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Quantensinn und Quantenunsinn: Determinismus, Lokalität und offene Fragen der Quantenmechanik
Quantensinn und Quantenunsinn: Determinismus, Lokalität und offene Fragen der Quantenmechanik
Quantensinn und Quantenunsinn: Determinismus, Lokalität und offene Fragen der Quantenmechanik
eBook587 Seiten5 Stunden

Quantensinn und Quantenunsinn: Determinismus, Lokalität und offene Fragen der Quantenmechanik

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Über dieses E-Book

Mit diesem Buch entwirrt Jean Bricmont die vermeintlichen Rätsel und Mysterien der Quantenmechanik und erklärt Laien die Grundprinzipien der Quantentheorie. Dabei unterstreicht er auf unterhaltsame Art deren paradoxe Natur und entwirrt die unglaubliche Menge an Fehlvorstellungen, Pseudowissenschaft und falscher Philosophie, die viele populäre Diskussionen zur Quantenmechanik begleiten.

Mit möglichst wenig Mathematik und Fachsprache, liefert er den Leserinnen und Lesern Antworten auf die wichtigsten konzeptionellen Fragen, die mit der Quantenmechanik verbunden sind:

·         Die Frage des Determinismus: Läutet die Quantenmechanik das Ende einer deterministischen Weltansicht ein? Erklärt oder rechtfertigt sie den „freien Willen“?

·         Die Rolle des "Beobachters" in der Wissenschaft: Welche Rolle spielt der Mensch als Subjekt und Beobachter im physikalischen Prozess?

·         Die Frage der Lokalität: Sagt die Quantenmechanik, dass es in der Natur „spukhafte Fernwirkungen“ gibt? Und steht das nicht im Gegensatz zur Aussage der Relativitätstheorie, dass sich nichts schneller als das Licht bewegen kann?

Das Buch gibt keine endgültigen Antworten auf diese Fragen, sondern eröffnet mögliche Lösungen, die in der wissenschaftliche Gemeinschaft immer noch diskutiert werden und jenseits dessen liegen, was in üblichen Vorlesungen und populären Büchern über Quantenmechanik zu hören ist.

SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum13. Juni 2018
ISBN9783662567708
Quantensinn und Quantenunsinn: Determinismus, Lokalität und offene Fragen der Quantenmechanik
Autor

Jean Bricmont

Jean Bricmont is a theoretical physicist with the Université de Louvaine in Belgium.

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    Buchvorschau

    Quantensinn und Quantenunsinn - Jean Bricmont

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018

    Jean BricmontQuantensinn und Quantenunsinnhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-56770-8_1

    1. Welche Fragen wirft die Quantenmechanik auf?

    Jean Bricmont¹  

    (1)

    Marc De Hemptinne, Université Catholique de Louvain, Louvain-la-Neuve, Belgien

    Jean Bricmont

    Email: jean.bricmont@uclouvain.be

    Dieses Buch gehört zwar zur Kategorie der populären Sachbücher über Physik, sein Hauptziel ist aber eher kultureller als naturwissenschaftlicher Art. Ich will mit ihm versuchen, Laien die Grundprinzipien der Quantentheorie zu erklären, dabei aber auch deren paradoxe Natur unterstreichen und vor allem die unglaubliche Menge an Konfusion, Pseudowissenschaft und schlechter Philosophie entwirren, die die meisten populären Diskussionen der Quantenmechanik begleiten.

    Dabei werden wir aber auch mit ganz tiefen Fragen konfrontiert, die unser Verständnis der Welt und unseres Platzes in ihr betreffen. Die erste dieser tiefen Fragen, nämlich die Frage, was Quantenmechanik eigentlich ist, lässt sich noch einfach beantworten: Es ist die Theorie der elementarsten Grundbausteine der Materie – Atome oder Elektronen – und der Strahlung. Die Theorie entstand um 1900 und wurde in den späten 1920ern formal ausgearbeitet. Sie hat zu den spektakulärsten exakten Vorhersagen geführt, die je in den Naturwissenschaften erzielt wurden: Einige experimentelle Ergebnisse stimmen mit den theoretischen Vorhersagen auf eins zu einer Milliarde überein. Die Theorie ist die Grundlage der gesamten modernen Elektronik und Telekommunikation, sie erklärt die Stabilität der Atome und der Sterne und bildet die Grundlage der gesamten Elementarteilchenphysik, der Festkörperphysik, der Chemie und damit im Prinzip auch der Biologie. Sie ist wirklich die fundamentalste Theorie der Natur, die wir haben. Um aber den berühmten amerikanischen Physiker Richard Feynman zu zitieren, der 1965 den Nobelpreis für Physik erhielt: Seiner Meinung nach ist es so, dass „niemand die Quantenmechanik versteht". [79, S. 160]. ¹

    Während die Quantenmechanik mit ihren Vorhersagen und den praktischen Anwendungen auf überwältigende Weise erfolgreich ist, hat sie parallel dazu auch eine Karriere im weiten Reich der Spekulation gemacht. Es wurde nicht nur behauptet, die Quantenmechanik beweise die Existenz Gottes, des freien Willens und des Lebens nach dem Tod, sondern auch, sie könne beweisen, dass es Telepathie und einen direkten Einfluss des Geistes auf die Materie gibt. Es gibt inzwischen eine „Therapie, die sich „Quantenheilung nennt, die Quantenmechanik wurde mit der Psychoanalyse Jungs ebenso verbunden wie mit dem Vitalismus, allen möglichen New-Age-Glaubensrichtungen, dem östlichen Mystizismus , der Dialektik von Hegel oder Marx und allen möglichen anderen Denksystemen (siehe dazu Kap. 11).

