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Das geheimnisvolle Kleekreuz: Paul Klees "Kur" zu seinem autobiographischen Hauptwerk
Das geheimnisvolle Kleekreuz: Paul Klees "Kur" zu seinem autobiographischen Hauptwerk
Das geheimnisvolle Kleekreuz: Paul Klees "Kur" zu seinem autobiographischen Hauptwerk
eBook421 Seiten4 Stunden

Das geheimnisvolle Kleekreuz: Paul Klees "Kur" zu seinem autobiographischen Hauptwerk

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Über dieses E-Book

Das Buch analysiert Paul Klees handschriftlich abgefasste Tagebücher, welche sein Sohn Felix Klee in den 50er Jahren in die Maschinenschrift übersetzte. Es beleuchtet das unmittelbare Zusammenwirken des Menschen Paul Klee mit seinem künstlerischen Schaffen.

Zitat Paul Klee 1920
[...] "Im obersten Kreis steht hinter der Vieldeutigkeit ein letztes Geheimnis und das Licht des Intellekts erlischt kläglich."

Bis anhin hat Paul Klee weitestgehend Recht behalten.

Das Buch stellt sich dieser Provokation. Es beleuchtet Klees persönliche Bekenntnisse die er in Tagebüchern, zwar methodisch verschlungen und geheimnisvoll, aufschreibt. Er nennt unzählige Verständnisquellen aus der Literatur, der Musik, der Mythologie und der Geisteswissenschaften.

Klee ist kein einseitiger Theoretiker, dafür ein vorbildlicher, stark interdisziplinär vernetzter Denker.

In seinen jungen Jahren, unvorbereitet und in völliger Selbständigkeit, in der Grossstadt München der vorletzten Jahrhundertwende, vermeint Paul Klee "alles sei mir erlaubt", auch im Erleben seiner eigenen Sexualität.

Dieser Trugschluss löst eine belastende Irritation, eine sein ethisches und moralisches Selbstverständnis zutiefst zerrüttende, kognitive Dissonanz aus.

In den Bekenntnissen, im Buch lückenlos zitiert, verrät er, welchen Einfluss diese Erlebnisse auf sein künftiges Leben und das künstlerische Schaffen hat.

Klees psychische Welt und seine, "draus folgernde", schöpferisch bildnerische Welt lassen es zu, "das Licht des Intellekts" nicht zu erlöschen sondern zu erhellen, durch das ins "Licht" stellen Klees Geheimnisses.

Der Leser wird die Bildwelt Klees, aber auch die kristalline Einzigartigkeit des Menschen erkennen, verstehen und lieben.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum21. Sept. 2015
ISBN9783737567060
Das geheimnisvolle Kleekreuz: Paul Klees "Kur" zu seinem autobiographischen Hauptwerk

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    Buchvorschau

    Das geheimnisvolle Kleekreuz - Andreas Max Allemann-Fitzi

    Paul Klees Lehr- und Wanderjahre bis zum Entstehen, zum Ursprung seiner Meisterschaft.

    zum 75 Todesjahr (* 18. Dezember 1879, † 29. Juni 1940)

    Paul Klee begann vor ungefähr 110 Jahren, als gut 20-jähriger, seinen Lebenslauf in Notizhefte aufzuschreiben. Kindheit und Jugend beschrieb er auszugsweise aus der Erinnerung. In die vier Notizhefte, Klee nannte sie Tagebücher, schrieb er regelmässig bis vor Weihnachten 1918, kurz vor Beendigung des ersten Weltkrieges. Er verfasste die einzelnen Episoden in Abschnitten, nummerisch von 1-1134. Erst das sehr gründliche Lesen und Überdenken der schriftlichen Aufzeichnungen, erkennt den bekennenden Charakter und den Grund, warum sein Wunsch, sich zu offenbaren entstand. Der Grund liegt in seinen Erlebnissen, einem Vorfall, der Klees Persönlichkeit widersprach und sein seelisches Gleichgewicht in arge Bedrängung brachte. Die Einsicht vom richtigen Weg abgekommen zu sein, bewog ihn dazu, methodisch in geheimnisvoller Weise alles seinem Tagebuch anzuvertrauen. Die Geschehnisse der Jahre 1899-1906 und deren Lehren daraus wurden zur Basis seines künftigen Lebens und seines künstlerischen Schaffens. Das Buch bringt Schrift und Bild aufklärend zusammen, zu einem einzigartigen Gesamtwerk, einer alles umfassenden Autobiographie.

