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Marvel | Heldinnen: Rogue unberührt
Marvel | Heldinnen: Rogue unberührt
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eBook366 Seiten4 Stunden

Marvel | Heldinnen: Rogue unberührt

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Über dieses E-Book

In diesem aufregenden Marvel-Abenteuer halten Rogues erschreckende neue Mutantenkräfte sie auf Abstand von der Welt, doch zwei Fremde bieten ihr die Chance, ihr Leben für immer zu ändern.
Das Leben der jungen Rogue ist alles andere als schön: sie lebt allein, hat einen furchtbaren Job in einem Diner und versteckt sich vor allen. Die Kräfte, die sie zu entwickeln begonnen hat, machen ihr Angst. Wenn der erste Kuss fast tötet, ist es schwer, irgendjemandem zu trauen – sogar dir selbst. Doch da tauchen zwei Personen auf, die ihr Leben für immer verändern könnten, und schließlich wird sie vor eine Wahl gestellt: Folgt sie einer geheimnisvollen Milliardärin, die angeblich auf der Suche nach begabten Praktikanten ist, oder dem attraktiven Falschspieler mit den unheimlichen roten Augen? Aber die beiden sind nicht die einzigen, die sie beobachten … Rogue muss die Mächte annehmen, die sie zu unterdrücken versucht, um ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen – bevor es jemand anders tut.
SpracheDeutsch
HerausgeberCross Cult
Erscheinungsdatum11. Nov. 2021
ISBN9783966586269
Marvel | Heldinnen: Rogue unberührt

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    Buchvorschau

    Marvel | Heldinnen - Alisa Kwitney

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    SPIELER & SCHURKEN

    1

    Ich drehte den Schlüssel im Zündschloss meines Pick-ups und sandte ein stummes Gebet gen Himmel. Die Zündung machte ein Geräusch, als würde sie mit einem schlecht sitzenden Gebiss klappern, dann begann sie zu gackern wie ein Huhn im Sturm. Tu mir das nicht an, Willie, flehte ich. Durch eine Reihe unkluger Entscheidungen war ich ohnehin schon spät dran. Jetzt blieben mir nur noch fünf Minuten für die fünfzehnminütige Fahrt zur Arbeit. Zu schade, dass ich keine Superkräfte wie diese Mutantenkids an der Ostküste hatte, denen ich auf Instagram folgte. Ein Paar großer Engelsflügel kämen mir gerade recht, um aus dieser beschissenen Kleinstadt in Mississippi abzuhauen.

    Ich drehte den Schlüssel erneut und diesmal gab mein Truck ein Keuchen von sich, knatterte und verreckte. Verdammt. Ich hatte meinen 86er Pick-up nach Willie Nelson benannt, in der Hoffnung, er würde sich als so unzerstörbar wie der Sänger erweisen, doch stattdessen war er nur so temperamentvoll wie ein Boomer.

    Genau wie mein Boss.

    Ich berührte den grünen Tulane-Anhänger, der von meinem Rückspiegel baumelte, krempelte mir beim Aussteigen die Ärmel hoch und öffnete die Motorhaube. Was zum Teufel war es diesmal? Erst vor sechs Monaten hatte ich die dämliche Benzinpumpe ausgewechselt. Nachdem ich das letzte Mal liegen geblieben war, hatte ich mit dem Gedanken gespielt, den uralten Pick-up verschrotten zu lassen, es bis jetzt allerdings immer wieder vor mir hergeschoben. Das musste ich. Willie war zwar ein mürrischer alter Frankentruck, aber er war mein einziges Transportmittel.

    Ich schraubte die Kappe der Benzinpumpe ab und drückte auf das Schraderventil. Sofort spritzte mir Benzin ins Gesicht.

    Dummes Mädchen. Das hast du davon. Um das Zeug wegzuwischen, hatte ich nichts als meinen Ärmel, was bedeutete, dass jetzt auch noch mein hellblauer Lieblingshoodie ruiniert war.

    »Was ist los, Anna Marie?«

    Oh Gott, es war Chet. Ich hatte jetzt wirklich keinen Nerv für ihn. Chet hatte mal meinen Namen auf einem offiziellen Brief gesehen und bestand darauf, meinen vollen Namen zu benutzen, egal wie oft ich ihm sagte, dass er mich Marie nennen sollte.