    Die meisten Physiker lehnen zwar diese Verbindungen als unwissenschaftlich ab, aber es gibt keinen Mangel an Berühmtheiten unter ihnen wie Niels Bohr , Werner Heisenberg und viele ihrer Schüler, die den Anspruch erheben, die Quantenmechanik signalisiere das Ende der „objektiven Realität", und nach der Geburt der Quantenmechanik befasse sich die Physik nicht länger mit der Realität, sondern nur mit „unseren Kenntnissen von ihr. Ich werde ihre Sichtweise, die nach Kopenhagen, der Heimat Bohrs, benannte „Kopenhagener Deutung oder „Kopenhagener Interpretation " weiter unten behandeln. Es spukt auch eine weit verbreitete Ansicht herum, dass dank der Quantenmechanik eine Katze zur gleichen Zeit lebendig und tot sein kann.

    Eine Anzahl Physiker behauptet, dass aus der Quantenmechanik die Existenz von Multiversen folgt, die sich endlos fortsetzen und in denen Kopien von uns ein „paralleles" Leben führen, ohne voneinander zu wissen. Nach einer weiteren oft geäußerten Annahme zeigt die Quantenmechanik, dass die deterministische Weltsicht der klassischen Physik nicht länger zu halten ist. ²

    Um Ihre Lust zur Lektüre zu wecken, will ich mit einigen Zitaten von berühmten Physikern beginnen, die sich zu der Frage geäußert haben, was die Quantenmechanik insbesondere für das Verschwinden der „objektiven Realität" bedeutet. Natürlich muten die Zitate zunächst fremd an, ich werde aber später erklären, was dahintersteckt.

    Werner Heisenberg, einer der Gründerväter der Quantenmechanik, schrieb, dass die

    Vorstellung einer objektiven, realen Welt, deren kleinste Teile in der gleichen Weise objektiv existieren wie Steine und Bäume, gleichgültig, ob wir sie beobachten oder nicht, […] unmöglich oder jedenfalls wegen der Natur der atomaren Erscheinungen nicht vollständig möglich [ist] (Werner Heisenberg [100, S. 186]).

    Er ergänzte an anderer Stelle,

    dass die Naturgesetze, die wir in der Quantenmechanik mathematisch formulieren, nicht mehr von den Elementarteilchen an sich handeln, sondern von unserer Kenntnis der Elementarteilchen (Werner Heisenberg [101, S. 12]).

    Die Ansichten von Niels Bohr, dem Mitbegründer der Kopenhagener Deutung , hat Aage Petersen , der viele Jahre Assistent von Bohr war, so charakterisiert:

    Wenn Bohr gefragt wurde, ob man den Algorithmus der Quantenmechanik als etwas ansehen könnte, das eine ihm zugrunde liegende Quantenwelt widerspiegelt, antwortete er: „Es gibt keine Quantenwelt. Es gibt nur eine abstrakte physikalische Beschreibung. Es ist falsch zu denken, dass es die Aufgabe der Physik ist, herauszufinden, was die Natur ist. Die Physik befasst sich damit, was wir über die Natur sagen können." (Aage Petersen [150, S. 12]).

    Der deutsche Physiker Pascual Jordan , der in den frühen Tagen der Quantenmechanik äußerst wertvolle Beiträge zu ihr lieferte, beharrte darauf, dass wir, wenn wir den Ort eines Elektrons bestimmen, „das Elektron zu einer Entscheidung zwingen. Wir zwingen es, einen definierten Ort anzunehmen: vorher nämlich war es im Allgemeinen weder hier noch dort; es hatte sich noch gar nicht für einen bestimmten Ort entschieden." [109, S. 226 f.]. Jordan traf eine ähnliche Aussage auch über die Geschwindigkeit.

    Der amerikanische Physiker John Archibald Wheeler , der mit Bohr zusammengearbeitet hatte und sowohl zur Kernphysik wie zur Kosmologie Beiträge lieferte, ist für die folgende Aussage berühmt: „Kein elementares Phänomen ist ein Phänomen, bevor es ein registriertes (beobachtetes) Phänomen ist. [200, S. 192]. Er schrieb auch: „Denn solange sie nicht festgehalten ist, ist die Vergangenheit nicht wirklich Vergangenheit. Oder anders gesagt, solange sie nicht in der Gegenwart registriert ist, hat die Vergangenheit keine Bedeutung oder keine Existenz. [47, S. 85]. ³

    Eugene Wigner , der 1963 zusammen mit anderen den Nobelpreis für Physik für seine Beiträge zur Quanten- und Kernphysik erhielt, unterstrich, dass es „nicht möglich ist, die Gesetze der Quantenmechanik in einer völlig konsistenten Weise ohne Bezug zum Bewusstsein zu formulieren". [205; 201, S. 169].

    Der amerikanische Physiker David Mermin , Professor an der Cornell-Universität, der für seine Arbeiten über statistische Physik und die Physik der kondensierten Materie bekannt ist, hat auch zahlreiche Beiträge zu den Grundlagen der Quantenmechanik geliefert. Er schrieb 1981: „Wir wissen jetzt nachweislich, dass der Mond nicht da ist, wenn niemand hinschaut." [124, S. 397].

    Nicht alle waren mit der Kopenhagener Deutung einverstanden. Vor dem Zweiten Weltkrieg zählten Albert Einstein und Erwin Schrödinger zur ihren berühmtesten Kritikern.

