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Theo Gratias: Die sprechende Jungfrau
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eBook273 Seiten2 Stunden

Theo Gratias: Die sprechende Jungfrau

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Über dieses E-Book

Eine Touristin wurde in ihrer Ferienwohnung im südfranzösischen Ort Lagrasse niedergestochen. Wer steckte hinter dem Anschlag auf die junge Engländerin und vor allem warum ? Gibt es ein Geheimnis um die junge Frau ? Niemand hat etwas gesehen. Die Gendarmerie ermittelt. War der Freund des Opfers der Täter oder etwa jemand aus dem Dorf ? Jeder Spur wird nachgegangen. Auch Frère Théo, ein Mönch aus der benachbarten Abtei von Lagrasse, engagiert sich bei der Aufklärung. Er kümmert sich um den Freund des Opfers und sucht mit ihm nach Motiven. Schließlich ist es die Statue der Jungfrau Maria, die den Mönch auf eine Spur bringt. Was flüstert die Jungfrau Maria ihm zu ? Führt sie ihn zum Täter ?
Auf beeindruckende Weise entwickelt sich ein spannender Krimi, der Rückblicke in das Mittelalter, zu Zeiten von Karl des Großen, gibt. Über mysteriöse Weise tritt ein lang gehegtes Geheimnis in der Jetztzeit zutage. Dadurch wechseln die Leser und Leserinnen kapitelweise zwischen dem Mittelalter und dem 21. Jahrhundert. Zentraler Ort ist das romantische Mittelalterdörfchen Lagrasse.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum21. Apr. 2022
ISBN9782312120171
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    Buchvorschau

    Theo Gratias - Pierre Ranzoli

    cover.jpg

    Théo Gratias

    Christine von Essen und Pierre Ranzoli

    Theo Gratias

    Die sprechende Jungfrau

    LES ÉDITIONS DU NET

    126, rue du Landy 93400 St Ouen

    Die Geschichte sowie alle Personen, Namen, Vereine, Unternehmen und die Gesamtsituationen dieser Geschichte sind rein fiktiv, jede Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Anmerkung der Autoren

    Dieser Roman hat seinen Ursprung in der Fantasie eines deutsch-französischen Ehepaares. Das Buch entstand in zwei Versionen. Eine französische und eine deutsche, die Sie gerade in Ihren Händen halten.

    Viel Spaß beim Lesen !

    Christine von Essen und Pierre Ranzoli im März 2022

    © Les Éditions du Net, 2022

    ISBN : 978-2-312-12017-1

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    Prolog

    Thomas, der Eremit

    Kurz nach Sonnenaufgang arbeitete Thomas im Garten neben seiner kleinen Hütte. Es war sehr früh am Morgen. Bevor die Sonne sich in ihrer ganzen Stärke entfaltete, wollte er schnell gießen und Knoblauch, Fenchel, Kräuter und Zwiebeln für eine Suppe ernten.

    Nur noch ein Brunnen führte Wasser, versiegte aber schon nach drei Eimern. Auch der Fluss rann lediglich als kleines Rinnsal. Die früher kräftig sprudelnde Quelle, direkt am Haus, war schon lange versiegt. Es musste unbedingt bald regnen, sonst gab es kein Wasser mehr für ihn und seinen Garten, der sich dann wieder in die trockene Garrigue verwandeln würde. Er beschloss zu beten und eine seiner kostbaren Wachskerzen anzuzünden. Sie waren ein wertvolles Gut. Manchmal, wenn er einen Schwarm wilder Bienen fand, konnte er Honigwaben ergattern. Oft bezahlte er seine Beute mit vielen Bienenstichen, aber das Opfer lohnte sich, denn er erhielt Schätze in Form von süßem Honig und etwas Wachs für Kerzen. Der Honig bereicherte seine kargen Mahlzeiten. Zum Dank für diese kleine Sünde vergaß er nie, um Gnade zu beten.

    Er betete auch für Regen : „Wenn das so weitergeht wird meine Ernte sehr schlecht und es wird ein Jahr der Dürre und ich muss hungern. Bitte lieber Gott, lass doch meine viele Arbeit auch die Früchte bringen, die sie verdient. Nach diesen Worten zündete er die Kerze an und vollzog seine Zeremonie. Er gab dem Boden das ihm wertvollste, was er besaß als Zugabe : einen silbernen Ring, ein Andenken an seine Mutter. Diesen vergrub er am Eingang seiner Hütte. Die trockene, magere Erde, diese „Tèrras Magres, wie er sie nannte, sollte den Ring im Austausch für eine bessere Ernte annehmen und damit sein Überleben sichern.

