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Angie
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eBook616 Seiten8 Stunden

Angie

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Über dieses E-Book

Ein dummer Streich beendet für Angie und ihre Freundin Melanie, die Vorfreude auf die Sommerferien und führt die beiden direkt, in die kalte Welt eines Erziehungscamps, das selbst in dieser Versuchsphase, für Angie unverständlich und ungerecht erscheint. Als dann auch noch ein Betreuer umkommt und Melanie vergewaltigt wird, sehen die beiden Freundinnen als einzigen Ausweg, nur noch die Flucht in die Wälder. Schließlich können die beiden nicht wissen, das sie sich in den Wirren eines Verbrecherrings befinden und im Wald, die gleiche Gefahr lauert, wie im Camp.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum21. Nov. 2014
ISBN9783737517850
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    Buchvorschau

    Angie - Danian Stone

    Angie schloss die Augen und öffnete sie dann wieder.

    Nichts hatte sich verändert, stellte sie gelangweilt fest. Doch etwas anderes, hatte sie auch nicht erwartet.

    Das spärlich einfallende Licht der Nachmittagssonne, das durch die schmalen Schlitze, der hinuntergelassenen Rollos schien, tauchte den Raum immer noch in diesen trist wirkenden Farbton, der ohne Frage zur Stimmung im Zimmer passte. Wenngleich dieser rein zufällig entstandene Grauschleier, mit einem einfachen öffnen der Rollos, aus der Welt zu schaffen gewesen wäre, was hingegen an der Stimmung nichts verändert hätte.

    Doch das die Rollos heruntergelassen waren, hatte seinen Grund. Ebenso dass die Deckenlampen abgeschaltet waren. Es war schließlich Hochsommer und die Sonne brannte von außen auf die Rollos, während die Lampen nur zusätzliche Wärme erzeugt hätten. Beides hätte die kaum zu ertragende Temperatur im Zimmer, noch unerträglicher gemacht.

    Sechs Leute saßen hier in einem Stuhlkreis. Ihre Blicke wanderten unauffällig über den Boden und hin und wieder, zu den langen Fensterfronten, wo die Sonne zwischen den schmalen Schlitzen hindurch schien und das wenige Licht im Raum versprühte, das diesen Grauschleier erschuf. Irgendwo im Raum brummte eine Fliege. Mal etwas näher, mal etwas weiter entfernt. Dann über den Köpfen der Anwesenden, und dann war sie wieder verschwunden.

    Angie saß mit dem Rücken zur Fensterfront. Auf ihrem Nacken konnte sie die wärmenden Sonnenstrahlen fühlen, die durch die Schlitze des Rollos brannten. Nicht gerade der beste Platz im Raum. Doch von hier aus konnte sie mit ihren Augen, die Blicke der Anwesenden verfolgen, wenn sie unauffällig an ihr vorbei, auf die Fenster in ihrem Rücken blickten.

    Jeder im Raum wäre lieber draußen, in der brütenden Sonne, herumgelaufen, anstatt hier zu sitzen und sich in diesem Stuhlkreis, in seiner Seele herumpfuschen zu lassen.

    Zumindest sah es Angie so. Dabei lauschte sie kurz.

    Die Fliege hatte wohl irgendwo einen Platz gefunden, denn das Brummen war immer noch verschwunden.

    Dann durchbrach plötzlich Dr. Schwarz die Stille. Die nur dadurch entstanden war, weil jeder der Anwesenden, gedanklich eine Frage zu ergründen versuchte, die Angie nicht einmal richtig mitbekommen hatte.

    Dr. Schwarz war schlank und groß. Fast zwei Meter hoch. Der Stuhl auf dem er saß wirkte unscheinbar und klein, unter seinem Gesäß. Schwarz war Mitte vierzig und wirkte für sein Alter noch erschreckend jung. Angie starrte auf seine Lippen, als wollte sie seine Worte nicht nur hören, sondern auch sehen. Vielleicht  als Entschuldigung dafür, dass sie seit geraumer Zeit komplett den Anschluss an diese tiefgreifende Diskussion verloren hatte.

    Endlich bewegten sich seine Lippen.

    »Wir sollten versuchen diesen Punkt etwas einzugrenzen«, sagte er und blickte dabei nacheinander an den Anwesenden entlang.

    Vielleicht hatte er sich erhofft, dass sein Vorschlag endlich etwas Bewegung in die Runde bringen würde. Doch ein Blick, in die Gesichter der Anwesenden genügte, um zu erkennen, dass diese Diskussion, immer mehr zum Stillstand kam.

    »Welchen Punkt?«, hakte Peter Mengk schließlich nach. Er saß links neben Dr. Schwarz und wirkte irgendwie irritiert. Vielleicht weil auch er den Anschluss verpasst hatte. Oder weil er einfach das Bedürfnis verspürte, sich zu Wort melden zu müssen.

    Mengk war dick. Übermäßig dick. Sein T-Shirt hing unvorteilhaft an ihm hinunter und seine Bermudahosen, gaben viel zu viel, von seinen hässlich weißen Beinen preis.

    »Die Frage, die wir zu erörtern versuchen.«, die Stimme von Dr. Schwarz klang fast ein wenig süffisant. So als könnte er nicht glauben, das ihm niemand folgen konnte.

    Angie schweifte wieder ab. Ihr Blick fiel hinüber zur Tür, über der eine große Runde Uhr hing.

    Genau 14:30 Uhr zeigte sie an.

    Selbsthilfegruppe, dachte Angie für sich und versuchte sich irgendwie abzulenken. Doch in diesem tristen Raum, gab es nichts, das sie auf andere Gedanken bringen würde. Vielleicht einmal abgesehen von der Uhr, über der Tür.

    14:31 Uhr.

    Immer noch nicht 16:00 Uhr. Dieser Scheiß hier würde sich noch endlos dahin ziehen.

    Angie schaute unauffällig an den Teilnehmern entlang, von denen keiner ein wirkliches Problem besaß und Angie hatte für diese Erkenntnis gerade mal vier dieser Sitzungen gebraucht. Doch ihre Meinung spielte hier keine Rolle.

    Da gab es zum Beispiel Susann. Sie war schlank und ihre großen Titten hatte sie in ein derart enges Top gequetscht, dass man fast Mitleid mit ihren Brüsten haben musste. Doch Susann wusste, dass ihre Oberweite, so zu ihrem auffälligsten Merkmal wurde. Ihr Gesicht war zart und besaß etwas Anmutiges. Wenn sie lächelte, dann entstanden zwei kleine Grübchen auf ihren Wangen und ihr Gesicht fing förmlich an zu leuchten.

    Naja, das Leuchten lag vielleicht auch daran, das sie viel zu viel Schminke in ihr Gesicht geschmiert hatte.

