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Schwarz ist der Tod
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eBook244 Seiten3 Stunden

Schwarz ist der Tod

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Über dieses E-Book

Der brutale Mord an einer Afrikanerin bereitet dem schwulen Kommissar Jürgen Schneider aus Basel Kopfzerbrechen. Umso glücklicher ist er, dass es in seinem Privatleben gut läuft: Sein Partner und er haben große Freude an dem Sohn, der in einer Regenbogenfamilie im Wechsel bei ihnen und bei seinen Müttern aufwächst. Der Mordfall, den der Kommissar zu klären hat, ist jedoch kompliziert. Das Opfer ist weder bei den Schweizer Behörden noch in Deutschland oder Frankreich gemeldet. Wie konnte die Afrikanerin nach Basel kommen, ohne dass sie irgendwo registriert worden ist? Geht es um einen aus dem Heimatland der jungen Frau gesteuerten Racheakt oder um einen rassistischen Hintergrund? Jürgen Schneider und sein Mitarbeiter versuchen dem Rätsel über die Herkunft des Opfers auf die Spur zu kommen, indem sie Kontakt zu anderen in Basel lebenden Afrikanern aufnehmen. Könnte jemand von ihnen der Täter sein? Der Kommissar fragt sich, welches Motiv eine Person aus diesem Kreis haben könnte, findet aber keine Antwort. Die Ereignisse nehmen eine dramatische Wendung, als ein zweiter Mord, ebenfalls an einem Afrikaner, verübt wird. Die Ermittlungen führen Jürgen Schneider in die Schwulenszene von Basel und Zürich und leiten ihn auf eine heiße Spur. Der Kommissar ahnt, wer der Täter sein könnte, hat jedoch keine handfesten Beweise. Ein nächtlicher Einbruch bei Jürgen Schneider, seinem Partner und ihrem Sohn hätte ein böses Ende nehmen können, wenn der Kommissar nicht rechtzeitig erwacht wäre. Nun zieht sich die Schlinge um den Hals des Täters enger und enger ...
SpracheDeutsch
HerausgeberHimmelstürmer
Erscheinungsdatum25. Juli 2018
ISBN9783863617066
Schwarz ist der Tod
Autor

Rauchfleisch Udo

Udo Rauchfleisch ist Autor aus Basel und arbeitet als Psychotherapeut in privater Praxis. Als Professor emer. für Klinische Psychologie an der Uni Basel hat er viele Fachbücher publiziert, darunter insbesondere über Homosexualität und Transsexualität/Transidentität. 2017 hat er begonnen, Krimis zu schreiben, die im schwulen Milieu von Basel spielen. Es ist ihm ein Anliegen, sozialkritische LGBT-Themen wie Homo- und Transphobie, Regenbogenfamilien etc. in die Geschichten einzuflechten. Der Autor dieses Krimis, Udo Rauchfleisch, hat selbst in Afrika gelebt und engagiert sich heute in der Schweiz bei Queeramnesty, einer Gruppe von amnesty international, die lesbische und schwule Asylsuchende unterstützt. Daher kennt der Autor die Probleme von afrikanischen Flüchtlingen, die in ihren Heimatländern wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden, und weiß um die Schwierigkeiten, mit denen homosexuelle und transidente Flüchtlinge in den Exilländern konfrontiert sind.

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    Buchvorschau

    Schwarz ist der Tod - Rauchfleisch Udo

    1.

    Der Regen prasselte auf ihren Schirm, so dass die junge Frau nicht einmal ihre eigenen Schritte auf dem Pflaster hören konnte. Ausgestorben lag die Rheinpromenade vor ihr und nirgends sah sie eine Möglichkeit, Schutz vor dem plötzlichen Wolkenbruch zu finden.

    Die Frau beschleunigte ihre Schritte und atmete auf, als sie kurz vor der Mittleren Brücke rechts den Durchgang sah, der die Rheinpromenade mit der parallel verlaufenden Rheingasse verband.

