Er nennt's Vernunft: Über Politisierung - ein Versuch
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Buchvorschau
Er nennt's Vernunft - Regine Wagner-Preusse
Er nennt‘s Vernunft
Über Politisierung - ein Versuch
Für Politik interessieren sich viele. Es gibt jedoch nur wenige, die für ihre politischen Interessen aktiv werden wollen und bereit sind, durch ihr Engagement zur Gestaltung der Gesellschaft beizutragen.
Was treibt diese Menschen an?
Was beeinflusst ihr Handeln? Sind es ihre Ideen, und wenn ja, wo kommen die her? Sind es die eigenen Erfahrungen, die für bestimmte Anschauungen empfänglich machen? Ist die Summe der Erlebnisse dafür verantwortlich, dass uns eine Anschauung begeistert, eine andere Weltsicht uns gleichgültig lässt oder uns gar in Rage bringt? Warum hält sich der große Mehrheit der Bevölkerung aus der Politik heraus, obwohl dieser Bereich großen Einfluss auf das Leben aller ausübt? Politiker entscheiden über Krieg und Frieden, über die Ausstattung einer Gesellschaft mit Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern. Sie entscheiden über öffentliche Investitionen zum Beispiel in Umweltprojekte. Sie entscheiden, wer wie viel Steuern zahlt und ob die Zwangsgelder der großen Mehrheit der Bevölkerung zugute kommen, oder ob sie für Rüstung oder den EU-Rettungsschirm ausgegeben werden. Immer wieder lesen wir in der Zeitung von Steuergeldern, die sinnlos verschwendet wurden.Obwohl vieles in der Politik nicht wunschgemäß läuft, regt sich fast niemand darüber auf, von vereinzelten kritischen Berichten in den Medien abgesehen, doch die bleiben meist folgenlos.Daran hat sich nichts geändert in den letzten Jahrzehnten. Alle vier Jahre wird ein neuer Bundestag gewählt. Mal gewinnt die SPD, Mal gewinnt die CDU. Auch Gerhard Schröder, der mit seiner Agenda 2020 das Land in eine bessere Zukunft führen wollte, schaffte keine grundlegende Änderung. Der Wählerschwund der SPD konnte bis heute noch nicht aufgehalten werden. Auch in den CDU-geführten Ländern änderte sich nicht viel. Die Schwerpunkte des politischen Interesses verschoben sich nur geringfügig. Ansonsten blieb alles beim alten.
Es gab eine Zeit, da war ich der Auffassung, dass das Sein das Bewusstsein bestimme. Aufgerüstet mit sozialistischen Ideen schloss ich daraus, dass Menschen als vernunftbegabte Wesen ihre objektive Lage erkennen und in ihrem Streben nach Glück sich von Verhältnissen befreien werden, die sie an ihrer Entfaltung hindern, die sie abhängig halten und ihnen ein gutes Leben verwehren. Objektive Lage, damit meinte ich die gesellschaftlichen Verhältnisse, das Privateigentum an Produktionsmitteln, den Kapitalismus, in dem alles auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sei. Und eben diese Verhältnisse verhinderten die Emanzipation des Menschen, hielten ihn in Abhängigkeit. Die Schule verteile Lebenschancen, produziere Arbeitskräfte nach kapitalistischen Verwertungsinteressen und Untertanen ohne Selbstbewusstsein, alles im Interesse des Kapitals. Damit waren die Unternehmen gemeint, die Fabrikarbeiter, Handwerker, Büroangestellte, Krankenschwestern, Arzthelferinnen, Lehrer, Erzieherinnen und auch Ärzte für sich arbeiten ließen.
Was ist los mit dem revolutionären Subjekt?
Aber, entgegneten einige meiner politisch interessierten Freunde, wir leben doch in der freiesten aller Gesellschaften die es je gab. Guck dich um auf der Welt. In nur wenigen Ländern hat das Volk so viele Freiheiten. Meinungsfreiheit, Koalitionsfreiheit, Freizügigkeit, freie Berufswahl, jeder kann heiraten, wen er will oder es auch bleiben lassen. Und kann sich trennen, auch Frauen werden heute nicht mehr schief angesehen. - Und nie war der Lebensstandard so hoch wie heute. Wir haben Wohnungen mit Bädern und Zentralheizung, Fernseher, Telefon, Waschmaschinen und Spülmaschinen. Fast jeder fährt mindestens ein mal im Jahr in den Urlaub. Wer konnte sich das vor 50 Jahren leisten?
Wir krebsen immer noch am Existenzminimum
- allerdings auf hohem Niveau!
Aber, entgegnete eine Freundin, die kurz vorher in die DKP eingetreten war. Als Büroangestellte verdiene ich gerade so viel, dass ich im Monat über die Runden komme.Wir leben immer noch am Existenzminimum. Der Wert der Ware Arbeit ist abhängig von der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit zu seiner Produktion. Wir abhängig Beschäftigten erhalten keineswegs die Werte, die wir geschaffen haben, sondern nur so viel,