    Ihr Äußeres erinnerte stark an eine Nutte und wenn man sie darauf ansprach, dann bekam man die Geschichte von ihrem Vater zu hören, der Türsteher in einem Bordell gewesen war. Bis man ihn erschossen hatte.

    In Wahrheit, hatte Susann nicht wirklich ein Problem. Sie war eine Schlampe und fiel immer wieder auf die falschen Kerle rein. Eine schnelle Nummer, ein kurzer Fick und dann waren die Kerle wieder weg. Ihr ganzes Problem wäre vermutlich mit einem weiteren Top und etwas weniger Schminke behoben gewesen. Doch stattdessen schien es sie anzutörnen, wenn sie hier davon erzählen konnte und den Kerlen im Raum dann jedes Mal der Sabber aus dem Mund lief.

    Neben ihr saß Thomas. Eigentlich ein sympathischer Kerl, mit seinen blauen Augen, dem hellen Anzug und den braunen Lederschuhen.

    Ein Managertyp auf Erfolgskurs.

    Doch die Art, wie er sich bewegte, erschreckte Angie. Sie erinnerte sie an Jemanden, den sie schon so lange zu vergessen versuchte und doch konnte sie sich nicht erinnern, an wen.

    Thomas war schüchtern und vollkommen weltfremd. Seine Meinung zu alltäglichen Dingen des Lebens, widersprach jeder Vernunft. Ging es ums Essen, dann bevorzugte er indonesisch oder afrikanisch. Bei den Getränken dagegen etwas fruchtiges. Wenn er dann beides zu sich nahm, musste er sich übergeben und stellte sich dabei noch die Frage wieso?

    Angie hätte so weitermachen können. Einmal den Stuhlkreis entlang. Keiner von den Teilnehmern hatte ein wirkliches Problem. Sie alle waren einfach nur unfähig, ihr Leben zu bestreiten und suhlten sich dabei, in dem Mitleid, das man ihnen hier, in Form von Verständnis, entgegen brachte und das auch noch aus dem Mund eines Doktors kam. Vielleicht war das der aufbauende Kick, den diese Diskussionen bringen sollte.

    Angie versuchte jedenfalls, sich diesem zu entziehen und bisher war ihr dies auch erfolgreich gelungen.

    Sie war dreiunddreißig und man hatte sie vor die Wahl gestellt. Entweder hierher oder Sozialstunden. Das alles nur, weil sie ihrem Vorgesetzten eine geknallt hatte.

    Das Arschloch hatte es verdient gehabt und die beiden Chefs davor ebenso.

    Naja wie auch immer. Die Frau vom Arbeitsamt hatte das nicht so gesehen und die Anzeige ihres Vorgesetzten, hatte letztlich dazu geführt, das Angie bei Dr. Schwarz gelandet war.

    Jetzt saß sie hier. Versuchte die Zeit totzuschlagen und musste dabei Menschen zuhören, die nicht ansatzweise verstanden hatten, was es bedeutete echte Probleme zu haben.

    »Ich denke der Punkt ist, das jeder Mensch die Zeit bekommen sollte erwachsen zu werden, die er benötigt.«

    Angie horchte auf. Benjamin Fink hatte das gesagt. Er saß links neben ihr und roch unangenehm nach Moschus. Nein, er stank danach. Schwebte in einer Wolke, die mittlerweile auch Angie eingefangen hatte. Benjamin war mittelgroß und besaß einen leichten Bauchansatz. Er war Ende dreißig und seine Frau hatte ihn sitzen gelassen. Seitdem hatte er sein Leben nicht mehr im Griff.

    Dr. Schwarz brummte leise. »Wie lange benötigt denn ein Mensch überhaupt, um erwachsen zu werden?«

    »Sie meinen, wieviel Zeit er benötigt, um das kindliche in sich abzulegen und zwar so, dass dabei keine seelischen Schäden entstehen?«

    »Ein Leben lang!«, stellte Susann fest.

    »Glauben sie denn meine Damen und Herren, das ihre Probleme bereits im jugendlichen Alter entstanden?«, fragte Dr. Schwarz nachdenklich.

    Benjamin fing plötzlich neben Angie an, nervös auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen. So als könnte er es kaum abwarten, etwas zu sagen, von dem er aber in Wahrheit, nicht wirklich überzeugt zu sein schien.

    Dr. Schwarz, dem Benjamins Nervosität ebenfalls auffiel, blickte ihn mit einem Mal auffordernd an und Benjamin hielt erschrocken inne.

    »Ich«, stotterte er, räusperte sich und sagte dann: »Ich habe ein Problem mit Frauen. Vielleicht liegt es daran, dass meine Mutter eine Alkoholikerin war. Wenn ich mich an sie zurück erinnere, dann sehe ich sie nur mit einem Glas in der Hand. Es ekelt mich an, wenn ich dieses Bild vor mir sehe. Ich denke, ich projiziere diese Ablehnung auf jede Frau, die mir zu nahe kommt. Aus dem Grund, hat mich auch meine Frau verlassen.«

    Dr. Schwarz nickte zufrieden, während Angie plötzlich eine innere Wut in sich aufsteigen fühlte. Zum ersten Mal, seit sie hier war, fühlte sie sich dazu berufen, in die Diskussion mit einzugreifen. Dabei sträubte sich ihr inneres dagegen, während ihr Mund bereits längst das aussprach, was sie in ihrem inneren dachte.

    »Deine Frau ist abgehauen weil du ein Idiot bist!«, platzte Angie verärgert heraus.

    Plötzlich wurde es vollkommen still im Raum und alle Augen lagen auf Angie. Sie schaute die anderen verständnislos an. Die Wahrheit war doch, das sie nur das ausgesprochen hatte, was fast jeder hier im Raum dachte.

    Benjamin fing immer wieder damit an und das, obwohl jeder längst verstanden hatte, das seine Frau nur abgehauen war, weil er seine Fehler ständig bei ihr gesucht hatte. Jeder hier im Raum hatte das in den letzten vier Sitzungen verstanden und trotzdem hatte niemand etwas gesagt, sondern jedes Mal nur mitfühlend geseufzt, wenn Benjamin am Ende seiner Ausführungen angekommen war. Aus diesem Grund konnte Angie die Bestürzung der anderen nicht verstehen und fügte noch verärgert hinzu: »Ihr weint euch hier aus, um eure eigenen Fehler von euch wegzuschieben. Du glaubst, dass deine Mutter daran schuld ist, dass deine Frau weg ist. So ein Quatsch. Sie hat deine wehleidige Tour nicht mehr ertragen. Susann lässt sich von jedem schmierigen Typen ficken, nur weil ihr Vater früher in einem Bordell arbeitete und Peter bekommt keinen hoch, weil er seinen Schwanz zwischen seinen fetten Beinen nicht finden kann. Nimm ab!«

    Peter Mengk, der mit seinen Bermudahosen neben Dr. Schwarz saß, lief im Gesicht rot an.