    Der Leser darf gespannt sein und sich freuen.

    (Titel)bild (Abb.Originalgrösse) Paul Klee, „ein Auge welch es sieht das andre welch es fühlt" 1914 .100. 11,7 x 8 cm, Otto und Etta Stengel, München. Von der Heydt-Museum, Wuppertal

    URG ProLitteris, CH-Zürich

    © 2015 UPM Basel, Jeannine und Andreas Max Allemann-Fitzi, Co-Autorin, Autor und Herausgeber.

    ISBN 978-3-7375-6646-9

    Für Jeannine

    Zitat: P. Klee in „Schöpferische Konfession" 1920 VII

    ¹

    „Kunst verhält sich zur Schöpfung gleichnisartig. Sie ist jeweils ein Beispiel, ähnlich wie das Irdische ein kosmisches Beispiel ist. Die Freimachung der Elemente, ihre Gruppierung zu zusammengesetzten Unterabteilungen, die Zergliederung und der Wiederaufbau zum Ganzen auf mehreren Seiten zugleich, bildnerische Polyphonie, die Herstellung der Ruhe durch Bewegungsausgleich, all dies sind hohe Formfragen, ausschlaggebend für die formale Weisheit, aber noch nicht Kunst.

    Im obersten Kreis steht hinter der Vieldeutigkeit ein letztes Geheimnis und das Licht des Intellekts erlischt kläglich"

    Das Buch wird die „hohen Formfragen am Beispiel des (Titel)bildes erkennen und ins „Licht des Intellekts stellen.


    1 „Schöpferische Konfession", Beitrag Paul Klee; Berlin, Erich Reiss Verlag, herausgegeben von Kasimir Edschmid.

    Vorbetrachtung

    Alles Geschriebene aus Paul Klees Nachlass, seien es Tagebücher, Briefe, Notizbücher, Bilderüberschriften oder -unterschriften sind, wie es Klee selbst formulierte „Hinweise."

    Sie können nicht zusammenhangslos, einzeln oder gar nur auszugsweise genutzt werden, um allfällige, eventuell gar vorgefasste Thesen oder Schlussfolgerungen zu stützen. Man riskierte so, sich vom Weg des Strebens nach Objektivation wegzubewegen.

    Sämtliche Inhalte bei Paul Klee, ob Farben, Formen, Punkte und Striche, Zahlen, einzelne Buchstaben, Schriften auf Bilder, Gedichte, musikalische und literarische Quellen sind Verweise oder Hinweise, haben immer sinngebende Bedeutung und sind nie Zufälligkeiten. So erklärt sich sein ständig strebendes Überarbeiten, Umformen und Weiterentwickeln des Gesamtwerkes.

    Paul Klee schrieb und malte situativ, heraus aus der seelischen Verfassung, schaute zurück und nach vorn, erinnerte an frühere Notate oder verwies gleichzeitig auf musikalische und literarische Werke, die er als stimmungsmässig im Zusammenhang stehend, beurteilte. Er wechselte im Ablauf die Thematik, um einige Eintragungen weiter, oder nach Zeitsprüngen, wieder auf das ursprüngliche Thema zurückzukommen.

    Ich habe nach mehrmals wiederholtem Lesen und ständig vertieftem Verstehen, immer neue Erkenntnisse erhalten, die letztlich zur Objektivation beitrugen und sich der Wahrheit Schritt um Schritt näherten. Vor allem die Tagebucheinträge würde ich gerne als Selbstgespräch, oder als vertrauliches Zwiegespräch mit sich selbst, bezeichnen.

    Er hatte daran stetig gearbeitet, gefeilt, geformt, geändert und angepasst, oder weggelassen. Des Weiteren ist darauf zu achten, wie präzise die Formulierungen Klees sind.

    Nennen wir ein Beispiel über die hohe Präzision seiner Ausdrucksweise:

    Paul Klee malte als eines seiner Spätwerke 1939, kurz vor seinem Tod, eine mädchenhaft anmutende Figur neben einem blauen Busch stehend. Wir werden dieses Bild eingehend besprechen. Mit überdimensionierter, deutlicher Schrift schrieb er darauf.

