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ausgebrannt und gefeuert - Die Kündigung: ein Roman und Ratgeber
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eBook522 Seiten6 Stunden

ausgebrannt und gefeuert - Die Kündigung: ein Roman und Ratgeber

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Über dieses E-Book

Das vorliegende Buch ist kein Roman und es ist auch kein Sachbuch. Es ist ein Sachroman, der erzählt und gleichzeitig informiert und zwar darüber, wie sich Karrieren hinter den verschlossenen Türen des Wissenschaftsbetriebes und der Führungsetagen entwickeln. Im Mittelpunkt der Novelle steht Herr Dr. K. Er ist ein ehrgeiziger Arzt mit vorzüglicher Ausbildung, der als Wissenschaftler startet und schließlich als Geschäftsführer eines medizinischen Dienstleistungsunternehmens reüssiert. Auf dem Höhepunkt seiner beruflichen Laufbahn wird er abserviert und zwar in einer Art und Weise, die er sich niemals hätte vorstellen können. Allerdings ist er nicht ganz unschuldig an seinem unfreiwilligen Exodus.
In miteinander verknüpften Episoden – die gleichzeitig auch eine Reise durch die Deutsche Nachkriegslandschaft im Zeitraffer darstellen - wird erzählt, wie sich K.s Persönlichkeit entwickelt, wer und was ihn formt und wie er letztendlich sehenden Auges und doch unvermeidlich in den Abwärtsstrudel gerät. Zu sehr hat er sich auf seine Arbeit konzentriert und zu wenig hat er sich um seinen Chefsessel und seine Gesundheit gekümmert. Andere waren da cleverer oder einfach dreister als er.
Es wird geschildert, wie betriebliche Mittel politisch missbraucht werden, um persönliche Ziele zu erreichen, die mit dem Geschäftszweck nichts zu tun haben. Der Leser erhält Einblick hinter die Mauern des Managementalltags und in die Ränkespiele von Hochschullehrern und Führungskräften. Dort geht es um viel, um Positionen und Gratifikationen und natürlich nur wieder um Macht. Es wird bis aufs Messer gekämpft und es werden die Spielregeln permanent verletzt. Es erscheinen kasuistisch die wichtigsten Standardsituationen aus dem Berufsalltag. Die damit zusammen hängenden Erlebnisse und Verhaltensweisen des Herrn K. werden resümiert und kommentiert. Dieser Managementberater der anderen Art will nicht nur informieren, sondern auch unterhalten.
Gegen Ende der Geschichte hat K.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum12. Feb. 2013
ISBN9783844248418
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    Buchvorschau

    ausgebrannt und gefeuert - Die Kündigung - Paul Hermann

    Impressum

    Ausgebrannt und gefeuert – Die Kündigung

    Paul Hermann

    published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

    Copyright: © 2013 Paul Hermann

    ISBN 978-3-8442-4841-8

    1. Prolog

    Es stimmt nicht, dass wir ein Drittel unserer Zeit am Arbeitsplatz verbringen. Das war zu Beginn der industriellen Revolution Ende des vorletzten Jahrhunderts vielleicht so. Bezogen auf unser heutiges gesamtes Dasein dürften es gerade mal zehn bis fünfzehn Prozent unserer Lebenszeit sein, zu der wir im eigentlichen Sinne arbeiten. Und das gilt auch nur für eine Minderheit. Beispielsweise gibt es da die nichterwerbstätigen Hausfrauen und Mütter, die zweifelsohne auch meist hart schaffen, das aber überwiegend zu Hause tun und nicht unter Bedingungen, die wir mit der Arbeit im Betrieb verbinden.

    Trotz der erstaunlich kurzen relativen Lebensarbeitszeit, stellt die Arbeit ein zentrales Element bei den meisten von uns dar. K. traf dort einerseits Menschen, die er ohne Arbeit nie kennen gelernt, geschweige denn mit ihnen gemeinsam etwas unternommen hätte. Andererseits musste er mit Leuten zusammenarbeiten, die er unsympathisch und uninteressant fand. Daraus ergaben sich rein zufällig vielfältige Erfahrungen und Begegnungen, die nicht nur ihn selbst beeinflussten, sondern sich auch auf sein soziales Umfeld auswirkten.

    Am Arbeitsplatz entstand für K. das Bild eines menschlichen Fertiggerichts, das ihm manchmal schwer im Magen lag und gelegentlich zu Brechreiz führen konnte. Exzentrische Meinungen, unausgegorene Reflexionen, ästhetische Katastrophen hinsichtlich Physiognomie und Outfit und dann diese Gerüche, olfaktorische Attacken, in der unergründlichen Alchemie des menschlichen Organismus entstanden, all das galt es zu tolerieren oder auszublenden, damit man einfach nur zusammen arbeiten konnte. Positiv zu verbuchen waren die wenigen Glücksmomente des gemeinsamen Erfolgs zusammen mit Personen, die K. respektierte und sympathisch fand.

    Die Arbeit, und mehr noch die berufliche Position definierten sein Sozialprestige, auch wenn er das nicht wahr haben wollte. Die Arbeit ragte mehr in sein Leben hinein als das der Privatbereich tat. Die Arbeit dominierte sein Leben, noch dazu in einer Phase, in der die big Points seiner Biographie herausgespielt wurden oder eben nicht. Und seine Sozialisation, sein Temperament und – zugegebener Maßen – nicht immer glückliche Umstände führten dann in eine verhängnisvolle Spirale von zufälligen aber auch wiederum zwangsläufigen Verwicklungen, die seinen beruflichen Tod herbeiführen sollten.

    Es war ein Irrtum zu glauben, dass das alltägliche, aber auch das ganz große Geschäftsleben durch klare Facts and Figures bestimmt wird. Gerade wenn es um große Deals oder um wichtige Positionen geht, wird es menschlich. Gottvertrauen, Wahnsinn und Naivität, Verschlagenheit, das alles kann zum Erfolg aber auch zum Misserfolg führen. Trau, schau, wem? Trau am wenigsten den harmlos erscheinenden Spießern und den Moralisten, das war die Quintessenz für K. nach 30 Jahren Berufserfahrung.

