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GRIMOIRE: Die Geschichte von dem Beamten der ein Zauberbuch fand
GRIMOIRE: Die Geschichte von dem Beamten der ein Zauberbuch fand
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eBook366 Seiten4 Stunden

GRIMOIRE: Die Geschichte von dem Beamten der ein Zauberbuch fand

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Über dieses E-Book

Sie sind traurig oder verzweifelt? Dann lesen Sie nicht weiter. Es wird alles noch schlimmer werden.

Stellen Sie sich vor: Ein düsteres Gebäude, in dem ein kleiner Beamter haust, ein Beamter, der sich im Reiche der Finsternis eingerichtet hat, so gut es eben geht und sein Leben wäre, wie schon die langen Jahre zuvor, in grauen, aber vorhersehbaren Bahnen verlaufen, wenn nicht.... Ja, eines Tages, als er durch dunkle regennasse Straßen läuft, gerät er scheinbar zufällig in eine Buchhandlung, die er mit einem sehr geheimnisvollen Buch verlassen wird, einem Grimoire, einem Zauberbuch, einem Instrument, durch das Geistwesen Gestalt annehmen. Diese nicht ganz uneigennützigen Helfer verschaffen alles, was wir begehren - Macht, Reichtum, Liebe, Abenteuer - doch diese Dienste haben einen Preis...

Im zweiten Teil schickt ein väterlicher Freund einen ehemaligen Beamten in ferne Länder, um eine Aufgabe zu lösen. Orte gibt es auf dieser Welt, die gelegentlich einen Durchgang gestatten. Selten ist jemand von dort zurückgekehrt. Einer hat es gewagt, um Wesen, die auf der anderen Seite wirken, zu befreien und zu fast ganz normalen Menschen zu machen...

Sie werden eine ganz normale Behörde erleben und die ganz reale Hölle, Sie werden kleinen und großen Teufeln begegnen, Sie werden hier mit der Bahn fahren und in den Ländern Kia und Tenoch mit dem Bus und Sie werden in Träumen reisen. Vor Ihnen liegt ein Entwicklungsroman, ein Reisebericht, eine esoterische Fabel und ein Sciencefictionabenteuer.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum16. März 2018
ISBN9783746708706
GRIMOIRE: Die Geschichte von dem Beamten der ein Zauberbuch fand

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    Buchvorschau

    GRIMOIRE - Tomo J. Seitz

    GRIMOIRE. Die Geschichte von dem Beamten der ein Zauberbuch fand

    Titel Seite

    Erster Teil

    Zweiter Teil

    Tomo J. Seitz

    Die Geschichte von dem Beamten,

    der ein Zauberbuch

    Und ich sage euch: Die Hölle existiert, ebenso wie ihr Pendant, der Himmel, nicht dort draußen, sondern gerade hier. Beide sind mitten unter uns, doch wir sehen immer nur das eine oder das andere, nämlich den inneren Ort, an dem wir uns gerade aufhalten.

    Kennst Du diese alltägliche Finsternis des Menschen, so vertraut, dass sie nicht mehr wahrgenommen wird? Sie schmerzt nicht eigentlich. Du kennst nichts anderes. Du lebst wie Moos in einem Winkel.

    Wenn du selbst glücklich bist, kannst du dir diesen Ort nicht einmal vorstellen.