    Dann kam mir eine Idee. Wenn ich nicht wieder bei der Arbeit anrufen wollte, um zu sagen, dass ich mich wegen Autoproblemen verspätete, würde ich meinen Nachbarn bezirzen müssen.

    Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Oh, hey, Süßer. Ich befürchte, ich stecke ein bisschen in der Klemme.«

    Chet stellte die Leiter ab, die er trug, und streckte seine dürre Brust raus. »Macht dir der alte Willie mal wieder Schwierigkeiten?« Er grinste mich an und seine Augen funkelten unter seiner Baseballkappe der Mississippi Braves. Mit seinen eins sechzig Körpergröße, dem hochstehenden Bürstenhaarschnitt und den Bartstoppeln erinnerte mich Chet immer an einen leicht manischen Affen. »Soll ich mir das mal ansehen?«

    »Du bist ein Schatz«, sagte ich, auch wenn sich Chet weniger mit Trucks auskannte als ich mit Gesellschaftstänzen. »Aber ich bin schon so spät dran … ich weiß einfach nicht, was ich tun soll.«

    Chet dachte darüber nach und wippte dabei auf seinen Fußballen. »Tja, eigentlich wollt ich grade den Wasserfleck an meiner Wand übermalen, bevor es wieder regnet, aber … Ach, was soll’s. Lass mich schnell die Leiter wegräumen, dann kann ich dich fahren.«

    »Du bist meine Rettung.«

    »Bin sofort zurück.« Chet joggte davon, um die Leiter in der Nähe seiner Wohnungstür abzustellen. Sweetbriar Apartments, einst eine klassische Südstaatenvilla mit weißen Säulen, einer umlaufenden Veranda und der Art Luxus, die man nur durch menschliches Leid erreichen konnte, war inzwischen zu einer verfallenen, alten Ruine geworden, die man in mehrere kleine Wohnungen unterteilt hatte. Wenn es regnete, tropfte es eine Woche lang von der Decke und überall breitete sich Schimmel aus. Das hat man wohl davon, wenn man an einem Ort lebt, der auf Elend und Ungerechtigkeit erbaut wurde. Aber hey, der Trailerpark war voll, also blieb mir keine andere Wahl.

    »Chet? Bist du das?« Seine Mutter öffnete ihre Wohnungstür. Er war Mitte zwanzig, etwa fünf, sechs Jahre älter als ich, doch seine Mutter hielt ihn an der kurzen Leine.

    »Fahr nur schnell was erledigen, Ma.«

    Scary Anne Billings, in ihrer pinken Leggings und einem alten Hello-Kitty-Shirt, blickte von ihm zu mir und ich konnte ihr den Wahnsinn regelrecht ansehen. Scary Anne war so drahtig und energiegeladen wie ihr Sohn, doch das Leben hatte ihr ein paar Tiefschläge verpasst und nun war sie einfach unberechenbar. »Oh nein, das wirst du nicht. Du wirst dich nicht mit einer wie der rumtreiben.«

    Doch Chet startete bereits seinen Truck und ich bereute jeden genervten Gedanken, den ich je über ihn hatte. »Sie muss zur Arbeit, Ma.«

    »Wage es ja nicht!«

    Chets Truck grollte fröhlich los und er fuhr rückwärts vom Parkplatz auf die von Spurrillen durchzogene Einfahrt. »Sie ist schon spät dran.«

    »Ich werd ihn nicht lange aufhalten«, rief ich über die Schulter, während ich die Beifahrertür öffnete und reinhüpfte.

    »Es braucht nicht lange«, rief Scary Anne zurück. »Wie lange hat sie gebraucht, den armen Jungen der Robbins ins Koma zu befördern?«

    Chet tat so, als hätte er sie nicht gehört. »Bin im Handumdrehen zurück.«

    Ich wartete, bis wir auf der befestigten Straße waren. »Ich weiß das wirklich zu schätzen, Chet.« Ich meinte es ernst. Nicht nur fuhr Chet mich zur Arbeit, er versuchte auch nicht, mir seine Hand aufs Bein zu legen oder stellte mir Fragen darüber, was genau ich mit dem Star-Quarterback der Caldecott County High angestellt hatte. Das war vor zweieinhalb Jahren gewesen, während meines letzten Schuljahrs, und Cody ging es inzwischen besser, doch Peck war eine Kleinstadt und guter Tratsch musste eine Weile halten.