    In dem Moment, als sie den Durchgang erreicht hatte, hörte sie hinter sich Schritte. Offenbar gibt es noch jemanden, der hier Schutz vor dem Wolkenbruch sucht, dachte sie. Als sie sich umschauen wollte, spürte sie einen heftigen Schmerz im Rücken und brach mit einem Röcheln zusammen. Die andere Person stach noch mehrmals zu, um sicher zu sein, dass die Verletzung tödlich war, und verließ den Tatort mit schnellen Schritten.

    2.

    Gerade als Kommissar Jürgen Schneider, Ende dreißig, 1.95, mit einem durchtrainierten Body, um den ihn seine Kollegen beneideten, das Haus verlassen wollte, begann Antonio, der fünfjährige Sohn, ein mörderisches Geschrei. Mario Rossi, Jürgens um einige Jahre jüngerer Partner, war eigentlich heute zuständig, Antonio anzuziehen und zur Kindertagesstätte zu bringen.

    Die beiden Männer hatten zusammen mit einem Lesbenpaar, Anita Leupin und Sandra Frey, geplant, ein Kind zu haben und vor fünf Jahren war Antonio in diese Regenbogenfamilie geboren worden. Er lebte jeweils eine Woche bei den Müttern und eine Woche bei den Vätern.

    Innerhalb ihrer Partnerschaft hatten Jürgen und Mario eine klare Regelung: An den Tagen, an denen Mario nicht frühmorgens in seiner Boutique für Herrenkleidung sein musste, versorgte er Antonio. An den anderen Vormittagen war Jürgen zuständig. Er hatte als Leiter der Basler Mordkommission die Möglichkeit von gleitenden Arbeitszeiten, die er seit Geburt des Sohnes auch nutzte.

    Wenn Antonio jedoch wie heute so erbärmlich schrie, konnte Jürgen nicht einfach das Haus verlassen, so als ob nichts geschehen wäre. Zumindest musste er schnell schauen, was denn die Ursache des Geschreis war. Jürgen wusste zwar, dass Mario es nicht schätzte, wenn er sich in solchen Situationen „einmischte", wie Mario es empfand. Doch vielleicht kann ich die Situation ja beruhigen, dachte er, indem ich Antonio durch einen Spaß ablenke und Mario dadurch entlaste.

    Als Jürgen das Kinderzimmer betrat, fand er Antonio auf dem Bett sitzen und wütend die Hose wegschleudern, die Mario ihm offenbar hatte anziehen wollen.

    „Was ist denn los Antonio?"

    „Ich ziehe diese Hose nicht an", schluchzte Antonio.

    Jürgen nahm ihn in den Arm.

    „Das ist ja auch nicht nötig, mein Schatz. Wir haben ja noch viele andere. Lass’ uns mal schauen, was noch im Schrank ist."

    Mario warf Jürgen einen vorwurfsvollen Blick zu, mischte sich aber nicht in die Diskussion ein. Offensichtlich war er froh, dass es Jürgen gelungen war, die Situation zu beruhigen.

    „Was ist denn mit dieser schönen blauen Hose mit den roten Herzen? Die hat Mama dir doch geschenkt."

    Antonio betrachtete die Hose skeptisch und schüttelte den Kopf.

    „Und diese grüne mit den bunten Blumen? Die hast du ja mit Sandra zusammen gekauft. Die sieht doch toll aus!"

    Antonio schaute wiederum keineswegs begeistert und zog anstelle dessen eine einfarbige graue Hose aus der Schublade.

    „Die will ich anziehen!", entschied Antonio dezidiert und schaute Mario, der schweigend der Diskussion zugehört hatte, triumphierend an.

    „Die findet Mario sicher auch ganz toll", meinte Jürgen und zwinkerte seinem Partner zu.

    „Doch, die ist super, bestätigte Mario. „Das hättest du mir aber doch gleich sagen können und hättest nicht ein solches Geschrei loslassen müssen, fügte er tadelnd hinzu. „Papa hat sicher gedacht, dass hier wer weiß was los ist."

    „Das ist schon in Ordnung, beschwichtigte Jürgen ihn. „Jetzt sind wir ja alle drei zufrieden.

    Jürgen gab Mario und Antonio einen Kuss und machte sich auf den Weg ins Kommissariat.

