SOKO Soien: Das Rätsel der unbekannten Toten
Von Andreas Herzog
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Über dieses E-Book
Am 06. November 2001 wurde im Gemeindebereich des sonst so beschaulichen Saulgrub im Landkreis Garmisch-Partenkirchen die grausam entstellte Leiche einer unbekannten Frau aufgefunden. Trotz vielfältiger neuer Ermittlungsmethoden mit wissenschaftlichem Hintergrund konnte der Fall letztendlich erst mit normalen kriminalistischen Routinemaßnahmen im Januar 2004 endgültig - nach einem zweiten Mord in Bari - geklärt werden. Der Autor als Mitglied der Soko Soien schildert aus erster Hand wie es in geduldiger, akribischer kriminalistischer Kleinarbeit gelang, den Fall in enger Zusammenarbeit mit der italienischen Polizei nach über 26 Monaten zu klären.
Die authentische Schilderung der Klärung zweier grausamer Frauenmorde in Oberbayern und Süditalien
Andreas Herzog
Andreas Herzog begann 1975 seine Laufbahn bei der Bayerischen Polizei. Nach der Ausbildung versah er zunächst seinen Dienst als Streifenbeamter im Schichtdienst. Nach mehreren Zwischenstationen folgte 1999 der Weg zur Kriminalpolizei Garmisch-Partenkirchen. Dort war er viele Jahre stv. Leiter des Kommissariates 1 und zuständig für die Bearbeitung von Tötungs-, Sexual- und Branddelikten. <br><br> Im Dezember 2016 ging er in den Ruhestand und befasste sich nun mit der Verwirklichung des Buchprojektes über den Mordfall Soien, der neben anderen herausragenden Kriminalfällen zweifellos der größte Fall seiner Laufbahn war.
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SOKO Soien - Andreas Herzog
Andreas Herzog
SOKO Soien
Das Rätsel der unbekannten Toten
Logo_hansanord_pos_120über den Autor
Andreas_Herzog_250Andreas Herzog begann seine Laufbahn 1975 bei der Bayerischen Polizei und versah nach der Ausbildung in München und Dachau zunächst seinen Dienst bei der Polizeiinspektion in Garmisch-Partenkirchen als Streifenbeamter.
Vor seinem Aufstieg in den gehobenen Dienst war er auch als Ermittlungsbeamter im Bereich Rauschgiftkriminalität und im Personenschutz tätig.
Ab 1992 zunächst bei der Schutzpolizei als Dienstgruppenleiter eingesetzt und 1999 der Wechsel zur Kriminalpolizeistation Garmisch-Partenkirchen. Dort war er viele Jahre stv. Leiter des Kommissariates 1 und zuständig für die Bearbeitung von Tötungs-, Sexual- und Branddelikten.
Im Dezember 2016 ging er in den Ruhestand und befasste sich nun mit der Verwirklichung des Buchprojektes ‚SOKO SOIEN‘.
IMPRESSUM
1. Auflage 2021
© 2021 by hansanord Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages nicht zulässig und daher strafbar. Das gilt vor allem für Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
ISBN E-Book: 978-3-947145-39-3
ISBN Buch: 978-3-941745-38-6
Bilder: © Ludwig Hutter, Garmisch-Partenkirchner Tagblatt sowie Prof. Dr. Ursula Wittwer-Backofen
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www.hansanord-verlag.de
Logo_hansanord_pos_120Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkungen
Prolog
I. Die Tat
1. Der Tatort – erste Maßnahmen
2. Tatortarbeit und erste Spurensicherung
3. Erste Hypothesenbildung nach der Tatortarbeit
4. Die Obduktion
5. Die SOKO
6. Auffinden der Opferbekleidung
II. Die Ermittlungen beginnen
1. Die Medien und erste Fahndungsmaßnahmen
2. Die Misere mit den Fahndungsplakaten
3. Erste Ergebnisse
4. „Chi l’ha visto?" – ein bemerkenswertes Interview