    „Stelz ich ein Bleib talein"

    Andernorts las ich diese schriftliche Bildeinfügung: („Stelzichein bleibt allein) Völlig unwertend möchte ich aufzeigen wie „Bleib talein oder „bleibt allein" den eigentlichen Sinn verändern kann.

    „Bleib talein" ist die Aufforderung, am Taleingang zu bleiben.

    „bleibt allein" ist als Verlassensein in der Einsamkeit zu verstehen.

    Wir sehen, wie kleinste Abweichungen von den Quellen die interpretatorischen Schlussfolgerungen beeinflussen können. Biographien, Teilbiographien und eine Vielzahl von Bildbesprechungen mussten und müssen diese Exaktheit bedingungslos anstreben.

    Paul Klee notierte 1920 in „Schöpferische Konfession":

    […] „Im obersten Kreis steht hinter der Vieldeutigkeit ein letztes Geheimnis und das Licht des Intellekts erlischt kläglich." […]

    Einige Zeilen weiter:

    […] „Die Kunst spielt mit den letzten Dingen ein unwissend Spiel und erreicht sie doch."

    Mit „dem obersten Kreis" erklärte er seine Überzeugung über die zentralen Elemente der graphischen Formen, Punkt und Strich. Der Anfang ist ein Punkt, das Ende ebenfalls. Verbindet man Anfangs- und Endpunkt, erreichen wir einen Strich. Die räumliche Verbindung des Anfangspunktes mit dem Endpunkt kann in keiner anderen Weise als mit einem Kreis erreicht werden. Ein Kreis drückt immer eine Ganzheit aus, etwas Abgeschlossenes. Daraus lässt sich erkennen, das Gesamtwerk, sein gesamter Nachlass, ist als ein alles umfassender Kreis zu anerkennen und in diesem Kreis ist das Geheimnis eingebettet.

    Nachweise:

    Meine Quelle ist die erste „Übersetzung" der Tagebücher, von der Handschrift in die Maschinenschrift durch Felix Klee, Paul Klees Sohn.

    Es war mir in all den Jahren meiner Recherchen ein primäres Anliegen, nur Quellen, vor oder zur Zeit Klees zu berücksichtigen. Damit bleiben meine Schlussfolgerungen authentisch und zeitzeugend ohne Beeinflussungen durch neuzeitliche Interpretationen.

    Das Gesamtwerk von Paul Klee in seiner eigenen, einzigartigen Methodik

    In diesem Buch, anhand Text- und Bildanalysen, wird zuerst die Epoche der erstaunlicherweise völlig unerforschten Jahre von 1899 - 1906 im Leben von Paul Klee, mittels des schriftlichen Nachlasses untersucht. Seine bisher unverstandenen Aufzeichnungen werden analysiert, erklärt und beispielhaft dargestellt.

    Die Bilder nehmen praktisch ausnahmslos Bezug auf sein intimstes und bis zum Tod behütetes Geheimnis. Das Geheimnis der Unfassbarkeit des Paul Klee löst sich im Erkennen und Nachvollziehen seines ungewöhnlich verschlungenen methodischen Zusammenwirkens von Schrift, Bild und Musik.

    Seit den 30iger Jahren des letzten Jahrhunderts füllte Paul Klee zahlreiche Biographien, Aufsätze, Dissertationen und unzählige Analyseversuche über die Aussagekraft seines schriftlichen und bildnerischen Erbes.

    Die Veröffentlichung seiner zu Lebzeiten sehr intim gehaltenen Tagebücher² sowie die Aufzeichnungen über pädagogische Vorlesungen der Bauhauszeit wurden wissenschaftlich aufgearbeitet. Trotz dieser enormen Fülle der Darstellungen blieb vieles unverstanden oder rätselhaft und geheimnisvoll.

    Paul Klee weckte und weckt diese Neugier, weil er als Mensch und als Künstler nur sehr schwer oder gar nicht zuordnungsbar war und ist. Wir werden erkennen, sowohl im Lebensstil wie bezüglich Kunststil ist er in keiner Norm fassbar, es sei denn in seiner eigenen. In all diese unzähligen Ismen passt er nicht, was er schmunzelnd, ironisch, mit leichter Schadenfreude mehrfach sagte, wie:

    691 […] „Dann kommen die Kunstfreunde und betrachten von aussen das blutige Werk. Dann kommen die Fotographen. Neue Kunst steht am andern Tag in der Zeitung. Die Fachzeitschriften geben ihr einen Namen mit der Endung aus Ismus."