    Erster Teil

    Erstes Kapitel

    Straßen, wie es sie sonst nur noch im Osten der Stadt gab. Rechts und links am Straßenrand parkende Autos unter Laternen, die nicht wirklich Licht verbreiteten, sondern das durch Regenwolken gefilterte Grau des Tages unterstrichen, das kaum merklich in die beginnende Abenddämmerung überging. Das Kopfsteinpflaster glänzte im Sprühregen. Alles sah ein bisschen düster und freudlos aus und die wenigen Menschen, die ihm begegneten, hatten einen harten Zug um den Mund. Die Häuser bildeten zu beiden Seiten eine geschlossene Front aus hohen Mauern, die erst weit oben einen langen Streifen grau verhangenen Himmels ahnen ließen. Wände mit bröckelnden Fassaden, nur an einigen Stellen Stuck, an anderen unter abgebrochenem Putz nackte Flächen aus rohen Ziegeln wie offene Wunden. Und große kahle Flächen, auf denen sich, wenn man genau hinsah, noch kaum erkennbare, überdimensionale und antiquierte Schriftzeichen fanden, die für Produkte warben, die es schon lange nicht mehr gab. Weiter unten, näher an den grauen, quadratischen Platten, die den Gehweg bedeckten, in gleichförmigen Reihen hohe und ehemals weiß gestrichene Fenster. Dahinter fast weiße Gardinen vor dämmrigem Dunkel. Steinstufen führten hinauf zu abweisenden, dunklen Türen, während andere Treppen nach unten führten, zu Läden in Kellern. Dort wurden Kohlen und Holz verkauft oder Lebensmittel angeboten, vorzugsweise aus fernen Ländern. Manche dieser Lokale sahen aus wie die Läden, die unsere Eltern kannten, in Zeiten, als es noch keine Supermärkte gab.

    Ein Schaufenster, in dunkelbraun gestrichenem Holz gefasst, so klein, dass es leicht übersehen werden könnte. Die Waren, Bücher,

    Regale voller Bücher an den Wänden und Bücher auf den Tischen. Kaum Platz, um zu stehen. Und in einer hinteren Ecke ein Tischchen, an dem, fast hinter gestapelten Schriften verborgen, ein Männlein saß, das den Besucher schon eine geraume Zeit hinter nickelgefassten, starken Brillengläsern musterte. „Kann ich Ihnen helfen? kam es knarrend und durchaus nicht freundlich aus einem Mund, der eher einem Schlitz glich. Irgendetwas stimmte nicht. „Darf ich Ihnen etwas zeigen? Das blutleere Gesicht starrte ihn an. „Ich will Ihnen nichts aufdrängen." Und schon war das grau gekleidete Männchen aufgestanden und stand bedrohlich nahe neben ihm. Herr S. stammelte etwas von er sei zufällig hier vorbeigekommen und wolle sich nur mal umsehen und er spürte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg.

    Geschwind fischte das Männlein ein Buch aus dem Regal und hielt es ihm vor die Nase. „Wäre das etwas für Sie? Und bevor er richtig hinsehen konnte, lag dort noch ein zweites und ein drittes Buch. Zögernd schaute er auf die Titel. „Haben Sie sich schon einmal mit Magie beschäftigt? Und ohne eine Antwort abzuwarten, denn natürlich hatte er sich noch nie mit Magie beschäftigt, fuhr der Graugekleidete fort: „Die Magie gibt Ihnen Macht. Mit Magie können Sie über sich selbst hinauswachsen, dem grauen Alltag entkommen. Sie können ..., und er senkte seine Stimme zu einem Flüstern, als fürchte er, unberufene Ohren könnten ihn hören: „Sie können zum Herrscher der Welt werden. Ein jeglicher Wunsch wird sich erfüllen. Das sind Grimoires, Zauberbücher. Eigentlich verkaufe ich solche Bücher nicht gern, denn sie sind gefährlich. Das graue Männlein machte eine wirkungsvolle Pause. „Sehen Sie sich die Bücher nur ganz in Ruhe an, fügte es in normaler Lautstärke hinzu und schlurfte zu seinem Tischchen. „Soll ich Ihnen das Licht anmachen? Die Strahlen einer nackten Glühbirne unter einem Lampenschirm aus schwarzem Email trafen auf den Bucheinband, den er in den Händen hielt.

