Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Franziska und Ilka: Lehrerinnen im Lebenskamp
Franziska und Ilka: Lehrerinnen im Lebenskamp
Franziska und Ilka: Lehrerinnen im Lebenskamp
eBook605 Seiten6 Stunden

Franziska und Ilka: Lehrerinnen im Lebenskamp

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Franziska und Ilka

Franziska Reiber aus der Bremer Neustadt schafft es als Tochter eines Maurers und einer Putzhilfe ihr Abitur zu machen. Sie nutzt die Möglichkeiten des Staates, beantragt BAFÖG und beginnt ein Studium in Biologie und Englisch für das höhere Lehramt in Braunschweig.
An derselben Schule macht auch das verwöhnte Unternehmerkind Ilka Müller ihr Abitur und entscheidet sich ebenso für das höhere Lehramt. Sie sieht das Studium aber weniger als Notwendigkeit, später für ihren Broterwerb zu sorgen. Sie möchte vor allem interessante Männer kennenlernen.
Beide schaffen es, ihr Studium zu unterschiedlichen Zeiten zu beenden. Sie merken, dass Lehrer keine faulen Säcke sein können und ständig arbeiten müssen.
Natürlich hat das Leben mehr in petto für sie als den Beruf. Vergewaltigung, Eheprobleme, schwere Krankheit und eigene Kinder führen die Lehrerinnen durch intensive Leben.
Neben den beiden Hauptakteurinnen beleben weitere Lehrerinnen, verschiedene Konfessionen, Ansichten unterschiedlicher Generationen und Gesellschaftsschichten den Roman.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum27. Nov. 2020
ISBN9783347186590
Franziska und Ilka: Lehrerinnen im Lebenskamp

Ähnlich wie Franziska und Ilka

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Franziska und Ilka

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Franziska und Ilka - Anna Tietjen

    1. Abitur

    „Herzlichen Glückwunsch Franziska. Das hat ja doch noch ganz gut geklappt."

    Das war wieder typisch für die „alte Lammers". Statt ihr von Herzen diesen Erfolg zu gönnen, musste sie darauf anspielen, dass sie nicht immer so gut dagestanden hatte. In der Mittelstufe war sie nicht immer so gut, speziell nicht in Physik, aber jetzt hatte sie ihr Abi eigentlich mit Bravour bestanden. 2,0 war ein Schnitt, den ihr noch vor drei Jahren keiner zugetraut hätte.

    „Danke, Frau Lammers", sagte Franziska artig und ging wieder an den Tisch ihrer Eltern.

    Diese waren mächtig stolz auf sie. Schließlich war sie die erste in der Familie, die auf das Gymnasium besucht hatte und bislang auch die einzige. Papa war Maurer und Mama verdiente mit Putzen etwas Geld hinzu. Sie wohnten in einer kleinen Vierzimmerwohnung, aber das Geld reichte, sodass sie niemand schief ansah. Klar sie konnte natürlich keine Designerklamotten tragen, aber in ihrem Jahrgang gab es viele, die darauf keinen Wert legten. Ihr Bruder Julius hatte gleichzeitig mit ihr den Hauptschulabschluss geschafft und wollte jetzt eine Lehre als Maurer machen. Auch wenn Papa immer wieder betonte, dass das kein Zuckerschlecken wäre, hatte er große Pläne. Nach der Lehre könnte er doch noch einmal zur Schule gehen und dann vielleicht auch studieren. „Was Franzi kann, das kann ich doch wohl auch", meinte er. Er würde ja lieber Elektriker werden, aber da werden nur die besten im Jahrgang genommen. Julius war zwar nicht dumm, aber ein bisschen faul und so reichte es nicht zu einem sehr guten Abschluss.

    Die kleine Kirsten, Franziskas Schwester, war heute nicht bei der großen Feier dabei. Sie war gerade mal 13 und musste zuhause bleiben. So richtig Lust zum Lernen hatte sie auch nicht. Da Franziska das Abitur machte, wollte sie auch nicht so ganz schlecht dastehen und besuchte die Realschule. So waren sie alle ganz unterschiedlich, die Reiberkinder. Was sie alle gemeinsam hatten, war eine ungebrochene gute Laune. Die Eltern klagten nie über ihre schwere Arbeit und nutzen jede freie Minute, um mit den Kindern etwas zu unternehmen. Das durfte zwar nie viel Geld kosten, aber Spaß machte es irgendwie trotzdem immer.

    „Na Franziska, herzlichen Glückwunsch – das hast du ja ganz toll hingekriegt. Was willst du denn jetzt mit dem Lappen machen?" riss sie ihr Mathelehrer aus den Gedanken.

    „Ich möchte Lehrerin werden – das ist schon seit Jahren für mich klar. Ich weiß nur noch nicht so recht für welche Schulart und welche Fächer ich mich bewerben will."

    „Dir ist schon klar, dass es ein harter Beruf ist und die Wochenenden oft mit Korrekturen gefüllt sind. Außerdem musst du dich durchsetzen können, sonst tanzen dir die Blagen auf dem Kopf herum."

    „Sie sprechen ja ganz schön flapsig über ihre Schüler, lachte Franziska, „Wenn ich zu den kleinen Kindern gehe, dann dürften die Korrekturen ja nicht so arg sein. Außerdem müssten die ja auch noch etwas gehorsamer sein.