    Chet winkte ab. »Du würdest das Gleiche für mich tun.«

    »Ja, aber ich würde dir dafür das Leben schwer machen.«

    Chet lachte und warf mir einen Seitenblick zu. »Was hast du mit deinen Haaren gemacht?«

    Ich hatte ohne viel Erfolg versucht, sie vorne zu glätten. »Ich hatte die tolle Idee, dass ein Pony vielleicht gut aussehen würde. Hab vergessen, dass meine Haare so widerspenstig sind wie ich.«

    »Ich find, es sieht echt gut aus«, sagte Chet, packte einen Kaugummi aus und steckte ihn sich in den Mund. Ich klappte die Sonnenblende runter und warf einen Blick in den Spiegel. »Sie locken sich nur in fünf verschiedene Richtungen.« Doch zumindest machte das die weiße Strähne ein bisschen unauffälliger. Ich war damit geboren worden und die anderen Kinder in der Schule hatten mich deshalb Stinktier genannt.

    Chet lachte. »Du könntest nicht mal schlecht aussehen, wenn du es versuchen würdest, Anna Marie.«

    Das war eine schamlose Lüge. Nach dem Haardebakel war der einzige Weg, mich aufzuheitern, gewesen, ein paar Folgen Broad City auf dem Handy zu gucken und dabei Käsekräcker zu futtern und mir die Zehennägel Dunkellila zu lackieren. Bis ich mich wieder von meiner Kunstledercouch geschält hatte und mir klar wurde, dass ich kein sauberes T-Shirt mehr hatte, war ich für die Arbeit schon eine Viertelstunde zu spät dran.

    »Hey, ich wollte dir noch was erzählen«, sagte Chet und begann eine Geschichte darüber, dass der Freund eines Freundes an eine Tinktur aus Mutantenwachstumshormonen gekommen war, sie in Gin mit einem Stück Bärenwurzel aufgekocht hatte und danach Gedanken lesen konnte. Die Story war da noch nicht zu Ende, doch Chets Geschichten hatten meistens einen ausschweifenden Mittelteil, also blendete ich ihn aus, lehnte mich gegen das Fenster und betrachtete die vorbeiziehenden Bäume. In ihr Grün mischte sich hier und da schon das herbstliche Bronze, Gold und Koralle. Es war ein kühler, nebliger Tag, der sich gerade erst aufwärmte, und während wir uns der Stadt näherten, nahm ich den Geruch von Diesel wahr. Er musste von einem der großen Lkw stammen, die ohne Zwischenstopp über die Main Street rasten. Wir kamen an einem zugenagelten Gebäude – dem alten Postkutschenhotel –, zwei Tankstellen, einem niedrigen Haus aus roten Ziegelsteinen, das das Rathaus darstellte, einem kleineren weißen Gebäude – unserem Postamt – und Frank’s Pizza vorbei, das geschlossen war, seit Frank vor etwa zehn Jahren gestorben war. Willkommen in Peck, Mississippi, Bevölkerungszahl 1.063. Von hier nach New Orleans und zur Tulane University waren es nur etwas über zwei Stunden, weniger, wenn man schnell fuhr, dennoch war es eine ganz andere Welt. Sobald ich genug Geld gespart hatte, würde ich in den Big Easy ziehen. Ich nahm an, dass eine Kellnerin dort genug Trinkgeld verdienen konnte, um ein Teilzeitstudium finanzieren zu können, besonders wenn sie einigermaßen gut aussah.

    »Also«, sagte Chet, während er vor Karl’s Diner hielt. »Was denkst du, Anna Marie?«

    »Klingt interessant«, versuchte ich es mit einer vagen Antwort, die alles abdeckte, von einem Rockkonzert zu Berichten über Bären, die in Küchen einbrachen. Ich musste wirklich lernen, wenigstens mit halbem Ohr zuzuhören. »Noch mal vielen Dank für deine Hilfe.«

    »Dafür sind Nachbarn doch da. Warte, ich helf dir mit der Tür.« Er beugte sich über mich und meine Nackenhaare stellten sich auf wie das Fell einer Katze, die in die falsche Richtung gestreichelt wird.