    K. erlebte die Arbeits- und Geschäftswelt als ein prächtiges Biotop für die Geburt strahlender Sieger und tragischer Helden oder chronischer Looser. Daraus entstanden bewegende oder skurrile Storys. Doch warum taucht derartiger Stoff  - bis auf wenige Ausnahmen - nur gelegentlich und meist beiläufig in Büchern und Filmen auf? Ganz einfach deswegen, weil Schriftsteller und Drehbuchautoren keine Ahnung von real existierenden normalen Arbeitswelten haben. Und weil arbeitende Menschen nur selten die Gabe und die Zeit besitzen, über ihre Erlebnisse und Erfahrungen aus der Welt der Arbeit zu schreiben.

      Besonders die spannenden und pikanten Episoden passieren hinter verschlossenen Türen und gelangen nur selten an das Licht der Öffentlichkeit. Fast nie erfährt man die wahren Ursachen für eine überraschende Kündigung. Man liest dann in der Zeitung: Trennung aus persönlichen oder gesundheitlichen Gründen oder im beiderseitigen Einvernehmen. Ganz gewagt war da schon die Formulierung: Er schied aus, weil unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der zukünftigen Ausrichtung des Unternehmens zwischen ihm und dem Aufsichtsrat bestanden.

    In der Geschäftswelt existiert ein Kartell des Schweigens von Siegern und Besiegten. Dieses Schweigen ist entweder durch meist üppige Abfindungszahlungen erkauft oder es beruht auf der Scham der Verlierer. Diese Erfahrungen wollte K. niemals persönlich machen, doch im angestrengten und anstrengenden Bemühen der Vermeidung erwischte es gerade ihn.

    K.s beruflicher Werdegang, aber eben auch sein Privatleben und seine Gesundheit sollten durch vier Personen maßgeblich beeinflusst werden, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Er sollte durch diese vier Personen in Turbulenzen kommen, die seine vorherigen, sicherlich auch nicht  uninteressanten beruflichen Stationen als behütetes Arbeiten erscheinen lassen würden.

    Der Hauptprotagonist dieser Quadriga war eine auffällige Persönlichkeit, welche mit ihrer Nonkonformität bemerkenswerte Ergebnisse hervorbrachte, wirtschaftliche Erfolge und gesellschaftliche GAUs. Er war der Stifter der Health Care Foundation, einem florierenden Dienstleistungsunternehmen mit einem schwerwiegenden Geburtsfehler: Die Firma gehörte niemand. Im Windschatten des extraordinären Stifters, er hieß Mahlström, segelte der zweite aus dem Quartett, ein kleinkarierter bauernschlauer Spießer mit Siegelring am rechten Ringfinger und Goldkettchen um den Hals namens Bosse. Der blühte dann richtig auf, wenn er die Wildecker Herzbuben im Autoradio seines C-Klasse-Mercedes hörte oder wenn sich seine Fantasie mit dem Liebesleben der weiblichen Angestellten beschäftigen konnte. Bosse arbeitete von Anfang an an K.s beruflichem Untergang, kaum war K. in die Firma eingetreten. Dann gab es da eine dritte Person, eine gewisse Fr. Dr. Sorger. K. brauchte einige Zeit, um die Persönlichkeitsstruktur dieser Dame als schizoid zu identifizieren. Auf der einen Seite bestand bei ihr ein inniger Wunsch nach Gemeinsamkeit, auf der anderen Seite jedoch baute sie hohe Mauern auf, um Distanz zu den anderen zu schaffen. Sie avancierte nach Mahlströms Tod zur bestimmenden Figur im Stiftungsrat der Foundation. Später tauchte  noch die vierte Hauptperson auf, der zum bürgerlichen Normalo geschrumpfte ehemalige Klassenkämpfer Kaiser, der insgeheim davon geträumt hatte, unterdrückte Bergstämme im kolumbianischen Hochland zu befreien. Ersatzweise hatte er für die DDR spioniert um den verhassten Amerikanern eins auszuwischen.

    Bevor diese Dame und die drei Herren zehn Jahre in K.s Leben entscheidend mitbestimmen sollten, durchlief er neugierig und unbeschadet die Spielwiese der Jugend, das Reifungsstadium der Ausbildung und einige berufliche Stationen. Die glücklichsten neun Berufsjahre verbrachte er an einem Universitätsinstitut, die erfolgreichste Zeit hatte er jedoch bei der Health Care Foundation. Dazwischen lag eine Milieustudie aus einem deutschen Großunternehmen. Sein finaler beruflicher Erfolg brach ihm schließlich das Kreuz. Die Gier nach Macht und die Angst vor Machtverlust hatten ihn blind werden lassen und das übertriebene berufliche Engagement hatte ihn ausgelaugt.

      Am Ende meinte er zu wissen, warum alles so kommen musste. Nur, die gewonnene Weisheit war ein Luxusgut. Er war zu alt geworden, um seine Erkenntnisse gewinnbringend für sich umzusetzen. Und andere hörten ihm nicht mehr richtig zu. Er hatte seine Wichtigkeit verloren und die jüngeren wollten und mussten ihre eigenen Erfahrungen machen. Aber war K. überhaupt richtig informiert über die Umstände und Personen, welche sein Schicksal maßgeblich beeinflusst hatten? Rückschauend gab es da einige Begegnungen und Vorkommnisse, die ihn daran zweifeln ließen, dass er der wahren Wirklichkeit begegnet war.

    2. Herr Dr. K.

    Nicht von Ungefähr heißt unser Protagonist Herr K. in Anspielung an den Herrn Keuner von Berthold Brecht. Hier wie dort sind die Geschichten des Herrn K. nicht rein erzählende, sondern auch analysierende Texte. Brecht ließ Keuner einerseits als Handlungsfigur auftreten, andererseits aber auch als Lehrerfigur, die ihre aus der Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse als Lebensweisheit weitergab.

