1974 als Beginn einer Welle der Transformation in verschiedenen autoritär regierten Staaten (Kalyvas 2015, S. 6–7). Anzuführen wären noch die im 19. Jahrhundert keineswegs selbstverständliche Einführung von allgemeinem Wahlrecht, parlamentarischer Regierungsform und Pressefreiheit. Diese Punkte zeigen, dass es verkehrt wäre, die Spezifika Griechenlands nur in Negativ-Beispielen zu suchen. In einigen Fällen erwies sich das kleine Land als unerwartet innovativ.

    Das heutige Griechenland ist ein moderner westlicher Staat. Es ist nicht nur Mitglied von Europäischer Union, Euro-Zone, Schengen-Abkommen und NATO, sondern unter anderem auch der Vereinten Nationen, der OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development), der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) und des Europarats. Der „Human Development Index" zählt das Land zu den sehr hoch entwickelten. Dieser Wohlstandsindikator der UNO umfasst die drei Dimensionen Lebenserwartung, Bildungsstand und Einkommenshöhe. Im Jahre 2018 lag Griechenland auf Rang 31 von 189 Staaten (www.​hdr.​undp.​org/​en). Solche Fakten werden im Ausland leicht übersehen, vor allem aufgrund des ungeheuren „Imageschadens", den die Finanzkrise für das Land verursacht hat. Auf der anderen Seite steht, dass laut Transparency International Griechenland hinsichtlich der Korruption eher zu den Entwicklungs- als den OECD-Ländern gehört (www.​transparency.​org/​country). Wenn entsprechende Vorwürfe aus Deutschland kommen, sollte nicht vergessen werden, dass von dort aus die Korruption genährt wurde. So hat Siemens Hellas angeblich zwischen 1997 und 2002, im Vorfeld der Olympischen Spiele 2004, über 100 Mio. EUR Bestechungsgelder gezahlt für Aufträge in den Bereichen Telekommunikation und Sicherheitssysteme. Der Rüstungsfirma Ferrostal wird vorgeworfen, 230 Mio. EUR an Politiker, Beamte, Offiziere, Mittelsmänner usw. für die Bestellung von U-Booten verteilt zu haben (Xenakis und Cheliotis 2015, S. 146–147).

    Der griechische Schriftsteller Nikos Dimou veröffentlichte 2014 ein Buch mit dem Titel „Die Deutschen sind an allem schuld". Der deutsche Philhellenismus habe das heutige zwiespältige Selbstverständnis der Griechen geschaffen, ihr Schwanken zwischen Überheblichkeit und Minderwertigkeitskomplex. Winckelmann und Co. hätten die Antike quasi neu erfunden und zu einem Idealbild der Vollkommenheit verklärt. Diesem hohen Anspruch könnte kein Volk gerecht werden (Dimou 2014, S. 7–12). Für das gegenwärtige Verhältnis beider Nationen konstatiert Dimou, dass die Finanzkrise und ihre Folgen, vor allem die harten Sparauflagen des Auslands, die Einstellung gegenüber den Deutschen rapide verschlechterte, denn in ihnen sieht man allgemein die Verantwortlichen. In einer Erhebung aus dem Jahre 2005 äußerten sich 78 % der befragten Griechinnen und Griechen positiv über die Deutschen, im Jahre 2013 waren es nur noch 33 %. Auf die Frage, welchen Staaten man sich zuwenden solle, erwähnten nur 12 % Deutschland, 41 % plädierten dagegen für die einst verfemten USA. Noch höhere Werte erzielten Russland (48 %) und China (46 %). In der Krise wurde der traditionelle Antiokzidentalismus neu belebt (Dimou 2014, S. 16).