    „PRAXIS CABALLE ALBE ET NIGRA

    DOCTOR JOHANNI FAUSTII, MAGII CELEBERRIMI

    DER VIERTE THEIL SEINER OPERA",

    las er auf dickem, vergilbtem Papier, nachdem er den Buchdeckel behutsam aufgeschlagen hatte. Er blätterte weiter und fraß sich durch Zeilen aus schwer entzifferbaren, altertümlichen Buchstaben:

    „HEPTAMERON SEVELEMENTA MAGICA

    Das sind aller Caballisten und Magorum Fundamentale Praxis

    Damit diejenigen, die noch keinen Verstand oder Vorgeschmack von unseren Wissenschaften haben, gleichsam in einem Augenblick Materia finden mögen, wie sie sich in der Caballa alba et nigra üben können, habe ich es für nötig gehalten, die Magischen Elementa ... verständlich darzustellen. ... Alle Geister unterschiedlicher Funktion

    Und beim Weiterblättern fand er neben dem Text ihm unbekannte Zeichen, die Schriftzeichen ähnelten, und Kreise voller Symbole sowie Abbildungen von Wesen, die ihn frösteln ließen. Jedenfalls wurde ihm deutlich, dass er dort etwas in der Hand hielt, das möglicherweise wirklich eine Änderung in seinem Leben herbeiführen könnte. Vielleicht war es wirklich möglich, den Chef verschwinden zu lassen, eine Frau mit drallen Brüsten zu finden oder Geld zu bekommen im Überfluss. Seine Gedanken trugen ihn schnell aus dem trüben, kleinen Raum. Er sah sich nicht nur als großen Herrn in dieser Welt, sondern strahlend wie ein Engel, dort oben im Himmel. Eine irgendwie lauernde Stimme holte ihn ganz schnell zurück. „Wie gefallen Ihnen die Bücher?" Es gab überhaupt keinen Zweifel. Er musste das Buch haben.

    „Dieses Buch ist teuer, schnarrte die Stimme, „doch es kostet mehr als Geld. Er antwortete, doch er erfasste den vollen Sinn der Worte nicht. Eigentlich konnte er so viel Geld nicht hergeben. Und für gewöhnlich gab er Geld nur wohldosiert aus. Doch für dieses gebundene Papier war er bereit, fast jeden Preis in Geld zu geben. Ob er auch bereit war, einen anderen Preis zu zahlen, darüber gab er sich keine Rechenschaft. Seltsam genug, dass er überhaupt so viel Geld bei sich trug, er, der es doch sonst eher ängstlich besorgt vermied, mehr als das gerade Notwendige in der Tasche zu tragen.

    Als er das Buch nach Hause trug, hatte ihn ein seltsames Gefühl erfasst. Er war aufgeregt. Er zitterte fast. Es war ein Zustand, den er bisher nicht kannte und der einen anderen Mann an die erste Begegnung mit einer Frau erinnern würde. Ja, ihm liefen erotische Schauer über den Rücken. Ein Knistern, etwas, das das Blut schneller fließen lässt, die Atemfrequenz steigert; der Körper sondert Schweiß ab, der betörend duftet. Ahh, Aufregung, Neugier. Auch etwas von Angst. So getrieben, lief er in einem unglaublichen Tempo, begierig darauf, endlich das Buch genauer in Augenschein zu nehmen, es in die Hand zu nehmen, über den Einband zu streichen, es zu fühlen.

    Zu Hause schlug er es auf, hastig, noch in seinem dicken, vom Sprühregen feuchten Mantel, der nach verwesenden Blättern roch.

    Zweites Kapitel

    Als er am nächsten Morgen zur Arbeit ging, durch die immergleichen Straßen, auf die der noch vom Schlaf benommene Geist nicht achtete, trug er das Buch, eingepackt und wohl geschützt in dem Papier einer alten Zeitungsseite, in seiner abgewetzten, schweinsledernen Aktentasche, einer Tasche, viel zu voluminös, um nur ein Pausenbrot aufzunehmen und in der Tat enthielt sie viele Dinge, die eigentlich nicht benötigt wurden, die irgendwann mal hineingelegt worden waren und die er vergessen hatte, wieder herauszunehmen.