    Der Herr K. im vorliegenden Sachroman war keiner zum Anlehnen, er war nicht der väterliche und verständnisvolle Typ. Ein Held, den man bewunderte, war er aber auch nicht. Man wusste nie genau, woran man mit ihm war, und das flößte nur begrenzt Wärme und Vertrauen ein. Dabei konnte man sich ganz gut auf ihn verlassen. Souveränität auf dem gesellschaftlichen Parkett konnte man ihm auch nicht absprechen. Immer wieder aber kam es zum Lapsus, wobei er eine Charmeoffensive durch eine eingestreute unpassende und unflätige Bemerkung zunichte machen konnte.

    Er berichtete lieber über Misserfolge, als über Erfolge. Misserfolge hatten für ihn eine magische Attraktion und einen höheren erzieherischen Wert, als platte Erfolge. Wenn etwas schief gelaufen ist, dann frage zu allererst, ob es an Dir gelegen hat. Diesen Reflex hatten ihm seine Eltern eingetrichtert. Diese permanente Selbstreflexion nahm ihm einen Teil seiner Lebenslust und Spontaneität und führte zu einer merkwürdigen Dysbalance in der Beurteilung von Handlungsergebnissen. Misserfolge wurden egozentriert und Erfolge sozialisiert. Andere machten das gerade anders herum.

    Für ihn war die Verkündung seiner Schwächen die Aufforderung an das Gegenüber, auch etwas von der dunklen Seite seines Lebens preiszugeben. Dieses Spiel verstanden nicht alle. Es wurde nicht als Selbstironie in bester britischer Tradition empfunden, sondern als unangenehme Minusbotschaft. Er begriff das Bloßlegen seiner offenen Flanke als Vertrauensbeweis dem Gesprächspartner gegenüber. Der aber hatte häufig überhaupt keine Lust, über eigene Misserfolge zu reden, was dann zu Asymmetrien der Informationen führte. Damit offenbarte Jungsiegfried den Hagens dieser Welt die Partien, an denen er verwundbar war, ohne dass er Hinweise über deren schwache Stellen bekommen hätte.

    Sein Witz war nicht immer in Einklang zu bringen mit den Vorstellungen, welche andere über Humor hatten. Er war oft zu krass und zu schweinisch. Gelegentliche kleinere Indiskretionen aus seinem Munde klangen weniger nach Tratsch, sondern konnten beim Gesprächspartner als diskriminierende Enthüllung landen. Gerne hinterfragte er menschliche Schwächen und brach Tabus, was ihn in der feinen bürgerlichen Gesellschaft zu einem Paria  machte, bei seinen Freunden aber zu Applaus führte. Als ihm eine langjährige Freundin am Kaffeetisch ganz stolz das Ergebnis ihrer Brustverkleinerungsoperationen zeigte - was tatsächlich eine Sternstunde der plastischen Chirurgie darstellte -, äußerte er sich nur kurz anerkennend und fragte im gleichen Atemzug nach dem Verbleib des restlichen Brustgewebes. Deswegen wurde er im Freundeskreis früher auch als Reinkarnation des Ekels Alfred und neuerdings als Bruder von Borat gesehen.

    Eine Schwester im Geiste war insoweit die Frau eines seiner besten Freunde, welche ihren beiden Töchtern bis ins hohe Alter von drei Jahren noch Muttermilch gab. Dementsprechend lief ihre körpereigene Milchproduktion auf Hochtouren und befähigte sie, durch beidhändiges Drücken einer Brust quer über den Tisch zu spritzen. K. juchzte, als sie ihm eine Milchspur über seine Brillengläser legte.

    K. hatte es eine diebische Freude bereitet, nach dem Meeting des Stiftungsrates im Dreisternelokal – es war wohl beim Haeberlin in Illhäusern - über seinen monatsweise auftretenden Heißhunger auf einen Big Mac zu berichten, während mehrere Pinguine die Tellerglocken hoch rissen, unter denen das Zitat eines Lachs-Souffles zum Vorschein kam. Die Vorsitzende tat so, als wenn sie gar nicht zugehört hätte, und die restlichen Anwesenden wandten sich inbrünstig der Edelspeise zu, als wenn Luzifer durch Wegschauen seine Existenz verlieren würde. Das war nicht nur knapp, sondern voll daneben, dachte sich K. und schmunzelte.

    Eine seiner Spezialitäten war die Thematisierung körperlicher Unzulänglichkeiten, über die man normalerweise geflissentlich hinwegsieht. Einem alten Freund überreichte er zum Sechzigsten einen täuschend echt gestalteten Latexfinger als Prothese für den in der Jugendzeit beim Aufstellen eines Liegestuhls abgescherten kleinen Finger. Ein anderer Kumpel, Träger eines Glasauges, wurde zum Siebzigsten mit einem Setzkasten beschenkt, aus dem 30 Gelantineaugäpfel auf den Jubilar glotzten. Die gerade frisch geschiedene Freundin mit der Brustverkleinerung überraschte er zum Fünfzigsten mit einem Riesendildo. K. war unter Aufbietung seiner gesamten Courage in einen Beate-Uhse-Laden gegangen und hatte unter den ca. 50 angebotenen Modellen das größte mit der markantesten Äderung ausgewählt. An der Kasse kam er sich vor wie ein beim Klauen erwischter Schulbub. Der Kunstpenis wurde unter dem Tisch konspirativ durchgereicht. Während die männlichen Gäste das Glied schnell und beiläufig weiter gaben - zu groß und mächtig war das Teil - stieß der motorgetriebene rotierende Latexprügel bei den Damen auf großes Interesse und wurde kichernd befingert. Was hätte Fr. Dr. Sorger gemacht, wenn man ihr ein solches Instrument zum Geburtstag geschenkt hätte? K. dachte diese Sache nicht zu Ende, weil er dabei an die Grenzen seiner Vorstellungskraft geriet.