    So existiert ein bewahrtes Geheimnis. Um dieser Rätselhaftigkeit auf die Spur zu kommen muss man sich überaus fleissig bemühen. Man darf sich wissenschaftlich nicht einseitig konzentrieren. Es braucht eine strenge Sichtung aller Disziplinen. Ich habe mich über meine Stammgebiete der Pädagogik und Psychologie, namentlich bei C.G. Jung „Die Archetypen und das kollektive Unbewusste und bei Erich Fromm über „Autoritäres Gewissen versus „Humanistisches Gewissen", orientiert. Die Archetypen im Sinne von Urformen, werde ich ansprechen.

    Ich habe tausende Seiten Philosophie, von Aristoteles über Kant bis Cassierer studiert, die Biologie und die theoretischen Aufsätze der Lehre über die Ästhetik gelesen. Mit grosser Begeisterung repetierte ich Goethe, Schiller und Shakespeare in breiter Tiefe. Besonders sorgfältig, die oft erwähnten Parallelen im Denken von Goethe und Klee. Die Beeinflussung Klees durch Goethe werden wir in der Folge vertiefen. Bemerkenswerte und faszinierende Ansätze erlebte ich bei Goethes, Schillers und Klees mythologischen Urgedanken und in den Märchen, ebenso und vertiefter, in derer Naturanschauung. Letztlich habe ich die von Klee notierten, ihn besonders beeindruckenden Musikstücke und literarischen Werke gehört und gelesen. Auch dafür wird es Beispiele geben. Wir werden Verständnis erhalten über sein Streben, Musik, Literatur und bildnerische Darstellung zu verknüpfen und vergleichend zu hören, zu sehen, um uns seiner stilistischen Ausdrucksweise Schritt um Schritt zu nähern.

    Es zeigte sich mir bald, wie durch zu grosses Spezialisten Wissen in einseitiger Weise die Ganzheit, Feinheit verloren geht. So ist dieses Buch sehr interdisziplinär zu verstehen. Es richtet sich an alle interessierten Kunst-Liebhaber -welcher Bildungsrichtung immer-, die Paul Klee wirklich kennenlernen möchten.

    Paul Klee hinterliess nicht nur tausende Zeichnungen, Bilder und Gemälde, unzählige Notizen, schriftliche Aufzeichnungen sowie viele literarisch gelungene Gedichte und verwies laufend auf seine musikalischen Vorlieben. Er benannte seine literarischen Vorbilder, allen voran Goethe, die musikalischen, Beethoven, Bach und Mozart. Wir werden weiteren, teils weniger bekannten Künstlern begegnen. Diese musikalischen und literarisch besonders beindruckenden Werke hat Paul Klee in seinen Tagebüchern aufgeschrieben. Die Notate haben einen einflussnehmenden und sinnreichen Bezug zu seinem Gesamtwerk und sind nicht einfache Aufzählungen situativer Genüsse. So wird man nicht umhin kommen, des guten Verstehens halber, diese musikalischen und literarischen Hinweise zu hören, zu lesen und zu verstehen. Ich habe mich dessen bemüht und wir werden auf einige Beispiele eingehen.

    Vorerst konzentrieren wir uns auf die zahlreichen schriftlichen Belege aus seinem Nachlass. Briefe sind datierte und explizite an einen Adressaten gerichtete Botschaften, die entweder Fragen, Antworten, Meinungen, Diskussionsbeiträge oder gar Aufträge und Anweisungen beinhalten. Briefe werden zur Kommunikation in einem ständigen Hin und Her, aus Distanzgründen, benützt.

    Wir befinden uns in einer Zeit, wo die Telefonie erst im Entstehen ist. Solche Briefwechsel, sofern sie bewahrt wurden, gelten heute noch als Quellen für biographische Arbeiten. Unter vielen anderen ist van Gogh zu erwähnen.

    Weitere zeitzeugende individuelle Belege sind Bekenntnisse³ (J.J. Rousseau, F. Grillparzer usw.) mit autobiographischen Hinweisen, Tagebücher, Notizbücher oder viele andere Formen von Niederschriften jeglicher Art.

