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Velasquita: Mit zarter Hand und langem Messer
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Velasquita: Mit zarter Hand und langem Messer
eBook587 Seiten8 Stunden

Velasquita: Mit zarter Hand und langem Messer

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Über dieses E-Book

Die junge Velasquita lebt im Jahr 1809 in dem kleinen Dorf Andajoz. Sie erlebt ihre erste Liebe mit Alejandro, dem Sohn des Alcalden und ihre einzige Sorge ist es, ihre Sünden vor ihrem Ziehvater Pater Umbrio zu verbergen. Doch ihr Leben wird auf grausame Weise verändert, denn Spanien ist von den Truppen des Kaisers Napoleon besetzt. Der spanische Oberst Mellendez erhält den Auftrag, eine Ladung Gold und ein wichtiges Geheimdokument nach Portugal in Sicherheit zu bringen. Nach einem Gefecht mit den Franzosen erreicht er Andajoz. Er versteckt die kostbare Fracht und reitet weiter, da er Hilfe benötigt, um seine Mission doch noch erfüllen zu können. Auf der Suche nach Mellendez gelangen nun auch die Franzosen in das Dorf und besetzen es. Alles scheint friedlich, bis es zu einem heimtückischen Mord kommt, der in einem blutigen Massaker endet. Velasquita kann entkommen und wird von den Guerilleros von Don Lopez gerettet. Sie ahnt nicht, dass sie schon bald erneut um ihr Leben kämpfen wird, denn Andajoz wird zum Schauplatz blutiger Kämpfe zwischen den Franzosen, spanischen Guerilleros und den Soldaten der "King´s German Legion", einer deutschen Elitetruppe der Engländer, welche Oberst Mellendez bei der Erfüllung seiner Mission helfen sollen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum24. März 2016
ISBN9783738064421
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    Buchvorschau

    Velasquita - Michael Schenk

    Kapitel 1 Andajoz

    Es war einer jener kleinen Orte, an dem die Zeit und die Menschen meist achtlos vorüber gingen. Das spanische Andajoz lag nahe der Grenze zu Portugal und wurde an zwei Seiten von Wasser begrenzt. Dem eher bescheidenen Bachlauf des Ogodes, der nur einmal im Jahr durch die Schneeschmelze an Größe und Bedeutung gewann, und dem Fluss Alón. Letzterer hatte zur Gründung von Andajoz geführt, denn hier erhob sich eine alte römische Brücke über das Wasser, bewacht von einer kleinen Burg, dem Castillo.

    Das war zu jener Zeit gewesen, als die heidnischen Mauren, um 715 nach der Geburt Des Herrn, ihre Invasion des christlichen Abendlandes begannen und große Teile Spaniens eroberten. Die großen Städte Seiner Allerchristlichsten Majestät, des Königs von Spanien, waren in den Händen der Araber gewesen, doch dank Kastilien und den unwirtlichen Bergregionen war es gelungen, die maurischen Heiden letztlich aufzuhalten. Lange Jahre waren große Teile des Landes von den Arabern unterdrückt worden, bis 1070 die Rückeroberung, die Reconquista, begann und es endlich gelang, die Invasoren um 1170 auch aus der gesegneten Stadt Granada zu vertreiben. Nur wenige Kilometer südlich von Andajoz, in der Schlucht der toten Schädel, hatte sich ein kleines christliches Heer mit einer maurischen Übermacht geschlagen. Dank der Hilfe Gottes und seines Abgesandten Santiago war es gelungen, jene Schlucht mit den toten Leibern der Heiden zu füllen. Nur zu gerne hatten die christlichen Ritter an den danach folgenden Kreuzzügen teilgenommen, um die Schändung des Christentums zu rächen. Doch damit versanken Andajoz und das kleine Castillo wieder in die Bedeutungslosigkeit zurück.

    Der Friedhof von Andajoz zählte mehr Grabstätten als die Gemeinde lebende Seelen. Nur gelegentlich wurde die beschauliche Ruhe durch kleine Handelskarawanen unterbrochen, die zwischen Portugal und den größeren spanischen Städten unterwegs waren.

    Bis das Wunder geschah.

    Jenes Zeichen, welches Andajoz seitdem einmal im Jahr aus der Bedeutungslosigkeit riss und zum Mittelpunkt des Glaubens und eines Pilgerstroms werden ließ. Das Wunder war eine Eiche. Die einzige Eiche, die sich auf viele Kilometer im Umkreis befand. Eine Eiche, die selbst ein Wunder bewirkt hatte und sich mitten auf dem Dorfplatz von Andajoz erhob. Vor fast Hundert Jahren hatte eine Jungfrau unter dieser einzigartigen Eiche genächtigt und als sie erwachte, da trug sie die Frucht eines Kindes in sich. Diese Jungfrauengeburt gab vielen Frauen aus dem Umkreis die Hoffnung auf eigene Leibesfrucht. Einmal im Jahr pilgerten sie nach Andajoz, um die Eiche zu berühren und um in der Kapelle des Ortes um Kindersegen für ihre Familie zu bitten. Immer wieder wurde das Wunder bestätigt, denn vielen der Frauen wurde die Gnade der Schwangerschaft gewährt.

    Natürlich gab es ketzerische Stimmen die behaupteten, es handele sich um keine Wunder. Das Maultier einer Handelskarawane habe den Samen einer Eiche gefressen und auf natürlichem Wege am Standort der Eiche verloren, und die Jungfrau sei viel zu betrunken gewesen, um den Ursprung der Schwangerschaft bestimmen zu können. Doch das waren ketzerische Lügen ungläubiger Menschen, wie der Priester von Andajoz, Pater Umbrio, immer wieder anführte. Auch die Männer von Andajoz glaubten fest an das Wunder. Einmal im Jahr, wenn die Pilgerinnen kamen, taten sie alles, um den Willen Christi zu erfüllen und möglichst viele der Pilgerinnen mit Leibesfrucht zu segnen.

    Das Wunder von Andajoz, die Eiche der Fruchtbarkeit, verschaffte dem kleinen Ort die Möglichkeit eines bescheidenen Wohlstandes und einer gewissen, wenn auch regional begrenzten, Bedeutung. Die Menschen von Andajoz waren zufrieden mit ihrem Leben. Sie interessierten sich nicht für Politik und die Vorgänge im fernen Madrid, wo Seine Allerkatholischste Majestät, Ferdinand VII., residierte.

    Doch dann, im Jahre des Herrn 1809, begann sich ein Mann für Andajoz zu interessieren, dem es nicht um die Leibesfrucht seiner Gemahlin ging. Dieser Mann war Napoleon Bonaparte, der Kaiser der Franzosen.