    »Ihr diskutiert darüber, wie lange ein Mensch braucht um erwachsen zu werden. Die Frage ist doch, wieviel Zeit man ihm dafür lässt. Es gibt Menschen, die bekommen dafür gerade einmal drei Wochen Zeit.«

    »Ich…«, fing Peter Mengk an. Dabei schien sein Kopf zu glühen, so hochrot, wie er war. Doch Dr. Schwarz hob seinen linken Arm, vor Peters Gesicht, um ihn auszubremsen und sagte dabei: »Jeder soll hier seine Meinung äußern und nachdem Angela bisher an keiner unserer Diskussionen teilgenommen hat, wollen wir ihr ihre Meinung nicht verwehren.«

    »Sie hat mich beleidigt!«, rief Peter Mengk, dessen hochroter Kopf, jetzt fast zu platzen schien.

    »Ich finde die Aussage, das ich ein Idiot bin, auch nicht sehr amüsant.«, unterstützte Benjamin ihn dabei.

    Dr. Schwarz nickte zustimmend und forderte Angie auf, »Vielleicht kann Angela uns ihre Feststellung genauer begründen.«

    Angie schluckte.

    Ihr würde plötzlich bewusst, dass sie mit ihrer spontanen Reaktion die Aufmerksamkeit im Raum auf sich gezogen hatte. Die Blicke der Anwesenden klebten an ihr, wie ein ekelhafter Schleim, der sie daran hinderte, sich aus dieser unangenehmen Situation herauszuwinden. Von Sekunde zu Sekunde, wurde ihr mehr bewusst, das man auf eine Rechtfertigung, für ihre beleidigende Aussage wartete und schließlich sagte Angie: »Ihr redet euch Probleme ein und hofft dabei, die damit verbundenen Ängste zu überwinden. Doch keiner von euch weiß, was es heißt, wirkliche Angst zu haben. Etwas durchzustehen was dich verändert.«

    Niemand sagte etwas. Stattdessen schienen alle darauf zu warten, das Angie weiter redete.

    Sie schluckte nur.

    Dr. Schwarz, der als Leiter dieser Gruppe erkannte, das Angie sich an einem Punkt befand, an dem eine reale Chance bestand, dass sie sich öffnen würde, durchbrach die Stille im Raum, die nur von der kleinen Fliege gestört wurde, die wieder über ihren Köpfen hinweg flog.

    »Vielleicht willst du uns von deiner Vergangenheit erzählen. Möglicherweise verstehen die Anderen in der Gruppe dann besser, was dich quält.«

    »Mich quält nichts. Nicht mehr.«

    »Du bist aggressiv, verschlossen und….«

    »Ich lasse mir nur nicht alles gefallen.«, Angie wurde laut. Ihre Stimme klang verärgert.

    »Also was hat dich verändert?«

    Alle starrten sie an, während sie völlig unbeeindruckt die Beine übereinander schlug, die Hände um ihr linkes Knie faltete, sich räusperte und dann sagte: »Das Leben. Das Leben bestimmt darüber, wie lange wir Zeit bekommen, um erwachsen zu werden. Mit Problemen fertig werden, die…«

    »Die was?«

    Angie schwieg. Blickte an den Anwesenden entlang und sagte dann: »Es sind die anderen, die unser Leben bestimmen.«

    »Welche Anderen?«

    Angie nahm ihre linke Hand aus der Umklammerung um ihr knie und hob den Arm. »Einfach jeder, mit dem du in Kontakt kommst. Wenn dich zum Beispiel jemand schlägt, dann wirst du zukünftig versuchen, ihm aus dem Weg zu gehen. Oder du schlägst beim nächsten mal zurück. In beiden Fällen, hat dieses Erlebnis aber Einfluss auf dein weiteres Verhalten. Denn du wirst zukünftig vorsichtiger sein, wenn du mit solchen, oder ähnlichen Menschen in Kontakt kommst.«

    »Okay, ich glaube ich verstehe was du meinst.«

    »Was gibt es daran nicht zu verstehen?«, fluchte Angie verärgert.

    »Also sollten wir uns nicht die Frage stellen, wie lange jemand braucht um erwachsen zu werden, sondern sollten vielmehr hinterfragen, in welchem Umfeld er aufwächst.«, Dr. Schwarz brummte nachdenklich.

    »Solche Situationen gibt es in jedem Umfeld.«, sagte Angie währenddessen.

    »Stellt sich dennoch die Frage, was in deinem Leben geschehen ist?«

    Angie schüttelte genervt den Kopf, legte ihre Hand wieder um ihr Knie und verschränkte die Finger, mit ihrer rechten Hand. Dann sagte sie: »Ich war sechzehn. Meine Mutter hatte kurz zuvor einen neuen Freund aufgerissen. Phillip war sein Name und wir alle wussten, dass er aus irgendeiner dunklen Ecke kam. Seine Vergangenheit war ein Mix aus Knast, Gelegenheitsjobs und Arbeitslosigkeit. Und auch wenn es mir schwer fiel, das zuzugeben, war er ein netter Kerl, der sich mit aller Kraft um mich bemühte. Doch ich versuchte ihn stets auf Abstand zu halten. Lebte mein eigenes Leben, während meine Mutter kaum noch aus der Kiste kam. Mir war das nur recht, denn so konnte ich tun und lassen was ich wollte und der Sommer lief gerade zur Hochform auf. Die Ferien standen vor der Tür und das Leben fing gerade an Spaß zu machen. Zumindest glaubte ich das. Doch der Schein trügte und hinter den Hoffnungen und Träumen, die dieser Sommer mit sich bringen sollte, lagen finstere Schatten, denn alles sollte ganz anders werden und den Anfang, nahm es an einem sonnigen Nachmittag….

    »Eine Hure! Seht nur eine Hure! Da geht sie!«, schrie der fette Kerl.

    »Hey Baby, ich hab Zeit.«, dröhnte seine Stimme über die Straße. Donald Herb stand am Rand des Gehsteiges und zeigte über die kaum befahrene Fahrbahn hinweg, auf mich, wie ich auf der anderen Straßenseite, über den Gehsteig lief.

    Dabei grinste er hämisch mit seinem speckigen, vor Anstrengung geröteten Gesicht und verfolgte, wie ich auf der anderen Seite entlang stolperte.

    Es war später Nachmittag und so wie an den meisten Sommertagen, in jenem Jahr, schien auch an diesem, die Sonne vom Himmel herab, als wollte sie die Erde verbrennen.

    Doch ich nahm es kaum war. Konzentrierte mich auf diese verdammten Schuhe und versuchte eine wenigstens einigermaßen gute Figur abzugeben.

