75
Von Bea Eschen
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Über dieses E-Book
Bea Eschen
Bea Eschen ist gebürtige Deutsche und lebt seit 1984 im Ausland. Momentan ist sie in Sydney, Australien, zuhause. Ihr bisheriges Leben auf den verschiedenen Kontinenten Südafrika, Neuseeland und Australien brachte ihr viele Erfahrungen, die sie zum Schreiben anregen.
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Buchvorschau
75 - Bea Eschen
KAPITEL EINS
Es ist ein schöner, warmer Frühlingstag. Während meines morgendlichen Spaziergangs genieße ich den Gesang der Vögel. Zu dieser Jahreszeit trinken sie von dem Saft der Bäume und flattern aufgeregt umher. Wie jeden Morgen gehe ich an dem Springbrunnen im Park vorbei. Weiche, kühle Wassertropfen sprühen auf mein Gesicht. Ich war schon immer abergläubisch und akzeptiere diesen sonderbaren Moment als ein Zeichen für den Beginn meines Ablebens. Ich bin vierundsiebzig und mein kommender Geburtstag ist gleichzeitig mein Tod. Mein Sohn Duke hat das Gift-Set schon bestellt, das jeder in meinem Alter fürchtet — Männer und Frauen gleichermaßen.
George und Magda führten ein harmonisches Leben. Magda war erst zweiundsiebzig und durfte noch drei Jahre leben. Der Gedanke, dass ihr Mann nach ihrem fünfzigjährigen Zusammensein bald sterben würde, erfüllte sie mit Angst, Verzweiflung und Traurigkeit.
„Ich will mit dir kommen", sagte sie zu ihm am Morgen, als George sich hinunterbeugte, um seine Wanderschuhe anzuziehen. Von den vielen Jahren mühsamer Arbeit im Kohlebergwerk hatte er schreckliche Rückenschmerzen. Als er sich aufrichtete, spiegelte sich der Schmerz in seinem Gesicht wider.
„Nein, ich gehe allein."
„Ich meinte, ich möchte dich auf deiner Reise des Sterbens begleiten."
„Ich ziehe es vor, allein zu sterben. Er nahm den Wanderstock aus der Ecke. „Außerdem
sagte er dann, als er den Türknopf drehte, „Ella braucht dich noch."
Als sich die Tür zwischen ihnen schloss, fühlte Magda sich schrecklich. Es war, als ob ihm ihre Gefühle egal waren. Sie war doch seine Frau!
Wie wird Magda ohne mich fertig werden? Ich muss ihr dabei helfen, innere Kraft zu finden, während ich noch da bin. Und Ella? Mit neunzehn ist Ella fast noch ein Kind. Ohne Magda würde sie von einem dieser satanischen Monster vergewaltigt und mit nichts als Leid zurückgelassen. Ich liebe sie sehr. Als Magda sie mit dreiundfünfzig Jahren bekam, wusste ich, dass Gott sie geschickt hatte. Ella ist ein Engel Gottes, den wir beschützen müssen, solange sie lebt. Aber wenn ich tot bin, wird sich die Situation für Magda und Ella ändern. Sie werden leicht verletzbar sein. Auf Duke kann ich mich nicht mehr verlassen. Er ist völlig hirngewaschen von der Politik der Regierung der Neuen Ordnung. Kein Wunder, dass er so geworden ist — er ist jetzt in einer der Top-Positionen und macht ständig neue Gesetze. Pah! Nutzlose neue Gesetze, die unsere Bevölkerung verjüngen und die Wirtschaft ankurbeln sollen. Pah!
George lachte freudlos auf.
Aber was ist mit unserem Wissen? Dem Wissen, das wir Alten über Jahrzehnte unseres Lebens erworben haben? Unsere Erfahrungen und Weisheiten? Gott hat sich etwas dabei gedacht, Menschen alt werden zu lassen! Vielleicht hat unser Herr uns deswegen Ella geschickt? Einen Engel, um unsere Gesellschaft von der Hässlichkeit des Geldes und von der ständig wachsenden Unmoral zu heilen? Wie kann diese sogenannte Neue Ordnung funktionieren, wenn die Verantwortlichen versuchen, unsere Überzeugungen auszulöschen? Ich war schon immer ein Christ und meine religiöse Einstellung ist Privatsache. Warum sollte ich mich zu dieser Unsinns-Religion bekennen, die sie die Allgegenwärtige Wahrheit nennen, bei der sie alle Religionen der Welt in einen Topf werfen?
