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Phönix aus den Flammen: Rayven's Shadow
Phönix aus den Flammen: Rayven's Shadow
Phönix aus den Flammen: Rayven's Shadow
eBook943 Seiten11 Stunden

Phönix aus den Flammen: Rayven's Shadow

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Über dieses E-Book

Sechs Monate sind vergangen seit Cathrynn Rayven, Mitglied einer CIA Sondereinheit ihren Kollegen und Ehemann McConaghey im Zuge eines missglückten Einsatzes verloren hat.
Während die Agentin noch versucht den Verlust zu überwinden tauchen plötzlich dubiose Indizien auf, die den Unfalltod in Zweifel ziehen, als plötzlich die infame Behauptung im Raum steht, dass sie selbst McConaghey getötet haben soll.

Von ihrer Regierung unter Anklage gestellt, gelingt ihr nach mehrwöchiger Folter die Flucht und sie beginnt zusammen mit Privatdetektiv Simon Willis, Beweise für ihre Unschuld zu suchen.

Je tiefer sie nach Antworten gräbt, desto stärker erhärtet sich im Lauf ihrer Ermittlung, der Verdacht, dass sie nur eine Schachfigur in einem perfiden Plan ist, der seinen Ursprung auf höchster Regierungsebene hat und als schließlich ein als Mythos angesehener Auftragskiller ihre Fährte aufnimmt, wird eine absurde Vermutung mehr und mehr zur erschütternden Gewissheit.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum29. Nov. 2012
ISBN9783847624196
Phönix aus den Flammen: Rayven's Shadow

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    Buchvorschau

    Phönix aus den Flammen - Desirée Scholten

    Prolog - 26. November 1992

    Loderndes Feuer hob sich flackernd vom verhangenen Himmel der mondlosen Herbstnacht ab.

    Kein Stern blickte hinab auf den trockenen Boden, der genauso tot da lag, wie die blattlosen Weiden, die verzweifelt ihre Wurzel in ihn hinein gegraben hatten.

    Ein erstaunlich kalter Wind weht vom Pazifik her und verwehte mit gespenstischem Heulen die beißenden Rauchschwaden, die von dem brennenden Farmhaus aufstiegen.

    Unbeeindruckt fraßen sich die Flammen mit jeder Minute tiefer in das morsche Holz des verwitterten Hauses, das schon lange vor diesem verzehrenden Brand seine besten Jahre hinter sich gebracht hatte.

    Lange hatte es Natur und Verfall getrotzt, hatte Stürmen und Erdbeben standgehalten, die klaffende Wunden in seinen Leib geschlagen hatten.

    Niemanden hatte sein stetiger Niedergang gekümmert, seit seine letzten Besitzer in der Zeit der großen Depression geflohen waren.

    Sein Todesringen sollte jedoch nicht unbeachtet bleiben, die holen Schreie seines morschen Gebälks verhallten nicht ungehört.

    Etwas abseits seines verzweifelten Kampfes, halb verborgen hinter einer der abgestorbenen Weiden, zeichnete sich schemenhaft ein schwarzer Transporter ab, auf dessen von Schmutz verkrusteten Außenwänden sich schwach das Flackern des Feuers widerspiegelte.

    Ein aufmerksamer Beobachter mochte sogar die Silhouette erahnen, die reglos an der stumpfen Außenwand lehnte- ein einsames Schattengebilde, dem der Tanz der Flammen Leben einzuhauchen schien.

    Rötliches Zucken erhellte für einen Moment blasse, unbewegliche Züge, gab in einem kurzen Aufflackern den Schatten klare Kontur und Substanz. Zauberte ganz zaghaft ungewöhnlich rosiges Leben in ein müdes, fahles Gesicht, das in tiefer Anspannung erstarrt zu sein schien. Erschuf mit seinen Bewegungen fast höhnisch die Illusion eines Funkelns in tiefliegenden grünen Augen, die regungslos das Schauspiel wenige hundert Meter entfernt beobachteten.

    Müdigkeit hatte Schatten unter gerötete Augen gemalt, die gefällig über hohen Wangenknochen lagen und deutlich sichtbare Spuren auf dem blassen Puppengesicht der jungen Frau hinterlassen, die reglos am dreckigen schwarzen Transporter lehnte, voll und ganz im Bann des tödlichen Reigens, den die immer höher züngelnden Flammen vollführten, gefangen.

    Das alles ist nur ein böser Traum, versicherte Hunterin Cathrynn Rayven sich stumm, während sie weiterhin in die Flammen starrte.

    Angst hatte begonnen, an ihrem Verstand zu nagen, bohrte sich mit kleinen, scharfen Zähnen unerbittlich auch in die hintersten Winkel ihres Gehirns und hinterließ in jedem der Löcher, die sie dadurch erschuf, nur noch mehr Angst.

    Bald begann sie sich auszubreiten. Wanderte von ihrem Verstand aus in den Rest ihres Körpers; sandte unerwünschte Gedanken und Bilder, die sie zu lähmen drohten, durch die Membranen.

    Eine sanfte Stimme erhob sich flüsternd aus dem Meer der wirren Gefühle, die in ihr tobten, übertönte nur schwach das wilde Hämmern ihres Herzschlags und das Rauschen des Blutes in ihren Ohren.

    Wie sehr sie wünschte, diese Stimme wieder zum Schweigen zu bringen, doch sie schwieg nicht.

    Seit sie sich, zusammen mit einigen ihrer Kollegen, vor fünf Minuten endlich einen Weg aus dem brennenden Haus hinaus gebahnt hatte, war diese Stimme es nicht müde geworden, ihr düstere Vorahnungen zu zuflüstern.

    Cathrynn versuchte sie zu ignorieren, versuchte die Worte nicht zu hören, die ihr Herz noch mehr zum Rasen brachten als das pulsierende Adrenalin, doch je stärker sie die Warnungen ignorierte, desto lauter und nachdrücklicher wurde diese Stimme.

    Es war lange her, seit sie diese ungebändigte Angst das letzte Mal gespürt hatte.

    Es musste in ihrem ersten Jahr in der CIA Spezialeinheit gewesen sein, überlegte Cathrynn und erinnerte sich an ihren ersten Einsatz als Hunter zurück, der natürlich auch prompt hatte außer Kontrolle geraten müssen.

    Jeder Einsatz war allerdings auch ohne die üblichen Pannen und Unwägbarkeiten gefährlich genug, um der letzte zu sein. Das war ihr damals wie heute bewusst gewesen.

    Bis heute hatte ihr dieses Wissen, nach vier Jahren Diensterfahrung, längst nur noch ein kurzes Magenflattern bereitet.

    Heute war es anders.

    Sie hatte das Gefühl, an der sich immer weiter steigernden Angst langsam zu ersticken, der Angst um das Leben der vier Kollegen, die sich, trotz des Rückzugbefehls vor fünfzehn Minuten, noch immer im brennenden Farmhaus befanden.

    „Kommt endlich raus, ihr Idioten!", raunte sie tonlos, während ihre linke Hand unbewusst an dem schlichten goldenen Ehering zu spielen begann.

    Noch einmal suchte sie die brennende Fassade ab.

    Das Ergebnis blieb dasselbe, wie all die Male zuvor.

    Tränen der Anstrengung begannen sich in ihren Augen zu sammeln, als sie weiter verbissen die Hausfront nach einem Hinweis darauf absuchte, dass ihre Kollegen noch lebten.

    So sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte nichts erkennen.

    Außer den Flammen regte sich nichts.

    Gambler, welchen Teil von Rückzug hast du dämlicher Hurensohn nicht verstanden?", hörte sie die Stimme ihres Vorgesetzten, aus dem Innenraum des Transporters donnern.

    Unwillig löste sich ihre linke Hand wieder von dem Ring und fuhr über ihre Augen, um die brennenden, sichtraubenden Tränen fortzuwischen.

    Nicht, dass noch jemand auf die Idee käme, sie stünde hier draußen und heule.

    Wenngleich ihr jetzt gerade ganz eindeutig zum Heulen zu Mute war und der Drang, einfach plärrend zusammenzubrechen, merklich stärker wurde, je länger sie über die neuen Fakten nachdachte.

    Einige ihrer Kollegen hatten offensichtlich beschlossen, noch einmal nach Serpentine zu suchen, jenem Terroristen, den sie, vor der Vermutung, in eine Falle gelaufen zu sein, hier endlich zu stellen gehofft hatten.

    „Wunderbar, einfach beschissen wunderbar!", murmelte sie in den Kragen des schwarzen Baumwollhemdes, das sie unter der kugelsicheren Weste trug, während ihre Hand fahrig eine Strähne ihres schwarzen Haars, die sich aus dem Knoten gelöst haben musste, hinter ihr Ohr schob.

    Selbstmitleid war jetzt gerade sicherlich nicht die Lösung, dennoch war diese Regung endlich einmal erfrischend normal in Anbetracht der Situation.

    „Dein bescheuerter Ehemann hat beschlossen, noch einmal nach Serpentine zu suchen!", knurrte eine Stimme neben ihr. Cathrynn wandte den Kopf, während ihr Herzschlag sich noch einmal beschleunigte und ließ ihren Blick kurz über den schlanken hochgewachsenen Mann, der neben sie getreten war, schweifen.

    Das schwache Licht aus dem Innenraum des Transporters verlieh seinem grauen Haar einen fast silbernen Glanz und der tanzende Widerschein der Flammen, schien seine leblosen grauen Augen in flüssigen Stahl zu verwandeln, während Frank Jackson, der Leiter ihrer Spezialeinheit, die Hände in den Taschen seiner abgetragenen braunen Lederjacke vergraben, die genau wie sein Gesicht, von den unzähligen Kämpfen der mehr als zwei Jahrzehnten gezeichnet war, zu ihr blickte.