    Zum ersten Mal in meinem Leben trug ich solche hochhackigen Schuhe, in denen meine Knöchel bei jedem Schritt schmerzten, während ich damit beschäftigt war, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Womöglich umzukippen, was diese peinliche Vorstellung vermutlich zu ihrem Höhepunkt bringen würde.

    Den fetten Kerl auf der anderen Straßenseite kannte ich flüchtig.

    Sein Name war Donald Herb. Er war etwa vierzig.

    Einer von denen, die man nicht weiter ansah, wenn sie an einem vorbei gingen.

    Donald war fett.

    Unsagbar fett.

    Seine Gesichtshaut ständig überzogen mit einer Schicht aus Körperschweiß und den Resten seiner letzten Mahlzeit. Seine Kleidung verdreckt und an gewissen Stellen eingerissen, was ihn aber nicht weiter zu stören schien. Er stand am unteren Ende der sozialen Leiter und in seiner Situation gab es kaum noch etwas, an dem man sich stören durfte.

    Darum schauten die Menschen weg, wenn sie ihn sahen. Um nicht in die Verlegenheit zu kommen, in sein fettiges Gesicht blicken zu müssen, das ihnen unweigerlich vor Augen führte, wo die Leiter anfing!

    Im Dreck!

    Wer wollte dort schon leben?

    Doch auch wenn ihn die Menschen, für gewöhnlich, nicht zur Kenntnis nahmen. Jetzt stand er im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, so wie er mit dem Finger auf mich deutete. Mit seinem fetten Arsch, hin und her wedelte und er dabei die Blicke der übrigen Passanten auf uns beide zog.

    Ich war sechzehn und in jenem Sommer trug ich langes, dunkelbraunes Haar. Meine Figur war schlank, so wie heute noch und an diesem Tag trug ich einen halblangen Rock, ein weißes Top. Schwarze, kniehohe Strümpfe und diese Pomps. Über meiner linken Schulter, hing ein schmaler, schwarzer Ledergurt, an dessen unterem Ende eine kleine Tasche baumelte, die ich beim Gehen mit der linken Hand leicht festhielt.

    Dabei versuchte ich übermäßig viel mit meinem Hinterteil zu wackeln, was ein aufrechtes gehen, in diesen hohen Schuhen zusätzlich erschwerte.

    Ich hasste diese Dinger.

    Doch eine Wette war eine Wette, und Wettverlierer mussten ihre Schulden begleichen. Das war einfach eine Sache der Ehre.

    Einmal die Straße hinunter und wieder hinauf!

    Ohne dabei umzukippen und es musste nuttig aussehen.

    Das hatte Melanie verlangt!

    Das war es gewesen, was für sie und mich den Reiz an dieser Wette ausgemacht hatte, auch wenn ich nie einen Gedanken daran verschwendet hatte, dass ich es sein könnte, die dann als Nutte die Straße hinauf und hinunter stolzieren müsste.

    Jetzt sah die Sache anders aus.

    Ich schämte mich und versuchte ein gesundes Mittelmaß zu finden. Einen Kompromiss, der einerseits dem Niveau der Wettschuld entsprach und mir andererseits wenigstens ein Quäntchen Würde ließ!

    Bis jetzt hatte auch alles gut geklappt und ein gutes Viertel meiner Schulden, hatte ich schon hinter mich gebracht.

    Bis Donald Herb damit angefangen hatte, über die Straße zu brüllen. Dieser fette Kerl sollte lieber zu seinem Kiosk gehen, vor dem er für gewöhnlich herum hing, anstatt jungen Mädchen nachzubrüllen, dachte ich während, ich ihn brüllen hörte.

    Er war so ekelhaft!

    So abstoßend!

    So fett!

    Ich konnte mich nicht erinnern, dass ich jemanden kannte, der eine noch abstoßendere Wirkung auf mich hatte, als dieser Donald. Mit Ausnahme von Donalds Freund vielleicht. Dem komischen Typen, mit dem Donald Herb für gewöhnlich unterwegs war. Ein ebenso unangenehmer Zeitgenosse, wie er selbst.

    Die Füße dieses Kerls, rochen so intensiv nach Schweiß, dass man es noch riechen konnte, wenn man vier Meter hinter ihm lief. Die Jugendlichen nannten ihn deshalb Stinkfuß. Natürlich wagte es niemand, das in seiner Gegenwart zu sagen, doch das war sein Spitzname.

    In Wahrheit hieß er Reiner.

    Reiner…..

    Ach wie auch immer.

    Weiter wusste ich nicht.

    Die beiden waren mit Vorsicht zu genießen.

    Sie hielten sich für die Größten und waren nichts weiter als kleine Versager.

    Aber von solchen Typen gab es in diesem heruntergekommenen Viertel mehr als genug. Hoffnungslose Existenzen, so wie meine Freundin und ich sie nannten. Menschen, die hinter ihren Wohnungstüren dahin vegetierten und dabei noch glaubten, dass sich irgendwann etwas ändern würde.

    Alles Idioten!

    Melanie und ich, wir hatten uns geschworen, dem irgendwann zu entfliehen. Weg aus diesem Viertel. Weg aus dieser Stadt und vor allen Dingen, weg von meiner Mutter und ihrem Freund.

    Die beiden waren einfach unerträglich.

    Meine Mutter war ungerecht, und selbstsüchtig.

    Egoistisch und ohne Ziel im Leben!

    Nur so kannte ich sie und darum versuchte ich auch, die meiste Zeit nicht zuhause zu sein.

    Mein schlimmster Alptraum war aber der Tag gewesen, an dem mein Vater ausgezogen war.

    Ausgerechnet zur besten Freundin meiner Mutter, Claudia!

    Eine Schlampe.

    Doch als wäre das nicht schon genug gewesen, stand plötzlich Claudias Ex, Phillip vor unserer Tür und noch am selben Tag, zog er bei uns ein.

    Von dem Tag an müsste ich mit einer Situation klar kommen, die ich selbst kaum verstand.

    Was hatte sich meine Mutter überhaupt dabei gedacht?

    Vermutlich hatte sie überhaupt nicht nachgedacht.

    Hatte sich nur das Hirn heraus vögeln lassen!

    Ich hatte es nicht fassen können.

    Was für meine Mutter, in ihrer egoistischen Art, die Erfüllung ihrer großen Liebe war, war für mich nichts anderes, als das bittere Erwachen aus meiner Kindheit.

    Das Ende meiner Jugend und die traurige Gewissheit, dass von jetzt an alles anders sein würde.

    Alles hatte sich plötzlich verändert.

    Mein Vater, der nur drei Straßen weiter wohnte, kannte mich kaum noch.

    Wir sprachen auch nicht einmal mehr richtig miteinander.

    Höchstens Ein paar belanglose Sätze!

    Selbst Donald Herb schrie mir in diesem Moment, mehr entgegen, als mir mein eigener Vater zu sagen hatte, wenn wir uns denn überhaupt mal sahen.