    So gesehen handelt es sich beim Nachlass des Paul Klee gesamthaft, über alles, um ein zusammenhängendes und zusammengehöriges Gesamtwerk und Zeugnis seines Lebens und Schaffens. Er benutzte die Tagebücher als Notizbücher, wo er einzelne Abschnitte seines Lebens situativ beschrieb, seien sie zeitensprechend oder aus der Erinnerung. Dabei spielte ihm die zeitliche Abfolge keine prioritäre Rolle, es sei denn, er datierte sie exakt auf Tag, Monat und Jahr. Es ist klar feststellbar, wie er permanent daran arbeitete und korrigierte. Er überdachte die Eintragungen, ergänzte sie und entfernte einige sehr bewusst, jedoch ohne zu verdecken oder verstecken. Darstellungen die er nachträglich als unwesentlich, banal oder zu verräterisch ansah, schloss er aus. Auf gleiche Weise verfuhr er mit Novellen und Gedichten, wenn sie seinen Ansprüchen nicht genügten. Was er nicht veränderte, trotz Weglassung des Textes, war die fortlaufende Nummerierung. Die ersichtlich fehlenden Notate erlauben höchstens spekulative Überlegungen durch Zusammenhänge. Es ist schwierig herauszufinden, wann exakt er schrieb und zu welchen verschiedenen Zeitpunkten er überarbeitete.

    Was ihn veranlasste sich zu bekennen und warum, spricht er zwischen 1899 und 1906 sehr direkt an, obwohl in dieser Zeit, zwischen München, der Italienreise und Bern, die meisten redaktio­nellen Weglassungen zum Opfer fielen. Diese Reduktion machte er treu nach seinem künstlerischen Motto:

    „das Wesentliche muss immer sichtbar werden."

    Jede Annahme, die Überarbeitungen seien selbstdarstellerischer, ihn ins gewollte Licht bringender Natur, kann ich nicht unterstützen.

    Im Anspruch, wir wollen die schriftlichen Aufzeichnungen nicht nur als zeitdokumentierende Lektüre über den Künstler Paul Klee konsumieren, sondern gleichermassen psychische und physische Zustände erkennen, bedürfen wir einer (seiner) methodischen Vorgehensweise. Dies noch mehr, sehr viele Beschreibungen, sein bildnerisches Schaffen und deren Quelle, geheimnisvoll andeutend bleiben. Einen Teil des Geheimnisses enthüllte er durch das methodische Hinführen zu früheren Inhalten, um dort möglicherweise noch frühere Tagebuch-Notate zu bezeichnen oder er gibt einen Hinweis zu einem Lied oder Gedicht anderer Autorschaften.

    So erreicht man inhaltlich eine überzeugende Indizienkette. Wir folgen dieser Methode anhand einiger weniger Beispiele. (Sämtliche Tagebucheintragungen sind grundsätzlich so gegliedert).

    Wir werden später sehen, wo und in welchen Umfeldern Paul Klee, in Erziehung, Lebensweise und im Benehmen und gesellschaftlich, geprägt wurde.

    Er war nach heutiger pädagogischer Sicht und bezeichnenderweise, ohne ein „6er – Schüler" zu sein, hochbegabt und dies nicht nur in musischen Fächern. Er schöpfte und förderte sein weit überdurchschnittliches Allgemeinwissen aus verschiedensten Disziplinen, hervorgehend aus den Inhalten des humanistischen Gymnasiums Bern, der vorletzten Jahrhundertwende.

    Das ist der Ansatz nach dem wir vorgehen, um die Systematik der Methode seines gesamten Schaffens zu verstehen. In seinen Aufzeichnungen schilderte er nicht, sondern deutete an oder hin, vertiefte es andernorts und bezog sich gleichzeitig auf weitere Inhalte. Alles zusammen verbleibt in einer Rätselhaftigkeit die nicht im Einzelnen, nur in Zusammenhängen gelöst werden kann. Wir werden den Zusammenhang an folgenden Beispielen erkennen:

    Beispiel 1

    „Neapel (Ostern 1902)"

    385 „Der Epigon. In mir kreist das Blut einer besseren Zeit. Durch die Gegenwart schlafwandelnd, hänge ich an der alten Heimat, am Grab meiner Heimat. Denn alles verschlang der Boden. Die südliche Sonne hilft nicht meinem Leiden.