    Nickend schloss Cathrynn die Augen.

    „War nicht zu überhören", murmelte sie abwesend, als in ihrem Geist bereits einige Rettungsszenarien Gestalt anzunehmen begannen, für den Fall, dass die Männer in den nächsten paar Minuten nicht herauskämen.

    Sie blickte kurz auf ihre Uhr. Es mochten vielleicht zwanzig Minuten seit dem Rückzugbefehl vergangen sein, schätzte sie, und der Großteil der Hunter hatte inzwischen das Gebäude verlassen, stellte sie frustriert fest, als zwei weitere, der vier fehlenden Kollegen sie passierten.

    „Seid ihr irre?", brüllte Frank den beiden Neuankömmlingen zur Begrüßung zu. Ausnahmsweise sprach er ihr damit aus der Seele.

    „Ich sollte euch für die Scheiße abknallen, wenn wir nicht jetzt schon dermaßen unterbesetzt wären!", tobte er weiter, doch Cathrynn schenkte seinem Wutanfall keine besondere Aufmerksamkeit.

    Langsam glitt ihre Hand in die Tasche ihrer schwarzen Hose und förderte nach einigen umständlichen Fehlversuchen, ein Päckchen Zigaretten hervor. Sie hoffte, das Nikotin würde ihre Nerven lange genug beruhigen, bis sie wusste, ob sie noch einmal zurück ins Haus musste oder nicht, denn noch immer waren zwei ihrer Kollegen vermisst und ihre Chancen wurden mit jeder weiteren Minute, die verstrich, schlechter.

    Ein lautes Poltern durchschnitt ihre Gedanken und mit einem heiseren Stöhnen wandte sie den Blick zurück zu der brennenden Hausfront, in Erwartung des Schlimmsten. Noch wehrte das Haus sich gegen den unvermeidlichen Einsturz, wenngleich ein Teil des Dachstuhls gerade eingeknickt war.

    Es war nur noch eine Frage von wenigen Minuten bis der Rest des Gebälks dieses Schicksal teilen würde.

    „Ich kann hier nicht länger herumstehen!", murmelte sie mit einem weiteren kurzen Blick zu Frank, der prüfend die Augen zusammenkniff, als sie ihre Beretta entsicherte und sich vom Transporter abstieß.

    „Was denkst du, wo du hingehst?", fragte ihr Vorgesetzter barsch. Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er die Antwort auf seine Frage bereits kannte.

    „Ich werde John und Ian jetzt rausholen, vielleicht ist den beiden etwas passiert", antwortete sie trotzdem.

    Dann presste ein harter Aufprall ihr die Luft aus den Lungen, als Frank sie an den Schultern packte und gegen die Außenwand des Transporters stieß.

    „Einen Scheißdreck wirst du, Rayven! Ich schicke nicht noch einen dritten Agenten für nichts und wieder nichts in den Tod!"

    Sein Blick hatte sich in ihren gebohrt und einen Augenblick verharrten die grünen Augen der Hunterin unschlüssig auf dem zerfurchten Gesicht, das ihr in all seinen Facetten so vertraut war, als sie sich, wie schon viel zu oft in der Vergangenheit, zu fragen begann, was jenseits der kalten Maske vor sich ginge, zu der Franks Züge, solange sie denken konnte, erstarrt waren.

    Falls überhaupt etwas hinter ihr vorging, dachte sie mit aufkeimender Bitterkeit, als sie durch das Heben der Hände ihre Aufgabe signalisierte, denn solange sie Frank kannte, war er nie ein Mann großer Gefühlsregungen gewesen.

    Franks behandschuhte Finger verschwanden von ihren Schultern, während sie sich fassungslos zur Ordnung rief. Sie hatte jetzt gerade eindeutig wichtigere Probleme, als Frank schon wieder zu analysieren, das hatte sie eigentlich schon vor vier Jahren aufgegeben.

    Ihre Gedanken schweiften zurück zu den vordringlichen Problemen des Abends und der Frage, wie sie es am Effektivsten schaffen konnte, innerhalb weniger Minuten zwei möglicherweise verletzte Männer, aus dem brennenden Haus zu holen.

    „Sie werden gleich herauskommen!", versicherte sie sich stumm.

    Diese vier Worte schienen für sie inzwischen zu einem Mantra geworden zu sein.

    Mit einem weiteren kurzen Blick auf ihre Uhr beschloss sie, ihren beiden Kollegen noch fünf Minuten zu geben, bevor sie Frank notfalls außer Gefecht setzen würde, um zurück in das brennende Haus zu gelangen.

    Noch immer war keine Spur von den beiden Männern zu sehen und wie immer in solchen Situationen hoffte Cathrynn inständig, dass sie heute keine Verluste erleiden würden. Wenngleich mit dieser Option immer und überall zu rechnen war. Der Job, den sie hier machten, war zu riskant, als dass es Grund zu dieser fast schon absurden Hoffnung gegeben hätte.

    Selbst dann nicht, wenn es sich wie heute Abend, theoretisch, um einen Routineeinsatz handelte.

    Doch so schön die Theorie auch manches Mal sein konnte, in der Praxis war das von jedem einzelnen Hunter zu tragende Risiko immer immens hoch; besonders dann, wenn Idioten wie McConaghey, irgendwann außer Kontrolle gerieten und auf eigene Faust weiter operierten.

    Dennoch kannten sie alle die Risiken und sie alle nahmen sie billigend in Kauf, waren viel mehr sogar gerne bereit, falls notwendig, jenen letzten Dienst zu leisten und ihr eigenes Leben im Kampf gegen die Terroristen, die sie jagten, zu opfern.

    Sie erinnerte sich, dass sie in den letzten zwei Jahren, öfter als es ihr lieb gewesen war, hatte miterleben müssen, wie Kollegen nach einem Einsatz spurlos verschwunden geblieben waren oder hilflos hatte zusehen müssen, als andere starben, nicht fähig mehr zu tun, als ihnen in ihren letzten Zügen die Hand zu halten.

    Sie hatte das Leid der Familien miterlebt, die Ungewissheit, Angst und Verzweiflung der Hinterbliebenen, aber auch die eigene Hilflosigkeit in solchen Situationen, die Unsicherheit im Umgang mit den Angehörigen, die in der Regel niemals erfuhren, was ihrem Familienmitglied wirklich zugestoßen war.

    Sie hatte schon zu oft all die Plattitüden gesagt, derer man sich in solch einer Situation bediente, doch noch immer zermürbte es sie.

    MIA und KIA, das Verschwinden oder der Tod eines Agenten im Einsatz für sein Land, hießen diese beiden wohl härtesten Lektionen, die sie in viereinhalb Jahren, die sie innerhalb der Hunter diente, hatte lernen müssen und auf die sie niemand während ihrer Ausbildung zur CIA Agentin hatte vorbereiten können.

    Eine Bewegung in ihrem Augenwinkel lenkte kurz ihre Aufmerksamkeit auf sich.

    Automatisch drehte sie den Kopf etwas nach links und sofort traf ihr Blick sich mit dem des stämmigen Mannes, der sich gerade zu ihr und Frank gesellt hatte.

    Sie spürte seine warme Hand, die sich auf ihre kalte legte, gleichwohl als hätte er durch die dünne Wand des Transporters ihre Gedanken gelesen.

    „Sie werden es schaffen, da bin ich mir sicher", flüsterte ihr Hunter-Kollege und bester Freund, Nathan Gregory ihr aufmunternd zu, doch ein prüfender Blick in seine haselnussbraunen Augen verriet ihr deutlich, dass er nicht halb so viel Zuversicht empfand, wie er mit seinen Worten zu vermitteln versuchte.

    „Sie müssen es schaffen", murmelte er nachdenklich, als er den Blickkontakt löste und seine Aufmerksamkeit auf das Inferno richtete.

    Fasziniert beobachtete Cathrynn, wie sich Nathans sonst sanfte Gesichtszüge spannten und, denen des Mannes zu ihrer Rechten gleich, zu einer leblosen Maske wurden, als er ebenfalls, sichtlich beunruhigt, der Dinge harrte, die zwangsläufig kommen würden.

    So oder so, etwas würde passieren.

    Nicht alle Möglichkeiten waren wünschenswert.

    Automatisch folgte Cathrynn Nathans Blick zurück zu der Szene, die sich ihnen, weiterhin unverändert, bot, als sie, einem plötzlichen Impuls folgend, stumm ein kurzes Gebet zum Himmel schickte, dass die beiden Männer es noch rechtzeitig hinaus schaffen mochten. Sie wunderte sich einmal mehr über sich selbst.

    In ihrem ganzen Leben war sie nie religiös gewesen.

    Sie glaubte nicht an eine höhere Macht, die das Leben aller Menschen lenkte und über Wohl und Wehe eines jeden Mannes und einer jeden Frau wachte.

    Sie hatte in ihrem Leben schon zu viel gesehen, was sie schnell davon überzeugt hatte, dass es keine göttliche Instanz geben konnte.

    „Das wurde auch Zeit", murmelte Frank neben ihr noch immer ärgerlich und sofort richtete die schwarzhaarige Hunterin den Blick wieder auf das brennende Haus.

    Angestrengt kniff sie die Augen zusammen, um sich zu vergewissern, dass nicht reines Wunschdenken der Ursprung der plötzlichen Bewegung war.

    Es war keine optische Täuschung.

    Dort draußen war wirklich eine Silhouette, die sich schwach gegen den Tanz der gierigen Flammen abhob.

    Ihr Mut sank.

    Es war nur ein Schemen, den sie auszumachen vermochte.

    „Bitte nicht!", murmelte Nathan neben ihr. Resignation ließ seine Stimme leicht zittern, als er ihre eigenen Gedanken aussprach.