    Warum, fragte ich mich immer wieder?

    Nur weil er eine neue Familie besaß. Er sich jetzt um Claudias Tochter kümmern durfte und ihr die Liebe gab, die eigentlich mir Zustand?

    Warum konnte ich nicht weiterhin ein Teil seines Lebens sein, sondern wurde von ihm behandelt, als sei ich eine Fremde.

    Eine flüchtige Bekannte.

    Ein kurzes Hallo, wie geht’s und das noch in einem Tonfall, der sofort erkennen ließ, das es ihn eigentlich überhaupt nicht interessierte!

    Mehr bedeutete ich ihm nicht mehr und das sollte auch so bleiben.

    Und meine Mutter war nicht besser, denn sie hatte überhaupt nicht verstanden, wie weh sie mir mit dieser Situation getan hatte.

    Für mich hatte seit dem Tag, an dem Phillip eingezogen war, ein Drahtseilakt begonnen, der mich immer weiter von meiner Mutter entfernte. Ständig war ich gezwungen gewesen, mich ihm gegenüber zu behaupten. Aber meine Mutter glaubte ihm sowieso mehr als mir und das, obwohl auch sie wusste, dass Phillips Vergangenheit voller unbeantworteter Fragen war.

    Was immer er sagte, meine Mutter hielt zu ihm.

    Sie war ihm hörig!

    Verfallen!

    Was auch immer.

    Jedenfalls musste ich mich vor ihm in Acht nehmen.

    Er hasste mich und was noch schlimmer war, er wusste, dass ich ihn auch hasste. Zwar ließ er sich nichts anmerken, doch ich wusste es. Phillip war so unheimlich. So geheimnisvoll. Vor seiner Vergangenheit hing ein dunkler Vorhang, hinter dem niemand nachsehen durfte, was sich dort verbarg, und wenn es jemand versuchte, dann wurde er aggressiv. Jede Frage, die einen Einblick gewährt hätte, blockte er verärgert ab.

    Ich hatte es mehrfach versucht.

    Mit bohrenden Fragen.

    Phillip war dann jedes Mal fast wahnsinnig geworden.

    Seit dem ließ ich es auf sich beruhen.

    Wenn meine Mutter schon nicht daran interessiert war, warum wollte ich es dann wissen?

    Nicht einmal Claudia, seine Exfrau wusste etwas darüber.

    Doch das war nicht der eigentliche Grund, weshalb ich ihn hasste.

    Phillip war ein Mann, der mit seiner leiblichen Tochter ebenso umsprang, wie mein Vater mit mir. Darum hasste ich ihn. Er trug mit die Schuld daran, das meine Jugend vorbei war!

    Meine Kindheit den Bach hinunter gegangen war und meine Mutter, hatte es nicht einmal gemerkt.

    Hatte sich nicht mal dafür interessiert!

    Jetzt lief ich also hier die Straße entlang. Noch gut dreißig Meter Weg und Donald Herb brüllte immer noch lauthals zu mir hinüber.

    Meine Beine schmerzten, bis zu den Kniescheiben und meine Zehen rutschten immer tiefer in diese verdammten Schuhe, die Mel, von ihrer Mutter mitgebracht hatte.

    Konnte es noch schlimmer kommen?

    Melanie stand am anderen Ende der Straße und ich konnte sie bis hierher grinsen sehen.

    »Hey Baby! Wie viel?«, Donald Herb wackelte auf der anderen Straßenseite immer noch mit seinem fetten Arsch, hin und her. Dabei fing seine Hose an zu rutschen und er musste sie an beiden Seiten nach oben ziehen, um nicht plötzlich ohne dazustehen.

    Ein Anblick, der bei weitem lächerlicher gewesen wäre, als mein Aufmarsch. Doch anstatt diesen fetten Kerl anzustarren, starrten die Passanten auf mich und schüttelten dabei verständnislos den Kopf.

    Plötzlich schoss Melanie um die Ecke, hinter der sie gestanden hatte und kam auf mich zu.

    Melanie hatte ein längliches Gesicht, weiche Gesichtszüge und schulterlanges, schwarzes Haar. Sie trug eine hellblaue Jeans, weiße Turnschuhe und ein hellrotes Top.

    »Du fettes Arschloch!«, rief die siebzehnjährige plötzlich über die Straße und Donalds Rufe erstarben sofort.

    »Hast du nichts Besseres zu tun, als kleinen Mädchen nachzubrüllen?«, Mel schrie so laut über die Straße, das Donald anfing, sich verlegen umzuschauen.

    Dabei fiel ihm auf, das die Blicke der Passanten plötzlich alle nur noch auf ihm lagen und er wurde sich der Tatsache bewusst, das sein Scherz nicht den Erfolg mit sich gebracht hatte, den er sich erhofft hatte, sondern das stattdessen er vorwurfsvolle Blicke hervorrief, die man ihm jetzt entgegen brachte.

    »Findest wohl keine in deinem Alter!«, Mel hob dabei den rechten Arm und zeigte ihm den Mittelfinger.

    Donalds Gesichtsausdruck wurde plötzlich finster und verärgert.

    Doch Mel schien das nicht weiter zu stören. Sie fühlte sich vor ihm sicher. Hier auf der Straße, wo all die Passanten herum liefen und sowieso alle Blicke auf ihnen beiden lagen, gab es nichts, was sie zu fürchten hatte.

    Donald, dem dies ebenfalls bewusst war, spürte plötzlich eine Wut in sich aufstiegen, die er mit aller Gewalt unterdrückte. Jetzt konnte er nichts tun. Zu viele Augen, waren auf ihn und diese Schlampe gerichtet, doch irgendwann heute, würde er sie finden. Diese Nutte und ihre Freundin!

    Ja eine Nutte!

    Nichts anderes war sie.

    Donald musste innerlich grinsen, während er an sie dachte und dabei seine verwaschene Cordhose hinauf zog, bis sie seinen Bauch umschloss und er sich ohne ein weiteres Wort abwendete.

    Später!

    Dachte er und ging.

    Diese verdammten Nutten!

    Melanie, die mittlerweile bei mir stand, verfolgte noch, wie Donald an diesem warmen Sommer Nachmittag, um die Ecke verschwand und mit ihm die seltsamen Blicke der Passanten. Niemand schaute mehr zu uns hinüber, während wir am Straßenrand standen und immer noch ängstlich in die Richtung blickten, wo Donald Herb verschwunden war.

    So als befürchteten wir, das er zurück kommen würde.

    Doch er würde nicht zurückkommen.

    Wir wussten es beide.

    »Es tut mir Leid!«, sagte Mel und ich fiel ihr mit den wackligen Schuhen fast in die Arme. Dabei misslang Melanies Versuch, mich aufzufangen und aufzurichten, weil ich über meine eigenen Füße stolperte, die vor Schmerz fast taub waren und wir fielen beide auf den Gehweg.