    Auch wenn er es nicht mehr wahrnahm. Er betrat ein besonderes Gebäude. Überbreite Stufen. Ein gewaltiges Portal. Wie Berge türmten sich über dem Eintretenden Gesteinsmassen. Ein Gebäude aus dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Die Fassade verlangte Ehrfurcht. Der von außen sichtbare Auftakt für eine Aneinanderreihung von Bauten und Höfen, die ein Labyrinth bildeten. Alle Proportionen gerieten entschieden zu groß. Durchgänge, durch die Elefanten schreiten könnten. Fenster, zwar schmal, aber so hoch, dass sie bis zur Decke reichten. Wuchtige dorische Säulen, die nichts trugen. Breite Simse, breite Fenstereinfassungen. An der Fassade, an den Ecken des Gebäudes und als Schlusssteine über Toren und Fenstern fanden sich aus Stein gehauene Bildnisse, vornehmlich Gesichter oder besser Fratzen, Tierköpfe mit menschlichen Zügen, von Löwen, Faunen, Teufeln, aber auch ganze Figuren von Drachen oder Sphinxen.

    Hinter dem Portal eine himmelhohe Eingangshalle, in der die Treppe Platz fand, die nach oben führte, zum Aufenthaltsort der Mächtigen. Beletage. Kulissen, die einmal zur Inszenierung von Macht geschaffen worden waren und die immer noch ihre Wirkung taten, auch wenn diese Macht schon lange vergangen war.

    Wer hier eintrat schrumpfte

    Nur gelegentlich huschten gebeugte Schatten über die Flure und waren alsbald wieder in einem anderen Gang untergetaucht. Wie Ratten schienen die Insassen dieses Gebäudes zu hausen, die bekanntlich am liebsten in ihren dunklen Winkeln verborgen bleiben. Lediglich eine Kategorie von Lebewesen hielt sich gerade auf diesen Fluren auf. Sie bewegten sich eher gemächlich und führten meist einen kleinen Wagen mit sich, mit dem sie von Tür zu Tür wanderten - die Boten.

    Für den Außenstehenden sahen die Menschen in diesem Gebäude wohl alle gleich aus. Er hätte sie nicht auseinanderhalten können, so wie man ungeübt keine Fledermaus von der anderen unterscheiden kann. Sie sahen alt aus, ohne dass man ihnen ein spezifisches Alter hätte zuordnen können, und bleich wie Maden. Die Sonne fehlte ihnen und das Leben.

    .

    Dieses Gebäude hatte schon viele bedeutende Institutionen beherbergt, die inzwischen alle hellere und freundlichere Unterkünfte fanden. Sie machten Platz für eine Behörde, die für Beschwerden zuständig war, weshalb sie auch „Allgemeines Beschwerdeamt" hieß. Nicht, dass dieses Amt viel hätte bewirken können, aber die Menschen sollten das Gefühl haben, jemand sei zuständig, wenn sonst niemand konkret zu greifen war.

    Hier lebte er, denn hier verbrachte er die meiste Zeit seines wachen Lebens. Und er hatte sich hier entsprechend eingerichtet. Sein Zimmer und auch sein Flur bedeuteten fast so etwas wie Heimat für ihn. Heimat, das ist eine begrenzte und damit überschaubare Welt, in der alles bekannt und benannt ist. Und wirklich kannte er die kleinsten Details, eine winzige schadhafte Stelle im Fußboden, eine Lampe auf dem Flur, deren Schein noch einwenig dunkler war als der der übrigen Lampen. In seinem Raum fühlte er sich sicher. Doch anders als eine Wohnung durfte man die Tür nicht verschließen und es gab ein pechschwarzes Telefon.

    Sobald er den schützenden Rahmen seines Zimmers aufgab, wurde es schwierig. Er schlich dann dicht an den Wänden, den Blick auf den Boden gerichtet, zog die Schultern ein und krümmte den Rücken zum Buckel. So mochte er trotz seiner langen Gestalt etwas kleiner wirken und seine meist kürzer geratene Mitwelt weniger provozieren. Es schien tatsächlich, als sei er trotz seiner nicht unauffälligen Gestalt unsichtbar; er wurde übersehen.