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    Alarichs Erbe

    Alarich der Zweite war der achte König der Westgoten. Sein Königreich erstreckte sich von Gibraltar bis zur Loire und von Bordeaux bis Cannes.

    Die prunkvolle Residenz lag in der Hauptstadt des Königreiches, in Toulouse.

    Doch waren die Beziehungen zu den fränkischen Nachbarn extrem angespannt, es drohte Krieg.

    Um diese Gefahr zu bannen, initiierte Theodor der Große, König der Ostgoten und gleichzeitig auch Schwiegervater von Alarich, Verhandlungen mit dem damaligen König der Franken, dem aus der Merowinger Dynastie stammenden Chlodwig.

    Sie trafen sich symbolisch an der Grenze zwischen beiden Staaten, auf einer Insel in der Loire.

    Nach langen und zähen Verhandlungen, keiner von beiden wollte nachgeben, unterzeichneten sie schließlich im Jahre 506 einen Friedenspakt.

    Während Alarich ernsthaft entschlossen war, sich an die friedliche Übereinkunft zu halten, schon allein aus Respekt gegenüber seinem Schwiegervater, hatte Chlodwig ganz andere Pläne im Kopf. Mit dem Ziel, Gallien als Ganzes an sein Reich zu binden, wollte er Alarichs Reich, das dem arianischen Glauben anhing, wieder in den katholischen Glauben zurückführen. Klug sah Alarich der Zweite das Vorhaben von Chlodwig voraus und erkannte, dass es weiterhin auf einen Krieg hinauszulaufen drohte. Um diesen abzuwenden, öffnete er sich gegenüber den unterschiedlichen Glaubensrichtungen. Alarichs Plan war es, über liberalere Gesetze die Eskalation zu vermeiden.

    Dazu konsultierte er die jeweiligen Kirchenvertreter sowie die gallo-romanischen Juristen seines Königreichs, bevor er schließlich seinen Untertanen die neuen Gesetze verkündete.

    Das ‘Lex Romana Visigothorum’ oder auch ‘Breviarium Alaricanum’ genannt, wurde als modernes Gesetzbuch eingeführt und bezog sämtliche Forderungen seines Gegners Chlodwig mit ein. Die neuen Gesetze waren so gut ausgearbeitet, dass sie auch Chlodwig überzeugten und er übernahm sie kurzerhand für sein Königreich.

    Dennoch reichten alle diese Bemühungen Alarichs nicht aus, um Chlodwig versöhnlich zu stimmen. Schließlich kam es zum Bruch der geschlossenen Vereinbarungen und zur Aufhebung des Waffenstillstandes.

    Chlodwig erklärte den Krieg gegen Alarich und griff die Westgoten nördlich von Poitiers an. Damit standen den fränkischen Truppen die Wege in Richtung Süden offen und sie hatten Zugang zu ihrem eigentlichen Ziel : die Hauptstadt Toulouse mit ihrem Palast. Dort sollte sich der bemerkenswerte Schatz von Alarich befinden.

    Chlodwig, eitel wie er war, hatte sich vorgenommen, Alarich eigenhändig in einem Zweikampf zu töten. Es kam zum Duell zwischen den Beiden. Die Rüstungen knallten laut aneinander. Chlodwig war der Überlegenere, aber es gelang ihm nicht, Alarich zu töten. Allerdings verwundete er den Gegner schwer.

    Damit leitete Chlodwig auch gleichzeitig eine Zäsur in der Schlacht ein. Moralisch getroffen und führungslos zeigten die Westgoten Schwäche, die von den Franken gnadenlos ausgenutzt wurde, um sich entscheidende Vorteile zu verschaffen. Sie besiegten letztendlich die Westgoten.

    Die Überlebenden flohen und versuchten ihren König so gut wie möglich zu schützen und in Sicherheit zu bringen. Alarich wurde von seinen Soldaten zurück Richtung Toulouse gebracht, um vor weiteren Angriffen der fränkischen Soldaten bewahrt zu werden.