5. Erste Ermittlungen in Italien
6. C&A Düsseldorf
7. Die Schuhe
8. Operative Fallanalyse (OFA)
9. Vermisstenrecherche
III. Rechtsmedizin und Kriminaltechnik – die Ermittlungen gehen weiter
1. Ergebnisse aus der Rechtsmedizin und der Kriminaltechnik
2. Absuchmaßnahmen
3. Vermisste Frauen und Opferhinweise
4. Stand in den Medien
5. Die „Spielbankspur"
6. Erste Täterhinweise
7. Internationale Vermisstenrecherche
8. Isotopen und die Sache mit den Zähnen
9. Altersbestimmung des Opfers anhand der Zähne
10. Das zweite Zahngutachten aus Freiburg
11. Isotopenanalyse – Abnahme des Schädels
12. Die Tote bekommt ein (neues) Gesicht
13. Ergebnisse der Isotopenanalyse
14. Dienstreise nach Castelfidardo
15. Bestattung des Opfers
16. Ermittlungen im Rotlichtmilieu
IV. Die Lederjacke (Spur 110) – der Schlüssel zum Erfolg
1. Besuch beim Zoll in Bozen und im Wissenschaftlichen Institut in Parma
2. Rechtshilfeersuchen nach Italien zur Vorbereitung der Durchsuchung bei „La Matta"
3. Dienstreise nach Vicenza – Durchsuchung der Lederjackenfirma La Matta
V. Die Wende
1. Immer wieder Vicenza
2. „Jetzt haben wir sie endlich identifiziert" – nächste Fahrt nach Vicenza
3. Observation in Venedig – Mestre und ein verhängnisvolles Telefonat
4. Padua und erster Kontakt mit Adriano De Luca – ist er der Mörder?
5. Genua – Vernehmung des Adriano De Luca
6. Die Italiener setzen sich durch – eine verhängnisvolle Absprache
7. Vorbereitung des Treffens mit Eleonora Salomi
VI. Tödliche Beziehungen und andere Geschichten
1. Der Anruf, der alles änderte – Samstag, 17.Januar 2004
2. Fahrt nach Modugno/Bari – Sonntag, 18. Januar 2004
3. „Man gönnt sich ja sonst nichts"
4. Besprechung mit den Carabinieri in Modugno, Montag, 19.Januar 2004, 09:30 Uhr
5. Besprechung mit dem ermittelnden Staatsanwalt und Übernahme des Falles in Brindisi, Montag, 19.Januar 2004, 12:30 Uhr
6. Maßnahmen in der Rechtsmedizin Bari – Montag, 19.Januar 2004, 19:00 Uhr
7. Beschuldigtenvernehmung des Francesco A. am Dienstag, 20.Januar 2004
8. Spurensicherung am Tatfahrzeug und Rückfahrt nach Garmisch-Partenkirchen, am Mittwoch, 21.Januar 2004
9. Erkenntnisse und Ermittlungsergebnisse aus Bari
10. Die Abschlussfeier
VII. Vorbereitung der Gerichtsverhandlung in Brindisi
1. Hilferuf aus Brindisi: „Die Akten sind weg!"
2. Besuch im psychiatrischen Krankenhaus in San Michele Salentino
3. Übergabe der Opferbekleidung
VIII. Der Prozess im Justizpalast von Brindisi
1. Ladung der deutschen Zeugen Mitte Oktober 2005
2. Der Prozesstag am Donnerstag, 24. November 2005
3. Das Urteil vom 03. April 2007
IX. Die letzte Reise des Opfers – und was bleibt
1. Exhumierung am 06.November 2007
2. Vorträge zum Mord am Fortbildungsinstitut der Bayerischen Polizei
3. Das Opfer Elisabeth Lansman ist nicht vergessen
Bildteil
Epilog
Danksagung
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Vorbemerkungen
Während der jahrelangen Ermittlungen in dem grausamen Mordfall, der sich im November des Jahres 2001 in unserem Dienstbereich im Landkreis Garmisch-Partenkirchen ereignete, sprachen mich immer wieder Kollegen und Freunde darauf an, dass ich darüber, sollte ich den Fall jemals aufklären, ein Buch schreiben müsse.
Nach der Klärung der Tat und der Verurteilung des Täters wegen Doppelmordes kam ich schließlich selbst zu der Überzeugung, dass der Fall genug Stoff für ein Buch hergeben würde.
