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Bananenjäger: Sea World
Bananenjäger: Sea World
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eBook316 Seiten4 Stunden

Bananenjäger: Sea World

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Über dieses E-Book

Christian Rabe heißt der Held dieser Geschichte, der als ehemaliger Soldat der DDR - Volksarmee auf einem sogenannten Bananenjäger anheuert, um die Sieben Weltmeere zu bereisen. Was zunächst als abenteuerliches Märchen vom Erwachsenwerden anmutet, entpuppt sich schnell als tragisch-realistische Schilderung von Überwachung, Kontrollstaat und Verrat. Trotz der politischen Gewichtung seines Buches versteht es Zimanek , auch Spannung und Unterhaltung nicht zu kurz kommen zu lassen. So stößt unser Protagonist auf einen vergessenen Goldschatz, der bald Begehrlichkeiten verschiedener Interessengruppen weckt.....
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum13. Juli 2015
ISBN9783738033854
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    Buchvorschau

    Bananenjäger - Georg Zimanek

    Vorwort

    Dies sind Geschichten, unserem Helden, dem Seemann Christian Rabe vom Munde abgelesen und so aufgeschrieben, dass auch Landratten das meiste davon verstehen. Christian hat mir seine Erlebnisse mit der ausdrücklichen Bitte um wahrheitsgetreue Wiedergabe seiner Worte erzählt.

    Ich kann nicht verhehlen, dass mir mitunter der Angstschweiß den Nacken herunterlief, andererseits wiederum vor Lachen mein Bauch schmerzte, sosehr bewegten mich seine Geschichten von der Staatssicherheit der DDR, von fremden Ländern, seinen Frauen, Piratengold und stürmischer See.

    Auf jeden Fall ist mir bewusst geworden, dass das seefahrende Volk nicht aus den feinsten Menschen besteht, aber beispielgebend ist für ein gutes Miteinander auf engstem Raum, na meistens jedenfalls. Das Erreichen verschiedenster Kulturen in relativ kurzer Zeit erweitert den eigenen Horizont um ein Vielfaches und bringt großes Verständnis gegenüber anderen Sitten und Gebräuchen mit sich.

    Heute fliegt Christian als schneeweiße Möwe über die Meere, und ab und zu hört man sein aufgeregtes Schreien, auch in den Häfen und über den vielen Dächern der Schuppen und Speicher, besonders bei ein- und auslaufenden Schiffen. Achtet mal darauf!

    Vielleicht ist es aber auch ganz anders.

    Liebe Leser, beim Schmökern der Lektüre werden Sie schnell selbst zum »Bananenjäger« – deftige, würzige Kost, ein Menü ganz besonderer Art. Oft unglaublich, aber alles hat sich genau so zugetragen.

    Genug der Vorworte.

    Vorhang auf und viel Spaß wünscht euch G. Z.

    1. Kapitel

    Diejenigen, die in der Volksarmee der Deutschen Demokratischen Republik ihren Wehrdienst von 18 Monaten ableisteten, gelangten spätestens nach der sechswöchigen Grundausbildung zu der Auffassung, dass der Ausbruch des Dritten Weltkrieges näher sei als der erste Heimaturlaub.

    Unterfeldwebel Bernard Beckmann, seines Zeichens Zugführer der 1. Kompanie, Zug 3 des Transportbataillon 8 in Karow/Mecklenburg drehte und wendete einen Brief in seinen hageren Händen. ‚Der kann noch auf seine Post warten’, dachte er, denn Gefreiter Christian Rabe saß im Objektknast.

    Sieben Tage musste er insgesamt abbrummen. Beckmann war wirklich stinksauer auf den Gefreiten Rabe, obwohl er ihn eigentlich mochte. Dieser Soldat hatte seinen sonst so vorbildlich geführten Zug nicht zum ersten Mal in unnötiger Weise in den Dreck gezogen. Beckmann konnte sich deswegen vom Kompaniechef Major Rehberg eine Standpauke abholen.

    In der Kompaniestube stolzierte Rehberg auf dem gebohnerten Linoleum erregt auf und ab und schimpfte lauthals.