    Derartige Fantasien und Gags ließen sich im Berufsalltag nur begrenzt ausleben. Immer auf der Suche nach skurrilen Erlebnisvarianten konnte es K. jedoch auch im Job nicht lassen, Provokationen zu setzen.

    Gell, Frau Sorger, das macht ihnen keinen Spaß, bemerkte er bei einer zähen Gehaltsverhandlung mit der Stiftungsratsvorsitzenden. Diese Bemerkung hinterließ eine völlig verdatterte Frau Sorger, die Gespräche mit K. fortan als Sicherheitsrisiko für sich einstufte.

    Die Schar der so Konsternierten erweiterte sich ständig. Als K. vom Rektor der hochehrwürdigen Universität die Habilitationsurkunde überreicht bekam, konnte er sich die Frage nicht verkneifen: Magnifizenz, was muss man denn tun, um die wieder los zu werden? Der Rektor schaute ihn ungläubig an. Die Zelebrierung des feierlichen Aktes war durch die blöde Frage entweiht worden. Der Rektor rang nach Worten. Weder fiel ihm eine sachlich fundierte Antwort - zum Beispiel Wissenschaftsbetrug - ein, noch war er in der Lage sarkastisch zu reagieren, zum Beispiel Selbst mit einem Mord dürfte es schwierig werden, den Titel zu verlieren. Auch der Rektor würde niemals Ks Freund werden.

    Freundschaften im Berufsleben waren sowieso eine Illusion. Man konnte Zweckbündnisse schließen und Beutegemeinschaften bilden, aber freundschaftliche Beziehungen durch Sympathie getragen und weitgehend ohne Hintergedanken existierten speziell dann nicht, wenn es um die Wurst ging. Da waren seismographische Fähigkeiten von großem Nutzen, die bereits geringfügige und weit entfernte Verwerfungen detektierten. Dies setzte ein permanentes subtiles Misstrauen gegen Jedermann voraus und erforderte Kontrollsysteme, die einen großen Teil der Arbeitszeit fraßen und die Kreativität auf die Erhaltung der Stuhlbeine des Chefsessels und nicht auf die Fortentwicklung des Unternehmens fokussierten.

    Hierzu war K. nicht bereit. Sein naiver Gegenentwurf bestand darin, Vertrauensverhältnisse zu schaffen, auf diese zu bauen und sachorientiert nach vorne zu schauen. Grundlage hierfür war seine Werteüberzeugung, von der er meinte, sie auch uneingeschränkt vorzuleben: Engagement, Offenheit, Verlässlichkeit, Ehrlichkeit. Probleme sind direkt anzusprechen, Absprachen sind einzuhalten, Befindlichkeiten müssen dargestellt werden. Und das funktionierte sehr gut, allerdings nur unter größtmöglichem persönlichen Einsatz und Vernachlässigung des privaten Lebens. Kritische Wegbegleiter konnten sich allerdings nicht vorstellen, wie dieses Berufsethos mit den ansonsten von K. gelebten skurrilen Verhaltensweisen seriös zusammengehen könnte. Für die blieb K. eine unkalkulierbare Schimäre.

    Die Bewältigung von Aufgaben ging ihm vor der Ausübung von Macht. Macht begriff er als Mittel, Sachthemen zu Ende zu bringen und nicht um Partikularinteressen zu transportieren, so sagte er. Tatsächlich aber genoss er natürlich die ihm zugefallene Macht, eine Macht, die allerdings nur geliehen war.

    Er war tatsächlich ein Teamplayer, konnte Begeisterung bei anderen wecken, konnte glänzend moderieren und war in der Lage, Diskussionen anzustoßen und weiterzuentwickeln. Das alles aber nutzte ihm nichts. Er war irgendwann fällig, weil er zu wichtig geworden war. Die anderen setzten ihr Pokerface auf. Er kämpfte mit offenem Visier. Das falsche Gefühl der Unantastbarkeit und Souveränität führte ihn dann nur umso schneller ins Verderben.

    Merke: Originalität und Spontaneität und besonders makabrer Humor sind im deutschen Büroalltag nicht gefragt. Esprit und Witz bleiben allenfalls dem Chef vorbehalten. Wenn wir schon Talkshow machen, dann ist der Chef der Talkmaster. Da dieser aber auch mal auf der Ochsentour gewesen ist und da auch nicht übermäßig lustig sein durfte, bleibt der Spaßfaktor auf der Strecke. Das Geschäft ist etwas bitter Ernsthaftes, mein Lieber. Wir sind nicht zum Spaßen hier, sondern zum Arbeiten. Trenne Geschäftliches und Privates. Lebe Deine Marotten aus, aber um Himmels Willen nicht im Büro. Und rede nicht viel darüber.

    Wenn Du Lust darauf hast, den Exoten zu spielen, dann suche Dir ein Umfeld aus, in dem so etwas toleriert oder vielleicht sogar bewundert wird, beispielsweise in den Medien, im Theater oder den bildenden Künsten. Im stinknormalen Berufsleben ist Nonkonformität Gift. Du wirst für die anderen unberechenbar. Viel geschickter ist es, bei den Ritualen mitzumachen und die Individualität im Verborgenen auszuleben.

    K. spielte eine Rolle, die ihm im damaligen Freundeskreis zugefallen war. Die anderen Charaktere waren bereits besetzt: Der Wissenschaftler, der Künstler, der Intellektuelle, der Clown und der Womanizer. Die Rolle des Exzentrikers, der Dinge ausspricht, die andere nicht auszusprechen wagen, war noch zu vergeben. K. nahm diese Rolle genüsslich an und wurde sie zeitlebens nicht mehr los. Er meinte, dass er dadurch das Enfant terrible werden könnte, nahm aber nicht wahr, dass viele seiner Zuhörer nur verkrampft lachen konnten und hinter seinem Rücken die Augen verdrehten und die Nase rümpften. Was in  internen Zirkeln vielleicht zur sozialen Anerkennung führt, kann im drögen Alltag die soziale Ausgrenzung bedeuten. K. schaffte es mit seiner Sprunghaftigkeit und seiner latenten Opposition auch nicht, ein dauerhaftes und strapazierfähiges Netzwerk an Buddies zu etablieren. Dazu war er zu eigenbrötlerisch und er war nicht bereit, sich den üblichen Gepflogenheiten zu unterwerfen und Verpflichtungen einzugehen, welche solche Gemeinschaften in der Regel einfordern.