    Einstein nannte Bohr in einem Brief an Schrödinger einen „talmudistischen Philosoph oder „Talmudiker, der auf die „‚Wirklichkeit‘ als auf einen Popanz der Naivität pfeift [66d; 192a, S. 538]. Einstein hat Bohr auch als „Mystiker, der ein Fragen nach etwas unabhängig vom Beobachteten Existierenden […] überhaupt als unwissenschaftlich verbietet bezeichnet [66f; 192a, S. 607].

    Schrödinger wiederum klagte in einem Brief an Wilhelm Wien: „Bohrs […] Einstellung zu den Atomproblemen […] ist wirklich merkwürdig. Er ist vollkommen überzeugt, daß ein Verständnis im gewöhnlichen Sinne des Wortes unmöglich ist." [171b; 192a, S. 320].

    Er schrieb auch über Bohr und die „Komplementarität : „Wenn ich nicht durch und durch überzeugt wäre, dass er ein aufrichtiger Mann ist und wirklich an ihre Bedeutung glaubt, würde ich nicht von einer Theorie sprechen, sondern von einer Worthülse. Ich sollte es als intellektuell niederträchtig bezeichnen. [171c; 129, S. 407].

    Schrödinger versuchte nicht einmal, seine Gefühle zu verbergen, als er seinem Freund Max Born schrieb: „Du Maxl, […] die Unverfrorenheit, mit der Du immer wieder versicherst, die Kopenhagener Auffassung sei praktisch allgemein angenommen […] grenzt an das Bewundernswerte. […] Habt Ihr denn gar keine Angst vor dem Urteil der Geschichte? Seid Ihr so überzeugt, daß die Menschheit demnächst an ihrer eigenen Tollheit zu Grunde geht?" [171d; 192a, S. 734].

    Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Kritik der herrschenden Sicht der Quantenmechanik zum größten Teil von dem amerikanischen Physiker David Bohm und dem irischen Physiker John Bell formuliert. Zwei Interviewer erinnerten sich an ein Gespräch mit Bell: „Wir fragten zuerst Bell telefonisch, ob er selbst das Gefühl habe, er habe demonstriert, dass ‚die Realität nicht existiert‘. Er antwortete, indem er uns warnte, er sei ein ungeduldiger, jähzorniger Mensch, der keinerlei Unsinn toleriere. [120, S. 86]. Kann irgendjemand einen Physiker ernsthaft fragen, ob er bewiesen hat, dass „die Realität nicht existiert?

    Ich werde in Kap. 10 auf die historischen Auseinandersetzungen unter den Physikern über die Quantenmechanik zurückkommen, aber all das zeigt, dass sie tatsächlich etwas sehr Bizarres an sich hat. Ich will in diesem Buch die Spreu vom Weizen zu trennen versuchen, auf möglichst einfache Weise erklären, was an der Quantenmechanik so bizarr ist und möchte dabei zeigen, dass ihre Rätsel und Geheimnisse durchaus in rationalen Begriffen gefasst werden können.

    Es gibt drei konzeptionelle Fragen, die mit der Quantenmechanik verbunden sind, drei fundamentale Fragen:

    1.

    Die Frage nach der Rolle des Beobachters. Seit Kopernikus hat die moderne Naturwissenschaft bei ihrem Versuch, die Realität zu erklären, den Menschen mehr und mehr aus dem Zentrum entfernt. Das geschah zuerst durch die Feststellung, dass die Erde nicht das Zentrum des Universums ist, danach durch die Erkenntnis, dass die Menschen nicht das Resultat eines besonderen Schöpfungsaktes sind, sondern das Ergebnis einer langen, vom Zufall bestimmten Evolution. Die Quantenmechanik scheint den Menschen nun wieder in den Mittelpunkt des Bildes zu rücken, wenn sie behauptet, sie schaffe die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt ab oder wenn sie dem menschlichen Bewusstsein eine aktive Rolle innerhalb der Quantenmechanik zumisst. Hat aber der menschliche Beobachter eine Rolle beim Erschaffen der Realität, muss man fragen, wie die Realität geformt wurde, bevor es Menschen gab. Wie konnte das funktionieren, wenn die Menschen erst durch die Evolution an die erste Stelle gelangten? Die Biologie beruht auf der Chemie, deren Mechanismen letzten Endes durch die Quantenmechanik erklärt werden können. Was für eine Rolle konnte der Mensch als Subjekt während dieses ganzen Prozesses spielen, bevor er als Homo sapiens die Bühne betrat?

    2.

    Die Fragedes Determinismus. Determinismus bedeutet, dass zukünftige Ereignisse von vergangenen Ereignissen bestimmt werden. Ist ein System deterministisch und ist sein gegenwärtiger Zustand bekannt, liegen alle seine zukünftigen Zustände fest (siehe für eine ausführlichere Diskussion Kap. 3).

    Wie wir sehen werden, sind die Vorhersagen der Quantenmechanik aber im Wesentlichen statistischer Natur. Ist der gegenwärtige Zustand eines quantenmechanischen Systems bekannt, bedeutet das, dass die Quantenmechanik für mögliche zukünftige Zustände des Systems nur die jeweiligen Wahrscheinlichkeiten anzugeben vermag. Zeigt damit die Quantenmechanik das Ende der deterministischen Weltsicht an? Erklärt oder rechtfertigt sie den „freien Willen"?

    3.