    Polternd landeten wir vor der Hauswand und fingen an zu lachen.

    »Die Klamotten gehen ja noch, aber diese verdammten Schuhe bringen mich um! Wie kann deine Mutter damit laufen?«, rief ich dabei verärgert.

    »Sie zieht die Dinger eigentlich nie an.«, lachte Melanie.

    »Na prima!«, wieder lachten wir und die Passanten blickten zu uns hinab.

    Manche schüttelten den Kopf, andere gingen ohne eine Reaktion weiter. Melanie und ich störten weder die einen noch die anderen.

    Nachdem wir uns wieder beruhigt hatten, verließen wir den Platz vor der Hauswand und zogen uns an unseren Lieblingsplatz zurück.

    Den großen Mülltonnen hinter dem Einkaufsmarkt.

    Zuvor kauften wir uns jeder noch ein Eis.

    Dann setzten wir uns auf die großen, silbernen Container und genossen die Wärme, die von dem in der Sonne aufgewärmten Blech ausging. Von hier aus konnte man die lange Zufahrt zum Einkaufsmarkt, bis vor zur Straße einsehen. Dabei beobachten, wie viele Autos auf den Parkplatz vor den Markt fuhren und wie die Kunden in den Markt rasten. Gleichzeitig hatte man von hier aus einen herrlichen Blick auf die rückwärtigen Höfe, der angrenzenden Häuser, in denen viele Freunde von uns wohnten. Fast in jedem Hof waren wir schon gewesen und keiner wäre es wert gewesen, sich wirklich daran zurück zu erinnern. Die Häuser waren alt, verkommen und die dunklen Steineinfassungen der Höfe halb verfallen. Außerdem gab es dort im Moment nichts zu sehen.

    In den Hinterhöfen herrschte absolute Stille.

    Jeder versuchte irgendwie der Sonne zu entkommen und aus diesem Grund, verließen die Erwachsenen ihre Häuser im Moment nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Darum war es hier, bei den Mülltonnen, so schön ruhig und an diesen heißen Tagen, unser Lieblingsplatz. Auch wenn er sich, zu unserem Leidwesen, bei den Jugendlichen immer größerer Beliebtheit erfreute.

    Es war unser Platz.

    Melanie und ich hatten ihn entdeckt.

    Ich besuchte die letzte Klasse, einer langen, für mich fast unendlich scheinenden Realschuletappe. Eine Ehrenrunde hatte ich gedreht, und so wie es aussah schaffte ich im nächsten Jahr meinen Abschluss. Vermutlich betete meine Mutter jede Nacht darum, dass ich trotz meiner vielen Fehltage, den Abschluss machen würde und wenigstens dieses Martyrium ein Ende fand.

    Melanie war schon ein Jahr weiter, hatte letztes Jahr die Schule mit dem Abschluss verlassen. Eine Lehre begonnen, die sie aber vor einigen Wochen abgebrochen hatte. Die unzähligen Streitereien und Schikanen ihres Ausbilders, hatten sie an einen Punkt getrieben, an dem sie ihm mitten im Laden eine geknallt hatte, worauf ihr fristlos gekündigt wurde.

    Was soll’s!

    Verkäuferin wollte sie sowieso nicht lernen. Alten Weibern, bis ans Ende ihrer Tage, in ihre BH‘s helfen, war nicht gerade die Erfüllung ihres Lebens gewesen und weit entfernt von den Träumen einer siebzehnjährigen.

    Jetzt war sie erst mal wieder auf der Suche. Hatte viel Zeit und würde den ganzen Sommer über mit mir abhängen.

    Schließlich standen die Sommerferien an.

    Nach einer Weile des Schweigens sagte ich: »Wenn wir noch mal wetten, dann laufe ich nicht wieder als Nutte rum!«

    Dabei knabberte ich an meinem Eis herum.

    »War doch lustig!«, lachte Mel.

    »Nimm dich lieber vor Donald Herb in acht.«, warnte ich sie und schob dabei ein großes, abgebissenes Stück des Schokoladenrandes, mit der linken Hand in den Mund. »Hast du seinen Gesichtsausdruck gesehen, als du ihm zugerufen hast?«

    »Er ist ein Arschloch.«

    »Ein hirnloses Arschloch sogar, aber genau das macht ihn so gefährlich!«

    Melanie nickte und war sich durchaus der Gefahr bewusst, die sie mit ihrer Schreierei herauf beschworen hatte. Aber es war ihr egal.

    Schließlich ging es um ihre Freundin.

    Die einzige Person, der sie grenzenlos vertraute und der sie alles erzählte.

    Donald sollte sich gefälligst in Acht nehmen!

    Angeblich war er früher mal ein echter Schläger gewesen, doch die Zeiten waren wohl lange vorbei. Mit seinem Schmierbauch und seinem abstoßenden Äußeren, konnte er höchstens noch alte Menschen und kleine Kinder einschüchtern.

    »Wie wäre es mit einer neuen Wette?«, fragte sie mich schließlich.

    Ich warf den abgenagten Eisstiel achtlos auf den Boden und schaute dabei zu, wie er im Dreck landete. Dann sagte ich: »Um was wetten wir jetzt?«

    »Wir zählen wieder Autos!«

    »Ich setz mich hier nicht wieder hin und zähle die Autos, um darauf zu wetten, das wievielte ein rotes ist!«, rief ich gelangweilt. »Beim letzten Versuch durfte ich mit Pomps über die Straße laufen.«

    Melanie lachte wieder. »War aber echt lustig.«

    »Hör auf!«, ich gab ihr einen freundschaftlichen Stoß in die Seite. »So beschissen habe ich mich noch nie gefühlt!«

    Vorne an der Straße hörte man das abrupte Bremsen eines Autos, gefolgt von einem schrillen Reifenquietschen und dann wurde gehupt. Vermutlich war wieder jemand vom Supermarkt Parkplatz, in die Hauptstraße eingebogen, ohne die Vorfahrt zu beachten.

    Ich verfolgte es nur beiläufig. Gedanken versunken schaute ich auf die Rücklichter eines Autos, das halb in der Straße stand und halb in der Ausfahrt.

    Am liebsten wäre ich jetzt abgehauen!

    Weg von dieser Mülltonne und raus aus der Stadt.

    Mit Melanie natürlich!

    Mit ihr und ihren Ideen, die verrückt genug waren, um sich durchzuschlagen.

    Doch so würde es nie sein!

    Melanie würde nachher wieder heimgehen und auch ich würde zu späterer Stunde in meinem Zimmer sitzen und über all das nachdenken, was ich heute hätte machen können und von dem ich nichts unternommen hatte. Mein Leben war irgendwie wie eine zäh dahin fließende Masse. Dick und träge und man konnte schon vorher sehen, wohin sie floss.

