Vorsicht Schule: Leben in schulischen Minenfeldern - Leseprobe
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Über dieses E-Book
In den Szenen kommen verschiedene Charaktere zu Wort, quer zur politisch und emotional aufgeladenen Bildungsdiskussion, jenseits von Verbandsinteressen, ideologischen Grabenkämpfen und Parteiengezänk.
Der Fokus richtet sich auf den Einzelnen, seinen Lebensentwurf, seine biographischen Hintergründe, seine Hoffnungen, Ängste und Erwartungen, seinen Erfolg, sein Scheitern und seine ,blinden Flecken'.
Es gibt viel Unzulängliches. Doch darin scheint die Lösung auf.
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Buchvorschau
Vorsicht Schule - Regine Wagner-Preusse
Zufall
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Vorsicht Schule!!!
Regine Wagner-Preusse
Vorsicht Schule!!!
Leben in schulischen Minenfeldern
ROMAN
Verlag Blaues Schloss
Regine Wagner-Preusse *1951, nach dem Studium der Germanistik, Politik und Soziologie und sowie der Ausbildung in Familientherapie arbeitete sie in der Psychiatrie und ist seit vielen Jahren als Lehrerin in der Erwachsenenbildung und in der Staatsschule beschäftigt.
Originalausgabe
1. Auflage, 2012
Regine Wagner-Preusse
Vorsicht Schule!!!
Ein Leben in schulischen Minenfeldern
ROMAN
Umschlag: Verlag Blaues Schloss
© 2013 Verlag Blaues Schloss· Marburg
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung einschließlich Speicherung und Nutzung auf optischen und elektronischen Datenträgern nur mit Zustimmung des Verlags.
Besuchen Sie uns im Internet:
www.verlag-blaues-schloss.de
Druck und Bindung: Dokupoint Barleben
Printed in Germany
ISBN 978-3-943556-17-9
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Inhalt
Zufall 9
Die Dorfschule 14
Lehrergrillen 17
Es gibt auch Paella 19
Vorher 22
Bernd aus Bebra 23
Silja 30
Sind Sie Lehrerin? 37
„Die Direktorin glaubt uns Kindern. Nicht Ihnen!" 59
Vierzehnjährige Schülerin nach Alkoholexzess im Krankenhaus 75
Jonas 79
Marlene 85
Monica 90
„Von diesen Städten wird bleiben:
der durch sie hindurchging, der Wind." 104
Ralf 108
Gesprächsverläufe 112
Elternsprechtag 117
Pausenaufsicht 122
Monica 126
Störungen 129
Rettungsversuche 136
Die haben ein Helfersyndrom 145
Leidende Lehrer 152
Störende Schüler 157
Dirk, geboren 1957 160
Klassentreffen 165
Schulreform 177
Neunte Klasse Hauptschule 181
Monica 183
Elisabeth hätte nie gedacht, dass Mathilda ihrem Leben einmal eine andere Richtung geben würde. Mathilda, die ehemalige Kollegin in der Erwachsenenbildung. Die Leiterin des Kurses für Langzeitarbeitslose, in dem Elisabeth unterrichtet hat. Sie bekam das Angebot, ungefragt. Ohne Bewerbung. Berufliche Selbsterfahrung mit Erwachsenen, Deutsch, Geschichte und Politik. Mathilda war Elisabeth sympathisch. Es gab viele Gemeinsamkeiten. Gleiches Alter, beide haben Kinder ungefähr im gleichen Alter. Beide Lehrerin.
„Du bist doch Lehrerin?" Mathilda und Elisabeth treffen sich zufällig vor dem Standesamt der Stadt. Elisabeth hat die Geburtsurkunde ihrer Tochter, die heiraten will, abgeholt.
„Hast du Zeit? Sollen wir etwas trinken?"
„Gern, warum nicht gleich hier im Freien mit dem Blick auf die Altstadt." Die Sonne scheint, es ist warm. Keine Schulklassen erkunden die Stadt, denn es sind Sommerferien. Die Studenten haben Semesterferien. Mathilda kommt auf ihr Anliegen zurück.