    Vorausschauend wusste Alarich, dass die Franken ihm keine Ruhe lassen würden. Deshalb hatte er schon vor der Schlacht, in weiser Voraussicht, Vorkehrungen getroffen, um sein Vermögen zu schützen und für den Fall des Falles einen sicheren Zufluchtsort vorbereitet. Jetzt wo der Notfall eintraf, organisierte er einen geheimen Konvoi aus Toulouse heraus, beladen mit all seinem Gold und seinen Juwelen. Er hatte ein Versteck in der Nähe der Stadt Narbonne ausgewählt.

    Allerdings war sein Gesundheitszustand schlecht, denn die Wunde des Königs heilte nicht. Jeden Tag wurde er schwächer.

    Nach zwanzig Reisetagen, kurz vor seiner Ankunft in Narbonne, starb Alarich. Zuvor hatte er seinen Soldaten und dem Gefolge den Auftrag gegeben, ihn so schnell wie möglich zu beerdigen. Sie wählten einen Platz am Fuße des höchsten Berges, der sich in der Nähe ihres Lagers befand und direkt neben dem heutigen Ort Ribaute lag. Den genauen Grabplatz hielten sie geheim. Damit wollten sie Grabräuber vermeiden, denn Alarich wurde in seiner Kampfausrüstung, zusammen mit seinen schönsten und wertvollsten Juwelen begraben.

    Um ihrem stolzen König ein ebenbürtiges Andenken zu schaffen, benannten sie den Berg nach ihrem Herrscher, den „Montagne d´Alarich".

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    Im Souvenirladen

    Lagrasse, im Juli 2019

    Frère Théo öffnete die schweren, alten Holzläden zum Souvenirladen des Klosters Sankt Marie.

    Ah", dachte er mit guter Laune, dieses Licht, dieser blaue Himmel. Was für ein Geschenk Gottes, hier leben zu dürfen. Ich verstehe gut, dass jedes Jahr so viele Menschen in den Ferien kommen, um sich zu erholen. Wie glücklich und dankbar ich bin."

    Der Mönch war mit einem langen, weißen Mönchsgewand aus Leinen bekleidet. Seine schwarzen, dichten Haare wirkten wie ein Kontrast zur hellen Kutte. Es war die traditionelle Kleidung seines Ordens, den Regularkanonikern, den Chorherren der Mutter Gottes{1}. Als Kanoniker unterschied er sich von einem normalen katholischen Orden. Im Vergleich zu den anderen Mönchsgemeinschaften waren sie nicht so sehr an das Kloster gebunden. Théo und seine Ordensbrüder pflegten den Kontakt mit der Außenwelt und brachten sich in die Dorfgemeinschaft ein. Sie halfen Bedürftigen, Kranken und Alten und machten soziale und religiöse Angebote an die Bevölkerung der Region. Somit hatten die Mönche viel Kontakt zu den Menschen im Ort und in der Umgebung. Mission, Sozialarbeit und Seelsorge waren die Aufgaben. Die Kanoniker Mönche nahmen regelmäßig an den Veranstaltungen des Dorfes teil, hatten sogar eine Fußballmannschaft, die sich deutlich von den anderen Mannschaften unterschied, spielten sie doch in ihren langen weißen Roben.

    Die Sommerferien hatten gerade begonnen. Touristen strömten nach Lagrasse. Der kleine Ort voller südfranzösischem Flair war berühmt als einer der schönsten Dörfer Frankreichs. Das „Land der Katharer" in der Region Okzitanien, so wurde der Landstrich genannt. Lagrasse konnte, wie viele Dörfer und Städte in der gesamten Region, auf eine lange Geschichte zurückblicken.

    Besonders bekannt war die Stadt Carcassonne, nur 20 Kilometer entfernt. Eine eindrucksvolle, gut erhaltene Burganlage aus dem Mittelalter und aufgelistet als UNESCO Weltkulturerbestätte. In diesem Sog stand auch Lagrasse. Der mittelalterliche Stil kam in dem kleinen Dorf wundervoll zur Geltung. Eine kleine, reizende historische Altstadt, alte Gebäude aus Stein, in verwinkelten Gassen, die nur zu Fuß, über alte Steinstraßen zu erkunden waren. Der kleine Fluss Orbieu schlängelte sich sanft am Ortsrand entlang. Beherrscht aber wurde der Blick auf Lagrasse von der am Westrand gelegenen Abtei Sankt Marie. Sie überragte den Ort durch ihre Größe und Mächtigkeit.