    „Das stell dir man nicht zu einfach vor. Bei den Kleinen ist noch kein Sitzfleisch ausgebildet. Die müssen erst lernen, dass man nicht rumlaufen darf. Außerdem rufen die in die Klasse, was ihnen so einfällt. Nein, ich glaube das mit der Disziplin ist nicht unbedingt leichter als bei euch Großen. Außerdem soll es viel mehr Konferenzen in Grundschulen geben. Allerdings ist bei uns das Abitur immer die reinste Horrorzeit. Wenn die Jugendlichen ihre Ideen sprühen lassen, dann macht das richtig Spaß. Intelligente Schüler sind einfach eine Freude - sie können mitunter allerdings auch recht arrogant sein und einen spüren lassen, dass sie meinen ihr IQ sei höher als der ihrer Lehrer."

    „Na ja, lachte Franziska, „manchmal könnte das ja auch so sein. Diese Überlegungen helfen so sehr viel auch nicht weiter – was ich jetzt verstanden habe ist, dass die Kleinen Stress in der Schule bringen und die Großen bedeuten Stress am Nachmittag und am Wochenende und manchmal auch noch in der Schule, dafür bringen sie auch manchmal richtig viel Spaß.

    „Ein paar Tage Zeit hast du ja noch mit den Entscheidungen. Wenn du später sicher einen Arbeitsplatz willst, musst du Mathematik und Physik oder sonst eine Naturwissenschaft studieren – fürs Gymnasium, denn dort gibt es zur Zeit noch ein paar Stellen. An Grundschulen wird es schon knapper mit den Aussichten und die Hauptschule gibt es eh kaum noch in den Städten. Das ist die Frustschule ohne Aussichten, nicht das was sie mal war. Jetzt amüsier‘ dich erst mal - man feiert nur einmal seinen Abiball."

    Damit war Franziska wieder mit ihren Gedanken allein und sie schaute sich nach Torben um, ihrem Freund, damit sie mal ein bisschen tanzen konnte.

    Torben saß bei seinen Eltern und war im Gespräch vertieft. Ihre Eltern und seine kamen gar nicht zusammen, denn seine Eltern gaben sich nicht mit einem Maurer ab. Das war so die Kehrseite ihrer gymnasialen Karriere. Egal in welches Haus sie kam, wenn die anderen Eltern hörten, dass ihr Vater Maurer war, dann wurden sie sprachlos und verlegen. Weil alle Schüler so weit auseinander wohnten, traf man sich sowieso nur selten, also war dies nicht allzu belastend. An der Uni später, wird keiner mehr nach den Eltern fragen – davon war Franziska überzeugt.

    Sie schlenderte in Richtung Torben, merkte jedoch deutlich, dass seine Eltern alles taten, damit er nicht zu ihr ging. „Blöde Typen", dachte sie, aber an der Bar standen noch viele ihrer Mitschüler, sodass sie sich dorthin begab.

    Der Abend verlief etwas träge – die Musik war zu laut, Torben war nie bei ihr und außer einigen Tänzen passierte wenig. Das Abikommitee hatte es nicht geschafft, ein paar Sketche mit Lehrern oder Schülern auf die Reihe zu bekommen, sodass dieser tolle Ball ziemlich langweilig war. Gegen zwölf gingen dann auch die ersten Eltern und als Torben mit seinen Eltern den Ball verließ, ging Franziska zu ihren Eltern und schlug vor, den Ball zu verlassen. Die waren recht froh, denn das Bier war viel zu teuer und andere Eltern kannten sie nicht, sodass die ganze Veranstaltung auch für sie frustrierend war. Allerdings schafften es die Eltern öfter zu tanzen als Franziska, womit sie jedoch auch die absolute Ausnahme unter den Eltern waren.

    2. Entscheidung

    Der Abiball lag nun schon wieder zwei Wochen zurück und Franziska bastelte an ihren Bewerbungen. Wenn sie an den Umgang mit ihrer kleinen Schwester dachte, waren kleine Kinder vielleicht wirklich etwas nervig, also ging sie aufs Ganze und wollte sich für das Gymnasium bewerben. Auch wenn ihr Mathelehrer natürlich Mathematik vorgeschlagen hatte, war das nicht gerade ihre Stärke. So ein Studium würde sie sicherlich nicht schaffen. Die Naturwissenschaft, die ihr auch in der Schule gut gefallen hatte, war die Biologie, also bewarb sie sich für Biologie. Eigentlich war sie eher der sprachliche Typ und so wählte sie als zweites Fach Englisch. Wenn sie zu einem guten Abschluss kam, dann hätte sie sicherlich eher Chancen auf dem Arbeitsmarkt als wenn sie nur ein schlechtes Examen in Mathematik aufzuweisen hätte.

    Das Einfüllen all dieser Fragen war gar nicht so einfach. Als sie bei Torben anrief, damit sie das zu zweit machen konnten, informierte die Mutter sie, dass Torben seine Unterlagen längst losgeschickt hätte und jetzt eine Studienreise durch Kanada unternähme. Irgendwie hatten die Eltern genug Einfluss, sodass er vom Wehrdienst befreit war. Komisch, von Kanada hatte Torben nie etwas erzählt. Die Eltern machten sich wohl echt Sorgen, dass sie ihn auf die falsche Bahn brachte – Franziska wusste gar nicht so recht, woher sie wussten, dass ihr Vater Maurer war, denn sie sprach eigentlich nie darüber. Torbens Vater hatte ihren Vater wohl einmal während des Abiballs so seltsam von der Seite angeguckt. Vielleicht hatte er ihn erkannt, weil er irgendwie mal mit ihm zu tun hatte. Torben hatte erzählt, dass sein Vater in der Baubranche tätig wäre, allerdings nicht als was. Egal, die ganz große Liebe war es sowieso nicht. Dennoch Torben war immer recht lustig und nett. Schade, diese Beziehung war damit wohl zu Ende, wenn er sich nicht wieder meldete. Ihre beste Freundin Irina hatte eine Lehrstelle und wollte nicht studieren, sodass sie sich mit diesem Papierkram auch nicht auskannte.