    *

    Von den Bergen im Westen strich ein sanfter Wind heran und ließ über den Feldern kleine Staubwirbel entstehen, die träge zerfaserten. Der Wind brachte kaum Linderung, weder für Mensch noch Tier, und alles Leben in Andajoz schien sich unter der Hitze zu ducken. Es war Mittagszeit und die Bewohner vermieden es, jetzt in der Sonne zu arbeiten. Eigentlich arbeiteten sie ohnehin nur, wenn dies unbedingt erforderlich war. Nicht, dass sie keine fleißigen Menschen gewesen wären, denn schließlich waren sie gute Christen, aber der Herr hatte sicher Verständnis dafür, wenn man bei diesen Temperaturen sparsam mit seinen Kräften umging. Gegen Abend, wenn die Hitze erträglicher war, würde man genug Zeit finden, das restliche Tagwerk zu verrichten. Selbst den Hühnern, die sonst unentwegt nach ihrem Futter pickten, schien es an diesem Tag zu heiß zu sein. So rührte sich, abgesehen von den kleinen Staubwirbeln über den Feldern, nur wenig in dem kleinen Ort Andajoz. Selbst die junge Frau, die auf der Mauer vor der kleinen Kapelle saß, zeigte nur selten eine Regung.

    Das Haar fiel lang und weich über ihre schmalen Schultern und ihr Gesicht wurde von den großen, ausdrucksstarken Augen dominiert. Sie trug einen langen grauen Rock und eine bauschige weiße Bluse, die über dem Ausschnitt mit einer schmalen Quastenschnur geschlossen war. Auf den ersten Blick wirkte sie wie ein junges Mädchen. Auf den Zweiten offenbarte sich die natürliche Schönheit einer heranwachsenden Frau.

    Eigentlich war Velasquita noch keine richtige Frau, zumindest, wenn man den Worten ihres Ziehvaters, des braven Pater Umbrio, Glauben schenkte. Er hatte sie als kleines Kind in den Bergen gefunden und gerade noch rechtzeitig retten können. Der brave Gottesmann nahm das kleine Mädchen zu sich und zog es auf, umsorgte es mit derselben Sorgfalt, die er allen Seelen seiner Gemeinde zuteil werden ließ. Für ihn schien sie immer das kleine Mädchen zu bleiben, obwohl sie das heiratsfähige Alter erreicht hatte. Vor allem Alejandro machte dies dem Pater nur zu deutlich. Ausgerechnet Alejandro, der Sohn des Bürgermeisters Don Domingo de Vega. In des Paters Brust stritten die Sorge um seine geliebte Ziehtochter und das Verständnis für die Bedürfnisse der Welt. Gott, der Herr, hatte gewiss nichts gegen die Liebe zweier Menschen einzuwenden. Auch Umbrio fand sie Gott gefällig, auch wenn er selbst eines Teils der Liebe entsagen musste. Doch als Stellvertreter des Herrn, auf Spaniens heiligem Boden, musste der gute Pater ein Auge darauf haben, das alles seine christliche Ordnung hatte. Was Pater Umbrio außergewöhnlich beunruhigte, das war die Vertrautheit, die er zunehmend zwischen Velasquita und Alejandro beobachten konnte. Hätte er die Gefühle der hübschen Ziehtochter genauer einschätzen können, so wäre es Umbrio sicherlich schwer gefallen, trotz der Mittagshitze sein Schläfchen zu nehmen. Doch so ruhte Gottes Vertreter in Andajoz und sein Schnarchen wurde allmählich von einem leisen Pochen begleitet, welches sich aus der Ortsmitte näherte.

    Velasquita wandte ihr Gesicht dem sich nähernden Geräusch zu und strich unbewusst eine Strähne ihres Haares zur Seite. Von der Mauer, auf der sie saß, konnte sie, die kleine Hauptstrasse entlang, bis zur Ortsmitte mit der großen Plaza sehen, wo sich die Wundereiche erhob. Eine schlanke Gestalt erschien dort, die ein stämmiges braunes Pferd am Zügel führte. Über Velasquita´s Gesicht glitt ein erfreutes Lächeln und sie zupfte an ihrem langen Rock, während sie darauf wartete, dass ihr geliebter Alejandro mit dem Pferd näher kam.

    Gott, der Herr oder sein Stellvertreter, der gute Pater Umbrio, mussten ein sehr wachsames Auge auf Velasquita haben, denn als Alejandro endlich heran war, verstummte das Schnarchen Umbrios mit jenem typischen Schnauben, das von seinem Erwachen kündete. Velasquita und Alejandro lächelten sich in stummem Einvernehmen an, berührten sich flüchtig mit den Händen.

    „Du hast dir ein ungewöhnliches Reittier ausgesucht, sagte sie leise und wies auf den Braunen. „Was ist mit deinem schönen Hengst Diavolo? Ist er krank?

    Alejandro blickte kurz zu der kleinen Kapelle und dem noch kleineren Pfarrhaus hinüber. Er war nicht überrascht, den braven Pater am Fenster stehen und freundlich nicken zu sehen. Alejandro winkte ihm einen Gruß zu und wandte sich dann zu Velasquita. „Nein, Diavolo geht es gut. Ich will nicht ausreiten, sondern der armen Frau Marta helfen. Sie will ihr Feld furchen."

    „Jetzt? Zu dieser Jahreszeit? Velasquita lachte auf. „Das ist nicht dein Ernst, Alejandro. Die Frühsaat ist längst vorbei und die Spätsaat noch in weiter Ferne.

    „Ich weiß. Alejandro zuckte die Schultern und blickte zu den kleinen Häusern am westlichen Rand von Andajoz hinüber. „Ich weiß das ebenso gut wie du, meine geliebte Velasquita. Aber die gute Frau Marta weiß dies nicht. Nicht mehr so genau. Er zuckte erneut die Schultern und lächelte dabei entschuldigend. „Du weißt ja, wie sie ist."

    „Ja, ich weiß. Velasquita seufzte leise. „Sie ist eine liebe alte Frau, aber schon entsetzlich wirr im Kopf.

    Marta gehörte zu den ältesten Einwohnern von Andajoz und selbst Marta wusste nicht genau zu sagen, wie alt sie überhaupt war. Pater Umbrio hatte einmal behauptet, die gute Marta habe sicher noch persönlich ein paar jener braven Ritter gekannt, welche die Mauren vom heiligen Boden Spaniens vertrieben, aber Velasquita hatte bemerkt, dass er dabei lächelte und sich bekreuzigte, und so nahm sie diese Bemerkung nicht sehr ernst. Aber unbestreitbar war Marta sehr, sehr alt und ebenso unbestreitbar ein wenig wirr im Kopf. An manchen Tagen schien sie völlig normal, an anderen suchte sie nach ihrem braven Mann Alvaro, der doch schon vor so vielen Jahren verstorben war. Sie alle versuchten Marta zu helfen und ertrugen auch ihre merkwürdigen Launen, denn sie war eine wahrhaft gute Seele.