    »Wieso lässt dieser Idiot sich auch vom OvD erwischen. In allen anderen Kompanien wird genau so ein Mist gemacht!«

    Der mittelgroße, untersetzt wirkende Rehberg blieb abrupt stehen und wandte sich nicht wirklich freundschaftlich an Beckmann. Nur zu gerne steckte er dabei beide Daumen seitlich hinter seinen Offiziersriemen. Mit leise zischendem Ton sagte er: »Es ist mir egal, womit die Jungs da draußen kochen. Ich befehle dir, dass sich ein solches Vorkommnis in meiner Kompanie nicht wiederholt. Sie sollen sich zumindest nicht erwischen lassen, diese Deppen. Ist das klar?«

    »Jawohl, Genosse Major!«

    Beckmann grüßte stramm und ging leicht angewidert aus der Stube.

    Ja, das kannte er gut von den letzten Jahren, preußischer Drill von morgens bis abends. Die zweite Wehrmacht war das hier, selbst die Uniformen machten kaum Unterschiede.

    Zum Aussprechen einer Strafe erließ der Bataillonskommandeur Oberstleutnant Zaun den Tagesbefehl, das Bataillon in U-Form antreten zu lassen. Er befahl dem Gefreiten Christian Rabe, vorzutreten. Christian schritt langsam und mit hängendem Kopf aus der Reihe. Drei Meter vor dem Kommandeur blieb er ruckartig stehen und machte Männchen. Er führte die rechte Hand zum Kopf und sagte laut und deutlich, die Hacken zusammenknallend:

    »Genosse Oberstleutnant, Gefreiter Rabe auf Ihren Befehl zur Stelle.«

    »Stehen Sie bequem, Soldat!«

    Bei diesen Worten kam der Hüne von Kommandeur ihm gefährlich nahe. Christian sah schon seine Gefreitenbalken von den Schultern fliegen. Aber nein, OSL Zaun tippte ihn mit einem Finger an die Brust und wandte sich, auf den Fußballen seiner spiegelblanken Stiefel drehend, an sein Bataillon. Beide Daumen steckten jetzt hinter seinem breitem Ledergürtel. Er brüllte mehr, als dass er sprach.

    »Dieser Genosse, meine Herren, schaffte es ganz alleine, in vorsätzlicher Weise mit seiner widerwärtigen Tat das gesamte Objekt in erhebliche Gefahr zu bringen. Schändlich und in wehrkraftzersetzender Weise wurde dadurch die Einsatzbereitschaft der ganzen Truppe aufs Spiel gesetzt. Und damit auch der Versuch unternommen, der Deutschen Demokratischen Republik Schaden zuzufügen, sicher zur Freude des Klassenfeindes.«

    Nach einer kurzen Atempause fuhr er mit harter Stimme fort.

    »In der Akte des Genossen Rabe sind schon eine ganze Reihe äußerst schwerwiegender Delikte anhängig.«

    Christians Kopf zog sich immer weiter nach unten, er hatte schon keinen Hals mehr. Der OSL sprach weiter und zeigte dabei mit dem Mittelfinger waagerecht auf den einsam dastehenden Übeltäter. Den Zeigefinger hatte der Kommandeur beim Wurf mit einer Übungshandgranate verloren, die er damals auf dem Schießplatz einfach nicht loslassen wollte.

    »Ich zähle da mal kurz auf: 1. Sturzbetrunken ist der Gefreite Rabe aus dem Ausgang zurückgekommen. Zudem sind ihm beim Herunterspringen vom LKW – Gefreiter Rabe wollte das Alkoholverbot im Objekt umgehen – zwei kleine Flaschen Wodka aus je einem Mantelärmel gefallen – zwei Tage Arrest. 2. Er hat in der Nacht den Standort unerlaubt verlassen und aus der Gaststätte im zwei Kilometer entfernten Dorf Wangelin zwei Fünfliterkanister, gefüllt mit Bier, und zwei Flaschen Wodka ins Objekt geschmuggelt. Der wachhabende Hauptfeldwebel hat die Kanister aus dem 2. Stock am Strick hochgezogen und ihm geholfen, vom Blitzableiter über die Fensterbank in seine Stube zu klettern – lebensgefährlich. Danach begleitete er ihn auch gleich in die Arrestzelle – drei Tage Knast. 3. Wachvergehen: Bei einer Postenkontrolle konnte man den Gefreiten Rabe im Stehen schlafend bewundern. Selbst nachdem man ihm seine Kalaschnikow von der Schulter nahm, schlief er weiter – drei Tage Arrest. Und jetzt und heute wurde Gefreiter Rabe in flagranti erwischt, wie er mit einem sogenannten UFO Kaffeewasser kochte, dieser Schwerverbrecher!«

    Bei diesen Worten griff er in die Tasche seiner Uniformhose und zeigte das Corpus Delicti ostentativ mit einer Hand hoch über sich haltend.