Die Arbeit an dem Mordfall, den ich zu Beginn meiner Laufbahn bei der Kriminalpolizei als hauptverantwortlicher Sachbearbeiter ermittelte, bildete die Grundlage für einen großen Erfahrungsschatz, aus dem ich immer wieder schöpfen konnte: Für die Bearbeitung der in den Folgejahren ermittelten Großfälle sollte mir das zu jener Zeit erworbene Wissen von großem Nutzen sein.
Ich verschob mein Ansinnen, ein Buch über den Fall zu schreiben, immer wieder, doch ich verlor es nie aus den Augen.
Erst im Jahr 2019, nach 41 Jahren bei der Polizei, davon 18 im Kriminaldienst, entschloss ich mich – nun im verdienten Ruhestand –, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Ich verfasse dieses Buch als erlebnisorientiertes Sachbuch chronologisch gemäß den den Ereignissen und Ermittlungen, wie sie sich mir und uns damals dargestellt haben. Nur mit größter Motivation und Beharrlichkeit konnte es uns als Team gelingen, den Fall zu klären.
Mir wurde im Laufe der Zeit klar, wie schwierig eine länderübergreifende Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Polizeibehörden und der Justiz war und manchmal auch heute noch ist.
Letztendlich wurde der Fall bei allen wissenschaftlichen Bemühungen und Gutachten durch kriminalistisches Vorgehen geklärt. Die Erkenntnisse der Rechtsmedizin und Wissenschaft kamen dann im Zuge des Prozesses in Süditalien, bei dem ich als Zeuge geladen war, maßgeblich zum Tragen.
Der Sachverhalt ist in allen zeitlichen und örtlichen Darstellungen authentisch und entspricht in seinen Schilderungen den wahren Ereignissen und Begebenheiten.
Die Namen der handelnden Personen, die mit einer Veröffentlichung ihrer Namen einverstanden waren, sind mit realem Vornamen zum Teil mit abgekürztem Nachnamen wiedergegeben. Die Personen, deren voller Name genannt wird, waren ausdrücklich mit dieser Verfahrensweise einverstanden.
Manche handelnden Personen habe ich zum Schutz der Persönlichkeitsrechte anonymisiert, deren Namen verändert oder gänzlich ohne Namensnennung erwähnt.
Dieses Buch soll auch als Dank an alle Kolleginnen und Kollegen gelten, die über die gesamte Dauer der Ermittlungen daran mitgearbeitet haben, den Mord aufzuklären.
Prolog
Es ist der 06. November 2001 in den frühen Morgenstunden. Marianne B. fährt mit ihrem Auto auf einer Nebenstraße von Bad Bayersoien nach Hause, zu ihrem Wohnort Saulgrub.
Saulgrub ist eine kleine Gemeinde im Landkreis Garmisch-Partenkirchen und bildet zusammen mit der Gemeinde Bad Bayersoien eine Verwaltungsgemeinschaft.
Die Gemeinden liegen ungefähr 70 km südlich von München im Voralpenland unweit des weltberühmten Passionsspielortes Oberammergau und sind umgeben von grünen Hügeln, Seen und Wäldern.
Frau B. wohnt mit ihrem Mann und ihren Kindern auf einem Bauernhof, idyllisch gelegen abseits großer Straßen inmitten unberührter Natur.
Der Fahrweg liegt parallel zur Bundesstraße 23, die von Süden her in Richtung Norden nach Augsburg verläuft, leicht erhöht zur Bundesstraße.
Die Straße ist für den öffentlichen Verkehr gesperrt, der schmale Fahrweg ein Schleichweg für Einheimische. Frau B. hat ihre Kinder zuvor in die ca. vier km entfernte Schule ins Nachbardorf Bad Bayersoien gefahren und freut sich nun auf das Frühstück mit ihrem Mann.
Auf der einen Seite des Fahrweges dient dichtes Gestrüpp der Abgrenzung zur Bundesstraße, auf der anderen ist eine Viehweide mit Stacheldraht abgezäunt.
Laub liegt auf der Straße. Die Fahrbahn ist teilweise durch den in der Nacht aufgetretenen Nebel feucht.
Um diese Zeit ist außer ihr niemand unterwegs.
Plötzlich erstarrt sie vor Schreck.
Da ist etwas Weißes auf der Straße.
Frau B. reißt das Steuer nach links und fährt an dem weißen Etwas vorbei.