    Als Herr S. an diesem Morgen an seinem Schreibtisch saß und durch die lange nicht geputzten Scheiben auf den grauen Innenhof schaute, hatte er zunächst das Buch in seiner Tasche vergessen. Er schaute aus dem Fenster und was er sah glich einem Gefängnishof. Der kleine quadratische und mit groben Steinen gepflasterte Hof weckte ein Gefühl von Ausweglosigkeit. Es gab zwar eine Tür, die

    In seinem hohem, schmalen Amtszimmer brannte nahezu ständig eine Neonröhre, die ein bläuliches Licht ausstrahlte und den Raum hinlänglich ausleuchtete. An hellen Tagen versuchte er ohne künstliches Licht auszukommen, knipste dann aber seine schwarz lackierte Schreibtischlampe an, die ein gemütliches, gelbliches Licht verbreitete, das freilich nur die Schreibtischplatte in Licht tauchte, während der übrige Raum in geheimnisvollem, diffusem Dämmerlicht blieb.

    Den Raum beherrschte ein durchaus großer Schreibtisch aus ehemals hellem, lackierten Holz. Durch langen Gebrauch sah er ein wenig schäbig aus, erfüllte aber durchaus seinen Zweck - wie ein schwerer Wintermantel, der eigentlich mal durch einen neuen ersetzt werden müsste, der es aber noch tut und der immer noch wärmt. Der Inhalt zahlreicher Schubladen ersetzte ein Materiallager. Eine Vielzahl von unterschiedlichsten Schreibwerkzeugen, Stapel unbeschriebenen Papiers, bisher nur einseitig beschriebenes Papier, das noch für Notizen gebraucht werden konnte und Formulare, die allerdings häufig nutzlos waren, weil sie ständig von den zuständigen Stellen irgendwie geändert und als veraltet nicht mehr akzeptiert wurden. Daneben Mappen, Klammern, Tüten, Hefter und

    Auf der Fensterbank blühte blau ein Veilchen, sein ganzer Stolz. Es brauchte nicht viel Licht und gedieh prächtig. Jeden Morgen kontrollierte er mit dem Daumen die Feuchtigkeit des Bodens und goss bei Bedarf mit abgestandenem Wasser aus einer dunkelgrünen ehemaligen Selterswasserflasche. Dieses Wesen sah nicht nur schön aus, wie vielleicht auch ein Gegenstand aus Plastik oder aus Holz - es lebte. Für Herrn S. war das Veilchen fast so etwas wie ein Kamerad. Er merkte sofort, wenn ihm etwas fehlte. Solange sich immer wieder neue Blüten zeigten, war alles in Ordnung. Herr S. erkannte die kleinen, nachwachsenden Stängel, die einmal Blüten tragen würden, schon in allerkleinsten Ansätzen. Doch zeitweise wuchsen keine mehr nach. Dann kamen zwar immer noch neue Blüten, aber nur von den schon vorhandenen Stängeln und da jeder Stängel nur eine begrenzte Zahl von Blüten hervorbrachte und jede Blüte eine zwar relativ lange, doch auch absehbare Dauer besaß, fehlte der Nachschub und die Pflanze würde ohne Blüten sein. Es war klar, dass die Pflanze nicht ununterbrochen blühen konnte. Doch wenn die normalen Blättchen etwas von ihrem Glanz verloren, wenn sie irgendwie stumpf aussahen, wurde es gefährlich. Besonders ärgerte ihn, dass die Putzfrauen die Blume immer wieder hin und her schoben. Eine Blume braucht einen festen, immergleichen Platz.

    Später, nachdem er alles erledigt hatte, was er morgens von sich erwartete, saß er an seinem Schreibtisch, auf dem sich Akten türmten, die einen Geruch nach feuchtem Staub verbreiteten, sozusagen den Eigengeruch des Amtes. Direkt vor ihm auf der Unterlage lagen Beschwerdebriefe auf Rechenkästchenpapier geschrieben, die mit „Wertes Amt anfingen und mit der Maschine geschriebene Briefe, die mit Sehr geehrtes Amt" begannen, als ob das Amt eine Person sei. Alle Briefe trugen einen ordentlichen Eingangsstempel und waren mit verschiedenen farbigen Geschäftsgangsvermerken versehen. Und Zettel lagen auf der dunkelgrünen Schreibunterlage, einige eng beschrieben, in einer kleinen, krakeligen Handschrift, meist mit Bleistift, damit man das geschriebene Wort wieder zurücknehmen konnte. Andere waren noch leer und erwarteten den Stift, der über das angegilbte Papier fahren sollte. Das zuoberst liegende, bereits begonnene Schriftstück wurde heute nicht weiter bearbeitet.