    Als er dort um halb neun eintraf, fand er eine Mitteilung auf seinem Schreibtisch, es sei die Leiche einer jungen Frau am Rhein in der Nähe der Mittleren Brücke gefunden worden. Er möchte dorthin kommen. Der Gerichtsarzt und die Kollegen von der Spurensicherung seien schon vor Ort.

    Wahrscheinlich ein Mord aus dem Drogenmilieu, dachte Jürgen, denn er erinnerte sich daran, dass vor etlichen Jahren ein junger Mann bei der Übergabe von Drogen dort erstochen worden war.

    Als der Kommissar am Tatort ankam, traf er dort den Gerichtsarzt Dr. Ralph Elmer, seinen Mitarbeiter Bernhard Mall und die Kollegen von der Spurensicherung an. Dr. Elmer hatte seine Untersuchung der Leiche bereits abgeschlossen und fasste seine bisherigen Befunde zusammen:

    „Das Opfer ist eine circa 25-jährige Afrikanerin. Sie wurde durch mehrere Messerstiche in den Rücken getötet, wobei wahrscheinlich bereits der erste Stich tödlich war. Es scheint, als habe der Täter ganz sicher sein wollen, sein Opfer auch wirklich getötet zu haben, und hat deshalb mehrfach zugestochen."

    „Wahrscheinlich hat das Opfer den Angreifer bei dem heftigen Regen der vergangenen Nacht gar nicht gehört und ist deshalb ohne Gegenwehr von hinten erstochen worden, fuhr Dr. Elmer fort. „Sonst gäbe es noch Verletzungen im Brustbereich. Aber Professor Hofer wird euch nach der Obduktion sicher noch genauere Informationen geben können.

    „Was meinst du zum Todeszeitpunkt, Ralph?", fragte Jürgen.

    „Ich schätze gegen Mitternacht. Genaueres, wie immer, nach der Obduktion. Und damit verabschiede ich mich mal und überlasse euch die weitere Arbeit. Details erfährst du von Professor Hofer. Ciao."

    Jürgen wandte sich nun seinem Mitarbeiter Bernhard Mall zu.

    „Wer hat die Leiche gefunden, Bernhard?"

    „Da sie in dem dunklen Durchgang zwischen der Rheinpromenade und der Rheingasse lag, ist sie erst heute Morgen gegen acht Uhr entdeckt worden. Eine Passantin, die mit ihrem Hund spazieren gegangen ist, hat die Polizei um kurz nach acht angerufen. Ich habe mit ihr gesprochen und ihre Personalien aufgenommen. Sie konnte uns aber keine weiteren Informationen liefern."

    „Und was kann die Spurensicherung uns verraten?", fragte der Kommissar Bernhard Mall.

    „Leider so gut wie gar nichts. Es hat in der vergangenen Nacht ja heftig geregnet. Deshalb können wir Fußspuren natürlich vergessen. Außerdem wissen wir vom Opfer nur, dass es eine Afrikanerin ist, fuhr Bernhard fort. „Wir haben keinerlei Ausweise oder sonstige Papiere bei ihr gefunden. Auch keine Tasche.

    „Dann war es vermutlich ein Raubmord, meinte Jürgen. „In diesem Durchgang ist vor einigen Jahren doch ein Mann bei der Übergabe von Drogen ermordet worden. Vielleicht erinnerst du dich noch daran.

    „Ja, ich erinnere mich gut daran. Aber damals haben wir das Opfer leicht identifizieren können. Der junge Mann hatte eine Identitätskarte bei sich und war den Drogenfahndern wegen etlicher Drogendelikte bestens bekannt. Ich hoffe, wir finden über die jetzt erstochene junge Frau in unseren Karteien oder über das Amt für Migration Angaben, so dass wir sie schnell identifizieren können."

    „Schon komisch, dass sie von hinten durch mehrere Stiche in den Rücken getötet worden ist und es offensichtlich keinen Kampf gegeben hat. Wenn es um die Übergabe von Drogen gegangen wäre, würde es doch ein Gespräch zwischen Täter und Opfer gegeben haben, meinte der Kommissar, „und bei einem Streit wären es dann Verletzungen im Brustbereich gewesen.