    Alejandro hielt den stämmigen Braunen am Zügel und strich über dessen Flanke. „Sie macht sich halt Sorgen um ihr Feld. Meint, es sei an der Zeit, es zu bestellen. Du kennst sie ja."

    „Aye, ich kenne sie, versicherte Velasquita. „Aber willst du dich deswegen bei dieser Hitze schinden?

    „Du weißt, wie sie sich sorgen würde, wenn man sich nicht um das Feld kümmert."

    Velasquita nickte und ergriff Alejandro´s Hand. „Ich weiß. Dann lass mich dir helfen."

    Der Sohn des Bürgermeisters grinste fröhlich. „Nach ein paar Stunden weiß die gute Marta ohnehin nicht mehr, was wir auf ihrem Acker machen. Dann können wir aufhören. Er blickte über den Rücken des Braunen hinweg zum Pfarrhaus und sah Pater Umbrio noch immer am Fenster stehen. Dennoch konnte er es sich nicht verkneifen, Velasquita spielerisch zu zwicken. „Dann können wir uns um den Braunen kümmern und um ein paar andere Dinge.

    „Andere Dinge? Sie wusste, was er meinte, ging jedoch auf sein Spiel ein. „Was denn für andere Dinge?

    „Viel angenehmere Dinge, versicherte Alejandro. „Und viel weichere Dinge, als der harte Ackerboden.

    Er starrte unverhohlen auf Velasquita´s Bluse und sie drohte ihm schelmisch mit dem Finger. „Ich glaube, du solltest dich jetzt wirklich um Marta´s Acker kümmern, Alejandro de Vega. Das wird dich auf christlichere Gedanken bringen."

    Alejandro nahm die Zügel des Braunen etwas fester. „Was ist unchristlich an der Liebe, meine geliebte Velasquita? Hätte Gott etwas gegen die Liebe gehabt, dann hätte Er sie uns nicht geschenkt."

    Velasquita stemmte die Hände in ihre Hüften und sah ihn spöttisch an. „Irgendetwas sagt mir, dass du das anders meinst, als mein guter Pater Umbrio."

    Alejandro´s Lächeln wurde noch breiter, als er seine geliebte Velasquita an seine Seite zog und dem Braunen einen schnalzenden Laut zuwarf. Er verzichtete auf eine Erwiderung und die war auch nicht nötig. Schon oft hatten Velasquita und er sich heimlich getroffen und behutsam begonnen, einander zu erkunden. Für sie beide war dies ein aufregendes und neues Spiel, bei dem ihre Herzen gleichermaßen vor Liebe und Leidenschaft heftig pochten. Dennoch hatte Velasquita sich ihm noch nicht ganz hingegeben und Alejandro verspürte gerade deswegen immer deutlicher, wie sehr er sie begehrte. Aber er bemühte sich, seine Leidenschaft zu bezwingen und Velasquita nicht zu bedrängen.

    „Wir sollten das Feld der guten Frau Marta furchen und sehen, dass wir und der Braune bald wieder Ruhe und Schatten finden", sagte er leise und blickte zu dem kleinen Feld der alten Frau, das sich zwischen dem Friedhof von Andajoz und dem kleinen Bachlauf des Ogodes erstreckte.

    Der Boden des Tals von Andajoz war guter Boden. Er war fruchtbar und die Wasser von Ogodes und Alón erlaubten gute Ernten. Die Bewohner hatten ein Bewässerungssystem aus kleinen Furchen angelegt. Wenn es zu heiß und trocken wurde, und der Regen zu lange ausblieb, führte der Ogodes immer noch genug Wasser, um es mit Eimern zu schöpfen und durch die Furchen fließen zu lassen. Sicherlich eine mühselige Arbeit, die man sich hätte ersparen können, wenn man, wie Pater Umbrio geraten hatte, einen verschließbaren Durchbruch geschaffen hätte. Doch den Durchbruch zu graben war Männerarbeit, und das Schöpfen des Wassers die der Frauen, und so blieb es beim Schöpfen.

    Am Rand des kleinen Feldes von Marta stand bereits der Pflug, den Gonzo, der Stallbesitzer, am frühen Morgen heraus gebracht hatte. Bis vor einigen Jahren hatte man in Andajoz noch die alten Hakenpflüge benutzt, bei denen sich Mensch und Tier gleichermaßen ins Geschirr warfen, um die eisenverstärkte Pflugschar durch den Boden zu ziehen. Es war eine mühselige Arbeit gewesen, bis Gonzo, nach einem Besuch in Salamanca, den neuen Pflug mitgebracht hatte.

    Vorne hatte er zwei metallbereifte Räder, von deren Achse ein langer Balken nach hinten führte. Aus der Mitte des Balkens ragte ein Eisen nach unten, welches den Boden aufriss. Hinten befand sich unter dem Balken eine Konstruktion, die von der Seite ein wenig an ein eckiges „U" erinnerte. Die untere Seite des U bestand aus einem nach vorne ragenden, spitzen Brett, die den aufgerissenen Boden anhob und den aufgelockerten Boden durch ein zweites Brett zu einer Seite strich.

    „Du kannst mir beim Anspannen helfen und den Braunen dann führen, sagte Alejandro und dirigierte das kräftige Pferd vor den Pflug. „Dann kann ich das Furchen übernehmen.

    „Das Feld ist trocken und der Boden hart. Velasquita klopfte dem Braunen an den Hals und half Alejandro, das Geschirr anzulegen und die Riemen fest zu schnallen. „Das ist zu viel für den Braunen.

    „Aye, du hast Recht, aber wir kratzen nur ein wenig an der Oberfläche. Damit die gute Marta beruhigt ist."

    Von den Bergen war ein leiser, nachhallender Knall zu hören. Velasquita hob lauschend den Kopf und Alejandro seufzte. „Mein Vater, sagte er lakonisch. „Er ist früh hinaus geritten, um zu jagen.

    „Viel wird er nicht finden." Velasquita schob eine Haarsträhne hinter ihr Ohr zurück.

    „Irgendetwas findet er immer, erwiderte Alejandro lakonisch. „Und er ist ein guter Schütze.

    „Ich glaube, er mag mich nicht."

    „Natürlich mag er dich", sagte Alejandro entschieden.

    „Vielleicht. Velasquita zögerte. „Aber er mag es nicht, wenn wir zusammen sind.

    Alejandro grinste. „Aber ich mag es, wenn wir zusammen sind."

    Velasquita erwiderte sein Lächeln. „Komm, lass uns etwas für Martas Seelenfrieden tun, dann finden wir auch Zeit für uns."

    Dem war nichts hinzuzufügen.

    Es war eine wirkliche Schinderei in der Gluthitze des Tages und nach kaum einer Stunde empfanden sie, dass Martas Ansprüchen nun Genüge getan sei. Erleichtert führten sie den Braunen mit dem Pflug vom Feld, erreichten den Stall, der zu Gonzo´s Hotel gehörte und versorgten zunächst den Braunen, bevor sie sich angenehmeren Dingen zuwandten.