    Auf gut Glück füllte Franziska also alle Felder aus und machte das auch gleich für mehrere Universitäten. Für Biologie musste sie auch noch die ZVS-Unterlagen ausfüllen. Irgendwie kam man sich vor, als nehme man an einer Lotterie teil. Man sollte sich vielleicht auch einen Plan B zurechtlegen, falls aus allen Bewerbungen nichts wurde.

    Für Bewerbungen bei Lehrstellen war es allerdings schon zu spät und sie hatte auch keine Idee, was man da machen könnte. Ach, wird schon gut gehen, sagte sich Franziska und guckte in den Stellenanzeigen, ob es nicht für die Übergangszeit einen netten Job geben könnte, um sich ein kleines Startkapital zu schaffen.

    3. Univorbereitung

    Ilka Müller genoss das Leben in vollen Zügen. Das Abitur war geschafft und nun hatte Papa eine Studienreise nach England finanziert. In Brighton durfte Ilka sich sechs Wochen in einem Studentenzimmer auf dem Campus einquartieren und Kurse in Konversation und Literatur belegen. Daneben gab es natürlich ein ausgiebiges Freizeitprogramm. Das Zentrum von Brighton lag zwar etwas entfernt, aber es gab Busse, die regelmäßig verkehrten. Abends musste man natürlich etwas aufpassen, dass man den letzten Bus nicht verpasste. Neulich Abend war das passiert. Ein netter junger Mann im Sportwagen hatte ihnen angeboten sie zu fahren und sie dann zusammen mit ihrer Freundin nach Hause kutschiert. Erst hatte Ilka ein schlechtes Gewissen und auch ein wenig Angst, aber dann war er sehr nett. Er fragte als er sie vor dem Campus absetzte, ob er nicht noch zu einem Kaffee reinkommen könnte, doch davor war schon mehrfach gewarnt worden. Der junge Mann ging dann auch freiwillig ganz friedlich wieder. Man sollte es jedoch doch nicht zur Gewohnheit werden lassen, den Bus zu verpassen. Sabine, Ilkas Freundin sah das ganz nüchtern.

    „Wir sind ganz schön blöd, uns so einem Risiko auszusetzen. Die Pubs machen sowieso um halb 11 zu und wir haben den letzten Bus nur um 5 Minuten verpasst. Also in Zukunft nehmen wir einen Wecker mit."

    „Was hätten wir gemacht, wenn der Jüngling uns nicht zum Campus sondern irgendwo in die Botanik verfrachtet hätte und sich über uns hergemacht hätte?"

    „Immerhin waren wir zu zweit – so schwach sind wir als schwaches Geschlecht ja auch nicht."

    Dennoch war der Schreck so groß, dass Ilka und Sabine sich nicht noch ein zweites Mal dieser Gefahr aussetzten. Obwohl Papa ganz großzügig war, wollten sie ihr Geld doch lieber in der Innenstadt für Klamotten ausgeben als abends für Taxis. Die englischen Sachen waren etwas anders, als das was mit in Deutschland bekam und im Vergleich recht preiswert. Da machte es Spaß ausführlich bummeln zu gehen.

    Die Kurse in Konversation waren richtig interessant. Manchmal wurden einfach nur Spiele gespielt und dann wieder wurden Rätsel gelöst oder es wurde über ein politisches Thema diskutiert. England hatte Argentinien wegen der Falklandinseln angegriffen. War das berechtigt? Ilka musste erst mal gucken, wo die Falklandinseln lagen und verstand die Politik nicht so recht. Was wollte England mit einer Insel so weit weg? Das waren wohl noch Reste des Kolonialismus – die Sonne geht niemals über dem Britischen Reich unter. Das war einmal – seit fast 40 Jahren war sogar Indien als eines der wichtigsten Einflussbereiche Englands unabhängig. Andere Länder wie Australien hatten die Queen zwar noch als Repräsentantin, waren ansonsten völlig eigenständig und noch andere wie z.B. Kanada gehörten zum Commonwealth.

    Es war schon interessant hier in England. Ein Leben in einer Familie wäre vielleicht noch spannender gewesen, aber auch das Campusleben war vielfältig. Zumindest lernte Ilka Menschen aus allen Ländern Europas kennen und das war einfach spannend. Ilka wollte nach diesem Kurs Englisch studieren und freute sich schon unbändig darauf. Einer der ersten Kurse an der Universität hätte bestimmt mit Konversation zu tun oder mit Literatur und da hätte sie sicherlich einen erheblichen Vorsprung vor den Kommilitonen, auch wenn ihre Abiturnote nur durchschnittlich war. Zumindest wurde ihr am Ende des Kurses bescheinigt, dass sie ihre Kenntnisse deutlich verbessert hätte.