Im dichten Nebel hatte sie das Hindernis erst spät erkannt. Was ist das – ein totes Schwein? Ein Müllsack?
Nein, eigentlich war es dafür zu groß, beruhigt sie sich. Sie will sich gar nicht vorstellen, was es sonst noch gewesen sein könnte. „Ein Mensch? Bin ich drübergefahren? Nein, ich glaub' nicht, aber da waren diese dunklen Flecken auf der Straße …", grübelt sie.
Schockiert und voller Angst fährt Marianne B. langsam weiter und ist nach fünf Minuten wieder zuhause. Ihr Mann, inzwischen aufgestanden, wartet am Frühstückstisch auf sie.
Er merkt, dass mit seiner Frau etwas nicht stimmt, denn sie zittert am ganzen Leib. Sie erzählt ihm, was passiert ist, und dass sie sich fragt, ob sie ein Tier totgefahren hat. „Hoffentlich nicht", sagt sie panisch.
„Hoffentlich war es nur ein Müllsack …"
Sie gehen zum Auto.
Herr B. schaut sich die Frontpartie an: keine Beschädigungen zu sehen.
Sie setzen sich ins Auto und fahren die kurze Strecke zurück.
Herr B. sitzt am Steuer, seine Frau kann nicht mehr fahren. Ihr ist übel.
Es ist immer noch dunkel, die Scheinwerfer kämpfen sich durch den dichten Nebel.
Langsam fahren sie auf der Nebenstraße.
Da ist es: weiß, groß, am Fahrbahnrand. Herr B. bremst das Auto langsam ab.
Jetzt fängt auch er zu zittern an.
Sie kommen näher, noch zehn Meter, noch fünf, noch drei. Beide steigen aus.
Es riecht seltsam, irgendwie nach Eisen.
„Blut riecht wie Eisen", denkt Herr B. Den Geruch kennt er von seinem Bauernhof, wenn geschlachtet wird.
Der feuchte Nebel hüllt alles ein. Das ist kein totes Schwein, kein Müllsack. Das ist ein unbekleideter menschlicher Körper!
Eine Frau, blutig und entstellt.
Sie liegt auf dem Bauch, die Arme verdreht. Das Gesicht kann man nicht erkennen, denn die Kopfhaut ist abgezogen und hängt seitlich herunter.
Die gesamte Rückenpartie und die Oberschenkel der Frau sind verschmutzt; da sind Reifenspuren auf dem Rücken zu erkennen und da ist Blut, viel Blut.
Auf der Fahrbahn sind mehrere Blutlachen, darin eine zerbrochene Flasche.
Marianne B. weint. Sie wendet sich ab.
„Habe ich die Frau überfahren?", schluchzt sie.
Ihr Mann nimmt sie in den Arm und versucht, sie zu beruhigen.
Sie steigen wieder ins Auto.
Ein Handy haben sie nicht zur Hand. Es liegt zuhause.
Herr B. muss das Fahrzeug auf einer Wiese wenden. Dann fahren sie nach Hause und rufen um 06:57 Uhr die Notrufnummer an.
Der Notruf geht bei der Polizeiinspektion Murnau ein, in deren Zuständigkeitsbereich Saulgrub und Bad Bayersoien liegen.
„Wir haben eine tote Frau gefunden", sagt Herr B. dem Polizist am Apparat.
Der Polizist fragt nach vorgegebenem Raster alle Einzelheiten ab und versucht zunächst, den Anrufenden zu beruhigen. Er erklärt dann, dass er eine Streife schicken werde, und dass das Ehepaar im Haus bleiben solle.
Gleichzeitig schickt er eine Streifenwagenbesatzung zu dem beschriebenen Auffindungsort.
Die Eheleute sind am Ende, verzweifelt, ratlos.
„Was kommt da jetzt alles auf uns zu?", fragen sie sich.
I.
Die Tat
1. Der Tatort – erste Maßnahmen
An diesem Morgen des 06. November 2001 saßen wir, das heißt die Beamten der Kripo Garmisch-Partenkirchen, wie stets um diese Zeit im Besprechungsraum der Dienststelle bei einer Tasse Kaffee und diskutierten die Fälle der letzten Tage.