    Er stand auf, nahm die Tasche aus abgegriffenem, ehemals schwarzen Leder, die sich, wie immer,

    Er öffnete hastig die obere linke Schreibtischschublade und bestimmte diese zum gewöhnlichen Aufenthaltsort des Buches, das er sorgsam auf die Hülle aus Zeitungspapier legte. Nun stand die Schublade recht weit offen und ließ einen Blick auf ein aufgeschlagenes, altes Buch zu und zugleich war er jederzeit bereit, die Schublade abrupt zu schließen, wenn ein Besucher das Zimmer betreten sollte. Er betrachtete den vergilbten Einband, auf dem die verschnörkelten, gotischen Buchstaben kaum noch zu entziffern waren und wieder überfielen ihn diese erotischen Schauer. Die Welt, die wir für real halten, versank und Träume bestimmten sein Bewusstsein, Träume, in denen er eine neue Welt schuf, eine Welt, in der es keine bösen Chefs gab, dafür aber engelsgleiche Frauen.

    In diesen Träumen erreichte ihn ein Geräusch, das er zunächst nicht zu identifizieren vermochte, so etwas wie ein zartes Kratzen an der Tür. Eine Weile starrte er auf die vor langer Zeit einmal grau lackierte Tür, doch als sich nichts tat, begannen die Flügel der Gedanken wieder zu wachsen. Er kam nicht dazu, seine Träume fortzusetzen und er hatte auch keine Zeit, in Panik auszubrechen, denn nahezu geräuschlos öffnete sich langsam die Tür und nachdem der Spalt gerade breit genug geworden war, schob sich behutsam ein Wesen hindurch und ein Männlein stand im Raum, noch ganz in der Nähe des Eingangs, zögerte etwas, schloss dann fast abrupt die Tür und kam zwei oder drei Schritte auf den Schreibtisch zu.

    „Entschuldigen Sie, sagte das Wesen und fuhr nach einer kleinen Pause fort, um den begonnenen Satz nicht besonders spektakulär zu beenden, „ ... dass ich hier so hereinkomme und Sie belästige. Eine an sich überflüssige Einleitung. Die gesamte Erscheinung war eine einzige Entschuldigung. Der ungebetene Besucher hätte auch sagen können: „Entschuldigen Sie, dass ich da bin". Nun entstand eine Pause. Das Männlein erwartete offenbar eine Reaktion. Doch Herr S. tat ihm diesen Gefallen nicht. Sein Blick hatte sich von dem Buch in der immer noch geöffneten Schublade gelöst, richtete sich auf den Eindringling und erfasste ein Wesen, das ihm vermutlich nicht gefährlich werden konnte, das ihn aber maßlos störte. Möglichst unauffällig schloss er die Schreibtischschublade.

    Die Gestalt steckte in einem korrekten, wenn auch nicht mehr ganz neuem, dunkelgrauen Anzug, der etwas zu groß wirkte und aus dem krawattengeschmückten, weißen Kragen schaute ein kleiner, runder Kopf mit erstaunlich großen, nahezu runden Augen. Wenn nicht die nicht zu übersehenden Falten und Runzeln gewesen wären, hätte man ihn für einen kleinen Jungen von vielleicht sieben oder acht Jahren halten können.