    Ich stieß die Tür auf und sprang raus. »Bis später, Chet!«

    »Was ist denn jetzt mit nächstem Samstag? Hast du Lust, die Bärenwurzel zu probieren?« Die Aussicht ließ ihn vor Vorfreude zittern. »Das ist echte indianische Medizin!«

    Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte, ihn zu korrigieren. Von dem politisch inkorrekten Ausdruck mal abgesehen – oder der Tatsache, dass Bärenwurzel ein Navajo-Heilmittel war und wir uns in Choctaw-Territorium befanden. Ich hatte ein paar Dokus gesehen und alle Studien deuteten darauf hin, dass bei den meisten die Mutantenkräfte aktiv wurden, wenn die Mädchen ihre Periode bekamen und die Jungs zu Idioten wurden. Wenn auch nur die kleinste Chance bestehen würde, dass mich ein selbst gebrauter Trunk verwandeln könnte, wäre ich die Erste, die es versuchen würde, aber hey, ich war Realistin. Ich hatte keine besonderen Talente, außer man zählte den Umstand mit, dass ich jedem Unglück brachte, der mir auch nur halbwegs nahestand.

    »Lass uns später drüber reden. In Ordnung, Chet?« Ich schnappte mir meine Handtasche und schlug die Beifahrertür zu, bevor er etwas erwidern konnte. »Ich hoffe, deine Mom macht dir nicht zu sehr die Hölle heiß!«

    Die Erinnerung an das, was daheim auf ihn wartete, ließ Chets Lächeln aus seinem Gesicht verschwinden. Er winkte mir kurz zu, dann wendete er seinen Truck und raste davon. Ich sah ihm einen Moment lang nach und dachte, dass Chet mit seinen Wünschen wirklich vorsichtiger sein sollte. Wenn ich mit Scary Anne zusammenleben müsste, wäre Gedankenlesen das Letzte, was ich können wollen würde. Ich meine, mal ernsthaft, das muss ja wohl die schlimmste Mutantenkraft aller Zeiten sein. Superstärke, fliegen oder Eis aus den Fingern schießen zu können, meinetwegen, aber zu hören, was andere Leute wirklich denken, wenn sie nicht versuchen, höflich zu sein? Nein, danke.

    Meine Gedanken in die Köpfe anderer zu projizieren könnte ich hingegen nutzen, um meine Kunden davon zu überzeugen, kein Leitungswasser mehr zu bestellen und nicht nach extra viel Mayonnaise zu fragen. Von da wäre es nur noch ein kleiner Schritt zur Weltherrschaft.

    Leider war ich nur die unscheinbare Anna Marie ohne Superkräfte und Mayonnaise würde in absehbarer Zeit der Fluch meines Lebens bleiben.

    Ich öffnete die Tür des Diners und stellte mich meinem Schicksal.

    2

    Die Glocke an der Tür bimmelte, als ich sie aufschwang. »Gott sei Dank«, sagte Darnique hinter der Theke. »So langsam sind mir keine Ausreden mehr eingefallen und Karl hat echt schlechte Laune.«

    Ich zog meinen ölbefleckten Hoodie aus. »Was ist es diesmal?«

    Ein älterer Gast hob seine Tasse und Darnique eilte mit der Kaffeekanne zu ihm, um nachzuschenken. »Tiny ist nicht aufgetaucht, also stapelt sich das schmutzige Geschirr, der Lieferant hat den falschen Ketchup gebracht und dieser Pony steht dir überhaupt nicht.«

    »Erzähl mir was, das ich nicht weiß«, sagte ich, während ich versuchte, mir meine schwarze Schürze umzubinden.

    »Komm morgen vorbei, dann seh ich mal, was sich machen lässt.« Darnique trug ihre eigenen Locken meistens in einem hohen Zopf und war eine Meisterin darin, widerspenstiges Haar ohne Chemikalien zu bändigen.

    »Wie wäre es mit heute nach Schichtende?« Normalerweise würde ich mich niemals aufdrängen, doch Darnique war im letzten Jahr zu einer wirklich guten Freundin geworden. Außerdem war ihre Wohnung nur ein Stockwerk über meiner und ich wollte wirklich unbedingt, dass sie meinen Pony in Ordnung brachte.