    Synchron zu Frank rannte sie los, dem Mann entgegen und das blanke Entsetzen stahl sich auf ihre Züge, als sie im Näherkommen erkannte, welcher der beiden Männer fehlte.

    „John, wo ist Ian?", rief sie dem blonden Schönling zu, als er nah genug herangekommen war, um sie verstehen zu können.

    Mit erschrocken aufgerissenen Augen drehte Jonathan Archer, seinen blonden Schopf zu ihr. Die vernichtende Antwort auf ihre Frage, war bereits deutlich in seinen dunkelblauen Augen zu lesen.

    Cathrynns Herz setzte für einige Schläge aus, um danach umso wilder zu rasen.

    „Scheiße, er war gerade eben noch direkt hinter mir!", brüllte Archer über den Lärm hinweg, doch Cathrynn hörte ihn schon nicht mehr.

    Sie rannte weiter, ohne noch einen Gedanken an die möglichen Gefahren zu vergeuden.

    Sie hörte Frank irgendetwas rufen, als sie ihren Laufschritt noch einmal zu einem Sprint beschleunigte.

    McConaghey war noch in dem brennenden Haus und sie musste ihn so schnell sie konnte dort herausholen, war der einzige klare Gedanke zu dem sie noch fähig war.

    Etwas fasste sie hart bei den Schultern, zwang sie abrupt stehen zu bleiben.

    „Cat, um Gotteswillen! Du kannst da nicht noch einmal rein, das Gebäude wird jeden Moment in sich zusammenstürzen!", rief Archer hinter ihr.

    Mit einem Ellenbogenstoß, der das Kinn des blonden Hunters traf, schaffte sie es sich aus Archers Griff zu befreien, doch die Verzögerung hatte ausgereicht, damit auch Frank sich ihr hatte nähern können.

    Seine stahlgrauen Augen bohrten sich beschwörend in ihre, als er seine Finger fest in ihre Schultern grub, im Versuch sie zusammen mit Archer festzuhalten.

    Cathrynn kämpfte mit der Kraft, die Verzweiflung und Angst ihr verliehen hatten, gegen die beiden Männer an, nicht bereit sich die offensichtliche Wahrheit einzugestehen.

    Jene Wahrheit, die besagte, dass niemand hier mehr etwas tun konnte.

    „Verdammt, Frank! Ich muss da rein, ich kann Ian nicht im Stich lassen!", keuchte sie fassungslos. Ihr Verstand weigerte sich noch immer beharrlich die Realität zu akzeptieren und anzuerkennen, dass es vergebens war, jetzt noch einen Rettungsversuch zu wagen – vergebens und lebensmüde.

    McConaghey war verloren.

    Niemand konnte mehr etwas für ihn tun und doch kämpfte sie weiter gegen den unerbittlichen Griff der beiden Männer an, den Blick weiterhin starr auf die Flammen gerichtet.

    „Es ist vorbei, Rayven! Er ist verloren!", brüllte Frank.

    Er hatte sichtliche Mühe, sie in seinem Griff zu halten.

    „Es ist niemandem damit gedient, wenn du mit ihm draufgehst!", fügte er beschwörend hinzu, in der Hoffnung sie endlich zu erreichen, doch es war vergebens.

    Cathrynn wollte seine Worte nicht hören. Sie wollte sich nicht eingestehen, dass er Recht hatte.

    Frank und Archer hielten sie fest, gleichwohl als würden sie jede ihrer Bewegungen erahnen, während sie weiter verbissen ihren aussichtslosen Kampf gegen die beiden ausfocht, den Blick gebannt auf die brennende Front des Hauses gerichtet, in der absurden Hoffnung, McConagheys Silhouette doch noch zu sehen.

    So konnte es nicht enden, schrie etwas tief in ihr.

    So durfte es nicht enden!

    Er durfte nicht sterben!

    Ein spitzer Aufschrei entrang sich ihrer Kehle, als das durch den Brand morsch gewordene Gebälk nur Sekunden später mit lautem Getöse in sich zusammenstürzte und Ian McConaghey unter sich begrub.

    Nein!

    Buch Eins

    Buch Eins

    Jäger und Gejagte

    1993

    Kapitel 1

    Die Hotelsuite lag still da, wenn man von dem Rascheln der Papiere absah, die die vier Männer durchblätterten, seit sie sich vor einer Stunde hier getroffen hatten.

    Sie alle waren einflussreiche Größen in Wirtschaft und Regierung und kannten sich seit Jahren.

    Abgesehen von ihrem Ansehen und ihrer Stellung in der Waffenindustrie, sowie den maßgeschneiderten Anzügen, die sie von demselben Schneider anfertigen ließen, verband sie nur das Ziel, das sie verfolgten.

    Sie waren Spieler und in den letzten Jahren hatten sie mit hohen Einsätzen gespielt. Nun strebten sie auf eine Wegkreuzung zu, an der sie nur noch zwei Möglichkeiten hatten. Sollten ihre Pläne aufgehen, wäre es ein Sieg auf ganzer Linie, der die Geschichte maßgeblich beeinflussen würde. Wenn sie jedoch scheiterten wäre das das Ende.

    Dieses Wissen spiegelte sich deutlich in den von schwachem Mondlicht erhellten Gesichtern der Männer wieder. Ihre Anspannung war fast greifbar, gleich eines formlosen fünften Mannes, der reglos und stumm in einer der Ecken ausharrte, bereit über seine Kumpane herzufallen.

    Einer von ihnen erhob sich mit einem ärgerlichen Grunzen und trat an das Fenster heran, blickte hinaus auf die nächtliche Washingtoner Skyline. Das Licht eines Feuerzeugs erhellte kurz seine attraktiven Züge.

    „Was Sie vorschlagen ist Wahnsinn, Professor", murmelte er mit einem angedeuteten Kopfschütteln.

    Seine braunen Augen glitten gehetzt durch den Raum, als er sich mit der Hand durch das zurückgegelte Haar fuhr.

    „Das ist blanker Wahnsinn", wiederholte er mit einer Unsicherheit in der Stimme, die ihm nicht ähnlich sah. Sein souveränes Auftreten war seine Waffe und er verstand sie einzusetzen. Er war es, der Meinungen beeinflusste und Entscheidungen lenkte. So hatte er seinen Einfluss in der Waffenlobby gewonnen, nicht dadurch, in banger Anspannung herumzustehen und Andere über sein Schicksal entschieden zu lassen.

    „Diese Testperson ist ein Fiasko, das habe ich Ihnen allen schon vor Jahren gesagt."

    Ärgerlich drückte er seine nur halbgerauchte Zigarette aus.

    „Wir alle kennen Ihre Bedenken zur Genüge, Mr. Duncan", erwiderte der Professor mit schneidender Stimme. Der kalte, stechende Blick seiner Augen strafte sein nachlässiges Auftreten Lügen.

    „Dennoch kann ich hier nur wiederholen, dass wir in all den Jahren, seit Beginn unserer Forschungen, nie eine vielversprechendere Testperson gefunden haben."

    Mit einem harten Lachen ließ sich der Lobbyist zurück in die weichen Polster des Sessels sinken.

    „Wenn Sie so begeistert von der Testperson sind, Professor, schlage ich vor, dass wir sie entführen und Sie eine neue Versuchsreihe mit ihr starten", knurrte der Lobbyist abfällig. Seine Abneigung gegen den Wissenschaftler stand deutlich in seine ebenmäßigen Züge geschrieben.

    „Ich denke, dass niemand hier Interesse an einer weiteren genetischen Versuchsreihe hat, deren Ergebnisse bereits hinreichend bekannt sind, Mr. Duncan", ließ sich der Professor nicht beirren.

    „Wir stehen hier vor unserer bahnbrechendsten Erkenntnis, sollte sich meine Vermutung bewahrheiten."

    Der Lobbyist lehnte sich mit einem freundlichen Lächeln auf den vollen Lippen zurück.

    „Genau das ist es, was mir Magenschmerzen bereitet, Professor. Ihr Vorschlag basiert einzig und allein auf vagen Vermutungen", betonte er trocken, bevor er sich wieder aus dem Sessel erhob.

    „Wie jeder in diesem Raum, kennen auch Sie die Ergebnisse der Midnight-Experimente", erinnerte der Professor nachsichtig.

    „Das ist richtig. Dennoch bin ich nicht bereit, nur auf Grund einer Vermutung alles, was wir uns erarbeitet haben, auf eine Karte zu setzen."

    Auch der Professor erhob sich nun ärgerlich, doch der Lobbyist schnitt ihm das Wort ab, bevor er zu einem Widerspruch ansetzen konnte.

    „Sie vermuten, dass diese Testperson den Durchbruch liefern kann, auf den wir warten und ihre Vermutungen stützen sich ausschließlich auf Überwachungsergebnisse und Statusberichte eines opportunistischen Bastards, der uns wahrscheinlich genau das sagt, was wir hören wollen", fasste er es ärgerlich zusammen.

    „Ich verlasse mich hier nicht ausschließlich auf die Berichte unseres Mannes und das wissen Sie, Mr. Duncan", erwiderte der Professor spitz. Die Worte des anderen Mannes schienen ihn in seiner Wissenschaftlerehre gekränkt zu haben.

    „Ich weiß vor allem anderen eines, Professor", fuhr der Lobbyist ihn barsch an.

    „Ich weiß, dass es vielleicht unter Laborbedingungen möglich ist, einen Menschen soweit zu manipulieren, dass er die ausgeprägten soziopathischen Tendenzen zeigt, die für unsere Ziele von Nöten sind, doch ich bezweifele, dass es in einem normalen Umfeld gelingen kann."