    Auch wenn der klassische Philhellenismus der Geschichte angehört, sind einzelne Spuren bis heute feststellbar, darunter solche sprachlicher Art. Noch immer bezeichnet im Deutschen „Griechisch wie selbstverständlich „Altgriechisch, während die jetzige Landessprache „Neugriechisch genannt wird. Dagegen käme wohl niemand auf die Idee, den Begriff „Neuitalienisch zu verwenden und „Italienisch für die Sprache Dantes zu reservieren. Eine wichtige Epoche bildet die sogenannte „Bayernherrschaft unter König Otto, die einen Doppelcharakter aufweist: Einerseits Fremdherrschaft durch eine absolute Monarchie, andererseits Modernisierung in verschiedenen Bereichen, von der Verwaltungs- und Rechtsordnung bis zu Wissenschaft und Kunst (Klemm 2015, S. 354–357). Für das weitgehend ungetrübte Verhältnis beider Länder bedeutete der Zweite Weltkrieg einen traumatischen Einschnitt. Zwar reflektierte die NS-Propaganda in verzerrter Form die Begeisterung für die antiken Griechen, doch nur so lange, bis deren Nachkommen anfingen, sich gegen die deutsche Besatzung zu wehren. Trotz der schweren Verluste an Menschen und Sachwerten, die Griechenland erlitt, entwickelten sich die diplomatischen, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen nach Kriegsende erstaunlich schnell (Kambas und Mitsou 2010; Schultheiß und Chrysos 2010). Die gemeinsame Einbindung im Kalten Krieg auf westlicher Seite spielte eine entscheidende Rolle. Tourismus und „Gastarbeiter bildeten seit den sechziger Jahren zwei Säulen des deutsch-griechischen Verhältnisses. Die Zahl der Griechinnen und Griechen in Deutschland stieg nach Ausbruch der Finanzkrise stark an. Doch sie und auch die länger im Lande Lebenden, teilweise sozial Aufgestiegenen, treten in Öffentlichkeit und Politik wenig hervor. Nach Ausbruch der Krise haben sie sich weder sichtbar in die Kampagne mancher deutscher Medien gegen die „Pleite-Griechen eingemischt noch zu griechischen Zeitungen Stellung genommen, die Bundeskanzlerin Merkel mit Hakenkreuz-Armbinde zeigten (Klemm 2015, S. 263).

    Bei den Fragen Bestrafung der Kriegsverbrechen und Leistung von Reparationen verhielt sich die deutsche Seite immer ausweichend. Während die erste heute durch den großen Zeitabstand erledigt ist, taucht die zweite regelmäßig auf. Deutschland war zwar zu symbolischen Gesten der Entschuldigung (Kranzniederlegung usw.) bereit, verweigerte aber den Dialog auf Regierungsebene über Wiedergutmachung der Besatzungsschäden. Die deutsche Position lässt sich unter den drei Stichworten „Verjährung, Verzicht, andere Leistungen zusammenfassen: Jahrzehnte nach Kriegsende habe das Thema seine Berechtigung verloren; Griechenland verzichtete bereits auf die aus dem Krieg stammenden Ansprüche, vor allem durch ein bilaterales Abkommen von 1960, das griechischen Staatsangehörigen, die von Verfolgung betroffen waren, 115 Mio. D-Mark zubilligte; Griechenland erhielt von Deutschland Wirtschafts- und Militärhilfe, außerdem Zahlungen im Rahmen von Europäischer Union und NATO. Die Problematik gewann seit 1990 Aktualität durch den „Vertrag über die abschließenden Regelung in Bezug auf Deutschland (Zwei-plus-Vier-Vertrag), denn Reparationsforderungen hingen laut Londoner Schuldenabkommen 1967 vom Schließen eines Friedensvertrags ab. Um einen solchen handle es sich aber bei dem Zwei-plus-Vier-Vertrag laut deutscher Seite nicht. Diese Argumentation wollten Opfer der Besatzung und deren Nachkommen nicht akzeptieren, etwa in dem Dorf Distomo bei Delphi, wo Angehörige der Waffen-SS im Juni 1944 ein Massaker angerichtet hatten. Ihre Klagen auf Schadensersatz gegen die deutsche Regierung scheiterten jedoch endgültig sowohl vor griechischen und deutschen als auch internationalen Gerichten (Karlova und Karasova 2015; Roth und Hübner (Hrsg.) 2017).