    3. Der blaue Brief I

    Alle seine Hemden waren hellblau und unterschieden sich nur in Nuancen, sei es in der Stoffstruktur oder durch dezente Muster wie feine Streifen oder kleine Karos. Hellblau ist auch der unschuldige Sommerhimmel. Sein Sohn hatte gleich nach der Geburt ein Kettchen ums Handgelenk bekommen – ebenfalls hellblau, wie alle neugeborenen Buben -, auf dessen Perlen die einzelnen Buchstaben seines Vornamens standen.

    Prinzipiell überkamen K. angesichts der Farbe hellblau keine bösen Gedanken. Gut, da war mal ein Brief hereingeschneit, ein Schuss vor den Bug, die Versetzung von der zehnten in die elfte Klasse Gymnasium sei wegen seiner miserablen Leistungen in Englisch und Physik hochgradig gefährdet. Der Briefumschlag war tatsächlich hellblau gewesen. Irgendwie bekam er dann aber doch die Kurve. Hellblau weckte bei ihm also auch keine nachhaltigen unangenehmen Assoziationen.

    Und jetzt lag der zweite Brief mit hellblauem Couvert vor ihm, 40 Jahre nach dem ersten blauen Brief. Es war gutes kräftiges Papier. Er wog den Brief in der Hand und vernahm beim Anfassen ein leises Knistern. Aha, das Couvert war gefüttert, sehr solide. Vorne stand drauf:

    PERSÖNLICH/VERTRAULICH

    Herrn Prof. Dr. K. ….

    Er wendete das Couvert. Es hatte hinten eine außergewöhnlich große Klappe. Darauf war zu lesen:

     Dr. Sorger,...

    Also, das war die Stiftungsratsvorsitzende. K. zögerte. Sollte er den Brief jetzt gleich öffnen, oder ihn liegen lassen und später zur Tat schreiten? In seinem Briefkasten zu Hause  hatte er gestern Abend eine Benachrichtigung gefunden, dass ein Einschreiben abholbereit auf der Post liegen würde. Wahrscheinlich gab es da einen Zusammenhang. Da wollte jemand ganz sicher gehen. Es musste sich um eine wahrhaft wichtige Mitteilung handeln.

    Was soll`s. Mit beherztem Schwung zog er den Brieföffner durch die Umschlagkante. Zum Vorschein kam ein Schreiben auf zwei Briefbögen - natürlich hellblau. Verwendet worden waren in anderthalbzeiligem Abstand die klassischen Times-New-Roman-Lettern. K. überflog den Text. Es war die Kündigung, die fristlose Kündigung.

    Ks Gedanken schweiften ab. Sein Alarmsystem wurde durch einen inneren Widerstand gedämpft, der verhinderte, sich mit dieser Apokalypse intensiver zu befassen. Gab es da vielleicht doch noch unglückselige Aspekte bei der Farbe blau? Blau sein, blauer Dunst, blue Movie, blau machen, ins Blaue hinein, blue Box, alles nicht wirklich schlimm, jedenfalls nicht so bösartig wie dieser blaue Brief, der in K.s Leben tief einschnitt, wie ein Laserschwert,

      Sie hatte es gemacht. Sie hatte ihn bestraft und zwar nachhaltig. Das hatte er ihr nicht zugetraut. Da hatte es in den letzten Jahren einige Situationen gegeben, in denen die Erotik des Wortes und der Gesten die Atmosphäre so aufgeladen hatte, dass er sich der logischen Folge immer gerade so eben entziehen konnte. Mindestes einmal pro Jahr war es dann wieder so weit. Beim Dinner in luxuriöser Umgebung nach den Sitzungen des Stiftungsrats hatte sie sich aufgebrezelt. Sie zeigte Haut und roch nach Opium von Yves Saint Laurent. Der Geruch war so laut, dass er auf die Geschmacksnerven durchschlug, nicht nur bei den direkt bei ihr am Tisch Sitzenden, sondern auch bei den Gästen an den Nachbartischen. Die bakterielle Besiedlung ihrer Haut harmonierte irgendwie nicht richtig mit den Ingredienzen des schweren Dufts. Resultat war ein olfaktorischer Sturm, der wie eine Körperverletzung wirkte. 

    Sie bestand darauf, dass K. neben ihr saß. Das gab ihr Gelegenheit zu Körperberührungen. Sie legte ihre Hand auf seinen Arm oder seine Schulter, manchmal auch auf seine Hand, kurz genug um flüchtig zu wirken und lang genug, um nicht beiläufig zu sein. So konnten die Moleküle ihres Parfums in seine Kleidung, ja bis in die Poren seiner Haut penetrieren und sich dort festsetzen. Am nächsten Morgen war er immer noch da, der schwere Duft wie aus Tausend-und-einer-Nacht. Sie war in ihn eingedrungen, sie hatte ihn vergewaltigt. Das was jetzt vor ihm lag, hatte allerdings noch eine andere Qualität. K. war sich nicht darüber im Klaren, ob es sich um Rache aus nicht erwiderter Zuneigung oder ganz einfach um eine Demonstration blindwütiger Macht handelte, wobei beides eigentlich nicht voneinander zu trennen war.