    „Meine Herren, bitte! Wir sollten uns alle nun wieder beruhigen", unterbrach eine dritte Stimme den immer hitziger werdenden Disput. Drei Augenpaare richteten sich auf den Sprecher.

    „Ich stimme mit Professor Koczinski überein, dass die bisherigen Ergebnisse beeindruckend sind und die Testperson unsere Erwartungen bei weitem übertroffen hat", betonte der betagte General mit seiner angenehm tiefen Stimme.

    „Dennoch hege auch ich gewisse Zweifel und befürchte, dass wir die Angelegenheit möglicherweise überstürzen."

    Mit einem nachdenklichen Blick zu Professor Koczinski begann er seinen Gehstock kreisen zu lassen.

    „Ich möchte hier unter keinen Umständen offenen Auges in ein zweites Eternity-Desaster hineinstolpern."

    Allgemeines Nicken antwortete ihm, als er ihrer aller Befürchtung offen formulierte.

    Jedem in diesem Raum war der nahezu legendäre Fehlschlag der Menschenversuche im zweiten Weltkrieg bekannt, genau wie die furchtbaren Konsequenzen, die er, trotz der folgenden Vertuschungsaktion, nach sich gezogen hatte.

    „Ich verstehe Ihre Befürchtungen, General", betonte der Professor beschwichtigend.

    „Ich kann allerdings nur noch einmal betonen, dass sich uns vielleicht nie mehr eine derart gute Chance bietet die nächste Versuchsphase einzuleiten, wie jetzt."

    Papier raschelte, als der Professor die Akte wieder aufschlug.

    „Wir begehen einen großen Fehler, wenn wir jetzt nicht im Kielwasser der jüngsten Ereignisse fahren und die Dynamik, die in Gang gesetzt werden wird, für unsere Zwecke nutzen."

    Ein Räuspern ertönte und alle Augen richteten sich auf den Mann, der sich in den Sessel unweit der Tür gequetscht hatte.

    „Wir drehen uns im Kreis, wenn wir den ganzen Abend damit zubringen, uns in den Für und Wider zu ergehen, die wir anhand der Erfolge und Fehlschläge anderer Männer gegeneinander abzuwägen versuchen", ermahnte er die Anderen ruhig.

    „Auch wenn ich ebenfalls skeptisch bin, so bin ich ebenso neugierig darauf, wie die nächste Testphase sich entwickelt."

    Der Sessel knarrte protestierend, als er sich zurücklehnte und die Arme vor dem gewaltigen Bauch verschränkte.

    „Es wundert mich nicht, dass Sie so denken, Mr. Sharp", knurrte der Lobbyist ätzend. Seine Augen richteten sich auf den Mann, der von ihnen allen den entspanntesten Eindruck machte.

    „Nachdem Ihre Firma bereits zwei Skandale überstanden hat, haben Sie außer einem kurzfristigen Fall der Aktien auch nichts zu verlieren."

    Der Konzernchef eines angesehen Waffenunternehmens begann schallend zu lachen.

    „Nur keine falsche Bescheidenheit, Mr. Duncan. Ich bin mir sicher, dass Ihr guter Freund Senator Williams Ihnen auch ein zweites Mal helfen wird, mit reiner Weste und sauberem Ruf aus dem Skandal herauszukommen, sollten wir hier scheitern", konterte er heiter.

    „Ich denke, es ist das Beste, wenn wir darüber abstimmen, ob wir es wagen wollen oder nicht", schlug er vor, bevor der Lobbyist etwas auf den Spott erwidern konnte. Allgemeines Nicken antwortete ihm.

    „Professor?"

    Koczinski nickte bedächtig.

    „Ich bin dafür, dass wir die nächste Phase einleiten."

    „General?"

    Der Mann mit dem weißen Bürstenschnitt schloss einen Moment die Augen.

    „Irgendwann müssen wir es versuchen, wenn wir jemals weiterkommen wollen", murmelte er versonnen.

    „Ja oder nein?"

    „Ja, aber… ."

    „Gut, Mr. Duncan?"

    „Ich bin entschieden dagegen!"

    „Damit steht es drei zu eins, dafür, dass wir die nächste Phase einleiten", fasste der Konzernchef es zusammen, bevor sein Blick wieder zu Professor Koczinski glitt.

    „Professor, informieren Sie unseren Mann, dass er grünes Licht für die Destruktionsphase hat."

    Koczinski nickte eifrig, bemüht sich seinen Triumph nicht anmerken zu lassen.

    „Ich kann hier nur noch einmal betonen, dass wir einen großen Fehler machen!", rief der Lobbyist ärgerlich, als die Männer sich erhoben und auf die Tür zu strebten.

    „Es ist Wahnsinn unsere bisherige Arbeit auf Gedeih und Verderb in die Hände eines gewissenlosen Psychopathen zu legen, den wir kaum kennen."

    *

    „Nein!"

    Gottverdammte Scheiße, nein!

    Cathrynn schrie noch immer als sie erwachte. Schweiß rann ihr Gesicht hinab und mischte sich mit Tränen, die ungewollt aus ihren Augen flossen.

    Sie hob den linken Arm, um die klebrige Feuchtigkeit fortzuwischen.

    Er bewegte sich nicht von ihrer Seite.

    „Lass mich los, Frank!"

    Ärgerlich kämpfte sie gegen den Griff an, der sie unten hielt.

    Sie blinzelte irritiert, als ihr bewusst wurde, dass es keine Hände waren, die sie hielten und der Untergrund auf dem sie lag, nicht der dreckige, harte Boden war, auf dem sie nach dem Einsturz des Farmhauses zusammengebrochen war.

    Zu überrascht, um klar zu denken oder Traum und Realität voneinander zu scheiden, blickte sie sich orientierungslos um. Ihre Augen hatten sich noch nicht weit genug an die Dunkelheit gewöhnt, um mehr als diffuse Schatten zu erkennen.

    Wo war sie, fragte sie sich angespannt, aber die Dunkelheit gab ihr keinen Aufschluss darüber.

    Wieder wollte sie den Arm heben, um sich über das feuchte Gesicht zu fahren, doch noch immer nagelte etwas ihn neben ihrem Oberkörper fest.

    Mit einem genervten Seufzen wandte sie ihren dröhnenden Kopf nach links und keuchte erschrocken bei dem Anblick, der sie dort erwartete.

    Ein breiter Lederriemen war um ihr Handgelenk befestigt und darunter wand sich ein Verband fast den gesamten Unterarm hinauf.

    Schnell drehte sie den Kopf nach rechts, wo sie fassungslos eines identischen Bildes ansichtig wurde.

    Sie versuchte sich aufzurichten, doch ihr Oberkörper bewegte sich nur wenige Zentimeter von der harten Matratze.

    „Beschissen wunderbar", murrte sie seufzend, als sie sich in das gestärkte weiße Kissen zurücksinken ließ.

    Langsam wurde ihr der Unterschied zwischen Realität und Alptraum wieder bewusst, als die Erinnerungen zurückkamen.

    Das einstürzende Farmhaus, das sie in ihren Alpträumen verfolgte, war Vergangenheit, nur eine quälende Erinnerung, die sie, auch ein halbes Jahr nach der ungewöhnlich kalten Novembernacht, nicht losließ.

    In ihren Augen sammelten sich neue Tränen.

    Noch immer fiel es ihr erschreckend schwer, an den vergangenen 26. November zurückzudenken, an dem McConaghey im Einsatz geblieben war.

    Noch immer war es ihr fast unmöglich, an McConaghey zu denken, für den jede Hilfe zu spät gekommen war.

    Cathrynn bezweifelte, dass sie jemals damit abschließen würde, dennoch sah die Gegenwart genauso aus.

    McConaghey hatte es nicht mehr rechtzeitig aus dem brennenden Haus hinausgeschafft und sie war seit dieser Nacht nicht mehr sie selbst gewesen, wie ihre Kollegen ihr einstimmig in den letzten Monaten immer wieder vorgeworfen hatten.

    Auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte, wusste sie, in einem, in letzter Zeit selten beachteten, Winkel ihres Verstands, dass sie recht damit hatten.

    McConagheys Tod hatte sie aus der Bahn geworfen und sie war nicht damit fertiggeworden ihn verloren zu haben. Doch es waren die Ereignisse nach dem missglückten Einsatz gewesen, die sie wirklich hatten zusammenbrechen lassen.

    Sie war zusammengebrochen, erinnerte Cathrynn sich bitter und in den vergangenen sechs Monaten hatte sie nicht die Kraft gefunden, wieder aufzustehen.

    Mit einem trockenen Schluchzen schloss sie die Augen. Sie hatte nicht einmal mehr die Kraft daran zu denken.

    Hätte ihr jemand vor diesem 26. November des vergangenen Jahres gesagt, was die nahe Zukunft für sie bereithielte, hätte sie mit einem schallenden Lachen zu ihrer Beretta gegriffen und den Betreffenden für diese Behauptung erschossen.

    Was hätte sie noch aus der Bahn werfen sollen, hätte sie lachend gefragt.

    Bilder von entstellten, zerfetzten Leichen stiegen vor ihrem inneren Auge auf.

    Sie hatte, seit sie für die Hunter arbeitete, alles gesehen.

    Was hätte sie noch schockieren können?

    Sie trotzte dem Wahnsinn, den der Job mit sich brachte und dem Druck, als einzige Frau in einem Haufen ungehobelter Ex-Special Forces, die beim ersten Anzeichen von Schwäche über sie herfallen würden, jeden Tag.

    Was hätte sie noch erschüttern sollen?

    Momentaufnahmen von verschiedenen Einsätzen blitzten auf, fügten sich zu einem kurzen Film zusammen.

    Sie wusste nicht zu sagen, wie oft sie dem Tod direkt ins Auge geblickt hatte.

    Was hätte sie noch brechen können?