Ein Suizid, ein Sexualdelikt, ein paar kleinkriminelle Drogenkonsumenten, das war es schon.
Große Fälle kommen auf dem Land seltener vor als in der Stadt, aber sie passieren hier genauso wie dort.
Die Kriminalpolizeistation ist für den Landkreis Garmisch-Partenkirchen mit etwa 88.000 Einwohnern zuständig. Unterstellt waren wir zu dieser Zeit der Polizeidirektion Weilheim, bei der es ebenfalls eine Kriminaldienststelle gab, jedoch mit deutlich mehr Beamten.
Unser Chef Kurt stand kurz vor seinem 60. Geburtstag und hatte noch vier Wochen bis zu seiner wohlverdienten Pension. Er war ein mit allen Wassern gewaschener Kriminaler, der schon einige Mordfälle bearbeitet hatte.
Um 08:14 Uhr erreichte uns ein Anruf der Einsatzzentrale: „Eine unbekleidete Tote mit massiven Verletzungen liegt neben der Straße, alles deutet auf ein Tötungsdelikt und nicht auf einen Verkehrsunfall hin", sagte der Beamte.
Der Fall brach über unsere kleine Dienststelle herein wie eine Bombe und sollte uns in den nächsten Monaten und Jahren bis an die Belastungsgrenzen beschäftigen. Aber das konnten wir zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht wissen.
Eine derart kleine Sonderkommission, wie sie infolge dieses Anrufes zur Bearbeitung des Falls gebildet wurde, gibt es heute bei Tötungsdelikten nicht mehr. Der Personalansatz ist mittlerweile um ein Vielfaches höher angesetzt.
Die Kripo Garmisch-Partenkirchen setzte sich zu jenem Zeitpunkt aus 17 Beamten zusammen. Davon waren einige kurz vor der Pensionierung und andere kamen für die Sachbearbeitung eines solchen Falles aufgrund ihrer Verwendung in anderen Bereichen nicht infrage.
Nachdem Kurt, unser Chef, alle Informationen von der Einsatzzentrale eingeholt hatte, schaute er in die Runde und fragte mich, den er gern mit Spitznamen ansprach:
„Anderl, ich würde dich gern als ersten Sachbearbeiter vorsehen – überleg' dir bitte, wen du dir als zweiten Sachbearbeiter vorstellen könntest."
Zur Erklärung ist zu sagen, dass es bei Fällen der Schwerkriminalität so war und auch heute noch ist, dass ein erster Sachbearbeiter zur Koordination eingesetzt wurde und ein zweiter, der grundsätzlich für die umfangreiche Aktenführung zuständig war.
Ich war 45 Jahre alt und seit zwei Jahren bei der Kripo. Kurt war damals wie ein väterlicher Freund für mich, und dass er mir das Vertrauen schenkte, den Fall verantwortlich zu bearbeiten, machte mich stolz.
„Gut, dachte ich, „dann mache ich das. Ich werde das Vertrauen einlösen, das in mich gesetzt wird.
Als zweiten Sachbearbeiter wählte ich Thomas.
Thomas war ein 29-jähriger Beamter, erst seit kurzer Zeit bei uns und hatte Erfahrung in der Bearbeitung von Drogendelikten. Er war engagiert, konnte gut formulieren und sich auch dementsprechend artikulieren.
Mir war klar, dass von uns ein hohes Maß an Motivation gefordert war – diesen Anspruch stellte ich an mich, und ich wusste, dass auch Thomas hoch motiviert war, an einem für unsere kleine Dienststelle so herausragenden Fall hauptverantwortlich mitzuarbeiten.
Ich teilte mir seit 1998 das Büro mit meinem Kollegen und guten Freund Edi.
Den Aufstieg vom mittleren in den gehobenen Dienst schafften wir zur gleichen Zeit und waren dann für einige Jahre beide Dienstgruppenleiter bei der Schutzpolizei in derselben Dienststelle in Garmisch-Partenkirchen. Wir kannten uns persönlich sehr gut und konnten uns aufeinander verlassen.
Edi war zu jenem Zeitpunkt im November 2001 bei einem Fortbildungslehrgang und nicht in der Dienststelle anwesend. Dies bedeutete für ihn, nicht von Anfang an bei dem Fall mitarbeiten zu können. Er erfuhr von diesem Mordfall erst aus der Zeitung; im weiteren Verlauf der Ermittlungen sollte ihm dann aber eine wesentliche Rolle zukommen.