    Die Frage derLokalität. Eine der grundlegendsten Erfahrungen in unserer Welt ist, dass wir immer lokal oder ortsgebunden handeln: Ich handle, indem ich jemand anfasse, oder ich kommuniziere, indem ich mit jemand spreche. Diese Kommunikation erfordert, dass sich zwischen uns Schallwellen ausbreiten. Auch wenn ich zur Kommunikation ein Radio, einen Fernseher oder das Internet benutze, beruhen all diese Medien auf Wellen, die sich von mir zum Empfänger meiner Botschaft mit einer endlichen Geschwindigkeit ausbreiten. Dieses Prinzip wird in der Physik Lokalität genannt: Jede Wirkung von einem Ort auf einen anderen Ort beruht darauf, dass sich „etwas" (z. B. einer Welle) mit einer endlichen Geschwindigkeit ausbreitet.

    Wir verfügen über keine Erfahrung in unserer Welt, aus der wir schließen können, dass es auch unverzügliche, unmittelbare oder wie die Physiker sagen: „instantane" Wirkungen auf entfernte Dinge geben könnte, also eine Fernwirkung. ⁴ In der Quantenmechanik ist hingegen die Nicht-Existenz einer solchen Fernwirkung nicht selbstverständlich. Die dritte Frage richtet sich daher darauf, ob die Quantenmechanik die Existenz einer Fernwirkung impliziert. Würde das dann bedeuten, dass es Telepathie geben kann? Und steht das im Gegensatz zur Grundaussage der Relativitätstheorie, dass sich nichts schneller als das Licht bewegen kann?

    Eines meiner ersten Ziele ist herauszufinden, warum die Quantenmechanik solche Fragen aufgeworfen hat, ein zweites Ziel ist es dann, die traditionellen Antworten auf diese Fragen zu geben. Grob gesagt bestehen diese Antworten darin, dass die Quantenmechanik erstens den Messungen oder Beobachtungen eine fundamentale Rolle zuweist und zweitens den Determinismus widerlegt hat. Was drittens die Nicht-Lokalität betrifft, sind die traditionellen Antworten uneindeutig und oft konfus.

    Ich will darüber hinaus in diesem Buch auch noch Antworten auf die genannten drei fundamentalen Fragen geben und begründen. Sie können in aller Kürze so formuliert werden:

    (1)

    Zur Frage nach der Rolle des Beobachters. Es gibt keinerlei Notwendigkeit, zur Erklärung von Quantenphänomenen dem Beobachter oder auch den Beobachtungen eine besondere Rolle zuzuweisen.

    (2)

    Zur Fragedes Determinismus. Es gibt eine Möglichkeit, die Quantenphänomene in einer deterministischen Theorie zu erklären, die allerdings ziemlich speziell ausfällt.

    Die Antworten (1) und (2) beruhen auf den Arbeiten von Louis de Broglie, dem französischen Nobelpreisträger für Physik, und von David Bohm und John Bell .

    (3)

    Zur Frage derLokalität. Bestimmte Tatsachen, die mithilfe der Quantenmechanik entdeckt wurden, lassen darauf schließen, dass es in der Natur unverzügliche Wirkungen auf entfernte Orte gibt, also eine Fernwirkung . Diese Entdeckung folgt aus einem Argument, dessen erster Teil auf Albert Einstein , Boris Podolsky und Nathan Rosen zurückgeht (EPR-Argument ), während sich der zweite Teil John Bell verdankt.⁵ Dieser Nachweis der Nicht-Lokalität rechtfertigt nicht den unwissenschaftlichen Glauben an die Telepathie , steht aber tatsächlich in einem Spannungsverhältnis zur Relativitätstheorie.

    Wie ich weiter unten erklären werde, ist das Hauptproblem bei der üblichen Formulierung der Quantenmechanik, dass sie unbestritten mit geradezu spektakulärer Genauigkeit die statistischen Resultate von Experimenten vorhersagen kann, aber nichts Definitives über die physikalische Welt außerhalb des Labors. Die Physiker haben Bilder von dem, was sich in der Welt ereignet, aber diese Bilder sind nicht Teil der Theorie, die nur Aussagen dazu macht, was geschieht, wenn Quantenobjekte „gemessen" werden. Und diese Bilder stehen manchmal im Gegensatz zu logischen, aber wenig bekannten Folgerungen aus der Quantentheorie selbst.

    Da die hier vertretenen Ansichten von den meisten Physikern nicht zur „reinen Lehre" gezählt werden, entsteht das ernste ethische Problem, in einem populären Sachbuch einen ketzerisch-abweichenden Blick auf die Naturwissenschaft zu verteidigen. Warum überzeugt man nicht zuerst die wissenschaftliche Community von den eigenen Ansichten, bevor man sie einem breiteren Publikum unterbreitet? Auf diesen Einwand gibt es drei Erwiderungen:

    1.

    Ich werde sorgfältig zwischen dem unterscheiden, was allgemein akzeptiert wird und dem, wofür das nicht gilt.

    2.

    Es gibt viele populäre Bücher, die Ansichten vertreten, die sich von meiner unterscheiden. Ich werde auf einige verweisen, sodass Sie selbst entscheiden können, welche der Ansichten Ihnen am plausibelsten erscheint (siehe dazu auch den Anhang „Weiterführende Literatur").

    3.

    In der Tat besteht über die in diesem Buch diskutierten Fragen kein wissenschaftlicher Konsens. Es hat einmal einen gegeben, der heute noch die Grundlage der Lehrbücher der Quantenmechanik ist. Aber schon ganz zu Anfang der Quantentheorie gab es berühmte Physiker, die abweichende Ansichten vertraten. Dazu zählten vor allem Einstein , aber auch de Broglie und Schrödinger . Später kamen dazu noch David Bohm und John Bell , die die orthodoxe Sicht auf die Dinge kritisierten – ohne dass ihre Stimme deutlich Gehör fand. Heute wird dagegen auf jeder Tagung über die „Grundlagen" der Quantenmechanik eine Vielzahl von Positionen und Interpretationen einander gegenübergestellt, von denen keine beanspruchen kann, die orthodoxe Sicht der Lehrbücher oder eine neue Orthodoxie zu vertreten.

