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Mit Rad Und Zelt - immer der Nase nach: Die Neuentdeckung Westeuropas – eine Reise von München nach Lissabon und zurück
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Mit Rad Und Zelt - immer der Nase nach: Die Neuentdeckung Westeuropas – eine Reise von München nach Lissabon und zurück
eBook265 Seiten3 Stunden

Mit Rad Und Zelt - immer der Nase nach: Die Neuentdeckung Westeuropas – eine Reise von München nach Lissabon und zurück

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Über dieses E-Book

Als frisch gebackener Rentner fährt der Autor mit dem Fahrrad von München nach Lissabon und zurück. Diese Strecke, die er in vergangenen Jahren vielfach mit Auto oder Flugzeug zurückgelegt hatte, erlebt er ganz neu: langsam, aus einer anderen Perspektive, nahe an der Natur und inmitten verschiedenster Gerüche und Eindrücke. In seine unterhaltsamen Erzählungen mischen sich Anekdotisches, Lyrisches, erstaunliche Alltagserfahrungen und Reflektionen über die vielfältigen Reize der Natur und Kultur Westeuropas – und über die großen Veränderungen der Städte durch Tourismus und Gentrifizierung. Einen exemplarischen Schwerpunkt bildet der Zielort Lissabon, die Stadt der Kindheit und Jugend des Autors.

Im Anhang beschrieben sind die "vier Hauptsätze des Fahrradfahrens" mit praktischen Tipps für Fernradreisende jeden Alters.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum3. Dez. 2019
ISBN9783750214682
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    Buchvorschau

    Mit Rad Und Zelt - immer der Nase nach - Bernhard Inderst

    Der Traum

    Mein Dank gilt den vielen Helferinnen und Helfern, die geduldig den Text verbessert haben, vorne weg meine Frau Eva, meine Tochter Anila, Ulla Hempel, Ana Pires, meiner Familie wegen der Findung eines Buchtitels, Maria Sauheitl wegen der Zeichnungen.

    Ich habe einen Blog zu diesem Buch eingerichtet. Anregungen, eigene Erlebnisse sind willkommen:

    www. velovici.de/westeuropa-dchfsp

    Ein Überblick über die Gesamtstrecke

    Grafik 210

    Schon lange hatte ich davon geträumt, mit dem Fahrrad nach Portugal und wieder zurück zu fahren. Ich wollte die Stätte meiner Kindheit wieder entdecken. Immerhin habe ich im Alter von 6 bis 17 mit einem Jahr Unterbrechung in Lissabon gewohnt, meine Freunde dort gehabt, meine Straßen, meine Parks, später meine Tascas, jene Spelunken, in denen die Geschichten aus der Nachbarschaft ausgetauscht werden und in denen ich mich heimlich mit meinen Brüdern oder Freunden traf. Was hat sich seit 1969 geändert? Da ich in der Zwischenzeit immer wieder in Lissabon gewesen bin, meist nur tageweise, war ich natürlich etwas vorbereitet. Ich wollte aber mal wieder über längere Zeit den ´cheirinho de Lisboa´ riechen, den Geruch von Lissabon. Gibt es ihn überhaupt noch, so wie Amália Rodrigues ihn in einem ihrer berühmten Fados besungen hat? In diesem Lied werden die vielen kleinen Gerüche besungen, wie die Cafés am Rossio - dem Hauptplatz Lissabons, die Trambahn, die gerösteten Kastanien, das Basilikum und auch der Fado riecht - nach Einsamkeit.

    Nun ist aber auch der Weg das Ziel. Ich will die Touren an den berühmten Flüssen machen, von denen ich so viel gehört und gelesen habe, die Aare Tour, die Rhône Tour, die Loire Tour, die Pisuerga Tour, die Thouret Tour, die Tour am Kanal Marne-Rhein, die Rhein Tour. Alle diese viel beschriebenen Strecken will ich zumindest teilweise befahren und erleben. Ich will die Länder und Landschaften erleben, die ich so oft mit dem Auto, mit dem Bus, mit dem Zug durchfahren habe und die Sprachen dieser Länder auffrischen, wieder erlernen; Sprachen, die mich seit meiner Jugend begleiten.