    Alejandro´s Berührungen erinnerten Velasquita an den sanften Wind, der zuvor von den südwestlichen Hängen Andajoz erreichte und der in der Hitze des Tages einen Hauch von Linderung brachte. Alejandro´s Berührungen brachten jedoch keine Linderung, sondern Verlangen, und trotz der drückenden Hitze, die selbst hier, im Stall des kleinen Hotels herrschte, fühlte sie sich außerstande, sich den gleitenden Fingerspitzen und Lippen zu entziehen.

    „Wir sollten aufhören, Alejandro, seufzte sie widerstrebend. „Es ist nicht gut, was wir tun.

    Er zupfte mit den Zähnen an der Brustverschnürung ihrer Bluse und lächelte dabei mit seinen Lippen. Ein wölfisch wirkendes Lächeln, welches durch den Ausdruck seiner braunen Augen gemildert wurde.

    „Du kannst später bei Pater Umbrio zwölf Ave-Maria beten", flüsterte er undeutlich und knurrte erleichtert, als sich die Verschnürung endlich löste.

    „Wenigstens Zwanzig, ächzte Velasquita, als sie spürte, wie sich das Kleidungsstück lockerte und Alejandro´s warmer Atem ihre Brüste umschmeichelte. „Doch das meine ich nicht.

    Sie schob ihre Hände zwischen seinen Kopf und ihre Blößen und bedeckte sie. „Du weißt genau, was ich meine."

    „Ja, ja, ich weiß. Er biss ihr spielerisch in einen Finger und Velasquita musste gegen ihren Willen lachen. „Du willst eine ehrbare Frau sein.

    „Was spricht dagegen, wenn wir heiraten? Pater Umbrio hat bei meiner letzten Beichte auch gesagt, ich solle mich nicht der Sünde hingeben."

    Alejandro seufzte. „Pater Umbrio kann dies leicht sagen. Seine Freuden sind auf ein üppiges Mahl und auf den Messwein beschränkt."

    Jesus Christus, wenn seine Hände und Lippen nur nicht so sanft gewesen wären. Velasquita fühlte, wie salziger Schweiß auf ihrer Haut perlte und Alejandro´s Zunge jede dieser Perlen zu liebkosen schien.

    „Du weißt, wie sehr ich dich liebe und begehre, murmelte er und seine Zunge glitt ihren Hals hinauf, umspielte ihr Ohrläppchen. „Wenn es wirklich Sünde wäre, würde Gott der Herr es schon verhindern.

    „Du versündigst dich." Velasquita bog ihren Kopf in den Nacken, ein paar Strohhalme piekten sie und sie schüttelte ihre schwarzen Locken.

    „Gehet hin, seid fruchtbar und mehret euch", flüsterte Alejandro lockend und seine Lippen glitten tiefer. Seine Zunge tauchte zwischen die lockenden Wölbungen von Velasquita´s Brüsten.

    „Im heiligen Stand der Ehe", ächzte sie und drückte halbherzig gegen ihn, aber sie spürte, dass sie ihm nicht lange widerstehen konnte. Zu lange schon warteten sie beide darauf, sich einander richtig hinzugeben, doch bislang war Velasquita immer vor dem entscheidenden Schritt zurückgeschreckt. Sie führte eher unbewusst ihre schmale Hand tiefer, berührte unmerklich die große Beule, die sich in Alejandro´s Hose abzeichnete und sie hörte, wie er tief Atem holte. Ihre Blicke trafen sich, während seine Lippen eine ihrer Brustwarzen fanden und liebkosten.

    „Lass uns die Freude der Liebe genießen, ächzte er lustvoll. „Daran ist nichts Falsches.

    „Wenn die Liebe nur der Lust dient, dann schon", erwiderte sie leise.

    „Ah, Alejandro lächelte. „Ich habe nichts gegen ein Kind einzuwenden.

    Velasquita fühlte, wie ihr Widerstand nachgab, trotz der eindringlichen Worte Pater Umbrios.

    „Dann lass uns zu Pater Umbrio gehen, ächzte sie. „Er kann uns schon morgen vor Gott dem Herrn zusammenführen.

    „Ich kann uns schon heute zusammenführen."

    Seine Hand schob sich an den Saum ihres Rockes, glitt darunter, immer höher und Velasquita´s Atem wurde schwer. Gott war ihr Zeuge, wie sehr sie ihren Alejandro begehrte und doch empfand sie Unbehagen darüber, was wohl geschehen mochte, wenn sie ihrem und seinem Begehren nachgab und es vielleicht Folgen hatte. Wenn sie einen dicken Bauch bekam, dann würden die Menschen von Andajoz dies sicher nicht dem Wunder der Eiche zuschreiben, dazu war ihrer beider Liebe zu bekannt. Besonders Pater Umbrio und der Alcalde würden nicht glücklich sein.

    Pater Umbrio war immer gut zu ihr gewesen und sorgte für sie, so wie er für die Seelen seiner Gemeinde sorgte. Dem gottesfürchtigen Pater würde es nicht gefallen, wenn Velasquita ihre Ehre verlor, selbst wenn die Gemeinde von Andajoz dadurch wuchs.

    Alejandro hingegen war der Sohn des Alcalden, des Bürgermeisters von Andajoz, und Don de Vega war ein ebenso vermögender wie gestrenger und, wie es sich für einen guten Spanier gebührte, gottesfürchtiger Mann. Er empfand eine Bindung seines einzigen Sohnes, mit der ebenso hübschen wie mittellosen Velasquita, als nicht akzeptabel.

    Alejandro´s Hand erreichte endlich jenes entscheidende Stück Stoff, das für ihn, in diesem Augenblick, die Pforte zum Himmel schien. Er war gleichermaßen erfüllt von Verlangen und Liebe, zumal Velasquita´s Hand die entscheidende Lücke in seiner Hose fand und ihre Finger sich einem sehr erregten Stück Alejandro näherten.

    So hätte Velasquita sich nun vielleicht doch der eigenen Liebe und Lust hingegeben, allen Ermahnungen Pater Umbrios und ihres Glaubens zum Trotz, wenn sich in diesem Augenblick nicht, vernehmlich knarrend, die Tür des Stalls geöffnet hätte, und greller Lichtschein auf das liebende Paar gefallen wäre.

    Alejandro grunzte enttäuscht und Velasquita stieß einen erschrockenen Schrei aus, als eine dunkle Gestalt in der Tür erschien, von hinten von Sonnenlicht angestrahlt, als handele es sich um den Boten Gottes persönlich. Vielleicht war es auch so, dass der Herr in seiner Gnade Velasquita gerade noch rechtzeitig auf ihre Tugend aufmerksam machte, auch wenn er dazu den stämmigen Gonzo gesandt hatte. Gonzo, den Besitzer des Hotels, zu dem der Stall gehörte, und der Velasquita und Alejandro sichtlich überrascht ansah.