    Der innere Film endete mit einem einstürzenden Haus, gleichwohl in Antwort auf ihre Frage.

    Heute wusste sie es besser.

    Heute kannte sie die Antwort.

    Ein sarkastisches Lachen untermalte Cathrynns Gedanken, während sie zu ergründen versuchte, wie ausgerechnet sie in diese Lage hatte kommen können.

    Das Bild zweier schlichter Grabsteine stieg auf, deren Inschriften ihr höhnisch zuzuzwinkern schienen.

    IAN ALEXANDER MCCONAGHEY

    13.09.1952 – 26.11.1992

    EIRIN CELINE MCCONAGHEY

    30.04.1991 – 26.11.1992

    Irgendwann brach jeder, erinnerte sie sich an die Ermahnung ihres Ausbilders auf der Farm.

    Jener Ausbilder, an dessen Namen sie sich nicht mehr erinnern konnte, wäre wahrscheinlich enttäuscht gewesen, zu erfahren, dass es für sie nicht mehr bedurft hatte, als eines versauten Einsatzes, um sie an den Rand eines Nervenzusammenbruchs zu treiben.

    Am Rand eines Nervenzusammenbruchs!

    Den Rand hatte sie bei dem Tempo, mit dem sie ihn überschritten hatte, gar nicht erst wahrgenommen, brachte sie es bitter auf den Punkt, während sie sich an die Glanzleistung erinnerte, die sie – mal wieder – in diese desolate Situation gebracht hatte.

    „Noch mehr Selbstmitleid ist genau das, was ich jetzt brauche", flüsterte sie mit rauer Stimme in die Dunkelheit.

    „Du brauchst einen Arschtritt."

    Überrascht wandte Cathrynn den Kopf in Richtung der müden, tiefen Stimme.

    Ihre Augen hatten sich inzwischen genug an die Dunkelheit gewöhnt, um mehr als nur einen diffusen Umriss auf der Fensterbank auszumachen.

    Für einen Moment fragte sie sich, warum sie ihren nächtlichen Besucher nicht schon viel früher wahrgenommen hatte.

    „Bist du mein neuer Zimmernachbar oder hast du nur das Ende der Besuchszeit verpennt?", fragte Cathrynn den stämmigen Mann mit dem wirren braunen Haar spitz.

    „Ich bin der Typ, dem du den Arsch dafür küssen solltest, dass du nicht mit Zwangsjacke in der Gummizelle gelandet bist", konterte Nathan ungewohnt bissig, als er sich langsam von der Fensterbank heruntergleiten ließ.

    Auch wenn sie es in der Dunkelheit nicht wirklich sehen konnte, hatte sie den Eindruck, dass er sie mit seinen haselnussbraunen Augen ärgerlich anfunkelte.

    „Schon klar, Dramaqueen", erwiderte sie lachend und schüttelte zynisch den Kopf, als Nathan sich einen Stuhl neben ihrem Bett heranzog.

    „Lache du ruhig! Ich habe gehört, dass sie so was hier mit gewalttätigen Patienten tun", schoss er, definitiv nicht amüsiert, zurück.

    „Ich habe nur meinen Standpunkt zu verdeutlichen versucht."

    Langsam kamen die Erinnerungen an den vergangenen Tag zurück.

    Man hätte ihr Gebaren gewalttätig bezeichnen können, selbst wenn man es wohlwollend betrachtet.

    „Es war nun nicht so, dass ich ihn nicht gewarnt hätte, mir mit dieser Nadel zu nahezukommen."

    Wieder überlief sie ein Schauer, als sie an den Anblick dieses spitzen Dings dachte.

    Sie hatte Spritzen gehasst solange sie denken konnte, ohne jemals herausgefunden zu haben, wo diese absurde Phobie herrührte.

    „Du hast dem armen Mann das Jochbein gebrochen und ihm die Schulter ausgekugelt, als er dir ein Sedativum injizieren wollte."

    Cathrynn konnte sich das Grinsen nicht verkneifen, als sie an diese Glanzleistung dachte.

    „Er war fast zwei Köpfe größer als ich und breit wie eine Schrankwand. Ich bin der Meinung, dass er eine faire Chance hatte."

    „Du hast eine Nahkampfausbildung!", erinnerte Nathan sie trocken.

    „Ich bin auch ausgebildete Scharfschützin, das sagt wohl beides nichts aus!"

    Ein heiseres Lachen stieg ihre Kehle empor.

    „Ganz abgesehen davon, haben mir die Überdosis und der Blutverlust noch zugesetzt", betonte sie mit ihrer besten Unschuldsmiene.

    Als die Worte über ihre Lippen gekommen waren, veränderte sich Nathans Gesichtsausdruck.

    Sie begriff, dass es vielleicht ein Fehler gewesen war, das Thema jetzt anzusprechen.

    Sie war sich nicht sicher, ob sie bereits die Kraft für eine weitere Konfrontation mit ihrem besten Freund hatte.

    „Da du es schon einmal ansprichst,…", nahm er den Gesprächsfaden sofort mit überraschend ruhiger Stimme auf und blickte sie mit unbewegter Miene an.

    Cathrynn ließ sich von seiner offensichtlichen Ruhe nicht täuschen.

    Ein weiterer Blick in sein betont ausdrucksloses Gesicht ließ sie deutlich die Mischung aus Unverständnis und Fassungslosigkeit erkennen, die er hinter diesem zur Schau getragenen Musterbeispiel an Professionalität eindeutig empfinden musste.

    „Bringen wir es einfach hinter uns, Nate. Vielleicht kann ich dann noch ein bisschen schlafen."

    Herausfordernd grinste sie ihn an.

    Warum sollte sie das Unvermeidliche unnötig lange hinauszögern?

    Mit einem tiefen Seufzen schloss Cathrynn ihre brennenden Augen, als sie sich auf die Predigt einrichtete, die nun zwangsläufig folgen würde – so wie all die Male zuvor.

    Es war ein Ritual nach festen Spielregeln, dass sie jedes Mal in stillschweigender Übereinkunft aufführten, ohne jemals gravierend von dem vorgefassten Drehbuch abzuweichen. Er tadelte sie wegen ihres Verhaltens und beschwor sie dann, endlich einzusehen, dass dies hier keine Lösung war.

    Womit er, das wusste sie, vollkommen Recht hatte.

    Es war eine Flucht.

    Das reichte ihr.

    Sie gab sich unnachgiebig in ihrem Beharren, dass ihr Leben keinen Sinn mehr machte und forderte, dass er ihre Entscheidung endlich akzeptierte.

    Das tat er nie.

    Schließlich war sie es immer, die nach einem lautstarken Streit einlenkte und versprach, dass sie es nie mehr tun würde, dass sie versuchen würde, endlich mit der Vergangenheit abzuschließen.

    Auch wenn sie beide ganz genau wussten, dass sie log, nahm er ihr Versprechen hin und sie waren wieder Freunde.

    „Was soll ich noch sagen, außer dass du durchgeknallte Schlampe mich hundert Mäuse gekostet hast", knurrte Nathan trocken.

    „Ich war echt so dämlich dagegen zu wetten, dass du dich nach deinem letzten Versuch nochmal steigern könntest", fuhr er mit einem bitteren Lachen fort.

    „Ihr habt inzwischen Wetten darauf laufen, ob ich mich versuche umzubringen?", keuchte sie fassungslos.

    Das konnte nicht wahr sein!

    „Die Wetten laufen schon seit deinem zweiten Selbstmordversuch, ich habe nur bisher nie mitgemacht", gestand Nathan gleichgültig.

    „Aber ich glaube, das nächste Mal sollte ich besser gegen dich wetten, oder?"

    Sie blickte den stämmigen Hunter weiterhin fassungslos an.

    Das konnte nur ein schlechter Scherz sein, den Nathan sich hier mit ihr erlaubte.

    Ein Schnauben rollte über ihre Lippen.

    „Was?", fragte Nathan mit einem desinteressierten Schulterzucken.

    „Ich glaube es echt nicht, dass ihr Wetten auf mein Leben abschließt!"

    Das war pervers.

    „Du tust gerade so, als würde dir dein Leben etwas bedeuten!", konterte er wegwerfend.

    „Ich dachte wir sind Freunde!"

    Sie bedachte Nathan mit einem anklagenden Blick, den er mit einem weiteren harten Lachen quittierte.

    „Witzig, diese Worte gerade aus deinem Mund zu hören!"

    „Was soll das nun wieder heißen? Ich bin es schließlich nicht, die irgendwelche kranken Wetten gegen dich abschließt!", fuhr sie ihn beleidigt an, was dem Mann an ihrem Bett ein weiteres kurzes Lachen entlockte.

    „Nur um das klarzustellen: Ich habe nicht gegen dich gewettet!", betonte er ruhig, bevor seine Gesichtszüge sich verhärteten.

    „Aber um deine Frage zu beantworten: Würdest du dein aktuelles Verhalten ernsthaft als Ausdruck von Freundschaft bezeichnen wollen?", polterte er los. Sein Blick bohrte sich in ihren.

    „Ich war in der letzten Zeit vielleicht etwas neben der Spur, das gebe ich gerne zu", setzte Cathrynn ruhig an.

    Sie wusste, wenn sie sich jetzt nicht zusammenriss, würde sie jeden Moment explodieren und das Ausmaß der daraus resultierenden Zerstörung konnte sie nicht absehen.

    Wenn es so weiterging, dann würde heute Blut fließen und sie wirklich in der Gummizelle landen, soviel war sicher.

    „Aber das ist mit Sicherheit kein Grund, aus der ganzen Geschichte so ein gottverdammtes Drama zu machen!"

    Er quittierte ihre Worte mit einem fassungslosen Prusten.