    Während der Krise machte sich in Griechenland Empörung breit, dass Deutschland quasi die Haushaltspolitik Griechenlands kontrollieren, aber selbst nicht seine Schulden bezahlen will. Das Thema wurde von der SYRIZA-Regierung ab 2015 aufgegriffen, jedoch ist fraglich, ob sie wirklich auf der Aufnahme von Verhandlungen besteht, weil sie dann einen ernsthaften Konflikt mit Deutschland heraufbeschwören würde. Neben der juristischen und politischen Seite bleibt die moralische. Mehrere Deutsche befürworteten, dass ihr Land freiwillig Reparations-Zahlungen leistet und entwickelten teilweise auch Modelle zu deren Finanzierung. So besteht der Vorschlag, die deutschen Goldreserven heranzuziehen (Roth 2015, S. 41–44). Die Realisierungschancen sind sehr gering einzuschätzen. Um die Beziehungen zu verbessern, unterstützt die Bundesregierung mehrere Projekte, die finanzielle Leistungen beinhalten, wenngleich eher bescheidenen Ausmaßes. Dazu gehören die Gründung eines Deutsch-Griechischen Jugendwerks nach dem Vorbild der Abkommen mit Frankreich und Polen, ferner der Deutsch-Griechische Zukunftsfond, für den Deutschland jährlich eine Million Euro bereitstellt, um Projekte zur Versöhnung zwischen beiden Ländern zu fördern. Schließlich ist noch die Deutsch-Griechische Versammlung zu nennen, die der Zusammenarbeit auf Gebieten wie Tourismus, Infrastruktur, Verwaltungsmodernisierung oder Kultur dienen soll (Klemm 2015, S. 367 f.). In Griechenland wird allerdings manchmal der Verdacht geäußert, dass sich Deutschland auf diese Weise billig von Reparationsforderungen freikaufen will.

    Gleich nach Beginn der Finanzkrise 2010 brachen alte Klischees vom arbeitsscheuen, korrupten Südeuropäer auf. Er wolle sich vom deutschen Steuerzahler aushalten lassen, da er selbst nur Misswirtschaft hervorbringe. Wenn diese Meinung gegenüber Griechenland stärker artikuliert wird als etwa gegenüber Spanien oder Portugal, so mag das damit zusammenhängen, dass jenes Land von der Krise am stärksten betroffen ist. Es hat aber vielleicht auch mit Überresten des Philhellenismus zu tun, die noch immer vorhanden sind. Von Griechenland wird eben doch etwas Besonderes erwartet, und entsprechend groß ist die Enttäuschung, wenn es nicht eintritt. In sprachlichen Versatzstücken der klassischen Bildung kommt das zum Ausdruck. So scheint kaum ein deutscher Journalist über die Krise in Griechenland schreiben zu können, ohne dass früher oder später das Wort „Tragödie vorkommt. Auf griechischer Seite verglichen Teile der Öffentlichkeit die Besatzung im Zweiten Weltkrieg mit der gegenwärtigen Rolle Deutschlands. Es gilt als Vormacht in der EU und hauptverantwortlich für die Griechenland auferlegte Austeritätspolitik einschließlich ihrer schmerzlichen Folgen. Das heutige „Vierte Reich praktiziere seine Herrschaft mit quasi „moderneren" Methoden, nämlich mit wirtschaftlicher statt militärischer Macht (Panagiotidis 2012). Linke Diskurse bringen die Politik der „Troika (Europäische Union, Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfond) mit Imperialismustheorien in Zusammenhang. Sie habe Griechenland in eine „Schuldenkolonie verwandelt, eine neue Form des Kolonialregimes, und kontrolliere direkt weite Teile des Staatsapparats. Die Gesamtheit der dem Land auferlegten „Fesseln gelten als „Imperial Bondage (Fouskas und Dimoulas 2017).

    Die große Medienfehde fand vor allem 2010/2011 statt und ist dann überraschend schnell abgeflaut, um bei einzelnen Ereignissen wieder aufzuflammen, wie beim drohenden „Grexit" 2015, also der vorübergehenden Gefahr eines Ausscheidens Griechenlands aus der Euro-Zone. Über Ursachen, einzelne Aspekten und soziale Folgen der Krise erschien in Deutschland während der letzten Jahre eine Reihe von Publikationen, teilweise auch polemischen Charakters. Die Politikwissenschaft hielt sich eher zurück. Zum politischen System Griechenlands liegen Aufsätze in Zeitschriften und Sammelbänden vor, darunter auch vom Autor dieses Buches. Sie werden öfters herangezogen. Es fehlt aber eine aktuelle Gesamtdarstellung, was bei der Relevanz des Themas verwundert. Die vorliegende Arbeit möchte einen Beitrag leisten, diese Lücke zu schließen. Im Folgenden sollen einige methodische Fragen angesprochen werden. Weitere theoretische Einschübe erfolgen, wo sie für notwendig erscheinen, z. B. zu Beginn des Kapitels über die politische Kultur.