    Die Truppe brachte nun doch erhebliche Mühe auf, ernsthaft in den Reihen stehen zu bleiben.

    »Wer es von Ihnen nicht kennen sollte«, fuhr er lauter werdend fort (sie kannten es alle bis auf den letzten Mann), »dem erkläre ich mal dieses teuflische Gerät. Ehedem schon immer strengstens verboten, wurde hier ein technisch unzureichender Tauchsieder produziert und offensichtlich auch eingesetzt.«

    Der Oberstleutnant drehte das Objekt angewidert über sich haltend in der Runde und führte weiter aus.

    »Etwa fünf Zentimeter im Durchmesser hat diese Blechdose, die einmal Klarsichtscheiben für Gasmasken in sich barg. Die beiden gleich großen Teile wurden verkehrt herum durch einen PSU-Knopf miteinander verbunden. Ich möchte nicht wissen, an wie vielen persönlichen Schutzumhängen die Plastikknöpfe fehlen? Nun sehen wir hier noch ein poröses fünfzig Zentimeter langes zweiadriges Kabel, an dem einen Ende ist jeweils eine abisolierte Ader an den Dosenrand festgemacht. Auf der anderen Seite sind auch zwei am Ende abisolierte Drähte. Soll dann Kaffee gekocht werden, wird das UFO am Kabel in eine mit Wasser gefüllte Tasse gehalten und mit der anderen Hand die blanken Drähte in eine Steckdose geführt. Innerhalb von fünf Sekunden kocht dann das Wasser und manchmal fliegt die Gebäudesicherung heraus. Wahrscheinlich werden wir in Kürze durch solch einen Unfug vollständig abbrennen.«

    Der OSL brüllte sich langsam, aber stetig ein, Speichel sabberte aus seinen Mundwinkeln. Christian hätte sich am liebsten einen Regenschirm aufgespannt. »Das Ganze ist einfach nur lebensgefährlich, Genossen. Wer nach dem Dienst Kaffee trinken möchte, kann das in der Gaststätte des MHO tun. Ich weiß, dass Genosse Rabe nicht der Einzige ist, der mit solchen illegalen Gegenständen arbeitet und ich werde das in Zukunft nicht mehr hinnehmen! In diesem Objekt will ich ein solches Teil nie wieder zu Gesicht bekommen!«

    Er warf das Ufo wütend auf den Boden und trat es heftig mit seinen Stiefelhacken platt wie eine Briefmarke.

    »Übrigens«, schrie er weiter, »gilt das ganz genauso für eine umgebaute Rasierklinge.«

    Sichtlich abreagiert wandte er sich an Christian.

    »Als Erziehungsmaßnahme spreche ich Ihnen sieben Tage verschärften Arrest aus, der sofort anzutreten ist.«

    Christian antwortete spontan mit der Hand zum Gruß und die Haken zusammenknallend.

    »Ich diene der Deutschen Demokratischen Republik!«

    Der Oberstleutnant stemmte staunend die Hände in die Seite, er wiegte seinen massigen Körper leicht nach vorne und hinten und hob die Stiefelspitzen dabei an. »Mann, Sie Trottel, das war doch keine Belobigung. Wegtreten!«

    Auf dem Weg zur Arrestaufnahme dachte Christian: Gott sei Dank nur Knast und nicht degradiert. Ihm fiel ein Stein vom Herzen.

    Beckmann wusste natürlich auch, das Christian eine tragende Säule in seinem Zug darstellte. Der Schnellste auf der Sturmbahn, beste Ergebnisse beim Schießen. Eigentlich immer, wenn es darauf ankam, konnte man sich auf den Soldaten Rabe verlassen. Und mit UFOs und Rasierklingen wurde schon Kaffee und Tee gekocht, solange es den Standort gab.