    Es sollte noch unterstrichen werden, dass im Gegensatz zu populären Sachbüchern, die beispielsweise die alternative Medizin rühmen, in diesem Buch nichts „Antiwissenschaftliches" zu finden ist. Ich bestreite nicht, dass es Anwendungen für die Quantenmechanik gibt oder dass sie experimentelle Voraussagen liefern kann. Ich will mich aber nicht damit befassen, wie korrekt die Quantenmechanik empirisch ist, sondern damit, was die Quantenmechanik bedeutet.

    Es gibt eine Reihe von Namen, die in dem Buch immer wieder auftauchen: Einstein , Bohr , Heisenberg , Schrödinger , de Broglie, Bohm , Bell , Feynman , Wheeler , Wigner – und etliche weniger wichtige Forscher, die untereinander die hier aufgeworfenen Fragen diskutiert haben. Indem ich zeige, dass Wissenschaft nicht notwendigerweise über jedes bedeutende Thema – und insbesondere das hier behandelte – einen Konsens herstellt, hoffe ich auch, ein positiveres Bild einer Wissenschaft zu zeichnen, die die offene Auseinandersetzung sucht, statt Dogmen zu produzieren. Die Ungewissheiten sind viel eher Herausforderungen als Schwächen bei der unablässigen Suche nach wissenschaftlichen Erkenntnissen. Eine solche Sicht der Wissenschaft ist in keiner Weise antiwissenschaftlich.

    Das Buch ist nicht speziell für Physiker geschrieben. Angehenden Physikstudenten, die es lesen, wird man aber während des Studiums wahrscheinlich beibringen, dass die hier angerissenen Fragen entweder irrelevant oder „rein philosophisch oder gar „metaphysisch sind. Solche Behauptungen findet man auch in den Arbeiten von Physikern, die das Mainstream-Denken verteidigen. Oft werden zwei Argumente vorgebracht, um diese Behauptungen zu rechtfertigen:

    1.

    Die Quantentheorie funktioniert in allen bekannten Zusammenhängen hervorragend. Es gibt keine Experimente, die ihr widersprechen. Sie führt zu vielen technischen Anwendungen.

    2.

    Das Ziel der Physik besteht nur darin, die Resultate von Laborexperimenten vorauszusagen und technische Anwendungen zu liefern.

    Die erste Aussage ist richtig, aber gerade weil die Quantentheorie so präzise funktioniert, ist es sinnvoll, sie verstehen zu wollen. Würde die Quantentheorie nur zur Hälfte funktionieren, gäbe es keinen Grund, nach ihrer tieferen Bedeutung zu fragen. Es gibt viele physikalische Modelle, die nur innerhalb bestimmter Grenze angewandt werden können. Wissen wir das, macht es keinen Sinn, weitere Fragen zu diesen Modellen aufzuwerfen. Die Quantenmechanik funktioniert aber in allen bekannten Größenbereichen, ⁷ und es gibt keinerlei Experimente, die ihr widersprechen. Ist es daher nicht der Mühe wert, die Frage zu stellen, warum sie so gut funktioniert?

    Zur zweiten Aussage möchte ich einige Anmerkungen machen. Das Ziel der Wissenschaft oder zumindest eines Teiles von ihr war immer, die Welt zu verstehen. Warum würde sich sonst jemand für den Ursprung des Universums oder für ferne Galaxien interessieren? Natürlich folgen aus solchen Untersuchungen, die den Grundlagen dienen, noch keine technischen Anwendungen. So hatte auch die Himmelsmechanik, mit der der Aufschwung der modernen Naturwissenschaften begann, in ihren Anfängen nur wenig praktischen Wert. Ebenso hatte die Evolutionstheorie anfangs, als sie sich etablierte, keine praktischen Anwendungen, und trotzdem hat sie unser Verständnis der Welt in großem Maße verändert.

    Die meisten Menschen interessiert an der Wissenschaft, was sie uns über das Bild unserer Welt und unsere eigene Stellung in dieser Welt sagt. Die Idee, dass das einzige Ziel der Physik darin besteht, Ergebnisse von Laborexperimenten vorherzusagen, vertauscht die Mittel mit dem Ziel. Experimente sind nötig, um unsere Theorien zu testen und zu verhindern, dass wir in bloße Spekulationen oder „Metaphysik " verfallen. Unsere Theorien handeln aber von der Welt und nicht von den Experimenten.

    Natürlich kann es sein, dass es einfach unmöglich ist, die Quantenwelt zu verstehen und wir uns daher mit der Vorhersage der Resultate von Experimenten begnügen müssen. Man könnte dann sagen, dass unsere Experimente darauf hinauslaufen, der Natur „Fragen zu stellen". Wir bekommen Antworten, die vorhergesagt werden können – zumindest statistisch. Aber mehr kann nicht gesagt werden, insbesondere kann man nicht verstehen, was im Inneren der Apparate eines Experiments abläuft.

    Warum nicht? Was sind wir schon, als ein paar mehr schlecht als recht „entwickelte" Lebewesen? Wie können wir erwarten, die Welt, wie sie ist, verstehen zu können? Ist die Tatsache, dass die Quantenmechanik nicht verstehbar erscheint, nicht nur die Folge der Begrenztheit unseres Geistes? Das kann sein, aber es wäre irgendein Beweis nötig, um zu diesem pessimistischen Schluss zu kommen, es genügt nicht, sich einfach nur mit der Behauptung zu begnügen.