    „Das habe ich mir auch überlegt, entgegnete Bernhard. „Selbst wenn es um ein sexuelles Motiv bei diesem Mord gegangen wäre, hätte der Täter doch sicher mit der Frau zu reden versucht. So aber scheint sein einziges Ziel die Tötung des Opfers gewesen zu sein. Wirklich eigenartig!

    Weil auch die Kollegen von der Spurensicherung keine weiteren Informationen liefern konnten, machten sich Jürgen Schneider und Bernhard Mall, nachdem die Leiche in die Gerichtsmedizin gebracht worden war, auf den Weg in das Kommissariat.

    Die Identifizierung des Opfers erwies sich jedoch als nicht so einfach, wie Jürgen es gehofft hatte. Die Fotos der jungen Frau und die von ihr genommenen Fingerabdrücke ergaben keine Hinweise auf ihre Identität. Auch lagen keine Vermisstenmeldungen vor, die auf die Afrikanerin zutrafen.

    Jürgen hoffte deshalb auf die Informationen, die Martin Hofer, der Chef des Gerichtsmedizinischen Instituts in Basel, ihm liefern würde.

    Außerdem hatte Bernhard eine Anfrage an das Amt für Migration gerichtet, ob das Opfer dort bekannt sei.

    Um kurz vor zwölf läutete das Telefon bei Jürgen.

    „Schneider, Mordkommission."

    „Das klingt ja grauenhaft, Jürgen. Ich erschrecke immer wieder, wenn ich das höre. Hier ist Anita. Ich hoffe, du sagst das nicht, wenn Antonio dich später mal anruft. Das arme Kind würde dadurch ja traumatisiert."

    „Nein, Anita. Keine Angst! Wenn unser Schatz mich anruft, würde ich das nicht sagen. Aber was verschafft mir die Ehre deines Anrufs?"

    „Ich wollte dich fragen, ob Antonio noch bis Samstagnachmittag bei euch bleiben kann. Sandra und ich gehen am Freitagabend ins Theater in Zürich. Eine tolle Inszenierung der Oper ‚Werther’ von Jules Massenet mit Juan Diego Florez in der Titelpartie."

    „Wow! Darum beneide ich euch aber", unterbrach Jürgen Anita.

    „Wir kommen dann erst spät in der Nacht nach Basel zurück und wären froh, wenn wir ausschlafen und Antonio erst am Nachmittag holen könnten."

    „Das ist absolut kein Problem. Wir können es dann am Samstagvormittag ruhig angehen lassen. Und du weißt ja: Antonio liebt es, nach dem Frühstück noch in Ruhe mit seinen Legos spielen zu können. Vielleicht hat er auch Lust, mit mir in die Stadt zu fahren. Ich möchte auf dem Markt Gemüse für das Wochenende kaufen. Und vielleicht essen wir dann sogar noch ein Eis bei Mövenpick. Das ist für Antonio ja das non plus ultra – und du weißt, ich genieße es auch, etwas mehr Zeit mit ihm zu verbringen", fügte Jürgen hinzu.

    „Dann haben wir die Situation ja zur Zufriedenheit aller bestens gelöst, erwiderte Anita. „Jetzt will ich dich aber nicht länger stören. Du hast wahrscheinlich diverse Morde in Basel aufzuklären.

    „Ganz so schlimm ist es glücklicherweise nicht. Aber wir haben heute Vormittag einen neuen Fall bekommen, der uns einiges Kopfzerbrechen bereitet. Wir haben die Leiche einer jungen Afrikanerin im Wild Ma-Gässli – du kennst vielleicht den schmalen Durchgang von der Rheinpromenade zur Rheingasse – gefunden."

    „Was für ein schrecklicher Ort! Ich kenne diesen düsteren Durchgang und würde am Abend nie dort hindurchgehen. Und dazu noch dieser schaurige Name ‚Wild Ma-Gässli’!"