    „Du bezeichnest deinen Zustand als „etwas neben der Spur? Meine Liebe, das ist die Untertreibung des Jahrhunderts!

    Nathan erhob sich mit einem ärgerlichen Grunzen.

    Ein flüchtiger Blick in seine Augen machte ihr deutlich, dass sie im Moment nicht die Einzige war, die kurz vor einer Explosion stand.

    „Der Whiskey-Schlaftabletten-Cocktail hätte, für sich genommen, mehr als ausgereicht, um einen ausgewachsenen Elefanten ins Jenseits zu befördern! Aber du überlässt zum Glück nichts dem Zufall und kommst dann noch auf die grandiose Idee, dir die Pulsadern aufzuschneiden!", er unterbrach sich mit einem bitteren Lachen.

    „Ich bin nur froh, dass du dich bis heute noch nicht endgültig entschieden hast, ob du dir die Kugel durch die Schläfe oder durch den Mund ins Hirn jagen willst!"

    Cathrynn zuckte kurz zusammen, als er auf ihren vorletzten Selbstmordversuch anspielte, den er, wie die drei davor, vereitelt hatte.

    „Der Notarzt, den ich gerufen habe, wusste gar nicht, womit er sich zuerst befassen sollte. Damit, deine Blu­tungen zu stillen oder damit, dir den Magen auszupumpen", schloss er mit einem ärgerlichen Knurren.

    „Du hättest den Notarzt nicht zu rufen brauchen!", fauchte Cathrynn aufgebracht.

    „Du kannst dich darauf verlassen, dass ich es beim nächs­ten Mal nicht tun werde!"

    „Hervorragend, Dr. Gregory! Wir machen augenscheinlich Fortschritte!"

    „Merkst du eigentlich nicht, wie lächerlich das ist?", seufzte Nathan kopfschüttelnd und setzte sich dann wieder zu ihr ans Bett.

    „Cat, ich will dir wirklich nichts Böses und wenn wir beide ganz ehrlich sind, dann weißt du selber, dass es so nicht weitergehen kann!"

    „Wage es dich nicht, mir jetzt mit diesem Psychodreck zu kommen!", fuhr sie ihm brüsk über den Mund.

    „Selbst du solltest inzwischen begriffen haben, dass der bei mir wirkungslos ist!"

    In ihrer jetzigen Verfassung war sie ganz sicher nicht mehr zugänglich für sachliche Argumente.

    „Kein Grund gleich aggressiv zu werden", betonte Nathan gelassen.

    „Werde du nicht so herablassend!", brüllte sie ihn an. Sein ruhiges Gebaren machte sie rasend.

    Er blickte sie einen Moment ärgerlich an, dann seufzte er wieder tief.

    „Lass es gut sein, Cat. Es bringt sowieso nichts", murmelte er kopfschüttelnd, bevor er sich langsam erhob.

    Sie blickte ihn perplex an, als er sich abwandte, um das Zimmer zu verlassen.

    Seine zur Schau getragene Resignation hatte ihr den Wind aus den Segeln genommen.

    „Es tut mir Leid", flüsterte sie tonlos und befürchtete für einen Moment, dass Nathan sie nicht gehört hatte.

    Sie räusperte sich, um den Kloß, der ihre Kehle zuzuschnüren drohte, herunter zu würgen.

    „Was genau tut dir leid? Dass du es wieder nicht geschafft hast, dich ins Nirwana zu befördern?", hakte Nathan, weiterhin in diesem unerträglich müden, resignierenden Tonfall, nach.

    Wider Erwarten hatte er sie doch gehört und war im Türrahmen stehen geblieben.

    Cathrynn musste bei seinen letzten Worten hart schlucken.

    Das Brennen in ihren Augen war ein verlässlicher Vorbote eines Schwalls unerwünschter Tränen, die nur darauf lauerten, fließen zu dürfen, doch dazu wollte sie es nicht kommen lassen.

    Sie würde unter keinen Umständen schon wieder plärrend vor Nathan zusammenbrechen.

    „Nate, ich weiß auch nicht, was mich wieder geritten hat", gestand sie mit zitternder Stimme.

    Sein Verhalten begann sie ganz langsam auf einen emotionalen Zusammenbruch zuzutreiben und für einen Moment fragte sie sich hoffnungsvoll, ob das nicht nur eine neue Masche war.

    „Müsste ich raten, würde ich sagen, höchstwahrscheinlich derselbe Schwachsinn, der dir inzwischen seit fast sechs Monaten durch den Kopf spukt", ließ Nathan sich zu einer trockenen Erwiderung herab, während er weiterhin im Türrahmen lehnte und sie mit verschränkten Armen musterte.

    „Es tut mir wirklich leid! Verdammt, was soll ich denn sonst noch sagen?"

    Cathrynn erschrak über die Müdigkeit in ihrer eigenen Stimme.

    Ihre Resignation war echt, das fiel ihr in diesem Moment zum ersten Mal auf.

    „Langsam komme ich zu dem Schluss, dass es hier einfach nichts mehr zu sagen gibt, Cathrynn."

    Seine Schultern sackten herunter, als er sich wieder von ihr abwandte.

    Sie zuckte zusammen als er müde seufzte.

    Ein Schlag ins Gesicht hätte sie nicht annähernd so brutal treffen können, wie der Gesichtsausdruck, den sie noch kurz erhaschen konnte.

    Das hier war keine neue Methode, die er versuchte, stellte sie erschrocken fest.

    Er hatte kapituliert.   

    Sie konnte es ihm noch nicht einmal verübeln.

    Er war immer da gewesen, wenn sie jemanden zum Reden oder zum Heulen gebraucht hatte.

    Er war ohne Zögern immer wieder bereit gewesen, mitten in der Nacht bei ihr zu sitzen, wenn sie das Bedürfnis gehabt hatte, sich heulend an seine Schulter zu schmeißen.

    Selbst als alle anderen Freunde nur noch mit Unverständnis und Ungeduld auf ihr Verhalten reagiert hatten, war er geduldig und mitfühlend geblieben, war es nie müde geworden, ihr Mut zuzusprechen.

    Egal, wie oft sie ihn verletzt hatte, Nathan war immer da gewesen.

    Sie hätte das Handtuch wahrscheinlich schon wesentlich früher geschmissen, wären ihre Rollen vertauscht gewesen.

    „Warum hast du mich nicht einfach sterben lassen?", flüsterte sie, gegen besseres Wissen.

    „Mein Tod wäre für uns alle eine gottverdammte Erlösung, Nathan."

    Cathrynns letzte Worte gingen fast vollständig in einem heiseren Schluchzen unter.

    Sie war nicht mehr in der Verfassung irgendjemandem etwas vorzumachen – nicht sich selbst und schon gar nicht Nathan.

    „Ich habe nicht die Kraft weiterzumachen", gestand sie mit zitternder Stimme.

    Über die kurze Distanz blickte sie Nathan einen Moment an, als er mit einem müden Nicken zurück an ihr Bett trat.

    Cathrynn spürte seine Hand auf ihrer.

    „Ohne ihn ist alles so beschissen sinnlos!", schluchzte auf. Sie spürte, wie Nathan sanft über ihre feuchte Wange strich. Seine Berührung hatte etwas Beruhigendes, etwas Tröstliches. Müde schloss sie die Augen, während ihre Lippen noch immer zitterten.

    „Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr er mir fehlt, wie sehr sie beide mir fehlen", flüsterte sie brüchig und blickte Nathan verzweifelt an.

    Langsam beugte er sich zu ihr, bevor seine Lippen ihre Stirn berührten.

    Cathrynn stutzte kurz, als ihre Blicke sich trafen.

    Waren da Tränen in seinen Augen?

    „Ich weiß, Schatz. Mir fehlen sie auch", flüsterte Nathan mit rauer Stimme.

    Kapitel 2

    Der Traum begann immer auf die gleiche Weise:

    Ein schlammverkrusteter Transporter fuhr vor.

    Männer sprangen heraus, noch bevor er voll zum Stehen gekommen war.

    Fünf Silhouetten konnte er ausmachen, die sich nur schwach gegen die einsetzende Dunkelheit abhoben.

    Stoff raschelte, als Reißverschlüsse hochgezogen wurden. Schwere Stiefel verursachten schmatzende Geräusche auf dem feuchten Boden.

    Männerstimmen flüsterten leise, während hier und da das Licht eines Feuerzeugs aufflammte, als sie ihre Ausrüstung überprüften.

    Ein gedämpftes Lachen, über irgendeinen schmutzigen Witz, wehte an sein Ohr, als Magazine klickten und Klettverschlüsse ratschten.

    Eine Schiebetür knallte.

    Eine weitere Silhouette sprang aus dem Transporter.

    Alle Geräusche verstummten.

    Anspannung wurde spürbar, als Körper sich strafften und die Aufmerksamkeit sich auf den Neuankömmling richtete.

    Midnight, du bleibst mit Apocalypse am Transporter", hob die kalte Stimme des grauhaarigen Einsatzleiters an.

    Er stieß die Luft aus.

    Die Worte erfüllten ihn mit ungeahnter Erleichterung.

    „Ich bin wieder einsatzfähig, Boss!", hörte er im Abwenden die vertraute Stimme des angesprochenen Agenten.

    Sein Mut sank, als er dem ärgerlichen Disput lauschte, dessen Worte er niemals gehört hatte.

    Er wusste nicht, was sich in dieser Nacht vor dem schwarzen Transporter abgespielt hatte.

    Er wusste nur, dass der junge Agent es irgendwie geschafft hatte, Frank umzustimmen.

    Er kannte nur das Ende dieser Geschichte – es war kein gutes Ende.

    „Also schön", gab sich Frank, in seiner Version, seufzend geschlagen und blickte mit stahlgrauen Augen zu einem anderen jungen Agenten.