    Und sollte sie aus der Bahn gleiten, war genug Zeit, sie zurück zu drücken. In die richtige Spur und zwar von denen, die ihren weiteren Verlauf bestimmten. Menschen, wie meine Mutter, Phillip….

    Wäre doch bloß auch Melanie dabei, dann wüsste ich wenigstens, dass ich irgendwann, an einem halbwegs vernünftigen Ziel ankommen würde.

    Melanie ging es da schon besser. Ihre Mutter ließ sie machen, was sie wollte. Gab ihr alle Freiheiten und akzeptierte, was sie tat, auch wenn es nicht immer richtig war.

    »Der Supermarkt macht zu!«, hörte ich sie plötzlich sagen und kehrte aus meinen Gedanken zurück, in die Realität.

    »Schon so spät?«, fragte ich abwesend.

    »Ich hol schnell noch was!«, Melanie sprang von dem Container und rannte den Gang vor. Um die Ecke, wo sie aus meinem Blickfeld verschwand.

    Nach einer Weile kam sie mit einer Tüte Chips zurück.

    Dazu hatte sie eine Flasche Cola gekauft.

    Beides stellte sie auf den oberen Rand des Containers und krabbelte dann selbst wieder hinauf. Wir öffneten die Tüte und die Flasche und beobachteten dabei die Menschen, die nach und nach ihre Einkäufe zu ihren Autos brachten.

    Manche von ihnen kamen sogar hierher, um sich der Verpackungen zu entledigen, die sie schon auf dem Parkplatz von ihren Einkäufen abgerissen hatten.

    Kisten von Elektrogeräten, Schuhkartons und so weiter.

    Dann warfen sie uns einen freundlichen Blick zu, oder schauten bewusst nicht nach oben.

    Idioten eben, wie es hier viele gab.

    So verging die Zeit.

    Es wurde schon dunkel, als sich Melanie und ich auf den Heimweg machten.

    Der Supermarkt hatte schon lange zu gemacht und nachdem Melanie mit mir auch noch die letzte, noch so kleine Unwichtigkeit besprochen hatte und es mittlerweile fast zweiundzwanzig Uhr geworden war, drängte ich darauf, endlich heim zu kommen.

    Wir verließen unseren Platz auf den Mülltonnen, gingen den langen Hinterhof entlang, bis vor zur Straße, wo wir uns trennten. Melanies Wohnung lag von hier aus, in entgegen gesetzter Richtung.

    Zu blöd.

    So musste von hier aus, jeder für sich alleine weitergehen.

    Ich hatte es dabei einfach.

    Mein Häuserblock lag kaum drei Straßen weiter, in Richtung Innenstadt.

    Ein angenehmer Spaziergang. Die Luft war noch warm und die Straßenlampen beleuchteten die Gehwege.

    Je näher ich der Innenstadt kam, mit den breiten Fußgängerzonen, desto belebter wurde wieder der Gehweg. Die Menschen spazierten an den geschlossenen Geschäften vorbei und boten mir eine innere Sicherheit, die mich ohne Angst und in aller Ruhe, durch die Straßen schlendern ließ.

    Ich wendete mich nochmals kurz um und sah weit hinten Melanie, die um die Ecke einer Häuserfront verschwand und so aus meinem Blickfeld.

    Dann ging ich etwas schneller. Es war zeit nach hause zu kommen.

    Melanie fühlte sich alleine auf dem Weg nach Hause.

    Gerne wäre sie mit mir in die andere Richtung gegangen, doch dann wäre sie nie nach Hause gekommen.

    In ihrer rechten Hand hielt sie die Schuhe, die sie sich von ihrer Mutter ausgeborgt hatte und ließ sie mit jedem Schritt vor und zurück schwingen. Während sie in der anderen Hand, die Tasche trug, die ich getragen hatte.

    Tragen musste.

    Schließlich hatte ich die Wette verloren.

    Bei dem Gedanken an diese Wette, musste sie schmunzeln. Sie entsprach genau dem Blödsinn, den wir beide gerne auslebten und warum auch nicht?

    Wir waren beide jung und voller Hoffnungen auf ein besseres Leben.

    Die Straße wurde hier etwas enger und die großen Lampen warfen kaum noch Licht in diese Verengung, die auf beiden Seiten von Hausvorbauten begrenzt wurde.

    Plötzlich zuckte Melanie zusammen.

    Eine Hand legte sich auf ihre linke Schulter und hielt sie unsanft fest.

    Melanie drehte sich um und schaute in das Gesicht von Donald Herb.

    Sein alkoholisierter Atem schlug ihr entgegen, wie ein böser Dunst, der auf sie zuflog und sich in ihrer Nase festbiss.

    »Wie geht’s denn so?«, fragte er spöttisch und packte das Mädchen so fest am Oberarm, dass Melanie schmerzerfüllt ihr Gesicht verzog. Gelähmt vor Angst, starrte sie ihn an und versuchte den Schmerz zu unterdrücken, um ihm nicht die Genugtuung zu geben, dass er ihr wehtat.

    Donald zog an ihrem Arm, drückte sie nach hinten, wo eine Tür aufflog und er sie mit einem brutalen Ruck, in einen Hausflur stieß.

    Melanie war sprachlos. Unfähig auch nur ein Wort zu sagen. Der Lichtschalter klackte, die Lampe flammte auf. Melanie blinzelte und sah neben Donald seinen Freund Reiner stehen. Der Geruch seiner Füße zog über den Boden hinweg, auf den Melanie gefallen war und stieg langsam in ihre Nase. Seine grinsende Fratze starrte sie an, als wollte er sich jeden Moment auf sie stürzten.

    Melanie sah die Schuhe, die sie in der Hand getragen hatte, vorne im Eingang liegen und die Tasche, war direkt vor Reiners Füße gefallen.

    Angeekelt erhob sie sich und drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand.

    »Gar keine so große Klappe wie heute Mittag!«, fauchte Donald sie an.

    »Was wollen sie?«, stotterte Melanie, die langsam wieder ihre Sprache fand.

    »Nur mit dir reden«, wimmerte Don, der Melanies ängstlichen Unterton in ihrer Stimme bemerkt hatte.

    »Lassen sie uns einfach in ruhe.«, verlangte Melanie und schluckte.

    »Das will ich aber nicht!«, wimmerte Donald weiter und seine alkoholisierte Stimme klang dabei übertrieben hoch. Gespielt hysterisch.

    »Sie haben meine Freundin erniedrigt!«

    »Erniedrigt!«, rief Donald laut. Seine Stimme hatte plötzlich jeden Anflug von Verspieltheit verlosen. Er schaute dabei zu seinem Freund, der über sein schmales Gesicht grinste und und sich sein fettiges Haar mit der Hand zurück strich.

    »Wie könnte man zwei Schlampen wie euch erniedrigen?«, fragte Donald Melanie.

