Das Gären im Volksbauch: Warum die Rechte immer stärker wird
Von Walter Hollstein
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Walter Hollstein
Dr. Walter Hollstein ist Professor für politische Soziologie in Berlin.
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Das Gären im Volksbauch - Walter Hollstein
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Verlag und Autor danken der Gemeinde Biel-Benken für die Unterstützung dieses Buches.
© 2020 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG
Der Text des E-Books folgt der gedruckten 1. Auflage 2020 (ISBN 978-3-03810-477-3)
Lektorat: Ulrike Ebenritter, Giessen
Titelgestaltung: TGG Hafen Senn Stieger
Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck
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ISBN E-Book 978-3-03810-483-4
www.nzz-libro.ch
NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.
Inhalt
Vorbemerkung: Der Gang der Dinge
Einleitung: Keine angenehmen Zeiten. Zur Diagnose der Gegenwart
I Überall Durcheinander
Auf nichts ist Verlass. Der Verlust des Selbstverständlichen
Gärungsprozesse im Volksbauch. Ein Unbehagen outet sich
Zu Hause heimatlos? Wie Umgebung fremd wird
Explosion des Fremden. Wie Flüchtlinge die Gesellschaft verändern
Zwischen gestern und morgen. Der neue Geschwindigkeitstakt des sozialen Wandels
Viel zu viel und trotzdem mehr. Optimierungszwänge der Gegenwart
Abschied aus Einsicht? Über Selbsttötungen aus Epochenverzweiflung
II Verwischte Grenzen
Politik ohne Volk. Die schleichende Entmachtung des Souveräns
Mutter Staat
Die soziale Frage in neuer Gestalt
Das Ende der Scham
Explosion der Gewalt. Wie sich unser Alltag verändert
Der entwertete Mann
Der etwas andere Aufschrei. «Male bashing» und die Folgen
Spaltpilze. Die Folgen der Identitätspolitik
III Neu-alte Orientierungen
Warum die Rechte immer stärker wird
Der Blick zurück. Eine andere Welt
Glück ist keine Glückssache
Licht in der Liebesverwirrung
Mut und Charakter in der verkehrten Welt. Was es für die Zukunft braucht
Bibliografie
Über den Autor
Vorbemerkung: Der Gang der Dinge
Die Welt ist in Aufruhr. Immer häufiger bricht der Ausnahmezustand in den Alltag ein, und diese Erfahrung droht zur Normalität zu werden. Man geht über den Weihnachtsmarkt und gerät in einen Amoklauf; man steht auf dem Bahnsteig und wird unter den Zug gestossen; man ist auf einem Spielplatz und tritt auf eine blutige Kanüle, die sich dann im Spital als HIV-positiv erweist. Die Welt scheint aus den Fugen oder ist es sogar. Wirklichkeit hat sich in kürzester Zeit radikal verändert. Nichts ist mehr, wie es war. Viele Menschen sehen sich in Unsicherheit, Angst, aber auch in Wut und Frustration, wie viele Untersuchungen mannigfach belegen. Besorgniserregend für den Gesamtzustand des Gemeinwesens ist dabei vor allem das Verschwinden des Vertrauens in Institutionen, Verbände, Politik und Gesellschaft. Viele haben das Gefühl, nicht mehr dazuzugehören. Das führt sozial und politisch zu starken Verwerfungen, zu Unordnung in der Politik und zur sozialen Segmentierung.
So sprechen denn Diagnostiker von einer Zeitenwende oder einem epochalen Umbruch. In einer Anthologie über die geistige Situation der Zeit resümiert der Politologe Ivan Krastev, dass wir uns in einer «Kehrtwende» befänden. «Die nach 1989 entstandene Welt löst sich auf, und der dramatischste Aspekt dieser Transformation ist nicht der Aufstieg autoritärer Regime, sondern die Veränderung demokratischer Systeme in vielen westlichen Ländern.» Der kontinuierliche Weg zum Fortschritt und zur friedlichen Weltgesellschaft – wie über Jahrzehnte als nachgerade selbstverständlich prognostiziert – ist nicht nur unterbrochen, sondern offensichtlich sogar rückläufig: Involution statt Evolution.