    Sie schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Süße. Heute Abend mache ich meiner Mom die Haare.«

    »Dann warte ich, bis ich dran bin.« Ich warf einen Blick in den Spiegel hinter dem Tresen und versuchte erfolglos, meinen Pony glatt zu streichen. »Also, wie ist hier gerade die Lage?«

    Darnique nahm ihre Jacke vom Haken und senkte die Stimme. »Die Leute am Tresen sind alle versorgt, Puke und Dolt warten an Tisch drei auf einen Herzinfarkt-Burger mit Sodbrennen-Fritten und da hinten sitzen Dolly Parton und ihr Pferd und überlegen noch.« Sie knöpfte ihre Jacke zu und ging an den Auswärtigen vorbei. »Ich muss jetzt los, aber Anna Marie hier wird sich gut um Sie kümmern.«

    »Ich wollte Sie gerade nach dem Griechischen Bauernsalat fragen«, sagte die Frau mit den hochtoupierten blonden Haaren. Aus irgendeinem Grund wurden die Gäste bei einem Schichtwechsel immer nervös. Man könnte meinen, es würde um Herzchirurgen gehen, die sich mitten während einer Operation ablösten.

    »Anna Marie ist gleich bei Ihnen.«

    Ich schnappte mir meinen Bestellblock und Stift und musterte die Neuankömmlinge. Ich hatte in meinem Abschlussjahr damit angefangen, als Kellnerin zu jobben, und hatte dadurch eine Menge über die Menschen erfahren. Die meisten werden ein bisschen ungehalten, wenn sie hungrig sind, aber einige verwandeln sich geradezu in Kleinkinder und bekommen einen Wutanfall. Die Blondine sah für mich wie eine dieser Typen aus. Sie war stark geschminkt und hatte sich von einem Schönheitschirurgen Wangen, Lippen und wahrscheinlich auch ihre Brüste aufspritzen lassen, war allerdings bestimmt schon fünfzig. »Wissen Sie schon, was Sie möchten?«

    Dolly tippte mit einem rot lackierten Nagel an ihre Wange. »Wie ist der Griechische Bauernsalat?«

    »Ich persönlich bin nicht so ein Olivenfan«, antwortete ich diplomatisch. »Aber es gibt einige Leute, die ihn sehr gern essen.«

    »Für mich nicht, Lucretia«, sagte die andere Frau. Darnique hatte sie als Pferd bezeichnet, aber sie war nicht unattraktiv – nur eine große, breitschultrige Frau mit markantem Kinn, kurzen grauen Haaren und einer Brille mit dicken Gläsern, die ihre Augen riesig aussehen ließen. »Können Sie einen der Salate empfehlen?« Sie hatte einen leichten Akzent, vielleicht russisch oder deutsch.

    »Der Cobb Salad ist mein persönlicher Favorit.« Nicht dass ich oft Salat essen würde, aber wenn, dann mit viel knusprigem Speck und Avocado.

    »Wissen Sie was? Vergessen Sie den verdammten Salat. Bringen Sie mir einen Burger mit allem Drum und Dran«, sagte Lucretia. »Und Fritten.« Sie reichte mir ihre Speisekarte und das Funkeln ihres Diamantrings blendete mich fast. »Echte Diamanten, falsche Haare und Titten«, sagte sie augenzwinkernd zu mir, und ich entschied, dass ich sie mochte.

    »Da wir schon Betriebsgeheimnisse ausplaudern«, erwiderte ich, »kann ich Ihnen auch verraten, dass in dem Salat mehr Kalorien und Fett stecken als im Burger. Wie es so schön heißt, versuche nicht, in einem Diner gesund zu essen.«

    »Ich nehme das gegrillte Käsesandwich mit Tomaten«, sagte die andere Frau und sah zu mir auf. Durch die dicken Brillengläser wirkten ihre braunen Augen so groß wie Untertassen. Ich fühlte mich plötzlich ganz komisch, als würde sie direkt durch mich hindurchschauen und sehen, was ich als Nächstes tun würde. »Und einen Kaffee mit Milch.«

    »Gut, dass ich daran gedacht habe, deine Laktasetabletten mitzunehmen, Irene«, meinte Lucretia und griff in ihre Handtasche.