    Insbesondere seit von der Europäischen Union 1995 das EuroVelo Netz gefördert wird, sind diese Strecken noch attraktiver geworden. Ein bislang fast 56 000 Kilometer langes Fahrradnetz ist in Europa entstanden, von Nord-Norwegen bis Süd-Portugal und Athen, von West-Frankreich bis Odessa am Schwarzen Meer. Das Fahrradnetz führt durch Europas schönste Landschaften, an den schönsten Seen vorbei, durch Naturschutzparks, in die kein Auto hineinkommt, auf speziell angelegten Wegen entlang der Étangs, marismas, rias, Sumpfmeere und Strände des Mittelmeers und des Westatlantik. Die Wege, die ich fahren will, führen auch genau an den Flussläufen entlang.

    Meine Tour ist relativ schnell geplant: Ich will über die Südküste Frankreichs und Spaniens in die Algarve nach Portugal einreisen und über die Nordküste Spaniens und Westküste Frankreichs wieder zurückradeln. Da Hotels auf einer sechsmonatigen Reise zu teuer sind, will ich die Nächte auf Campingplätzen verbringen. Die Tour soll nicht zu stressig sein, daher plane ich, immer drei Tage zu fahren, mich einen Tag auszuruhen und dort, wo es besonders schön ist, einen Extra-Pausentag einzulegen.

    Dabei ist es eigentlich egal, ob ich manche Gegenden schon mit dem Auto durchfahren habe oder nicht, denn für mich sind Fahrradfahren und Autofahren sehr unterschiedliche und nicht vergleichbare Reiseformen - selbst dann, wenn Autos und Fahrradfahrer auf der gleichen Straße fahren. Denn durch das Fahren auf einem Rad werden auch bereits vertraute Strecken zu einem neuen Erlebnis (siehe Anhang „Warum ist Radfahren so viel anders als Autofahren?")

    Gerüche als Duftmarken

    Dennoch ist der größte Teil der Strecke für mich neu, bis auf ein paar Innenstädte, die ich im Laufe meines Lebens schon einmal besucht habe. Meine Vorfreude gilt der Erwartung, frische Luft und die Düfte von Blumen und Bäumen zu riechen, ohne von lästigen Autoabgasen umgeben zu sein.

    Gerüche im Allgemeinen werden zum Leitmotiv meiner Tour. Die unterschiedlichen Gerüche zwischen den Ländern Mitteleuropas und des Mittelmeers, zwischen Frühling und Herbst, die Palette der Jahreszeiten und der unterschiedlichen Flora tragen dazu bei, dass diese Reise im Nachhinein so unvergesslich und wertvoll wurde.

    In der Tat macht der Geruchssinn eine erstaunliche Wandlung durch, wenn er es wieder erlernt hat, auf die feinen Unterschiede in der Natur einzugehen, wo er vorher als „Stadtnase" eigentlich nur zwischen Benzin- und Dieselabgasen der Autos und LKWs oder den besonders stinkenden Abgasen der Mopeds unterscheiden musste.

    Sie alle sind zu entdecken: die Düfte der Gräser, Blumen, Blüten oder Sträucher, einzeln auf einer Wiese, in der Steppe oder im Wald, wo durch die Vielfalt der Bäume weitere Gerüche hinzukommen.

    Zuerst errieche ich Süddeutschland mit seinen vielen Laubbäumen, Fichten und Tannen. All diese Gerüche haben weitere Facetten, je nach Jahreszeit, im Frühling, wenn alles nach Entfaltung strebt oder im Herbst, wenn alle Bäume noch einmal ihr Bestes geben, in den verschiedensten Farben leuchten und ihre Früchte der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Zu diesem Herbst gehören auch die zahllosen Düfte von reifem Obst, bevor die Pflanzen langsam einen vorrübergehenden Rückzug antreten, um im nächsten Frühling wieder ihre Pracht zu entfalten.

    Dann rieche ich die Düfte der Schweiz, ein Land, in dem das Klima bereits einzelne mediterrane Pflanzen zulässt, das aber ansonsten noch voll im Einfluss des Binnenklimas liegt. Spätestens in Südfrankreich errieche ich eine Veränderung der Fauna und Flora, wenn Kiefern, Palmen oder Lavendel immer öfters zu sehen sind. Tannen verschwinden langsam aus der Natur, Wälder aus Pinien oder Eukalyptus nehmen zu, am besten riecht jedoch für mich eine Mischung aus allem.

    Am Meer schließlich kommt das salzige Meerwasser zu diesen Gerüchen hinzu, jede Meereswelle wird zum Geruchserlebnis, wenn die Gischt ihre gesammelten Duftnoten, die das Meer zu bieten hat, in die Umwelt verströmt.