Zukunftsdiskussionen, grosse Pläne, Utopien gehören der Vergangenheit an. Der amerikanische Philosoph Michael J. Sandel notiert, dass es in den meisten demokratischen Gesellschaften Politikern und politischen Parteien nicht mehr gelingt, grosse und allgemein bedeutsame Fragen aufzugreifen – insbesondere Fragen, die Ethik und Werte betreffen und unser aller Perspektiven. Dementsprechend – so Sandel – sei es ein auffälliges Merkmal des heutigen Lebens, dass die Bürger fast überall – und aus guten Gründen – von der Politik frustriert sind. Zukunft ist nun weithin negativ besetzt; an der Universität Cambridge gibt es sogar ein Institut, das sich mit dem Ende der Menschheit beschäftigt. Angesichts dessen sehen einflussreiche Intellektuelle wie zum Beispiel Noam Chomsky nur noch die krasse Alternative von Kampf oder Untergang – so der Titel seines neusten Buches.
Der Wind hat sich gedreht – und er weht nicht mehr von links. In der Aktualität sind mittlerweile die rechten Parteien. Das war vorbereitet und wird begleitet vom Aufstieg konservativen Denkens. Ein Mentalitätswandel wird konstatiert, der von einer erstaunlichen Vergangenheitsorientierung geprägt ist. Diese Nostalgie lässt sich erklären über den Mangel an Zukunftsentwürfen und über die Hilflosigkeit vor Katastrophenszenarien unvorstellbaren Ausmasses. Letztere betreffen demografische Prognosen, die vor einer «Muslimisierung» von innen ebenso warnen wie vor einer «Völkerwanderung» von aussen. Hinzufügen muss man die zu erwartenden Turbulenzen aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung.
Am bedrohlichsten erscheint der Klimawandel. Er bewirkt, dass gegenwärtig eine Million Arten vom Aussterben bedroht sind. Satellitenbilder zeigen im Juli 2019 ungeheure Brände in der Arktis. Wenn aber das Eis erst einmal geschmolzen ist, beginnt der Nordpol die Erde aufzuheizen, statt sie zu kühlen. David Wallace-Wells hat in seinem Buch The Uninhabitable Earth zu beschreiben versucht, was dieses Szenario bedeutet: Hitzetod in den Städten; Kollaps der Lebensmittelversorgung; Massenflucht vor den Überschwemmungen der Küsten.
Der Innenblick auf die Gesellschaft dokumentiert die Erosion von Zusammenhalt und Solidarität. David Goodhart hat in seinem aufsehenerregenden Buch The Road to Somewhere über die englische Gesellschaft einen tiefen Riss konstatiert. Er trennt die Menschen in Anywheres und Somewheres. Anywheres sind die «metropolitans», kosmopolitisch, häufig Expats, heute hier und morgen da; sie definieren sich nicht mehr über nationale Grenzen oder regionale Gemeinsamkeiten; ihre Identität erwächst einzig aus ihren internationalen Biografien, individuellen Fähigkeiten und den wechselnden Anforderungen des globalen Marktes. Somewheres sind die «Alteingesessenen», die noch auf Heimat und Vaterland pochen, traditionalistisch sind und «verwurzelt» – nicht nur in der «Scholle», sondern auch in den althergebrachten Sitten und Gemeinsamkeiten. Nicht nur Goodhart, sondern auch James David Vance oder Mark Lilla und Russell Hochschild schildern den Dünkel der Anywheres gegenüber den Somewheres, das Fehlen von Empathie, Verantwortung und Anerkennung der Ersteren für die Letzteren. Hillary Clinton hat diese Menschen als «deplorables», als erbärmliche, bezeichnet. Emmanuel Macron hat sich schnöselig über sie lustig gemacht. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung belegt, dass die Angst vor einer weiteren Spaltung der Gesellschaft inzwischen weitaus grösser ist als die vor einer Zunahme von Kriminalität und Terror. Das gilt auch für andere Staaten: Weltweit sorgt sich eine grosse Mehrheit um den Verlust des einstigen Gefühls von Zusammengehörigkeit und gemeinsamer Verantwortung. Chantal Mouffe ortet eine «tiefe Unzufriedenheit mit der bestehenden Ordnung».