    Gonzo lächelte verständnisvoll, während Velasquita hastig ihre Blößen bedeckte und Alejandro versuchte, seine schrumpfende Männlichkeit mit einer gewissen Würde in die Hose zurückzuführen. „Du solltest die Kraft deiner Lenden etwas schonen, mein lieber Alejandro, sagte der Hotelbesitzer freundlich. „Du wirst sie bald benötigen, denn in einer Woche beginnen die Pilgerinnen ihre Fürbitten um den Segen eines Kindes.

    Gonzo war höflich genug Velasquita zu ignorieren und so ihre Tugendhaftigkeit nicht in Frage zu stellen. Leider war Gonzo auch gläubig genug, um den Vorfall am Sonntag Pater Umbrio zu beichten. Velasquita wusste, dass ihr Ziehvater ihr wohl mehr als einige Ave-Maria auferlegen würde.

    Der stämmige Gonzo führte ein Pferd in den Stall und man erkannte sofort, dass es keines der Tiere aus Andajoz war. Das Pferd trug eine rote Satteldecke mit grüner Einfassung. Mantel und Decke waren an den Sattel geschnallt und aus zwei braunen Sattelholstern ragten die Griffe zweier langläufiger Reiterpistolen. Das Pferd war staubig und verschwitzt, und Gonzo führte es zu einer der leeren Boxen, um es abzusatteln und abzureiben.

    „Ich frage mich wirklich, wo Jorge steckt, knurrte Gonzo mussmutig und lockerte den Bauchgurt des Sattels. „Der faule Lümmel wird jetzt bestimmt beim Alcalden herumlungern, um zu sehen, was der Bote für Nachricht bringt.

    „Ein Bote? Alejandro hatte glücklich seine Hose verschlossen. „Was für ein Bote?

    „Hatte ich das nicht gesagt? Gonzo runzelte die Stirn. „Ein Offizier der Armee Seiner Allerkatholischsten Majestät, Ferdinand VII. Kommt wohl von Badajoz herüber.

    Badajoz war eine gewaltige Festung an der Grenze Spaniens zum Nachbarn Portugal. Unter der Herrschaft der Araber hatte die Stadt noch Baled-Aix oder Baxangos geheißen, bis sie, während der Rückeroberung im Jahre 1169, ihren Namen Badajoz zurückerhielt und nun wieder der „Schlüssel Portugals" war. Es war die Hauptstadt der Provinz Estremadura, zu der auch Andajoz gehörte. Badajoz war weit genug entfernt, so dass ein Mann schon einen triftigen Grund benötigte, um von der dortigen Garnison nach Andajoz zu reiten und dabei sein Pferd auf solche Weise anzutreiben.

    Gonzo blickte über den Rücken des Pferdes zu Alejandro und Velasquita. „Ist kein Teniente. Auch kein Capitan. Ein echter Colonello. Es muss wichtig sein, wenn ein solcher Mann zu uns herüber kommt. Gonzo zuckte die Schultern und lächelte dann. „Es sei denn, er erbittet den Segen der Fruchtbarkeit für sein Weib. Was natürlich auch sehr wichtig sein mag.

    Kein einfacher Leutnant, kein Hauptmann, nein, ein echter Oberst, der Kommandeur eines Regiments, war nach Andajoz gekommen. Velasquita glaubte nicht, dass ein so wichtiger Mann den weiten Weg auf sich nahm, nur um für die Füllung des Bauches seiner Frau zu beten. Hinter diesem Besuch steckte weit mehr. Ihr fiel auf, dass Gonzo den Sattel des Pferdes nicht abnahm. „Will der Colonello heute noch weiter?"

    Gonzo nahm Stroh auf und rieb das Pferd ab. „Wer weiß? Er ist sicher ein wichtiger Mann, dieser Colonello. Sitzt jetzt beim Alcalden und man hat sogar Sargente Ruiz aus dem Castillo gerufen."

    Velasquita stieß Alejandro auffordernd in die Rippen. „Wir sollten uns das ansehen, Alejandro. Wenn man den Feldwebel Ruiz als Kommandeur des Castillo ruft, dann ist etwas Wichtiges los. Du bist der Sohn des Alcalden, da werden wir doch schon etwas erfahren."

    Velasquita ergriff den Ärmel von Alejandro´s weitem Leinenhemd und zog ihn mit sich zur Tür des Stalls. Gonzo nickte verständnisvoll. „Wenn ihr Jorge, den faulen Lümmel, seht, dann schickt ihn zu mir. Ah, der Junge hat nichts als Unsinn im Kopf, sage ich euch."

    Gonzo begann zu lamentieren, während er das Pferd versorgte, aber Velasquita und ihr Alejandro achteten nicht darauf. Für einen Augenblick schlossen sie geblendet die Augen, als sie in das grelle Sonnenlicht hinaus traten. Der staubige Boden von Andajoz und die weiß getünchten Wände der Gebäude reflektierten das Licht auf unangenehme Weise, doch ihre Augen gewöhnten sich rasch daran. Velasquita zog ihren Geliebten mit sich, hinter dem Stall hervor an dem kleinen Hotel vorbei.

    Das Hotel von Andajoz war eigentlich kaum mehr als eine kleine Herberge, denn das Jahr über verirrten sich nur wenige Reisende hierher. Es war ein zweigeschossiger Bau im typischen kalkigen Weiß Spaniens. Ein mehrere Meter breiter Vorbau, der sich über die ganze Länge des Gebäudes erstreckte, ruhte auf acht gemauerten Säulen. Alle Häuser in Andajoz waren getüncht und schon dies verriet einen gewissen Wohlstand, denn in vielen Dörfern des Landes blieben die Wände der Gebäude aus Armut unbehandelt. Im Schatten des Vorbaus standen ein paar Tische und Bänke, abends vom trüben Licht zweier Öllampen mäßig erhellt. Vom Vorbau trat man in den überraschend großen Vorraum, in dem der ebenfalls gemauerte und mit einer massigen Holzplatte bedeckte Tresen des Empfangs stand. Die Größe des Raumes war darin begründet, dass er früher der Familie Gonzos als Wohnraum gedient hatte. Direkt daneben befanden sich die kleine Küche und die Schlafkammer, die Gonzo früher mit seiner verstorbenen Frau geteilt hatte. Nun betrieb er das Hotel gemeinsam mit seiner Schwester, die ihre Kammer im Obergeschoss besaß. Dort verfügte auch Gonzos 12-jähriger Sohn Jorge über einen winzigen Raum.

