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Über dieses E-Book

Gibt es einen achten Tag?

Wir teilen unsere Zeit in 7 Tage ein, manche sagen, sie wurde uns so eingeteilt.
Nach tausend Gedanken und einem Leben als Schriftsteller, findet sich Lucian Deuter im achten Tag wieder. Was sehen wir, wenn die Sonne untergeht? Was bewegt uns, wenn nicht eine kosmische Ordnung?
Liebe? Angst? Leidenschaft?

Alles beginnt mit einem Wort: Sei!

Und es endet mit Gedanken, die in Worte zu fassen sind. Was bleibt?
Wissen? Glauben? Worte?
Lucian Deuter lebt in Worten, lebt durch Worte und findet eine Welt, die nicht nur seine eigene ist. Um sie zu teilen und zu erfahren, ob andere Menschen auch in dieser Welt leben, braucht er eine Verbindung und findet sie in Gedanken und Worten.
Er kehrt an den Ort, an dem er zum Schriftsteller wurde zurück, nach Ibiza und findet dort den achten Tag.
Seine Wegbegleiter finden seine Welt, die er ihnen gibt, in einem Buch, das er zurücklässt:
Das Buch ist der Schlüssel zum achten Tag.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum2. Apr. 2019
ISBN9783748526889
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    Buchvorschau

    Das Buch - Frank Romanowski

    Gibt es einen achten Tag?

    Wir teilen unsere Zeit in 7 Tage ein, manche sagen, sie wurde uns so eingeteilt.

    Nach tausend Gedanken und einem Leben als Schriftsteller, findet sich Lucian Deuter im achten Tag wieder. Was sehen wir, wenn die Sonne  untergeht? Was  bewegt uns, wenn nicht eine kosmische Ordnung?

    Liebe? Angst? Leidenschaft?

    Alles beginnt mit einem Wort: Sei!

    Und es endet mit Gedanken, die in Worte zu fassen sind.  Was bleibt?

    Wissen? Glauben? Worte?

    Lucian Deuter lebt in Worten, lebt durch Worte und findet eine Welt, die nicht nur seine eigene ist. Um sie zu teilen und zu erfahren, ob andere Menschen auch in dieser Welt leben, braucht er eine Verbindung und findet sie in Gedanken und Worten.

    Er kehrt an den Ort, an dem er zum Schriftsteller wurde zurück, nach Ibiza und findet dort den achten Tag.

    Seine Wegbegleiter finden seine Welt, die er ihnen gibt, in einem Buch, das er zurücklässt:

    Das Buch ist der Schlüssel zum achten Tag.

    Das Buch

    Roman

    Frank Romanowski

    Für

    Hugo

    Franziska

    Egon

    Liselotte

    Gregor

    Und allen die Euch folgen werden

    Alles beginnt mit dem Wort.

    Sei!

    Es war mit dem Tod.

    Es bleibt das Wort.

    Kapitel 1

    Es war einer dieser Sommertage, an denen der Himmel und die Erde eins wurden.

    Über dem ganzen Kontinent lag seit Wochen eine Hitze, die Himmel und Erde verschmelzen ließ, in diesem Sommer, wie es ihn seit Jahren nicht gegeben hatte.

    Das Licht überstrahlte alles, und ein Horizont war nicht zu sehen. Alles schien hell und erstrahlte im Licht dieser Sommertage.

    Lucian Deuter stand auf dem oberen Deck der Fähre, als diese in den Hafen von Ibiza einlief. Er sah, wie das Schiff  sich der Kaimauer näherte und die Wasserfläche vor der Bordwand immer schmaler wurde. Das helle Licht des Himmels spiegelte sich jetzt nicht mehr nur auf dem Wasser, sondern auch an den Häuserwänden, die nur durch die schmale Uferstraße vom Meer getrennt waren. Auf der Hafenstraße standen auf die Abfahrt wartende Autos. An der Kaimauer drängten die aussteigenden Fahrgäste in Richtung Stadt. 

    Das Stimmengewirr war bis an die obere Reling der Fähre zu hören.