    Daneben gibt es aber noch die ernsthafte Frage des Gesamtzusammenhangs, die durch die Behauptung aufgeworfen wird, das einzige Ziel der Physik sei die Vorhersage der Resultate von Laborexperimenten. Wenn das wirklich alles ist, was die Physik will, warum steht dann das Experiment an erster Stelle? Die Notwendigkeit, teure Experimente durchzuführen, wird den Politikern und der Öffentlichkeit mit der Botschaft „verkauft, man wolle die Grundgesetze der Natur aufdecken. Wenn wir nun aber in der Quantenmechanik die Idee aufgeben, die Natur verstehen zu wollen, um uns „ausschließlich auf lächerliche Laboroperationen zu beschränken [11g; 10, S. 245], wie es John Bell formuliert hat, wie können wir dann behaupten, dass wir nach den Grundgesetzen der Natur suchen? Was würden die Geldgeber sagen, wenn sie von den Physikern hören, ihr Ziel sei lediglich, die Resultate von Laborexperimenten vorherzusagen – und sonst nichts? Wären sie nicht zumindest vor den Kopf gestoßen und würden nach Klärung verlangen? Ist es daher nicht einfach eine Frage der intellektuellen Ehrlichkeit, uns selbst zu fragen, wie wir für diese Klärung sorgen können? Vielleicht haben ja die Physiker doch Antworten auf diese Fragen, und es könnte sich lohnen, herauszufinden, welche das sind, um sie dann zu diskutieren.

    Obwohl in diesem Buch nichts allzu fachwissenschaftlich dargestellt ist und ich wegen aller weiteren Details auf mein Buch Making Sense of Quantum Mechanics [36] und die dort angegebenen Verweise berufe, möchte ich doch einiges zusätzliche Material in Fußnoten und Textkästen ausbreiten – sei es um der Genauigkeit willen, sei es, um Ihnen weitere Hinweise zu geben.

    Ich möchte auch noch eine Warnung anschließen: In dem Buch werden keine „modischen" Themen verhandelt, weder der Big Bang noch Schwarze Löcher, die Stringtheorie oder die Quantengravitation. Ich behaupte, dass viele dieser Themen, über die es schon einige populäre Sachbücher gibt, schwer zu verstehen sind, wenn nicht zuvor die grundlegenden konzeptionellen Probleme der Quantenmechanik geklärt sind – und das ist der Gegenstand dieses Buches. Außerdem behaupte ich, dass es genügt, die einfachsten physikalischen Situationen zu untersuchen, wenn man diese Klärung erreichen will.

    Ich werde dabei nicht ganz der Maxime der Prediger folgen: „Erzähle zuerst, was du vorhast zu erzählen. Dann erzähle es. Und dann erzähle, was du erzählt hast." Aber ich will nicht darauf verzichten, mich zu wiederholen. Das mag vielleicht schlechter Stil sein, und ich bitte Sie, wenn Sie durch die Wiederholungen gelangweilt sind, um Verzeihung, aber ich glaube, dass es leicht passieren kann, einen entscheidenden Punkt zu übersehen, wenn er nur einmal erwähnt wird.

    Um einen Gegenstand so klar und einfach wie möglich darzustellen, will ich mich vor allem auf einfache Zeichnungen stützen, die sowohl die Experimente wie die Theorie illustrieren. Die einzigen mathematischen Gebilde, die ich benutze, sind Funktionen und Gleichungen – aber nur ganz einfache. Der Nachteil dieses Ansatzes ist, dass ich Sie manchmal bitten muss, einige mathematische Resultate zu glauben, die ich in Worten und ohne mathematische Formeln wiedergeben werde.

    Das Buch kann im Übrigen auf verschiedene Weise gelesen werden. Es gibt mehrere Abschnitte, die bei einem ersten Durchgang ausgelassen werden können, darauf weise ich Sie dann jeweils hin (der erste folgt gleich im Anschluss). Für alle, die ein Kapitel zu schwierig oder zu einfach finden, folgt am Schluss jeweils eine detaillierte Zusammenfassung, die es ermöglichen soll, mit dem Rest des Buches weiterzumachen. Es mag Leser geben, die es nützlich finden, zuerst die Zusammenfassung und dann den Text selbst zu lesen. In Kap. 12 werden dann schließlich noch einmal alle Thesen zusammengefasst. Sie können auch zuerst dorthin springen, um zu sehen, worum es gehen wird.

    Das Buch will keine endgültigen Antworten auf die konzeptionellen Probleme der Quantenmechanik geben, sondern Ihren Kopf für die Möglichkeit von Antworten öffnen, die jenseits dessen liegen, was in den üblichen Vorlesungen zur Quantenmechanik gelehrt wird oder in den meisten populären Büchern darüber zu lesen ist. Als Student konnte ich damals nicht verstehen, was mir über die Bedeutung der Quantenmechanik erzählt wurde. Ein Buch wie dieses hätte mir Freude gemacht.

    Mein Ziel ist nicht, die Quantenmechanik als physikalische Theorie zu erklären, sondern ihre konzeptionellen Aspekte zu diskutieren. Bevor es damit losgeht, könnte es nützlich sein, kurz zu erklären, wie die Quantenmechanik entstanden ist. Diesen Abschnitt zu lesen, ist aber nicht unbedingt nötig, um den Rest des Buches zu verstehen.