    4. Einleben

    Das Angebot an Zimmern hier in Braunschweig war relativ groß. So reichte es für Franziska sich an einem Samstag umzusehen und sie fand gleich ein kleines möbliertes Zimmer in einer Wohnung, in der die anderen Zimmer auch von Studentinnen belegt waren. Studentenwohnheime hatten natürlich alle Wartezeiten. Dieses Zimmer war etwas teurer als im Studentenwohnheim, war aber dafür etwas größer. Für ca. 15 qm plus Badbenutzung zahlte sie 160 DM warm. Insgesamt würde das BAFöG bei ca. 500 DM liegen. Bei Papas Einkommen und ihrer Geschwisterzahl dürfte es kein Problem sein, den vollen Satz zu bekommen. Für die Zwischenzeit hatte sie ihr ganzes Gehalt der letzten Wochen gespart.

    Nun saß sie hier und fühlte sich doch recht verloren. Morgen würde sie sich einschreiben. Für heute gab es keinen Plan. Also ging sie einfach vor die Tür und erkundete die Gegend. Gleich nebenan gab es einen Supermarkt. Heute war Sonntag, also konnte sie nur von außen gucken. Er sah recht groß aus, die Reklameplakate verhießen auch günstige Preise. Das war ja praktisch, dachte sie und schlenderte die Hamburger Straße hinunter Richtung Innenstadt. Sie hätte das Rad nehmen sollen, überlegte sie als sich nach ca. 15 Minuten, nach denen sich immer noch nur die breite Straße vor ihr ausbreitete und sich keine große Querstraße auftat. In der Ferne sah man allerdings, dass es da noch weitergehen musste. Nach weiteren 15 Minuten hatte sie den Rebenring erreicht und sah ein Schild Richtung Universität. Hoffentlich finde ich zurück, überlegte sich Franziska, denn ihr Orientierungssinn war nicht so besonders gut ausgeprägt. Bei der Suche des Zimmers vor einigen Wochen hatte sie immer wieder auf den Stadtplan geguckt, aber inzwischen hatte sie fast alles wieder vergessen. Zur Uni musste sie den großen Ring überqueren, dann noch einmal links abbiegen und dann wieder rechts und dann taten sich gegenüber, rechts und links verschiedene große Gebäude auf. Das wird dauern bis man sich dort zurecht findet, dachte sie und schaute genauer auf die Schilder. Auf einem großen, braunen, alten Gebäude prangte ein Messingschild mit den Worten „Technische Universität Wilhelma Braunschweig." Gegenüber befand sich das Audi Max und gleich daneben gab es einen Hinweis auf das Immatrikulationsamt. Natürlich war alles geschlossen, aber es war doch toll, dass sie schon mal wusste, wo alles lag. Auf dem Rückweg, den sie etwas anders nahm, kam sie an weiteren großen Gebäuden vorbei, u.a. am Naturhistorischen Museum, in dem sich die Zoologie befand.

    Hier und da schlenderten auch noch andere Studenten durch die Straßen bei der Uni. Franziska entdeckte plötzlich von weitem ein Mädchen mit blondem Pferdeschwanz. Sie sah aus wie Ilka Müller aus ihrer Parallelklasse. Die Welt ist klein. Ausgerechnet dieses eingebildete Gör musste hier herumlaufen. Lieber wären ihr eine ganze Menge anderer Mädchen. Da kam Ilka auch schon auf sie zu.

    „Franziska, du hier? Studierst du etwa auch in Braunschweig? Dass du studieren willst, hätte ich ja gar nicht gedacht, wolltest du keine Lehre machen?"

    „Hallo Ilka, nein die Lehre macht meine Freundin. Ich möchte Lehrerin werden und werde mich morgen hier einschreiben."

    „Oh, ich auch. Wo wohnst du denn?"

    „Ich habe ein Zimmer in der Hamburger Straße – nicht groß, aber ganz gemütlich. Es wohnen noch drei andere Studentinnen in der Wohnung. Die habe ich jedoch noch nicht kennen gelernt."

    „Das klingt ja gar nicht schlecht. Ich habe eine kleine Zweizimmerwohnung – hinten im Magniviertel. Gestern kamen meine Möbel. Es ist alles noch ziemlich leer, aber es wird sicherlich Spaß machen das ein oder andere einzukaufen." Sie guckte etwas verächtlich auf Franziska, weil sie wusste, dass diese kein Geld hatte, um ihr möbliertes Zimmer etwas zu verschönern und erkundigte sich:

    „Wenn du Lehrerin werden willst, bist du ja sicherlich im PH-Gebäude, oder?"

    „Nein, ich bin an der TU, denn ich möchte später ans Gymnasium."

    „Also mal ehrlich, wie kommst du denn auf so eine Schnapsidee? Wer soll das denn bezahlen – dein Vater verdient doch nicht so viel?"

    „Darüber solltest du dir lieber nicht dein schönes Köpfchen zerbrechen. Findest du, dass man nicht an die Uni sollte, nur weil die Eltern nicht so reich sind wie deine? Es gibt doch BAFöG – ich denke, damit werde ich klarkommen."

    „Entschuldige, aber das ist doch so wenig, davon kann man doch kaum seine Wohnung bezahlen."

    „Deshalb lebe ich ja möbliert und nicht in einer schicken teuren Wohnung."

    „Na ja, dann lebst du also von unseren Steuergeldern, ist dir das nicht peinlich?"