    Niemand hätte die sehr umfangreiche Juana als attraktiv bezeichnen mögen, zumal sie stets in ein düster wirkendes schwarzes Kleid gehüllt war, doch jeder musste ihr freundliches Wesen anerkennen. Sie kümmerte sich rührend um die Gäste und den jungen Jorge. Jorge, der immer wieder unter dem Temperament seines Vaters zu leiden hatte und der diesem oft im Hotel aushelfen musste, wo er doch lieber mit den anderen Kindern gespielt hätte.

    Hinter dem „alten" Haus hatte der rührige Gonzo sein Hotel errichtet. Das Erdgeschoss war ebenfalls aus gebranntem Lehm und Ziegeln errichtet, und wies fünf größere Kammern auf, die das ganze Jahr als Herberge hergerichtet waren. Sie besaßen richtige Bettstätten mit Rahmen und strohgefüllten Matratzen, einen Schrank oder wenigstens eine stabile Kleiderkiste, einen Tisch und Stuhl und, über der Bettstatt, Spanien war ja ein gläubiges Land, ein Kruzifix, welches böse Geister und schlechte Träume fernhielt. Diese Zimmer dienten, während der Wallfahrt der Pilgerinnen, den vornehmeren Damen als Unterkunft. Ihnen stand auf besonderen Wunsch auch die Sitzwanne der Familie zur Verfügung, und Jorge war dafür zuständig, die Matratzen mit frischem Stroh und die Wanne mit heißem Wasser zu versehen.

    Über dem hinteren Erdgeschoss erhob sich die hölzerne Konstruktion des Obergeschosses. Nicht mehr als ein großer Dachboden. Ein leerer und staubiger Raum, der kurz vor der Wallfahrt ausgefegt und mit frischem Stroh ausgestreut wurde. Hier nächtigten die einfachen Pilgerinnen. Gegen einen Aufpreis ließ sich die Intimsphäre erhöhen, indem Gonzo´s Schwester Decken zwischen den hölzernen Balken spannte und so den Anschein einer abgeteilten Kammer bewirkte.

    Einige Meter hinter dem lang gestreckten Bau des Hotels befanden sich Stall und Koppel, wo die Reisenden ihre Pferde oder Maultiere unterstellen und versorgen konnten. Gonzo selbst verfügte über zwei Maultiere, mit denen er frisches Stroh, Holz, Öl und andere Waren transportierte.

    Nein, es mochte kein besonders gutes Hotel sein, aber es war das Einzige in Andajoz. Wozu sollte Gonzo auch die teure Investition für ein großes Hotel auf sich nehmen, welches fast das ganze Jahr ungenutzt bleiben würde?

    Velasquita zog ihren Alejandro am Hotel vorbei auf die Hauptstraße, die zu der Plaza von Andajoz führte.

    Andajoz bestand aus kaum mehr als dreißig Gebäuden, die sich entlang des südlichen Ufers des Alón erstreckten, die Hauptstraße mit der Plaza, dem großen Platz, zwischen sich.

    Auf den Pfaden, die sich außerhalb der Hauptstraße von Andajoz zwischen den einfachen Häusern entlang zogen, liefen einige Hühner und Ziegen umher, kaum beachtet von den Bewohnern, die ihre Tiere erst abends in die kleinen Ställe brachten oder zu sich ins Haus nahmen. Die Hühner lieferten Eier, die Ziegen Käse, und beides vermehrte sich nahezu eigenständig, so es genug zu fressen für die Tiere gab, und die Menschen von Andajoz liebten ihre Tiere, die ihnen genug zum Überleben boten, ohne viel Arbeit abzuverlangen. Ein paar Schweine und eine Handvoll Maultiere zeugten vom bescheidenen Wohlstand ihrer jeweiligen Besitzer.

    Es gab auch Wölfe, doch deren Rudel hielten sich meist in den nahen Bergen auf und kamen erst in die Ebene herunter, wenn sie im Winter nicht mehr genug zu fressen fanden. Einmal hatte sich in einem sehr kalten Winter sogar ein Bär nach Andajoz verirrt. Im Winter begann die Zeit, in der die Bewohner von Andajoz ernsthaft auf ihre Tiere achteten. Es hatte schon einzelne Fälle gegeben, in denen die Wölfe in die Pferche eingebrochen oder sogar einzelne Menschen angegriffen hatten. Dann erwarteten die Bürger von Andajoz, dass der Alcalde und die Soldaten des Castillo etwas unternahmen. Gelegentlich gab es dann eine kleine Jagd. Der Don jagte leidenschaftlich gerne, im Gegensatz zu Sargente Ruiz. Aber der Don ritt auch auf einem Pferd, während der Sargente seine armen Füße plagen musste.

    Zwischen den nördlichen Gebäuden und dem Ufer befanden sich die Tränke und die Waschstelle von Andajoz, dazu ein Pferch, in dem gelegentlich ein paar Schafe, Ziegen oder Maultiere weideten. Im Westen befand sich der Bachlauf des Ogodes, von einer kleinen hölzernen Brücke überquert. Hier führte die alte Handelsstraße, meist nicht mehr als ein besserer Trampelpfad, nach Südwesten, zu der großen Stadt und Festung Badajoz, und von dort in das benachbarte Portugal. Jenseits des Bachlaufes erhob sich das Gebirge und an seinem Rand wuchsen bescheidene Wälder.

    Im Süden des Ortes befanden sich die Felder, auf denen Weizen angebaut wurde, und die Haine mit den Olivenbäumen, dem Reichtum Spaniens. Felder und Oliven gaben den Menschen von Andajoz ihre Lebensgrundlage. Die bald kommenden Pilgerinnen brachten den zusätzlichen bescheidenen Wohlstand. Die Hauptstraße zog sich, parallel des Flusses, von Westen nach Osten. Eigentlich war sie die einzige Straße des Ortes, die, in seiner relativen Mitte, in die Plaza mündete und von dort weiter nach Westen und zur alten römischen Brücke und dem Castillo führte. Das Castillo bewachte die Straße nach Norden und Nordosten, wo sie zunächst in die Stadt Cáceres führte und dann Salamanca erreichte.

    In der Mitte der Plaza, die als Versammlungsort und Marktplatz diente, erhob sich die Eiche. Jene Eiche, die den Ruf von Andajoz begründete. Sie war von weiß gekalkten Steinen umgeben und ihre Rinde war im unteren Bereich von Kratzern übersäht, wo die Finger hoffnungsvoller Frauen ein Stückchen heiliges Holz entfernt hatten, um dem Segen Gottes etwas Nachdruck zu verleihen. Vor einigen Jahren hatten der Alcalde und der Pater, aus Sorge um die ehrwürdige Eiche, den weißen Steinkreis angelegt, doch da die Steine den Glauben und die Finger der Pilgerinnen nicht zurückhalten konnten, schützten der Sargente des Castillo und seine sechs Männer während der Pilgertage das Heiligtum zusätzlich, und vernachlässigten die Wache an einer Brücke, die ohnehin kaum noch von Bedeutung war.