    Na ja, der Alte degradierte ihn wahrscheinlich nur deswegen nicht, weil er sein Objekt sauber halten wollte. Jede Degradierung musste an die angeschlossene Panzerdivison in Goldberg weitergemeldet werden und warf somit ein schlechtes Licht auf sein Kommando. Selbst wenn einige Soldaten aus dem Ausgang nicht rechtzeitig um ein Uhr nachts zurückkamen , ließ er von seiner Militärpolizei den Ausgangsbereich absuchen, und wenn es zwei Tage dauerte. Eigentlich musste nach vier Stunden Ausgangsüberschreitung eine republikweite Fahndung ausgelöst werden. Der Soldat galt dann als fahnenflüchtig.

    Harte Schale, weiches Herz. Beckmann begab sich auf den Weg zur Arrestzelle, die direkt am Wachgebäude angrenzte. Er trat in die Wachstube ein, um sich den Schlüssel von Christians Zelle zu holen, der OvD tat doof.

    »Den Schlüssel darf ich nicht rausgeben, auf gar keinen Fall. Wissen Sie doch. Was auch immer sein soll, das hat Zeit bis morgen. Dann sind die sieben Tage des Inhaftierten ehedem abgesessen. Wissen Sie doch, oder was?«

    Der Oberleutnant machte sich einen Spaß daraus, den kleinen Kapo abtreten zu lassen. Beckmann verließ murrend die Stube, schlich auf die Rückseite des Gebäudes, wo sich die kleinen vergitterten Fenster der beiden Arrestzellen befanden. Ein Fenster stand auf Kipp offen. Beckmann ließ den Brief durch die Öffnung des Fensters fallen. Dann ging er wie immer gerade, als hätte er ein Lineal verschluckt, zurück ins Kompaniegebäude. Er fühlte sich gut, den OvD ausgetrickst zu haben, diesen Tagessack.

    Beckmann verpflichtete sich damals freiwillig zu drei Jahren Dienst für die »Fahne.« Im Herbst ging seine Dienstzeit zu Ende, damit war auch er endlich Entlassungskandidat, ein richtiger EK. Alle Überredungskünste des Kommandos, dass er seine Armeezeit auf zwölf Jahre aufkohlen sollte, prallten erfolglos an ihm ab. Beckmann wollte ganz einfach raus aus diesem jämmerlichen militärischen Alltag. Dieses ständige Treten und Getreten werden war nichts für ihn.

    Schon Bismarck soll gesagt haben: Bei der Armee gibt es nur zwei Dienstgrade und beide beginnen mit G: Gefreiter und General. Wie wahr, wie wahr.

    Genau am 21. Juni 1975, zehn Uhr morgens. Christian marschierte gedankenverloren

    in seiner kleinen kargen Zelle sinnlos auf und ab, da flatterte plötzlich ein Brief direkt vor seine Füße. Bedanken konnte er sich nicht für diese schöne Abwechslung. Das vergitterte Fenster lag so hoch unter der Decke, das er nicht rausschauen konnte. Sein Schlafbrett wurde ihm Punkt sechs Uhr hochgeschlossen und erst zur Nachtruhe um 22.00 Uhr wieder heruntergelassen. Im Raum stand kein Tisch noch sonst irgend etwas. Wenn er zur Toilette wollte, musste er klingeln und wurde dann zum Wachklo gebracht. So setzte sich Christian auf das einzige zugängliche Möbel, einen morschen Holzhocker und öffnete den Brief. Er versuchte, dabei ruhig zu bleiben. Die Post kam von der Seereederei Rostock, das konnte nur die Antwort auf sein Bewerbungsschreiben sein, bestimmt wieder eine Ablehnung.

    Ihre Bewerbung für die Handelsflotte vom 24.04.1975

    Wir danken Ihnen für Ihre Bewerbung.

    Entsprechend Ihres Schreibens und den in der Handelsflotte gegebenen Einsatzmöglichkeiten konnte Ihre Bewerbung für die Tätigkeit als Maschinenhelfer bearbeitet werden.

    Die beigefügten Unterlagen bitten wir gewissenhaft auszufüllen (keine Frage darf unbeantwortet bleiben, Striche sind nicht zulässig) und bitten Sie, zur Aussprache am 23.07.1975 um 10.00 Uhr pünktlich zu erscheinen.

    Ausspracheort: Schwerin, Filmtheater »Capitol«, Wismarsche Straße 23

    Außerdem benötigen wir 4 Lichtbilder sowie Abschriften von Zeugnissen der schulischen und beruflichen Entwicklung.