„Im Schulamt suchen sie händeringend Vertretungslehrer. Ich habe gerade meinen zweiten Vertrag unterschrieben. Dieses Mal nur für zwei Wochen. Vorher war ich ein halbes Jahr in einer Hauptschule, habe einen Lehrer in Deutsch vertreten, der hatte mit 50 fünfzig einen Herzinfarkt."
„Du bist wieder in einer Staatsschule? Hast du nicht damals deinen Job in der Erwachsenenbildung gekündigt, weil du nicht mehr unterrichten wolltest? Und jetzt gehst du in die Hauptschule. Das ist doch um einige Zacken härter als bei den Erwachsenen."
„Ach weißt du, ich habe jetzt ein halbes Jahr in der Hauptschule ausgehalten, in der gleichen Schule, in der mein Kollege den Herzinfarkt bekommen hat. So leicht kann mich nichts mehr erschüttern."
„Wie geht es dir sonst so? Wir haben uns ja seit Jahren nicht mehr gesehen."
„Mein Mann und ich haben uns getrennt nach dreißig Ehejahren."
Wie schrecklich für Mathilda, wenn ihr Mann gegangen ist. Oder ist Mathilda zu bewundern, dass sie sich nach so langer Zeit ein neues Leben zutraut? Elisabeth weiß nicht, was sie sagen soll. Gar nichts geht gar nicht. Immerhin hat Mathilda das Thema zur Sprache gebracht. Aber zu viele Fragen wirken aufdringlich.
„Oh, das tut mir leid."
„Ist nicht schlimm. Es lief schon lange nicht mehr gut. Von mir aus wäre es immer so weitergegangen, aus Bequemlichkeit. Der Fritz hat sich getrennt, wegen einer Kollegin. Die ist sehr schwierig, so dass er mir manchmal leidtut tut, wenn ich sehe, wie es ihm geht mit dieser Frau. Ich bin auf einmal in einem ganz anderen Leben. Aus eigener Kraft hätte ich das nicht geschafft."
„Wohnst du noch in der Wiesenstraße?"
„Schon lange nicht mehr. Es ist viel passiert in letzter Zeit. Vor drei Jahren ist mein Mann ausgezogen. Im Oktober dann Lisa. Sie hat einen Studienplatz in Berlin bekommen. Medizin. Letztes Jahr hat Lea ihr Germanistik-Studium in Göttingen begonnen. Meine Eltern sind gestorben. Ich habe geerbt und mir mit dem Geld ein Haus in der Altstadt gekauft. Da wohne und renoviere ich. Die untere Etage ist an Studenten vermietet. Das ist meine Alterssicherung. Von Fritz kann ich da nicht viel erwarten, der bekommt ja selber kaum Rente. Komm doch mal vorbei. – Aber sag mal, wie ist es dir ergangen in den letzten Jahren? Unterrichtest du immer noch Erwachsene beim gleichen Verein?"
„Nur noch auf Honorarbasis. Vor fünf Jahren habe ich gekündigt, obwohl ich als Betriebsrätin unkündbar war. Aber das war es mir wert. Ich wollte nicht mehr eingesperrt sein in einen Acht-Stunden-Rhythmus. Jeden Tag das Gleiche machen. Unmotivierten, schwierigen und nörgelnden Jugendlichen zu einem Abschluss verhelfen, das wollte ich nicht mehr. Jetzt bestimme ich, wen ich unterrichte. In Umschulungen Deutsch, Buchführung, Betriebswirtschaft und Rechnen. Die Teilnehmer sind motiviert, denn sie müssen nach zwei Jahren ihren Abschluss als Büro- oder Großhandelskaufmann machen. Buchführung und kKaufmännisches Rechnen sind Prüfungsfächer. Die meisten waren schon in einem anderen Beruf erfolgreich und müssen aus gesundheitlichen Gründen umschulen."
„Buchführung und Betriebswirtschaft. Ist das nicht langweilig?"
„Mir macht es Spaß, und ich kann etwas bewirken: Zum Beispiel bei Bettina, die wegen ihrer Prüfungsangst ihr Studium nicht zu Ende gebracht hat. Ihr Chef meint, Bettina könne etwas werden in der Bank, wenn sie nur diese Abschlussprüfung macht. Bettina ist eine Einserkandidatin, wenn sie ihre Prüfungsangst in den Griff bekommt. Das erfordert viele Gespräche, Aufbau einer Beziehung. Immerhin, die schriftliche Prüfung hat sie hinter sich.