    Die spanische Tänzerin Guerrero ist schön gewachsen und von einer entzückenden Heiterkeit. Das Ganze ist zu leicht, um mehr als unterhaltend zu sein. Tech – 103 nisch fehlts an der Beweglichkeit des Oberkörpers, er bleibt in dem sonst freien Fluss der Linie zu aufrecht, was dem Tanz manchmal den Eindruck des Haftens gibt. Der Rhythmus der Füsse ist besonders gut.

    Mogens, von Jacobsen, ist eine wundervolle Novelle. Auch Niels Lyhne ist dem Inhalt nach eine Novelle, aber leider zu episch behandelt. Nachdem mir dieses Buch von Schmoll überreicht worden war, konnte ich mich eine Zeit lang schwer über das Anstreichen verschiedener Stellen ärgern. Man ist parteiisch, denn als ich entdeckte, dass die Anmerkungen von Dir herrührten, verwandelte sich mein Gefühl ins Gegenteil, und ich küsste diese Stelle."

    Juni 1900

    103 „Oft bin ich vom Teufel besessen, mein Missgeschick auf jenem so problemreichen Sexualgebiet machte mich nicht besser. In Burghausen hatte ich grosse Schnecken auf verschiedene Weise geärgert. Jetzt unterliege ich in dieser, womöglich noch entzückenderen Thunerseegegend ähnlicher Versuchungen. Unschuld reizt mich. Der Gesang der Vögel geht mir auf die Nerven, jeden Wurm möchte ich zertreten."

    Den 385 bezeichnet Klee als Epigon. Das Wort Epigon leitet sich aus dem Griechischen epigonos ab und ist als Nachkomme, Nachgeborenes oder danach entstehend, zu übersetzen. Daher sind die beiden Zitate nachahmende Verweise auf einen Vorgang mit ausserordentlichen Folgen.

    Er spricht ein früheres, sehr leidvoll empfundenes Ereignis an, in das er ohne grosses Nachdenken hineinstolperte, gleichsam „schlafwandelnd, mit für ihn schmerzlichen Konsequenzen. „Denn alles verschlang der Boden, womit er an ein Grab denkt.

    Im zurückweisenden 103, lässt Klee das Vorgefallene erfühlen. Es geht um sein „Missgeschick auf jenem so problemreichen Sexualgebiet."

    In diesem Zusammenhang sind die „Burghausen- und „Thunerseegegend- Gefühle und Erlebnisse epigonisch zu verstehen. Sie weisen auf Tod und Tötung hin.

    Zurück zum 385. Dort benennt Klee und wertet die Novelle „Mogens, von Jacobsen."

    Jens Peter Jacobsen, geboren am 7. April 1847 in Dänemark.

    Mogens, als autobiographisch anmutende Figur erlebt, in für Novellen typischer Art, eine wohlgeordnete und sorgenfreie Phase. Dann eine überaus grosse Erschütterung die ein immenses persönliches Chaos auslöst. In der dritten Phase die Auflösung des Chaos zur neuen Ordnung.

    Nach ungetrübter Jugend lernte Mogens die Tochter eines Justizrates kennen und der gegenseitigen Liebe folgte die Verlobung. Eine Feuersbrunst in der nachbarlichen Fabrik erfasste auch das Landhaus des Justizrates. Trotzdem Mogens alles unternahm, die Verlobte zu retten, starb sie qualvoll im brennend zusammenbrechenden Holzhaus. Mogens, selbst, durch herabstürzende Balken eingeklemmt, konnte nur tatenlos zusehen. Dieses schreckliche Erlebnis hinterliess bei Mogens tiefe und langanhaltende depressive Spuren, die ihn ins Chaos stürzten.

    Die Erlösung aus dem Chaos kam mit „Thora", einer neuen Liebe. Die fügte das Chaos wieder zusammen in eine neue Ordnung.

    Zitat aus der Novelle:

    [….] „Es ist wie im Märchen, wenn Hans und Grete draussen im Wald an das Pfefferkuchenhäuschen kommen" sagte Thora [...] (Ende Zitat)

    Erwähnenswert im 385 „der Epigon" ist folgendes:

    Als Paul Klee entdeckte, dass die Anstreichungen im Buch mit der Novelle „von Dir", nämlich von seiner Braut Lily stammten, wechselte sein Ärger in Freude.