    „Also, soviel ich weiß bezahlst du noch keine Steuern. Franziska wurde so langsam wütend. Was bildete sich diese verwöhnte Kuh eigentlich ein? Es war doch nicht ihr Verdienst, dass ihr Papa reich war. „Außerdem muss ich die Hälfte dessen, was ich bekomme auch wieder zurückzahlen und wie es aussieht, wird dieser Prozentsatz demnächst auch noch erhöht, fügte sie hinzu.

    „Dann verstehe ich gar nicht, dass du studieren willst – das lohnt sich dann ja gar nicht. Bis du die Schulden wieder los bist, bist du wegen Mutterschaft aus dem Beruf schon wieder raus."

    „Also Ilka, dann will ich dich jetzt lieber wieder allein lassen – dann sollte ich mir schnellstens ein paar Bücher vor die Nase nehmen, damit ich schnell fertig werden kann." Damit wollte Franziska Ilka stehen lassen und sich schleunigst von ihr entfernen. Hoffentlich studierte die nicht auch auf Lehramt und man musste auch noch zusammen arbeiten. Ilka war noch nicht fertig und rief ihr im Gehen noch hinterher:

    „Gib dir keine Mühe – andere haben schon Kurse besucht, die du dir doch nicht leisten kannst."

    Franziska eilte verwirrt Richtung Hamburger Straße. Sie konnte nicht verstehen, dass so ein reiches Mädchen sie so beleidigen konnte. Was hatte sie nur davon? Sie konnte sich nicht genau erinnern, aber bei der Überreichung des Abiturs bekam Ilka ihr Zeugnis vor ihr, d.h. ihres war besser, denn die Zeugnisse waren nach Qualität sortiert. Das war ein sehr umstrittenes Verfahren, wurde aber an ihrer Schule immer noch so gehandhabt. Sie sollte sich nichts aus Ilka machen – vielleicht war es ja nur Neid, dass sie trotz ihres Geldes nicht so ein tolles Abitur gemacht hatte. Statt neidisch hätte sie lieber mal etwas fleißiger sein sollen, denn Ilka war immer mit Jungs und Partys beschäftigt und selten mit den Büchern.

    5. Immatrikulation

    Schon wieder Papiere und Menschenmengen – alle wollen sich einschreiben. Alle sahen genauso verloren aus wie Franziska, aber die meisten schienen recht nett zu sein. Man rief sich gegenseitig Tipps zu, was noch einzutragen war und man erhielt schlussendlich sein Studienbuch und viele Immatrikulationsbescheinigungen in die Hand. Papa brauchte die natürlich und für die Bahn war etwas dabei, damit man Verbilligungen bekommen konnte und das BAFÖG-Amt wollte auch welche. Der Studienausweis war für alles Mögliche wichtig. Sorgsam packte Franziska alles ein und begab sich zum Philosophenturm, einem schmalen Gebäude am Rebenring, in dem die Anglistik untergebracht war. Hier gab es ein Getümmel von Erstsemestern und alles rankte sich um Aushänge mit Daten und Listen. Sie schaute sich recht verloren um als ein netter junger Mann auf sie zusteuerte und ihr alles erklärte, was man so wissen musste. „Das Kernstück sind die Übungen wurde ihr erklärt – „in denen macht man Scheine und muss immer anwesend sein – dafür muss man sich auf Listen eintragen. Dazu gibt es noch Vorlesungen, in denen man Wissen anhäuft, das dann in der Zwischenprüfung oder im Examen wichtig wird. Einige Listen waren schon ganz schön voll – also schrieb sie eifrig ihren Namen auf verschiedene Listen. Oral Work, Phonetik, Grammatik, Translation…

    Heute gab es noch keine Vorlesungen und noch keine Übungen, aber es gab schon Mitteilungen über einige unentbehrliche Bücher. Direkt auf der Anglistiketage gab es auch eine kleine Bibliothek, aber die empfohlenen Bücher waren alles Präsenzexemplare. Franziska überschlug schnell im Kopf was das Kopieren kosten würde. Da stellte sich ein älterer Mann neben sie und meinte: „Denk gar nicht dran – die Bücher musst du dir kaufen. Mit Kopien kann man nicht arbeiten. Entschuldige, mein Name ist Link. Ich bin hier wissenschaftlicher Mitarbeiter. Ich kenne Sie zwar nicht, aber wer als Erstsemester schon die Bibliothek findet, der muss recht strebsam sein. Falls Sie Probleme mit dem Geld haben, kommen Sie in ein paar Tagen noch mal vorbei. Es gibt immer einige Hiwijobs."

    Etwas verwirrt schaute Franziska auf. Sah man ihr denn so deutlich an, dass sie nicht zu den Wohlhabenden gehörte? Nach einem kurzen Dank verließ sie das Gebäude und ging zur Zoologie hinüber. Hier gab es das gleiche Spiel, allerdings sollte man hier wohl verstärkt auch in Vorlesungen kommen. Außerdem gab es ja auch noch die Botanik.

    „Mensch, ist das hier lästig, beklagte sich neben ihr ein junges Mädchen zu ihrer Freundin „die Botanik ist am anderen Ende der langen Straße. Da muss man ja irre Zeit mit Laufen verbringen. Parkplätze scheint es hier auch viel zu wenige zu geben – alles proppenvoll, also Auto fahren geht nicht.