    Der hier verwendete Begriff des „politischen Systems stellt eine Erweiterung gegenüber der älteren Vergleichenden Regierungslehre (comparative government) dar. Diese war vor allem Institutionenkunde und zeigte besonderes Interesse für die Ausprägungen des „Verfassungsstaates, wie Parlamentarismus und Präsidentialismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam ein Blickwinkel auf, der alle drei Dimensionen des Politischen – Form, Prozess, Inhalt – ins Auge fasste. Das soziokulturelle und -ökonomische Umfeld fand zunehmend Beachtung (Birle und Wagner 2003, S. 99–109; Schmidt 2003, S. 197–198). Hierzu zählen z. B. der Stellenwert von politischer Kultur, wirtschaftlicher Interessenvertretung oder Zivilgesellschaft. Wichtig für das Verständnis des politischen Systems war die Systemtheorie David Eastons. Er unterscheidet zwischen mehreren Dimensionen:

    1.

    Environment (Umfeld). Dies entspricht einer politisch noch nicht geformten Gesellschaft. Um politisch zu werden, muss sie ihre Bedürfnisse als Interessen artikulieren.

    2.

    Input (Eingabe). Gemeint ist die Interessenartikulation, deren Eingaben zu Druck auf das politische System führen. Akteure sind vor allem Verbände und Parteien.

    3.

    Black Box, Polity. Hier handelt es sich um das politische System im engsten Sinn, die Institutionen der Verfassung wie Parlament, Regierung usw. Die Polity verwandelt Interessen in Entscheidungen.

    4.

    Output (Ausgabe). Entscheidungen nehmen die Form von Policies an. Unter ihnen sind die einzelnen Politikfelder (Politiken) zu verstehen, die z. B. das Wahlrecht regeln, das Steuersystem ändern oder die Beziehungen zu anderen Staaten gestalten.

    5.

    Feedback (Rückkopplung) mit dem Environment, also mit der Gesellschaft. Die Outputs beeinflussen die Verteilung von Gütern und Lebenschancen (Easton 1965; Patzelt 2013, S. 228–242; Pelinka 2005, S. 16–18).

    Die sozialwissenschaftliche Systemtheorie nähert sich dem Begriff des Politischen von der Frage aus, welche Funktion Politik in einer Gesellschaft einnimmt. Das politische System wird als Subsystem des gesamten gesellschaftlichen Systems gesehen, das sich arbeitsteilig organisiert. Im Mittelpunkt steht bei dieser Theorie die Analyse der Politik und nicht ihre Beeinflussung. Die Politik hat die Aufgabe, Regeln des Zusammenlebens innerhalb der Gesellschaft aufzustellen und umzusetzen. Sie können aus unterschiedlichen Motivationen heraus begründet werden, etwa um eine bestehende Ordnung zu befestigen oder eine neue zu etablieren. Unabhängig von den Motiven beziehen sich die Handlungen des Individuums immer auf andere Menschen. Politisches Handeln ist damit soziales Handeln. Die Problematik der Definition besteht darin, dass sie sehr weit gefasst ist. Viele Lebenssituationen erfordern Regelungen, ohne dass diesen immer ein politischer Charakter zugesprochen werden kann (Schreyer und Schwarzmeier 2000, S. 16–17).

    Die Systemtheorie unterstellt den politischen Systemen ein Eigeninteresse am Überleben, aber kein inhaltliches Programm. Dieses resultiert vielmehr aus den Inputs der Gesellschaft, auf die das politische System insgesamt sowie die einzelnen Akteure reagieren. Deren Verhalten ist durch Interessen bestimmt und gilt als rational, wie in der ökonomischen „Rational Choice-Theorie. Systeme sind eher bereit, offiziell deklarierte Ziele zu opfern, als das eigene Überleben zu gefährden. Sie wandeln sich am wahrscheinlichsten, wenn es für ihre Existenz notwendig ist. Die politikwissenschaftliche Systemtheorie überträgt naturwissenschaftliche Methoden auf soziale Gegebenheiten. Dazu gehört das Konzept der Vernetzung aller Phänomene. Eine solche Sicht ist mit Denkansätzen verbunden, die aus der ökologischen Diskussion kommen, etwa Ganzheitlichkeit und Nachhaltigkeit. Politik wirkt auf die Natur und die Verteilung ihrer Ressourcen ein. Andererseits müssen sich politische Systeme geänderten Umweltbedingungen anpassen können und auf Veränderungen im „Environment reagieren. Verlieren sie ihre Adaptionsfähigkeit, dann verlieren sie auch ihre Nützlichkeit und werden durch andere Systeme abgelöst. Gemäß ihrem eigenen Anspruch ist die Systemtheorie mit anderen theoretischen Erklärungen vereinbar. Sie ist eine „Theorie über Theorien, eine „Metatheorie. Mit dieser Eigenschaft ist aber auch die Gefahr allzu großer Beliebigkeit verbunden. In ihrem hohen Abstraktionsgrad ist die Systemtheorie von der politischen Wirklichkeit sehr weit entfernt. Damit erfüllt sie die zentralen Kriterien der Überprüfbarkeit und Falsifizierbarkeit kaum (Pelinka 2005, S. 22–26).