    Gigolo, das nächste Mal dann! Midnight nimmt deinen Platz ein", hörte er die Worte, die mehr als nur eine Dienstanweisung waren.

    Sie sollten in wenigen Stunden zu einem Todesurteil werden.

    Wie jedes Mal versuchte er sich bemerkbar zu machen.

    Versuchte Frank davon zu überzeugen, dass er sich nicht umstimmen lassen durfte.

    Doch wie jedes andere Mal verhallten seine Rufe ungehört in den Wirren des Traums.

    Das Bild verblasste, als die Männer sich in Bewegung setzten.

    Die Szene wechselte:

    Einer der Agenten schüttelte bedauernd den Kopf.

    Frank wendete gequält den Blick ab.

    Die Mischung aus Trauer, Schmerz und Wut in den grauen Augen, war das Bild, das ihn schweißgebadet erwachen ließ.

    Es war jener Blick gewesen, den Frank ihm geschenkt hatte, als er ihm die erschütternde Nachricht überbracht hatte.

    Mit einem Stöhnen fuhr er auf und blinzelte einen Moment orientierungslos ins Licht der Schreibtischlampe.

    Sein Blick glitt zu der geöffneten Akte auf seinem Schreibtisch und dann auf die Uhr.

    Dies war die zweite Nacht, die er über dem Bericht eingeschlafen war.

    Ihm stand der Sinn nach einem Drink.

    Intuitiv fand seine Hand die Whiskeyflasche neben sich auf dem Schreibtisch, während die Traumbilder ihn wieder zu bedrängen drohten.

    Auch fünf Jahre nach Jasons angeblichem Tod, ließ ihn die Erinnerung nicht los, wenngleich er nie selbst am Einsatzort gewesen war.

    Er war in dieser Nacht nicht mit den Huntern dort gewesen, hatte nicht gesehen, was geschehen war.

    Er kannte nur die Einsatzberichte über diese Nacht.

    Diese kannte er allerdings zur Genüge.

    Gut genug zumindest, um sich ein klares Bild über die Vorgänge zu machen.

    Ein klares Bild dessen, was Frank ihn glauben machen wollte, was geschehen war!

    Er lachte bitter auf.

    Er wusste, dass Frank Jackson die Berichte frisiert hatte.

    Er konnte es ihm nicht nachweisen, aber er wusste es – er fühlte es.

    Nur noch zwei Dinge wusste er mit derselben Sicherheit:

    Jason hatte Frank überzeugt, ihn aktiv an dem Einsatz teilnehmen zu lassen und Jason war von diesem Einsatz nicht zurückgekommen.

    Wie sein Sohn es allerdings geschafft hatte, Frank umzustimmen, das entzog sich seiner Kenntnis.

    Auf Agent Singers Beteuerung hin, wieder voll einsatzfähig nach der Schulterverletzung zu sein, habe ich eingewilligt ihn anstelle Agent Archers dem Alpha-Team zuzuteilen…", rezitierte er im Geist die Worte des Einsatzberichts, während seine Hand automatisch die entsprechende Seite im Dokument aufschlug.

    Alles sei planmäßig verlaufen, hieß es weiter, doch dann sei es zu einem unkalkulierbaren Zwischenfall gekommen, von dem hinterher niemand mehr sagen konnte, was sich genau zugetragen hatte.

    Er hatte Nachforschungen angestellt, hatte jeden Hunter persönlich zu den Ereignissen des Abends befragt, doch jeder der Männer schien an einer vollständigen Amnesie zu leiden, wenn er den Zwischenfall erwähnte.

    Alles sei zu schnell gegangen, hatten die Männer einstimmig beteuert. Es sei nicht mehr mit Sicherheit zu rekonstruieren gewesen, was am Einsatzort geschehen war, lautete Franks offizielle Stellungnahme.

    Er würde jedoch alles in seiner Macht stehende tun, um die genauen Umstände von Jasons Tod aufzuklären, hatte Frank ihm noch im selben Atemzug versprochen.

    Mit einem ärgerlichen Knurren schüttete er den Whiskey hinunter.

    Es hatte eine kurze, oberflächliche Untersuchung gegeben.

    Ausreden, Beschönigungen und falsche Schlussfolgerungen, zusammengefügt zu einem Untersuchungsbericht, der das Papier nicht wert war, auf das er gedruckt worden war.

    Er hatte verbissen weiter gebohrt, besessen davon herauszufinden, was es war, das Frank verheimlichte, doch egal wie sehr er den Agenten zusetzte, er prallte gegen eine unüberwindliche Mauer des Schweigens.

    Er konnte nicht sagen, wie oft er diesen Bericht in den letzten fünf Jahren gelesen hatte.

    Wusste nur, dass mit jedem Mal der Drang stärker wurde zu Frank zu fahren, um die Wahrheit aus ihm heraus zu prügeln.

    Ein paar Male hatte er es ernsthaft in Erwägung gezogen, doch im letzten Moment hatte immer wieder die Vernunft gesiegt.

    Schließlich hatte er sich widerwillig abgefunden.

    Seine Fragen waren verstummt.

    Er hatte die Akte geschlossen, wenngleich er selbst niemals Abschluss hatte finden können.

    Er hatte für seine Familie geschwiegen, als die Zweifel immer lauter wurden und seinen Sohn zu Grabe getragen.

    Mit einem freudlosen Lachen füllte er das Glas erneut.

    Er hatte ein paar verkohlte Überreste begraben, von denen er noch nicht einmal mit Sicherheit sagen konnte, ob sie seinem ältesten Sohn gehört hatten.

    Er persönlich glaubte es nicht.

    Dennoch hatte er seine Rolle überzeugend gespielt.

    Er hatte getrauert, wie man es von ihm erwartet hatte und war dann wieder zum Tagesgeschehen übergegangen.

    Doch entgegen des Eindrucks, den er aller Welt vermittelt hatte, hatte er niemals mit diesem Thema abgeschlossen.

    Er vermochte es nicht, mit diesem Fall abzuschließen, bis er nicht vollkommene Klarheit hatte – eine Klarheit, die ihm nicht vergönnt war zu bekommen.

    Nach wie vor war Frank nicht bereit, ein Wort mehr zu verlieren, als den Verweis auf die Berichte.

    Bei einem dritten Whiskey verfluchte er seinen langjährigen Freund dafür.

    Wieder einmal wurde der Wunsch übermächtig, die Wahrheit gewaltsam aus ihm herauszuholen.

    Natürlich würde er es auch heute nicht tun.

    Viel mehr würde er nur wieder Tage und Nächte damit zubringen, in den Berichten nach einem Hinweis darauf zu suchen, was wirklich geschehen war, wusste er bei einem vierten Glas.

    Nach einem Hinweis, der nicht existierte, ganz egal, wie oft er die Worte las. Nach einem Hinweis, der einfach da sein musste, wenn er jemals seinen Seelenfrieden finden wollte.

    „Wenn ich nur wüsste, was du mir verheimlichen willst", murmelte er ärgerlich, als er sich, mit einem letzten langen Blick auf die Akte in seinen Händen, erhob, um ins Bett zu gehen.

    Der Alkohol begann seinen Zweck zu erfüllen, stellte er zufrieden fest.

    Schnell goss er sich noch ein Glas ein und kippte es in einem Zug hinunter.

    Dann fiel sein Blick auf einen Namen, der sein Herz zum Rasen brachte.

    McConaghey!

    Singer stutze über seine Reaktion.

    Das Glas in seiner Hand hatte zu zittern begonnen.

    Der Name des Hunters hatte etwas in ihm ausgelöst. Ein Hauch von Triumph erwachte in seinen Eingeweiden, wenngleich er nicht sagen konnte warum.

    Morgen, beschloss er zufrieden, würde er McConagheys Akte einer eingehenden Prüfung unterziehen, vielleicht hatte er in all den Jahren doch etwas übersehen.

    *

    Am Konferenztisch hatte sich Schweigen ausgebreitet.

    Blicke huschten nervös umher.

    Eine Frau räusperte sich, um ein unsicheres Lachen zu überspielen.

    Ein Mann grunzte ärgerlich.

    Noch mehr Schweigen.

    Weitere rastlose Blicke.

    Weitere tiefe Atemzüge.

    Niemand wagte, das Schweigen zu brechen.

    Niemand wollte als Erster aussprechen, was sie alle wussten.

    Papiere raschelten.

    Ein Kugelschreiber trommelte ungeduldig auf einen Aktendeckel.

    Die Nachricht des Controllers hatte sie alle aus der Fassung gebracht.

    Vier simple Worte waren es gewesen.

    Möglicherweise wurde Phoenix kompromittiert.

    Vier Worte, die ihrer aller Leben für immer ruinieren konnten.

    Sie mussten schnell eine Lösung finden.

    „Wie soll das möglich sein?", durchdrang ein Flüstern die schon fast sakrale Stille im Konferenzraum des Phoenix-Komitees.

    Blicke huschten erneut hin und her.

    Die bange Frage hatte ihnen allen aus der Seele gesprochen.

    Der Controller lachte hart.

    „William Singer führt gerade seine alljährliche Untersuchung über den Tod seines Sohnes durch", erklärte er dem Komitee.

    Seine Hand fuhr nur leicht in die Höhe, als der kahlköpfige Mann ihm gegenüber den Mund zu einer Erwiderung öffnen wollte.

    „Im Normalfall wäre das nichts, worum wir uns Sorgen machen müssten, wenn der 26. November des vergangenen Jahres nicht gewesen wäre."

    Der Controller suchte kurz den Blick eines blonden Mannes, der links neben ihm saß.

    Allgemeines Nicken war die Resonanz auf diese Worte.