    Heute war Franziska mit ihrem Fahrrad unterwegs und stellte fest, dass ihr dieses wohl gute Dienste leisten würde. Nach einigen Einträgen entschied sie sich also auch die Botanik noch in Augenschein zu nehmen. Auch hier zeigte sich Gedränge und es gab Listen und Bücheranforderungen.

    Mama sagte immer „nicht bange machen lassen – es wird nichts so heiß gegessen wie es gekocht wird." Sicherlich brauchte sie nicht alles gleich morgen und konnte in Ruhe abwarten, was sie unbedingt benötigte und was man vielleicht auch in der Bibliothek nutzen konnte. In Gedanken freute sie sich über den Sommerjob, der ihr ein kleines Geldpolster verschafft hatte. Wenn sie bald etwas BAFÖG bekam, konnte sie das Geld für Bücher nutzen.

    Wieso hatte sie nicht gleich daran gedacht? Jetzt war es schon 13.00 Uhr und sie hatte das Amt noch gar nicht gesucht. Ein älterer Student erklärte ihr bereitwillig, wo sie hin musste. Sehr weit war es nicht und als sie ankam, gab es wieder die berühmte Schlange. Man konnte sich die Formulare nehmen und gleich vor Ort ausfüllen, wenn man vorsorglich die Gehaltsbescheinigungen des Vaters und der Mutter dabei hatte. Die hatte sie zwar schon mit nach Braunschweig genommen, aber nicht dabei. Natürlich wollten die auch die Schulbescheinigungen der Geschwister und die waren leider noch in Bremen. Franziska ging sofort zu einer Telefonzelle und telefonierte mit der Mutter. Da Julius ja gar nicht mehr zur Schule ging, musste er sich etwas von der Berufsschule besorgen. Vielleicht zählte er ja gar nicht mehr.

    Die Mutter versprach, alles sofort zu besorgen und Franziska kehrte in ihr neues Zuhause zurück. Alle Unterlagen wurden jetzt erst mal sortiert und ein Stundenplan aufgestellt. Soweit möglich wurden die BAFÖG-Unterlagen ausgefüllt und dann meldeten sich plötzlich Hunger und Durst.

    Auf dem Flur hörte Franziska plötzlich fröhliches Lachen und ging bewaffnet mit Tasche und Portemonnaie hinaus.

    „Hallo, klang es ihr entgegen, „du musst die Neue sein – ich bin Petra und das da drüben ist Stephanie. Die letzte im Bunde ist Helga, die ist auch neu und sucht noch durch die UNI.

    „Hallo, ich bin Franziska und war bis jetzt auch unterwegs zum Einschreiben und suchen. Jetzt habe ich gerade Hunger verspürt und muss erst mal einkaufen gehen."

    „Wir kochen gerade – iss‘ doch erst etwas bei uns mit und geh danach. Der Laden hat noch einige Stunden auf. Wir kochen gerne zusammen. Ich hoffe, dir macht es auch Spaß ganz komische Kreationen zu essen."

    Das war eine schöne Überraschung und Franziska schloss sich lachend den beiden Mädchen an. Die hatten genug für alle zusammengerührt und das Wort „komische Kreation" passte durchaus auf dieses Pfannengericht. Es war lecker und die Mädchen lernten sich gleich etwas kennen. Petra und Stephanie wollten auch Lehrerinnen werden, allerdings für die Hauptschule und Helga wollte zur Realschule. Unter den Mädchen gab es viele Lehramtsstudentinnen, bei den Jungs waren viele bei den Ingenieuren, Architekten und ähnlichem. Da merkte man eher, warum es sich um eine technische Universität handelte.

    Als Franziska diesen Abend ins Bett fiel war ein Teil ihrer Befürchtungen schon ausgeräumt. In dieser Mädelsgemeinschaft würde sie nicht einsam sein. Nun musste sie nur noch das Studium schaffen und mit dem Geld auskommen.

    6. Aller Anfang ist schwer

    Ilka kochte vor Wut. Bei der Immatrikulation musste sie sich ganz hinten anstellen. Die doofe Franziska war ganz weit vorne und beachtete sie gar nicht. Hätte sie sie nicht vorlassen können, diese Schmarotzerin? Vielleicht hatte sie sie ja wirklich nicht gesehen. Es war alles ziemlich unübersichtlich. Nach ewig langer Sucherei hatte sie endlich die Listen in der Anglistik gefunden und überall prangte schon Franziskas Name. Ausgerechnet in Oral Work war kein Platz mehr. Naja, so eine Schmarotzerin musste ihr ja wohl keinen Platz wegnehmen. Sie strich sie einfach aus und setzte den eigenen Namen auf die Liste. Plötzlich stand so ein blöder Typ hinter ihr und fragte sie, ob die Franziska denn wohl damit einverstanden wäre, wenn sie gestrichen würde. Also aufs Maul war Ilka ja nun noch nie gefallen und erklärte diesem Typen, der zugegebenermaßen recht gut aussah, dass Franziska ihre ehemalige Mitschülerin sei und sich mit der Vielzahl der Eintragungen wohl etwas übernommen habe. Der Typ verzog keine Miene und schrieb Franziskas Namen wieder auf. „Wer zu spät kommt, muss warten", meinte er und putze Ilka nieder, dass das Dokumentenfälschung sei und nicht hingenommen werden könnte. Diesmal würde er noch von einem Eintrag in die Studentenkartei absehen, aber noch mal dürfte so etwas nicht vorkommen.