Oder Julian, der nicht rechnen kann. Dafür ist er sprachbegabt und spielt wunderbar Klavier „Geben Sie sich keine Mühe, ich kapier den Dreisatz nicht, hat er neulich gesagt. „Sagen Sie mir einfach, welche Zahl auf und welche unter den Bruchstrich kommt.
Er hat die Prüfung geschafft, Rechnen und Buchführung mit einer Drei. Dabei hatte er bestenfalls mit einer Vier gerechnet.
Daniel war lange in der Psychiatrie. Nachdem er im Jurastudium gestrandet ist, will er jetzt einen Beruf, der ihn erdet. Das Schulpensum für die dreijährige Ausbildung, das schaffte er in drei Monaten. Es macht einfach Spaß, diese Schüler zu fördern. Sie sind motiviert, bereit, sich einzulassen und mit mir an ihren Defiziten zu arbeiten. Die angehenden Kaufleute arbeiten mit und bedanken sich schon mal nach einer Unterrichtsstunde."
„Ich unterrichte zur Zeitzurzeit eine achte Klasse in einer Förderschule."
„Förderschule?"
„Das ist Verbalkosmetik. Die Förderschulen hießen früher Sonderschulen. Meine Schüler sind sehr nett, gar nicht aufsässig. Sie haben eine Lernbehinderung und brauchen mehr Zeit für den Unterrichtsstoff. Damit komme ich zurecht."
„Ich habe gerade den Anrufbeantworter abgehört. Da sucht eine Schuldirektorin eine Krankeitsvertretung für Deutsch."
Caspar-Max hat sich wieder einmal Arbeit mit nachhause gebracht. Die Tür zum Garten ist offen. Im Apfelbaum singt eine Amsel für seine Liebste. Der Hund döst im Gras, die Katze lauert angespannt nach Mäusen und Vögeln. Hier kann Caspar-Max in Ruhe arbeiten. Kein Mandant ruft an, kein Gerichtstermin.
„Das ging aber schnell. Hast du nicht erst letzte Woche deine Bewerbung weggeschickt?"
„Dass die so dringend suchen, damit habe ich auch nicht gerechnet. Deutsch und Geschichte in einer Gesamtschule. Das wäre doch etwas. Kinder und Jugendliche sind originell und lebendig. Ich kann Entwicklungen anstoßen und unterschiedlich begabten Kindern helfen, sich zu entfalten."
„War Staatsschule für dich nicht der blanke Horror? Deshalb hast du doch gekündigt, damals vor 20 zwanzig Jahren."
„Es hat sich viel verändert. Seit dem Pisa-Schock wurde sehr viel Geld in den Bildungssektor investiert und vor allem sind heute die Lehrer anders. Diese autoritären Lehrer vom alten Schlage, die mir damals das Leben in der Schule schwer machten, die gibt es nicht mehr."
„Na, denn – vom Geld her wäre es auch nicht schlecht. Du weißt ja, was bei mir los ist. Und der Hungerlohn bei deinem Verein, das ist ein Skandal."
Die Dorfschule
„16 Uhr 30 am Haupteingang. Ich brauche keine Wegbeschreibung. Ich kenne mich aus im Dorf, eine Freundin meiner Tochter wohnte in der Nähe der Dorfschule."
Elisabeth ist mit dem Auto unterwegs. 40 vierzig Kilometer nur Landstraße. Hier gibt es keine Autobahn auf Elisabeths neuem Schulweg ab morgen. Sie liebt diese Gegend. Die Straße führt durch ein Tal inmitten von grünen Wiesen, die nach Heu duften. Pferde weiden, Kühe dösen im Schatten eines Baumes, Schafe bilden eine keilförmige Verteidigungsformation, weil ein Hund am Zaun entlang springt. Es geht durch Dörfer mit Fachwerkhäusern, durch schattige Wälder den Berg hinauf.