    Lucian Deuter hatte es nicht eilig. Er war aus Hamburg am gestrigen Morgen mit dem Zug nach Barcelona abgefahren, um dann die Überfahrt mit der Fähre anzutreten.

    Wer es eilig hatte, nahm das Flugzeug. Seit Jahren liebte er es, auf diese Art und Weise zu reisen. Er hatte Zeit. Nicht dass er sich langweilte. Er wusste seine Zeit gut zu nutzen.

    Der Schwarm der Touristen drängte voran. Einige waren guter Laune, lachten, waren mit Freunden unterwegs, wurden freudig begrüßt.

    In die Geschäftigkeit des Hafenbetriebes von gleichzeitiger Ankunft und Abreise, mischte sich die Betriebsamkeit der Stadt. Aus der Höhe des Schiffes betrachtet, war ein lebendiges Durcheinander zu vernehmen. An den Wänden der Häuser klebten Plakate für Vergnügungen und Partys aller Art.

    Die meisten Menschen freuten sich auf ihren Urlaub, hatten Lust auf Entspannung, Baden, Treffen mit Freunden, Feiern. Lucian Deuter dachte an die Zeit, als er das erste Mal auf Ibiza ankam und sich mit der gleichen Erwartung aufmachte, die er jetzt aus der Höhe des Schiffes bei den Menschen an Land sah: Die Vorfreude auf den Urlaub, Lust etwas Neues zu erleben. Abenteuer jeder Art.

    Hätte sich Lucian Deuter vor Jahren, bevor er überhaupt zu schreiben begonnen hatte, oder bevor er seinen ersten Roman geschrieben hatte, darüber klar werden können, was ihn, was Menschen antreibt etwas im Leben zu tun, oder nicht zu tun? Er stellte sich heute, viele Jahre später, solche Fragen. Fragen, die er an sich stellte, an sich selbst, als ob es einen Frager in ihm gäbe, der ihn befragte. Dieser Frager war ihm zu einem vertrauten Begleiter geworden, an den er sich gewöhnt hatte, der nie störte, aber auch nicht überraschte, wenn er sich meldete und eine Frage stellte. Fast war es so, als hätte er eine eigene Stimme. Dabei war es seine eigene. Er sah darin nichts Besonderes, hielt ihn für nichts Außergewöhnliches, fast hätte er mit ihm auch noch laut gesprochen. Immer wieder hörte er die Frage: „Was treibt die Menschen an?"

    Lust und Angst, Lucian Deuter hatte noch keine anderen Gründe, oder Kräfte gefunden, als Lust und Angst, die Menschen antreibt. Egal zu was, Arbeit, Urlaub, auf Menschen zugehen, Fragen stellen. Die Lust auf etwas ist der schöne Antrieb im Leben. Der andere die Angst. Angst vorm Fliegen, Angst vorm Leben, Angst vor dem Tod.

    Es war keine Flugangst, die ihn die Reise mit dem Schiff unternehmen lies, sondern die Art die Zeit langsam vergehen zu sehen. Lucian Deuter hatte Zeit.

    Er dachte an die Zeit, als er sich auf einen Urlaub freute.

    Vor Jahren, als er noch als Journalist arbeitete, mit geregeltem Urlaub im Jahr. Damals freute er sich über Wochen und Monate auf den Urlaub.

    Er fragte sich, wann es aufgehört hatte, dass die Dinge so neu waren, dass eine Vorfreude auf Unbestimmtes, einen Urlaub, eine ganze Zeitspanne anhalten konnte und die Stimmung beeinflusste, wenn nicht gar bestimmte? Es war die Zeit, in der er von außen bestimmt, seiner geregelten Arbeit nachging und Freiheit nur im Urlaub genießen konnte.

    Sich von diesem äußeren Zwang frei zu machen und die Entscheidung nur noch als Schriftsteller zu arbeiten, hätte damals zur Folge haben können, dass die Vorfreude auf Abenteuer, Freizeit und Urlaub von Angst vor Armut und Erfolglosigkeit verdrängt worden wäre.