    Die Unterlagen sowie Schreibzeug sind zur Aussprache mitzubringen. Sobald Ihre Bewerbung bearbeitet ist, erhalten Sie weitere Nachricht.

    Sollten Sie an der oben angeführten Aussprache ohne Information an uns nicht teilnehmen, können wir Ihre Bewerbung nicht weiter bearbeiten.

    Interessenten für die Aufnahme einer Tätigkeit in der Handelsflotte aus Ihrem Bekannten- oder Freundeskreis können an der Aussprache teilnehmen.

    VEB Deutfracht Seereederei Rostock

    Zentrale Kaderabteilung

    Außenstelle Rostock

    DDR - 25 Rostock 1

    Haus der Schifffahrt

    Christian küsste überglücklich den Brief und presste ihn leidenschaftlich an seine Brust. Er faltete das Schreiben äußerst korrekt zusammen und steckte es verträumt lächelnd ein, holte es dann aber wieder raus. Wohl zwanzig mal hintereinander las Christian das Anschreiben von der Reederei, bis er es auswendig konnte.

    Zum Glück war es diesmal keine Ablehnung.

    Der erste Schritt zu seinem Wunscharbeitsplatz befand sich gut aufgehoben in der Seitentasche seiner Uniformhose. Er klopfte mit der Handfläche dreimal gegen die Tasche, toi, toi, toi.

    2. Kapitel

    Die knapp 900.000 Einwohner des Bezirkes Rostock wurden von weit mehr als 3.000 hauptamtlichen MfS-Angehörigen und 7.900 informellen Mitarbeitern bespitzelt, manche Berufsgruppen rund um die Uhr. Ziel von Erich Mielke – seit 1957 Minister für Staatssicherheit – war es, die Gesellschaft nach innen flächendeckend zu kontrollieren.

    Ministerium für Staatssicherheit, Bezirksverwaltung Rostock, August-Bebel-Straße, Hauptabteilung XIX, zuständig für die Sicherung und Kontrolle des Verkehrswesens sowie des Post- und Fernmeldewesens.

    Oberst Dirk Franks Hauptaufgabe bestand darin, die Seemannskartei »Abteilung Hafen« zu bearbeiten. Er konnte mit Stolz behaupten, eine Art Gott zu spielen, denn jeder Seemann der DDR bekam von ihm einen Sichtvermerk ins Seefahrtsbuch gestempelt, mit bis zu 10 Jahren Gültigkeit. Ohne diesen Sichtvermerk gab es keinen Einsatz auf den Schiffen der vier Flottenbereiche Spezial, Asien/Amerika, Mittelmeer und Küste der Deutschen Seereederei Rostock.

    Die größte aller Flotten hieß bei den Seeleuten, aber natürlich nur hinter vorgehaltener Hand, »Frank-Flotte«.

    Fast jeden Tag entschied Oberst Frank aufgrund der zugeführten Akten durch die »IMs«, ob ein Matrose oder Kapitän seinen Sichtvermerk behielt oder er das in ihn gesetzte Vertrauen bei den Schnüfflern verlor. Dabei kam es nicht auf wirtschaftliche Aspekte an, wenn ein Schiff nicht auslaufen konnte, weil z.B. ein Patentträger in der Musterrolle fehlte.

    Daher brauchte die DSR ständig neuen Nachschub an Arbeitskräften, resultierend aus der Ausdünnung durch die Stasi, aber auch bedingt durch eine hohe Fluktuation des Personals, das keine wirkliche Ahnung davon hatte, was sie »auf See« erwartete. Seekrankheit, Heimweh und das lange eingesperrt sein in der Hutschachtel Schiff galten als die häufigsten Kündigungsgründe.

    Bis zu drei »IM« pro Schiff und Reise sorgten für einen ständigen Informationsfluss zur Stasi. Dazu kamen die Berichte der Gesellschaftlichen Mitarbeiter Sicherheit. Typisch für einen GMS war der Politoffizier, der den Rang eines 1. Nautischen Offiziers an Bord führte und im Verlauf einer Seefahrt offiziell über jeden einen Reisebericht schreiben musste, auch über sich selbst. Die meisten POs strotzen nur so vor Dummheit und merkten selten, dass sie eigentlich in Wahrheit zu nichts nutzten. Zum Glück stellte die Reederei nicht genug Politoffiziere für jede Reise pro Schiff zur Verfügung. Aus einfachem Grund, es gab nicht genug Deppen dieser Sorte für über 300 Schiffe der DSR.