    Um größere Nähe zur Wirklichkeit bemüht sich ein Wissenschaftsmodell, das bei Einteilungen häufig als „historisch-dialektisch" bezeichnet wird. Dem Ansatz zufolge kann jede gegebene politische Realität immer nur als Zeitabschnitt in einem dynamischen historischen Prozess verstanden werden. Die charakteristischen Eigenschaften der politischen Situation lassen sich nur aus ihrem Entstehungszusammenhang erklären und sie weisen immer über den gegenwärtigen Zustand hinaus. Die Herauslösung politischer Strukturen aus ihrem geschichtlichen Kontext und ihre Behandlung als naturähnlich gegebener Wirklichkeit muss sie daher unweigerlich verfälschen. Dialektisch ist das Wissenschaftsverständnis, weil es von der Annahme ausgeht, dass sich gesellschaftliche und politische Realität als ein spezifisches Wechselverhältnis von formgebender Gesamtstruktur und Prägung der Einzelelemente darstellt. Im Rahmen kapitalistischer Wirtschaftsstrukturen z. B. müssen alle wichtigen sozialen Erscheinungen in Hinblick auf die Dominanz dieser ökonomischen Formation interpretiert werden, zu der sie auf je eigene Weise auch wieder beitragen. Eines der wichtigsten Ziele des Ansatzes ist es, den Impuls menschlicher Emanzipation, der in jeder Gesellschaftsformation vorhanden ist, herauszuarbeiten und mit der Realität zu konfrontieren. Es wird also die Absicht verfolgt, die bestehenden Verhältnisse nicht nur zu erklären, sondern auch zu kritisieren. Die Basis bilden die in ihnen enthaltenen, aber an ihrer Entfaltung gehinderten normativen Potenziale (Habermas 1969, S. 156–170; Meyer 2010, S. 25–26).

    Im Folgenden steht eher dieser Ansatz im Mittelpunkt als der zunächst vorgestellte systemtheoretische. Dem hohen Stellenwert der historischen Voraussetzungen trägt das – nach der Einleitung – zweite, relativ umfangreiche Kapitel Rechnung. Es setzt mit dem Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges 1821 ein, also mit dem Jahr, das für die neuere griechische Geschichte das Ausgangsdatum bildet wie für die amerikanische das Jahr der Unabhängigkeitserklärung 1776 oder die französische das des Revolutionsbeginns 1789. Nach einem Abriss für die Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg orientiert sich die Darstellung dann an den wichtigsten Ereignissen der Folgezeit: Bürgerkrieg 1946 bis 1949, Militärdiktatur 1967 bis 1974, Krise seit 2010. Die Wiederherstellung der Demokratie 1974 markiert die entscheidende Zäsur für das späte 20. Jahrhundert, den Beginn einer jetzt über vierzigjährigen Phase der Stabilität, die in der Krise erschüttert, aber nicht zerstört wurde. Ebenfalls ausführlich ist das dritte Kapitel zur politischen Kultur gehalten. Deren Wichtigkeit für das politische System bildet das Thema der beiden ersten Unterkapitel, wo es um das notwendige Wechselverhältnis zwischen Einstellungen und Verhaltensweisen einerseits und dem institutionellen Rahmen für die Beteiligung am öffentlichen Leben andererseits geht. Dieses Wechselverhältnis gewinnt in einzelnen Bereichen von Politik und Gesellschaft konkrete Gestalt, wofür hier Bildungssystem und Medien stehen. Als spezifisch griechisch kann die enge Beziehung von Nation und Religion gelten, die deshalb näher betrachtet wird.