    Er erinnerte sich nicht an eine solche Angst. Sei es, dass sie mit dem Erfolg seiner Bücher vergangen war, oder dass sie ihn nie erreicht hatte.

    Spätestens nach der Verfilmung seines Erfolgsromans, konnte er als materiell unabhängig gelten.

    Die Frage, warum keine Angst in ihm aufkam, hatte er für sich, seinen Frager und der Welt genauso beantwortet, wie die Fragen nach der Lust. Sein Erfolg war nicht das Ergebnis seines Wollens, sondern seines Handelns. Es ergab sich. Dies war keine Frage. Und so wie der Erfolg nicht das Ergebnis seines Willens war, so war die Angst ihm fremd geblieben.

    Obwohl es schon spät am Nachmittag war, stand die Sonne noch hoch am Himmel und ein jeder suchte im Stadtgebiet einen Platz, an dem er nicht in der Sonne stand. Lucian Deuter beschloss noch eine Weile in dem Café am Hafen zu verbringen, in dem er seinen ersten Kaffee auf der Insel getrunken hatte und auch dort zu Abend zu essen, bevor er in seinen Mietwagen steigen wollte, um zu seinem Haus zu fahren.

    Sein Gepäck bestand nur aus einer kleinen Tasche.

    Er bestellte einen Café con Leche. Er hatte einen freien Platz an einem Tisch an der Hausecke ergattert. Links und vor ihm lag eine kleine Gasse, auf der hauptsächlich Touristen neben einzelnen Skooter unterwegs waren. Hinter dem Haus kamen diejenigen hervor, die aus der unteren Altstadt kamen. Vor dem Café strebten die Touristen die Rampe hinauf, um durch das Tor in der Stadtmauer in das Innerste der Stadt zu gelangen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich das Haus, in dessen erstem Stock er vor Jahren, in einem kleinen Zimmer den Sommer verbringen wollte und eine Unterkunft gefunden hatte.

    Damals hatte er seinen ersten Urlaub. Und dieser Urlaub war eine Flucht. Eine Flucht in sein Leben. Er hatte vor einen Zeitungsartikel zu schreiben, wozu es aber nicht kam. Nach dem Urlaub kündigte er bei der Zeitung.

    Jahre später, saß Lucian Deuter wieder in diesem Café und wusste: Er war in seinem Leben und würde nichts tun müssen, was er nicht als zu ihm gehörig ansah. Und er würde sein Leben bis zum Ende nicht verlassen müssen, durch keine Macht und keine Kraft, die er nicht vorhergesehen hätte.

    Die ersten Touristen kehrten vom Strand zurück und bevölkerten die Stadt.

    Neben ihm nahm an einem Tisch eine Gruppe in Badelatschen, mit Strandtaschen und Sonnenhüten Platz und bestellte Sangria.

    Der Sitz der Sonnenbrillen wurde geprüft, die T-Shirts und Bikinis zurecht gerückt, Sand von den Beinen entfernt.

    Als Lucian Deuter das erste Mal auf die Insel kam, war er in ihrem Alter. Das kleine Zimmer auf der gegen-überliegenden Straßenseite kam ihm damals wie ein Palast vor, da er die Dachterrasse mitbenutzen konnte und mitten in der Stadt zu jederzeit ausgehen konnte.

    Er benutzt es als Stützpunkt für seine Ausflüge in ein neues Leben. Lucian Deuter hatte bis dahin keine weiten Reisen  unternommen.

    Die Sonne fiel auf die Sandsteinmauer des Hauses gegenüber. Die Metallgitter an den bodentiefen Fenstern warfen einen leichten Schatten, die Fensterläden waren verschlossen, um die Nachmittagshitze draußen zu halten.

    Der Himmel über den Häusern blendete und war genauso hell wie die Straßen der Stadt. Im Hafen lief ein Katamaran ein. Ein neuer Strom Touristen bevölkerte die Hafenpromenade. Familien, Gruppen, Einzelreisende. Manche in knappen T-Shirts mit modischen Sonnenbrillen. Gut gelaunt, strömten sie auseinander.