    Alle Pflanzen bekommen eine neue Duftnote. Wer kennt es nicht, die Dinge riechen plötzlich anders, sie schmecken anders und in der Folge ändert sich auch die persönliche Stimmung.

    Kann man die Übergänge der einzelnen Vegetationszonen bewusst verfolgen? Ja, man kann, auch wenn sie schleichend stattfinden. Die Veränderungen sind z.B. an den Vorgärten zu erkennen, in denen bestimmte Strauch- oder Baumsorten immer häufiger vertreten sind, z.B. der Oleander, das Wandelröschen als Kletterpflanze oder der Ginster. Man sieht es auch an der Bepflanzung der Felder, wenn plötzlich Olivenhaine auftauchen, oder gar Korkeichen. Um trotz der schrittweisen Veränderungen eine Art Linie zu ziehen: Für mich persönlich ist dieser Übergang der einzelnen Vegetationszonen besonders deutlich auf der Höhe von Valence an der Rhône, bzw. auf der westliche Seite in der Höhe von Bordeaux zu erfahren gewesen. Nördlich dieser Region überwiegt die Flora Mitteleuropas, südlich die des Mittelmeeres.

    Aber die reine Beschreibung der Flora als Geruchsträger reicht nicht aus, um die Bandbreite der Düfte und Gerüche zu erfassen. Ein Wald riecht anders, wenn es trocken ist als wenn es vorher geregnet hat. Ein sauberer Wald, einer, aus dem Bodenholz sofort entfernt wird, erzeugt weniger Gerüche als wenn viel moderndes Holz herumliegt. Gemähte Wiesen riechen anders als die Wiesen, auf denen Blumen ihren Duft abgeben. Angelegte Parkanlagen riechen anders als ein Wald. Man erkennt am Geruch der Umgebung, welche Tiere sich in der Nähe befinden.

    Auch ob man an Flüssen oder Kanälen entlangfährt, macht einen Unterschied, weil die Feuchtigkeit der Wasserläufe ein anderes Mikroklima erzeugt. Es vermengen sich die Gerüche, die das Wasser mitbringt, mit den Gerüchen der umgebenden Flora. Ob Brackwasser, ob frisches Wasser, ob stehendes, ob fließendes Wasser, ob mit Kloake oder Industrieabwässern verseuchtes Wasser, all diese Faktoren tragen dazu bei, unterschiedliche Erinnerungen an einen gewissen Geruch zu binden. „Ah, das war da, wo es so gut gerochen hat oder „Ah, das war da, wo es gestunken hat - das sind mögliche Attribute einer bestimmten Radpassage.

    Es macht einen großen (Geruchs-)unterschied, ob sich in einer gewissen Entfernung das Meer befindet oder nicht. Ob Mittelmeer oder Atlantik, ob der Wind vom Landesinneren oder vom Meer kommt, all das beeinflusst den Geruch der Gegend.

    Es riecht anders, wenn Felder an Straßen entlangführen oder nur durch Feldwege getrennt sind. Weite Gebiete, die sich durch Monokulturen auszeichnen wie Sonnenblumen, Mais oder Raps, riechen anders als wenn diese gleichen Pflanzen in einem Mischanbau gepflanzt werden.

    Tiere tragen zur Geruchsvielfalt bei. Eine Schweinezucht riecht schon aus einer großen Entfernung - und das nicht gut-, Kuhherden oder gedüngte Felder durch Kuhmist, Freilandzüchtungen von Gänsen, Enten, Hühnern, Tiertransporte in überholenden LKWs bis hin zu verwesendem Fleisch durch überfahrene Tiere, all das trägt zur Vielfalt von Gerüchen bei.

    Menschen, die mir begegnen, die ich überhole oder die einen selbst auf Fahrrädern überholen, hinterlassen Geruchsfahnen, Frauen andere als Männer und Kinder. Manche Parfüms riechen gut, andere sind nicht zu ertragen. Manche Kleidung sollte mal wieder gewaschen werden. Vielleicht habe auch ich das eine oder andere Mal solch eine Geruchsfahne hinterlassen.