    K. wusste, dass er in der nächsten Zeit einen Kampf an zwei Fronten würde führen müssen. Noch lag der Brief vor ihm, aber er spürte schon jetzt, wie dieser Vorgang Energie bei ihm absaugte. Er war verletzt. Er würde also gegen das Ausbluten seiner Seele kämpfen müssen. Das würde eine intensive Pflege erfordern. Bein gebrochen oder Kopfplatzwunde, das teilt sich direkt mit, da gibt es Gips oder blutstillende Nahttechniken um die Blessur zu beheben. Eine Seelenverwundung aber sieht man nicht, manchmal spürt sie der Betroffene nicht einmal. Trotzdem kann sie einen Menschen lebenslang verstümmeln. Auf der anderen Seite stand eine in sich zerrissene Frau in einem heillosen Durcheinander von Irrationalität und Zwanghaftigkeit. Hinter der Dame versteckten sich die anderen Figuren, die ihm nicht wohlgesinnt waren. Sie hatten in Frau Sorger ein willfähriges Medium gefunden, um ihre Ziele zu erreichen. Und das Ziel hieß: Dieser K. muss weg.

    K. empfand Art und Weise der Übermittlung der üblen Botschaft erbärmlich. Ein Kündigungsgespräch hatte man sich wohl nicht zumuten wollen. Trotzdem konnte er der Verfasserin des Briefes einen gewissen Stil nicht absprechen. Da existierte Sinn für Symbolik und Theatralik. Wäre er selber nicht unmittelbar beteiligt gewesen, so hätte K. die Farbwahl als ironischen Pluspunkt verbucht. Er stellte sich vor, wie die Absenderin den Gummi des edlen Briefumschlags genüsslich mit der herausgestreckten Zunge befeuchtet hatte. Es musste ihr eine tiefe Befriedigung verschafft haben, den störrischen Widersacher K. lautlos und ohne große Anstrengung, einfach nur so mit der leckenden Zunge ins Off zu befördern. Irgendwann würde der Moment kommen, wo er ihr diese Hintervotzigkeit heimzahlen könnte. Ein Mord wäre zu primitiv. Nein, es müsste etwas sein, an dem sie genauso leiden würde, wie er an der Seele.

      K. hielt sich den Brief unter die Nase. Tatsächlich, da war er wieder, dieser Duft, dieser schwere Geruch, unheilvoll und dramatisch, in seiner süßlichen Komponente so penetrant wie eine stinkende Leiche und insgesamt wie eine schwüle chemische Strangulation. K. spürte, wie seine Speicheldrüsen zu arbeiten anfingen, das Vorstadium zu Kotzen. Dieser blaue Brief  war wie ein Giftgasangriff.

      Im Vorfeld, als der interne Streit eskalierte, hatte er immer wieder alle Varianten durchgespielt und war zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Kündigung nicht nur am unwahrscheinlichsten, sondern gänzlich unmöglich war. Seine Kündigung wäre für die Stiftung viel zu teuer geworden, sie hätte das Ansehen der Stiftung beschädigt und die Stiftungsratsvorsitzende hätte sich blamiert. Er wusste zwar, dass jeder, absolut jeder, in einer Firma binnen eines Monats ersetzbar ist. Dass dieses ungeschriebene Gesetz aber auch für ihn gelten würde, davon ging er jedoch nicht aus. Zu gut passte sein Profil auf den Job, den er ausfüllte. Da müsste man schon lange suchen, um einen Ersatz zu finden. Und in all diesen Kriegs entscheidenden Fragen täuschte er sich grundlegend.

     Merke: Denke das Unmögliche. Rechne mit dem Schlimmsten. Wiege Dich nicht in zu großer Sicherheit. Gerade wenn Dein Chef besonders freundlich zu Dir ist, kann die größte Gefahr drohen. Jeder ist ersetzbar. Das gilt aber auch für Dich. Entwickle auch dann berufliche Alternativen, wenn es ganz besonders gut läuft. Das verschafft Souveränität. Und wenn sich eine bessere Möglichkeit darstellt, dann ergreife die Chance. Denke dabei nur an Dich und nimm keine Rücksicht auf Deine Arbeitskollegen oder gar Deinen Arbeitgeber. Und sei nicht sentimental. Sobald Du die Firma verlassen hast, wirst Du dem perfekten Vergessen anheim fallen.

    Loyalität? Vergiss es! Derjenige der permanent Loyalität von Dir einfordert, ist Dein Arbeitgeber. Und wehe, wenn Du einmal die Loyalität Deines Vorgesetzen brauchst, dann kannst Du ein blaues Wunder erleben. Entweder der Mann ist weg, oder er kennt Dich nicht mehr. Ausnahmen, wie immer, ausgenommen.

    4. Provinz 

    Doch fangen wir von vorne an. Zunächst begann alles ganz normal, da war eine Geburt. Der Ort war Berlin, was K. mit Stolz erfüllte, was allerdings irrational war, er konnte ja nichts dafür, dass das Krankenhaus Moabit der erste Ort auf Erden war, den er gewahr wurde. Seine eigentliche Heimat wurde eine provinzielle Universitätsstadt, weil er dort die längste Zeit seines Lebens verbracht hatte. Seine wenigen echten Freundschaften hatten dort ihren Ursprung. Gelegentlich bedauerte er, dass es ihm niemals gelungen war, oder dass es sich nie ergeben hatte, in einer wirklichen Metropole zu leben und zu wohnen. Lebenslang hatte er das Gefühl, ohne die Umtriebe, Sensationen und Widrigkeiten einer Großstadt etwas verpasst zu haben.

    Die Provinzstadt wurde durch einen großen Konzern geprägt, der hier seinen Hauptsitz und einige Fertigungsstätten hatte. Dieses Unternehmen entwickelte sich in den 1960er- und 1970er Jahren prächtig. Die Firma war der mit Abstand größte Steuerzahler der Stadt und sorgte für die Mitarbeiter und deren Familien weit über die normalen Verpflichtungen eines Arbeitgebers hinaus. Es war einfach üblich, dass die Kinder der Firmenangehörigen nach Ausbildung und Studium einen Platz in der Firma fanden. Die Firma stellte die erweiterte Familie dar. Es entstanden Werkssiedlungen, eigene Sportanlagen, ein Bildungszentrum, Freizeiteinrichtungen und Hobbygruppen. Später dann, als diese freiwilligen Leistungen das Siegel des berechtigten Anspruchs bekamen und als sozialer Besitzstand einklagbar wurden, behandelte man sie immer akribischer als Umlagekosten, wie eben andere Kosten auch. Sie Verloren ihre Unschuld und wurden strenger kalkuliert. Es fand ein schleichender Abbau statt.