    Bin ich schön? Werde ich geliebt? Bekomme ich Aufmerksamkeit, ein Lächeln?

    Kaum, dass er damals selbst für sich sorgen konnte, erstes Geld verdient hatte, um sich eine Flugreise zu leisten, war er auch mit diesen Fragen im Gepäck unterwegs, allerdings ohne dass ihm dieses damals bewusst war.

    Auch er wollte Spaß haben, auf Partys gehen, Bestätigung finden.

    Den Anderen als Spiegel nehmen, um sich selbst zu sehen.

    Sich selbst kennen lernen. Eine Rolle spielen. All dies war hier möglich. Was auf der Insel geschah, blieb auf der Insel.  Die Welt durch andere Menschen kennen lernen. Erwachsen werden. Er lebte den Tag. Er wusste was er nicht wollte. Er wollte nicht wieder zurück in die Rolle des Auftragsschreibers, nicht wieder zurück und als Journalist arbeiten. Wie er sich sein Leben vorstellte, schrieb er auf. Was er erlebte, schrieb er auf. Was er erleben konnte, fasste er in Worte.

    Nichts schien ihm einfacher, als ein Leben auszudenken und dieses zu Papier zu bringen und ein Leben in Worten zu finden. Er wusste nicht, ob andere dieses Bedürfnis teilten, beschloss aber schon auf der Insel, sein erstes Buch zu schreiben. Ein Leben zu erfinden, in eine Welt einzutauchen, die er sich ausdenken konnte.

    Er hatte schon immer eine Sicht auf die Welt, wie ein Schriftsteller, er beschrieb die Welt.

    Lucian Deuter liebte es, seinen Gedanken nachzuhängen. Er hörte seine Fragen. Die Fragen des Fragers in ihm. Schon nach wenigen Monaten saß er damals häufiger in seinem kleinen Zimmer, oder auf der Dachterrasse und schrieb, beobachtete die Menschen, dachte nach, ging weniger aus, sprach Tage kein Wort.

    Er hatte keine Angst davor zu versagen, er hatte Lust zu schreiben.

    Er schrieb in dem kleinen Zimmer der Häuserecke, das er jetzt aus dem Café gegenüber sah. In dem vielleicht jetzt jemand anderes schrieb.

    Lucian Deuter bog mit dem Mietwagen um die erste Steinmauer, aus der schon einige der aufeinander geschichteten Natursteine in den Straßengraben gefallen waren. Da es schon halbdunkel war, musste er langsam fahren, um am Straßenrand die Einfahrt nicht zu verpassen. Der Schotter unter den Reifen des Cabrios knirschte, als er vor dem zweiflügeligen Eisentor hielt, welches die Auffahrt verschloss.

    Den Zahlencode, den er eingab, hatte er nie geändert, seit er „Son Vedra" gekauft hatte. Der elektrische Motor des Tores setzte sich in Gang und das Tor bewegte sich langsam zur Seite. Es waren die vertrauten, summenden Geräusche des Motors und das metallene Quietschen und Knacken der Türangeln, welche beim Auffahren des Tores zu hören waren. Der Motor gab die Melodie vor, das Tor knackte im Rhythmus, Stück für Stück den Weg freigebend. Die Komposition hatte sich nicht verändert, das Stück klang vertraut. Crescendo beim Auffahren, und abklingend beim Schließen des Tores, nachdem Lucian Deuter hindurchgefahren war. Der Wagen rollte langsam den Schotterweg hinauf, das Tor schloss sich in zunehmender Ferne mit dem Schlussakkord beim letzten Anschlag und dem Einrasten der Verriegelung. Die Tormusik wurde abgelöst durch das Knirschen der Reifen im Schotter. Die Pinien beidseits des Weges standen dicht und gaben erst nach der zweiten Kurve den Blick auf den Horizont frei.