    Ilka fühlte sich zurechtgewiesen wie ein dummes Schulmädchen. Ihr lag auf der Zunge, Franziska als Sozialschmarozerin zu bezeichnen und zu betonen, dass denen, die hohe Steuern bezahlen doch wohl eher ein Platz im Seminar zustehe, aber wer weiß wie dieser Mann eingestellt war. Vielleicht war es besser, den Mund zu halten. Dann machte sie das blöde Oral Work halt später. Sie musste sich mit dem Studium ja sowieso nicht beeilen. Papa hatte keine zeitliche Grenze gesetzt. Er war froh, dass sie sich hatte überreden lassen, „etwas Ordentliches" zu studieren. Da ihre Brüder Jochen und Jakob beide schon Bauingenieur studiert hatten und in Papas Fußstapfen traten, brauchte sie eigentlich nur noch günstig zu heiraten. Wozu benötigte sie schon einen eigenen Beruf. Sie würde ihre Zeit angenehm verbringen und zusehen, dass sie sich einen der erfolgreichen technischen Studenten angelte.

    Ilka verließ den Ort dieses unangenehmen Zwischenfalls und nahm sich vor, erst mal die Shops von Braunschweig in Augenschein zu nehmen. Man merkte der Stadt an, dass sie nicht weit von der Ostgrenze entfernt lag. Das Angebot an schicken Boutiquen war doch sehr begrenzt. Es gab Karstadt und Peek und Cloppenburg, aber viel mehr war da nicht. Mit einigen neuen Pullis bewaffnet ging sie heim in ihre Wohnung. Es war schon schade, dass ihr kleines Auto gar nicht zum Einsatz kam, denn Parkplätze gab es wirklich viel zu wenige. Vielleicht sollte sie sich auch noch ein Fahrrad zulegen.

    In ihrer Wohnung sortierte sie zunächst ihre neuen Klamotten ein und warf dann einen Blick auf die Seminarzeiten. Morgen um 8 sollte es eine Vorlesung geben. Das war wirklich sehr früh und danach wäre das Oral Work Seminar – vielleicht könnte sie ja einfach hingehen und bitten, doch noch teilnehmen zu können. Vielleicht fehlte ja jemand anderes.

    Als Ilka alles sortiert und geplant hatte, fiel ihr auf, dass sie ja nichts zu essen im Kühlschrank hatte. Ein Telefon war auch noch nicht in der neuen Wohnung installiert, sodass man sich einfach etwas kommen lassen konnte. Ihr blieb nichts übrig als noch einmal los zu gehen. Der nächste Supermarkt war ziemlich weit weg, und sie wollte ihr Auto nicht benutzen, da sie gerade einen perfekten Parkplatz hatte, was in dieser Gegend schon selten war. Alternativ gab es viele kleine Kneipen in der Nähe und eine Pizzeria am Bohlweg.

    Niemand nahm Notiz von Ilka als sie durch die Straße schlenderte. Sehr abenteuerlustig war sie eigentlich auch nicht, sodass sie sich am Bohlweg eine Stehpizza holte und überlegte, dass sie ihre Einkäufe in Zukunft etwas besser planen musste.

    7. Erstes Semester

    Franziska hatte sich gut in Braunschweig eingelebt und auch im Studium hatte sie keine Probleme. Grammatik war zwar stoffreich, aber zu schaffen. Nach jeder Übung oder Vorlesung ging sie ihre Aufzeichnung noch mal durch und schrieb sich das Wichtigste heraus. So wiederholte sie regelmäßig und machte auch die Übungszettel. Phonetik war ja etwas ganz Neues für sie, aber da es logisch aufgebaut war, konnte sie schon bald ganze Texte in phonetische Schrift übertragen.

    In der Biologie wurde total anders gelernt. Viele Dinge konnten praktisch erfahren werden, wie z.B. der Bau einer Zelle. Die Mikroskope im botanischen Praktikum waren um Klassen besser als die Krücken an der Schule.

    In der Wohnung hatte sich eine richtige Gemeinschaft gebildet. Die anderen fuhren zwar an jedem Wochenende heim, aber auch an den Wochenenden konnte sie sich gut beschäftigen, da es so viel zu lernen gab. Heimfahrten nach Bremen waren einfach zu teuer, sodass sie meist in Braunschweig blieb. Mittlerweile gab es auch Zahlungen vom BAFÖG-Amt. Leider bekam sie nicht den Höchstsatz, aber sie versprach den Eltern, sich einen Job zu suchen. Papa war ganz aufgebracht und schimpfte, dass es doch wohl kaum noch Menschen geben konnte, die weniger als er verdienten. Das sei alles Betrug, es gebe doch niemanden, der den Höchstsatz bekommen könnte, wenn er schon zu viel verdiente. Franziska war das richtig peinlich und sie versuchte ihn zu beruhigen, dass sie doch gar kein zusätzliches Geld brauchte.

    Die nötigsten Bücher kaufte sie sich von ihrem Sommerjobgeld und da sie nicht jeden Mittag in die Mensa ging und immer nur die Sonderangebote kaufte, konnte sie mit den ca. 190 Mark, die sie nach der Mietzahlung noch hatte, ganz gut über die Runden kommen. Von einigen Studenten hörte sie, dass sie manchmal ins Kino, Theater oder ins Restaurant gingen. Das war ihr natürlich nicht möglich, aber da sie so etwas von zuhause auch nicht kannte, vermisste sie es auch nicht. Die Mädels in ihrer Wohngemeinschaft gingen jedenfalls auch nie aus bzw. nur am Wochenende.