    „Da hast du Recht, Anita, der Name klingt wirklich schaurig, obwohl der Wilde Maa in Basel eigentlich Teil von einer Art Volksfest ist, wenn er jeweils im Januar zusammen mit anderen archaischen Gestalten auf der Mittleren Brücke tanzt. Aber der Name kann einen schon erschrecken und der schmale Durchgang ist wirklich unheimlich. Ich mache mich mal wieder an die Arbeit. Dir dann noch einen schönen Tag. Liebe Grüße an Sandra und ciao."

    Da Jürgen am Vormittag erst um halb neun im Kommissariat angekommen war und schon um fünf Uhr gehen wollte, verzichtete er auf die Mittagspause und aß lediglich ein Sandwich, das er sich auf dem Weg vom Tatort zum Büro gekauft hatte.

    Mario wollte Antonio heute von der Kindertagestätte abholen und Jürgen dann in der Stadt treffen. Antonio genoss es immer sehr, mit seinen Vätern im „Piadina" am Barfüsserplatz eine Waffel mit Nutella essen zu dürfen. Wenn dazu noch ein Glas Limonade kam, war er im siebten Himmel.

    Seine Mütter, Anita und Sandra, achteten stärker darauf, dass Antonio sich gesund ernährte und möglichst wenig gezuckerte Speisen und Getränke zu sich nahm. Sie hatten jedoch nichts dagegen, wenn es bei den Papas mal eine Ausnahme gab.

    Für Antonio war es völlig selbstverständlich, zwei Mamas und zwei Papas zu haben. Bei der Anmeldung in der Kindertagesstätte, die Antonio seit dem Alter von einem Jahr besuchte, hatten Anita, Sandra, Jürgen und Mario die Betreuerinnen und Betreuer über ihre Regenbogenfamilie informiert und sich versichert, dass sie keine Vorbehalte ihrer Lebensform gegenüber hatten. Außerdem hatten sie die Eltern der anderen Kinder bei einem Elternabend ebenfalls informiert und waren auch bei ihnen auf völlige Offenheit gestoßen.

    Mario, der ursprünglich Jürgens Wunsch, zusammen mit Anita und Sandra eine Regenbogenfamilie zu gründen, skeptisch gegenübergestanden hatte, war erstaunt gewesen, dass sie nirgends Ablehnung ihrer Familienform erlebt hatten.

    „Wirklich toll, dass wir so viel Offenheit erfahren, hatte Mario nach der ersten Elternversammlung, zu der sie zu viert gegangen waren, zu Jürgen gesagt. „Ich habe das nicht erwartet.

    „Du siehst, es ist alles viel unproblematischer, als du es dir vorgestellt hast", hatte Jürgen entgegnet.

    Da Mario es nicht lassen konnte, doch immer wieder einen ironischen Kommentar abzugeben, hatte er erwidert: „Da du die Rolle des Zuchtbullen freiwillig übernommen hast, war für mich das Haupthindernis ja überwunden. Und ich muss zugeben, jetzt, wo Antonio geboren ist, genieße ich es auch, sozialer Papa zu sein – was ich mir damals ja überhaupt nicht vorstellen konnte."

    Anita, Sandra, Jürgen und Mario hatten vor sechs Jahren beschlossen, dass Anita die leibliche Mutter sein würde und die Schwangerschaft mit Jürgens Sperma herbeigeführt werden sollte. Schon nach wenigen Versuchen war Anita schwanger geworden und hatte vor fünf Jahren Antonio zur Welt gebracht. Jürgen hatte die Vaterschaft bestätigt und Sandra und Mario waren die sozialen Eltern von Antonio. Die vier waren mit ihrer Regenbogenfamilie total zufrieden.

    Anfangs hatte es einige Probleme mit den Großeltern gegeben. Marios Eltern hatten nach seinem Coming-out zwar immer wieder ihr Bedauern darüber ausgedrückt, dass sie von ihm nun keine Enkelkinder bekommen würden. Für sie als italienische Familie waren Kinder sehr wichtig. Als Mario ihnen dann aber mitgeteilt hatte, er werde bald ein Kind haben, waren sie völlig entsetzt gewesen. Mit dem Gedanken, Großeltern eines in einer Regenbogenfamilie aufwachsenden Kindes zu werden, konnten sie sich absolut nicht anfreunden.