    Im Kloster selbst ging es aktiv zu. Ein Teil der Gebäude war in öffentlicher Hand. Sie gehörten dem Staat und wurden als Touristeninformation und Museum genutzt. Der größere Teil der Abtei hingegen wurde von knapp vierzig Kanoniker Mönchen belebt. Unter ihnen auch Frère Théo, Bruder Théo. Seine Aufgabe war die Leitung des Souvenir – und Buchladens. Er verkaufte den zahlreichen Besuchern Eintrittskarten zur Besichtigung der öffentlich zugänglichen Bereiche im Mönchsgebäude, aber auch Utensilien rund um den christlichen Glauben. So gab es Rosenkränze, Postkarten mit Heiligenbildern und religiöse Bücher. Darüber hinaus fanden sich im Shop selbstgemachte Produkte, wie Wein, ätherische Öle oder getrocknete Kräuter, hergestellt von den Mönchen aus Lagrasse und den Ordensfrauen anderer Klöster.

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    Frère Théo

    Théo kam aus einer sehr gläubigen Familie. Sein Vater führte die Familie streng nach christlichen Werten. So hatten Théo, der damals noch Jean-Louis hieß und seine fünf Schwestern, eine schwierige Kindheit, denn sie lebten sehr zurückgezogen mit den Eltern in der Picardie, im Norden Frankreichs. Ihr Einkommen bezogen sie aus dem Gemüseanbau. Seine Schwestern mussten der Mutter helfen und immer manierlich mit Rock oder Kleid bekleidet sein. Hosen waren für Mädchen, nach Auffassung des Vaters, tabu. Spielen durften die Kinder selten. Doch manchmal abends, nach Einbruch der Dunkelheit, wenn die Eltern nach einem harten Arbeitstag bereits früh ins Bett gegangen waren, nutzten die Kinder mit Freude die unbeobachtete Zeit, um sich der vielen Verbote zu entledigen. Ein besonderer Spaß der Schwestern war es, dem Bruder die, für sie verwehrten, Hosen zu klauen und anzuziehen. Sie bewunderten sich gegenseitig und freuten sich über das ungewohnte Aussehen. Jean-Louis zog das ein oder andere Mal ein Kleid seiner Schwestern an. Immer wenn er sich im Spiegel ansah, war er begeistert davon, einem Mönch zu ähneln.

    Als einziger Sohn übernahm Jean-Louis schon früh Verantwortung und musste alle Aufgaben erledigen, die der strenge Vater einem Jungen zuordnete. Er half auf dem Feld, wo sie das Gemüse, Obst und die Kräuter anbauten. Die von den Männern geernteten Landfrüchte wiederum verkauften dann seine Schwestern mit der Mutter auf den lokalen Wochenmärkten. Es gab den Mädchen die Möglichkeit, ohne die Kontrolle des Vaters, andere Menschen zu sehen und zu sprechen.

    Am Morgen mussten die Kinder, in der Regel, um fünf Uhr aufstehen. Zur Schule gingen sie nicht. Die Mutter hielt den Unterricht zu Hause ab. Der Vater wollte es so, mit der Begründung, dass sie zeitlich flexibel wären und nicht den ganzen Tag woanders herumhängen müssten.

    Jean-Louis empfand die Arbeit, die ihm der Vater aufbürdete, als sehr beschwerlich. Ständig bekam er Druck härter und schneller zu arbeiten, doch lernte er eine Menge über Pflanzen und das Gärtnern. Mit der Zeit entwickelte er eine innige Verbundenheit zur Natur und ihre reichhaltige Vielfalt.

    Als Jean-Louis achtzehn Jahre alt war und der Pfarrer im Gottesdienst über das Leben der Mönche redete, erkannte er für sich die Chance, aus der strengen Familie zu entfliehen. Es war ein Ausweg, dem der Vater, als streng praktizierender Katholik, zustimmen musste. Dieser war zwar nicht glücklich darüber, dass ihm jetzt eine Arbeitskraft fehlte, aber im Grunde akzeptierte er die Entscheidung seines Sohnes. Damit hatte Jean-Louis einen Weg gefunden, sich ohne Konflikte und mit Zustimmung seines Vaters, aus dem einengenden Familienleben zurückzuziehen.