    Die Plaza war relativ groß und an den Rändern von Olivenbäumen gesäumt, die ein wenig Schatten spendeten. Hier trafen sich abends oder zum Markt die Bewohner von Andajoz und sprachen über die Ereignisse des Tages, von denen es wenig genug gab. Meist endeten die Gespräche im Laden von Julio Arigon, der zugleich über die einzige Taverne des Ortes verfügte.

    Theresa und Julio Arigon betrieben eine Mischung aus Schänke und Ladengeschäft. Bei ihnen waren jene Dinge zu erhalten, die das Leben leichter gestalteten. Von Stoffen für die Kleider bis zu Alkohol, der die Langeweile vertreiben half und der aus Nichtigkeiten wichtige Ereignisse werden ließ. Das Angebot des Ladens war bescheiden, denn die Bürger von Andajoz waren nicht reich. Man fand hier nicht die feinen Seidenstoffe, die in den großen Städten angeboten wurden, und das kostbare Geschirr und Besteck, wie es im Haus des Alcalden üblich war. Das Bier wurde aus dem fernen Salamanca eingekauft, der Wein hingegen stammte aus den umliegenden Orten. Es gab weißen und roten Wein, dessen Ursprung sich nicht genau definieren ließ, denn obwohl von verschiedenen Anbauflächen stammend, gab es nur zwei große Fässer im Keller von Julios Haus. Julio wehrte sich stets vehement gegen den Vorwurf, er pansche den Wein, sondern betonte seine Fähigkeit, ihn zu veredeln.

    Ursprünglich hatte Gonzo die Bewirtung der Bewohner von Andajoz in seinem Hotel vorgenommen und die Arigons besaßen nur einen kleinen Laden. Irgendwie fügte sich dann alles anders und es gab Gerüchte, dass Theresas Schenkel hierzu beigetragen hatten. Julio beherrschte nämlich die Gitarre und seine Theresa den Flamenco. Eigentlich wusste niemand, woher der Flamenco wirklich stammte. Seine Wurzeln sollten irgendwo im 16. oder 17. Jahrhundert liegen, darüber war man sich im Grunde einig. Doch ob Araber, Juden oder das fahrende Volk der Zigeuner ihn eingeführt hatten... Qien sabe, wer wusste es schon zu sagen? Und wen interessierte es überhaupt, wenn Theresa Arigon rhythmisch mit den Füßen auf der Tischplatte aufstampfte, in die Hände klatschte oder die Kastagnetten klingen ließ? Sie beherrschte den „cante chico", den schnellen und leichten Tanz, und je schneller Julio die Gitarre klingen ließ, desto höher wirbelte Theresas Rock. Julio konnte sehr schnell spielen. Wen wunderte es da noch, dass man lieber bei den Arigons saß und dort Wein oder Bier trank? Nein, Gonzo hatte den Ausschank aufgegeben, denn seine tonnenförmige Juana konnte mit Theresa nicht in Konkurrenz treten.

    So hatten die Arigons neben dem Laden auch das angrenzende Haus erworben, als dessen Besitzer verstorben war, und die beiden kleinen Gebäude dann durch ein Dach miteinander verbunden. Unter diesem Dach saßen im schützenden Schatten die Gäste, wenn sie Wein oder Bier tranken. Wenn das Wetter rau und unwirtlich wurde, verlagerte Julio den Ausschank in sein Ladengeschäft.

    Direkt an der Tür standen drei kleine Tische mit Stühlen oder Bänken. Die Platten waren zerkratzt von Geschirr und hineingestoßenen Messerklingen, wenn die Gäste ihre Argumente tatkräftig untermauerten oder um ein besonders saftiges Stück Fleisch rangen. Julio blieb meist hinter seinem Tresen, weit genug von Ärger entfernt, jedoch nah genug am Geschehen, damit ihm keine Neuigkeit entgehen konnte. Für den äußersten Notfall hatte er, als Unterstützung seiner eigenen Meinung, einen kräftigen Prügel unter dem Tresen lehnen. Im Allgemeinen waren die Bürger von Andajoz zwar temperamentvoll wie alle Spanier und ersetzten wirkliche Argumente gerne durch starke Worte und Gesten, aber eigentlich hatte es noch nie eine ernsthafte Auseinandersetzung und mehr als ein paar Beulen gegeben. Julio war nicht böse darüber wenn seine Gäste temperamentvoll waren, solange nicht zu viel zu Bruch ging. Hitzige Debatten förderten den Durst, den er gerne stillte.

    Seine hübsche Frau Theresa übernahm die Küche und die Bewirtung der Gäste und sorgte für die Reinlichkeit der Räume. Theresa war es auch, die, als Wortführerin, mit den anderen Frauen das festliche Schmücken der Plaza vornahm, wenn die Wallfahrtzeit näher rückte. Die umstehenden Gebäude und Olivenbäume an der Plaza wurden dann mit bunten Bändern und Tüchern geschmückt.

    Arigon´s Laden und Kneipe gehörten zu den Bauten, welche die Plaza einrahmten. Im Norden war es der beeindruckende zweigeschossige Bau des Hauses des Alcalden.

    Don Domingo de Vega´s Haus war sicherlich, abgesehen von Gonzo´s Hotel und dem kleinen alten Castillo an der Brücke, das größte Gebäude in Andajoz. Eigentlich war es eher eine Anlage, ein eigenständiger Hof, der aus dem Haupthaus, Nebengebäude und Stallung bestand, umgeben von einer brusthohen weißen Mauer, die das Haus des Alcalden begrenzte, nicht jedoch seinen Besitz.

    Don Domingo war ein vermögender Mann, dem das umgebende Land gehörte und wohl auch einiges mehr, denn sein Wohlstand war offensichtlich und passte eigentlich nicht zu dem kleinen Ort. Natürlich gab es entsprechende Gerüchte. Don Domingo sei der Erbe einer reichen Familie, vielleicht hatte er auch Feinde in Madrid und habe sich aufs Land zurückziehen müssen. Einer hatte einmal angeführt, der Don sei vielleicht kein Don, sondern der frühere Anführer einer Bande von Straßenräubern, der sich hier nun als braver Bürger zur Ruhe gesetzt hatte, aber dafür waren die Wohltätigkeiten Don Domingos zu bekannt, und die vorwitzige Bemerkung hatte den Sprecher seine zwei besten Schneidezähne gekostet. Für die meisten war Don Domingo unverkennbar ein Hidalgo, ein Edelmann Spaniens von blauem Blut. Jedenfalls sah man der Familie des Alcalden und seinem Haus einen gewissen Reichtum an.

    Das Haupthaus war zweigeschossig und der mächtige Vorbau ruhte auf Säulen, die aus einem Guss schienen. Über dem Vorbau zog sich ein breiter Balkon entlang, eingefasst von einem schwarzen, schmiedeeisernen Gitter, von dem zu besonderen Feiertagen die Flagge Spaniens herabhing.