    Auch innerbetrieblich wurden Ton und Gangart in dem Weltunternehmen rauer. Die Renditeziele mussten  im globalen Wettbewerb ambitionierter werden. Um das zu erreichen, gab es prinzipiell zwei Möglichkeiten. Entweder man übernahm die Firmenkultur des großen Rivalen aus den USA. Damit hätte der Grundkonsens in der Großfamilie dem Sozialdarwinismus weichen müssen: Survival of the Fittest. Oder man schlug einen Sonderweg ein, um Umsatz und Ertrag ausreichend zu steigern. Wenn man schon nicht bereit war, den internen Wettbewerb entscheidend zu verschärfen, dann musste man die internationale Competition zu seinen Gunsten beeinflussen, indem man die besseren Produkte anbot oder die Kundenbeziehungen verbesserte. Weil man nicht immer die besten Produkte zur Verfügung hatte, aber trotzdem den Auftrag haben wollte – die Familie musste schließlich ernährt werden -, wurde geschmiert. Das war dann der Grundstein für eine immer mehr wuchernde Korruptionsunkultur. Das rettete die Firmentradition noch ein paar Jährchen, konnte aber deren Niedergang letztlich nicht aufhalten, dann nämlich als die nützlichen Zuwendungen schon längst ihre steuerliche Absetzungsfähigkeit verloren hatten und der ganze Mist öffentlich bekannt wurde.

    K.s Vorstellungen über Wirtschaftsunternehmen und seine Erwartungen an einen Arbeitgeber wurden stark geprägt durch die frühen Erfahrungen, die er und seine Familie mit diesem Konzern machten. In dieser heilen Welt war die Existenz gesichert und es wurden berufliche Lebensleistungen durch ein ungeschriebenes Senioritätsprinzip belohnt. Diese Verknüpfung von sozialer Sicherung und persönlicher Anerkennung repräsentierte für K. das Modell einer halbwegs idealen Arbeitswelt. Deshalb traf ihn in späteren Jahren die raue Wirklichkeit des Berufslebens mit ihren verschobenen Wertvorstellungen umso mehr. Desillusionierend für ihn war insbesondere die Entkoppelung von beruflichem Aufwand und Ertrag, nicht primär im materiellen, sondern vielmehr im ideellen Sinne.

    In der Provinzstadt bestand damals die höchste Akademikerdichte und Abiturientenquote in der Republik. Der Grund hierfür lag nicht nur darin, dass der Großkonzern hier einen Großteil seiner Verwaltung und seine weltweiten Forschungsaktivitäten konzentriert hatte, sondern dass auch noch die altehrwürdige Universität mit der Medizin, den Naturwissenschaften, der Ökonomik, der Jurisprudenz und den Geisteswissenschaften präsent war. Darüber hinaus wurde damals die Universität um eine Technische Fakultät erweitert. In den späteren Rankings des Wissenschaftsrates und in der Laienpresse erlangte keine dieser Fakultäten dauerhaft Spitzenplätze. Trotzdem erfreute sich dieser Universitätsstandort seit jeher einer überdurchschnittlichen Beliebtheit bei den Studenten. Die traditionelle Offenheit der hugenottischen Urbevölkerung, die Überschaubarkeit der kleinstädtischen Idylle, die liebliche Landschaft der Umgebung und das preiswerte Angebot der deftigen regionalen Küche ergaben ein Rundum-Wohlfühlprogramm für die Zugereisten, welches K.s Heimatstadt in seiner Erinnerung immer mehr verklärte und sein damaliges Weltbild positiv einfärbte.

    Bis in die siebziger Jahre spielte in der Provinzstadt auch noch eine amerikanische Garnison eine Rolle. Vor und nach Truppenübungen fuhren die Panzer auf ihrem Weg zwischen dem Kasernengelände und dem Güterbahnhof, wo sie verladen wurden, durch die engen Straßen eines ansonsten beschaulichen und ruhigen Wohngebietes. Das Rasseln der Panzerketten mitten in der Stadt weckte Erinnerungen an die letzten Kriegstage. Die Tanks rissen mit ihren Ketten den Asphalt auf und demolierten Bordsteinkanten. Stillschweigend ließ die Stadtverwaltung die Schäden mehrmals pro Jahr reparieren. Keiner wagte, der Besatzungsmacht zu empfehlen, einen anderen Weg zu wählen oder vielleicht doch etwas weniger zu üben.

    K. und sein damaliger Busenfreund fuhren damals öfter mit dem Fahrrad zum Schießstand der Amerikaner, der tief im Kiefernwald versteckt lag. Der Ruch des Verbotenen machte daraus eine konspirative Aktion. Außerhalb des Schießbetriebes konnte man im Sandwall am Ende der Schussstrecke massenhaft Projektile finden. Es waren großkalibrige Bleigeschosse mit einem Kupfermantel. Sie lagen schwer in der Hand und besaßen die Aura des Werthaltigen aber auch des Todes. Beim Sammeln der Geschosse meinte K., in einem Spionagethriller mitzuspielen. Damals war es nur ein Spiel. Viele Jahre später sollte es todernst für ihn werden.