    Der Wagen erklomm den Hügel. Am Ende des Weges tauchte „Es Vedra gegen den Abendhimmel auf, der Felsen im Meer, der dem Anwesen „Son Vedra seinen Namen gab. Der Felsen wurde immer mehr sichtbar, von der Spitze her, bis er ganz von Wasser umgeben, zu sehen war. Die letzte Rechtskurve, der Wagen erreichte den Hof, „Es Vedra" lag  zur Linken und schimmerte noch grün im abendlichen Restlicht. Die Bäume auf dem Felsen waren noch einzeln zu erkennen und wurden vor dem Grau des Felsens dunkler, je tiefer die Sonne sank, bis sie mit dem Felsen zu einem nebeligen Graugrün verblassten.

    Lucian Deuter liebte es die Auffahrt alleine heraufzufahren, begleitet von den vertrauten Geräuschen und den wechselnden Bildern der Natur, das Aufgehen des Felsens am Horizont und dann, nach dem Abstellen des Motors, die plötzliche Stille. Er stieg aus dem Wagen schloss die Tür. Die Ruhe auf dem Hügel kehrte sofort wieder zurück. Er stellte sich an die Balustrade, legte die Hände auf den Sandstein und blickte zum Felsen, der jetzt im glatten Wasser lag, das den Himmel widerspiegelte.

    „Son Vedra" lag abgeschieden, kein Haus lag in Sichtweite, die Straße am Fuße des Hügels war nicht befahren, ein Hund bellte in der Ferne. Bei Sonnenaufgang würden die Hühner im nächstgelegenen Dorf zu hören sein.

    Er nahm seine Reisetasche aus dem Kofferraum. Das Licht brannte im Haus.

    Das Verwalterehepaar war heute zu einem Fest im Dorf gegangen, dem Patronatsfest, bei dem als Höhepunkt nach Einbruch der Dunkelheit die Statue und Reliquien der Stadtheiligen durch die Straßen getragen werden. Die Eingangstür an der vorderen Ummauerung öffnete sich nach Eingabe des Codes. Die Verriegelung sprang zurück  und gab den Weg frei auf den ummauerten Weg zum Haupteingang, vor dem ein steinern gepflasterter Hof lag, der ebenfalls von Mauern umgeben war. Abends waren die Steine noch warm von der Sonne des Tages. Lucian Deuter öffnete die letzte Tür, betrat die Eingangshalle und  stellte seine Tasche auf den schwarzen Tisch aus Schiffsbohlen in der Mitte des Raumes. Die Halle erstreckte sich über Erdgeschoss und Obergeschoss. An den Seiten führte je eine Treppe in das obere Geschoss auf eine Galerie. Tagsüber schien das Licht durch ein umlaufendes Fensterband über dem Obergeschoss. Lucian Deuter ging unter der Galerie hindurch in die Küche, wo die bodentiefen Fenster den Blick auf den Garten freigaben, der jetzt blau durch das Licht der Poolscheinwerfer schimmerte. Der Garten war auf der einen Seite durch eine Felsenwand begrenzt und ging auf der gegenüberliegenden Seite in eine Steintreppe über, die wenige Stufen hinab in den angrenzenden Wald und zum Verwalterhaus führte, welches unterhalb der Baumkronen auftaucht, wenn man sich an den Rand der Terrasse stellte. Lucian Deuter setzte sich auf die steinerne Bank vor der Felswand. Er hörte die ersten Zikaden und die Bewegung des Wassers im Pool und sah einzelne Sterne am Nachthimmel.

    Lucian Deuter war kein sentimentaler Mensch.  Nicht, dass er keinen Sinn für die Dinge hatte, die mit den Sinnen zu erfassen sind, dafür hatte er ein Gespür. Und wie von selbst fügten sich ihm von jeher Sinneseindrücke zu einem Ganzen zusammen und konnten für ihn so laut und hell werden, dass er nichts anderes mehr sah und hörte und fühlte. Dann war es eine Stimmung, die alles bestimmend werden konnte, bei der sich nicht mehr unterscheiden ließ, welcher Sinn zuerst angesprochen war, eine Stimmung, bei der ein Ganzes entstehen konnte, wie das Schöne in der Kunst, wie eine Möglichkeit, eine Wahrscheinlichkeit, etwas, das mit anderem verbunden sein kann, vergänglich aber wahr.