    Sie sah ihn nur schweigend an.

    »Na wie denn?«, wiederholte er seine Frage und sein Alkohol getränkter Atem, zog direkt in Melanies Nase.

    »Ich weiß es nicht!«, versuchte sie sich zu verteidigen. Während ihre Stimme zitterte und ihr Puls raste.

    »Ihr seid kleine Schlampen! Mehr nicht. Ihr seid schon ganz unten!«, dabei fuhr er ihr, mit seiner speckigen Hand über die Wange, so dass Melanie anfing zu weinen.

    Als er ihre Tränen sah, hielt er inne und sein speckiges Gesicht fing an zu Grinsen. Es schien ihm zu gefallen, das Melanie vor Angst zusammenbrach. Doch dann verschwand sein Grinsen und mit einem Mal, holte er aus und schlug ihr ins Gesicht, so dass sie wieder zu Boden fiel.

    »Sieh nur Reiner! Sie ist ganz unten!«, rief er dabei und Reiner trank einen Schluck, aus einer Flasche, die er hinter seinem Rücken versteckt gehalten hatte und die er erst jetzt wieder hervor holte. Er nahm einen langen Schluck und gab die Flasche dann an Donald, der ebenfalls trank.

    Den Rest des Inhaltes, kippte er über Melanie aus.

    Der Geruch von Alkohol war plötzlich überall und sie spürte, wie ihre Angst umschlug in Panik. Am liebsten hätte sie geschrien. Doch Donald hätte vermutlich die Scheiße aus ihr heraus geprügelt, so wie er sich gerne ausdrückte, wenn sie dies getan hätte.

    Die beiden Männer waren betrunken und es schien ihr das Beste zu sein, sich einfach nur still zu verhalten. Doch Donald sah das anders. In seinem durch Alkohol gestärkten Dämmerzustand, fühlte er sich plötzlich zurückversetzt, in seine alten Tage, als er noch der König der Straße gewesen war. Damals hätte er diese kleine Nutte zertreten wie eine Ameise. Sie zerquetscht und jetzt lag sie vor ihm. Hilflos und klein, während er die Oberhand besaß. Sein Gesicht fing an zu grinsen und er fing an, auf das Mädchen einzutreten.

    Immer und immer wieder.

    Seine Tritte lösten in Melanie qualvolle Schmerzen aus, während sie einfach nur dalag und versuchte, sich mit Armen und Händen zu schützen. Doch er trat immer wieder auf sie ein und immer wieder an eine andere Stelle.

    Melanie krümmte sich. Sie versuchte nicht zu schreien, um Donalds Zorn nicht noch weiter zu steigern.

    Doch Donald war wie in Rage und trat weiter zu. Immer und immer wieder. Er trat so lange und so fest, auf das am Boden liegende Mädchen ein, bis ihr Körper fast taub war und jeder weitere Tritt die Schmerzen in ihrem Körper nicht weiter steigern konnte. Sein Lachen klang so weit entfernt und die Schmerzen in ihrem Körper fühlten sich so kalt an.

    Mit einem Mal hörte sie Reiner sagen: »Komm lass gut ein!«

    Seine Stimme klang ängstlich und zögernd, während Melanie regungslos auf dem Boden lag und weinte.

    »Was ist los mit dir!«, fauchte Donald seinen Kumpanen an. »Hast du Angst ich trete die Kleine tot?«

    »Hör auf!«, Reiner zog Donald von dem Mädchen weg. Raus aus dem Flur, hinaus auf die Straße, wo Melanie ihn immer noch herum schreien hörte. Dann fiel die Tür zu.

    Von da an war es still im Hausflur.

    Melanie fürchtete sich. Sie hatte Angst, dass jeden Moment die Tür wieder aufgehen könnte, doch nichts geschah. Die Stimmen der beiden Männer entfernten sich und mit einem Mal, klackte es im Hausflur und das Licht schaltete sich ab.

    Melanie wollte nicht aufstehen.

    Sie lag auf dem Boden, das Gesicht in ihre Hände gegraben und wartete und hoffte. Hoffte, dass Donald nicht noch mal zurückkommen würde. Sie atmete den Gestank des Alkohols ein, der sich langsam durch ihre Kleidung fraß und wartete, bis es ganz still geworden war.

    Irgendwann ging das Licht wieder an und Melanie zuckte erschrocken zusammen.

    Wie lange sie schon dort lag konnte sie nicht sagen, aber plötzlich fasste sie jemand am Arm an und fragte: »Was ist denn mit ihnen los?«

    Melanie sah auf und blickte in das Gesicht einer älteren Frau, die in den Hausflur gekommen war.

    Ihr Puls raste und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, dann verlor sie das Bewusstsein.

    Als ich an diesem Abend in unsere Wohnung kam, ging ich, wie so oft, zuerst in die Küche.

    Aus dem Schlafzimmer kam das stetig ansteigende Stöhnen meiner Mutter, die sich kurz vor ihrem sexuellen Höhepunkt zu befinden schien und dies mit ihrem Stöhnen bereits ankündigte. So als wollte sie dabei noch etwas sagen, doch mehr kam nicht aus ihrem Mund heraus.

    Ich machte auf dem Absatz kehrt und ging in mein Zimmer.

    Das musste ich nicht hören!

    Ich schloss die Tür und schaltete den Fernseher ein, der neben meinem Bett stand. Der Ton aus dem Fernseher überlagerte die Geräusche von nebenan, auch wenn das Quietschen des Bettes immer noch zu hören war.

    Warum verdammt, musste sie auch ausgerechnet mit diesem Typen ficken, fragte ich mich genervt.

    Schließlich war er ein Arschloch. Er hasste mich, hasste diese Wohnung und er verabscheute meine Mutter. Eigentlich war er nur bei ihr, weil er nicht genug Geld besaß, um auf eigenen Beinen zu stehen und meine Mutter, viel zu naiv war, um das zu erkennen.

    Mein Gott!

    Durchfuhr es mich, während ich auf meinem Bett saß und mit dem Rücken an der Wand lehnte. Wenn eine sechzehnjährige das erkennen konnte, warum nicht eine erwachsene Frau?

    Endlich wurde es ruhig.

    Scheinbar hatte der Spaß seinen Höhepunkt erreicht.

    Ich schaltete den Fernseher wieder ab, ohne darauf zu achten, was da überhaupt in der Glotze lief und suchte nach der Fernbedienung zu meiner kleinen Stereoanlage.

    Das Einzige, das mir von meinem Vater noch geblieben war.

    Die Anlage stand auf einem schmalen Regal an der Stirnseite meines Bettes. Direkt dort, wo ich für gewöhnlich mit dem Kopf schlief. Zumindest immer dann, wenn ich mit einer inneren Zufriedenheit ins Bett ging und dabei

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