«Die Leute glauben nicht mehr, was die Medien und herrschenden Parteien ihnen vorlügen», heisst es in einem Internet-Beitrag. «Zwar kann die Regierung versuchen, die Demonstrationen zu verbieten und zur Not alles niederzuknüppeln, aber das wird ein Bumerang. Die meisten wollen ihr Land zurück und in ihrem Land nach ihren Vorstellungen leben.» Pankaj Mishra spricht vom «Zeitalter des Zorns», und David Goodhart bemerkt pointiert, dass der Populismus als Erfolgsmodell die alte Sozialdemokratie abgelöst habe. Grundsätzlich lässt sich ein Malaise an der gegenwärtigen Politik benennen, das nicht einfach in Schubladen von Rechtsextremismus, Faschismus gar, Rassismus oder Pöbelei versorgt werden darf. Alles Unerwünschte wird heutzutage schnell mit solchen Etiketten des Unanständigen versehen, damit man es gar nicht erst überprüfen und diskutieren muss. Die so Gescholtenen lassen sich dann leicht ausgrenzen. Tatsächlich ist in den vergangenen Jahren die Political Correctness immer enger gezogen worden.
Grundsätzlich gilt es festzustellen, dass etwas, das als rechts etikettiert wird, nicht a priori schlecht sein muss, nur weil ihm diese Etikette aufgestülpt wurde. Genauso wenig, wie per se gut ist, was sich als links geriert. Erst sollten die Inhalte daraufhin geprüft werden, ob sie vorwärts- oder rückwärtsgewandt sind. Wobei sich dann heute wiederum die Frage stellt, ob angesichts der gegebenen Verhältnisse rückwärtsgewandt nicht sogar vorwärtsgewandt sein kann. In dieser für den Einzelnen so intransparent gewordenen Welt von heute stiftet Rückbesinnung offenbar Orientierung für viele.
Umgekehrt – so monieren einige zeitkritische Autoren – befördern fatalerweise vor allem Bewegungen, die sich selber als fortschrittlich ausgeben, wie zum Beispiel der Feminismus oder die «Multikultis», jene gesellschaftlichen Trends, die ganz im Sinne der globalisierten «Kapitalkräfte» sind. Letztlich stehen sie damit im Einklang mit dem Neoliberalismus, den sie zu bekämpfen vorgeben. Das ist wohl bedenkenswert, auch wenn es sich wenig nett liest.
Mit Sicherheit wird man genau hinschauen müssen, was legitime Kritik ist, wo sich das mit Rassismus vermischt oder dahin gänzlich abgleitet. Wer Konzentrationslager fordert, Hitler lobt oder rassistische Muster vertritt, muss Nazi oder Faschist genannt werden und ist rechtsextrem; wer für traditionelle Werte einsteht wie Fleiss und Anständigkeit, möchte, dass seine Heimat nicht verschandelt wird, und für nationale Grenzen votiert, mag für den liberalen Zeitgeist rechts sein, ist aber de facto einfach konservativ. Etikettierungen werden heute aus einem liberalisierten Milieu heraus vorgenommen, das einigermassen autoritär dekretiert, was nun angeblich richtig ist und was falsch. Richtig sind in diesem Verständnis Globalisierung, offene Märkte und noch offenere Grenzen, Kosmopolitismus, Diversität, Multikulturalismus, unfixierte Beziehungen bis zur Polyamorie, Lob des Seitensprungs, gleichgeschlechtliche Ehe, Gender Mainstreaming – um nur gerade einiges zu benennen.