Die Schule liegt am Rande des Ortes, ein gemütlicher Bau aus den Fünfzigern, umstanden von Bäumen, im Hintergrund Wald. Das spitze rote Giebeldach, der weiße Putz und die langen Fensterreihen mit den grünen Fensterläden aus Holz, das wirkt freundlich und einladend. Elisabeth wartet vor dem verschlossenen Haupteingang. Kein Konrektor in Sicht.
„Sie stehen vor der Grundschule. Die Verwaltung finden Sie dort nicht. Ich hole Sie ab."
„Beschreiben Sie mir doch einfach den Weg."
„Zu kompliziert. In zehn Minuten bin ich bei Ihnen."
Herr Keil führt Elisabeth in den Oberstufenbereich. „Am besten gehen Sie zu Fuß, die Parkplätze oben sind knapp." Sie gehen durchs Dorf. Die Oberstufe ist anderswo und sieht anders aus: Klinkerbauten mit Flachdach und betonierte Hofflächen laden nicht zum Spielen ein, und das ist gut so.
Die Schule platzt aus allen Nähten. Die Schulhöfe sind zu klein, deshalb dürfen sich die Schüler in der Pause auf den Fluren in den Gebäuden aufhalten. Ohrenbetäubender Lärm, versiffte Toiletten beherbergen die heimlichen Raucher. Graue Steintreppen, schadhafter grauer PVC-Boden, kahle Wände, zu großeselbst die größten Klassenräume sind für die Riesenklassen immer noch zu klein. Die Ausstattung: hässlich, trostlos, die obligatorische Tafel, verdreckte Bänke und Tische – geputzt wird nur noch einmal die Woche. Sparmaßnahme. Unter der Woche sind die Schüler gefordert. Eine Seite Fensterfront gibt den Blick auf Berge und Wiesen frei. Das Lehrerzimmer fensterlos, fahles Licht von der Decke, permanenter Sauerstoffmangel, Teppichboden, zwei lange Tische, Polsterstühle, jeder hat seinen Platz, sein Fach – auf dem Flur das Gekreische der Kinder in der Pause.
So eine Schule dürfte es nicht geben. 1700 Schüler von Klasse eins1 bis 13dreizehn. Lernfabrik. Die Schüler werden mit Bussen heran- und weggekarrt. Drei Lehrerzimmer für 150 Lehrer. Lehrerzimmer wie die Abflughalle eines Flughafens. An den Wänden Monitore, die über kurzfristig geänderte Vertretungs- und Raumpläne informieren. Alle Lehrer kann man nicht kennen, nur jene, mit denen man etwas zu tun hat, bei Klassenkonferenzen, bei Konfliktgesprächen über schwierige Schüler.
Immer öfter müssen die Schüler hier den ganzen Tag ausharren, von 8 bis 16 Uhr. Damit sie das aushalten, wurde eine Cafeteria gebaut, Glas und Beton, aggressiv -rote Stahlträger, PVC auf dem Boden, was sonst. Mittagstisch, Massenverpflegung: Fahlbraune, fade Schnitzel, abgestandene Kartoffeln, verkochte Nudeln, Altöl-Pommesgeruch. Warteschlangen an der Essensausgabe. Laut, viel zu laut. Das deckt keine Lärmschutzverordnung.
Lehrergrillen
Die Straße schraubt sich den Berg hinauf durch den Wald. Flirrendes Licht fällt durch das Laub der Bäume, deren Schatten Kühle spenden an diesem heißen Sommertag. Hier ist Elisabeth schon oft entlang gefahren. Zusammen mit Lene, als diese noch keinen Führerschein hatte. Zum Reitstall, weil Lene ihr Pferd versorgen musste. Täglich nach der Schule 30 dreißig Kilometer.
Und weil nur der Reitlehrer dort in Frage kam. Später hat Lene bei der Stallarbeit geholfen. Dafür erhielt sie Reitunterricht. Kostenlos. Elisabeth liebte diese Strecke, vor allem an Sonntagen im Sommer, um 4 Uhr morgens, wenn sie Lene zum Turnier fuhr. Nie wieder hat sie solche Sonnenaufgänge gesehen.
An diesem Sommerabend ist sie alleine unterwegs zum Lehrergrillen in