    Auch Straßen tragen je nach Verkehr entscheidend zur Geruchslage bei. Es gibt eine kritische Dichte des Verkehrs, ab der verschiedene Gerüche der Natur nicht mehr zu unterscheiden sind. Dafür rieche ich die Unterschiede der verschiedenen Abgase. Ich rieche, ob ein Motor vollständig verbrennt, ob es sich um Diesel oder Benzin handelt, ein Moped stinkt besonders stark.

    Industrieanlagen verändern die Geruchslage radikal. Ich kann die verschiedenen Fabriken riechen, bei manchen errate ich sofort, was darin produziert wird. Fabriken, die Lebensmittel produzieren, bergen die Gefahr, dass mir die Lust auf dieses Produkt vergeht. So z.B. fahre ich in einer Vorstadt von Sevilla an einer Raffinerie von Olivenöl vorbei, ich kann den Geruch schon von weitem erfassen, er verdirbt mir den Appetit auf Olivenöl. Grausam. Aber auch sonst bin ich froh, wenn die Industriegebiete nicht allzu groß sind und man sie schnell durchradeln kann.

    Städte haben natürlich auch eigene Gerüche. Viele dieser Gerüche in einer Stadt setzen sich zusammen aus einem bestimmten Gemisch von Abgasen - und natürlich - zubereitetem Essen, den Cafés, Restaurants. In Frankreich kann man riechen, wo sich die Boulangerie, der Bäcker oder ein Café in der Nähe befindet. Jede Kanalisation riecht anders, manch Gullydeckel und manche Mauerecke als Pissoir veranlassen die sofortige schnelle Flucht. Reine Schlafviertel, tagsüber verlassen, riechen anders als Viertel, in denen tagsüber sichtbar ein buntes Treiben herrscht. Viertel mit mittelständigen Werkstätten, z.B. Autogaragen, riechen anders als reine Industriegebiete.

    Insgesamt kann ich sagen, dass kein Geruch zweimal vorkommt; jeder Umgebung wohnt ein eigenes Gemisch von Duftstoffen inne, die einmalig sind und durch ihre Vielfalt als eine unverwechselbare Duftmarke eines bestimmten Orts zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Wetterlage zu einer bestimmten Tageszeit bezeichnet werden kann.

    Radfahren stärkt den Geruchssinn und ermöglicht es, diese Duftmarken zu differenzieren und im Gedächtnis zu bewahren. Bei manchen Gerüchen ist man froh, dass sie nur kurzfristig sind und man sie schnell durchradelt hat, bei manchen bleibt man stehen und genießt sie und stellt dann fest, dass der Geruch sich permanent ändert. Spannend.

    Ein interessanter Aspekt ist auch das von der Fahrtrichtung abhängige Farbenspiel. Während des Radelns in die Ost-West Richtung sticht die Sonne spätestens ab Mittag in die Augen. Da ich es vermeide, eine Sonnenbrille zu tragen, die mir alle Farben eintönig verändert, werden die Farben heller, blauer, weißer; es ist wie eine Aufbruchsstimmung, die mich ansteckt. Schließlich befinde ich mich ja tatsächlich im Aufbruch, in Richtung meines Zieles Portugal. Auf der Rückfahrt dagegen steht die Sonne entsprechend im Rücken, die Tage werden kürzer und dadurch steht die die Sonne viel schneller tief, was sich im Leuchten des Laubs der verschiedenen Baumsorten wiederspiegelt. Das warme Licht der rot-gelb-grün Gemische von Baum und Wiese, gepaart mit einem Tiefblau einzelner Seen machen wehmütig und unterstreichen, dass die Fahrt bald zu Ende geht.

    Und - entsprechend dem Geruchssinn- es ändert sich auch der Geschmacksinn entsprechend. Darauf gehe ich Laufe der Aufzeichnung immer wieder ein. Nur so viel: Es schmeckt immer. Liegt es daran, dass man Fahrrad fährt und alle Sinne auf Aufnahme geschaltet hat, liegt es daran, dass ein guter Côte du Rhône Wein eben an der Côte du Rhône einfach durch seine Umgebung anders, meist besser schmeckt, liegt es daran, dass eine salzige Umgebungsluft Lebensmittel mit anderen Zusätzen versieht als zu Hause?

    Alles das gehört auch zu einer sich verändernden Wahrnehmung, zu einer Reiseerfahrung.