    Er bewarb sich am „Séminaire Catholique", dem katholischen Seminar von Lille und konnte dort seine theologischen Studien beginnen. Ein neues, freies Leben fing für ihn an, weit weg von dem Druck der Eltern. Der Prior, im französischen „Le Supérieur" genannt, erkannte schon beizeiten die große Motivation von Jean-Louis. Er hatte eine besondere Begabung im Umgang mit Menschen. Ihm wurde vorgeschlagen, nach seinem Studienabschluss, als Postulant in der Abtei von Lagrasse, weit im Süden Frankreichs, zu leben. Er sagte zu und wurde dort aufgenommen. Eine neue, gewaltige Veränderung für den jungen Jean-Louis. Er ging vom kalten und feuchten Klima des Nordens in den warmen und sonnigen Süden, in die Corbièren. Die Menschen waren ganz anders, was schon ihre leichtere Bekleidung anzeigte. Nie wurde es so kalt, auch nicht im Winter, wie bei ihm im Norden. Scherzhaft nannten ihn deshalb die anderen Mönche den Schweden".

    Eine weitere radikale Veränderung war die Atmosphäre und die Lebenseinstellung, die in der Abtei herrschten. Die Mönche, aber auch die Arbeiter, die an der Restaurierung des Gebäudes arbeiteten, waren so freundlich, respektvoll und liebenswürdig. Selbst die Dorfbewohner, denen er begegnete, alle waren nett und aufgeschlossen. Er hatte solch eine Höflichkeit im Umgang miteinander, wie in diesem sonnenverwöhnten Dorf, noch nie erlebt.

    Nach einem Jahr als Postulant hatte er sich gut in den Orden eingelebt. Er begann sein Noviziat, das ihm erlaubte, sich im Habit des Ordens zu kleiden. Ab jetzt durfte Jean-Louis ein Mönchsgewand tragen, das ihn an seine Kindheit erinnerte, als er im Spiel die Kleider seiner Schwestern angezogen hatte. Auch erhielt er einen neuen Namen.

    Die Namensgebung und deren Auswahl gestaltete sich allerdings sehr kompliziert und der Prior machte es sich und ihm nicht einfach, den gewünschten Namen zu erhalten.

    Jean-Louis hatte entschieden, dass er Frère Théo", also Bruder Théo" genannt werden wollte. Das klang jung und modern. Die Regel lautete, sich einen Heiligen herauszusuchen, dessen Namen man übernahm.

    Am Ende des Namens wurde ein Marie" hinzugefügt, das für seinen Orden stand. Es gab aber keinen bekannten Heiligen mit dem Namen Théo. Also lehnte der Prior den Vorschlag schlichtweg ab.

    Doch Jean-Louis gab nicht auf. Unter Zuhilfenahme all seiner Kreativität und seiner Intelligenz diskutierte und argumentierte er entschieden und unerbittlich für diesen Namen. Er versuchte, den Prior umzustimmen. Nach langer Recherche und Suche fand er endlich den gewünschten Heiligen und konnte schließlich folgende Begründung vorbringen : Im vierten Jahrhundert gab es einen heiligen Märtyrer namens Théodor. Dieser römische Soldat war tief gläubig und voller Liebe zu Jesus Christus. Trotz großer Gefahr lehnte er es ab, seinen Glauben zu verbergen. Ganz im Gegenteil : Er war sogar stolz darauf, sich öffentlich zum Christentum zu bekennen. Da Théodor ein geschätzter Krieger in seiner Legion war, wurde er lediglich zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, mit der strengen Auflage zum römischen Glauben zurückzufinden. Doch das Gegenteil trat ein. Trotz der Anweisung, seinen Glauben abzulegen, verstärkte sich Théodors Liebe zu Jesus. Er fing im Gefängnis an, vor seinen Mithäftlingen zu predigen und zu missionieren. Deshalb verurteilte ihn der Richter letztendlich zum Tode, da der Soldat nicht dazu zu bewegen war, vom Glauben abzulassen."

    Der Novize Jean-Louis fand seine Argumentation gelungen. Es sollte und musste den Prior überzeugen. Die einzige

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