    Außer Geschichte und politischer Kultur beeinflussen u. a. geografische, demografische und territoriale Faktoren die Möglichkeiten politischen Handelns. Das vierte Kapitel steht gewissermaßen unter dem Motto „Land und Leute". Es behandelt die Gliederung des Landes, zunächst die natürliche und dann die politische. Die erstere ist durch starke Zersplitterung gekennzeichnet, was vor allem der in Europa einmalig hohen Zahl von Inseln geschuldet ist; die zweite durch das Bemühen, dadurch bedingte Partikularismen durch zentralistische Staatsorganisation zu überwinden. Dieser Tendenz steht vor allem seit Beginn der EWG- bzw. EU-Mitgliedschaft eine Gegenbewegung zur Regionalisierung gegenüber, die bisher allerdings nur bedingt erfolgreich war. Die Bevölkerung ist ein weiteres Thema dieses Kapitels. Dazu gehören ihre Verschiebungen, worunter der Austausch mit der Türkei 1923 und die starke Land-Stadtwanderung nach dem Zweiten Weltkrieg die wichtigsten darstellten, außerdem die Rolle von Minderheiten. Wurden bisher schon mehrere Rahmenbedingungen der Politik angesprochen, so umfasst das fünfte Kapitel die zentralen Institutionen des politischen Systems und damit den Kern des Polity-Sektors: Verfassung, dargestellt in Grundprinzipien und aktuellen Diskussionen zu ihrer Änderung; Staatspräsident; Legislative, also das Parlament mit Ausschüssen, Fraktionen, einzelnen Abgeordneten und der Gesetzgebung als herausragender Aufgabe; Exekutive, unterteilt in Regierung, Verwaltung; Militär; schließlich die Judikative.

    Das sechste Kapitel ist den Akteuren und Prozessen der Politik gewidmet, den „Politics. Entsprechend ihrer Bedeutung für die modernen Demokratien stehen hier die Parteien an erster Stelle. Zunächst wird das Parteiensystem behandelt, die Gesamtheit der Parteien und ihr gegenseitiges Agieren. Die seit Wiederherstellung der Demokratie 1974 im Parlament vertretenen Parteien kommen dann zum Zuge. Besonderes Gewicht liegt auf den beiden Parlamentswahlen des Jahres 2012, die den Zusammenbruch des bisherigen Parteiensystems bedeuteten, das auf der abwechselnden Regierungsausübung von konservativer „ND und sozialistischer „PASOK" beruhte. In enger Verbindung zu den Parteien stehen die Wahlen, sowohl das Wahlsystem als auch die Ergebnisse seit 1974 und vor allem bei den beiden Doppelwahlen 2012 und 2015.

    Das siebte Kapitel enthält sowohl Polity- als auch Politics-Elemente. Wirtschafts- und Sozialordnung begrenzen die Möglichkeiten politischen Handelns und werden wiederum selbst von den Akteuren beeinflusst. Auf diesem Feld sind neben Parteien vor allem Verbände tätig. Als wichtigstes Beispiel ökonomischer Interessenvertretung untersuchen wir Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, außerdem kommt der in Griechenland lange Zeit wichtige Staatsinterventionismus zur Sprache. Das achte Kapitel behandelt die nicht-ökomische Interessenvertretung. „Zivilgesellschaft ist hier der Schlüsselbegriff. Er wird in einigen Aspekten beleuchtet: Theoretische Konzepte, Entstehung und Entwicklung im Fall Griechenland, Probleme während der Krise, Frauenbewegung. „Grundzüge der Außenpolitik lautet das Thema des anschließenden neunten Kapitels. Es ist kurz gefasst, da es mit dem Kernthema des Buches nicht direkt zu tun hat. Überhaupt kommt der Policy-Bereich aus Platzgründen eher knapp weg. Einzelne Politikfelder werden aber zumindest kurz an verschiedenen Stellen des Buches angeschnitten. Ebenso verstreut sind die Ausführungen zur Krise seit 2010, was durch ihre „Allgegenwärtigkeit" als gerechtfertigt erscheint. Am Ende stehen einige Schlussbetrachtungen, dazu als Nachtrag aktuelle Ereignisse, die bei Niederschrift des Manuskripts noch nicht eingetreten waren.

    Literatur

    Birle, Peter/ Christoph Wagner (2003). Vergleichende Politikwissenschaft: Analyse und Vergleich politischer Systeme, in: Mols, Manfred et al. (Hrsg.), Politikwissenschaft: Eine Einführung. Paderborn et al.: Schöningh UTB, 4., aktualisierte und verbesserte Aufl., S. 99–134.

    Brunnbauer, Ulf/ Klaus Buchenau (2018). Geschichte Südosteuropas. Stuttgart: Reclam.

    Calic, Marie-Janine (2016). Südosteuropa: Weltgeschichte einer Region. München: C. H. Beck.Crossref

    Dimou, Nikos (2014). Die Deutschen sind an allem

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