    Bei Oberst Frank lag heute nur noch eine Akte auf dem Tisch. Eine Neuerfassung, eine sogenannte VSH, Vorverdichtung –, Such- und Hinweiskartei.

    Auf der Karte, die an einem grauen Hefter angebracht war, stand handgeschrieben: Christian Rabe; 21.06.1955 in Wismar geboren; Größe 1,72m; Augenfarbe blau; Haarfarbe dunkelblond; besondere Kennzeichen: keine. Weiter befand sich ein Passbild, aufgeklebt auf der Karte und ein Hinweis: »Keine negativen Handlungen und Verhaltensweisen«.

    Dirk lehnte sich gemütlich in seinem alten Ledersessel zurück, nahm die Akte in die Hand und öffnete sie.

    Oh, dachte er, da steht ja noch nicht viel drin: Mittlerer Schulabschluss; Lehre als Rohrschlosser auf der Mathias-Thesen-Werft Wismar; zur Zeit Grundwehrdienstleistender bis Oktober 1975; gesellschaftlich und sportlich aktiv; organisiert in der FDJ, DTSB, DSF, GST; nicht in der Partei; R. hatte bisher keinen Kontakt ins NSW-Gebiet; Beurteilungen des Lehrbetriebes und des Kompaniechefs politisch positiv; geistige Reife noch nicht voll entwickelt. Einsatz erfolgt als Maschinenhelfer.

    Frank schmiss das Papier gelangweilt auf seinen Schreibtisch. Widerwillig stempelte er auf der Innenseite des Aktendeckels: Sichtvermerk wird erteilt. Per Hand schrieb er dazu: Vorbereitung »Operativer Vorgang«.

    Frank mochte keine Seeleute. Auch weil er im tiefsten Inneren wusste, dass das seefahrende Volk mehr wahre Freiheit besaß, als er jemals für sich erhoffen durfte. Am liebsten hätte er sie alle bespitzelt, das falsche menschlich aussehende Pack. Diese Zielgruppe war so schwer für seine Behörde einzuschätzen und trotz immenser Durchleuchtung der Personengruppe mussten immer wieder Abgänge verzeichnet werden, d.h. einige Seeleute stiegen mit Sack und Pack von Bord und blieben im Westen: Hamburg, Rotterdam oder sonst wo auf der Welt. Achteraus segeln, nannte man das, oder besser noch Republikflucht – ein schlimmes Wort.

    Oberst Franks absoluter Machtbereich endete leider an der Staatsgrenze, darüber hinaus durfte er nicht mehr zuständig sein. Wenn erforderlich, wurde alles Weitere dann von einer anderen Hauptabteilung übernommen. Er wusste, wenn die Stasi jemanden suchte, konnte der sich auf der ganzen Welt nicht verstecken, höchstens in einem anderen Sonnensystem.

    Frank wurde das eigenartige Gefühl nicht los, dieses kindliche Gesicht, das ihn von dem Passfoto anschaute, noch persönlich kennen zu lernen. Er wusste nur noch nicht, wie: als Täter oder als Opfer.

    Christian kam es so vor, als ob seine achtzehn Monate Grundwehrdienst einfach nicht zu Ende gehen wollten. Als wäre die Zeit eingeschlafen, tröpfelten die letzten Wochen und Tage träge dahin, wie in einem Stundenglas. Sein Bewerbungsgespräch im Schweriner Kino stellte sich als reine Informationsveranstaltung heraus, unter dem Motto »Ein jeder Seemann ist Botschafter der Deutschen Demokratischen Republik«. Die dreihundert Plätze im Raum waren fast alle besetzt.

    Christian dachte: Hoffentlich werde ich bei der großen Auswahl noch angenommen.

    Bei der Abgabe seiner Unterlagen sagte ihm der Reedereiangestellte: »Wer seine Zettel hier bei mir abgibt, ist schon so gut wie auf dem Schiff.«

    Seitdem fieberte Christian dem Ende der Armeezeit entgegen. Jetzt nur keine unangenehmen Vorkommnisse mehr.