    […] „und ich küsste diese Stelle."

    Warum wohl küsste er diese Stelle? Für Paul Klee war seine Braut Lily das Gleiche wie Thora für Mogens, nämlich die Erlösung aus dem Chaos in eine neue alles ordnende Liebe.

    Dieser von Paul Klee vorgezeigte methodische Weg ist die einzige Möglichkeit, den Geheimnisschleier zu lüften.

    Beispiel 2

    Paul Klee übertitelte sehr viele Eintragungen mit allgemein verständlichen, sinngebenden Wortbedeutungen.

    Wir erkannten vorher die Novelle und das Epigon. Im 286 verwendet er das Epigramm, abgeleitet vom lateinisch-griechischen „darauf schreiben."

    Der zweifache Sinn ist mit, erstens Inschriften auf Monumenten oder Grabmälern und zweitens, als eigenständige Dichtform von kurzen, prägnanten Versen oder Gedanken von grosser Ernsthaftigkeit, teils spöttischer Natur, zu definieren. (Mit spitzer Feder)

    Rom, November 1901

    286 „Epigramme mit Reimen:

    Dahin / fürs Malen kein Sinn

    verscherzt die geliebte Musik mein Sohn / Hohn

    Die Liebe als Sonne, ich als Sumpf:

    Sonnenverpester als Dank

    weil es bei mir von Sümpfen stank.

    Bewahren / an Jahren / verstanden / vorhanden.

    Welt / dann kosteten andere mein Geld

    das selber ich meinen Vater kostete.

    Geboren / geschoben / Herde, Erde

    Angst des Weibes / Wunden und Schwären,

    am Berge gebären / der Schande

    Befreier / Dohlen und Geier

    wurde ich los das Gewächs meines Leibes.

    Freier / Leiber / Geleier / Weiber."

    Das eben gelesene Epigramm beschreibt Klees psychische situative Verfassung im Erinnern eines früheren, ihn sehr tief treffenden Ereignisses. Ich vermeide das Wort Traumatisierung bewusst, weil ich das Ereignis in allen Einzelheiten später beschreiben werde.

    Fassen wir die Inhalte des Epigramms zusammen: Unlust am Malen und an der Musik. Die Zweideutigkeit der Liebe, sowohl als Licht, wie als Sumpf. Die Liebe als Sumpf kostete viel Geld. Das Hoffen, Bangen und die Angst vor der Geburt. Die Schande, die Befreiung des „Gewächs meines Leibes. Die Befreiung, durch „Dohlen und Geier, beides Raubvögel.

    Was soll das heissen?

    Diese Frage wird sich auflösen.

    Vorerst eine Anmerkung.

    Paul Klee schuf 18 Jahre nach dem Eintrag 286 („Epigramm) ein Werk namens „Sumpflegende

    [...] „die Liebe als Sonne, ich als Sumpf,; Sonnenverpester als Dank weil es bei mir von Sümpfen stank." [...]

    Der Sumpf ist ein ständig feuchtes Gelände. Umgangssprachlich bildeten sich verschiedenste Redensarten oder Sprichwörter wie, sich aus dem Sumpf von Lügen, von Korruption, von schlechter Gesellschaft retten, sich aus einer fast ausweglosen Lage befreien.

    Die Legende ist eine bildhaft spezielle Erzählung, die im Kern eine historische oder religiöse Wahrheit enthält, um die Tatsache eines Geschehens vermitteln zu versuchen. Die Legende ist mit der Form eines Märchens, der einer Sage verwandt.

    Das nähere Betrachten des Bildes, datiert mit 1919 unter Zuhilfenahme des Titels einerseits und der schriftlich formulierten Inhalte des Epigramms von 1901, lassen uns Formen der Graphik erkennen:

    In der Ecke links unten sehen wir eine kleine Sumpflandschaft, links und rechts umsäumt mit Tannen. Eine kleine Figur mit Kopfbedeckung trägt auf seinen Schultern eine Stange mit einem grossen Netz und hat etwas aus dem Sumpf befreit. Das Etwas entpuppt sich als winzige menschliche Gestalt, weiss gekleidet und vom Sumpf bedeckt. Die Kopfbedeckung der grösseren, rettenden Figur markiert der Künstler mit einer 1.