    Herr S. konnte den Eindringling nicht mehr hinauswerfen. Er war sozusagen Bestandteil des Raums geworden. Eigentlich gab es in diesem Amt keine Besucher und schon gar nicht unangemeldete. Herr S. hatte keine Möglichkeit mehr, darüber nachzudenken, wie das Männlein überhaupt an dem Pförtner vorbei hierher gefunden hatte, denn nun musste es den Schluss gezogen haben, dass keine Reaktion zu erwarten war und es nun selbst etwas tun müsse. So begann es in einer zunehmend sicherer werdenden Sprache, obwohl es immer noch äußerst langsam und mit vielen Pausen - nicht nur am Ende, sondern auch mitten im Satz - vortrug. Dabei näherten sich seine Ellbogen und erweckten den Eindruck, es ringe um den rechten Ausdruck. Das Ergebnis waren wohlgesetzte Worte.

    „Sehr geehrter Herr, der Pförtner schickt mich zu Ihnen, begann es. „Ich möchte mich beschweren. Und ehe Herr S. darauf hinweisen konnte, dass dieses Amt nur schriftliche Beschwerden bearbeitete und während sich in ihm noch ein Ärger über den Pförtner breit machte, der diesen Menschen nicht weggeschickt hatte, fuhr dieser fort: „Mir ist nämlich ein Unrecht geschehen."

    Der Beschwerdeführer legte seine ursprüngliche Schüchternheit erstaunlich rasch ab, redete sich warm und überschüttete ihn mit einem Wortschwall. Herr S. verstand nicht, um was es ging und es interessierte ihn auch nicht. Sein Gegenüber interpretierte seinen erstaunten Gesichtsausdruck als Zustimmung und überreichte ihm nun einen Brief. Wenn Herr S. gedacht hatte, der lästige Besucher würde ihn verlassen und er könnte sich anschließend wieder seinen Träumen widmen, so hatte er sich getäuscht. Denn nun hielt er etwas Schriftliches in den Händen, mit dem irgendetwas zu geschehen hatte. Sein Unmut wuchs. Jetzt musste er nicht nur den Besucher loswerden, sondern sich auch noch mit diesem neuen Schriftstück beschäftigen.

    Den Besucher los zu werden erwies sich leichter als gedacht, denn der hörte nun auf zu sprechen, meinte wohl nicht zu Unrecht, dass mit der Überreichung des Briefs ein Verfahren in Gang gesetzt sei, schrumpfte wieder auf das ganz unbedeutende, ursprüngliche Maß, verbeugte sich noch einige Male, wobei er sich schon rückwärts in Richtung Tür begab und verschwand ebenso lautlos, wie er gekommen war.

    Nun hielt Herr S. dieses Stück Papier in Händen. Aus Erfahrung wusste er, dass es an ihm haften bleiben würde, wenn er erst einmal damit in Berührung gekommen war. Die Vorgesetzten würden es ihm zur Bearbeitung geben. Doch zunächst musste es einen Stempel bekommen, der den Eingang dokumentierte. Flüchtig erreichte ihn ein unerhörter Gedanke. Er könnte diesen Brief einfach verschwinden lassen. Er könnte ihn in ganz kleine, unidentifizierbare Stücke zerreißen und die konfettiähnlichen Überreste in den Papierkorb werfen. Er könnte es auch mit nach Hause nehmen und so dem Schicksal entziehen. Dann könnte er es im Notfall wieder beibringen. Ob nun endgültig vernichtet oder nur entzogen - dann hätte er - zumindest eine lange Weile lang - Ruhe. Und mit diesen Wenns und Hättes entfernte sich sein Geist in unglaublicher Geschwindigkeit und erreichte Orte, die so weit entfernt sind, dass sie selbst mit sehr schnellen Fahrzeugen nicht erreichbar sind.

    Doch ach, so wie jede Reise so muss auch eine Traumreise einmal ihr Ende finden. Er erwachte. Stille umgab ihn und graues Zwielicht. Er schloss die Augen zwar wieder, doch ließ sich die Tatsache nicht leugnen, dass er voll und ganz an seinem Schreibtisch saß. Das Licht fiel auf einige eng und handschriftlich beschriebene Seiten mit Rechenkästchen. Die Gegenwärtigkeiten hatten ihn wieder eingeholt - und die Angst. Er verwarf nun hastig und endgültig den Gedanken, das Papier verschwinden zu lassen - hastig, damit er nicht wieder kommen und ihn in Versuchung bringen möge - und legte es in eine Umlaufmappe, damit es seine Reise antreten konnte, die es zunächst zu der Stelle bringen würde, die alle eingehende Post mit einem Stempel versah und damit für das Amt offiziell und unwiderruflich existent machte. Dort lag es nun, auf dem kleinen Tischchen, dem Aktenbock, bereit für den Boten.