Zu den diffamatorischen Etiketten zählt seit Kurzem auch der Begriff des Populismus. Laut Duden ist Populismus eine «von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen […] zu gewinnen». Das allerdings dürfte auch für fast alle Parteien gelten, für Greta Thunberg, für Boris Johnson und Donald Trump allemal. Eine Prise Populismus – so monieren Kritiker – gehöre zu jeder erfolgreichen Politik. Zudem ist der Begriff analytisch wenig hilfreich. Selbst definitionseifrige Institutionen wie die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung kapitulieren vor einer genauen Begriffsbestimmung. Dass Populismus ein so vieldeutiger Begriff ist, findet indes Oliver Decker richtig prima: «Gerade das könnte ihn zu einem analytisch starken Begriff machen, denn der Gegenstand, den er beschreibt, ist selber schillernd.» Wie das nun gehen soll, verrät Decker allerdings nicht.
Sinnvoller ist, sich weniger an diesem Begriff zu orientieren als an den Ursachen, die den Begriff so gängig gemacht haben. Cornelia Koppetsch meint in einer der wenigen sachlichen Studien zum Thema – trotz der vielen nachgewiesenen Plagiate –, dass der Aufstieg des Populismus eine aus «unterschiedlichen Quellen gespeiste Konterrevolution gegen die Folgen der Moderne» ist. Koppetsch im Übrigen verzichtet auf eine Definition des Begriffs, obwohl ihr Buch ihn im Titel trägt. Der vorliegende Text verwendet ihn erst gar nicht.
Was in der Debatte bisher nicht so bedacht wurde, ist der Tatbestand, dass über die sozialen Medien neue Dimensionen der Autonomie entstanden sind – in Form einer Gegenöffentlichkeit und direkten Dauerkommunikation von unten. Niklaus Nuspliger notiert, dass je weiter sich Digitalisierung, Datenökonomie und künstliche Intelligenz entwickelten, desto grösser werde das demokratische Potenzial der Bürger.
Diese neue Realität ist in diesem Buch zur Kenntnis genommen worden in Form von Leserbriefen, «hate speech» oder Tweets. Zudem wurde über diese «Kanäle» der Alltag systematisch beobachtet, aber auch über die Berichterstattung von Tageszeitungen und Periodika. Das ist eine Facette des Versuchs, das Phänomen vielfältigen Protests von unten zu verstehen statt über elaborierte Theorien und moralisierende Belehrungen.
Dem Band liegen einige Hundert Gespräche zugrunde, geführt vor allem in Deutschland, der Schweiz und Österreich, spontan in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Kneipen, auf Parkbänken, im Café. Nach solchen Anfangskontakten wurde der informelle Austausch mit Personen, die interessiert waren, fortgesetzt und zum Teil mit «Tiefeninterviews» zur Bestätigung ergänzt. Erlebtes wurde eingearbeitet, auch biografisch Erfahrenes. Dieser subjektive Faktor bleibt nicht isoliert, sondern wird mit dem Zustand der bestehenden Gesellschaft in Verbindung gesetzt, wobei dann auch auf aktuelle Gesellschaftstheorien rekurriert wird. So entsteht eine einigermassen verlässliche Diagnose der Gegenwart.
Wahrheit sitzt nicht unbedingt am Ort des Geschehens, sondern zumeist in viel weiteren Zusammenhängen. Das bemerkt Pierre Bourdieu in seinem dickleibigen Band über das Elend der Welt. Es ist wohl in diesen Tagen schwieriger geworden «Wahrheit» zu definieren und zwischen «Wahrheit» und «Unwahrheit» zu unterscheiden; auch was «fake» ist, gibt sich ja als «wahr» aus. Werner Seppmann prangert von marxistischer Seite das «manipulierte Bewusstsein» an und spricht im Rückgriff auf Georg Lukácz vom «Manipulationszeitalter». Insofern ist diese Studie bemüht, sich an die Empirie zu halten.