    Die Figur ist rockartig bekleidet. Auf dem unteren Rockteil sieht man ein Kreuz, perspektivisch von rechts unten nach links oben. Merkwürdigerweise steht diese Figur auf zwei Beinchenpaaren, d.h. auf vier Beinen. Links über dem Sumpf eine dunkle Sonne. Die winzige und die grössere Figur mit den beiden Beinpaaren zeigen, es handelt sich um eine Dreiheit. Die Dämpfe des Sumpfes steigen, mit einer angezeigten Spitze nach oben, gegen die Sonne. Diese kleine Szene ist quasi als Bildchen im Bild eingegrenzt. Im Werk als Gesamtes erkennen wir dann viele Formen, wie Kreuze, seien es Grabkreuze, Fensterkreuze oder kreuzförmig angedeutete Dachziegel, Tännchen sowie eine strahlende Sonne im Zentrum der oberen Bildhälfte, im Sinne von Nach- und Umformungen in einer neuen Gesamtordnung.

    Ich bin mir bewusst, mit dem Bildchen im Bild keine umfassende Bildbeschreibung über die „Sumpflegende gemacht zu haben. Wir begnügen uns mit dem Bildchen, weil darin der „oberste Kreis, das heisst das Geheimnis, das dem Gemälde die eigentliche Aussage gibt, zu finden ist. Die übrigen Inhalte sind Umformungen und Neugliederungen.

    Sumpflegende Paul Klee 1919, Öl auf Karton, 47cm x 41cm

    Städtische Galerie im Lenbachhaus

    Beispiel 3

    Bei P. Klee begegnen wir oft der Satire, gleichbedeutend wie Witz, Humor und Ironie. So werden Wahrheiten durch Übertreibungen persifliert.

    Rom 1901

    294 „Soweit bin ich jetzt, dass ich die grosse Kultur der Antike und ihre Renaissance überblicke. Nur zu unserer Zeit kann ich mir kein künstlerisches Verhältnis denken. Und unzeitgemäss etwas leisten zu wollen, kommt mir suspekt vor. Grosse Ratlosigkeit.

    Deshalb bin ich wieder ganz Satire. Soll ich mich noch ein mal ganz drin auflösen?

    Vorläufig ist sie mein einziger Glaube. Vielleicht werde ich nie positiv?

    Jedenfalls werde ich mich wehren wie eine Bestie."

    295 „In solchem Zustand gibt es schöne Mittel. Gebete und Glauben und Kraft 77. Auch Goethes Italienische Reise gehört hierher. Aber vor allem ein glücklicher Stern. Ich sah ihn oft.

    Ich werd ihn wieder entdecken; (an) der pantheistischen Ehrfurcht Goethes kann man sich wohl stärken. Zur Genussfähigkeit stärken einmal ganz sicher."

    Pantheismus ist die Lehre, nach der Gott in allen Dingen der Welt existiert. Gott und die Welt sind identisch.

    77 „Eine kleine Probe, wie ich damals im Volkston reimte.

    I. Nun hat dich genommen der Tod,

    der rosarote Schein

    ist falsch, nur hingeworfen.

    Gardinen zauberfein

    färbten mein Lieb, war tot,

    gestorben nie zu erwachen.

    II. Sagt an ihr Leut, was soll ich tun ihr Leut?

    mein Herz, das brennt so sehr,

    nun hat ich kein Liebchen mehr.

    Und zum Küssen und wieder zum Küssen:

    Dass ich ein Vöglein wär,

    als Vöglein wüsst ich Bescheid,

    ans rauschende Meer flög ich mit,

    66 mein Herz darin zu kühlen."

    München 1899

    66 „nach dem ich mich als Knirrschüler durchgesetzt hatte, begann die Aktzeichnerei etwas an Reiz einzubüssen und andere Dinge, Lebensfragen wurden mächtiger als der Glanz in der Knirrschule. Es wurde mitunter auch geschwänzt.

    Ich sah auch (mit Recht) gar nicht ein, dass aus fleissigen Aktstunden jemals Kunst werden könnte. Dies Einsehen vollzog sich aber nur im Unterbewusstsein. Wenn mich das Leben, das ich so wenig kannte, mehr als alles anzog, so hielt ich das doch für eine Art Lumperei in mir. Ich schien mir charakterschwach, wenn ich der Stimme

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