    1.1 Historischer Hintergrund

    1.1.1 Vorläufer der Quantenphysik

    Grob gesprochen kann man die Physik vor der Quantenmechanik in vier historische Perioden einteilen:

    1.

    Die newtonsche Revolution im 17. und 18. Jahrhundert schenkte uns die Gesetze, die die Bewegung von Planeten, Geschossen, Satelliten und dergleichen bestimmen. Sie beruhen alle auf dem universellen Gravitationsgesetz, das besagt, dass Körper einander mit einer Kraft anziehen, die proportional zu ihren Massen ist und mit dem Quadrat des Abstands abnimmt. Dies und die Idee, dass die Beschleunigung eines Körpers proportional zu der Kraft ist, mit der andere Körper auf ihn einwirken, setzten Newton und seine Nachfolger in die Lage, die Planetenbahnen im Sonnensystem herzuleiten, die zuvor schon von Kopernikus, Kepler und anderen bestimmt worden waren.

    Das war eine der größten konzeptionellen Revolutionen in der Geschichte der Menschheit: Während zuvor in den verschiedenen Disziplinen empirische Regeln aufgestellt wurden, konnte erst Newton (und andere Naturwissenschaftler jener Zeit) mithilfe mathematischer Verfahren, die er weitgehend selbst entwickelte,⁹ berechnen und vorhersagen, wie sich Objekte in der Zukunft verhalten, wie sich also beispielsweise eine abgeschossenes Kanonenkugel bewegt.

    2.

    Im 19. Jahrhundert gab es dann zwei neue Entwicklungen. Die erste war die Entdeckung neuer Kräfte, die nichts mit der Gravitation zu tun hatten: der Elektrizität und des Magnetismus. Nach einigen Zwischenschritten wurden die Gesetze, die diese Kräfte bestimmen, von dem schottischen Physiker James Clerk Maxwell zur Theorie des Elektromagnetismus vereinigt. Diese Theorie postuliert die Existenz von Wellen oder Feldern, die zum einen von elektrisch geladenen Teilchen erzeugt werden, zum anderen aber auch deren Bewegungen bestimmen. Zu den elektromagnetischen Wellen gehören neben dem Licht auch Röntgenstrahlen und Radio- und Fernsehwellen. Grob gesprochen verwandelt der Sender einer Radio- oder Fernsehstation Wörter und Bilder in elektromagnetische Wellen, die später im Radio- oder Fernsehgerät des Empfängers geladene Teilchen (wie beispielsweise Elektronen) in Bewegung versetzen, die wieder Klänge und Bilder erzeugen.

    Man kann sich diese Wellen wie Wasserwellen vorstellen, auf denen statt eines geladenen Teilchens ein kleines Boot dahintreibt. Aber es gibt einen großen Unterschied: Für die elektromagnetischen Wellen gibt es kein Wasser, sie breiten sich im Vakuum aus. Dies ist genauso mysteriös wie bei der Gravitation , die auch ohne ein Ausbreitungsmedium auskommt. Ich werde darauf in Kap. 6 zurückkommen.

    3.

    Die dritte Periode war durch die Entwicklung statistischer Methoden geprägt. Die industrielle Revolution wurde von der Dampfmaschine vorangetrieben – und der Thermodynamik, die beschrieb, wie diese Maschine arbeitete.¹⁰ In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelang es dank der Kombination der Arbeiten des österreichischen Physikers Ludwig Boltzmann, des amerikanischen Physikers William Gibbs sowie von Maxwell und Einstein , die Gesetze der Thermodynamik durch statistische Schlussfolgerungen aus der Bewegung der unzähligen Moleküle oder Atome zu erklären.¹¹

    4.

    Die letzte, äußerst revolutionäre Periode wird durch die beiden Relativitätstheorien markiert, die Spezielle Relativitätstheorie , die 1905 vor allem auf der Grundlage von Arbeiten des holländischen Physikers Hendrik Lorentz , des französischen Mathematikers Henri Poincaré und Albert Einstein entwickelt wurde, und die Allgemeine Relativitätstheorie , die sich vor allem Einstein und dem deutschen Mathematiker David Hilbert verdankt und um 1915 entwickelt wurde.

    Bei der Entwicklung des Elektromagnetismus hatte sich herausgestellt, dass diese Theorie mit einigen Aspekten der klassischen Gesetze Newtons nicht vereinbar war, was sich als großes Problem erwies. Die Spezielle Relativitätstheorie hat darauf die newtonschen Bewegungsgesetze grundlegend modifiziert, um sie mit den neu entdeckten Gesetzen des Elektromagnetismus vereinbaren zu können. Ich werde die Bedeutung der Speziellen Relativitätstheorie kurz in Abschn. 7.​7 diskutieren. Darüber hinaus hat die Allgemeine Relativitätstheorie die Gravitationstheorie Newtons ersetzt.

    1.1.2 Quantenphysik

    Die Quantenphysik entstand aus Problemen, die sich aus der klassischen Weltsicht ergaben, die ich im vorangegangenen Abschnitt skizziert habe. Diese Probleme zeigten sich bei einer Reihe von Phänomenen. Eines war die sogenannte spezifische Wärme von Festkörpern, die angibt, wie sich die Temperatur eines Körpers ändert, wenn er eine bestimmte Menge an Wärme aufnimmt. Es gab eine gut definierte klassische Vorhersage für diese Größe, die sich aber bei tiefen Temperaturen als völlig falsch erwies. Dann gab es noch elektromagnetische Wellen einer bestimmten Art, deren Verhalten sich gründlich von dem erwarteten klassischen Verhalten unterschied. ¹² Diese Bedenken allein sahen aber noch nicht ernst genug aus, um eine große Revolution auszulösen.