Nachdem George gegangen war, erschien Ella, um ihre Mutter zu trösten. Sie hatte das kurze Gespräch der Eltern mit angehört. Ella wusste, dass ihr Vater sich darauf vorbereitete, das Gift zu nehmen. Sie nahm ihre Mutter in die Arme und streichelte ihren Rücken. Bei der Berührung entspannte sich Magda sofort.
„Ich verstehe nicht, warum George sich Sorgen um dich macht, Ella. Du bist die Stärkere von uns, nicht ich."
„Mami, solange ich da bin, wird dir nichts passieren."
„Wie meinst du das, Ella?"
„Glaub mir, Papa und du werdet nicht mit fünfundsiebzig sterben."
„Aber Ella, wie kannst du so etwas sagen?"
Sie hörten das zweimalige Drehen des Hausschlüssels im Schloss der Wohnungstür. Ella gab ihrer Mutter einen warnenden Blick.
„Schhh..." Sie legte einen Finger an ihre Lippen.
Duke kam nach Hause und warf seine Schlüssel auf den Tisch. „Hallo ihr zwei, ich komme zum Mittagessen. Mutter, hast du etwas für mich vorbereitet?"
„Ja, mein Sohn, heute gibt es dein Lieblingsessen."
„Gebratenes Huhn mit gebackenen Kartoffeln und grünem Gemüse?", fragte er und machte zwei Schritte, um in die Küche zu kommen. Er war ein großer Mann in den Dreißigern — mit einem unversöhnlichen Blick und kalter Ausstrahlung. Seine Halbglatze trug dazu bei, seine strengen Gesichtszüge besonders hervorzubringen. Eine lange spitze Nase trennte seine Augen, deren einst verträumter Blick einem drohenden gewichen war. Seitdem er Regierungsbeamter war, verbarg er seine Gefühle. Das Träumen gehörte der Vergangenheit an.
Er setzte sich an den rechteckigen Tisch und legte die Füße auf den Stuhl gegenüber. Langsam lief der Dreck an der Sohle seiner Lederstiefel hinab und tropfte auf das alte Holz.
Seine Mutter eilte in die Küche, um ihm die köstlich riechende Mahlzeit zu servieren. Duke begann ohne weitere Worte zu essen. Im Regierungsbüro arbeitete er hart; dieses Jahr gab es einen Boom von Fünfundsiebzigjährigen. Alle diese Senioren und Seniorinnen mussten verarbeitet werden. Ihren Familien musste das Gift-Set ausgehändigt und sie mussten über das gesetzliche Verfahren zur Beseitigung ihrer Eltern und Großeltern informiert werden. Zumindest war die Wahl zwischen Körperbeerdigung und Einäscherung abgeschafft worden. In diesen Tagen wurden die Körper alle verbrannt und die Asche als Dünger auf dem Ackerland verstreut.
Duke lachte leise vor sich hin, während er sich einen Berg Gemüse in den Mund schaufelte.
Die Vorteile dieser Beseitigungsmethode lagen auf der Hand: Die menschliche Asche musste zuerst behandelt werden, um das hohe Natrium zu verdünnen und den hohen pH-Wert zu senken. Ein Prozess, der einen neuen Industriezweig erzeugt hatte. So waren neue Arbeitsplätze geschaffen worden und diejenigen, die stark in die neue Industrie investierten, teilten sich die Gewinne. Die A.S.H.E.S.-Aktie war in die Höhe geschossen und handelte seit Jahren noch nie dagewesene Werte ein. Das multinationale Unternehmen A.S.H.E.S. unterhielt Niederlassungen auf der ganzen Welt.