    Über drei breite Stufen erreichte man den Vorbau, wo Donna de Vega gelegentlich in einem bequemen Schaukelstuhl saß. Durch eine große und massige Tür mit Metallbeschlägen, die zwei Flügel aufwies, trat man in eine breiten Flur, von dem die unteren Räume abzweigten und der in der breiten Treppe mündete, die in das Obergeschoss hinaufführte. Unten befanden sich die eigentlichen Wohnräume und das Amtszimmer des Alcalden, oben die Privatgemächer. Es gab Gerüchte, über dem Bett des Ehepaares befände sich wahrhaftig ein Baldachin aus schwerem Stoff. Die Möbel waren nicht rein funktionell, sondern wiesen sorgfältige Drechselarbeiten und Schnitzereien auf. Teilweise waren Einlegearbeiten mit anderen Hölzern ausgeführt. Über dem Kamin im Amtszimmer des Dons hing ein Wappenschild, dessen Bedeutung keiner der Bürger kannte, und über welches der Don sich ausschwieg, eingerahmt von einigen älteren Waffen. Waffen, die noch bei der Bekämpfung der Mauren hilfreich gewesen sein mochten.

    Doch der wahre Luxus erwies sich nicht in den kostbaren Gläsern, dem Porzellan oder dem silbernen Besteck, welches die Familie nutzte, sondern in der Tatsache, dass alle Böden mit polierten Hölzern ausgelegt waren und auf diesen Böden geknüpfte Teppiche lagen. Teppiche, welche Bilder zeigten und wahre Kunstwerke waren, so dass jeder Besucher nur zu bereitwillig sein schmutziges Schuhwerk ablegte, um die leuchtenden Farben nicht zu entweihen. Die hintere Außenwand des Hauses wurde von wildem Wein umrankt.

    Das Nebengebäude hatte fast die Größe des Haupthauses und bildete mit diesem die Form einen langgestreckten „L". Hier befanden sich die Kammern der fünf Bediensteten, die der Don beschäftigte, die Remise mit seiner Kutsche, und der Stall mit den Pferden für die Kutsche sowie dem edlen Reittier des Hausherrn.

    Die freie Innenfläche des „L" wurde von dem gepflegten Garten ausgefüllt, dessen Pflanzen liebevoll von Donna Carmen umhegt wurden. Die mit feinem Kies bedeckten Wege mündeten in der Mitte des Gartens in einen munter plätschernden Springbrunnen. Neben dem öffentlichen Brunnen auf der Plaza war dies die einzige künstliche Wasserentnahmestelle von Andajoz, denn der Fluss mit seinem klaren Wasser lag nahe, so dass sich das aufwändige Ausheben eines weiteren Brunnens einfach nicht lohnte.

    Die umgebende brusthohe Außenmauer des Grundstücks wies hinten, zur Flussseite hin, eine schmiedeeiserne Gittertür auf, die es den Bediensteten ermöglichte, den Fluss bequem zu erreichen. Hier, und vor den Zugängen der Gebäude, brannten nachts Lampen.

    Im Westen der Plaza von Andajoz zogen sich Laden, Kneipe und die wenigen Handwerksbetriebe hin, ihnen gegenüber, im Osten der Plaza, standen die drei Häuser der etwas vornehmeren Bewohner.

    Im Westen, am Ortsrand, in Richtung auf die hölzerne Brücke, stand die kleine Kapelle von Pater Umbrio, mit dem dahinter befindlichen Friedhof der Gemeinde. Knapp Zweihundert Meter vom östlichen Ortsrand entfernt lag die alte römische Brücke, mit dem Castillo, der einstigen Zollstation.

    Nein, Andajoz war weder beeindruckend, noch wichtig, aber für Velasquita war Andajoz der Mittelpunkt der Welt, in dem sich selten Neues tat. Die Ankunft eines echten Colonello war da etwas Besonderes und mit Velasquita und Alejandro hasteten daher auch andere Bewohner auf die Plaza, um wenigstens einen Blick auf den hohen Offizier werfen zu können.

    Vor dem Haus des Alcalden standen schon zahlreiche Leute, wohl die Mehrzahl der 115 Seelen, die Pater Umbrios Gemeinde zählte, wenn man von den ewigen Seelen absah, um deren Frieden er sich zusätzlich kümmern musste. Velasquita erkannte die hohen Feldmützen zweier Soldaten, die unter dem Vorbau des Hauses Posten bezogen hatten. Einer der beiden war Sargente Ruiz. Der Feldwebel des kleinen Castillo hatte ein gestrenges Gesicht aufgesetzt, wie er es immer tat, wenn er eine Funktion von herausragender Wichtigkeit einnahm. Keiner der Bewohner von Andajoz nahm die sieben Soldaten des Castillo besonders wichtig, obwohl eine ständige Garnison, und sei sie noch so winzig, die Bedeutung von Andajoz ein wenig hervorhob.

    Ruiz war ein stämmiger Mann, den die Uniform mit ihren weißen Hosen, der grünen Jacke und der von einem roten Pompom gekrönten Feldmütze gut kleidete. Die beiden weißen Ledergurte, die sich über seiner Brust kreuzten und gleichermaßen Patronentasche, Bajonett und Leibesfülle im Zaum hielten, glänzten frisch geweißt. Die Bajonette, sonst in ihrer Lederscheide, steckten auf den langläufigen Musketen der Soldaten und der Anblick der halbmeterlangen Stahlklingen flößte Respekt ein.

    Ruiz räusperte sich, als Velasquita ihren Alejandro durch die Menge zerrte und vor ihn trat. „Halt! Kein Zutritt!", sagte er barsch.

    Velasquita sah ein paar Schweißtropfen, die unter der Feldmütze hervorsickerten und über Ruiz Wangen liefen. „Hab dich nicht so, Sargente. Willst du dem Sohn des Bürgermeisters den Zutritt zu seiner Familie verwehren?"

    Sie lächelte den Feldwebel mit den großen Winkeln an den Oberarmen spöttisch an und spürte Ruiz Frustration. Er war eigentlich der ranghöchste Repräsentant der königlichen Armee in Andajoz. Nun war ein wirklicher Offizier gekommen und Ruiz musste draußen vor dem Haus bleiben und Posten stehen. Wieder einmal schienen die wichtigen Ereignisse an dem stämmigen Soldaten vorbei zu gleiten. Ja, Velasquita konnte seine Frustration deutlich spüren und ihr Lächeln wurde weicher.

    „Sieh, mein guter Sargente, Alejandro und ich haben Hunger und Durst. Willst du den Zutritt wirklich verwehren?"

    Ruiz räusperte sich erneut. „Der Colonello hat strikt verboten, dass jemand das Haus betritt."

    „Aber das gilt doch nicht für die Familie des Alcalden", sagte Velasquita freundlich. „Oder hat Donna Carmen verlangt,

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