    »Ich bin sofort mit Ihren Getränken zurück.« Ich zwang mich, an Tisch drei vorbeizugehen, wo Puke und Dolt – auch bekannt als Duke und Holt – über etwas auf Dukes Handy kicherten. »Wie geht’s euch?«

    Duke grinste mich an mit purer Bösartigkeit in den Augen an. »Bestens, Anna Marie. Bin der Inbegriff der Gesundheit – ganz im Gegensatz zu jemand anderem, der nicht so viel Glück hatte.« Ich bemühte mich, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr er mich aufregte. Duke und Holt waren mit Cody im Footballteam gewesen, sahen aus wie Bullterrier und benahmen sich auch so. Natürlich gaben sie mir die Schuld an dem, was passiert war, obwohl Cody selbst nicht nachtragend war. Es ging ihm inzwischen eigentlich wieder ganz gut und er arbeitete im Büro des Sheriffs. Dass aus ihm kein Profisportler geworden war, war nicht meine Schuld.

    »Ich seh mal kurz nach, wo eure Bestellungen bleiben, außer ihr braucht sonst noch was?« Ich hob den Stift an meinen Notizblock, obwohl das gar nicht nötig war. Ich wollte nur eine Barriere zwischen mich und die Testosteronarschlöcher an Tisch drei bringen. Seit dem Schulabschluss hatten die Jungs das Footballtraining durch Bodybuilding ersetzt und ich hatte den Verdacht, dass sie ihre Proteinshakes mit Steroiden streckten.

    »Wie wär’s mit ’ner kleinen Kostprobe deines Killerbodys?« Duke machte einen Kussmund und griff mit seiner fleischigen Hand nach mir.

    Ich wich zurück. »Lass den Scheiß, Duke.«

    »Ist sie nicht sittsam? Guck dir nur die langen Ärmel an«, höhnte Holt.

    »Ja, genau. Was soll das eigentlich?« Duke grinste mich lüstern an. »In der Schule bist du nicht so rumgelaufen.« War ja klar, dass so ein Scheißkerl wie er sofort meine Schwachstelle finden würde. Ich trug meine Shirts inzwischen so groß, dass ich die Hände in den Ärmeln verstecken konnte. Vielleicht war es ein Nebeneffekt des Kellnerinnendaseins, aber ich fühlte mich gern geschützt.

    »Ich muss bei der Arbeit eine Menge ekliger Dinge anfassen«, sagte ich nachdrücklich und drehte mich um.

    »Ich hab gehört, du stehst auf eklige Dinge«, konterte Duke, schnappte sich die Bänder meiner Schürze und zog mich zurück. »Oder etwa nicht?«

    Am liebsten hätte ich Duke auf seine schon zweimal gebrochene Nase geschlagen, doch das ist der Fluch des Dienstleistungsgewerbes – man darf sich nicht zu offenen Konfrontationen provozieren lassen. »Verschon mich, Duke. Ich belästige dich doch auch nicht bei der Arbeit.« Obwohl er es weiß Gott verdient hätte. Duke arbeitete in der örtlichen Autowerkstatt, obwohl er mit Maschinen so rein gar nichts am Hut hatte. Ich bemühte mich, nicht nachtragend zu sein, dass sie stattdessen nicht mich angeheuert hatten. Ich kenne mich mit Verbrennungsmotoren aus und hätte alles Nötige über die neueren Systeme lernen können. Doch ich war eine Frau und Dukes Dad war ein alter Kollege seines Chefs. Und außerdem hatte ich keinen Highschoolabschluss. Auch wenn mir nicht klar war, welche Rolle das spielte.

    Hinter mir erklang die Türglocke und als ich mich umdrehte, sah ich, dass der neue Gast ein gut aussehender Fremder mit Trenchcoat und Sonnenbrille war. »Sie können sich hinsetzen, wo Sie wollen«, sagte ich, während ich gleichzeitig versuchte, nicht zu starren. Wir hatten nur selten Gäste von außerhalb in Karl’s Diner und der hier hätte mit seiner Attraktivität einen Geigerzähler auslösen können.

    »Danke, Chère.« Mein Herz machte einen kleinen Sprung und Lucretia musste es ähnlich ergangen sein, denn ich hörte sie leise sagen: »Mmh, zum Anbeißen, ein Cajun.«

    »Also bitte, Lucretia«, zischte ihre Begleiterin genervt.