    Von den Boten war bekannt, weil offensichtlich, dass sie Umlaufmappen transportierten. Auf diesen wurden der oder die Empfänger notiert, zu denen die Boten sie bringen sollten. In den Mappen lagen Akten oder Schriftstücke in unterschiedlichen Graden der Bearbeitung, die allesamt schließlich Aktenbestandteile werden und als solche in einer Registratur ihren dauerhaften Platz finden mussten, damit alles jederzeit dokumentiert und bewiesen werden konnte. Daneben verrichteten die Boten Aufgaben untergeordneter Art, wie sie in einer solchen Organisation immer wieder unregelmäßig und unvorhersehbar anfallen. Sie schienen in einer völlig separaten Welt zu existieren - getrennt von der Welt der Kollegen und Vorgesetzten unseres kleinen Beamten. So hatten sie auch eine separate Hierarchie und ebenso separate Dienstbezeichnungen, nämlich Hilfsbote, Zwischenbote, Hauptbote und Oberbote. Stellvertretende leitende Boten und leitende Boten gab es natürlich nicht, denn die oberste Disziplinargewalt musste bei

    Herr S. hatte den Boten, wie gewöhnlich, schon lange vorher gehört und wartete auf das polternde Öffnen der Tür. Die Spannung wuchs ins Unerträgliche, als der rollende Wagen endlich vor der Tür angekommen war. Fröhlich pfeifend, jedenfalls irgendwie geräuschvoll, stand er vor der Tür und sortierte Akten, schob sie hin und her, warf sie auf Stapel. Herr S. versuchte, ruhig zu bleiben, doch angesichts der bevorstehenden Störung gelang ihm das nur sehr unvollkommen. Wut kam hoch, die kein rechtes Ventil fand und von der der Verursacher und Adressat nichts ahnte. Endlich, endlich, kam er herein und verschwand wieder und das Geräusch des Wagens wurde leiser und verstummte. Eine kleine Erlösung.

    Drittes Kapitel

    Nun hatte er auch die bewusste Umlaufmappe hinausgetragen, der Wagen entfernte sich und nahm das Schriftstück mit auf eine Reise zu seinen Vorgesetzten, die ganz gewiss schlimm enden wird. Doch die Reise brauchte Zeit, die Eingangsstelle würde den Eingang dokumentieren, die Registratur ein Aktenzeichen vergeben und eine neue Akte anlegen, die Vorgesetzten, vom Herrn Leiter des Amtes bis zum unmittelbaren Vorgesetzten, den Vorgang lesen und mit Geschäftsgangsvermerken sowie gegebenenfalls mit Anmerkungen versehen. Damit war die Chance groß, für heute in Frieden leben zu können, freilich mit der Angst vermischt, dass das Unheil zwangsläufig kommen musste. Es sind oft gar nicht die ganz konkreten Qualen, die die Hölle ausmachen, sondern die Angst vor diesen Qualen. Und diese Angst kann sich zu einer ständigen Bedrohung steigern, die Grauen heißt. Herr S. kannte diese Angst sehr gut, doch im Laufe der vielen Jahre hatte er auch die Pausen zwischen den Katastrophen zu erkennen und schätzen gelernt.

    Er lebte in diesen Lücken. Glück häppchenweise und in Galgenfristen. Ein Mittel zum Überleben. Es gab kleine und große Spannen: Die üblichen Zeiten der Freizeit, Urlaube, Wochenenden, Feierabende und Mittagspausen, aber auch die Zeit von der Vergabe eines Vorgangs bis zu dessen Fertigstellung

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