      Die Amerikaner wurden weder gehasst noch geliebt. Sie wurden toleriert. Schließlich hatten sie den Krieg gewonnen, den Wiederaufbau unterstützt und sie gaben vor, den Weltfrieden zu bewahren. Beeindruckt war K. von den Autos, welche die Amerikaner fuhren. Sie preschten in englischen Roadstern offen durch die Stadt. Sie konnten sich solche Wagen leisten, für einen Dollar konnten sie zeitweise mehr als vier Mark eintauschen. Nennenswerte Vorteile bei der örtlichen Damenwelt erzielten die GIs mit ihren PS-Prothesen nicht. Dazu waren die sprachlichen und kulturellen Barrieren zu hoch. Immer wieder konnte man in der Zeitung lesen, dass einheimische Frauen von GIs vergewaltigt worden waren. Das gängige Vorurteil sah immer den schwarzen Mann als Übeltäter und so war es dann auch zwischen den Zeilen zu lesen. Es war wirklich nicht die feine Art, seinen Frust und sexuellen Notstand an der deutschen Frau auszutoben. Aber fernab der Heimat, ohne Freundin, im Kasernenghetto eingesperrt und mit dem Beschützen eines fremden Landes befasst, welches man weder kannte noch liebte, das konnte schon mal zu Kurzschlussreaktionen führen. Keiner empfand dafür Sympathie aber vielleicht der eine oder andere so etwas wie Mitleid.

    5. Talisman

    Genau genommen wohnte K. anfänglich mit seinen Eltern gar nicht in der Provinzstadt, sondern in einem Einfamilienhaus am Waldrand in der Nähe eines Dorfes, circa zehn Kilometer außerhalb der Stadt.

    Es waren die fünfziger Jahre. Die Deutschen rieben sich erstaunt die Augen, weil nach all der Zerstörung und dem Leid des Krieges doch etwas ging. Es gab Arbeit, es gab Essen, man hatte ein Dach über dem Kopf. Allerdings saß man noch ein wenig dicht zusammen. K.s Eltern hatten im Einfamilienhaus einer fremden Familie mehrere Zimmer im ersten Stock gemietet. Die Großeltern schliefen im Wohnzimmer auf der Klappcouch und K.s Zimmer war die ursprüngliche Abstellkammer. Es handelte sich nicht um eine abgeschlossene Wohnung. Ein Zimmer auf dem Stockwerk blieb für die dralle Tochter der Vermieter reserviert. Für K. war das kein entscheidender Mangel. Das bot ihm des Öfteren die Gelegenheit, die junge Dame unter einem belanglosen Vorwand zu besuchen. Zum Beispiel gab er vor, die morgendliche Außentemperatur auf dem Balkon, der nur über ihr Zimmer zu erreichen war, prüfen zu wollen. Dabei wünschte er sich, dass sie - wie einmal geschehen - vielleicht aus dem Bett aufstehen und sich der Blick unter das gespreizte Nachthemd öffnen würde. Allein die ungewisse Möglichkeit etwas Verbotenes erhaschen zu können, bescherte im dieses gewisse Kribbeln im Bauch.

    Samstagmorgen ging K. mit dem Großvater Brötchen holen. Der Großvater furzte auf dem Weg ungeniert. Er kommentierte diesen Vorgang regelmäßig mit dem abgenutzten Reim, der für den kleinen K. aber originell war: „Wenn's Arscherl brummt, ist’s Herzerl gsund." Und er sollte damit nicht Recht behalten, wie sich einige Jahre später herausstellte. Er liebte seinen Großvater, weil der warmherzig und verständnisvoll war, ihm keine Vorschriften machte und immer eine heitere Stimmung verbreitete. Also gingen die beiden furzender Weise ins Dorf. Irgendwie lag die Blähsucht in der Familie.

    Wegen Herzrhythmusstörungen war Großvater eines Tages ins Krankenhaus eingewiesen worden. Dort verschlechterte sich sein Zustand. Adam Stokesche Anfälle[1], hieß es. K. besuchte ihn in der Klinik und sie beschlossen, ein paar Schritte zu laufen. Im Krankenhausflur sackte Großvater zusammen und saß hilflos aufrecht auf dem Boden, die Beine weit von sich gestreckt. Der Kopf  knickte immer wieder zur Seite weg. K. fühlte den Puls, der auf unter 30 Schläge pro Minute gefallen war.

    Mensch Opa, was ist los mit dir?, fragte K. besorgt.

    Ach lass mal, beschissen wäre geprahlt. Auch das war so eine abgewetzte Bemerkung, die aber dadurch an Originalität gewann, dass sie in einer besonders prekären Situation geäußert wurde. Großvater erhielt noch am selben Abend einen Herzschrittmacher eingepflanzt. Doch es half nichts, wenige Monate später strich sein Herz nach mehr als 80 Jahren Dienst die Segel.

    Als K. den Stationsarzt um den Herzschrittmacher seines Großvaters bat, zögerte dieser zunächst. Auf dem grauen Markt könne man bis zu zweitausend DM für so ein kaum gebrauchtes Gerät erzielen, sagte der Arzt. Aber das wäre natürlich eine Riesensauerei, das wäre Versicherungsbetrug. Trotzdem meinte K., dass der Arzt das Gerät nur ungern her gab.   

    Dieses klobige chromglänzende Objekt in der Größe einer halben Zigarettenschachtel, nur deutlich schwerer, wurde für K. fortan zum Fetisch. Der elektrische Impulsgeber hatte das Leben des geliebten Großvaters verlängert. Vielleicht waren die magischen Kräfte des Metallkästchens in der Lage, auch K. zu beschützen. Er bewahrte den Schrittmacher sorgfältig auf, in der Gewissheit, dass damit Großvater ständig ein wenig bei ihm sein würde. Später, während seiner Zeit als Arzt lag der silberne Kasten immer vor ihm auf dem Schreibtisch.

    Nach Großvaters Tod fühlte sich Großmutter – sie bestand darauf, Großmutter und nicht Oma genannt zu werden -  berufen, ein Matriarchat zu etablieren. Ihre einzige Lektüre war, solange sich K. erinnern konnte, das Goldene Blatt. Sie kannte sich in den europäischen Königshäusern aus wie keine andere. Also beschloss sie, jetzt auch wie eine Königin zu regieren. Und sie

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