    »Süße, ich sag ihm doch nichts, was er nicht schon weiß«, erwiderte Lucretia ohne Reue.

    Der Cajun schenkte den beiden Frauen nur ein Lächeln und schlenderte weiter zu einem Tisch gegenüber Duke und Holt. Die Jungs erstarrten. Dieser Einbruch in ihr Territorium ließ sie wie Schrottplatzhunde in Abwehrhaltung gehen.

    »Hier, bitte.« Bemüht lässig reichte ich ihm eine Speisekarte und fragte mich, wie wohl seine Augen hinter der dunklen Sonnenbrille aussahen. Nicht dass es eine Rolle gespielt hätte. Selbst wenn sie unspektakulär waren, sähe er immer noch hinreißend aus mit seinen unbändigen braunen Haaren und dem schlanken, aber athletischen Körper unter dem wettergegerbten braunen Trenchcoat aus Leder, der bestimmt seine eigenen Geschichten zu erzählen hatte. An einem anderen Mann hätte der Mantel affektiert ausgesehen, doch der Cajun trug ihn mit beiläufiger Ironie, unterstützt durch ein bezauberndes Grübchen auf seiner linken Wange. Während ich wegging, hatte ich das Gefühl, als hätte ich vergessen, wie man seine Beine koordiniert, und ich konnte Duke und Holt Unverschämtheiten flüstern hören, die ich nicht richtig verstand.

    Auf der anderen Seite der Küchentür rannte ich gegen eine Wand aus Dampf und dem durchdringenden Geruch von Frittierfett. »Na, wenn das nicht endlich Marie ist«, sagte Karl mit Blick auf seine Uhr. »Danke, dass du uns noch mit deiner Anwesenheit beehrst.«

    »Mein Wagen ist nicht angesprungen.«

    »Je später du kommst, desto länger bleibst du. Und du hast heute Spüldienst«, erwiderte er mit finsterem Blick.

    »Karl, das geht nicht. Ich weiß nicht mal, wie ich heute Abend nach Hause kommen soll.«

    »Du weißt, was ich immer sage, Marie – du wirst es im Leben nie weit bringen, wenn du nicht endlich Verantwortung für das übernimmst, was du tust. Und das, was du nicht tust.«

    »Meinetwegen. Ich übernehme die volle Verantwortung dafür, dass ich zu arm bin, um mir ein neues Transportmittel zu kaufen. Du kannst mich ja mit einer Gehaltserhöhung bestrafen.«

    »Genau diese Einstellung ist der Grund, warum du niemals mehr sein wirst als das, was du jetzt bist.« Karl warf sich in die Brust wie ein wütender Truthahn.

    Ich wollte ihm gerade sagen, dass es keine Leistung war, ein schmieriges Diner zu erben, als hinter mir die Glocke ertönte. Dukes und Holts Burger standen servierbereit auf der Theke. »Danke, Norville«, sagte ich zum Koch und stahl mir eine Fritte von Dukes Teller. »Mach mir einen Jack Tommy, verbrenn ihn, schleif ihn durch den Garten und steck eine Rose rein.«

    »Gegrilltes Käsesandwich mit Tomaten und ein Burger, kommt sofort«, übersetzte Norville, dessen lange Arme bereits in Bewegung waren. Er trug ein altes Popeye-Shirt, das zu den Tattoos von Olive Oyl und Bluto auf seinen Armen passte. In einem Ohr hatte er einen Kopfhörer stecken, während der andere auf seiner Brust baumelte. Leise konnte ich Clarence Frogman Henry »I ain’t got no home« singen hören.

    Ich balancierte das Tablett auf dem Arm und stahl eine letzte Fritte, bevor ich die Küchentür mit meiner Hüfte aufstieß. Als ich Duke und Holt das Essen servierte, stellte ich überrascht fest, dass sie sich freundlich mit dem Cajun unterhielten.

    »Auf keinen Fall«, sagte Holt gerade. »Das würd ich sofort merken.«

    Der Cajun schien darüber nachzudenken. »Die Möglichkeit besteht immer.« Als er zu mir aufsah, zwinkerte er mir leicht zu. Dabei mischte er ein Kartendeck und zwar so faszinierend schnell, dass seine langen, schlanken Finger kaum die Karten zu berühren schienen, wodurch es so aussah, als würden sie sich wie durch Magie bewegen.