    Manchmal sehnte sie sich am Wochenende schon etwas nach Gesellschaft. Stephanie und Petra hatten beide zuhause einen Freund und waren deshalb immer so schnell verschwunden. Manchmal kam Stephanies Freund auch nach Braunschweig, da aber die Vermieterin keinen Herrenbesuch wünschte, war es immer schwierig, ihn heimlich einzuschmuggeln. Laut Gesetz dürfte sie gar nichts dagegen haben, aber sie war halt schon älter und hatte noch Angst vor dem Verkupplungsparagraphen, den es längst nicht mehr gab.

    Auch wenn sie sich zwischenzeitlich etwas einsam fühlte, zumal Torben gar nichts mehr von sich hatte hören lassen, musste Franziska sich eingestehen, dass ihr Studium so sicherlich viel besser voran kam als mit vielen Ablenkungen.

    Am Ende des Semesters gab es dann eine Reihe von Klausuren, sodass der Kopf nur so rauchte, aber sie hatte danach ein ganz gutes Gefühl.

    Die Ergebnisse waren recht ernüchternd. In Fächern wie Grammatik und Phonetik fielen ungefähr 50% der Studenten durch, aber Franziska hatte alles mit glatten Zweien und einigen Einsern geschafft. Da hatte sich das Lernen doch gelohnt.

    8. Fortschritte

    Ilka fand die Angebote in ihren Fächern alle recht langweilig. Wen interessierte schon wie sich die Worte genau aussprachen und diese komischen Zeichen, die man für die Laute verwendete, konnte sie sich auch nicht merken. Da ihr Vater ihr jetzt doch angedroht hatte, ihre Bezüge zu kürzen, wenn sie keine Erfolge zeigte, ging sie aber zu allen Veranstaltungen und tat so viel sie konnte.

    Ärgerlich war, dass diese Franziska in einigen Kursen auch anwesend war. Wenn die das konnte, dann müsste sie es ja auch können. In Oral Work hatte man sie gnädiger Weise noch aufgenommen, aber da dort viel gesprochen wurde, musste sie zugeben, dass andere, wie z.B. Franziska, sich auch ohne diesen teuren Kurs in Brighton ganz passabel ausdrücken konnten.

    Als sie das erste Mal in einem Kurs aufeinander trafen, bemerkte Franziska ganz frech, dass sie ja nicht gedacht hätte, dass Ilka so etwas Profanes wie Englisch studieren würde. Sie hätte sie ja eher bei den Architekten vermutet. Wenn es dort nicht so viel Mathematik gäbe, wäre sie auch sicherlich dort, aber Mathe war nun mal nicht ihr Ding. Das band sie Franziska aber natürlich nicht auf die Nase.

    Die Architekten waren oft im Hauptgebäude mit ihren Ausstellungen. Dort hielt sich Ilka gerne auf, weil sie hoffte, mal einen netten Architekten zu treffen. Bislang war dieser Versuch allerdings noch erfolglos. Auch in dem Rechenzentrum – ein riesengroßer Raum mit lauter großen Maschinen und Lochstreifen, fanden sich viele der netten Jungs, die allerdings alle keine Augen für sie hatten, sondern nur für diese doofen Lochstreifen.

    Als die Zeit der Klausuren kam, ging Ilka brav überall hin, aber so einfach wie sie sich das vorgestellt hatte, war es nicht. Für Geographie, ihrem zweiten Fach, hatte sie in der Schule nie lernen müssen, doch die Prüfungen hier waren gepfeffert. Man musste abwarten. Ihr Gefühl war allerdings nicht so gut.

    Als sie die Ergebnisse aus den Listen suchte, fand sie bei denen, die bestandenen hatten, immer wieder Franziskas Name, ihren allerdings nur in Oral Work und praktischer Phonetik. Die Ergebnisse hatte sie vorher auch schon, denn das waren ja mündliche Prüfungen.

    Gott sei Dank konnte man die Prüfungen wiederholen. Irgendwie musste sie eine Strategie entwickeln, wie man den Stoff lernen konnte, oder wie man die Aufgaben vor der Prüfung erfahren konnte.

    Noch würde sie die Flinte nicht ins Korn werfen. Das erste Semester war ein Reinfall, aber sie würde schon noch einen netten Mann kennen lernen und irgendwie den Stoff lernen. Notfalls wartete zuhause allerdings noch der langweilige Gerhard Hansen. Der wollte durch sie an ihren Papa ran, aber ihre Brüder standen ihm eigentlich sowieso im Weg.

    9. Semesterferien

    Die Semesterferien nutzte Franziska dazu, ihr erstes Schulpraktikum zu machen. Bislang wusste sie nur, ob sie die Fächer schaffen könnte, aber ob sie auch etwas mit Kindern machen konnte, das wusste sie nicht.

    Am ersten Tag in der Schule kümmerten sich die Fachobleute um sie und ließen sie einfach für einen Tag eine Klasse begleiten. Zunächst dachte Franziska, dass dies nicht viel anders sei als ihre frühere Schulerfahrung, aber das eine Semester Uni und der Abstand zu der Klassenstufe, die sie begleitete, machten doch einen Unterschied. Sie konnte die Langeweile der Schüler in den Stunden so richtig nachvollziehen. Egal in welchem Fach und bei welchem Lehrer

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1