    Ein zweites Problem wurde 1900 von dem deutschen Physiker Max Planck „gelöst. Er entschloss sich, ad hoc jenen „unbotmäßigen Wellen, von denen man annahm, dass sie kontinuierliche Energiewerte annehmen konnten, Vielfache fester Energiewerte zuzuordnen: „Quanten" von Energie , die jeweils bestimmten Frequenzen entsprachen. Auf diese Weise konnte Planck das beobachtete ungewöhnliche Wellenverhalten ableiten. Das war ein gewaltiger Fortschritt, man wusste aber nicht, warum das auf diese Weise funktionierte. Planck erhielt 1918 den Nobelpreis für Physik für seine Entdeckung.

    Der nächste Schritt wurde 1905 von Einstein unternommen, als er den photoelektrischen Effekt erklärte und zeigen konnte, dass Licht nur Elektronen aus Atomen schlagen kann, wenn die Frequenz einen bestimmten Mindestwert erreicht hat. Nach der klassischen Vorstellung würde dieses Herausschlagen von der Intensität des Lichtes abhängen und nicht von seiner Frequenz. Einstein erklärte den photoelektrischen Effekt mit der Annahme, dass das Licht aus einer Art Teilchen besteht, die heute Photonen heißen und deren Energie proportional zu ihrer Frequenz ist, sodass eine große Frequenz einer hohen Energie entspricht, die dann ausreicht, um Elektronen herauszuschlagen. Einstein erhielt 1921 den Nobelpreis für Physik für die Entdeckung des Gesetzes des photoelektrischen Effekts. ¹³

    1907 wendete Einstein Plancks Methode der Energiequanten an, um (mehr oder weniger genau) die spezifische Wärme von Festkörpern zu bestimmen. Seine Methode wurde 1912 von dem holländischen Physiker Peter Debye verfeinert, der Ergebnisse erzielte, die mit den Beobachtungen gut übereinstimmten.

    1913 kam dann das bohrsche Atommodell, das auch heute noch in Einführungskursen der Physik und Chemie gelehrt wird. Dieses Modell beruhte auf der Tatsache, dass auch die Strahlungsemission der Atome diskrete Werte aufweist und nicht kontinuierlich verteilt ist. ¹⁴ Bohrs Modell beschreibt die Atome als winzige Sonnensysteme mit dem Atomkern an der Stelle der Sonne und Elektronen, die um den Atomkern kreisen wie die Planeten um die Sonne. Dies tun sie auf wohldefinierten Umlaufbahnen mit unterschiedlicher Energie . Die diskreten Werte der emittierten Energie ergeben sich aus den Sprüngen der Elektronen von einer höheren Umlaufbahn auf eine tiefere. Die emittierte Energie entspricht der Energiedifferenz der beiden Bahnen.

    Das war ein weiterer großer Fortschritt in Bezug auf die beobachteten Phänomene, aber es gab immer noch keinen Schimmer einer theoretischen Erklärung dafür, warum das funktionierte.

    Die Dinge waren so verblüffend, dass Einstein 1911 angesichts eines Irrenhauses in Prag zu dem Physiker und Philosophen Philipp Frank sagte: „Sie sehen dort den Teil der Verrückten, der sich nicht mit der Quantentheorie beschäftigt" [83, S. 143].

    Was hier beschrieben wird, ist die alte oder „Prä-Quantentheorie". Der Durchbruch kam in den Jahren 1924–1927. Zuerst schlug der französische Physiker Louis de Broglie vor, dass in der gleichen Weise wie den Wellen Teilchen zugeordnet werden (beispielsweise den Lichtwellen Photonen) umgekehrt auch den Materieteilchen (z. B. Elektronen) Wellen zugeordnet werden. Er verfügte aber noch nicht über die vollentwickelte Theorie dieser Wellen. (Ich werde diese Idee in Kap. 8 ausführlich diskutieren.)

    Dann entwickelten Werner Heisenberg  – unabhängig von de Broglie und anderen – und etwas später Erwin Schrödinger verschiedene Versionen der modernen Quantentheorie. Heisenberg fand einen Weg, um für eine konkrete Situation die diskreten Werte zu berechnen, die die Energie eines Systems annehmen kann. Das wurde dann von zwei weiteren deutschen Physikern – Max Born und Pascual Jordan – verallgemeinert. Wichtige Beiträge wurden dazu noch von dem österreichischen Physiker Wolfgang Pauli und dem britischen Physiker Paul Dirac geliefert. ¹⁵

    Schrödinger ordnete dann einem physikalischen System ein mathematisches Konzept zu, die Wellenfunktion (siehe die Diskussion in Kap. 4), und stellte Gleichungen auf, die besagen, wie sich ein Objekt im Zeitverlauf ändert. Er konnte auch zeigen, dass seine Methode und die Methoden von Born , Heisenberg, Dirac und Jordan zu den gleichen Resultaten führen. ¹⁶

    Eine Zeitlang gab es großes Rätselraten, was die Bedeutung der neu eingeführten Konzepte betraf. Die Dinge wurden dann auf der 5. Solvay-Konferenz , die im Oktober 1927 in Brüssel stattfand, unter Dach und Fach gebracht, um es salopp auszudrücken. An der Konferenz nahmen alle bedeutenden Physiker jener Zeit teil. Auf ihr wurde die „Kopenhagener Deutung " allgemein akzeptiert. ¹⁷

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