Einleitung: Keine angenehmen Zeiten. Zur Diagnose der Gegenwart
Wo stehen wir? Das ist in unseren Tagen nicht einfach zu definieren. Schon 1985 hatte Jürgen Habermas von der «neuen Unübersichtlichkeit» geschrieben. 2017 konstatiert der Münchner Soziologe Ulrich Beck in seinem nachgelassenen Werk Metamorphose der Welt unser generelles Unverständnis gegenüber der radikal verwandelten Wirklichkeit. Die traditionellen Begriffe reichten nicht mehr aus, um die soziale Welt zu verstehen. Schaut man sich in der sozialwissenschaftlichen Literatur der Gegenwart um, gibt es dazu kaum Widerspruch. Auf nichts scheint mehr Verlass. Der Verlust alter Selbstverständlichkeiten ist ubiquitär. Uns fehlt die Orientierung, ein Kategoriensystem dazu, die Hermeneutik.
Das ist auch die Diagnose von Zygmunt Bauman, der vor Kurzem – 92-jährig – in seiner Wahlheimat Leeds verstorben ist: «Wir haben heute das Gefühl, dass alle Hilfsmittel und Kunstgriffe zur Bekämpfung von Krisen und Gefahren, die wir bis vor kurzer Zeit noch für wirksam oder gar narrensicher hielten, ihr Verfallsdatum erreicht beziehungsweise überschritten haben. Und uns schwebt kaum noch etwas oder eigentlich gar nichts mehr vor, das an ihre Stelle treten könnte. Die Hoffnung, den Lauf der Geschichte unter die Vormundschaft des Menschen stellen zu können, ist mitsamt den sich aus ihr ergebenden Bestrebungen so gut wie verschwunden.» Also eine allgemeine geistige Müdigkeit, keine Fantasie mehr, sich Lösungen vorzustellen, eine Gesellschaft ohne Utopie, geistige Lethargie, stattdessen fleissige Ablenkung, um sich den entscheidenden Fragen nicht stellen zu müssen.
Vergangenheit ist wieder in; Nostalgie statt Utopie. Fünfhundert Jahre nachdem «Thomas Morus dem jahrtausendealten Menschheitstraum von der Rückkehr ins Paradies […] den Namen ‹Utopia› gegeben hat», sei von visionärem Denken im positiven Sinn wenig übrig geblieben. Vielmehr dominiere das Rückwärtsgewandte, das Bauman im Begriff der «Retrotopia» fasst. Damit meint er «Visionen, die sich anders als ihre Vorläufer nicht mehr aus einer noch ausstehenden und deshalb inexistenten Zukunft speisen, sondern aus der verlorenen/geraubten/verwaisten, jedenfalls untoten Vergangenheit.» Das hat Folgen: Wenn utopisches Denken fehlt, verlieren wir die Richtschnur, an der wir Wirklichkeit messen können, ihre Qualität oder ihre Nichtigkeit. «Offensichtlich – und daher zum erheblichen Schaden unseres Selbstvertrauens, Selbstbewusstseins und Stolzes – sind wir nicht diejenigen, die die Gegenwart bestimmen, aus der die Zukunft hervorgehen wird – und haben deshalb erst recht wenig bis gar keine Hoffnung, diese Zukunft in irgendeiner Weise kontrollieren zu können. […] Welche Erleichterung ist es da, aus dieser undurchschaubaren, unergründlichen, unfreundlichen, entfremdeten und entfremdenden Welt voller Falltüren und Hinterhalte in die vertraute, gemütliche und heimatliche […] Welt von Gestern