    Neugier als Motivation

    Die Motivation entwickelt sich im Laufe der Reise immer wieder neu. Zur Wiederentdeckung der Stätte meiner Kindheit gesellt sich die Neugier auf die Reise selbst. Man kann zwar nicht bei der Planung bereits alle Eventualitäten überblicken, aber die Aussicht auf etwas Neues, Unplanbares macht ja genau den Reiz der Reise aus. Warum ich das mache? Warum ich die Strapazen auf mich nehme? Am Ende bin ich über 5700 Kilometer geradelt, habe 81 Campingplätze aufgesucht, von den 27 Wochen war ich 22 allein unterwegs. Warum? Genau das wurde ich unterwegs 100-mal gefragt. Warum machst du das? Abgesehen davon, dass z.B. in Portugal viele Leute mir erst gar nicht glauben wollten, dass ich mit dem Fahrrad da bin.

    Aber für mich ist der entscheidende Punkt: Nicht warum ich diese Reise mache, soll die Frage sein, sondern wie ich meine Neugier stillen kann. Fühle ich mich zufrieden während meiner Reise? Es sind Chancen des Lebens, die ich nutze. Die Fahrradfahrt führt durch die Landschaften West-Europas. Da man natürlich immer nur einen Pfad, einen Weg befährt, stellt sich immer wieder die Frage: Was verpasse ich, weil ich diesen und nicht einen anderen Weg nehme? Nutze ich die Gelegenheit richtig? Am Ende meiner Reise habe ich viele tolle Wege gefunden, aufregende Landschaften entdeckt, gute Luft genossen, aber auch manche Zersiedelung, manchen Kahlschlag, manchen Waldbrand, manche Umweltverschmutzung gesehen, was mich traurig gemacht hat.

    Eben weil ich viele der Gegenden von früher kenne, sehe ich auch Veränderungen - positive wie negative. Ich sehe sowohl die Zerstörung, die ungebremste Urbanisierung, die sich in Form von uniformen Neubausiedlungen darstellt, die Industrialisierung als auch manch neuen Naturpark, manche Wiederaufforstung. Das sind Inseln, Inseln für das gute Gewissen. Aber nicht mehr als das. Ein Wald 200 Meter neben einer stinkenden Papierfabrik kann die schlechten Gerüche nicht auffangen. Ein Strand, neben dem ein Industriehafen gebaut wurde, wird immer Müll und Öle enthalten. Ein Dorf, durch das eine vielbefahrene Nationalstraße führt, ist eigentlich tot. Man merkt auf Schritt und Tritt, dass es scheinbar keinen Plan gibt, wie Natur und Industrialisierung in Einklang zu bringen sind. Insellösungen, einzelne Initiativen und lokale Vorstöße prägen das Bild. Natürlich ist es spannend zu beobachten, wie der vermehrte Druck auf die Politik zum Erhalt der Umwelt und zur Renaturierung die Landschaften verändern, aber die meisten Lösungen enden momentan dort, wo die Touristenhochburgen aufhören. Dort gibt es schöne, ausgeglichene Parkanlagen, bewusste Ökobereiche, die jedem Touristen klarmachen sollen, dass die Politik bereits alles Mögliche unternehme. Ein paar Kilometer weiter aber ist nichts mehr von diesen Lösungen zu sehen. Das ist eine traurige Erkenntnis dieser Reise.

    Aber zurück zur Neugier. Natürlich mache ich mir Gedanken, welche Neugier auf welche Dinge nun meine Fahrt prägen wird. Sie wird sich nicht nur auf den Wechsel der Landschaften mit ihren verschiedenen Gerüchen erstrecken, sondern auch darauf, unter welchen Lebensumständen die Menschen leben. Wo sind die sozialen Zentren und wie werden sie gelebt? Was macht eigentlich das Stadt-Land-Gefälle in einer bestimmten Region aus? Interessant ist, dass lokale Zentren in Westeuropa maximal 50 Kilometer auseinanderliegen. Wieviel Felder, Wälder und einsame Gegenden ich auch abfahre, nach spätestens 50 Kilometern treffe ich mindestens auf eine mittelgroße Stadt. Da die meisten dieser Knotenpunkte eine lange Geschichte hinter sich haben, vermute ich, dass die 50 Kilometer auch früher schon eine gewisse Größe war, mit der die Menschen sich vernetzen konnten, als es noch keine Autos gegeben hat.

    Für mich als einen Menschen, der relativ oft vereist, ist es ein Türöffner, um die Menschen zu erreichen, eine Sprache soweit zu beherrschen, dass ich mich in einem normalen Small Talk

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