    Lucian Deuter blickte auf den Garten, atmete die Luft, die nach Nadelholz und Meerwasser roch und es kamen wieder Bilder vor sein Auge. Bilder und Gedanken, Gedanken und Worte, Worte und Sprache. Für ihn war das schon seitdem er sich über diese Dinge Gedanken machen konnte so und auch hatte er Worte dafür. Wie Farben zur Musik entstehen, kamen Gedanken, Worte, Sätze, die zu einer Sprache wurden.

    Lucian Deuter saß auf der Terrasse und hörte die Bewegung des Wassers im Pool, das durch die Filteranlage gepumpt wurde. Er schloss die Augen, lauschte der Bewegung des Wassers, fühlte wie das Wasser näher kam. Er hörte nur und sah und dachte erst nicht, bis er Bilder sah, Bilder die er wiedersah: Umgeben von Wasser und Blut, nach Luft ringend, auftauchend, vom Licht der Welt geblendet. Er sah seine Geburt.

    Lucian Deuter saß die halbe Nacht, betrachtete die Olivenbäume im Scheinwerferlicht der Garten-beleuchtung.

    Das Pool-Licht schaltete sich irgendwann automatisch aus, die Pumpe verstummte und es waren nur noch die Stimmen der Nacht zu hören, die Geräusche der Zikaden und in der Ferne das Meer, wie es an die Küste schlägt, mit seinem rhythmischen Klang. Als der erste Hahn krähte, ging er schlafen.

    Die Sonne schien hell zwischen den Kiefern hindurch als Lucian Deuter sich am nächsten Morgen, nach dem der Verwalter gegangen war, wieder an den Pool setzte. Die Dinge, die besprochen werden mussten, waren nicht allzu viele, so dass er froh war, schnell wieder alleine zu sein. Er saß auf einem Gartenstuhl, der halb von der Morgensonne beschienen war. Der Platz, an dem er in den letzten Jahren oft gesessen und geschrieben hatte.

    Als Kind wurde er für einen Träumer gehalten. Wo andere einfach einen Baum, eine Kiefer sahen, und gesagt hätten: „Dort steht ein Baum", begann für ihn immer eine ganze Geschichte. Das Grün an den Astspitzen, das von Sonnenlicht beschienen leuchtete. Wind bewegte die Äste. An seinem Ohr vermischte sich der Klang der Wellen, die vom Meer herüber drangen mit dem Wind aus dem Baum, den er sah, hörte, fühlte. Es roch nach Harz und felsigem Sand, ein Flugzeug mit weißen Kondensstreifen zog durch die Astlücken. Sekunden später war auch das leise Turbinengeräusche zu vernehmen. Der Baum war gewachsen seitdem ihm das Haus gehörte. Er folgte mit seinem Blick dem Verlauf der Äste, so wie er es als Kind getan hatte und man ihn für einen Träumer hielt. Irgendwann war er es leid, den Leuten zu erklären, dass er die Dinge anders wahrnimmt als sie. Der einfache Sinn, etwas zu tun und nichts dabei zu denken, war ihm von jeher unmöglich.

    Noch bevor Lucian Deuter beschlossen hatte, nicht wieder an seinem alten Arbeitsplatz zurückzukehren, lernte er Richard kennen. Richard saß, bevor er ihn kennengelernt hatte, in dem Café gegenüber seiner gemieteten Urlaubswohnung, in dem Café, in dem er selbst noch oft sitzen sollte. Richard sah mit seinen wachen, hellblauen Augen zu Lucian, der auf der Straße stand. Er beobachtete Lucian, noch bevor dieser ihn sah. Er fiel ihm damals auf, weil er alles, was um ihn herum geschah, beobachtete und dabei lächelte. Und so meinte Lucian auch gesehen zu haben, wie Richard ihm zuzwinkerte und dabei den Kopf ein wenig zur Seite drehte, gerade so wie eine Einladung herbei zu kommen. Er setzte sich damals

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