    Marios Eltern äußerten anfangs sogar, dass sie „dieses Kind" nie treffen wollten, was Mario als sehr verletzend erlebte und seinerseits drohte, unter diesen Umständen den Kontakt zu seinen Eltern abbrechen zu wollen. Erst durch Jürgens Vermittlung war es gelungen, die Wogen wieder etwas zu glätten.

    Als Antonio geboren war und Marios Eltern auf der Geburtsanzeige das Bild „dieses Kindes" sahen, schmolzen indes alle Ressentiments, die sie gehabt hatten, in sich zusammen. Vor allem Marios Mutter konnte es nicht erwarten, das Enkelkind in ihre Arme zu schließen. Sie vergoss heiße Tränen, als Anita ihr Antonio in den Arm legte und der Kleine die Oma anstrahlte.

    Bei diesem Anblick hatte es sich Mario nicht verkneifen können zu sagen, also sei „dieses Kind offenbar doch nicht so schrecklich, wie seine Mutter es sich vorgestellt hatte. Sie hatte darauf empört reagiert und sich bis zum Argument verstiegen, sie habe die Idee eines Kindes in der Regenbogenfamilie von Anfang an sehr gut gefunden und habe nie die geringsten Vorbehalte gehabt. Mario habe das „wieder mal frei erfunden.

    Ähnlich war die Entwicklung in Anitas Familie verlaufen. Hier hatte der Vater, der schon auf Anitas Coming-out zuerst recht ablehnend reagiert hatte, die Idee, ein Kind zu haben und in einer Regenbogenfamilie aufzuziehen, als „absurd empfunden. Es sei rücksichtslos dem Kind gegenüber, es mit einer solchen Familienform zu konfrontieren. Es sei doch klar, dass ein solches Kind Opfer von Diskriminierungen und Ausgrenzungen sein werde, wenn das Umfeld wahrnehme, dass es in keiner „normalen Familie lebe, sondern zwei Mütter und zwei Väter habe.

    Anitas Mutter hatte ihn zwar zu beschwichtigen versucht. Er war aber skeptisch geblieben. Erst als Antonio geboren war und Anitas Vater bei der Taufe, zu der alle vier Großelternpaare eingeladen waren, das Enkelkind kennengelernt hatte, waren auch alle seine Bedenken wie weggewischt gewesen.

    Einen positiven Einfluss hatten auf ihn auch die Reaktionen der Eltern von Sandra und Jürgen gehabt. Diese beiden Großelternpaare zeigten ihre große Freude über die Geburt des Enkelkindes und vermittelten Anitas Vater, dass sie überhaupt keine Probleme in einer Regenbogenfamilie sähen.

    Eindruck hatte es auf Anitas Vater außerdem gemacht, dass zur Taufe auch Jürgens Ex-Frau Annette und die aus der Ehe von Annette und Jürgen hervorgegangene Tochter Caroline gekommen waren. Auch sie zeigten ihre große Freude an der Geburt von Antonio.

    Je älter der Enkelsohn geworden war, desto enger war die Beziehung zwischen Anitas Vater und Antonio geworden. Inzwischen war es auf ausdrücklichen Wunsch des Großvaters zur Gewohnheit geworden, dass er alle vierzehn Tage einen Nachmittag mit Antonio verbrachte. Sie gingen dann in den Basler Zoo, fuhren mit einem der Rheinschiffe von Basel nach Rheinfelden und zurück und gingen zu diversen Spielplätzen und im Sommer zum Baden in eines der Freibäder.

    Vor einigen Monaten war der Großvater mit Antonio in ein Kindertheater gegangen. Antonio war davon total begeistert gewesen und wochenlang war dieser Theaterbesuch das Hauptthema für ihn.

    3.

    Jürgen, Mario und Antonio waren zwar schon gegen halb acht wieder zu Hause gewesen. Es verging aber doch noch mehr als eine Stunde, bis Antonio endlich im Bett lag. Er war sehr geschickt darin, das Schlafengehen hinauszuzögern. Zuerst wollte er noch etwas trinken. Dann dauerte es relativ lange, bis er gewaschen war und seine Zähne geputzt hatte, und als er endlich um kurz

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