    Holt salzte sein Essen nach. »Verdammt, Sie sind echt gut.«

    Duke biss von seinem Burger ab, bevor er seinem Freund sagte: »Sei nicht so ein Schleimer. Das muss irgendein Trick sein.«

    »Kein Trick«, erwiderte der Cajun. »Wenn ihr mich beim Betrügen erwischt, gewinnt ihr den Pot.«

    Ich stand mit Block und Stift bereit, bis mir der Cajun seine Aufmerksamkeit zuwandte. Ich schenkte ihm die schwache Version meines Berufslächelns, nur um deutlich zu machen, dass ich nicht flirtete. »Wissen Sie, was Sie wollen?«

    Durch die dunkle Sonnenbrille konnte ich seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. »Nur einen Kaffee, bitte.«

    Großartig, so einer also. Ich ließ ihm die Speisekarte da, für den Fall, dass er seiner schäbigen Tasse Kaffee noch was hinzufügen wollte. Dann ging ich in die Küche zurück, um nach den Bestellungen der zwei Frauen zu sehen, und stellte fest, dass Karl das Unmögliche gelungen war – er hatte Norville wütend gemacht. »Das ist einfach nur rassistisch, Karl.«

    Karl verschränkte die Arme. »Du weißt, dass das nicht stimmt. Ich hab Darnique und dich doch eingestellt, oder nicht? Hast du mich jemals was Schlechtes über Schwarze sagen hören?«

    Norville seufzte. »Du warst rassistisch gegenüber Mutanten.«

    »Weil sie anders sind als wir.«

    Gott im Himmel, Karl hatte sich wohl mal wieder diesen irren Radiofuzzi angehört. »Karl«, sagte ich scharf. »Warum genau fängst du jetzt damit an? Norville, wo sind mein gegrilltes Käsesandwich und der Burger?«

    »Tut mir leid, Marie.«

    Norville drehte sich wieder zum Grill um, aber Karl war noch nicht fertig. »Glaubt mir, Mutanten sind der Grund, warum wir den zweiten Verfassungszusatz brauchen. Wie soll sich denn ein normaler Mensch gegen jemanden mit Superkräften wehren, wenn er keine Waffe hat?« Karl urteilte wie viele andere nach seinen eigenen Veranlagungen. Wenn mein Boss selbst besondere Kräfte gehabt hätte, hätte er sie genutzt, um andere damit zu unterdrücken. Die Möglichkeit, dass eine Person ihre Macht nicht als Keule einsetzen könnte, kam ihm gar nicht in den Sinn.

    Norville traute den meisten Menschen nicht mal mit Küchenmessern, geschweige denn mit Pistolen, und Karl versuchte ständig, seinen Koch vom Gegenteil zu überzeugen. Mein Boss lamentierte gerade, dass jeder Mann mindestens drei Schusswaffen bräuchte, als ich den beiden Frauen ihre Bestellungen brachte. Die Ladys hatten auf ihrem Tisch einen Haufen Papiere verteilt, also balancierte ich die heißen Teller weiter, während die Pferdegesichtige – Irene – Platz machte.

    »Danke fürs Warten«, sagte Lucretia, als hätte ich eine Wahl gehabt.

    »Kein Problem«, erwiderte ich, auch wenn ich mich innerlich fragte, warum sie ihren Kram so ausgebreitet hatten, obwohl sie wussten, dass Essen kam.

    »Sie wirken ein bisschen verärgert«, bemerkte Irene. Ich war überrascht. Normalerweise war ich besser darin, meine Gefühle zu verbergen.

    »Mmh«, machte Lucretia, nachdem es mir endlich gelungen war, das Essen abzustellen. »Riecht köstlich.« Sie schüttelte eine Serviette aus und steckte sie sich in ihr großzügiges Dekolleté. Als ich mich zum Gehen wandte, fügte sie hinzu: »Wissen Sie, mir ist aufgefallen, dass ihnen diese Jungs da hinten das Leben schwer machen.«

    Ich winkte ab. »Ach, die beachte ich gar nicht.«

    »Ach ja?« Die blauen Augen hinter den langen falschen Wimpern waren laserscharf. »Vielleicht sollten Sie das aber.« Mir wurde bewusst, dass ich eine Frau vor mir hatte, die sich nichts gefallen ließ, und

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