Geplant war des Weiteren, dass Werner B. die SOKO leiten würde. Werner war schon länger als ich bei der Kripo und hatte bereits Erfahrung sammeln können, was die Arbeit in einer SOKO betraf, und war in der Folgezeit der ruhende Pol bei uns.
In unserer Dienststelle arbeiteten weiters zwei Erkennungsdienstbeamte, und zusätzlich zu ihnen wurde auch der Erkennungsdienst der Kripo Weilheim alarmiert. Die Leute aus Weilheim waren sehr erfahren, zudem hatten sie mehr Equipment zur Spurenauswertung zur Verfügung als wir.
Nachdem wir also unsere Fahrzeuge mit der uns zur Verfügung stehenden Ausrüstung ausgestattet hatten, fuhren wir, ein wenig aufgeregt, los in Richtung Tatort. Ich war beeindruckt, wie Kurt, der eigentlich schon dabei war, sein Büro zu räumen und sich auf seine anstehende Pension zu freuen, die Fäden in dieser so genannten Chaosphase in der Hand hatte und erste Strukturen schaffte.
Wir unterhielten uns auf der Fahrt über die ersten Informationen, die wir hatten, und machten uns gegenseitig Mut.
Es dämmerte mittlerweile, war aber immer noch neblig.
Leichen hatte ich schon einige gesehen, auch schon Todesermittlungen durchgeführt und Suizide bearbeitet, aber was mich heute erwartete, war neu und anders gelagert.
Thomas und ich hatten ein Ziel: Wir klären den Fall bis Weihnachten und bis zur Abschiedsfeier von Kurt. Unsere Erwartung in dem Moment war, dass wir ein vermutliches Mordopfer hatten und „nur" noch den Täter ermitteln mussten.
Die kommenden Wochen sollten uns eines Besseren belehren.
Schließlich erreichten wir die Abzweigung von der B23 zu einem kleinen Ortsteil mit einigen wenigen Häusern von Saulgrub, in dem auch der Bauernhof der Eheleute lag, die die Leiche gefunden hatten.
Wir bogen nach rechts ab und befanden uns nun auf dem Nebenweg, der zum Tatort führte. Nach ungefähr 200 Metern stand ein Polizeiauto mit uniformierten Kollegen vor uns.
Der Tatort befand sich ungefähr in der Mitte zwischen den Ortschaften Saulgrub und Bad Bayersoien.
Eine Beleuchtung durch Straßenlaternen war nicht gegeben. Als Lichtquelle war allenfalls der auf der Bundesstraße 23 vorbeirollende Fahrzeugverkehr denkbar.
Die kleine Nebenstraße verlief parallel zur Bundesstraße 23, die als Nebenstrecke von Italien über den Brenner und Tirol nach Augsburg und weiter in den Norden genutzt wird.
Zum engeren Tatort ist weiterhin anzuführen, dass die Fahrbahn vier Meter breit und asphaltiert war.
Thomas und ich stiegen aus und wurden von den Kollegen in die Lage eingewiesen. Kurt und die anderen Kollegen trafen fast zeitgleich mit uns ein.
In einer Entfernung von circa 50 m sahen wir am linken Fahrbahnrand die unbekleidete Leiche auf dem Bauch liegend.
Zwei uniformierte Kollegen, die dort standen, waren sichtlich schockiert von dem Anblick der blutverschmierten und malträtierten Leiche.
„Wir müssen hier alles absperren – keiner geht jetzt näher an die Leiche ran!"
Das war die Devise, die Thomas und ich nun ausgaben.
Ohne die Anweisung der Beamten des Erkennungsdienstes, die mit uns gemeinsam eintrafen, durfte niemand näher als 20 m an die Leiche heran.
Immer mehr Polizeifahrzeuge trafen ein; Spezialisten der Unfallfluchtfahndung wurden angefordert und kamen nach und nach hinzu.
Eine Übung der alpinen Bergeinsatzgruppe wurde abgesagt – die Kollegen, die ausgebildet waren, sich in unwegsamem Gelände sicher