    Abendlicher Ausgang hieß das Zauberwort für die Truppe. Durch ein hohes Bereitschaftsaufkommen im Objekt kam Urlaub und Ausgang für Soldaten niedriger Dienstgrade eher selten vor. Über einen Zeitraum von 24 Stunden mussten die Fahrzeuge immer abfahrbereit sein, und in einem Transportbataillon gab es viele kleine und große Autos. Zeit- und Berufssoldaten waren meistens Außenschläfer und wurden dabei für die Besetzung der Fahrzeuge am Wochenende und nach der Dienstzeit nicht mit eingeplant.

    Christian erhielt in seiner bisherigen Armeezeit das dritte Mal eine Ausgangserlaubnis, bestimmt auch zum letzten Mal. Ebenfalls Ausgang bekam sein Freund und Stubenkamerad Gefreiter Wolfgang Adler. Sie waren die einzigen »EKs« auf ihrer 10-Mann-Stube und machten viel gemeinsam. Es gab noch fünf »Spritzer« (1. Diensthalbjahr) und drei »Zwischenlappen« (2. Diensthalbjahr).

    Wolfgang arbeitete zu Hause leidenschaftlich als Berufskraftfahrer und wurde erst mit achtundzwanzig Jahren einberufen, sozusagen auf den letzten Drücker. Christian dagegen ging gerade mal mit zwanzig Jahren ab zum Treue schwören. Beide wirkten vom scheinbaren Altersunterschied wie Vater und Sohn, als sie in strammem Marsch und in Ausgangsuniform die Bataillonsstraße entlang schritten.

    Der KDL-Posten empfing sie freundlich.

    »Na, Männer, wo habt ihr Wehrpass und Ausgangsschein? Her damit, bitte!«

    Während der Feldwebel die vorgelegten Papiere durchsah, schaute er wichtig über seine Brille auf Christian und fragte: »So, so, Gefreiter, saubere Kragenbinde eingeknöpft? Rasiert? Kamm? Fünf Mark, Taschentuch, Gummis dabei?«

    Christian protestierte.

    »Mach schon hinne! Der Uri fährt sonst noch ohne mich ab.«

    Tatsächlich stand der Lastwagen vom Typ Ural schon mit laufendem Motor und wartete. Die beiden waren die Letzten, die hinten auf den Wagen aufstiegen und es sich auf den harten Holzbänken gemütlich machten. Sie grinsten sich an, als säßen sie in einer Sonntagskutsche.

    Sonnabend 19.00 Uhr, gute Zeit. Christian zählte sieben Soldaten, die sich alle freuten, endlich mal wieder unter normale Menschen zu kommen. Der Lastwagen fuhr polternd vom Parkplatz los in Richtung Plau am See, dem einzigen Ausgangsort vom Transportbataillon 8. Zwanzig Minuten später blieb der Ural ruckartig im Stadtzentrum stehen.

    Der Fahrer sagte drohend, als er die Heckklappe öffnete: »Pünktlich um ein Uhr fahre ich hier wieder ab. Ich warte keine Sekunde länger und wehe, einer von euch kotzt mir das Auto voll.«

    Er hätte auch gar nichts sagen brauchen, weil keiner zuhörte. Es hörte ihm nie einer zu.

    Die Ausgänger liefen eilig in verschiedene Richtungen in die Stadt, den Barras hinter sich lassend. Na, für ein paar Stunden war es ja auch so.

    Christian und Wolfgang betraten tief durchatmend »Das Deutsche Haus«, eine alte Kneipe mit Tanzsaal. Halb acht war die Gaststätte mäßig gefüllt. Die Soldaten setzen sich an einen freien Zweiertisch und öffneten ihre Uniformjacken.

    »Geschafft, puh. Was machen wir heute?«

    Christian schaute Wolfgang fragend an.

    »Also, ich weiß, was ich heute tue.«

    Wolfgang drehte sich wohlig von links nach rechts auf seinem Stuhl.

    »Erst mal ein Hamburger Schnitzel essen und dann werde ich mich langsam, aber sicher voll laufen lassen, mehr nicht.«

    »Gut.« Christian nickte zustimmend. »Dann machen wir das so.«

    Wie zur Bestätigung bestellte er bei der Kellnerin, die so alt und grau aussah wie die Gaststätte selber, zwei Lübzer Bier vom Fass. Christian holte eine Packung Caro und Streichhölzer aus seiner Uniformjacke und steckte sich liebevoll eine Zigarette an. »Weißt du eigentlich«, sagte

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