    Jeder im Raum kannte William Singer gut genug, um zu wissen, dass dieser Mann nicht annähernd so naiv war, um an einen Zufall zu glauben, würde er auf die Verbindungen stoßen.

    Und es stand außer Frage, dass der amtierende CIA Direktor auf genau diese Verbindungen stoßen würde.

    Niemand hier konnte sich eine Wiederaufnahme der Ermittlungen um den missglückten Routineeinsatz im vergangenen November leisten.

    „Wir haben keine andere Wahl, als sofort das Crucify-Protokoll einzuleiten", brachte der Controller, nach einer kurzen rhetorischen Pause, ihre Optionen trocken auf den Punkt.

    Wieder hatte er die Aufmerksamkeit aller anwesenden Komitee-Mitglieder.

    Einige Köpfe deuteten ein verhaltenes Nicken an, während andere angelegentlich auf ihre Hände starrten.

    „Gibt es keine anderen Möglichkeiten?"

    Die Senatorin. Apart, opportunistisch.

    „Greta, wir können hier kein Risiko eingehen. Für jeden von uns steht zu viel auf dem Spiel."

    Der Gouverneur. Unscheinbar, skrupellos.

    „Das war nicht meine Frage, James", schnappte die Senatorin ärgerlich, bevor ihre großen braunen Augen sich wieder auf den Controller richteten.

    „Gibt es wirklich keine andere Möglichkeit?", wiederholte sie ungeduldig ihre Frage.

    „Nur eine: Wir blasen das Ganze ab und schreiben schon mal unsere Rücktrittsgesuche", knurrte der Gouverneur, als er noch einmal den Blick der Senatorin suchte.

    Natürlich war diese Option für jeden einzelnen von ihnen indiskutabel.

    Nach diesem kurzen Disput verstummte die Diskussion wieder, der Gouverneur hatte es auf den Punkt gebracht.

    Das Crucify-Protokoll war eigens für einen Ernstfall, wie diesen, entwickelt worden.

    Sie hatten nur diese eine Wahl.

    Der Controller verharrte noch einen Moment im Schweigen, bevor sein Blick sich auf den Mann ihm gegenüber richtete.

    „Darf ich Sie dann mit unserem Zielobjekt bekannt machen?"

    Der interne Ermittler. Bullig, rachsüchtig.

    Mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen reichte er eine dünne Akte herum.

    Nacheinander blickte jeder kurz auf das Bild des Agenten.

    Der Gouverneur stieß einen leisen Pfiff aus, als er die Akte überflog. Grinsend reichte er den Aktenordner an die Senatorin weiter.

    Kopfschüttelnd schloss sie nach einem kurzen Blick ins Dokument den Aktendeckel.

    „Muss es das Mitglied einer Spezialeinheit sein? Das könnte Probleme geben", fragte sie seufzend.

    „Das wird Probleme geben, das kann ich Ihnen versichern, Frau Senatorin! Mit denen ist nicht zu spaßen."

    Der Geheimdienstagent. Makellos, arrogant.

    „Es ist die denkbar beste Wahl, die wir treffen konnten", betonte der interne Ermittler.

    „Ich bin entschieden dagegen! Wenn wir uns ein wenig anstrengen, könnten wir ein weniger exponiertes Zielobjekt finden, ohne eine Revolte innerhalb der Sondereinheiten zu riskieren!", beharrte der blonde Geheimdienstagent vehement. Ärger schwang deutlich in seiner Stimme mit.

    Ärger und noch etwas anderes, was verborgen darunter lag.

    „Für mich klingt das nach einem Interessenkonflikt."

    Der Minister. Alt, sadistisch.

    „Ich habe gewiss keinen Interessenkonflikt! Ich möchte hier lediglich zu bedenken geben, dass diese Wahl einen Krieg mit dem gesamten Geheimdienstapparat auslösen könnte", betonte der blonde Schönling trocken, die Arme vor der Brust verschränkt.

    „Oder ist einer von Ihnen wirklich der Überzeugung, dass diese Männer einfach stillhalten werden, wenn Sie einen von ihnen durch den Dreck ziehen?"

    Ein sarkastisches Lachen ertönte, nach den Worten des Agenten.

    „Korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre! Aber ist es nicht so, dass Sie auch erstaunlich still halten?", fragte der interne Ermittler lauernd.

    Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, als er den Geheimdienstagenten musterte.

    Mit einem Knurren erhob sich der Mann mit den makellosen Gesichtszügen. Sein Blick richtete sich ärgerlich auf den Glatzkopf.

    Die alte Feindseligkeit zwischen ihnen beiden war deutlich spürbar.

    „Wagen Sie es sich nicht, schon wieder meine Loyalität in Frage zu stellen!", drohte er aufgebracht.

    „Meine Herren, bitte!", fuhr die Stimme des Controllers dazwischen.

    Die schwelende Feindseligkeit verebbte augenblicklich.

    „Ist sonst noch jemand dagegen?", fragte der Controller in die Runde, als der blonde Geheimdienstagent wieder in seinem Stuhl Platz genommen hatte.

    Er wartete einen Moment auf weitere Wortmeldungen, doch nur zwei Hände hatten sich gehoben.

    „Dann sind wir uns also einig. Leiten Sie bitte alles in die Wege", richtete der Controller abschließend das Wort an den internen Ermittler, der sich sofort diensteifrig erhob.

    „Mit dem größten Vergnügen."

    Ein verschlagenes Lächeln umspielte seine Lippen, als er die Akte wieder an sich nahm und sich dann vom Konferenztisch abwandte.

    „Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass Sie sich über die neusten Entwicklungen freuen?", zischte der Geheimdienstagent, als er an ihm vorbeiging.

    „Sie sollten wissen, dass ich, wie jeder anderen hier, nur meine Pflicht tue", betonte der interne Ermittler und bemühte sich das triumphierende Aufblitzen in seinen Augen zu verbergen.

    „Glauben Sie mir, ich werde Ihnen auf die Finger schauen, dass Sie Ihr Pflichtbewusstsein nur nicht übertreiben!", versprach der Geheimdienstagent kalt. Seine blauen Augen bohrten sich in die grauen seines Gesprächspartners.

    „Wollen Sie mir drohen?", knurrte der bullige Glatzkopf. Sein Mund verzog sich zu einem zynischen Grinsen.

    Doch sofern es seine Absicht gewesen war, den Schönling damit zu verunsichern, so war es ihm vollständig misslungen, als dieser schallend zu lachen begann.

    „Als ob das von Nöten wäre!", betonte der Geheimdienstagent noch immer lachend, doch dann veränderte seine Miene sich.

    Seine Züge wurden schlagartig hart und wo gerade noch ein Lachen in seiner Stimme mitgeschwungen hatte, klirrte jetzt nur noch Eis.

    „Sie wissen so gut wie ich, dass es zehn Männer gibt, die Ihnen mit Freuden den Arsch aufreißen werden, wenn Sie Ihnen endlich einen Grund dafür liefern. Warum also, sollte ich mir die Mühe machen, Ihnen zu drohen?", fragte er mit einer Kälte und Nonchalance, die dem internen Ermittler für einen Moment alle Farbe aus dem Gesicht trieb, doch dann veränderte seine Miene sich erneut im Bruchteil von Sekunden.

    „Also nichts für ungut, mein Freund", rief der Schönling mit einem warmen Lächeln und klopfte dem Glatzkopf freundschaftlich auf die Schulter, bevor er sich mit einem aufmunternden Zwinkern von ihm abwandte.

    Der interne Ermittler starrte dem blonden Geheimdienstagent noch eine ganze Weile schweigend hinterher, bevor er schließlich zu seinem Handy griff und eine Nummer wählte.

    „Das Crucify-Protokoll wurde soeben eingeleitet, treffen Sie mich in einer Stunde an gewohnter Stelle, für weitere Anweisungen", knurrte er in den Hörer und unterbrach die Verbindung sofort wieder.

    Kapitel 3

    Versonnen starrte Er ins Weinglas, während Er versuchte Seine Gedanken zu ordnen.

    Ein tiefes Seufzen entfuhr Ihm ungewollt, als Ihm bewusst wurde, dass Er seit fast einer Stunde nun nichts anderes getan hatte. Er hatte einfach nur reglos dagesessen, das Weinglas in der Hand und wie hypnotisiert in die dunkelrote Flüssigkeit gestarrt, gleichwohl als hoffte Er in ihr etwas zu erkennen, das Ihm half Ordnung in das Chaos in Seinem Inneren zu bringen.

    Das schwarze Ledersofa knatschte unnatürlich laut in der fast vollkommenen Stille des dunklen Wohnzimmers, als Er das eingeschlafene rechte Bein zurück auf den Boden gleiten ließ und vorsichtig die Zehen bewegte.

    Die Taubheit wich schnell einem unangenehmen Kribbeln, das sich zu einem handfesten Wadenkrampf steigerte.

    Mit geschlossenen Augen genoss Er die willkommene Abwechslung, die der unvermittelte Schmerz für Seinen ansonsten völlig tauben Körper darstellte.

    Schneller als es Ihm lieb war, ließ der Wadenkrampf wieder nach und Er versank erneut in den tauben, gefühllosen Zustand, in dem Er seit dem Anruf vor einer Stunde verharrt hatte.

    Dieser verdammte Anruf hatte Ihm den Abend vollständig verdorben, dachte Er bitter, während Er die rote Flüssigkeit versonnen im Glas kreisen ließ.

    Er hatte gerade zum Sakko greifen wollen, als der schrille Ton des Handys angehoben hatte.

    Es war Sein erster freier Abend seit einer ganzen Weile gewesen und Er hätte jetzt schon längst in einer einschlägigen Singlebar sitzen können.

    Ärgerlich blickte Er zu den Lederschuhen, die Er sich während

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